Uffo Daniel Horn (1817-1860) - Liebesgedichte

 

Uffo Daniel Horn
(1817-1860)


Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
 





Der Flüchtling

Wie gern Geliebte! möcht' ich sagen:
Ich bleibe Dein, für immer Dein,
Doch nicht für seine Liebe schlagen
Darf dieses arme Herz allein,
Und müßt es auch vor Weh zerspringen,
Und untergeh'n im eig'nen Brand -
Wenn meines Volks Trompeten klingen
Muß ich zurück in's Vaterland!

Dem schönen Land, das mich geboren,
Bin ich verlobt, für alle Zeit,
Ihm hab' ich ew'ge Treu' geschworen,
Und Götter hüten diesen Eid -
Sein Ruf wird üb'rall zu mir dringen,
Einstürzend jede Scheidewand:
Wenn meines Volks Trompeten klingen
Muß ich zurück in's Vaterland!

Würd' ich die Treu' der Heimath brechen,
Verloren wärst Du dann mit mir -
Den Meineid würde blutig rächen,
Die Freiheit, Arme! auch an Dir!
Schnell wie der Blitz sind ihre Schwingen,
Allmächtig die metall'ne Hand;
Wenn meines Volk's Trompeten klingen
Muß ich zurück in's Vaterland!

Und lägst Du gleich vor meinen Füßen,
Am Busen uns'rer Liebe Kind,
Ich stürmte dennoch losgerissen,
Hinaus, hinaus in Nacht und Wind!
Dahin - wo meine Brüder ringen,
Der Leu sich hebt zum Widerstand;
Wenn meines Volks Trompeten klingen
Muß ich zurück in's Vaterland!

Auf mich gezählt ist in dem Streite,
Die Hoffnung ist mein Paradies;
Sie nahm ich einzig mit in's Weite,
Als fliehend ich die Heimath ließ.
Wann wird die Frühlingsschwalbe singen:
"Kehrt wieder heim ihr, die gebannt!" -
O möchte bald Dein Ruf erklingen
Zu Kampf und Sieg mein Vaterland!
(S. 8-10)
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Tagesträume

Wie wär' es schön, wenn all' die Blüthen,
Die uns im süßen Schlaf erfreun,
Im Rosenlicht des Morgens glühten,
Und flammten in der Sonne Schein!
Doch stürben sie auch mit den Nächten -
Wenn nur, die hold uns überwehn,
Die Tagesträume dauern möchten,
Dann wär' das Leben völlig schön!

Wir träumen auch mit off'nen Blicken,
Momente sind's, wo gnädig mild
In unser Leben Götter blicken,
Und eine Ahnung sich erfüllt!
Da ziehen säuselnd Liedertöne,
Und klingen süß von Freud und Weh',
Als stürben zwei verliebte Schwäne,
Auf einem mondbestrahlten See!

Da scheint zu uns herabzusteigen,
Ein Weib, so wie ein Märchen hold -
Und über uns sich hinzuneigen,
Mit Rosenmund, und Lockengold!
Wir halten sie, wie eine Rebe
Umrankend hält den duft'gen Baum:
O wenn's doch kein Erwachen gäbe,
Aus solchem Glück, aus solchem Traum!

So war's, als ich zum erstenmale
Dein klares, mildes Aug' gesehn,
Da schien mir auch in seinem Strahle
Ein Zaubermärchen aufzugehn!
Es flog, wie von Undinen's Rocken,
Der gold'ne Lein um Dein Gesicht -
Ha! diese Wangen, diese Locken,
Vergessen sich im Leben nicht!

Doch meinem Blick vorbeigeflogen,
Bist Du so schnell geliebtes Bild,
Wie ein verwehter Regenbogen,
Wenn schwarz die Sonne sich verhüllt;
O könnt' ich wie die Wolke streichen -
Abspiegelnd die versunk'ne Glut:
Und schweben ob dem Meer, dem bleichen,
Drinn, schlummernd meine Sonne ruht!

Armsel'ger Trost, daß die Gedanken
Dir folgen dürfen unverwandt,
Du siehst sie doch im Wind nicht schwanken,
Dich leitend über Meer und Land;
Und ließ ich tausend Lieder fliegen,
Wie Tauben aus der Arche Raum -
Sie brächten mir von ihren Zügen,
Vielleicht ein Reis - nicht meinen Traum.

