Georg Herwegh (1817-1873) - Liebesgedichte

Georg Herwegh



Georg Herwegh
(1817-1873)


Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
 





Sonett XXXIX.

O heiss' mich nicht von Deinem Antlitz fliehn,
Auf dem der Liebe heilige Gedanken
Gleich goldnen Sternen auf und nieder schwanken,
Die still und furchenlos am Himmel ziehn!

Hier ist mein Tempel und hier will ich knien,
Um diesen Altar meine Arme ranken,
In diesen Armen meinen Göttern danken,
Daß sie mir ihre Seligkeit verliehn!

Bist Du, mein Herz, selbst wider dich im Bunde?
Was soll der volle schäumende Pokal,
Was die Unendlichkeit dem Mann der Stunde?

Begehre nicht die Herrlichkeit zumal!
Bitt' um Ein Wort nur aus dem lieben Munde,
Ein halbes Lächeln, Einen Sonnenstrahl!


Aus: Georg Herwegh Werke und Briefe
Kritische und kommentierte Gesamtausgabe
Herausgegeben von Ingrid Pepperle
Band 1 Gedichte 1835-1848
Bearbeitet von Volker Giel Aisthesis Verlag 2006 (S. 78)

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Sonett XL.

Ob die Locken eine Glorie quellen
Um Dein Antlitz und Du himmlischmild
Auf mich blickst, ein stumm Marienbild,
Das zwei blaue Sterne fromm erhellen,

Ob Dein Haar in ungebundnen Wellen
Um den Nacken flutet, stolz und wild,
Und Dein Aug' ein harter Demantschild,
Dran die kühnsten Wünsche jach zerschellen;

Ob ich sehe mit dem Heil'genscheine
Dich, ob mit des Unmut's düstrer Falte,
Ewig, ewig fleh' ich nur das Eine:

Daß Dein schöner Mund doch nie erkalte,
Daß Dein schönes Auge niemals weine,
Und mir Gott Dein schönes Herz erhalte.

Aus: Georg Herwegh Werke und Briefe
Kritische und kommentierte Gesamtausgabe
Herausgegeben von Ingrid Pepperle
Band 1 Gedichte 1835-1848
Bearbeitet von Volker Giel Aisthesis Verlag 2006 (S. 78-79)

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Sonett XLI.

"Eins - zwei - drei - vier - nun, eine hübsche Schar!
Mein guter Freund, Ihr treibt das Ding ins Große;
Heut' ist es diese, Morgen jene Rose:
Mit Eurem Herzen steht es sonderbar."

Der Dichter ist der Sultan Scheriar,
Und liebt, wie dieser Herr, das Grandiose;
Der ruht' auch zweimal nie im selben Schoose,
Bis er Scheherezaden ward gewahr.

Ich sah wohl manch ein schönes Angesicht,
Das ich besungen und belobt; nur schade,
Das, was ich suchte, war es immer nicht.

Und Alles, Alles mord' ich ohne Gnade,
Was meinem Ideale widerspricht:
Wann kommst Du endlich, o Scheherezade?

Aus: Georg Herwegh Werke und Briefe
Kritische und kommentierte Gesamtausgabe
Herausgegeben von Ingrid Pepperle
Band 1 Gedichte 1835-1848
Bearbeitet von Volker Giel Aisthesis Verlag 2006 (S. 79)

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Sonett XLII.

Ich thue Jedermänniglich zu wissen,
Daß ich den finstern Unmut sehr bereue
Und mich von Herzen meines Lebens freue,
Daß ich erlöst von allen Kümmernissen.

Mein liebes Fischchen hat nun angebissen
Und schwört mir über alle Maßen Treue,
Es herzt und herzt und herzt mich stets aufs Neue,
Und drückt mich schmeichelnd in die Sophakissen.

Ich lad' Euch, meine Freunde, sämmtlich ein,
Mir eine frohe Stunde 'mal zu schenken;
Doch laßt mir dann die tolle Frage sein:

Wann wir uns wohl zu ehlichen gedenken?
So lange noch der ganze Himmel mein,
Will ich mich nicht auf Haus und Hof beschränken.


Aus: Georg Herwegh Werke und Briefe
Kritische und kommentierte Gesamtausgabe
Herausgegeben von Ingrid Pepperle
Band 1 Gedichte 1835-1848
Bearbeitet von Volker Giel Aisthesis Verlag 2006 (S. 79-80)

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C'est une ame charmante
Diderot

(Nach V. Hugo)

Mein Kind, wär' ich ein König,
Mein ganzes Königreich,
All' meine Ross' und Wagen,
Mit Sattel und mit Zeug';

Und meine gold'ne Krone,
Mein Scepter auch dazu,
Die schönen Marmorbäder
Bekämest alle Du.

Und hätt' ich mehr Nationen,
Als Stern am Himmel zieh'n,
Ich legete sie alle
Zu Deinen Füßen hin.

Ich gäb' die tausend Flotten,
Die zugehörten mir,
Und denen das Meer zu enge,
Um einen Blick von Dir.

Und wär' ich Gott, die Erde,
Und Luft mit sammt dem Meer,
Die Teufel und die Engel,
Mein ganzes Himmelsheer,

Und wo in meinem Weltall
Ein Stückchen grünes Land,
Zeit, Raum und Ewigkeiten
Gäb' ich in Deine Hand.

Ich gäbe alle Welten,
Die unterthänig mir,
Ich gäbe alle Himmel
Um einen Kuß von Dir.

Aus: Georg Herwegh Werke und Briefe
Kritische und kommentierte Gesamtausgabe
Herausgegeben von Ingrid Pepperle
Band 1 Gedichte 1835-1848
Bearbeitet von Volker Giel Aisthesis Verlag 2006 (S. 165-166)

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Malen soll ich Dich, Geliebte?
Junge, bring' die Farben mir,
Hole her die feinsten Pinsel,
Daß ich mach' ein Bild von ihr!

Locken - schwarz - nun ja, mit Trauer-
Farben male ich sehr gern,
Eine Farbe findet sich wohl
Auch für Deiner Augen Stern!

Nun die Nase, nun die Wangen,
Jetzt geht's an die Lippen hin -
Junge, sieh' mal in die Schachtel,
Ob kein Feuer ist darin.

Kind, ich will's gestehen, daß an
Solchen Farben mir gebricht;
Küssen kann ich Deine Lippen,
Aber malen, malen nicht.


