Wilhelm von Humboldt (1767-1835) - Liebesgedichte



Wilhelm von Humboldt
(1767-1835)


Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
 

 



Sonette


Der Tod

Den Geist mit heitern Bildern angefüllet,
Aus welchen mir des Lebens Glück gequollen,
Will ich dem Tod die letzten Stunden zollen,
Dem Grabe hold, das jedes Sehnen stillet.

Ich werd ihn sehen frei und unverhüllet,
Den in der Ewigkeiten ewgem Rollen
Stets gleichen und doch ewig wechselvollen,
Der Leben schließt, und aus dem Leben quillet.

Ich sterbend gern auf meine Jugend schaue,
Denn ich der Liebe heilger Kraft vertraue,
Die in der Blüte der Gefühle gründet,

Was Herz an Herz in heißem Glühen dränget,
Des Todes starre Bande sehnend sprenget,
Und überm Grabe suchend wiederfindet.

Aus: Sonette von Wilhelm von Humboldt
Berlin Druck und Verlag von Georg Reimer 1853 (S. 5)

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Das stumme Ehepaar

Die Kirche hat zusammen uns gegeben,
In Eintracht hin fließt unser Eheleben,
Durch Freud' und Schmerz mit gleichem Schritt wir eilen,
Und Seit' an Seite Tag und Nacht nur weilen.

Doch keinen Ton wir je der Brust entheben,
Kein Wort bezeichnet unser innres Streben;
Wie in Palästen stehn gekuppelt Säulen,
So stumm wir alles, nur nicht Rede, theilen.

Der Menschen Sprache ist aus uns verschwunden,
In ewgem Schweigen ist die Brust gebunden;
Doch noch im Silberhaar mit stillen Blicken

Wir wechseln unsrer Liebe Wonnentzücken,
Wenn unsre starren Zungen nie auch sprechen:
Nichts kann der Herzen heilge Treue brechen.

Aus: Sonette von Wilhelm von Humboldt
Berlin Druck und Verlag von Georg Reimer 1853 (S. 8)

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Stella

Wie einst Eurydice vom treuen Gatten
Gefolgt sich sahe in das Reich der Schatten,
Kann niemand mich getrennt von Stella schildern,
Auf Pfaden, die gesehn nie Fußtritt hatten,

Umher sie suchet nach der Vorzeit Bildern;
Und wie ich fühle meine Kraft ermatten,
Mein braunes Haar mir Staub und Schweiß verwildern,
Kann nichts den Eifer, ihr zu folgen, mildern.

Sie Zweck allein und Absicht kennt der Reise,
Und sinnig schlinget ihrer Wandrung Kreise,
Ich nur nach dienender Trabanten Weise,

Mich ohne Willkür blindlings um sie drehe,
Wohin sie mahnend winket, schweigend gehe,
Und Tage, starren Blickes, mit ihr stehe.

Aus: Sonette von Wilhelm von Humboldt
Berlin Druck und Verlag von Georg Reimer 1853 (S. 9)

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Die Insel

An die mein Schicksal meine Liebe bindet,
Mit der sich einsam ab mein Leben windet
Im kleinen, meerumrauschten Insellande,
Das keinen Fremdling sieht am öden Strande:

Süß sind des heiligen Altares Bande,
Und führen glücklich bis zum Grabesrande,
Wenn Liebe flammend Herz an Herz entzündet,
Und jeder Tag des nächsten Glück verkündet.

Doch ernster auch des Schicksals Loose fallen,
Im Gleis' der Pflicht dann muß die Treue wallen.
Im Flutenbett auch ruhn nicht stets die Wogen,

Sie werden rasch vom Sturme fortgezogen,
Der wieder, was ihn tosend treibt, nicht kennet,
Und fremde Macht stolz seinen Willen nennet.

Aus: Sonette von Wilhelm von Humboldt
Berlin Druck und Verlag von Georg Reimer 1853 (S. 10)

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Amor im Wagen

Im Vatikan, wo des Urbiners Hände
Verzierten sinnig des Gemaches Wände,
Sieht man zwei Nymphen angestrengt sich mühen,
Amorn im Wagen vorgebeugt zu ziehen. -

Ich ins Geschirr nicht zarte Mädchen bände,
Zu Fuß eh' ging, als so im Wagen stände:
Doch Freud' und Lust ihm aus den Augen sprühen
Bei ihrer Rosennacken Purpurglühen. -

Mag immer er uns spannen vor den Wagen,
Wir wollen schon die leichte Müh' ertragen,
Und gern, schont er mit tiefrer Wunden Qualen,

Ihm den Tribut mit diesem Spiele zahlen,
Wenn wir nur bleiben von ihm abgewendet,
Und nicht ins Herz er seinen Pfeil uns sendet.