Was kann das Lied, das arme frommen?
Die schönen Zeiten sind dahin,
Wo an Arions Schiff geschwommen,
Das Roß der Flut kam, der Delphin -
Beklagt sie, die den Griffel führen,
Entzaubert ist das Saitenspiel:
Einst konnt' der Sänger Steine rühren
Jetzt kaum ein Herz zum Mitgefühl!
(S. 13-16)
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Wunsch

Ich kenn' ein Weib, ein holdes,
Dem wie ein Regen Goldes
Das Haar vom Haupte wallt,
Und wie ein Rohr im Teiche
Ist schlank und schön die weiche,
Hochherrliche Gestalt!

Die Augen blau wie Glocken,
Die Hände weiß wie Flocken -
O wundersame Pracht,
Der sammetweichen Wangen,
Wie Knospen, die zersprangen,
In einer Maiennacht!

Ich möchte gerne wissen,
Wie ihre Lippen küssen
So schwellend und so schön -
Und ihre klaren reinen,
Blauaugen möcht' ich weinen
In Liebesleiden sehn!
(S. 19-20)
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Brautfahrt
(Nach dem Russischen)

Ich fahre durch die Haide
Weißglänzend, schneeverweht,
Mit frost'ger Blumenweide
Ist starrend sie besaet.

Mein Schlitten saust darüber
Die Glocken klingen drein,
So weile ich auf trüber
Beschneiter Flut allein!

In dürren Birkenwäldern,
Durch Forste eisbehaart,
Auf Strömen, Spiegelfeldern,
Geht schnaubend meine Fahrt.

Da ragt aus niedern Hütten
Ein stattlich Herrenhaus,
Da fliegt ein kleiner Schlitten
Ins weite Feld hinaus!

Wie pochen Sehnsucht, Freude
Im Herzen mir so laut,
Frisch Rosse durch die Haide
Es geht zu meiner Braut!
(S. 21-22)
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Der Liebesmorgen
An einen Freund

Hast Du den holden Liebesmorgen
Den Glanz des ersten Sonnenblicks,
Der in Dein Leben fiel, geborgen
Vor allen Stürmen des Geschicks?
Bewahrt den Zauber jener Stunde,
In der die Seele Flammen fing,
Und wonnig heiß an Deinem Munde
Zum erstenmal die Liebe hing?

Ich hab's gethan und halte immer
Noch das Gedächtniß jener Zeit,
Die göttermilde ihren Schimmer
Ins Grau der Kindheit mir gestreut!
Kaum Knospe noch am Weltenbaume
Ward ich gereift an einem Tag,
Und fühlte wach aus dumpfen Traume,
In meiner Brust - den ersten Schlag!

Ich konnt' es lange nicht begreifen
Was mich bewegte wunderbar:
Den Drang die Schale abzustreifen
Vom eingezwängten Flügelpaar!
So mag der junge Falter streben
Der mit dem ersten Blicke sieht,
Daß auf dem grünen Strauch daneben
Sich wiegend, eine Rose blüht!

Denn mit dem Kuß dem ersten, heißen,
Da fühlt' ich auch das straffe Band
Um Aug' und Lippe jäh zerreißen,
Und frei sich regen Herz und Hand;
Da fühlt' ich alle Pulse fliegen,
Und rief, in schöner Leidenschaft:
Was braucht der Krieger, um zu siegen,
Als das Bewußtsein seiner Kraft?

Da fühlt' ich jede Ader schwellen,
Mir war Gefühl und Muth gelöst -
Dem Schiffer gleich, der in die Wellen
Entschlossen seine Barke stößt -
In sel'ger Eile fortgerissen,
Hat diese Strömung meinen Kahn -
Ihn tragend aus der Heimath Flüssen,
Bis in den weiten Ocean!

Beglückt! wer jene Tage nützte,
Wo jung die Kraft, die Wange roth,
Das Aug', das unterm schwarzen blitzte,
Ist unterm grauen Wimper todt!
Verschenk' in Locken Deine Haare,
Du wirst ja doch im Alter kahl,
Nur dies Gedächtniß Freund bewahre:
Der Liebesfreude ersten Strahl!

Er ist ein Trost in jenen harten
Herbsttagen, wenn der Stern sich senkt,
Wenn Du im duft'gen Liebesgarten
Verlassen stehst, und weggedrängt -
Und wenn geschmückt mit frischen Zweigen
Das krause Haupt der Jugend sich:
Und Deine Lust - der wilde Reigen -
Bachantisch wirbelt - ohne Dich.