Aus: Georg Herwegh Werke und Briefe
Kritische und kommentierte Gesamtausgabe
Herausgegeben von Ingrid Pepperle
Band 1 Gedichte 1835-1848
Bearbeitet von Volker Giel Aisthesis Verlag 2006 (S. 166-167)

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Wir spielen mit einander
Tragikomödie;
Ich zieh' den Mund herunter,
Du ziehst ihn in die Höh'.

Ein ganzes Lustspiel lachet
Und springt um Deinen Mund,
Der Schmerz rast auf Kothurnen
In meines Herzens Grund.

Aus: Georg Herwegh Werke und Briefe
Kritische und kommentierte Gesamtausgabe
Herausgegeben von Ingrid Pepperle
Band 1 Gedichte 1835-1848
Bearbeitet von Volker Giel Aisthesis Verlag 2006 (S. 167)

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Ich weiß es, meine Lieder
Beleidigen Dein Ohr,
Und doch kann ich nicht schweigen,
Die Seele muß hervor.

O gib Du meiner Seele
Doch einen andern Lauf,
Und mit dem ersten Kusse
Hört alles Dichten auf.

Aus: Georg Herwegh Werke und Briefe
Kritische und kommentierte Gesamtausgabe
Herausgegeben von Ingrid Pepperle
Band 1 Gedichte 1835-1848
Bearbeitet von Volker Giel Aisthesis Verlag 2006 (S. 167)

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Des Mädchens Thränen

Weinen kann ich, wenn aus Thränen
Schimmert süßer Augen Licht,
Wenn sie feucht vor Liebe Sehnen;
Doch sie trocknen kann ich nicht.

Schön ist wohl der Himmel, wenn er
Blau sich über'm Haupt uns schmückt;
Doch das Azur ist viel schöner,
Wenn es durch die Wellen blickt.

Weinen kann ich, wenn das schwere
Herz vor Kummer endlich bricht,
Luft sich macht in einer Zähre;
Doch sie trocknen kann ich nicht.

Blaues Veilchen hat vor allen
Stolzen Blumen auf der Au
Stets am besten mir gefallen,
Wenn darauf ein Tröpfchen Thau.

Weinen kann ich, wenn im Auge
Eine schöne Perle liegt,
In der scharfen Thränen-Lauge;
Doch sie trocknen kann ich nicht.

Gerne tauch' ich in des dunkeln,
Blauen, tiefen Meeres Schooß;
Doch wenn Perlen drunten funkeln,
Ist die Lust d'rin noch so groß.

Gern mag ich zur Sonne sehen,
Doch ich liebe sie weit mehr,
Wenn die Wolken davor stehen,
Sticht sie dann doch nicht so sehr.

Weinen kann ich, wenn Du weinest,
Daß Dir der Geliebte fern,
Und Du zu verzweifeln scheinest -
Doch - die Thränen trockn' ich gern.

Komm', komm', wir wollen nach Hause,
Hier außen ist's zu kalt,
Ich fürchte, wir bekommen
Einen tüchtigen Regen bald.

Hörst Du nicht, wie der Sturmwind
Im Gipfel der Linde wühlt?
Siehst nicht, wie manches Blättchen
In dem See sich schon gepfühlt?

"Das sind keine Lindenblätter,
Der Sturmwind thut es nicht,
Sind Herzen, die gebrochen
Dein falsches Angesicht.

Das ist kein See von Wasser,
Von Salz ist dieser See,
Den doppelt so viel Augen
Geweint vor Liebesweh.

Noch steht ein einzig Blättchen
Hoch auf dem Lindenbaum;
Mein Kind, im tiefen See
Ist noch für viele Raum."

Aus: Georg Herwegh Werke und Briefe
Kritische und kommentierte Gesamtausgabe
Herausgegeben von Ingrid Pepperle
Band 1 Gedichte 1835-1848
Bearbeitet von Volker Giel Aisthesis Verlag 2006 (S. 167-169)



[Anmerkung: Die Vertonung dieses Gedichtes
von Ferdinand Hiller (1811-1885)
in leicht veränderter Version

Des Mädchens Thränen
Weinen kann ich, wenn aus Thränen
Schimmert süßer Augen Licht,
Wenn sie feucht vor Liebe Sehnen;
Doch sie trocknen kann ich nicht.

Schön ist wohl der Himmel, wenn er
Blau sich über'm Haupt uns schmückt;
Doch das Azur ist viel schöner,
Wenn es durch die Wellen blickt.

Weinen kann ich, wenn das schwere
Herz vor Kummer endlich bricht,
Luft sich macht in einer Zähre;
Doch sie trocknen kann ich nicht.

Blaues Veilchen hat vor allen
Stolzen Blumen auf der Au
Stets am besten mir gefallen,
Wenn darauf ein Tröpfchen Thau.

Weinen kann ich, wenn im Auge
Eine schöne Perle liegt,
In der scharfen Thränen-Lauge;
Doch sie trocknen kann ich nicht.

Gerne tauch' ich in des dunkeln,
Blauen, tiefen Meeres Schooß;
Doch wenn Perlen drunten funkeln,
Ist die Lust d'rin noch so groß.

Weinen kann ich, wenn ein Schleier
Silberzährenschleier bricht
Deines Aug's verzehrend Feuer
Doch sie trocknen kann ich nicht.

Gern mag ich zur Sonne sehen,
Doch ich liebe sie weit mehr,
Wenn die Wolken davor stehen,
Sticht sie dann doch nicht so sehr.

Weinen kann ich, wenn Du weinest,
Daß Dir der Geliebte fern,
Und Du zu verzweifeln scheinest -
Doch - die Thränen trockn' ich gern.]
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Doppelte Liebe

Mein liebes Kind, was läß'st du
Dich gar nicht bei mir sehn? -
"Mein liebes Kind, wer kann denn
Dem Himmel widerstehn?

Es möcht' schon lang das Abendroth
Zum Morgenrothe hin,
Sie kommen nicht zusammen,
Der Himmel liegt zwischen drin.

Und stünde nicht Agnese
Zwischen mir und zwischen dir,
Du hättest, meine Seele,
Längst einen Kuß von mir."