Aus: Sonette von Wilhelm von Humboldt
Berlin Druck und Verlag von Georg Reimer 1853 (S. 18)

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Die Doppelwesen

Kennst du wohl, Stella, jene alte Sage,
Die hold durchwaltete der Vorzeit Tage,
Daß, die fest liebend an einander hingen,
Als Doppelwesen durch das Leben gingen?

So dir zu sein mit jedem Herzensschlage,
Ich das Gefühl im tiefen Busen trage.
Zwei Wesen engre Bande nie umschlingen,
Als mich dir, mir dich, Hohe, nahe bringen.

Man sagt wohl sonst, um Nähe anzuzeigen,
Daß eins der Schatten ewig sei des andern.
Doch wir viel enger uns zusammen fügen;

Denn wir von früh bis zu der Sonne Neigen,
Wenn einsam wir durch Roms Gefilde wandern,
Mit Einem Schatten beide uns begnügen.

Aus: Sonette von Wilhelm von Humboldt
Berlin Druck und Verlag von Georg Reimer 1853 (S. 22)

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Einheit und Sehnsucht

Die nur der Menschheit Wesen ganz verstehen,
Die fühlen Einen Hauch in zweien wehen,
Für die nicht Sinn hat theilen, noch verbinden,
Weil wirklich einzig Eins sie sich empfinden.

In ewger Sehnsucht sie durchs Leben gehen,
Und nie gestillt das tiefe Sehnen finden,
Wie sich zwei Flammen zu einander drehen,
Und angezogen heftger sich entzünden.

Das ist der große Schmerz im Erdenleben,
Schon eingepflanzt des Daseins ersten Keimen;
Wird nun vielleicht einst in des Himmels Räumen

Sich dieser Scheidung Nebelschleier heben?
Wer kanns verbürgen? doch der Sehnsucht Zähren
Auch überm Grabe werden ewig währen.

Aus: Sonette von Wilhelm von Humboldt
Berlin Druck und Verlag von Georg Reimer 1853 (S. 24)

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Morgengruß der Geliebten

So wie ich Morgens auf die Augen schlage,
Die vielgeliebten Züge sie erblicken,
Die mir mit stillempfundenem Entzücken
Umkränzen einst des Lebens goldne Tage.

Der Mensch weiß nicht, was mit dem letzten Schlage
Des Herzens das Geschick ihm kann entrücken.
Der Tod geht um ihn her, wie dunkle Sage,
Die tausend Lebensklänge dumpf ersticken.

Wie anders sich erschloß des Morgens Pforte,
Als mir noch tönten ihrer Stimme Worte,
Als sie mit leisen, heißersehnten Tritten

In meine Kammer liebend kam geschritten!
O dieser Paradiesestage Wonnen,
Wie sind sie alle nun in nichts zerronnen!

Aus: Sonette von Wilhelm von Humboldt
Berlin Druck und Verlag von Georg Reimer 1853 (S. 26)

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Der Himmelswagen

Wir, die dem Pole nah' hoch nördlich wohnen,
Den Himmelswagen uns befreundet nennen,
Weil unsre Blicke nie sich von ihm trennen,
Ihn jeder Abend sieht hell leuchtend thronen.

Denn auch in jenen maßlos fernen Zonen,
Wo Myriaden Welten strahlend brennen,
Wir fern und näher uns verwandte kennen,
Die, freudger grüßend, unser Wachen lohnen.

Die sieben Sterne so in jenen Tagen,
Wo Sehnsucht mir den süßen Schlummer raubte,
Ich an des Himmels Steile oft sah ragen.

So fern damals mein einzig Glück ich glaubte,
Und war um Monde nur davon geschieden!
Jetzt such' und find' ichs niemals mehr hienieden.


Aus: Sonette von Wilhelm von Humboldt
Berlin Druck und Verlag von Georg Reimer 1853 (S. 31)

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Die Dryas

Die, in des Baumes grünumlaubten Zweigen
Still wohnend, Knospen draus und Blüthen sprießet,
Die Dryas auch, wenn sie zum Tod sich neigen,
Die reine Seele in den Aether gießet.

