Camill Hoffmann (1878-1944) - Liebesgedichte



Camill Hoffmann
(1878-1944)


Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
 

 



Dir

Wär mein Herz nicht eine Laute
voller schmerzlich-süsser Lieder,
müsst es eine Vase sein.
Und drin blühte weisser Flieder,
und die Vase wäre dein.

Aus: Die Vase Neue Gedichte von Camill Hoffmann
Axel Juncker Verlag Berlin-Charlottenburg 1910 (S. 5)

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Brief des Liebenden

Seitdem du in der Ferne bist, mein Lieb,
hab' unsrer Liebe ich viel nachgesonnen
und frag' mich stündlich, ob ich dich gewonnen,
ob nicht dein Herz mir fremd und zaghaft blieb.

Wie unterm Mond das Meer aufschäumt und gährt,
bäumt auf das Blut mir unter deinen Blicken.
Nie litt ich tiefres Glück! Und mich umstricken
noch jene Stunden, die dich mir gewährt.

Bis heute schweifte meine Sehnsucht bald
der Heimat zu, dem Süden bald, den Sternen.
Nun weilt sie stets bei dir, bei dir, der Fernen.
Schlafwandelnd folgt sie dir, mit Traumgewalt.

Nie litt ich tiefre Qual! Auf deiner Fahrt
musst du es manchesmal erbebend fühlen,
wie Zweifel und Verlangen in mir wühlen.
Komm, komm! Deine Liebe will nur Gegenwart.


Aus: Die Vase Neue Gedichte von Camill Hoffmann
Axel Juncker Verlag Berlin-Charlottenburg 1910 (S. 8)

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Besitz

Gleich einer Vase, wundersam geschweift,
zerbrechlich zart und golden, überhaucht,
halt ich dein Los in Händen, kaum gereift,
wie es mir zufiel, früh und unverbraucht.

In solchem köstlichen Besitz ergreift
mich banger Zweifel, der aus Tiefen taucht, -
aus fremder Welt ein dunkler Odem streift
die Liebesfackel, die auflodernd raucht.

Du bist geschaffen, nur um Blütenglanz
zu tragen und in warmem Licht zu sein,
so wie ich Träume und die Unruh trag';

doch rundet sich geheim der Jahre Kranz, -
und werd' ich immerdar im Sonnenschein
dich halten können wie an diesem Tag?


Aus: Die Vase Neue Gedichte von Camill Hoffmann
Axel Juncker Verlag Berlin-Charlottenburg 1910 (S. 9)

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Goya malt Donna Cean Bermudez

Wie hat er Euch, Senora, tief begehrt,
als er mit seinem Blick, der jedem Ding
die Seele ausreisst, dem sich keine verwehrt,
mit seinem Blick voll Gierde Euch umfing!

Die Pracht des Bluts, das Euern Leib durchschnellt,
erbrannte wundervoll, und Euer Stolz
war so inmitten dieses Brandes gestellt,
dass er - ein Schild aus Stahl - beinah zerschmolz.

Doch als er dann das samtne, dunkelrote
Stickkissen schob auf Euern grünen Schoss
und, flüchtig musternd noch die Farbennote,

den Pinsel fiebernd packte, fingt Ihr blos
ein reines Lächeln auf, das schon verschwebte
und drin nichts als der Dank für Schönheit bebte.

Aus: Die Vase Neue Gedichte von Camill Hoffmann
Axel Juncker Verlag Berlin-Charlottenburg 1910 (S. 12)

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Lied zum Klarinett

Der ist nicht gut beraten,
der durch das bunte Sommertal,
durch Wiesen und durch Saaten
vereinsamt wandert allzumal.

Wohl kann man sich erlaben
an Bach und Blütenbusch, allein
man muss ein Mädel haben,
um wirklich froh beglückt zu sein.

Ergreift das Herz Verlangen,
vor all der grünen Pracht im Nu
ein Liebstes zu umfangen,
so reicht kein dürrer Busch dazu.

Auch ist nicht Rain noch Graben
ein trübes Junggesellenbett,
man muss ein Mädel haben
und - etwa noch ein Klarinett.

Denn auf dem sammtnen Rasen,
zu zweien auf der Gottesflur,
darf man ein Lied sich blasen
und nicht mehr Trübsal nur.

Aus: Die Vase Neue Gedichte von Camill Hoffmann
Axel Juncker Verlag Berlin-Charlottenburg 1910 (S. 14)

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Hoffest

Prinzess Ninon war vierzehn Jahre kaum,
und dennoch hat der junge Herzog sie
bei der Quadrille sich zum Vis-a-vis
erwählt. Prinzesschen tanzte wie im Traum.

Freilich umspross auch erst ein blonder Flaum
des Herzogs Mund voll süsser Koketterie.
Doch - glitt er aus? . . Jäh lag er auf dem Knie,
o Gott, und küsste ihres Kleides Saum!

Verwirrung . . Lachen . . Hoheit Mutter fällt
in Ohnmacht vor Entsetzen allsogleich.
Ninon ist glührot bald, bald marmorbleich.

Wohl allzufrüh war so ihr Glück zerschellt;
in Träumen aber blieb sie selig reich.
Den Herzog schickte man auf Reisen um die Welt.


Aus: Die Vase Neue Gedichte von Camill Hoffmann
Axel Juncker Verlag Berlin-Charlottenburg 1910 (S. 23)

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Die Mondnacht

Die Nacht, ich weiss nicht, ist es wahr,
erglühte jäh und wunderbar.
Sie überfloss von Mondlicht ganz
Die Nacht war wunderbar.

Die Bäume blühten silberhell,
und silbern sang der Gartenquell.
Der Mond mit seinem scharfen Glanz
durchdrang mich silberhell.

Ich fühlte, wie mir in der Brust
das Herz sich wandelte vor Lust.
Es sprang mir auf gleich einem Hund
und bellte in der Brust.

Es winselte dann, klagte laut
und blickte wie ein Hund nur schaut
zum Mond empor, bezaubert und
es heulte laut.

Ach, wie es mir die Brust zerriss,
vor Lust zerschliss, vor Schmerz zerbiss.
Ein roter Streif floss in das Weiss
der Nacht, wie's mir die Brust zerriss.

