Jeannette Holthausen (1812-1875) - Liebesgedichte

 



Jeannette Holthausen (Ps. Agnes le Grave)
(1812-1875)


Inhaltsverzeichnis der Gedichte:






Liebe

Das ist ein freudiges Verlangen
Nach Lieb' und ihrer Seligkeit!
Das ist ein Blühen und ein Prangen
Wo Liebe sich der Liebe weiht!
Wie wenn des Meeres tausend Wellen
Vom Sonnenglanze licht berührt
Dem Himmel hoch entgegenschwellen,
Ist's, wenn das Herz ein Herze kürt!

Wie tausend, tausend Düfte wallen,
Wenn Lenz der Erde sich vermählt,
Wie tausend, tausend Stimmen schallen,
Wenn Lenz ihr seine Lieb' erzählt,
So wallen, wogen die Gefühle,
So tönen Worte, leis' und laut
Auf schwellend weichem Blumenpfühle,
Im Kämmerlein so lieb und traut! -

Und wie im Herbst die Blätter sinken,
So sänke diese Liebe auch?
Und wie im Winter Flocken winken,
So stürbe sie im frost'gen Hauch? -
Nein, nein! Dies freudige Verlangen
Nach Lieb' und ihrer Seligkeit,
Dies Wallen, Tönen, Blühen, Prangen,
Was ist's, wenn nicht die Ewigkeit?

aus: Der neuhochdeutsche Parnaß 1740 bis 1860
Eine Grundlage zum besseren Verständnisse
unserer Litteraturgeschichte
in Biographien, Charakteristiken und Beispielen
unserer vorzüglichsten Dichter
von Johannes Minckwitz
Leipzig 1861 (S. 244)
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Ungerecht

Alle Blumen müssen büßen,
Daß mein Herz so traurig ist,
Ihre Kelche sind zerrissen
Seit so ferne du mir bist!

Meine bleichen Finger knicken
Zitternd, voller wilder Hast
Alle Zweige, die sich bücken
Ahnungslos vom Stamm und Ast.

Ohne Schonung mußt verderben
Rose du, so schön und zart,
Ohn' Erbarmen seh' ich sterben,
Was des Lebens froh noch ward.

Und der Bienen muntres Surren,
Füllt mit Ungeduld die Brust,
Grillen zirpen, Käfer schnurren,
Doch ich grolle ihrer Lust.

Alles ist ein Weh dem Herzen,
Alles schlägt ihm Krallen ein,
Blutend trägt es Pein und Schmerzen,
Denn du mußt ihm ferne sein!

Alle Kelche sind zerrissen,
Alle Blüten, blaß und roth!
Ihr sollt meine Schmerzen büßen,
Bis einst knicket mich der Tod!

aus: Der neuhochdeutsche Parnaß 1740 bis 1860
Eine Grundlage zum besseren Verständnisse
unserer Litteraturgeschichte
in Biographien, Charakteristiken und Beispielen
unserer vorzüglichsten Dichter
von Johannes Minckwitz
Leipzig 1861 (S. 244-245)
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Du, mit dem treuen Herzen

Du, mit dem treuen Herzen,
O, könnt' ich lieben dich,
Vergelten dir die Schmerzen,
Die duldest du durch mich!

Die Freuden, die da kommen
In Lenzes Prachtgewand,
Dir hab' ich sie genommen
Mit ahnungsloser Hand!

Der Wonne, die da schweifet
Auf Sommers lichtem Pfad,
Ihr hab' ich abgestreifet
Jedwedes grüne Blatt!

Doch Schmerzen, gleiche Schmerzen,
Wie duldest du durch mich,
Duld' ich in meinem Herzen:
Auch meine Sonn' erblich!