Und mußt Du welken wie die Eiche,
So zürne nimmer dem Geschick,
Denn dies Gedächtniß giebt die reiche
Vergangenheit Dir treu zurück -
Dann stehst Du gleich der Silberfirne,
Von Sonnen-Rosen hold bekränzt -
Wenn auf der weiß beschneiten Stirne
Des Liebesmorgens Flamme glänzt!
(S. 26-30)
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Mitternacht

Alles still auf Markt und Straße,
Durch das Dunkel glimmt allein
Dort am Hause noch der blasse
Muttergotteslampenschein.

Alles schläft und Träume weben,
Parzenfäden, falsches Glück;
Und es stiehlt ins düst're Leben
Sich ein Freuden-Augenblick.

Geister kommt und schwanket, kreiset
Durch die leeren Straßen frei,
Böse Geister kommt und weiset
Eure Larven ohne Scheu!

Unter der Geliebten Fenster,
Die mich elend hat gemacht,
Treibt den Spuk ihr Rachgespenster, -
Euer ist die Mitternacht.

Noch im Schlafe will sie kosen,
Liebe träumt das falsche Weib.
Ha! so ringelt sich um Rosen
Schillernd einer Schlange Leib!

Gaukelt um die dunkeln Bäume
Durch die Fenster schlüpft hinein;
Denn nicht selig sollen Träume
Einer falschen Seele sein!
(S. 35-36)
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Ein Auge

Ich soll den süßen Trost mir rauben,
Daß einem Auge, hell und klar,
Vertrauend darf die Seele glauben
Und daß die stumme Thräne wahr?
Weh! wenn der Blick, der thaubefeuchtet
Gleich einem Morgensterne blinkt,
Ein Licht ist - das im Sumpfe leuchtet
Drin, wer ihm folgte, untersinkt! -

Ich hab' der Wangen frische Röthe
Mit durst'gen Küssen oft entweiht,
Daß sie ein Herbstwind überwehte
Und sie erblaßten vor der Zeit;
Ich brach der Lippen Rosenbüsche,
Des Busens weiße Lilienzier,
Doch wie ein Bild in seiner Nische
Blieb heilig stets das Auge mir!

Mir war's, als müßt' die Hände falten
Ich fromm, wie zum Gebet des Herrn,
Den Gott der Herzen sah ich walten
Mildthronend auf dem Augenstern,
Und wie nach Nächten stets, nach dunkeln,
Thautropfen fallen Morgens früh,
Sah' drin den Thau der Gnade funkeln,
Des armen Dichters Phantasie!

Und mein vertrauend Herz betrogen
Hat doch ein Aug', das rein und klar,
So wie der blaue Himmelsbogen
Und wie ein Quell der Berge war.
Hätt' eine Lippe falsch gesprochen,
Als eine Strafe nähm' ich's hin,
Daß ich der Rosen viel gebrochen,
Die in geweihter Erde blühn!

Hätt' mich ein Druck der Hand betrogen,
Dann beugt' ich mich der Geistermacht,
Die schwebend ob des Sees Wogen
Der weißen Lilie Glanz bewacht.
Wer sich verging an heil'gen Blüthen,
Wenn ihnen Schutz ein Gott verhieß,
Der büßet schwer, denn strenge hüten,
Die Himmlischen ihr Paradies.

Doch daß ein Aug' mich könnte trügen,
Ein Stern der mich so mild gegrüßt,
Mir Glück und Hoffnung könnte lügen -
Das glaubt' ich nicht und hab's gebüßt!
Ein Aug' das wie ein Veilchen blühte
Hat einen Winter mir gebracht:
O dieser Schein von Gnad' und Güte,
Wie hat er arm mein Herz gemacht!
(S. 39-42)
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Das Erkennen

O tritt nicht hin zu einem Weibe,
Gesenkten Blick's, und flüstre sacht,
Daß Dich der Liebe Sehnen treibe
Und des Gefühles Uebermacht!
Was sonst ist Dir vom Weib beschieden
Als Lieb'? was hätte sonst gesucht
Alzid im Hain der Hesperiden,
Als ihrer Bäume goldne Frucht?