Erschrakst du, als du mich so bleich
am Morgen fandst beim Gartenteich
blutleer vom Mond, ganz wund und heiss?
So blieb ich nun, mondbleich.

Aus: Die Vase Neue Gedichte von Camill Hoffmann
Axel Juncker Verlag Berlin-Charlottenburg 1910 (S. 24-25)

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Das Lächeln

Vielleicht, Geliebte, kann ich dein Lächeln deuten,
wend es mir zu:
so fliegt das letzte Echo vom Abendläuten
über die Wiesen hin und legt sich im Wald zur Ruh.
So führt der Wind mitunter unnennbar leise
ein Düften vorbei,
du bist urplötzlich auf einer ganz fernen Reise
auf Südseeinseln, im Märchenmai.
So spiegelt manchmal die schmale, ziervolle Klinge,
altspanischer Stahl,
mit tödlicher Ironie Gesichter und Dinge;
sie weiss, - und alles Wissen ist schal.
So dunkelt geheimnisvoll süss der Rotwein im Glase,
ob Labsal, ob Tod,
ob Wollust, ob Gift, er reisst in stolzer Ekstase
das Herzblut empor aus lange kränkender Not . .

Ich deut es nicht ganz. Dein Lächeln bist du.
Geliebte, wend es mir zu.


Aus: Die Vase Neue Gedichte von Camill Hoffmann
Axel Juncker Verlag Berlin-Charlottenburg 1910 (S. 26)

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Reue des Liebhabers

Regen, der an die Scheiben tropft,
hat mich aus dem Schlaf geklopft,
und ich träumte gerade von deinen
Augen, die unsere Liebe beweinen!

Eine Sintflut müsst niederbrechen,
um alle Frauenherzen zu rächen!
Müsste die Erde elend ertränken,
wo die Männer seit Menschengedenken
treulos sind und ohne Reue.
Doch welcher Mann wär der Noah der Treue?

Ach, es gibt gar keinen Frommen.
Drum wird sicher die Sintflut kommen.
Auf dem Ararat aber wird keine
Arche warten, bis Sonne scheine.
Alle, alle, die Sünden gehäuft,
werden ohne Pardon ersäuft.


Aus: Die Vase Neue Gedichte von Camill Hoffmann
Axel Juncker Verlag Berlin-Charlottenburg 1910 (S. 37)

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Mondschein

Eine Laute klang im Mondschein,
eine Stimme sang dazu,
der Garten lag tief im Mondschein,
in des Abends träumender Ruh.

Der Knabe sang leise zur Laute,
was das Herz ihm vorsang ganz laut,
dass er zu lieben sich traute,
wo keiner zu lieben sich traut.

Dem fliessenden Silberglanze
spazierte die Fürstin entlang.
Sie lauschte der blassen Romanze
aus Mondschein und Lautenklang.

Aus: Die Vase Neue Gedichte von Camill Hoffmann
Axel Juncker Verlag Berlin-Charlottenburg 1910 (S. 44)

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Letzte Zeilen

Prinzessin Anna Pia geruhte
mir heut' diesen Brief zu übersenden:

"Herr! Ich flehe Euch an mit erhobenen Händen,
zügelt den Brand in Euerem Blute,
denn hört: mein Gemahl
hat Euer Sonett in meiner Schatulle gefunden
und will Euch, wenn Ihr, wie täglich,
zu meinen Fenstern kommt in den Abendstunden,
auflauern. - O Qual!
Ich liebe Euch nicht, allein mich dauert unsäglich
Euere Not . . ."

So. Der Abend ist da, entflammt wie von Küssen.
Ich kenne mein Schicksal. Süss ist der Tod.
Mich liebt sie nicht, doch ihn wird sie hassen müssen.

Aus: Die Vase Neue Gedichte von Camill Hoffmann
Axel Juncker Verlag Berlin-Charlottenburg 1910 (S. 48)

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Herbstliches Herz

Silbern und sanft wie Sternenglanz
ist der Frühling.
Rot und feurig wie der Schwertertanz,
rot und feurig der Herbst.
Flüstert und singt mein Herz
silbern und sanft, ach, viel lieber
weint es vor Wonne und lacht vor Schmerz
wie der Herbst,
rot von Rausch und Fieber.


Aus: Die Vase Neue Gedichte von Camill Hoffmann
Axel Juncker Verlag Berlin-Charlottenburg 1910 (S. 52)

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Wunsch

Im Frühling, wenn die Welt noch jung
und alle Nächte - nur ein Quell
der Sehnsucht und Erinnerung -
aufrauschen selig, rein und hell,
wenn aller Kronen Blütenglanz
und neuer Winde sanfter Schwung
umfangen alle Länder ganz,
wenn selbst das müde Herz vergisst
den schmerzhaft unvernarbten Sprung
und voller eitler Wünsche ist -

Im Frühling möcht' ich durch das Tal
mit dir, Geliebte, Hand in Hand
hinschreiten so wie dazumal,
als ich zu meinem Glück dich fand.

Aus: Die Vase Neue Gedichte von Camill Hoffmann
Axel Juncker Verlag Berlin-Charlottenburg 1910 (S. 60)

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Warnung vor dem Mai

Der Mai ist eine schöne Frau,
er trägt ein pfaugrünes Kleid,
und seine Augen sind süss und blau -
behüt dich Gott vor Leid.

Sein Lächeln rührt die Herzen an
und macht sie begehrlich und heiss,
die Herzen sind spröd wie Porzellan,
und springen, eh' man's weiss.

Die Frauen sind untreu, du bist noch jung,
untreu ist der Mai.
Und hat dein Herz erst einen Sprung,
so ist der Frühling vorbei.


Aus: Die Vase Neue Gedichte von Camill Hoffmann
Axel Juncker Verlag Berlin-Charlottenburg 1910 (S. 65)

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Der junge Romantiker singt:

Geliebte, wir wollen fahren
hinaus in die bunte Welt!
Schläft schon im Wald seit Jahren
das Märchen, mit Frühlingsfanfaren
locken wir's in das Feld.

Hellseidenblau von der Lanze
blinkt Euer Lieblingsband
und flattert im Wind und im Tanze;
im Apfelblütenkranze
leuchten die Hügel im Land.