Aus: Georg Herwegh Werke und Briefe
Kritische und kommentierte Gesamtausgabe
Herausgegeben von Ingrid Pepperle
Band 1 Gedichte 1835-1848
Bearbeitet von Volker Giel Aisthesis Verlag 2006 (S. 169-170)

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Aus dem die Welten sprangen,
Des Himmels leuchtend Blau,
Der Keim lag einst umfangen
Von einem düstern Grau;
In einer trüben Leere
Schwamm einst der heil'ge Geist,
Und von endlosem Meere
Wurde das All umkreist.

Es ruhte mitten innen
Der Sonnen Seyn gebot;
So wie die Dichter sinnen,
So träumte damals Gott;
Die durch den Himmel schwanken,
Die Sterne, bahnbewußt,
Die keimten als Gedanken
In seiner Dichterbrust.

Er träumt', wie in die Höhe
Vom Grau das Leichtre flog,
Wie ihm zu Häupten stehe
Ein Blau, das aufwärts zog;
Und wie die Nebel schwinden,
Zergehen wie der Schaum,
Wie seine Füße finden
Nun einen festen Raum;

Wie von der leichtsten Erde
Und von dem reinsten Blau
Er nehme, wie draus werde
Der schönste Wunderbau;
Wie einen Kuß er gebe
Dem reizenvollsten Weib,
Und wie sich drauf belebe
Ein göttergleicher Leib.

In Gottes Herz sich senken
Die zarten Triebe ein,
Er will, sein kühnstes Denken
Soll auch lebendig seyn;
Er schafft
die süßen Weiber,
Die ihm sein Dichten weist,
Belebt die schönen Leiber
Mit seinem heil'gen Geist.

Ich hab' im Traum geschauet
Lippen voll süßer Glut,
Doch, wie mich's auch erbauet,
Gedanken sind kein Blut.
Es löschet mir die Quelle
In nächtlichem Gesicht,
Und die gemalte Welle
Den brennenden Durst noch nicht.

Als Traum vorbei blos fließen
Soll mir kein liebes Bild,
Nein in die Arme schließen
Will jegliches ich wild!
Und jedes Lied soll werden
Zur blühendsten Gestalt;
Es sey für mich auf Erden
Nicht Eine Lippe kalt!


Aus: Georg Herwegh Werke und Briefe
Kritische und kommentierte Gesamtausgabe
Herausgegeben von Ingrid Pepperle
Band 1 Gedichte 1835-1848
Bearbeitet von Volker Giel Aisthesis Verlag 2006 (S. 170-171)

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Ich hatte lang verborgen
Den schönsten Liederstrauß,
Kaum ließ ich gestern Morgen
Ihn ziehen aus dem Haus;

So fielen die Recensenten
Ueber mein Büchlein her,
Und konnten nimmer enden
Und sprachen mehr und mehr.

Der Eine fand drin Funken
Von wahrer Poesie,
Der Andre hatte getrunken
Solch Götternectar nie.

Das falsche Metrum scheint der
Zu nehmen als Lizenz,
Doch meine Liebe, meint der,
Sey gegen die Decenz.

O ihr verdammten Gecken,
Ich thu' euch hiermit kund:
All' diese Lieder schmecken
Nach meiner Liebsten Mund.

Aus: Georg Herwegh Werke und Briefe
Kritische und kommentierte Gesamtausgabe
Herausgegeben von Ingrid Pepperle
Band 1 Gedichte 1835-1848
Bearbeitet von Volker Giel Aisthesis Verlag 2006 (S. 171-172)

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Der Maler

Stille Freuden meiner Jugend,
Ach! wo seyd ihr hin,
Seit ich nicht mehr in die Tugend,
Nein, in mehr verzaubert bin!

I.
Solche kummerbleiche Wangen,
Solch' ein schmerzvoll Angesicht,
Solchen liebebraunen Nacken,
All' das trägt die Tugend nicht.

Die verbuhlten Augen haben
Manchen Andern schon gegrüßt,
Und Du bist wohl nicht der Erste,
Der den hübschen Mund geküßt.

Also haben sie gescholten,
Und zu lästern Dich gewagt,
Und ich hab' mich hart gerächet,
Daß so Schlimmes sie gesagt.

Kinder, Männer, Frauen, Greise,
Sieht man zur Kapelle gehn,
Eine neue Mutter Gottes
Ist in der Kapell zu sehn.

Und in Andacht liegen Alle
Vor Madonna auf den Knien;
Kinder, Männer, Frauen, Greise
Knien vor meiner Sünderin.


II.
Wundre Dich nicht, liebes Kind,
Laß Dich's nicht betrüben,
Daß man nicht vier Menschen find't,
Die einander lieben.

Amor hat zum Eigenthum
Uns sich ganz gegeben,
Alle Andern müssen drum
Ohne Liebe leben.

Aus: Georg Herwegh Werke und Briefe
Kritische und kommentierte Gesamtausgabe
Herausgegeben von Ingrid Pepperle
Band 1 Gedichte 1835-1848
Bearbeitet von Volker Giel Aisthesis Verlag 2006 (S. 172-173)

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Der Totengräber

Ich hatte braune Haare
und liebt' ein junges Blut,
wir waren lange Jahre
einander herzlich gut.

Es kam ein Frühlingsmorgen
da schlief das Liebchen ein -
was schläfst so lang verborgen
in deinem Kämmerlein?

Ich bin nun weiss von Haaren,
grab' auf ein altes Grab,
da von ich nie erfahren
wer drinn' begraben lag.

Und tiefer tiefer grabe
ich grabe Alles aus;
ich glaube gar ich grabe
die alte Lieb' heraus
die alte Lieb' heraus!


Aus: Georg Herwegh Werke und Briefe
Kritische und kommentierte Gesamtausgabe
Herausgegeben von Ingrid Pepperle
Band 1 Gedichte 1835-1848
Bearbeitet von Volker Giel Aisthesis Verlag 2006 (S. 175-176)

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Lieder

I.
Viel gesungen, müd' gerungen,
Und der Abend stellt sich ein;
Wie mir's eben auch gelungen,
Unten muß es besser sein!

Laß mich ruhen, Herr! und schlafen,
Und vergessen dieses Land!
Laß den Schiffer in den Hafen,
Denn das Elend sitzt am Strand!

Wenn in neu belaubten Bäumen
Ueber mir die Blüte klagt,
Laß mich in der Erde träumen,
Was die Erde mir versagt!

