Peter Hille (1854-1904) - Liebesgedichte



Peter Hille
(1854-1904)


Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
 

 



Aus: Leben und Liebe


Kind

Süßer Schwindel schlägt hinüber,
Heiße Blicke gehen über,
Und ein neues Leben rinnt.
Unserer Liebe starke Wonnen
Sammelt ein als frohe Sonnen
In die Himmel seiner Augen
Unser Kind.
(S. 57)
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Das Mädchen

Gestern noch ein dürftig Ding,
Das so grau und albern ging,
Nichts an ihm zu sehen -
Und muß heut behutsam sein,
Wie wenn im Mai die Blüten schnei'n,
Daß nicht all verwehen.

Wie wenn ich Blüten an mir habe,
Als sei ich eine Gottesgabe, -
Ein reines Wunder bin ich ja,
Wie nie ich eins mit Augen sah.
Und muß mich sehr zusammennehmen
Und schämen.

Warum? Weil ich so blühend bin,
Und weil der Wind treibt Blüten hin,
Die nicht am Baum erröten
Und voller Vorsicht sind
Und Unschuld und Erblöden -
Der dumme Wind!
(S. 57)
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Begegnung

Beim Newgate in den Menschenwogen
Zwei Blicke haben sich angezogen,
Zwei Seelen haben sich begrüßt,
Und Welle auf Welle weiterfließt.
Der Wind wird die Welle wiederfinden,
Die Seelen, die Seelen nur müssen entschwinden.
(S. 58)
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Liebe

Habe Liebe bekommen -
Von Dir?
Ja!
Frische Ranken,
Wie sie zierlich über
Zittern.
So freundliche Augen da,
die locken mögen,
Blumen,
freundliche Blumen.
Zwei Frühlinge, die grüßen
Mit blütenbebenden
Winkenden Armen.
Ja? O ich komme.
Habe Frühling bekommen
Von Dir.
Du auch -
von mir?
(S. 58)
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Weltostern

Wie leuchtet die Sonne,
Sprießet der Hain,
Frischdunkele Veilchen
Duften vom Rain.

Helläugige Kinder
Fangen den Ball,
Langen im Reigen
Und rufen den Hall.

Am flüsternden Bache
Gehn da zu zwein
Und suchen das blaue
Vergißnichtmein.

Die nur tragen
Volleren Kranz,
Vergnügen sich sinnend
Am zugigen Glanz.

Weitsegnende Äste
Breitet der Baum,
Viel heitere Gäste
Fasset sein Raum.

Gäste dort oben
Die singen vielhell,
Gäste dort unten
Am plaudernden Quell.

Es rauschet die Krone
So mächtig, so hell,
Daß lustiger, klingender
Ist noch der Quell.

Und nirgends zu lesen
Der grimmige Haß,
An alle die Lippen
Geht selbiges Naß.

Die Knospen hauchen,
Der junge Mund,
Nur offene Seelen
Und Liebesbund.

Ja, frei ist die Minne,
Früher so scheu,
Vor Lauschenden sicher,
Offen und treu.

Verkriechet sich nimmer
Vor Schauenden viel,
Gleicht wirbelnder Lerche
Rüstigem Spiel.

Da sieht es der Vater,
Wie Liebe umspinnt,
Lächelt die Mutter
Errötendem Kind.

Gesellige Kinder
Sind alle heut,
Der eine den andern
Grüßend erfreut.

Entfaltete Schwingen
Der Falter hebt leis,
Und zieht um das Leben
Den ewigen Kreis.