Von allen Türmen ertönen
uns Hörner zu trautem Gruss,
wir bringen den süssen und schönen
Gesang, der die Herzen versöhnen
und seltsam entzaubern muss.

Wir wecken die alten Tage
der Anmut und der Kraft,
da Kampf und Spiel und Sage
von des Lebens goldener Wage
zufiel der Ritterschaft.

Wir lieben die alten Paläste,
die jetzt vereinsamt stehn,
und ihre verrauschten Feste, -
verlorenen Tanzlieds Reste
des Nachts durch die Gänge wehn.

Die heiligen alten Legenden
sind unserem Blute nah
mit ihren Schauern und Bränden,
erzählen auf Kirchenwänden
von schmerzlicher Gloria.

Und gar die fromm-schlichten Weisen,
die keiner erdacht und schrieb,
die der Spielmann singt auf Reisen
und das Dorfvolk in munteren Kreisen,
sie sind uns teuer und lieb;

wenn der Erde gesegneter Garten
wie eine erblühte Frau
aufsteht in holdem Erwarten, -
o, alle erliegen dem zarten
versehnten Lied der Au!

O glaubt, in den Büschen allen,
mondübertaut und weiss,
wohnen noch Nachtigallen,
und ihre Lieder schallen
noch immer betörend heiss.

Noch immer wissen die Winde
von Rosen und Feldern im Schnee,
und manchem verträumten Kinde
verraten die Herzen der Linde
ein ungeahntes Weh.

Geliebte, fasst Euch ein Sinnen,
so Ihr der Liebe denkt? -
In der Tage raschem Verrinnen
blieb es das alte Minnen,
das unser Leben lenkt!

Und die Liebe ist ein Schreiten
in flutendem Maienlicht
hoch über Gassen und Zeiten,
und ist wie ein Armebreiten
vor Gottes Angesicht.

Es wachsen die Rosen und Reben
um die Städte und Burgen hin,
und magische Düfte weben
einen Schleier um unser Leben:
und die Liebe ist Königin.

Geliebte, wir fahren und bringen
den Herzen gar süssen Gewinnst,
Herzen und Glocken klingen!
Wir fahren und reiten und singen
in königlichem Dienst.

Aus: Die Vase Neue Gedichte von Camill Hoffmann
Axel Juncker Verlag Berlin-Charlottenburg 1910 (S. 67-70)

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Ich blase auf dem Rosenblatt

Mein Herz war eine Rose,
die im Sommerwinde blühte;
ein jeder Wind hat seinen Sang,
Musik war mein Gemüte.

Doch ist's auf dieser Erde
mit Rosen, Herz und Winden
sehr wunderlich bestellt.
Wer will die Welt ergründen?

Im Unbestand des Sommerwinds
die Rose ist zerstoben.
Nun blas' ich auf dem letzten Blatt
und will das Schicksal loben.

Aus: Die Vase Neue Gedichte von Camill Hoffmann
Axel Juncker Verlag Berlin-Charlottenburg 1910 (S. 71)

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Der Traum

Einsame Feste sind im Tage,
Wo still das Herz wird und das Bunte bleich,
Und was noch Lust war, klingt wie Klage,
Frau Sehnsucht grüsst aus einem andern Reich.

Das Reich ist Sang, das Reich ist Sage,
Doch keiner poch' mit Rufen an sein Thor.
Es öffnet sich mit hellem Zauberschlage
Dem, der des Traumes Kronreif nicht verlor.

Im Auge sterben Wunsch und Frage,
Die Welt versinkt, es schwinden Zeit und Jahr.
Frau Sehnsucht lockt uns aus dem lauten Tage
Und flicht uns Kränze in das wilde Haar.


Aus: Adagio stiller Abende
Gedichte von Camill Hoffmann
Verlegt bei Schuster & Loeffler Berlin und Leipzig 1902 (S. 5)

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Lied

Es ist mein Herz von Liebe schwer
Wie von Blüten der Apfelbaum;
Der wiegt im Tag sich hin und her,
Als ob das Blühn ohne Sehnsucht wär'
Und nur ein Frühlingstraum.

Wohl ist mein Herz noch sehnsuchtsvoll,
So ist der Liebe Art.
Das macht es gut und ohne Groll
Wie die Amsel, die singend überquoll
Und selbst ein Mailied ward.

Und ist mein Herz von Liebe schwer,
So ward ihm die Sehnsucht zum Sang;
Drum wiegt es sich auch hin und her,
Als ob sein Glück ohne Schmerzen wär',
Ein süsser Überschwang.


Aus: Adagio stiller Abende
Gedichte von Camill Hoffmann
Verlegt bei Schuster & Loeffler Berlin und Leipzig 1902 (S. 8)

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Vorfrühling

Die Nächte sind voll Gefahr!
Es ist ein Drängen und Ahnen;
Des Frühlings fliegende Fahnen
Wehn über Berg und Thal.

Es naht die köstliche Zeit
Der Hymnen voll Tanz und Minne,
Und langsam erwachen die Sinne
Zu neuem Feste bereit.

Die Nächte sind voll Gefahr.
Im Frühling, der sich verfrühte,
Erschauert die einsame Blüte
Der Seele wunderbar. -

Aus: Adagio stiller Abende
Gedichte von Camill Hoffmann
Verlegt bei Schuster & Loeffler Berlin und Leipzig 1902 (S. 14)

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Hohe Tage

I.
Eine wilde Glocke
Muss mein Herz wohl sein,
Läutet jeden Frühling
Laut und festlich ein.

Seine Lieder jagen
Über Wald und Feld,
Und an diesen Tagen
Rauscht die ganze Welt.

Tausend Tänze reigen
Ohne Müh' und Ruh, - -
Und da willst Du schweigen,
Mädchen, Du -?


II.
Du, Mädchen Du, Du Mädchen Du,
Schenk' mir ein Wort und Dein Glück dazu.

Das Wort will ich rufen auf sonniger Heide,
Dass rings die Seelchen im Blumenkleide
Sterben vor wonniger Scham.
Und Dein Glück, mein Mädchen, ist doch nur Gram.
Erst in meinen Händen
Kann es - wie ein Marienherz! -
Verbluten in heiligen Bränden.
Und Dein Frühling ist nicht mehr ein Traum und ein Schmerz.