Sich sehn, sich messen, stolz und prächtig,
Das ist der starken Geister Art,
Wenn in den Herzen siegesmächtig,
Der Liebesgott sich offenbart.
Zwei solche, die sein Hauch durchwehte,
Die schmelzen mächtig gleich in eins,
Als wie in dunkler Nacht die Röthe
Des Brandes und des Wiederscheins!
(S. 50-51)
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Zu spät

O wärst Du früher mir begegnet,
Du Himmelskind im Erdensand,
Ich hätt' den schönen Tag gesegnet,
An dem ich Deine Spuren fand.

Gesegnet, wie der Pilger thäte,
Der irrend im Gebirge steigt,
Und dem die holde Morgenröthe
Den sichern Weg zum Thale zeigt.

Doch hast Du Liebling der Geschicke,
Erscheinend mir schon wohlgethan;
Ich warf auf Dich die letzten Blicke
Wie Moses einst auf Kanaan!
(S. 64)
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Männertreu

Die schönen Kelche schließen dichte
Die Blumen Abends schlummermüd',
Du ward'st geboren mit dem Lichte
Und mußt verwelken, da es flieht!

Nicht perlend noch vom kühlen Thaue,
Schlägst Du zu neuem Lebenslauf,
Am nächsten Tag das holde blaue,
Vom Strahl geküßte Auge auf!

Du stirbst am Abend - eh' verflammet
Noch jenes Licht, das Dich erzeugt,
So vor der Lieb', der sie entstammet,
Die Treue auch zu Grabe steigt!
(S. 65)
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Das Geständniß

Du sagst: "O woll' mich nicht verkennen,
Weil ich mein Lieben Dir gestand,
Und weil die kühlen Wangen brennen,
Beim leisen Drucke Deiner Hand!"

Verkennen Dich? weil nie vergessen
Die Eiche soll, daß stark ihr Schaft,
Soll drum die Lilie sich vermessen,
Im Sturm zu stehn mit gleicher Kraft?

Ja - wollte sie auch widerstreben
Und brechen eh' als niederwehn:
Ihr ist nicht einmal Kraft gegeben,
Nur um zu brechen, festzustehn!
(S. 66)
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Souvenir

Ich dachte Dein, und habe immer
In treuer Brust Dein Bild bewahrt,
In Sturmesnacht und Sonnenschimmer,
Auf Länderzug und Meeresfahrt.

Und kamen Wolken hergeflogen,
Da gab ich ihnen Grüße auf,
Und folgte, wenn sie weiter zogen,
Mit trüben Augen ihrem Lauf.

Wo Bäume rauschten, kniet' ich nieder
Und bat: Ihr lieben Zweige weht
Ihr Grüße zu und süße Lieder,
Wenn einsam sie vorübergeht.

Und als ich stand, wo Alpenrosen
Am Schnee noch blühn, im rothen Glanz,
Da wand ich aus den Dornenlosen
Dein Sinnbild - einen Rosenkranz.

Und schlug die Flut des Schiffes Bolen,
Und stäubte Perlen in die Höh',
Da dacht' ich mir, die Wogen holen
Dir einen Brautschmuck aus der See!

Sie plündern Muscheln und Korallen,
Erschöpft ist bald das weite Meer,
Denn von den tausend Wogen allen,
Kam keine ledig, - keine leer.

Ich hab' von all' dem Wunderbaren,
Wohl nichts gesehn in Stadt und Land,
Dir, Mekka meiner Seele, waren
All' meine Blicke zugewandt.

Doch klag' ich nicht, denn Aether, Welle,
Thau, Sternlicht, Nacht und Sonnenlauf, -
Das Alles geht mir schön und helle
In Deinen Wunderaugen auf!
(S. 67-69)
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Du bist mit mir gezogen

Du bist mit mir gezogen
Durch's Bergland wohlgemuth,
Hast unter'm Himmelsbogen,
Vom Mondstrahl überflogen,
An meiner Brust geruht!

Wenn Gras und Blüthen keimen
Im frischen freien Feld,
Da ist wohl unter Bäumen,
Zu liegen und zu träumen,
Das Schönste auf der Welt!
(S. 106)
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Ewig rächt betrog'ne Liebe

Ewig rächt betrog'ne Liebe
Das erlitt'ne Herzeleid,
Denn sie folgt dir unverdrossen
Ueberall und allezeit!

Wo du gehst, da wird sie schreiten,
Wo du ruhst, da wird sie steh'n,
An den Wassern, auf den Bergen
Wirst du ihre Schatten seh'n!

