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      Franz Hessel 
      (1880-1941) 
       
       
      Inhaltsverzeichnis der Gedichte: 
  
       
 
 
       
       
      Der neue Pygmalion 
       
      Ich baute mir aus weißem Licht ein Bild: 
      Aufbaut ich dich, den Abendtraum, aus Nächten. 
      Mit meinem Leben hab ich dich gestillt. 
       
      Mit Golde tönt ich deine blonden Flechten. 
      Ich rötete den Mund aus meinen Adern. - 
      Und lange Nacht kam kühlend und umfächelnd. 
       
      Ein Morgentraum fand mich auf kalten Quadern 
      Zu deinen Füßen, leichenhaft verhüllt. 
      Du aber stehst und bist ein weißes Bild 
      Und öffnest deine Hände kindlich lächelnd. 
      (S. 34) 
      _____ 
       
       
       
      Der junge Knabe singt: 
       
      Noch durft ich nicht Kuß um Küsse tauschen, 
      Noch hat sich kein Busen an meinen gedrängt, 
      Durft nur an Träumen mich berauschen, 
      An Träumen, wie sie die Sommernacht schenkt. 
       
      Im Takt des gleitenden Liedes rausche 
      Mein Blut, das fast das Leben verdrängt, 
      Daß ich wie fremder Seele lausche, 
      Wenn meine Seele singt, was sie engt. 
      (S. 38) 
      _____ 
       
       
       
      Ständchen 
       
      Hinter den Bäumen 
      Im Gemache 
      Schlummernde auf den kindlichen Kissen, 
      Du sollst nicht träumen, 
      Daß ich noch wache 
      In deinem Garten, - sollst du nicht wissen. 
       
      Nicht soll dich schwimmender 
      Dämmer erkennen, 
      Die helle Sonne soll dich wecken. 
      Nie soll ein glimmender 
      Funke dich brennen, 
      Die hohe Flamme wird dich nicht schrecken. 
       
      Dämmerung weil ich 
      Vor deinen Türen, 
      Ich bin die Nacht an deinen Wangen, 
      Die du zu heilig 
      Meinem Berühren, 
      Die du zu licht meinem dunklen Verlangen. 
       
      Weicht, Nachtwinde, 
      Von ihrem Haare, 
      Schlummer, verwahre sie im Gemache. 
      Nie empfinde, 
      Was ich erfahre, 
      Du sollst nicht wissen, daß ich noch wache. 
      (S. 39) 
      _____ 
       
       
       
      Buhlenscheidelied 
       
      Eh die Nacht verklang, 
      Eh der Tag erschallt, 
      Ach halt mich. Mir ist bang. 
       
      Küß du mich schnell, 
      Eh die Nacht verhallt. 
      Unsre Lippen werden kalt, 
      Lieber Gesell. 
       
      Well an Well 
      Steigt auf zum Wald 
      Die schnelle Stunde. 
      Nun scheidest du bald. 
       
      Küß mich schnell, 
      Eh die Lippen kalt, 
      Junger Gesell, 
      Eh das Herz mir alt, 
      Später Gesell. (S. 
      40) 
      _____ 
       
       
       
      Wiegendlied der Liebe 
       
      Ich trage dich stille 
      Geborgen an meiner Brust. 
      Des Lebens wilder Wille 
      Ist mir nicht mehr bewußt. 
       
      Kein Glück, daran ich hang, 
      Kein Schmerz, davor mir bang, 
      Fern liegen Leid und Lust. 
       
      Wie Blumen auf dem Feld 
      Blühen wir wunderbar. 
      Versunken ist die Welt - 
       
      Blume nur auf dem Feld, 
      Nur meines Blühens bewußt, 
      Trag ich dich immerdar 
      Geborgen in meiner Brust. 
      (S. 41) 
      _____ 
       
       
       
      Bahnhof 
       
      Das ist der Raum von Stein und Stahl; 
      Auf starren Eisenschienen steht 
      Der schwarze Zug. An unser Herz 
      Der Winter weht - 
       
      Es sprüht und loht 
      Der Funke rot im dichten Rauch. 
      Das Wasser stirbt mit heißem Hauch. 
      Im kalten Äther Flammentod. 
       
      Die Glocke schlägt: es spricht die Zeit. 
      Es schreitet zwischen uns die Zeit. 
      Und unser Herzen gleicher Schlag 
      Meint Ewigkeit. (S. 
      42) 
      _____ 
       
       
       
      Abschied 
       
      Wir wollen von einander gehn, 
      Du liebende, verweinte Braut. 
      Wir sind nicht froh, wir sind nicht schön. 
      Die Not, uns hat die Not getraut. 
       