Sieh, die Sonne hat Kraft und Mut
Und schüttet Wein in unser Blut . . .

Aus: Adagio stiller Abende
Gedichte von Camill Hoffmann
Verlegt bei Schuster & Loeffler Berlin und Leipzig 1902 (S. 15-16)

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Abendmelodie

Der Abend macht die blauen Thale stumm
Der Abend macht die armen Herzen schwer.
Vom Mohnfeld steigt wie Bienen mit Gesumm
Die Stille auf; ein Zauber geht jetzt um . . .
Wer traurig ist, der wird es jetzt noch mehr.

Ich denk' an Dich, indes der Abend spinnt,
Du bist mein Traum, die Du die Sehnsucht bist.
Ich denk' an Dich, Du schönes Märchenkind,
Weil Deine Augen gar so traurig sind, -
Weil auch Dein Herz so gut und traurig ist - - -.


Aus: Adagio stiller Abende
Gedichte von Camill Hoffmann
Verlegt bei Schuster & Loeffler Berlin und Leipzig 1902 (S. 17)

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Weisse Nacht

Weisse Sterne wandern durch die Nacht,
Weisse Blüten leuchten dicht an dicht,
Und die Nacht ist so voll Licht,
Nur in meinem Blute dunkelt ihrer Schwermut Macht.

Weisse Sterne wandern still und gross
Über Meer und Lande, über Tag und Ziel,
Zeichen meiner Sehnsucht! - Und der Zeiten Wechselspiel
Ist ein Windhauch bloss.

Und die überglänzten Bäume
Streuen ganze Blütendolden in die Lüfte.
- Aber längs des Wegs verwehn die Düfte
Und die knospenzarten Frühlingsträume.

Aus: Adagio stiller Abende
Gedichte von Camill Hoffmann
Verlegt bei Schuster & Loeffler Berlin und Leipzig 1902 (S. 18)

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Musik über Wassern

Die Sterne leuchten auf einsamen Warten
Wie Hochzeitfackeln mit mildem Schein.
Wir kehren heim von schweigenden Fahrten,
Verklungen sind längst im Ufergarten
Die Knabengeigen und Mädchenreihn.

Wir hören die Stunden Zwiesprach tauschen,
Aus süssem Sinnen nur halb erwacht,
Und alles in uns will Liebe erlauschen -.
Wir hören die Brunnen des Lebens rauschen
Wie festliche Chöre in ferner Nacht.


Aus: Adagio stiller Abende
Gedichte von Camill Hoffmann
Verlegt bei Schuster & Loeffler Berlin und Leipzig 1902 (S. 19)

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Hochsommer

Es singt im Wald ein klagendes Horn,
Halali -.
Sag' mir, woran Du denkst.

Es singt eine surrende Sichel im Korn,
Surre, surr -.
Sag' mir, woran Du denkst.

Aber Deine Augen sind traumverloren - -.

Aus: Adagio stiller Abende
Gedichte von Camill Hoffmann
Verlegt bei Schuster & Loeffler Berlin und Leipzig 1902 (S. 24)

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Sommer-Rondeau

Der höchste Sommer reift die Saat,
Und Gold liegt hoch auf allen Wegen. -
Als ich um Deine Liebe bat,
Ist alles noch im Traum gelegen!
Die heilige Sonne that
Das Wunder.

Als ich um Deine Liebe bat.
Wir träumten spät hinab den Pfad
Und ahnten wohl den Sonnesegen.
Vor unsre jungen Seelen trat
Das Wunder.

Geheimnisvolle Schauer regen
Die Ährenreih'n, die früchteträgen, -
Der höchste Sommer reift die Saat.
Auf allen Wegen, allen Stegen
Wie mystische Gewalten naht
Das Wunder.

Aus: Adagio stiller Abende
Gedichte von Camill Hoffmann
Verlegt bei Schuster & Loeffler Berlin und Leipzig 1902 (S. 25)

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Sommerkinder

Wenn die Felder im Golde stehn,
Rot getupft von Mohn,
Wollen wir durch die Gründe gehn,
Wenn die linden Lüfte wehn,
Weisst Du, wie einmal schon.

Sommerkinder sind wir und froh,
Wenn die Sonne so lichterloh
Uns im Nacken liegt,
Wenn der einsame Weg so schmal,
Dass er in seinem grünen Thal
Uns an einander schmiegt.

Dass doch wieder das ferne Glück
Komme in unser Herz zurück
Wie einst zu seliger Stund'!
Dass Du, wenn Du nach Liebe mich fragst,
Dir eine Antwort küssen magst,
Von meinem brennenden Mund.

Aus: Adagio stiller Abende
Gedichte von Camill Hoffmann
Verlegt bei Schuster & Loeffler Berlin und Leipzig 1902 (S. 26)

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Eh' der Tag beginnt

So leise meine Lieder sind,
Sie möchten fernhin klingen, -
So singt im Rosenbusch der Wind,
Den Blütenträume fingen,
Noch eh' der Tag beginnt.

Doch wenn das weite Thal sich hellt
Von Frühlings Morgenröten,
Stürzt er sich übers goldne Feld
Mit tausend Jubelflöten,
Voll Sehnsucht nach der Welt.

So leise meine Lieder sind,
Sie möchten fernhin klingen, -
Bis zu des Landes schönstem Kind,
Ein kleines Glück ihm bringen,
Wenn seine Stunden arm und stumm und elend sind.

Aus: Adagio stiller Abende
Gedichte von Camill Hoffmann
Verlegt bei Schuster & Loeffler Berlin und Leipzig 1902 (S. 38)

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Schwermut

Hinter langen Liliensäumen,
Die um schlanke Beete liefen,
Schliefen, schliefen
Rote Rosen schwer in Träumen.

Manchmal weckten sie Fontainen,
Die am Abend lauter sangen,
Und befangen
Fasste sie ein fernes Sehnen.

Und es seufzten auf die zarten
Rosen in den bleichen Zweigen.
Tiefes Schweigen -.
Doch voll Düfte stand der Garten.