Der Dichter erwachet,
Horchend umstellt,
Liest er dem Kreise
Das Ostern der Welt.
(S. 60)
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Abbild

Seele meines Weibes, wie zartes Silber bist du.
Zwei flinke Fittiche weißer Möwen
Deine beiden Füße.
Und dir im lieben Blute auf
Steigt ein blauer Hauch,
Und sind die Dinge darin
Alle ein Wunder.
(S. 61)
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Brautmorgen

Des Erwachens Knospe schwillt,
Hochrosig tönt sich der regere Schlummer.
Zögernd, selig bange,
Lange, lange.
Weit offen die lauschende Seele.
War es, war es nicht?
Das schreckende Märchen,
So hold und so wild!
Ein leiser Blick stiehlt sich um,
Ja, es ist da
Und sieht doch gar nicht gefährlich aus -
Und wie ruhig es atmen kann!
Als sei nichts,
Aber auch gar nichts passiert.
War das da denn so furchtbar,
So unverschämt - und scheußlich,
So zu sich zwingend -
Und kehrte sich an nichts.
Möglich, daß nur's Dunkel so drauf wirkt.
Dieses gute schlummernde Kind,
Dieser schlummernde Friede!

Und wieder sieht sie starr und steif nach oben,
Wie die Toten ihre Heimat sehen.
Nun wird es sich regen das Kind,
Das Kind mit dem seidenen Schnurrbart.
Etwas müde, selige Sterne
Sind still noch im verwunderten Glück.
Ja, das, das ist die Liebe,
Die lebensinnige, seelenvolle Liebe,
So still, so traulich still,
So mit der vollen Seele angesprengt!
Ja, das andere - früher -
Wie für die Knaben -
Wie mochte man nur?
Nun kann man haben
Die liebe lange Nacht
In inniger Macht
Bezaubernde Gaben,

Die sich nur bieten dem Mann,
Der ein Leben wirken kann.
Nun nach des Dunkels
Stürmender Wildheit -
Leisheit scheu und zart,
Unter der ein Schelm liegt verwahrt.
Ein bedeutsam lautlos sich Stehlen von dannen,
Daß man getrennt
Tummeln sich kann,
Und auf das Reich
 Der nächtlichen Wildheit
Gebender Friede sich senke.
__

Getränkt das erste gierige Dürsten
Der zueinander Gedrängten
Lebensbeherrschenden Kräfte.
Zerrissen
Der alles gewährenden Nacht
Magnetisches Netz.
Der zweiten Keuschheit
Köstliche Müdigkeit ruht
In dem wieder
Niedergeschwiegenen Blut,
Bis des Lebens innige Anmut
Wieder heiter steigende Kräfte gewinnt.
Und weiter sich spielt
Nach des Lebens lieblicher Weise.
__

Nun ruhig etwas Stille,
Etwas wie eine leise Feindschaft,
Bis freundlich suchend sich neigt
Liebender Überfluß hin,
Wie sich des Auges labendes Rund
Wendet zu frommen, dürstendem Mund.
__

So schwellt geruhig hinan,
Ihr lange anwogenden
Wellen des Lebens.
Fremden schon anheimgegeben,
Treiben weiter die Säfte gemeinsamer Kraft
Innig verbunden
Einem neuen Menschen zu,
Dem Kinde gemeinsamer Liebe.
__

Jauchzt mit den jungen,
Den seelelebendigen,
Liebenden Leibern,
Jauchzet euch Kinder,
Gespielen zu haben,
Gespielen zu sein
Fröhlich übertollenden Lebens,
Ehe die rottende Horde der Übel
Drückend sich sammelt in alten Körpern.
__

So nun sammelt euch wieder
An des blumenblau gemusterten Gartentisches
Morgenzartem Imbißbehagen.
Knusprige Brötchen
Sind gar leicht zu mahlen.
Der braune starke Seim der Schokolade
Gibt wieder steigend heißen Mut
Nicht mehr weichenden Augen,
Ruhende Röte erwärmt euer Leben
Schon wieder an,
 Das zärtlich dankende Leben,
Das in der Vergangenheit Liebreiz
Wonnen der Zukunft erschaut.
So köstlich erneuert sich Jugend.
Herrscht gewichtig
In wiederverschwiegener Güte,
Kredenzende Hausfrau,
Mit des silberklirrenden Löffels
Blinkendem Zepter!
(S. 61-64)
_____