      Wir wähnten uns in nackter Pracht 
      Vor hoher Flamme todgeweiht. - 
      Und haben nur ein glimmend Scheit 
      Mit Kinderhänden überdacht. 
       
      Zu lange hat mein Wahn, mein Harm 
      In deinen Augen sich besehn. 
      Wir sind nicht schön, wir sind nur arm. 
      Wir wollen von einander gehn. 
      (S. 43) 
      _____ 
       
       
       
      Ohne deine Gnade - du bist Erfüllung - 
      Ohne deine Gnade bin ich nur ein Spiel. 
       
      Auf verwaisten Wegen - Weil ich dich nicht weiß - 
      Auf verwaisten Wegen irr ich ohne Ziel. 
       
      Deines Schoßes Hüllung - Viele Saat verfiel - 
      Deines Schoßes Hüllung birgt allein das reine Reis - 
       
      Ohne deine Gnade - du bist Erfüllung - 
      Ohne deine Gnade bin ich nur ein Spiel. 
      (S. 46) 
      _____ 
       
       
       
      Ein Tagelied 
       
      Du Augenweide 
      Herzeleid, 
      Wie sind wir beide 
      Einander weit. 
       
      Mich hat der Tag 
      Kaum wach gemacht. 
      Mich hat ein Traum 
      So schwach gemacht: 
       
      Wie meinem Leide 
      Wohlgeschah! 
      Wir waren beide 
      Einander nah. 
       
      Wie sind wir beide 
      Einander weit, 
      Du Augenweide 
      Herzeleid. (S. 47) 
      _____ 
       
       
       
      Nach Petrarca 
       
      Wenn ich mich ganz in jene Helle wende, 
      Darin mich blendet meiner Herrin lichtes 
      Angesicht, und ich fühle wie des Lichtes 
      Zehrende Glut mir schmilzt des Herzens Wände, 
       
      Bangt mir, daß sich das Leben von mir wende, 
      Ich sehe nah das Glimmen meines Lichtes 
      Und geh wie wer beraubt des Augenlichtes 
      Nicht weiß, woher, wohin sein Fuß sich wende, 
       
      Und fliehe immer vor der Hand des Todes 
      Dahin, jedoch zu zag als daß mein Sehnen 
      Nicht zöge mit - das ließ noch nie mich einsam. - 
       
      Stumm zieh ich hin, daß nicht das Wort des Todes 
      Die Menschen weinen mache. All mein Sehnen 
      Ist: zu vergießen meine Tränen einsam. 
      (S. 50) 
      _____ 
       
       
       
      O daß die Liebe mich auf Flügeln trüge 
      Zu jenen Gründen, wo die ewigstillen 
      Meerquellen heimwärts in das Urbett quillen, 
      Heim gleiten in des Ursprungs Felsenkrüge, 
       
      O daß die Liebe schützend um mich schlüge 
      Die Meeresdunklen Falten, die verhüllen, 
      Mit großem Wogen alles Draußen füllen, 
      Umbettend mich wie weite Wolkenzüge, 
       
      Daß ich entränne diesem dumpfen Grauen 
      Vor meinen armen Stunden, blassen Tagen, 
      Um einmal das Unsagbare zu schauen, 
       
      Dem eignen Ohr verstummen in dem rauhen 
      Geräusch des Tages die verhaltnen Klagen, 
      Und kann doch nicht erkennen und entsagen. 
      (S. 52) 
      _____ 
       
       
       
      Sub rosa 
       
      Warum ich dir der Rose Knospen reiche, 
      Fragst du und stützest mit der Kinderhand. 
      Deine weiche Wange, die morgenbleiche. 
       
      Kaum eine Woche ists, daß ich dich fand. 
      Kaum eine Woche - und fort muß ich ziehen. 
      Zu andern Menschen in ein ander Land. - 
       
      Wenn diese Knospen sich entfalten, blühen 
      Zu dunkelroten Rosen, mein ich zag: 
      Dein Auge wird vor meinem nicht mehr fliehen. 
       
      Doch findet bald ein junger rauher Tag 
      Gebeugt die Blüten und den Stiel geknickt, 
      So hat mir nur aus grünem Hag 
      Das Glück, das Lose, zugenickt. 
      (S. 61) 
      _____ 
       
       
       
      An Psyche 
       
      Dich trugen Wogen wunderlich 
      Geschwind und weich aus Sturz und Tod 
      Herüber in das Uferschilf - 
      Wacht auf nun, liebe Augen. 
       