Aus: Adagio stiller Abende
Gedichte von Camill Hoffmann
Verlegt bei Schuster & Loeffler Berlin und Leipzig 1902 (S. 39)

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Erscheinung

Die blütenkeusche Juninacht
Erweckte tausend blaue Wunder.
Und Schloss und Park lag weiss und breit
Von Mondlicht übergossen.
Es war so still: die Sterne strahlten still,
Die Bäume und die Schwäne schliefen still.
Vom Schlosse kam
Und durch den weiten Park, in Licht gebadet,
Ganz nackt in ihrer blonden Schönheit,
Um Mitternacht die junge Königin!

Es war so still: die Sterne strahlten still,
Die Bäume und die Schwäne schliefen still;
Und niemand weiss, wer sie gesehn:
Vielleicht dass sie der König selbst,
Vielleicht ein brauner Page sah.

Aus: Adagio stiller Abende
Gedichte von Camill Hoffmann
Verlegt bei Schuster & Loeffler Berlin und Leipzig 1902 (S. 40)

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Kleines Lied des Pagen

Ich wusst' es gut:
Ein Närrchen ist, wer sich verliebt,
Ein Närrchen, das sein Herz betrübt, -
War ich nicht auf der Hut?

Wie ging es zu?
Dass ich nun selbst das Närrchen bin
Mit schwerem Herzen, tollem Sinn
Und ohne Ruh?

Ich wusst' es gut!
Ich wusst' es gut und wusst' es schlecht,
Und drum geschah mir eben recht.
Ich war ein junges Blut.


Aus: Adagio stiller Abende
Gedichte von Camill Hoffmann
Verlegt bei Schuster & Loeffler Berlin und Leipzig 1902 (S. 47)

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Prinzess

Prinzess Ninon träumt immer von der Welt,
Die sie vom Sagen wie ein Märchen kennt,
Nur ist ihr Ideal kein Rittersheld, -
Der Gärtnerssohn ist's, der sie Hoheit nennt.

Oft sitzt sie in dem blühenden Rondell
Auf der Terrasse in des Parkes Grund,
Da tönt aus dem Gebüsch ganz keck und hell
Ein Lied zur Arbeit her aus seinem Mund.

Wär' sie allein und trüge nicht dazu,
Ach, dieses seidenfeine blaue Kleid,
Hinter den Büschen wäre sie im Nu!
Fürwahr, Prinzess Ninon drückt schweres Leid.

Und hört sie ihn, wie er so singt und schafft,
Greift eine Sehnsucht an das Seelchen ihr
Nach seiner Arme sonnenbrauner Kraft,
Nach seiner schönen Zähne wilder Gier.

Das ist nicht gut . . . denn selbst im Schlaf ergiesst
Ein Fiebern sich auf ihren Wangen heiss,
Am Morgen ist Prinzesschen blass und liest
Noch ihren Telemach verwirrt und leis. -

Prinzess Ninon träumt immer von der Welt,
Die sie vom Sagen wie ein Märchen kennt,
Und presst ihr Windspiel, das dann ängstlich bellt,
Ans Herzchen, wenn es gar zu heftig brennt.

Aus: Adagio stiller Abende
Gedichte von Camill Hoffmann
Verlegt bei Schuster & Loeffler Berlin und Leipzig 1902 (S. 51-52)

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Der König

König sein in Deinen erträumten Reichen,
Die den prunkenden Märchen des Ostens gleichen,
König sein und an mondscheinbleichen
Abenden bei Dir sitzen an einsamen Teichen,
Wo die Schwäne im Kreis auf dämmerweichen
Fluten ruhn . . . sie regen sich kaum - - ,
Und auf alle Fragen und Zeichen,
Die nur schämig über die Lippen Dir schleichen,
Tausend Antworten wissen, -
das ist mein Traum -!
Von den Augen die schlaflosen Nächte Dir streichen,
Deinen Wünschen tausend Erfüllungen reichen!

Aus: Adagio stiller Abende
Gedichte von Camill Hoffmann
Verlegt bei Schuster & Loeffler Berlin und Leipzig 1902 (S. 54)

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In Grau

Durch die Gassen schleicht ein Trauern.
Dreizehn lange Regentage.
Jedes Wort ist eine Klage,
Schwer ist dieses Überdauern.

Unsre Sehnsuchtsherzen lauern
Auf den Blütenmai, und zage
Steht im Blick Dir eine Frage, -
Deine Fensterblumen schauern.

Graue Scheiben, graue Zimmer,
Keine Lieder, keine Sonnen;
Müd' . . . als wäre das so immer.

Und die Stunden gehn wie Nonnen
Von der Andacht; lächelnd segnen
Sie Dein Köpfchen im Begegnen.

Aus: Adagio stiller Abende
Gedichte von Camill Hoffmann
Verlegt bei Schuster & Loeffler Berlin und Leipzig 1902 (S. 64)

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Finale

Zwischen schimmernde silbernen Birken
Ziehn wir durch den friedlichen Hag.
Lass uns die letzten Kränze wirken,
Heut' ist der letzte Sommertag.

Lass uns das duftige Sonnenlicht schlürfen
Über dem kühlen Rasengrün, -
Unsere Herzensgluten dürfen
Nimmer wie dieser Tag verglühn.

Abends gieb auf die Feuerbrände,
Die auf den Feldern leuchten, acht . . .
O, dann küss' ich Dir Mund und Hände,
Heut' ist die letzte Sommernacht.

Aus: Adagio stiller Abende
Gedichte von Camill Hoffmann
Verlegt bei Schuster & Loeffler Berlin und Leipzig 1902 (S. 68)

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Der Wind in der Nacht

Sitz' ich daheim allein
Und falte nur sacht
Die Hände im Lampenschein.
Der Wind ist in der Nacht.

Der Abend will Ruh
Vor Tages Not und Gier
Und, o Geliebte Du,
Träume von Dir.

Wie ein Schwingenpaar spannt
Die Seele sich aus,
Über Berg und Land
Grüsst sie Dein Vaterhaus.

Du bist noch wach
Und horchst in die Nacht,
Der Wind auf dem Dach
Hat Dich elend gemacht.