Drum trag' in deinen Blicken
Nicht Vorwurf und Verdacht, -
Kannst Blütenduft du pflücken,
Wo nie die Sonne lacht? -

Du, mit dem treuen Herzen,
Greif an dein eignes Herz,
Dann fühlst du meine Schmerzen,
Vergibst mir deinen Schmerz!

aus: Der neuhochdeutsche Parnaß 1740 bis 1860
Eine Grundlage zum besseren Verständnisse
unserer Litteraturgeschichte
in Biographien, Charakteristiken und Beispielen
unserer vorzüglichsten Dichter
von Johannes Minckwitz
Leipzig 1861 (S. 245)
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Frühling

Es rauscht, es wallt durch grünende Ufer hin
Die Woge, hell glänzt jede und wölbet sich
So leicht, so voll, so silbern murmelnd, -
Rauschen die Wasser ein Lied der Tiefe?

Und lächelnd steht mit offenen Augen da
Der Baum, in grünsmaragdenem Schmuck, es weht
Von jedem Zweig ein Duft so milde, -
Wehen die Zweige ein süß Geheimniß?

Und Blumen, tiefblau, rosig, in sonn'gem Schein,
Sie färben bunt dort jenes Gefildes Saum,
Wo kräftig junge Saat sich wieget, -
Künden die Blumen der Saat Gedeihen?

Es drängt, es hebt sich mächtig in Thal und Hain,
Es schimmert blühweiß unter dem Taxus dort,
Es haucht, es flüstert um die Halme, -
Wollen die Lüfte ein Wunder künden!

Ja, frohe Botschaft wollen sie künden uns!
Der schöne Lenz naht, lieblich das Haupt bekränzt
Mit Laub und Blumen, grün und rosig,
Rauschend auch grüßen ihn laut die Wasser!

aus: Der neuhochdeutsche Parnaß 1740 bis 1860
Eine Grundlage zum besseren Verständnisse
unserer Litteraturgeschichte
in Biographien, Charakteristiken und Beispielen
unserer vorzüglichsten Dichter
von Johannes Minckwitz
Leipzig 1861 (S. 246-247)
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Der Sichere

Lieben? Ich sollte sie lieben? - Ach nein!
Sicher! gewiß nicht! Wie könnte das sein?
Fühl' ich doch niemals, was Liebe sie nennen,
Würde doch selbst die Gefühle erkennen;
Bin ich nicht ruhig, wenn vor mir sie steht,
Lächelnd und scherzend zur Seite mir geht?

Zwar, wenn allein ich und ferne ihr bin,
Zieh'n die Gedanken wie Schwalben dahin,
Suchen das Plätzchen, wo könnte sie weilen,
Möchten sie finden, erreichen, ereilen, -
Freilich! wer ist denn auch gerne allein?
Nur Misanthropen und Herzen von Stein!

Manchmal, wenn hebt sie den strahlenden Blick,
Ist mir, als kehr' er vom Himmel zurück,
Wisse von Engeln und Licht zu erzählen,
Erde und Seligkeit eng zu vermählen, -
Doch, wie natürlich! Die Augen sind blau,
Farbe des Himmels! was thut da die Frau?

Wenn sie so leise, mit schwebendem Fuß,
Rühret die Erde: "Den Blumen zum Gruß,"
Denk' ich dann immer, "nur setzt sie ihn nieder,
Freudiger heben die Kelche sich wieder,
Schöner ersteh'n sie" - kann anders es sein?
Ist doch das zierliche Füßchen so klein!

Rührt sie die Saiten mit wogender Hand,
Hält sie mir Augen und Sinne gebannt,
Lauschend ersteig' ich auf Leiter der Töne
Jegliche Stufe harmonischer Schöne,
Alle sind lieblich und schwellend und weich, -
Wunder! sie sind ja den Händen nur gleich!