Die dürren Aeste und der Wipfel Schweigen,
Wo frohes Säuseln nicht den Tag mehr grüßet,
Im dichten Wald sind wehmuthsvolle Zeugen,
Wie Treue sich an den Geliebten schließet.

Sie stirbt mit dem, mit dem sie hat gelebet,
Und übend ihres Götterdaseins Rechte,
Mit seinem auch ihr letzter Hauch entschwebet.

So wird es nicht dem menschlichen Geschlechte.
Der Tod die Liebe trennt, und dunkle Sage
Nur tröstend spricht vom Wiedersehenstage.

Aus: Sonette von Wilhelm von Humboldt
Berlin Druck und Verlag von Georg Reimer 1853 (S. 32)

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Des Lebens Ausgang

Mir hingestorben sind des Lebens Freuden,
Nur Sehnsucht es in meinen Busen gießet,
Die wundervoll im tiefen Kelch umschließet
Erinnrungslust und gegenwärtges Leiden.

Trennt sich vielleicht des Menschen Brust von beiden,
Wenn hin der Rest der flüchtgen Tage fließet?
Er kennt den Morgen nicht der dann ihn grüßet,
Sein Erdenziel ist auch sein Erdenscheiden.

Wenn los die Bande sich des Körpers winden,
Mag auch die irdische Erinnrung schwinden,
Der Geist mit neuen Schwingen aufwärts fliegen.

Allein der Wesen Wahrheit doch muß siegen,
Es kann nicht heilge Liebe täuschend lügen,
Was Eins ist, muß als Eins sich wieder finden.


Aus: Sonette von Wilhelm von Humboldt
Berlin Druck und Verlag von Georg Reimer 1853 (S. 54)

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Das schönste Lebensglück

Das schönste Lebensglück lag vor mir heute
In meiner Jugend goldumwebten Tagen.
Ich nahm es kühn, doch nahm ich es mit Zagen;
Zu glücklich wars, zu gehn an ihrer Seite.

Mit meiner Seligkeit war nichts im Streite,
Ich wurde sanft durch ihre Huld getragen;
Von größrem Glück kein Sterblicher kann sagen,
Als womit sie mich jeden Tag erfreute.

Nun sind gefallen diese Blüten alle,
Und einsam meinen öden Pfad ich walle.
Es kehrt der Tag, doch ohne Freudenfülle,

Ich feir' ihn düster in Erinnrungsstille.
Kein dunkel überm Grab verheißnes Leben
Kann gleiche Seligkeit mir wiedergeben.


Aus: Sonette von Wilhelm von Humboldt
Berlin Druck und Verlag von Georg Reimer 1853 (S. 55)

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Hulda

Ich sitz' und denk' in dieser nächtgen Stille
An den Geliebten, den ich nie mehr sehe;
Zum Sterne sag' ich, daß er zu ihm gehe,
Und melde ihm, wie Gram mein Herz umquille.

Denn so mich bannt hier ernster Fügung Wille,
Daß ich mit ihm nicht kenne andre Nähe,
Als daß sein Hauch mich von dem Stern anwehe,
An dem ich hänge in Erinnrungsfülle.

Sein milchweißreiner, stiller Aetherschimmer
Uns leuchtete in jenen selgen Tagen,
Wo wir gestanden uns mit Wonne-Zagen,

Daß eines nur im andren konnte leben.
Darum wenn wir den Blick zum Stern erheben,
Sehn wir in ihm noch unsres Glückes Trümmer.

Aus: Sonette von Wilhelm von Humboldt
Berlin Druck und Verlag von Georg Reimer 1853 (S. 64)

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An Ihn

O trüge dich der Zeiten ewge Welle,
Erhörend meiner Sehnsucht tief Verlangen,
Zurück vom Orte, der dich hält umfangen,
Verödet fändst du bei mir jede Stelle.

Kein Anderer betrat der Thüre Schwelle,
Durch die so oft dein Fuß ist still gegangen,
Und Einem nur netzt diese bleichen Wangen
Der heißen Thränen ewig neue Quelle.

Wie man nur einmal wird aus Licht geboren,
Und einmal nur kann aus dem Leben scheiden,
So sind auf ewig auch der Liebe Freuden,

Wenn der Geliebte ging, der Brust verloren.
Was aus dem Himmel zieht sein reines Leben,
Kann irdisches Geschick nicht zweimal geben.

Aus: Sonette von Wilhelm von Humboldt
Berlin Druck und Verlag von Georg Reimer 1853 (S. 65)

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Wesen der Schönheit

Wen das Gefühl des Schönen soll durchdringen,
Dem muß aus Sinnenklarheit es entspringen,
Wie Unschuld glänzet auf der Jungfrau Wangen,
Die noch nicht kennt der Liebe süß Verlangen.