Aus: Adagio stiller Abende
Gedichte von Camill Hoffmann
Verlegt bei Schuster & Loeffler Berlin und Leipzig 1902 (S. 79)

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Knabenweise

Ei luli, ei luli, mein Herz, mein Sinn,
Die ziehn mich nach einem Städtlein hin,
Zu einer schönen Fraue,
Der ich mich vertraue,
Ei luli, weil ich so traurig bin.

Ei luli, ei luli, mir ist so bang,
Ich denke wie süss die Fraue sang
Am Abend in den Cypressen, -
Das kann ich nimmer vergessen,
Ei luli, das macht das Herz mir krank.

Ei luli, eil luli, ich sinn' und sinn',
Doch all mein Sinnen bringt nicht Gewinn,
Ich möchte von sanften blassen
Lippen mich küssen lassen,
Ei luli, weil ich so traurig bin.

Aus: Adagio stiller Abende
Gedichte von Camill Hoffmann
Verlegt bei Schuster & Loeffler Berlin und Leipzig 1902 (S. 86)

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Sentimentale

Gott weiss wie das noch enden soll,
Dass meine Sehnsucht wird nicht still
Und weiss doch selbst kaum was sie will
Und macht das Herz nur trauervoll
Und ruhelos und arm.

Und durch den Abend irr' ich nur
Und suche fremden Glückes Glanz
Und such' versäumter Lenze Spur;
Indessen welkt mein grüner Kranz
Der Jahre hin in Harm.

Wo ist die junge Königin,
Für die ich Lied um Lied ersann?
Ach, ohne sie hat's keinen Sinn,
Und ich bin ein verlor'ner Mann
Im alltagsbunten Schwarm. -


Aus: Adagio stiller Abende
Gedichte von Camill Hoffmann
Verlegt bei Schuster & Loeffler Berlin und Leipzig 1902 (S. 87)

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Wende

Viele Jahre träumt' ich schon
Wie ein Prinz im Hungerturm,
Frühlingswind und Wintersturm
Brachten nicht der Sehnsucht Lohn.

Und ich war ein müdes Kind,
Übers weite Dämmerland
Träumt' ich in den Abendbrand, -
Träume machen blass und blind.

Kam ein Lied den Weg entlang,
Glaubt' ich gar, es wär' das Glück,
Und ich hielt es scheu zurück, -
Lieder machen weh und bang.

Andre kennen Scherz und Spiel!
Wahn und süsse Traurigkeit
Waren meine Knabenzeit,
Doch - wer weiss der Wege Ziel?

Jedem kommt ein Schicksalsjahr;
Den verrät, worauf er baut,
Jenem stirbt die junge Braut,
Manchem wird ein Wunder wahr.

Und ich weiss nicht, wie es kam,
Meine Liebste hat vielleicht
Einen Trank mir stumm gereicht,
Der erlöst von eitlem Gram.

Meine Mutter hat vielleicht
Nachts geküsst mein Schlafgesicht,
Und da ward mein Herz so licht,
Und da ward mein Schmerz so leicht.

Oder war es ein Gebet,
Das mir eine Frühlingsnacht
In den wirren Sinn gebracht? -
O mein Gott, ich fand Dich spät!

Süss und leis rauscht nun mein Blut,
Denn ein Segen ist darin,
Seit ich Liebe fand und bin;
Und ich habe guten Mut.

Aus: Adagio stiller Abende
Gedichte von Camill Hoffmann
Verlegt bei Schuster & Loeffler Berlin und Leipzig 1902 (S. 94-95)

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Kleines Lied

Schon blühen die Veilchen,
Schon blüht auch der Flieder,
Und alles ist wieder
Bei uns auf ein Weilchen.

Wenn's immer so bliebe!
In Gärten, auf Plätzen
Viel Singen, viel Schwätzen,
Viel Sehnsucht nach Liebe.


Aus: Adagio stiller Abende
Gedichte von Camill Hoffmann
Verlegt bei Schuster & Loeffler Berlin und Leipzig 1902 (S. 101)

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Die Linde

Beim Anblick einer blütengelben Linde
Kam über mich ein Glück von ungefähr,
Sie wiegte sich nur leis und stolz im Winde,
Doch war ihr Duft von vielen Sommern schwer. -
Ich lehnte mit dem Herzen an die Rinde:
Du guter Baum, ich kenne mich nicht mehr,
Und seit ich Deines Frühlings Schönheit finde,
Ist mir, als ob die Welt voll Gnade wär'!

Du Lebensbaum! Du wunderreiche Blüte,
Du unbewusste, stolz und stumme Güte,
Sieh, weisse Tauben flattern um uns her! -

Aus: Adagio stiller Abende
Gedichte von Camill Hoffmann
Verlegt bei Schuster & Loeffler Berlin und Leipzig 1902 S. 102)

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Märzwind

Wie Märzwind braust
Liebe ums Haus,

Fenster klirren auf, Türen schlagen.
Ruhlos der Wetterhahn kräht,
Flackernd wehen die Sterne wie Fackeln.

Sanftes Moos vieler Jahre
Löst sich vom Dachtfirst los,
Wenn im Märzsturm alles ins Wanken gerät.

Aus: Camill Hoffmann (1878-1944)
Zuflucht Späte Gedichte und Erzählungen
Mit einem Nachwort herausgegeben von Dieter Sudhoff
Vergessene Autoren der Moderne XLVIII
Herausgegeben von Marcel Beyer und Karl Riha
Universität-Gesamthochschule Siegen 1990 (S. 10)

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Allein

Ungeliebt und einsam
Längst des Flusses zu wandern,
Ach wie bitter, - gemeinsam
Gehen die andern.

Selbst die Krähen
Schreien auf zu zwei'n.
Herz will geliebt beim Herzen liegen,
Nur der Tod geht allein.


Aus: Camill Hoffmann (1878-1944)
Zuflucht Späte Gedichte und Erzählungen
Mit einem Nachwort herausgegeben von Dieter Sudhoff
Vergessene Autoren der Moderne XLVIII
Herausgegeben von Marcel Beyer und Karl Riha
Universität-Gesamthochschule Siegen 1990 (S. 10)

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Durch die geliebteste Stadt

Tausend Jahre des Heimwehs, ungestillt,
Stürmen wie Föhn mir in sternloser Brust.
Uralt zerfällt im Glase mein Ebenbild -
Du warst da, und ich habe dich nicht gewußt!