Laß mich still im Grab verbringen!
Denn es wär' mir größ're Pein,
Engel mit gebrochnen Schwingen,
Als ein Mensch und Nichts zu sein.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Aber muß der satte Zecher,
Muß er dennoch einst zu dir,
Gieße in des Himmels Becher
Recht viel Erdennectar mir!

Meine Seele kann erquicken
Nur ein einzighohes Glück:
Gieb von allen Augenblicken
Mir den kürzesten zurück!

Nicht die alten tollen Lieder,
Nicht den alten Lebenslauf,
Meine Liebe gieb mir wieder,
Oder wecke mich nicht auf!


II.
Stille! Stille! Nimmer länger
Soll der Sohn des Weibes klagen,
Sieht er, wie die ew'gen Götter
Schwer an ihrem Glücke tragen!

Wie sie lieben, glühend lieben,
Wie sie hassen, glühend hassen,
Und doch ihren Menschen unten
Müssen ihre Thränen lassen!

Wie sie herrlich und in Freuden,
Sorgenlos im Himmel leben,
Und doch ihren ganzen Himmel
Ach! um Eine Thräne gäben!

Weine, Seele, reiche Seele,
Muthig, rastlos fortgeschritten!
Schon hör' ich den Herren selber
Dich um eine Thräne bitten!

Aus: Georg Herwegh Werke und Briefe
Kritische und kommentierte Gesamtausgabe
Herausgegeben von Ingrid Pepperle
Band 1 Gedichte 1835-1848
Bearbeitet von Volker Giel Aisthesis Verlag 2006 (S. 195-196)

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Abschied

Lebwohl! was könnt' ich auch Dir bieten?
Lebwohl! Lebwohl! mein ander Herz!
In Deiner Hütte schläft der Frieden
Und in die Fremde irrt der Schmerz!

Du bist ein Weib! und eine Stütze
Suchst an dem Manne Du für Dich!
Du suchst ein Haupt, verschont vom Blitze,
Such' einen Andern denn, als mich!

Du könntest einen Zauber sprechen,
Und alle Himmel wären mein!
Doch müßte ich den Zauber brechen,
Weil Deine Ruh' der Preis würd' sein!

Lebwohl! ich werd' Dir nicht mehr folgen!
Lebwohl! Lebwohl! ich ziehe gern!
Lebwohl! Lebwohl! rett' vor den Wolken
In Deinen Himmel Dich, mein Stern!

Dein Leben - daß es Gott beschütze -
Ein Maitag sei's im Morgenlicht,
Eh' ihm der Sonne Glut und Hitze
Die Rosen von dem Haupte bricht!

Der Tod sei Dir die Hippokrene,
Die jeden Durst der Seele stillt;
Willkommen, wie die erste Thräne,
Die erster Lieb' im Auge quillt!

Der Herr behüte Dich in Gnaden!
Ein Wetter lagert sich um mich.
Es könnte endlich sich entladen,
Und träfe dann auch Dich, auch Dich!

Ich will Dir nicht den Frieden trüben!
Nimmt auch der Wahnsinn ganz mich ein;
Lebwohl! ich will Dich ewig lieben
Und doch von Dir geliebt nicht sein!

Aus: Georg Herwegh Werke und Briefe
Kritische und kommentierte Gesamtausgabe
Herausgegeben von Ingrid Pepperle
Band 1 Gedichte 1835-1848
Bearbeitet von Volker Giel Aisthesis Verlag 2006 (S. 198-199)

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Auf!

Liebesketten kannst du brechen,
Doch die andern brichst Du nicht?
Kannst zum Haß in Liebe sprechen?
Rufst die Liebe zum Gericht?
Muß das Herz zu Grunde gehen,
Wenn der Geist soll auferstehen?
Himmel, Himmel, uns zu retten,
Brich zuerst die alten Ketten!
Auf! Auf!

Herz und Liebe sind zersprungen!
Haß und Hände sind noch ganz!
Schwing' das Schwert, wenn du gesungen,
Führ' dein Liebchen auch zum Tanz!
Laß sie doch am Fels zerschellen -
Stolzer rauschen fort die Wellen.
Brich nur, Herz, und ziehe weiter!
Freiheit braucht noch manchen Streiter!
Auf! Auf!


Aus: Georg Herwegh Werke und Briefe
Kritische und kommentierte Gesamtausgabe
Herausgegeben von Ingrid Pepperle
Band 1 Gedichte 1835-1848
Bearbeitet von Volker Giel Aisthesis Verlag 2006 (S. 200)

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Warum dieser scheue Blick?
Diese heilige Geberde?
Himmel, gib sie mir zurück!
Kind, besinn' dich auf der Erde!

Nimm die volle Aehrengarbe!
Schweife nicht in blauer Luft!
Gegenwart allein ist Farbe,
Und die Sehnsucht ist nur Duft.

Ist nicht einst der Herr der Herrn
Aus der Höh' herabgestiegen?
Sieht man nicht des Aethers Stern
Täglich in der Flut sich wiegen?

Hast du Phöbos nie gesehen,
Der im Meer sich niederlegt?
Und man will die Erde schmähen,
Die im Schooß den Himmel trägt?

Nicht um zweifelhaftes Glück
Sey ein Herzenslenz verloren!
Oft schon hat der Augenblick
Eine Ewigkeit geboren!

Laß nicht in die Ferne rücken,
Was so nah, so fühlbar nah!
Wage frisch um dich zu blicken
Und die Götter sind noch da!

Weil die Lippen roth, geküßt!
Frisch geküßt, weil du auf Erden!
Denn wer hier nicht selig ist,
O der kann es dort nicht werden!

Aus: Georg Herwegh Werke und Briefe
Kritische und kommentierte Gesamtausgabe
Herausgegeben von Ingrid Pepperle
Band 1 Gedichte 1835-1848
Bearbeitet von Volker Giel Aisthesis Verlag 2006 (S. 201-202)

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Weil eine Schaar von schwarzen kleinen Raben
Ihn nach dem Falle jauchzend wird umgeben,
Soll d'rum der Adler an dem Boden kleben
Und sein Genüge an der Erde haben?

Soll er sich nicht im Aetherpurpur laben
Und mit den Sonnen in die Wette schweben?
Die Sterne unter seinen Fittig heben?
Nein - Schafe hüten mit den Hirtenknaben?