Es regt nicht frei die silberhellen Schwingen,
Wo Wünsche menschlich nach Besitze ringen;
Nur um es tief und tiefer zu umfangen,
Darf Sehnsucht brünstig an dem Schönen hangen.

Wer eine innre Welt sich also bauet
In reiner Schönheit still empfundnem Walten,
Dem von den Schlacken irdischer Gestalten,

Wie von den Sternen Meeresglanz, sie thauet.
Daß von dem Himmel sei auf Erden Kunde,
Steht sie mit allem Irdischen im Bunde.

Aus: Sonette von Wilhelm von Humboldt
Berlin Druck und Verlag von Georg Reimer 1853 (S. 68)

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Die Sterne

Ein großer Dichter sagt, daß man die Sterne
Begehre nicht, sich ihres Lichts nur freue:
Sah er denn sehnend nie in jene Ferne
Nach Welten wo das Sein sich ihm erneue?

Wohl hängt das Aug' am Sternenglanze gerne,
Doch nicht, daß er die tiefe Nacht zerstreue: -
Daß tief die Brust in sie zu tauchen lerne,
Wenn nicht ihr Glück mehr giebt die heitre Bläue.

Wenn, was das Herz geliebt, die Erde decket,
Ihr Dunkel nur die Lust des Busens wecket.
Man liebt die fernen Sterne hier auf Erden,

Daß durch des Grabes Nacht sie Leiter werden;
Wenn Glück und Lust hat für das Herz geendet,
Den Blick ihr nahes Sonnenflammen blendet.


Aus: Sonette von Wilhelm von Humboldt
Berlin Druck und Verlag von Georg Reimer 1853 (S. 69)

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Molly

Und sollten meine Füße auch ermatten,
Ich mußte auf und ab doch spät noch gehen,
Um an der Balkendecke ihren Schatten
Vorüberstreifen wenigstens zu sehen.

Der Liebe Pfeile mich bethöret hatten,
Ich konnte mehr nicht selber mich verstehen;
Wenn Eifersucht sich und Verlangen gatten,
Gesunden Sinn zu Wahnsinn sie verdrehen.

Doch diese Fieberglut ist längst verflogen,
Und ruhige Vernunft zurückgekehret.
Nun sie zu mir hat Liebe angezogen,

Doch ihre Neigung meine Kälte mehret.
Der Schleier rollte vor den Augen nieder,
Enttäuscht, so wie sie ist, seh' ich sie wieder.

Aus: Sonette von Wilhelm von Humboldt
Berlin Druck und Verlag von Georg Reimer 1853 (S. 72)

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Macht der Liebe

Der Mensch wohl sinnt und regt sich in Gedanken,
Und setzet seinem Forschen keine Schranken;
Bis an des Weltalls Grenze möcht' er dringen,
Und tausend Dinge vor die Seele bringen.

Doch wenn er Liebe fühlt die Brust umranken,
Auf einmal alle tausend Dinge schwanken,
Er fühlt nur Eins, kann nur nach Einem ringen,
Nur das geliebte Bild im Geist umschlingen.

Und diese dicht verschlossne Blütenfülle,
Die nichts entfaltet aus der zarten Hülle,
Das Höchste ist, was Menschensein erstrebet;

Von dem, was des Gemüthes heilge Stille
Da in geheimer Ahndung tief durchbebet,
Der Mensch bis zu des Grabes Rande lebet.


Aus: Sonette von Wilhelm von Humboldt
Berlin Druck und Verlag von Georg Reimer 1853 (S. 95)

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Vereinigung

Wenn einst der Erde dumpfe Nebel sinken,
Die Augen sich, des Tages müde, schließen,
Und auf des Leibes Grabe Blumen sprießen,
Wird reinen Aetherduft die Seele trinken.

So geht die Sage, und der Sterne Blinken,
Die freundlich nieder uns vom Himmel grüßen,
Wird sie mit seinem Stralenlicht umfließen;
Schon jetzt sie zu im Leid uns Hofnung winken.

Doch wie sich Dasein pilgernd stets erneuet,
Des Busens Sehnsucht keine Ruh gewähret,
Und wenn der Mensch nicht weilet mehr auf Erden,

Er süßer ahndendes Verlangen nähret,
Von irdischem, geschiednem Sein befreiet,
Mit dem, was er geliebt hat, Eins zu werden.