      Sieh, dieses Licht ist Tageslicht 
      Und dieses Grün ist Erdengras. 
      Du bliebst im Leben. Sieh ich bin 
      Der stillen Mittagsstunde Gott. 
      Ich trockne deine Locken. - 
       
      Mit meiner Nymphen leisem Lied 
      Und Tanzesschritt und mit dem Ton 
      Der Flöte weckt ich dich 
      Wach auf, 
       
      Verschlafnes Kind. Ich weiß es wohl, 
      Du bist des Wachens übermüd. 
      Denn es entwich, der dich gehegt, 
      In süßem Dunkel dich beglückt, 
      Das du verscheucht mit schlimmem Licht. - 
       
      Viel zarter als der stolze Gott 
      Will ich dich hegen, ob ich auch 
      Nur erdennah in Busch und Rohr 
      Ein brauner Faun des Schilfes bin 
      Nicht hold und hehr, nicht schmal und schön, 
      Nein, kraus und schwer und zottig - 
       
      Von meinen Lippen tönt ein Lied 
      Aus Wiesendunst und Sonnenduft. 
      An meinen Lippen lernest du 
      Den feuchten Kuß der Mutterflur, 
      An meiner Brust das süße Glück 
      Die treue Glut, das müde Glück 
      Der früchteschweren Erde - 
       
      Keiner Blume Namen nenn ich mein, 
      Kein Baum ist mir, kein Fluß, kein Teich 
      Allein zu eigen. Alle doch 
      Sind mir verbunden, untertan - 
      Und älter als die Himmlischen 
      Ist mein Geschlecht, und länger währt 
      Mein Wandel und Verweilen auf 
      Dem wandelbaren Boden, Pan 
      Stirbt später als die Götter - 
       
      Du hörst mich kaum. Ich rühme mich 
      Umsonst vor deiner Müdigkeit, 
      Du fremdes Weib. Ich weiß, ich weiß, 
      Du bleibst nicht hier, du suchst den Weg, 
      Findest den Pfad, 
      Deine lichten Füße finden den Pfad 
      Durch müden Sand und scharfen Fels 
      Der mühevollen Wanderung. 
      Bis an das Wasser, an das Tor, 
      Bis an den Thron der blassen Braut 
      Und wieder an das Licht zurück. - 
       
      Du selige, beseelende, 
      Du gibst dem Gott beschwingte Kraft, 
      Daß er dich aus der neuen Not 
      Zu höchstem Glücke hebe. - 
      Dein Blick zerschmilzt der Mutter Grimm 
      Dir lächeln alle Himmlischen, 
      Dir tanzen Flüsse, göttliche, 
      Den Hochzeitstanz - Du fremdes Weib, 
       
      Lieg heute noch im Schatten hier, 
      Im überwachsnen Uferbusch, 
      Daß ich auf meiner Flöte dir 
      Das Lied der Stunde spiele. 
      (S. 66-68) 
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      Am Abend, da die Lüfte vergingen 
      Und atmeten, als könnten sies nicht fassen, 
      Hast du die Hände beide mir gelassen, 
      Die müde aus der Seide niederhingen. 
       
      Am Abend, da die Lüfte aller schwanken 
      Und willenlosen Blumen Duft entführten, 
      Hast du den Leib geneigt wie in Gedanken, 
      Bis meine Lippen deinen Hals berührten. 
       
      Und seltsam: das bewegt mich so, als bliebe 
      Eine Gewähr aus diesem Ungefähr. 
      Ich weiß, ich wähne. Und ich lieb es sehr 
      Zu wähnen. Und mein Wähnen nenn ich: Liebe. 
      (S. 71) 
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      Versunken ist der Laubengänge Pracht, 
      Versunken sind mir Halle, Saal und Zimmer. 
      Und all mein Tag ist deiner Arme Schimmer, 
      Die schwarzen Wellen deines Haares alle Nacht. 
       
      Das andre rings hat mein nicht mehr Gewalt. 
      Die Welt wird eng: das Dumpfe wird Gestalt - 
       
      Ruhn wir noch eins in unsrer Mutter Schoß? 
      Pocht in uns ihres Herzens warmes Blut? 
      Und rings die Nacht ist ihres Lebens Flut - 
      Kein Tagesgrauen reißt uns los 
      Von der gebärend Sterbenden - 
      Es ruht 
      An deiner Brust mein Haupt: an Mutterbrüsten. 
      Und eben, als sich unsre Lippen küßten, 
      Küßt ich dich nicht mit deiner Lippen Glut? 
      (S. 89) 
      _____ 
       
      Aus: Franz Hessel 
      Sämtliche Werke in fünf Bänden 
      Band IV: Lyrik und Dramatik 
      Herausgegeben von Hartmut Vollmer und Bernd Witte 
      Igel Verlag Oldenburg 1999 
  
      
       
      Biographie: 
       
      
      http://de.wikipedia.org/wiki/Franz_Hessel 
         
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