Nur kühn gefolgt des Herzens kühnem Triebe!
Vor'm Sturze nicht gebangt! Frei, immer freier!
Nie zahlte Liebe ihren Flug zu theuer!

Und Liebe wird geheiligt nur durch Liebe!
Wenn vor der Sonne Glut die Knospen brechen,
Sahst du den Priester je den Segen sprechen?


Aus: Georg Herwegh Werke und Briefe
Kritische und kommentierte Gesamtausgabe
Herausgegeben von Ingrid Pepperle
Band 1 Gedichte 1835-1848
Bearbeitet von Volker Giel Aisthesis Verlag 2006 (S. 203)

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Die Blätter meiner Laube

Das grüne Land wird ein und aus
Vom Herbste durchgekehret
Und auch mein luftig Sommerhaus
Gar hastig abgeleeret;
Schon war der grimme Räuber drin,
Schon schleppet er im Staube
Den Mantel meiner Liebe hin,
Die Blätter meiner Laube.

Die schönen Tage, sind sie doch,
Mein holdes Lieb verflossen,
Da neidisch selbst dem Himmel noch
Das Hüttchen sich verschlossen,
Da sich kein Auge stahl herein,
Und schüchtern nur die Taube,
Da, glücklich ohne Mondenschein,
Wir schwärmten in der Laube?

O trüg' ich, hab' ich oft gedacht,
Die Welt in ihren Achsen -
Wie hätt' ich 's anders doch gemacht!
Ich ließ nur Blätter wachsen;
Denn wer ein Lieb im Arme hält
So ist und bleibt mein Glaube,
Birgt sich am Besten vor der Welt
In einer dunklen Laube.

Wie hängt sich an den kahlen Dorn
Das letzte Grün vergebens!
Mir ist als sänke Korn um Korn
Im Stundenglas des Lebens,
Wenn so der Blätter reicher Schwall
Dem Sturme wird zum Raube;
Doch ach! was gleichet wohl dem Fall
Der Blätter meiner Laube!

Es hat der Herbst gar schlecht bedacht
Verliebter Seelen Wonne;
Die Liebe sucht die tiefste Nacht
Und seine Frucht die Sonne.
Wirf nur dein Rosenkränzlein weg,
Mein Kind und nimm die Haube;
Denn aus ist's nun mit dem Versteck
In unsrer stillen Laube!

Aus: Georg Herwegh Werke und Briefe
Kritische und kommentierte Gesamtausgabe
Herausgegeben von Ingrid Pepperle
Band 1 Gedichte 1835-1848
Bearbeitet von Volker Giel Aisthesis Verlag 2006 (S. 208-209)

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Was singst du noch von Liebe,
Unglücklicher Poet,
Die nicht mehr durch die Siebe
Der jungen Heeren geht?

Schon kreisen ja die Berge
Und speien Riesen aus;
Da wirft man solche Zwerge
Von Dichtern aus dem Haus!

Schon kündet Flammenröthe
Der Wächter auf dem Thurm: -
Mit Zither fort und Flöte!
Wer Mann ist, läute Sturm!

O mögt ihr immer schelten
Der Liebe zart Gedicht;
Um all' die neuen Welten
Geb' ich die alte nicht.

Laß mich vor meinem Götzen
Ein frommer Heide knie'n,
Vor Ihr, die Marmorklötzen
Einst Glut und Blut verlieh'n.

Mög' Euer Lied erklingen
Wie lauter Donnerhall;
Ich will's nicht weiter bringen,
Als eine Nachtigall!


Aus: Georg Herwegh Werke und Briefe
Kritische und kommentierte Gesamtausgabe
Herausgegeben von Ingrid Pepperle
Band 1 Gedichte 1835-1848
Bearbeitet von Volker Giel Aisthesis Verlag 2006 (S. 211)

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Allen Verliebten

So jammert doch nicht Euer halbes Leben,
Wenn jede Gunst sie kärglich Euch versagen
Und Euren Seufzern lose Schnippchen schlagen,
Wenn Eurer Liebe sie sich überheben.

Es kommt die Nacht - da hilft kein Widerstreben,
Und ob sie brüstend sich am Tag getragen,
Ihr brauchet sie nicht länger mehr zu fragen,
Die stolzen Damen müssen sich ergeben.

Sie spottet meiner zärtlichsten Sonette
Und jeder meiner kunstgerechten Schlingen,
Ich legte leichter Tiger an die Kette.

Doch Alles, Alles muß dem Traum gelingen,
Der schleicht sich leise nächtlich an ihr Bette,
Um mir ein Lamm, ihr wildes Herz zu bringen.

Aus: Georg Herwegh Werke und Briefe
Kritische und kommentierte Gesamtausgabe
Herausgegeben von Ingrid Pepperle
Band 1 Gedichte 1835-1848
Bearbeitet von Volker Giel Aisthesis Verlag 2006 (S. 213-214)

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Zur Hochzeit

Ich will mir eine Narrenjacke machen,
Daß ich geglaubt, geliebt, gehofft noch gestern;
Es spotten mein die Vögel in den Nestern,
Ich sehe ringsum alle Blumen lachen.

In Scherben all die tausend hübschen Sachen!
Mit Fingern deuten auf mich Deine Schwestern,
Wer will mich hindern, meinen Stern zu lästern,
Der schlafen ging, just, als es galt, zu wachen?

Doch nein - das Aug', das mich so oft beglückt,
Will, treulos auch, mich noch zu Thränen rühren;
Ich fühle jeden Groll mir fern gerückt.

Nimm hier dieß Lied - es mag Dir wohl gebühren.
Man hat die Opfer jederzeit geschmückt
Und soll auch Dich bekränzt zum Altar führen.


Aus: Georg Herwegh Werke und Briefe
Kritische und kommentierte Gesamtausgabe
Herausgegeben von Ingrid Pepperle
Band 1 Gedichte 1835-1848
Bearbeitet von Volker Giel Aisthesis Verlag 2006 (S. 214-215)

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Ihre Heimkehr

Sie ist's! Sie ist's! Der Wagen hält am Haus.
Schon sind die kleinen Füßchen ausgestiegen,
Sie schaut herauf, und ihre Blicke fliegen
Gleich Boten meiner Seligkeit voraus.