Unerkannt einer vom andern schritten wir Tag um Tag
Durch die geliebteste Stadt, Schloßstiege, Brückentor.
Steinerne Heilige überall, - Prag!
Alle schwiegen, verschwiegen, daß ich dich stündlich verlor.

Zauberisch wölbte der Sommer sich über dem Strom.
Wir begegneten sicherlich uns bei der Inselmusik.
Gleich erschüttert, wenn hinter dem himmlisch schwebenden Dom
Groß die Sonne verging in tragischer Weltpanik.

Mitternacht klang - wie oft! - im Gleichmaß unserer Schritte.
Wenn das Gerippe zu bimmeln begann in der Rathausuhr,
Spiel vom Tode und Hahnenschrei, geisterhaft Aberwitz,
Türme, Lauben und Dachrinnen gleißten von Silberspur.

Dein Gesicht, mir innigst verwandt und doch abgewandt,
Schwebte, der zweite Mond, im steigenden Schein.
Ahnung faßte mein Herz wie behutsame Freundeshand,
Und ich fühlte mich süß gehoben aus verruchtem Allein.

Aus: Camill Hoffmann (1878-1944)
Zuflucht Späte Gedichte und Erzählungen
Mit einem Nachwort herausgegeben von Dieter Sudhoff
Vergessene Autoren der Moderne XLVIII
Herausgegeben von Marcel Beyer und Karl Riha
Universität-Gesamthochschule Siegen 1990 (S. 11)

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Liebesgedicht

Bitter, Geliebte, schmeckt der Wein der Liebe,
Süß aber ist, ihn mit dir zu trinken,
Süßer unendlich noch, von dir trunken zu sein!
Aus dem trostlosen Siebe der Zeit
Fallen die Tage schwer von Leid.
Keine Zuflucht ist, als in dir versunken zu sein.
Sieh, Geliebte, wenige Brücken blinken
Über dem Strom, der uns Vergessen verheißt.
Wo deine Augen winken, ist der Abschied von Menschen leicht.
Ob es Liebe, ob Wein, ob die holden Schimären des Geistes,
Ist nur, Geliebte, das Ufer drüben erreicht!
Heimat bleibt mir dein Antlitz, dein kindlich-liebes, verwaistes.
Ewiger Tag darin dein Augenpaar,
Traum vom seligsten Untergang dein Haar!

Aus: Camill Hoffmann (1878-1944)
Zuflucht Späte Gedichte und Erzählungen
Mit einem Nachwort herausgegeben von Dieter Sudhoff
Vergessene Autoren der Moderne XLVIII
Herausgegeben von Marcel Beyer und Karl Riha
Universität-Gesamthochschule Siegen 1990 (S. 12)

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Alles ist Liebe . . .

Alles ist Liebe, wenn du es sagst.
Niemand kann lieblos dein Lächeln erwidern,
Doch wenn du klagst,
Schluchzen die Nachtigallen auf wie in alten Liedern.

Alles ist Liebe, wenn du es sagst,
Alles ist dein und mein, die Welt mit Städten und Meeren.
Aber wenn auch du verzagst,
Schwärmen die Nachtmahre aus, mein Herz zu leeren.


Aus: Camill Hoffmann (1878-1944)
Zuflucht Späte Gedichte und Erzählungen
Mit einem Nachwort herausgegeben von Dieter Sudhoff
Vergessene Autoren der Moderne XLVIII
Herausgegeben von Marcel Beyer und Karl Riha
Universität-Gesamthochschule Siegen 1990 (S. 15)

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Winter

Weiß ist das Leid,
Und leis ist das Leid.
Nun schneit das Leid schon viele Tage,
Bald ist das Herz verschneit.

Der Rabe Zeit
Flügelt schwer und schreit. -
Das Herz hört keine Klage
In seiner Schnee-Einsamkeit.

Aus: Camill Hoffmann (1878-1944)
Zuflucht Späte Gedichte und Erzählungen
Mit einem Nachwort herausgegeben von Dieter Sudhoff
Vergessene Autoren der Moderne XLVIII
Herausgegeben von Marcel Beyer und Karl Riha
Universität-Gesamthochschule Siegen 1990 (S. 16)

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Der Gedanke an dich

Der Gedanke an dich
Duftet im Zimmer,

Hingeschneit liegt sein Schimmer
Wie Lächeln überall.

Wie der freundliche Aufblick der Gottheit
Unter ewig blühenden Brauen
Hat er den Tag gestreift, den veilchenblauen.


Aus: Camill Hoffmann (1878-1944)
Zuflucht Späte Gedichte und Erzählungen
Mit einem Nachwort herausgegeben von Dieter Sudhoff
Vergessene Autoren der Moderne XLVIII
Herausgegeben von Marcel Beyer und Karl Riha
Universität-Gesamthochschule Siegen 1990 (S. 16)

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Im herbstlichen Geäst

Im herbstlichen Geäst
Leer
Blieb das Vogelnest.

Durch den blassen Himmelsbogen,
Hinter den letzten Bäumen,
Sind sie dahingezogen,
Scharen von Wolken und Staren,
Über die Städte, über das Meer.

Die Jahre sind wie in Träumen
Mitgeflogen.

Im Herzen singt noch mitunter
Ein Vogelstimmchen mehr traurig als munter.

Aus: Camill Hoffmann (1878-1944)
Zuflucht Späte Gedichte und Erzählungen
Mit einem Nachwort herausgegeben von Dieter Sudhoff
Vergessene Autoren der Moderne XLVIII
Herausgegeben von Marcel Beyer und Karl Riha
Universität-Gesamthochschule Siegen 1990 (S. 17)

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Ich horche hinaus

Vielleicht bist du jetzt wach -
Mir träumte, ach, von dir,
Du wärst ein Bettelkind, ach,
Und schluchztest an meiner Tür.

Vielleicht bist du jetzt wach -
Ich hab dich gleich erkannt,
Klang auch dein Weinen nur schwach,
Ich hab deinen Namen genannt.

Vielleicht bist du jetzt wach -
Ich horch hinaus, der Wind
Läßt mich nicht schlafen, ach,
Er schluchzt wie ein Bettelkind.