Aus: Sonette von Wilhelm von Humboldt
Berlin Druck und Verlag von Georg Reimer 1853 (S. 96)
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Die glückliche Zeit

Wie Einer Sonne alles Licht entquillet,
In das am Tag sich Erd' und Himmel hüllet,
Ein Mond, mit dem sich ihre Stralen gatten,
Erhellt mit sanftem Schein die nächtgen Schatten;

So Eine Zeit, die mich mit Wonne füllet,
Und mir des Busens tiefe Sehnsucht stillet,
Läßt mich, sonst in Entbehrung lebenssatten,
Durch ihren fernen Schimmer nicht ermatten.

Da sie in aller Schönheit Reife prangte,
Und sie verbanden gleichgestimmte Triebe
Mit mir zuerst in schwesterlicher Liebe;

Drauf Jovis Stern trat zu des Löwen Herzen,
Und nun mit tiefem Glück, mit süßen Schmerzen,
Der eine nach dem anderen verlangte.

Aus: Sonette von Wilhelm von Humboldt
Berlin Druck und Verlag von Georg Reimer 1853 (S. 102)

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Letztes Eigenthum

Der Mensch, was er besitzt und wirkt, verlassen
Auf Erden muß, und nichts hilft ihm zu wähnen,
Den Nachruhm über's Grab hinaus zu dehnen,
Wenn wenig Bretter ihn des Sarges fassen.

Das, was ihm bleibt, sein Lieben ist und Hassen,
Des Busens tief unausgesprochnes Sehnen,
Was theuer er erkauft mit Schmerz und Thränen;
Was Zeit nicht tilgt, Geschlechter nicht verprassen.

Wenn um ihn schrumpft in Nichts die Welt zusammen,
Währt fort des Geistes unzerstörbar Flammen,
Und wenn er, wie auf Vesta's heilgem Heerde,

Mit stiller Treue diese Flamme nähret,
Die sich im Wandel keines Seins verzehret,
Verläßt er, weisem Pilger gleich, die Erde.

Aus: Sonette von Wilhelm von Humboldt
Berlin Druck und Verlag von Georg Reimer 1853 (S. 104)

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Kein süßres Wort

Die Sprache hat kein süßres Wort erfunden,
Als wenn vertraulich Du die Lippen sagen,
Bald zuversichtlich nach beglückten Stunden,
Bald schüchtern, wenn sie's, kaum erst hoffend, wagen.

Denn was je mit dem Andren wird verbunden
An seligem Gefühl in Wonnezagen,
Wird in die Eine Sylbe eingewunden,
Wie Blumenstrauß, den Mädchenbusen tragen;

Und diese goldenduftge Blütenfülle
Wird auf das eigne Wesen dann bezogen,
Dem Du entspricht ein Ich; man fühlt ein Wogen

Von Trunkenheit in heilger Wonne Stille.
Denn Du und Ich, zu Wir vereint zusammen,
Hebt über der Gestirne Aetherflammen.


Aus: Sonette von Wilhelm von Humboldt
Berlin Druck und Verlag von Georg Reimer 1853 (S. 110)

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Die Anmuth

Die Anmuth, die tief aus der Brust entspringet,
In sanfte Herzensgüte sich ergießet,
Und wenn die Lippe redend sich erschließet
Holdselig den Gedanken zart umschlinget, -

Die aus dem Ton der Stimme wiederklinget
Und aus dem Blicke mild entgegengrüßet,
Frei aus dem Tiefesten des Wesens sprießet,
Und niemals mühevoll mit Absicht ringet: -

Die war das Element, in dem sie lebte;
Wie einfach blüht versteckte Wiesenblume,
Bewahrte sie im innren Heiligthume

Der Unschuld Schatz und der Gefühle Fülle,
Daß sie in reiner, unentweihter Stille
Den reichen Teppich der Gedanken webte.


Aus: Sonette von Wilhelm von Humboldt
Berlin Druck und Verlag von Georg Reimer 1853 (S. 128)

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Wurzeln und Zweige

Wenn man die Zweige, die dem Baum entsprießen,
Den Stamm umkehrend, in die Erde senket,
Und ihn aus frischem Quelle nährend tränket,
Als Wurzeln tief sie in den Boden schießen.

Denn Luft und Licht, die freundlich sie umfließen,
Den Blättern Farb' und Form und Frische schenket,
Doch wenn die Tiefe zu sich hin sie lenket
Sich ihre Schatten falb um sie ergießen,

So mir auch süße Lebenswonne blühte,
Als mir an ihres Busens mildem Frieden
Der Glanz beglückter Tage heiter glühte.