Brautseele

Das Gewand meiner Seele zittert im Sturm deiner Liebe,
Wie tief im Hain
Das Herz des Frühlings zittert.
Ja du mein heftiges Herz: wir haben Frühling.
Auf einmal ist nun alles Blühen da.
Meine freudigen Wangen
Sind aufgegangen
Fromm nach deinen Küssen.
Gefährlich bist du, o Frühling,
Und verwirrt
Wie von heftiger Süße
Prangenden Weines
Pocht meine Seele.
Wie er so sonnend mich streichelt
Mit seinen Strahlen allen
Und schlafen möchte ich
Immerzu.
So träume ich vom eigenen Blute
Und bin so wach
Von mir,
So erschrocken,
Wie man wohl aufhorcht
Im flüsternden Herzen der Nacht.
Wie Sterne, die nicht schlafen können,
So stehen meine Augen,
Und bin doch so müde, müde, so sonderbar müde.
Sind wir Mädchen nicht alle so sonderbar müde
Um diese Zeit?
Das macht, du bist um uns,
Du bist ein Zauberer:
Ja, ja das bist du,
Ein echter, rechter Zauberer.
In Bäume und Menschen zauberst du ein Sehnen und Dehnen,
Ein müdes verlangendes Gähnen.

Ja, ja, ihr Mädchenherzen,
Der kennt euch,
Vor ihm kann kein Geheimnis bestehen.
Er ist ja Weib,
Weib wie wir
Und eine heimliche, schelmische Stärke.
Frühling sag', was machst du mit uns,
Daß wir alle so sprossend müde sind.
Wir fühlen dich ganz in uns,
Du durchtönst uns,
Tust mit uns ganz das Leben.
Ja wir beben, Leben.
Fromm atmet in uns eine Andacht,
Und wohlig will es werden
Nun überall in der sprossenden Erden.
Wie wir uns regen,
Da ist immer ein leises, süßes Bewegen,
Da ist die Quelle ein rieselnder Spiegel,
Der uns erquickt und darreicht,
Da ist der Spiegel eine bleibende Quelle
Und immer wird uns leise
Süß von uns.
So sind wir wartend,
So zeigt es uns
Verrät es uns,
Wie süß wir sind
Für den einen, anderen.

O komm,
Komm zu mir,
Ich bin ja so süß nach dir.
Ich deine Lebendige,
Deine weilende Zier,
Vergehe nach dir.

Jeden Tag kommt Alter, kommt Welken:
O komm,
Komm du dem Alter, dem Welken zuvor.

Ein Sehnen geht in allen Blumen
Und will dich holen mit Farben und Duft,
Und alles, was schön ist auf dieser Weltwiese,
Ist aus Sehnen und Liebe schön.

Lieblich schlau
Üben wir Schönheit
Solange vor euch,
Bis daß ihr kommt;
Schüchtern schelmisch
Spielt sich unsere arme, lodernde Seele
Hin vor euch.

Dann! Dann!
Dann kommen zwei lodernde Sonnen in meinen Tag,
Du mein doppelter Tag!
Mit deinen beiden Sonnen.
Du! Du!

Und deine Hand!

Meines Mundes duftende Blüte
Vergeht vor deiner Güte,
Und meine Wangen
Sind aufgegangen
Wie meine Flechten
Vor deiner Rechten.
Ja du hast Recht,
Glätte sie nur,
Du meine wirreglühende Sonne.

Rufe, locke alles heraus
Aus deiner Erde,
Du mein Lenz,
Du hast ja gleich zwei Sonnen,
Und eine braucht man nur
Im Himmel.
Und diese beiden Sonnen
Erzählen sich mir,
Wie du aufgewachsen und wo
Gewachsen für mich,
Wie der heilige Wein Palästinas
In seinem heißen schmelzenden Purpur
Den Heiland mir ansagt,
Sein Seelenfrühlicht,
Sein wärmendes Wandeln.
O wie da alles aufsteht,
Feierlich, rauschend, vorbereitend!