Auf den Bergen stöhnt die Tanne,
Die des Sturmes Wehen brach,
An den Wassern rufen Blumen
Dir vergess'ne Namen wach!
(S. 107)
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In deiner Nähe werd' ich weilen

In deiner Nähe werd' ich weilen,
Nicht mehr verlassen sollst du sein,
Ich will mit dir den Wermuth theilen,
Und du mit mir den Freudenwein!

Erwäge! ob ich tief empfunden
Dein stilles schweres Herzeleid -
Ich maß an meines Glückes Stunden
Du Arme! deine Trauerzeit!
(S. 108)
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Gondellieder

I.
Fliege Gondel stumm und schnelle
Auf der dunkelgrünen Welle
Des Canales ohne Rast, -
Dorten steht mit schwarzen Wänden
Und mit morschen Fensterblenden
Ein zerfallender Palast!

Seine Pracht ist lang' vergangen,
Aber jugendfrische Wangen
Sah ich blüh'n im öden Haus -
Und die schönste aller Frauen
Von dem hohen Söller schauen,
Auf die stumme Flut hinaus!

Holde Augen, senkt euch wieder
Auf die schwarze Gondel nieder,
Die sich vor dem Fenster wiegt,
Auf den Fremdling aus dem Norden,
Dessen Blick von ihren Borden
Sehnlich auf zum Söller fliegt!


II.
Die Gondel schwankt und drehet
Sich traurig auf der Flut,
Ich hab' hinein gesäet
All' meine Liebesglut!

Als Wasserrose keimen
Soll sie vor ihrem Haus,
Süßduftend tritt in Träumen
Des Abends sie heraus!
(S. 111-113)
_____



Lieder eines Blinden

I.
Einst war es Tag vor meinen klaren Blicken -
Da konnt' ich froh in's weite grüne Feld
Mein helles Aug', wie Noah's Taube schicken,
Daß sie mir Kunde bringe aus der Welt.

Nun ist es Nacht, nun fliegt's, ein schwarzer Rabe,
Weit in ein rauschend grenzenloses Meer -
Im Dunkel tapp' ich hin zu meinem Grabe -
O wüßt' ich doch, wo es gegraben wär'.
(S. 114)


II.
Tief dunkel, sagt man, ist's im Grab, im kühlen,
Zu sterben brauch' ich nicht, um das zu fühlen!
Lebendig todt! - verwest sind alle Sinnen,
Nur pocht ein Herz noch in dem Moder drinnen.

Schön ist die Welt - ich hab' noch viel von alten
Glücksel'gen Zeiten her, von ihr behalten:
Wie Lenze blühn, und wie in lichten Tagen
Die Bäume Frucht, die Hügel Trauben tragen.

Ich weiß, wie Berge glühn im Sonnenrothe,
Der Regenbogen flammt, der Götterbote,
Wie Thäler lachen, wenn die Saaten grünen,
Und wie ein Kirchhof glänzt, vom Mond beschienen!
(S. 115)


III.
Zurück in's Gärtchen denke ich mich wieder,
Und auf die Bank, die vor der Thür gestanden,
Umlaubt von Epheu und von blauem Flieder,
Wo wir zuerst uns sahen und verstanden.

Die Nelken flüsterten, und die Kamillen,
Die Tulpen hört' ich, die Ranunkeln kichern,
Ein rother Mohn, ein stolzer schien im Stillen,
Die Rose seiner Liebe zu versichern.

Der Gutsverwalter war der Mohn, der rothe,
Im Scharlachrock und mit der gold'nen Dose,
Der mir mit dem Soldatenkittel drohte,
Ließ' ich nicht ab von der geliebten Rose!

Ei! konnte ich, daß meine klaren Blicke
Sich bald verdunkeln würden, da vermuthen:
Da lacht' ich seiner Drohung, seiner Tücke,
Man nimmt ja keinen Blinden als Rekruten.
(S. 116-117)


IV.
Einst stieg ich auf den Birnbaum vor dem Fenster
Der Liebsten, um in ihr Gemach zu spähen;
Mondhelle war die Stunde der Gespenster,
Und Alles drinnen deutlich zu ersehen.

Auf ihrem Bette lag sie schlummernd, träumend,
Ihr Haar gelöst, in langen schwarzen Locken,
So färben dunkel sich, vom Berge schäumend -
Im finstern Grund des Wassersturzes Flocken.