Da ruht am Herzen mir der ganze Strauß,
Ich darf mich wieder auf den Lilien wiegen,
Ein trunkner Falter an den Rosen liegen,
Und auch die Schlangen blieben mir nicht aus.

Ich halte wieder sicher sie umschlungen,
Es hat in alter treuer, lieber Weise
Mich ihre holde Gegenwart bezwungen.

Was ist mir, doch als hört' ich leise, leise
In meiner Seele flüstern böse Zungen:
"Dein Mädchen ist noch immer auf der Reise!"


Aus: Georg Herwegh Werke und Briefe
Kritische und kommentierte Gesamtausgabe
Herausgegeben von Ingrid Pepperle
Band 1 Gedichte 1835-1848
Bearbeitet von Volker Giel Aisthesis Verlag 2006 (S. 215)

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Dem philosophischen Nebenbuhler

Wir steh'n zu Zweien um Ein Weib in Gluten,
Um das wir gegenseitig uns vernichten
Und schonungslos einander splitterrichten,
Das wollte mir schon längst nicht mehr gemuten.

Mein theurer Freund und Freund des Absoluten,
Du möchtest jede Form zum Geiste lichten,
Ich jeden Geist zur schönsten Form verdichten,
So höre meinen Vorschlag denn zum Guten!

Trink' ihr unsterblich Theil in vollen Zügen,
Magst Du der Schönen schöne Seele speisen
Und Dich am ewigen Begriffe laben;

Ich will mich mit dem Sterblichen begnügen,
Und herzhaft in den frischen Apfel beißen,
Sollt' ich auch Morgen Nichts als Asche haben.

Aus: Georg Herwegh Werke und Briefe
Kritische und kommentierte Gesamtausgabe
Herausgegeben von Ingrid Pepperle
Band 1 Gedichte 1835-1848
Bearbeitet von Volker Giel Aisthesis Verlag 2006 (S. 216)

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An mein Liebchen

I.
Unbeständig nennst Du mich,
Weil ich in der Weite schweife?
Weil mein Herz so ängstet sich,
Wo den Himmel es ergreife?

Ja! ich flog zu mancher Blüthe
Wie ein Schmetterling heran;
Doch ich bin nun todesmüde
Und hielt gerne bei Dir an!

Ach gelähmet ist mein Flug
Und gebrochen meine Schwingen,
Und, ich fürchte, stark genug
Schon nicht mehr, Dich zu erringen.

Etwas muß der Dichter haben,
Andachtsvoll dafür zu glühn;
Meinen Gott hab' ich begraben -
O so laß vor Dir mich knien!

Das so heiß und zornig flammt,
Wenig kann dieß Herz gewähren:
"Doch es ist ein heilig Amt,
Einer Seele Sturm beschwören!"

Gieße Deinen Frieden nieder,
Gieße ihn in meine Brust,
Und ich bring' als Opfer wieder
Dir mein Leid und meine Lust.

Und es soll mein Leid verzehrt
Hin vor Dir wie Nebel schwinden,
Meine Lust werd' ich verklärt
Neu in Deinem Anschaun finden.

Wag' es doch, auf mich zu bauen,
Wie Du auf die Sterne baust!
Wag' es einmal, mir zu trauen,
Wie Du Deiner Seele traust!
(S. 228-229)

Den 23. Mai 1839



II.
Was wär's es, wenn den Lorbeer ich erränge,
Der mancher Stirn schon kühlen Schatten gab?
Wenn ich den Schmerz in Melodieen zwänge
Und meines Herzens Schläge zählte ab?
Wenn wilder noch der Dichtung Flammquell spränge,
Gewecket von der Muse Zauberstab? . . .
Verräth Euch nicht die Glut des kranken Blickes,
Daß jedes Lied der Grabstein eines Glückes?

Wohl höre ich, daß, die den Lorbeer tragen,
Bewahret vor des Himmels Blitzen sind;
Warum denn aber, lasset mich nun fragen,
Krönt ihr das Haupt damit nicht schon dem Kind?
Wenn erst das Herz in Stücke ist zerschlagen,
Dann ist das Auge für die Kränze blind!
Ich will sie nicht! ich hab' Nichts mehr zu schützen!
Auf dieses Haupt hier mag es immer blitzen!

Um Deine Locken möchte ich ihn sehen,
Den Lorbeer, der mir nutzlos, wenn er mein!
Ich würde gern das Martyrthum bestehen,
Die Martyrkrone aber wäre Dein!
Du müßtest sicher mir durch's Leben gehen
Und vor dem Wetterstrahl behütet seyn,
Und glauben, daß, wer Dichterliebe lohnt,
Geweiht ist und vom Blitze bleibt verschont!
(S. 229)

Den 13. Juni 1839



III.
Ja! Du hast Recht, was könnte bieten
Dir dieses ausgebrannte Herz?
Es schrecke nicht aus Deinem Frieden
Der blasse Fremdling Dich, der Schmerz!

Du bist ein Weib! und eine Stütze
Suchst an dem Manne Du für Dich!
Du suchst ein Haus, verschont vom Blitze,
Suchst einen Anderen, als mich!

Du könntest einen Zauber sprechen,
Und alle Himmel wären mein!
Doch selig seyn, dünkt mir Verbrechen,
Wenn Deine Ruh' der Preis muß seyn.

Ach eines Weibes meiner Sphäre
Darf sich mein toller Geist nicht nahn,
Auch weiß ich, einem stürm'schen Meere
Vertrauet sich kein schwacher Kahn.

Ich will mein Herz zur Ruhe zwingen,
Es schließe sich auf immer zu,
Und muß es endlich doch zerspringen,
Bricht's keine Andere, als Du.

Ich will Dir nicht den Himmel trüben,
Nimmt auch der Wahnsinn ganz mich ein;
Ich will Dich ewig, ewig lieben
Und doch von Dir geliebt nicht seyn!
(S. 230)

Den 21. Juni 1839



IV.
Ein Lied noch - und es soll das letzte seyn!
Ich wollte gerne Deinem Reiz erliegen,
Und muß alljetzt gebrochnen Herzens siegen,
Ich siege - doch der Lorbeer, er ist Dein!

Ich zöge gern in tiefe Wüsteneien,
Wo ich von Deinem Schatten nicht umgeben:
Nur da vielleicht kann ich allein mir leben;
So aber bleibt mein bester Theil noch Dein!