O komm
Ich bin ja so schön nach dir!
O laß mich weinen,
Tränen der Braut.
Tränen, du Böser,
Daß ich so lange warten mußte auf dich.
Das tut so wohl:
Meine Seele badet,
Dann kommt sie zu dir!
Ja?
(S. 64-67)
_____



Ein Hochzeitsgedicht

Möge seinen besten Segen
Gott auf diesen Tag Euch legen,
Heiterkeit und sanfter Sinn
Von Anbeginn
Bei Euch weilen,
Sanft zerteilen,
Was die Stunde sendet,
Jede Freude, die sie spendet,
Jedes Schauer,
Leid und Trauer.
Wenn der goldne Reif will wandern
Von der einen Hand zur andern,
Seht, dann denkt in Eurem Sinn:
Also geht hin,
Was ich habe,
Ihm (Ihr) zur Gabe,
Was mich freut, beide
Freut es, was allein ich leide,
Wird dann linder,
Wird dann minder.
Nun bauet in Frieden ein wohlig Nest,
Probiert, versucht, wie leben sich läßt
Zu zwei'n,
Im Verein,
Das gibt erst ein Passen und Strecken,
Jeder hat Ecken,
Man muß sich erst fassen,
Dies tun, das lassen,
Der eine der andern zulieb;
Wenn nun dieser verträgliche Trieb
Sein Ende genommen
Zu jegliches Frommen:
Das soll dann noch einmal eine Hochzeit sein
Für Euch allein.
Wenn ich dann komme, Euch zu besuchen,
Braucht es nicht Wein, braucht es nicht Kuchen,
Nur müßt Ihr mir gestehen:
Wir lernten uns verstehen!
(S. 68)
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Diamantene Hochzeit

Ich weiß mir einen Bronnen,
So quellend und so klar,
Du brauchst zu seinem Grunde
Wohl an die sechzig Jahr.

Da wohnt eine Rose
Und ist mit Schaum besprüht,
Und tief aus vollem Herzen
Die junge Inbrunst glüht.

Ist da ein köstlich Kleinod,
Der Tiefe reiner Schein,
Ein Demant, drin ein Leben
Der Liebe zog hinein.
(S. 69)
_____



Eine Liebe

Kein priesterlich Wort gab uns eigene Rechte,
Keiner Orgel Brust sprach kräftigen Segen,
In weichem Golde heilig nicht regten
Sich Kerzen, - uns schwiegen die weihenden Mächte.
Wir haben uns selber zusammen gefunden
In einsamen, kühn erglühenden Stunden,
Du mein Lieb von einst, du mein Lieb für immer.

Kein Schleier hat über der Feier gehangen,
Die Myrthe nicht knapp umgrünt deine Flechten,
Kein Gebetbuch geruht in deiner Rechten,
In schämiger Glut nicht standen die Wangen.
Keine Rose im eigenen Tau wie ein Märchen,
Kein Papa im Schwips, keine Mama im Zährchen,
Nur wir, du mein Lieb, du mein Lieb für immer.

Kein Vergißmeinnichtbach sind jene Zeiten,
Kein Hirtenlied bei blöder Flöte,
Nein, bebend und blutend stand alles in Röte,
Uns riß zueinander verzweifeltes Streiten,
Und Hader und Qualen, kampfdurchblutete,
Und Liebe, von innigen Lippen durchglutete,
Du mein Lieb von einst, du mein Lieb für immer.

Und käme ein Engel im weißen Gewande,
Und käme der weiße Engel gegangen,
Unschuldige Röte auf träumenden Wangen,
Und fände uns beide stehen im Leide
Und ständ' und spräche: "Ich nehme die Seele
Von euch, was vergangen, die brennende Fehle -
Dir und dem Lieb von einst und von immer!"

"Halt, Engel, halt ein! Die Hand von dem Leben,
Das uns in heißer Leidenschaft glühte,
Ein Scharlach im prächtig lohen Gemüte,
Mit schroffem Zorn und innigem Beben.
Ins graue Heute sehen die Tage
Wie eine Nordlicht blutende Sage,
Du mein Lieb von einst, du mein Lieb von immer!"
(S. 69-70)
_____


Aus: Peter Hille Gesammelte Werke in sechs Bänden
Herausgegeben von Friedrich Kienecker
Band 1: Gedichte und Schriften
Wingen Verlag 1984-1986

 

 


Biographie:

http://de.wikipedia.org/wiki/Peter_Hille


 

 


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