Und Alles war so zierlich d'rin und schimmernd,
Die Pfauenfeder hinterm Spiegel nickend,
Und meine Kränze - war auch welk verkümmernd -
Den schwarzen Rahm von Eichenholz umstrickend!

Und neben ihr, im Glase wohlgeborgen,
Die Blumen, die ich Abends für sie pflückte,
Ich weiß, daß sie, erwachend früh am Morgen,
Den ersten Kuß auf meine Rosen drückte. -

Ihr Vater ließ, weil er mich d'rauf gewahrte,
Den Birnbaum vor dem Fenster niederhauen;
Ach! stünd' er auch - ich könnt' von seiner Warte
Nicht mehr in's Zimmer der Geliebten schauen!
(S. 118-119)


V.
Wie die Geliebte aussieht, möcht' ich wissen,
Ob sie noch schön und frisch wie sonst geblieben,
Die weichen weißen Hände möcht' ich küssen
Die mir in's Herz den theuren Namen schrieben.

Ob wohl ihr Haar noch jetzt so dunkelseiden?
O dürft' ich auch, wie sonst, darinnen wühlen,
Ich könnt' die Farbe doch nicht unterscheiden,
Nicht, ob es grau von Sorgen wurde, fühlen.

Ob noch so voll, wie purpurrothe Blüthen,
Die sammetweichen, oft geküßten Wangen?
Ich säh' es doch nicht, wenn sie freudig glühten,
Käm' ich wie sonst entgegen ihr gegangen!

Doch nein!  ich bin nicht zu beklagen,
Daß ich die Liebste nimmer werde schauen -
Denn ewig jung und schön im Herzen tragen
Kann ich das Bild der Herrlichsten der Frauen!
(S. 120-121)


VI.
Den Sprosser blendet schlau der Vogelsteller,
Daß er die Nacht nicht scheiden kann vom Tage,
Daß er, auch wenn es Morgen, lichter, heller -
Im Wahn, es sei noch dunkel draußen, schlage.

Dem Sprosser gleich, der um sein Aug' betrogen
Stets zärtlich süße Lieder läßt erklingen,
Muß ich, seit ew'ges Dunkel mich umzogen,
Aus wunder Brust zu jeder Stunde singen!
(S. 122)


VII.
Der Memnon steht im gelben Wästersand,
Das Riesenhaupt dem Morgen zugewandt,
Der Memnon klingt, wenn ihn mit ihrem Strahl,
Die Sonne küßt, am Morgen jedesmal.

Ich bin ein Memnon, der in öder Nacht
Entgegenharrt der Sonnenaufgangspracht;
O träf' mich ihrer Augen milder Schein,
Ich klänge jubelnd in die Welt hinein!

Ich fühlt' es gleich an meines Herzens Schlag,
Daß mir erschien der Liebe heller Tag; -
Weil stumm mein Herz, ist auch der Morgen weit, -
Ihr Leute sagt, was ist die Tageszeit?
(S. 123)


VIII.
Wär' sie doch blind, und meine Augen helle,
Wie wollte ich mit sanfter Hand sie leiten,
Sie sorglich stützen an des Hauses Schwelle,
Und neben ihr, ein sanfter Hüter, schreiten!

Wie wollt' ich ihr erzählen süße Mährchen,
Auf's Feld sie führen, unter grüne Eichen,
Daß sie erfreu'n sich kann am Lied der Lerchen,
Am Dufte, witternd aus den Rosensträuchen.

In Winternächten sie in Schlummer singen,
Behaglich im Kamin das Feuer fachen,
Kein Schlaf sollt' meine Augen je bezwingen,
Wär's mir vergönnt, an ihrem Bett zu wachen!
(S. 124)


IX.
Ob meine Liebe noch, wie sonst sie that,
Im Gärtchen ihre Blumen früh begießt?
Sich freuend hold, daß die ergrünte Saat
In Knospen schon und schlanke Stauden schießt!

Ich hab der Veilchen manche ihr gesät,
So blau, wie einst mein helles Auge war -
Gedenkt sie noch, wenn sie am Beete steht,
An ein so früh verwelktes Veilchenpaar?
(S. 125)
_____


Aus: Gedichte von Uffo Horn
Leipzig Friedrich Ludwig Herbig 1847

 


Biographie:

https://de.wikipedia.org/wiki/Uffo_Daniel_Horn


 

 


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