Ich dachte einst von Dir geliebt zu seyn;
Du liebst mich nicht; ich hätt' auch das ertragen,
Doch zürnend muß ich jetzt die Sterne fragen:
Auch Ihre Freundschaft, Herz, ist nimmer Dein?

O Gott! wie ist des Herzens Wahl so klein!
Es muß in tollem Liebeswahn entbrennen,
Oder in wildem, finstrem Haß sich trennen,
Wenn nicht der Glut, der Kälte Opfer seyn!
(S. 230-231)

Den 25. Juni 1839



V.
Ich habe manches Lied ihr schon geweiht,
Ich hätte tausend andre ihr gedichtet,
Sie hat die Blätter in den Wind gestreut,
Und so mein Herz mit meinem Lied vernichtet.

Was hobst Du zu den Sternen sie empor
Und sprachst: Seht, wie sie bei den Heil'gen wandelt?
Was hast Du nun davon, Du blöder Thor?
- - Daß sie als Heilige Dich auch behandelt!
(S. 231)

Den 30. Juni 1839



VI.
Mir ist, als ob schon Stürme Dich umwehn,
Und Donner über Deinem Haupte grollten;
Ich werde - ja, ich werde untergehen,
Doch scheidend meinen Himmel erst vergolden!

Ich muß - so will ich es mit Lächeln thun! -
Was hilft es endlich, mit den Sternen rechten?
Ich habe satt, und mich verlangt, zu ruhn -
Nur Einen Kranz will ich Dir rasch noch flechten!

Ich hab' Dir tausendmal mein Blut kredenzt,
Es ist zu spät, Dich durch ein Lied zu rühren;
Nur hat die Opfer man von je bekränzt,
Und so soll man auch Dich zum Altar führen!
(S. 231-232)

Schweiz, den 24. Okt. 1839

Aus: Georg Herwegh Werke und Briefe
Kritische und kommentierte Gesamtausgabe
Herausgegeben von Ingrid Pepperle
Band 1 Gedichte 1835-1848
Bearbeitet von Volker Giel Aisthesis Verlag 2006
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Meine Nachbarin

Wer sagt mir ihren Namen,
Der ich mein Herz geschenkt,
Die unter Glas und Rahmen
Mir gegenüber hängt?

Sobald der Tag erstehet,
Hör' ich ein fern Gesumm,
Und wie im Kreise drehet
Sich mir das Herz herum.

Es sitzt an ihrem Rädchen
Die blonde Nachbarin,
Und zieht die gold'nen Fädchen
Wie stille Seufzer hin.

Sie faßt in ihrem Munde
Die weißen Perlen an,
Und hat's schon manche Stunde
Mir heimlich angethan.

"Ach! Nachbarin, nur ein Weilchen
Laßt Euren Rocken los!
Sonst fallen Euch die Veilchen
Gewiß noch in den Schoos."

Umsonst - das Köpfchen senket
Nur tiefer, tiefer sich,
Ich glaube gar, es denket,
Und denket nicht an mich.

Die kleine Hand spinnt weiter,
Sie spinnet hin und her,
Da hör' ich einen Reiter,
Und bald kein Rädchen mehr.

Ab schneidet meine Parze
Den Faden und mein Glück;
Der Jäger ist's, der schwarze,
Der Faden wird zum - Strick.

Aus: Georg Herwegh Werke und Briefe
Kritische und kommentierte Gesamtausgabe
Herausgegeben von Ingrid Pepperle
Band 1 Gedichte 1835-1848
Bearbeitet von Volker Giel Aisthesis Verlag 2006 (S. 238-239)

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Sieh', die Blumen welken so zufrieden
Traf sie nur ein Sonnenstrahlenblick,
Tauschten nicht die Stunden die sie blühten,
Um des Nachruhms sonnenloses Glück,

Meine Lieder sollen ewig leben,
Leben sollen sie in Aller Mund -
Ach! kann die Unsterblichkeit mir geben
Was mein Lieb in einer einz'gen Stund?

Daß von mir doch keine Zeile bliebe
Und kein Wort von meinem schwarzen Leid,
Und ich hätte Deine heiße Liebe
Und umschlänge Deine Sterblichkeit!

Ich folgte stille jedem Deiner Tritte,
Die leichten Spuren Deiner Schwebeschritte,
Die Du dem weichen Sande eingedrückt,
Sie alle, alle habe ich erblickt.

Ich konnte den Gedanken nicht vertreiben,
Ob Deine Füße nicht Gedichte schreiben;
Ich übersah die Spuren, irrt' mich nicht,
Da stand ein brennend heißes Liebgedicht.


Aus: Georg Herwegh Werke und Briefe
Kritische und kommentierte Gesamtausgabe
Herausgegeben von Ingrid Pepperle
Band 1 Gedichte 1835-1848
Bearbeitet von Volker Giel Aisthesis Verlag 2006 (S. 239-240)

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Alle Menschen haben Augen
Und die meisten können seh'n,
Alle Menschen haben Füße
Und die meisten können geh'n.

Wozu wär'st Du eine Göttin,
Liebtest Du ein Menschenkind,
Da ja Göttinnen und Götter
Allen Menschen gnädig sind?

Wozu haben sie die Augen,
Als um stets nach Dir zu seh'n?
Wozu haben sie die Füße,
Als um stets zu Dir zu geh'n?

Eine Bitte nur vor Andern
Gib mir, süße Göttin, frei!
Schenkst Du Einem zween Küsse,
O so schenk' mir immer drei.


Aus: Georg Herwegh Werke und Briefe
Kritische und kommentierte Gesamtausgabe
Herausgegeben von Ingrid Pepperle
Band 1 Gedichte 1835-1848
Bearbeitet von Volker Giel Aisthesis Verlag 2006 (S. 240)

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In kühler Laube fanden
Am Abend wir uns ein,
Und tranken miteinander
Den süßen rothen Wein.

Es leuchtete Dein Antlitz
In Deinen Wein hinein;
Du schlürftest Dein eigen Antlitz
Und konntest nüchtern seyn?

Es brannten Deine Augen
Hinein in meinen Wein;
Wie war es anders möglich?
Ich mußte trunken seyn.


Aus: Georg Herwegh Werke und Briefe
Kritische und kommentierte Gesamtausgabe
Herausgegeben von Ingrid Pepperle
Band 1 Gedichte 1835-1848
Bearbeitet von Volker Giel Aisthesis Verlag 2006 (S. 240-241)

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Geht nun auch diese Liebe,
Wie jede andre, aus?
Und halten wieder Gespenster
In Deinen Liedern Haus?