Aus: Camill Hoffmann (1878-1944)
Zuflucht Späte Gedichte und Erzählungen
Mit einem Nachwort herausgegeben von Dieter Sudhoff
Vergessene Autoren der Moderne XLVIII
Herausgegeben von Marcel Beyer und Karl Riha
Universität-Gesamthochschule Siegen 1990 (S. 22)

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Schlaflos

Die Nacht ist einsam. Das Grab
Wird nicht mehr einsamer sein.
Ich taste mich schlaflos ab,
Der Stein da ist mein Herz.

Ich weiß, auch du, ich weiß,
Auch du liegst nun allein.
Kein Traum zieht seinen Zauberkreis
Um deine Stirn von Erz.

Und morgen oder nächstes Jahr,
Wie kann es anders sein?
Die Nacht währt immerdar,
Und dieser Stein ist nichts als Schmerz.

Aus: Camill Hoffmann (1878-1944)
Zuflucht Späte Gedichte und Erzählungen
Mit einem Nachwort herausgegeben von Dieter Sudhoff
Vergessene Autoren der Moderne XLVIII
Herausgegeben von Marcel Beyer und Karl Riha
Universität-Gesamthochschule Siegen 1990 (S. 22)

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Aller Kummer, alle Schmach

Aller Kummer, alle Schmach,
Von der Welt mir angetan,
Sei vergessen - meinem Leben
Hast du Glück und Sinn gegeben.

Zähl' ich all die Jahre nach,
Die ich ohne dich vertan,
Muß ich weinen - meinem Leben
Hast du Glück und Sinn gegeben.

Wenn ich in der Nacht erwach',
Trägt mein Herz dich himmelan
Noch aus Träumen - meinem Leben
Hast du Glück und Sinn gegeben.

Aus: Camill Hoffmann (1878-1944)
Zuflucht Späte Gedichte und Erzählungen
Mit einem Nachwort herausgegeben von Dieter Sudhoff
Vergessene Autoren der Moderne XLVIII
Herausgegeben von Marcel Beyer und Karl Riha
Universität-Gesamthochschule Siegen 1990 (S. 23)

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Ich fühle, wie im Schreiten

Ich fühle, wie im Schreiten
Mich eine Hand berührt
Und weiß mich nun bei Zeiten
Gehalten und geführt.

Ich habe deinen leisen,
Geliebten Griff erkannt.
So fern du bist, umkreisen
Seither mich wie gebannt
Die lieblichsten Gedanken.
Verzaubert scheint die Zeit,
Mein Herz gerät ins Schwanken,
Ob nah du bist, ob weit.

Aus: Camill Hoffmann (1878-1944)
Zuflucht Späte Gedichte und Erzählungen
Mit einem Nachwort herausgegeben von Dieter Sudhoff
Vergessene Autoren der Moderne XLVIII
Herausgegeben von Marcel Beyer und Karl Riha
Universität-Gesamthochschule Siegen 1990 (S. 23)

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Auf leichten Wolken

Auf leichten Wolken naht wieder der März,
Um schwerer noch das Herz zu bedrängen.
Was soll es denn, dieses trostlose Herz,
Erfüllt von Trübsal und Nachtgesängen.

Was soll es denn, dieses trostlose Herz,
Wenn auf den jung ergründenden Hängen
Die ersten Schneeglöcklein himmelwärts
Aufleuchten mit rührenden Osterklängen.

Was soll es, Geliebteste, ohne dich,
Wenn alle Erinnerungen von innen
Aufbrechend wie Wunden zu bluten beginnen,

Wenn nachts durchs Fenster die Sterne brennen
Und Orte weit fort im Süden nennen,
Was soll es, Geliebteste, ohne dich!

Aus: Camill Hoffmann (1878-1944)
Zuflucht Späte Gedichte und Erzählungen
Mit einem Nachwort herausgegeben von Dieter Sudhoff
Vergessene Autoren der Moderne XLVIII
Herausgegeben von Marcel Beyer und Karl Riha
Universität-Gesamthochschule Siegen 1990 (S. 24)

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Komm doch im Traum zu mir

Komm doch im Traum zu mir,
Geliebtes Angesicht,
Geliebtes Augenpaar,
Geliebter Mund!

Ich bin von Heimweh wund,
Wie nie ein Herz noch war,
Aus meinem Herzen bricht
Ein Brand nach dir!

In meinen Träumen steht
Der Mond die ganze Nacht,
Die Sterne sind entfacht,
Und jedes Sternbild späht
Nach deinem Angesicht,
Nach deinem Augenpaar,
Nach deinem Mund.

Aus: Camill Hoffmann (1878-1944)
Zuflucht Späte Gedichte und Erzählungen
Mit einem Nachwort herausgegeben von Dieter Sudhoff
Vergessene Autoren der Moderne XLVIII
Herausgegeben von Marcel Beyer und Karl Riha
Universität-Gesamthochschule Siegen 1990 (S. 24)

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Wie danke ich dafür

Wie danke ich dafür,
Daß Gott die Träume schuf!
Durch diese einzige Tür
Kommst du, Geliebteste, zu mir
Auf meines Herzens Ruf.

Was soll mir das Gedränge
Des Tags und alle Pein,
Was soll mir noch die Enge
Der Mauern im Exil?
Die Nacht, die Nacht allein
Verheißt mir Sinn und Ziel:
Du kommst, Geliebteste, zu mir
Durch diese leise Tür.

Heut Nacht, mein Herz vergaß
Zu schlagen, du tratst ein
Mit wunden Händen, blaß
Von langem Einsamsein.
Geliebteste, mein Kind,
Sieh, wie wir elend sind.
Ich warf mich hin vor dir,
Beschämt von deinen Wunden,
Da warst du schon entschwunden
Durch die geheime Tür.


Aus: Camill Hoffmann (1878-1944)
Zuflucht Späte Gedichte und Erzählungen
Mit einem Nachwort herausgegeben von Dieter Sudhoff
Vergessene Autoren der Moderne XLVIII
Herausgegeben von Marcel Beyer und Karl Riha
Universität-Gesamthochschule Siegen 1990 (S. 25)

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Biographie:

http://de.wikipedia.org/wiki/Camill_Hoffmann


 

 


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