Wenn ich sie sehe, die schlanke Gestalt,
Wie sie mit Anmuth entgegen mir wallt,
Möcht' ich sie fassen, umschlingen und halten,
Worte und Blicke zu Küssen gestalten, -
Halt da? Wenn dennoch? - - Wie lächerlich! Nein!
Liebe? - - Sie lieben? Wie könnte das sein?

aus: Deutschlands Dichterinnen
Von H. Kletke
Vierte vermehrte Auflage
Berlin o. J. [1860] (S. 389-391)
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Erkennen

Vorüber fuhr der Sonnenstrahl
Im goldenen Gewand,
Da jauchzten Berge, Meer und Thal
Sie hatten ihn erkannt.
Die Störche kamen, Nester bauend,
Die Lerchen stiegen, um sich schauend,
Wo schlummernd noch ein Aeuglein lag,
Da weckten sie's mit Wirbelschlag.

Des Strahles Lächeln war so mild
Im goldenen Gewand,
Daß schnell ein blühendes Gefild
Aus öder Flur erstand.
Die dunkeln Tannen, emsig schüttelnd
Das Haupt, der Zweige Nadeln rüttelnd,
Vergaßen längst empfundnes Leid,
Und warfen ab das Trauerkleid.

Als dann auf's neu vorüberfuhr
Der goldne Sonnenstrahl,
Da stand gleich lichter, grüner Schur
Der Wald um Berg und Thal.
In seinem Moose, frisch und kühlend,
Erhob sich, mit den Zephyr spielend,
Die Maienglocke, Kindesglück
Im zarten sternenhellen Blick.

Mit Lust schoß jeder junge Triebe
Hoch auf, voll üpp'gem Saft,
Der Sonnenstrahl, so warm, so lieb,
Lieh jedem Keimchen Kraft.
Und Reigen gab es steigend, schwebend,
In jedem Pulsschlag wonnebebend, -
Sie hatten alle ihn erkannt,
Den Strahl in goldenem Gewand!

Vorüber fuhr der Sonnenstrahl, -
Er hat auch Dich berührt,
Mein Herz, wirst Freuden ohne Zahl
Entgegen nun geführt!
Des Blutes Ströme, schneller jagend,
Der Pulse Beben, höher schlagend, -
Ja, freudig hast auch du erkannt
Den Strahl im goldenen Gewand.

Du siehst im Rosenglanz sie glüh'n,
Die Knospen Deines Glücks!
Du siehst im Lilienschein sie blüh'n,
Die Perlen Deines Blicks!
Wie Alles duftend ist und schwebend!
Wie wonneathmend, Wonne gebend!
O Sonnenstrahl, Du Gottesblick,
Hab' Dank, Du rufst dein Kind zurück!

aus: Deutschlands Dichterinnen
Von H. Kletke
Vierte vermehrte Auflage
Berlin o. J. [1860] (S. 391-393)
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Biographie:

(...) "Den höchsten technischen Aufschwung unserer Frauenlyrik bezeichnet" Johanna Holthausen (Agnes le Grave), geb. in Cleve, die frühzeitig verwaist ihr Talent für Poesie (und Musik) in eigener Weise ausbildete, indem sie nächtlicher Weile heimlich die deutschen Klassiker las. Der berühmte Philologe Böckh unterwies sie in der Metrik. Ihre formvollendeten und innigwarmen Gedichte in antiken Versmassen bilden zwei Sammlungen 1859 und 1864. Diesen liess sie 1867 "Erzählende Dichtungen", 1869 den pädagogischen Roman "Frau Lee" und 1874 die Tragödie "Dido" folgen; noch ungedruckt sind die Dramen "Beatrice di Cenci" und eine Fortsetzung des "Demetrius" von Schiller. Später lebte die Dichterin in Berlin, wo ihr Gatte Geschäftsführer in einem Seidenwarengeschäfte war. Nach dem Tode des letzteren zog sie zu ihren Töchtern nach Breslau, starb aber bald.

aus: Deutschlands Dichterin[n]en und Schrifstelerin[n]en
Eine literarhistorische Skizze zusammengestellt von Heinrich Gross
Zweite Ausgabe Wien 1882




 

 


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