Fragt nicht, wohin meine Liebe
Sich aus den Liedern begab!
Es fallen Sterne vom Himmel
Und Niemand kennt ihr Grab.

Aus: Georg Herwegh Werke und Briefe
Kritische und kommentierte Gesamtausgabe
Herausgegeben von Ingrid Pepperle
Band 1 Gedichte 1835-1848
Bearbeitet von Volker Giel Aisthesis Verlag 2006 (S. 241)

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Zwei Lieder
1868

I.
Die Liebe ist ein Edelstein,
Sie brennt jahraus, sie brennt jahrein,
Und kann sich nicht verzehren;
Sie brennt, so lang noch Himmelslicht
In eines Menschen Aug' sich bricht,
Um drin sich zu verklären.

Die Liebe hat der Sterne Macht,
Kreist siegend über Tod und Nacht,
Kein Sturm, der sie vertriebe!
Und blitzt der Haß die Welt entlang,
Sie wandelt sicher den alten Gang,
Hoch über den Wolken, die Liebe!
(S. 256)


II.
So sprach zum Tropfen Thau die Welle:
"Komm, folge mir auf meiner Bahn!
Ich will Dich tragen, wandre schnelle
Mit mir hinab zum Ocean."

So sprach der Thau: "Dank für die Ehre!
Mir ist viel wohler hier allein -
Soll ich ein Tropfen in dem Meere
Von Millionen Tropfen sein?

Zieh hin, in Bitterkeit zu enden!
Ich sterb' in einer Blume Schoos,
Die heute in geliebten Händen
Verwelken darf - o selig Loos!

Lock' mich nicht über diese Schwelle!
Hier ist mein Glück, denn Glück ist Ruh."
Und weiter klatschend floß die Welle
Dem Meere der Vernichtung zu.

Aus: Neue Gedichte von Georg Herwegh
Herausgegeben nach seinem Tode
Milwaukee, Wisc. Karl Dörflinger 1877 (S. 257)

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Am Emma
1845

Komm, mein Mädchen, in die Berge,
Wo der Himmel tiefer blaut
Und das stille Volk der Zwerge
Uns krystallne Schlösser baut.
Wo der Liebe morgenhellen
Traum kein Schleicherohr belauscht,
Und Triumph von tausend Quellen
Der vereinte Donner rauscht.

Wie entfremdet ist die Erde,
Wie entweiht ihr Element,
Seit der Mensch mit Angstgeberde
Nur nach Schattenbildern rennt.
Wie viel Staub auf allen Wegen
Wühlt er auf zu seiner Ruh' -
Komm, auf unbetretnen Stegen
Führ' ich Dich den Sternen zu.

Komm, wo kaum der Gemse Spuren
Reinstem Schnee sind eingedrückt
Und das Reich der Creaturen
Lebt, in erster Lust beglückt;
Dort, das Silberhaubt in Ehren,
Sieh den Gletscher, welch ein Mann,
Den ein Sonnenblick verklären,
Aber nicht mehr schmelzen kann!
Komm, wo Dir der Staub die Locken
Aus der heißen Wange streicht,
Kaum der dumpfe Klang der Glocken
Und kein Glauben Dich erreicht.
Während er im Thale zittert,
Losgebundner Knechte Schwarm,
Ruhen wir, wenn's hochgewittert,
Freudetrunken Arm in Arm.

Komm, mein Mädchen, laß Dich fassen,
Tragen zu des Adlers Nest;
Menschen lieben, Menschen hassen,
Und wer bliebe felsenfest?
Was sie beten, was sie fluchen,
Ach, ich konnt' es nie verstehn -
Blumen laß uns, Blumen suchen:
Mädchen, willst Du mit mir gehn?


Aus: Neue Gedichte von Georg Herwegh
Herausgegeben nach seinem Tode
Milwaukee, Wisc. Karl Dörflinger 1877 (S. 258-259)

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Antwort
1845

Zu dem Meere, zu dem Meere,
Folge mir, Geliebter, nach;
Ueber ihm steht noch der hehre,
Unentweihte Schöpfungstag.
Uns zum Haubt ein Meer von Sternen,
Unter uns die heil'ge Flut,
Um uns eine Welt von Fernen,
In uns eine Welt von Glut.

Tausend Wellenaugen blinken
Glückberauscht ob unserm Bund,
Und die luft'gen Alpen winken
Uns zum stillen Pflanzengrund.
Hör', den Riesensturm der Töne,
O, wie lieb' ich ihn so sehr!
Bild der Jugend, Bild der Schöne,
Ew'ger Anmuth Bild, das Meer.

Daß ich Dich im Arme hielte
Eine einz'ge kleine Stund',
Deinen warmen Herzschlag fühlte,
Einen Hauch von Deinem Mund -
Fürchten wollt' ich nicht die Wellen,
Die im Sturm manch Schiff zerschellt:
Sprich, sind wir nicht auch Rebellen,
Gegen eine Sklavenwelt?

Aus: Neue Gedichte von Georg Herwegh
Herausgegeben nach seinem Tode
Milwaukee, Wisc. Karl Dörflinger 1877 (S. 260-261)

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An Emma zum Geburtstag
10. Mai 1860

Ich träumte von Schätzen die ganze Nacht,
Die ich Dir wollte senden,
Und drüber bin ich aufgewacht
Mit leeren, leeren Händen.

Die Blumen schmücken dieses Jahr
Zwei Gräber Deiner Lieben;
Die Blumen der Freude sind sogar,
Ich glaube, ausgeblieben.

Eins schleicht sich nach dem Andern fort -
Und wären wir beständig?
Zuletzt bleibt noch ein Menschenwort
Am sichersten lebendig.

Mit solchem Worte denkt Dein Mann
Dich baldigst zu begrüßen,
Und diesen Schatz legt er alsdann
Dir, lieber Schatz, zu Füßen.

Aus: Neue Gedichte von Georg Herwegh
Herausgegeben nach seinem Tode
Milwaukee, Wisc. Karl Dörflinger 1877 (S. 262)

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Biographie:

siehe:
http://de.wikipedia.org/wiki/Georg_Herwegh

 


 

 


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