Doch jetzt ich meine grün umsproßten Zweige,
Da sie ist aus dem Kreis des Lichts geschieden,
Als Wurzeln zu der Nacht der Tiefe neige.

Aus: Sonette von Wilhelm von Humboldt
Berlin Druck und Verlag von Georg Reimer 1853 (S. 132)

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Frauenliebe

Wie Blumenstaub auf Lilienblättern lieget,
Und seinen Duft weit in die Luft verstreuet,
In Frauen also, zart und unentweihet,
Ist Neigung, die die Seele leis anflieget.

Sonst sich die Brust in schöner Ruhe wieget,
Und Denken sonnenklar an Denken reihet,
Dem Himmelslicht die Schwanenreinheit leihet,
Die jeder Färbung Schattenhauch besieget.

Ist auch die Neigung fein wie Nebelschleier
Gewebt, hält doch sie fest wie Demantketten.
In Weibes Treu kann man sich sicher betten,

Und was in süßer Liebe Wonneschmerzen
Ist einmal eingewachsen ihrem Herzen,
Bleibt ihr für alle Ewigkeiten theuer.


Aus: Sonette von Wilhelm von Humboldt
Berlin Druck und Verlag von Georg Reimer 1853 (S. 136)

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Der Ring

Der Reifen, der den Finger zart umschließet,
Wenn auch von Gold, ist Sinnbild einer Kette.
Doch wenn als Pfand er der Geliebten grüßet,
Wer nicht entzückt ihn dann empfangen hätte?

Er Wonne in den stillen Busen gießet,
Und folgt dem Treuen in des Grabes Bette;
Kaum Sorge je im wunden Herzen sprießet,
Von der ein Blick auf ihn uns nicht errette.

Wenn die Geliebte weilt im Schattenlande,
Verbürgt der Ring noch an des Lebens Rande,
Daß sich einander nach die Seelen ziehen,

Denn unauslöschlicher Gefühle Glühen
Und reiner Sehnsucht heilig Funkensprühen
Stets schmieden wieder neuen Schicksals Bande.


Aus: Sonette von Wilhelm von Humboldt
Berlin Druck und Verlag von Georg Reimer 1853 (S. 137)

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Kypris

Entsprungen Kypris war aus Meeres Schaume,
Aufblühend aus den leichtbewegten Wogen,
Dann durch Gespann von Schwanen-Silberflaume
Hin durch den Sonnenglanz der Flut gezogen;

Und sie empfangend an des Meeres Saume
Entführten Tauben sie zum Aetherbogen.
Da ewig wohnt sie in dem Götterraume,
Und Jovis Haupt der Tochter winkt gewogen.

Auch Erdenliebe also sich gestaltet;
Aus süßem Traum gestaltlos erst gewebet,
Sie dann in holdem Menschenbilde lebet,

Im irdschen Busen Göttliches erzeugend,
Und endlich auf zum reinen Himmel steigend,
Wo sie durch alle Ewigkeiten waltet.


Aus: Sonette von Wilhelm von Humboldt
Berlin Druck und Verlag von Georg Reimer 1853 (S. 141)

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Das Verstummen

Wenn theures Haupt wird durch den Tod entführet,
Was da das Herz mit tiefrem Schmerze rühret,
Daß nicht die Stimme mehr das Ohr entzücket?
Das Auge die Gestalt nicht mehr erblicket?

Der Sehnsucht Glut die Stimme heftger schüret,
Und nie der Ton dem Ohre sich verlieret,
Ist er, verstummt, auch lange ihm entrücket,
Erinnrung aus dem Grab herauf ihn schicket.

Er ist der Seele eigentliches Leben,
Und wieder in der Seele Tiefen dringet,
Und was geheimnißvoller Schleier decket,

Zu neuem, wonnevollen Dasein wecket.
O möcht' in stiller Nacht er, leis beschwinget,
Her mir von unsichtbarer Lipp' auch beben.


Aus: Sonette von Wilhelm von Humboldt
Berlin Druck und Verlag von Georg Reimer 1853 (S. 151)

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Das Verschwinden

Doch sehnsuchtsvoll nach dem geliebten Bilde
Das Herz sucht wieder dann in andren Stunden,
Und glaubt zu heilen seine tiefen Wunden,
Kehrt' es nur einmal in des Lichts Gefilde.

Der seelenvollen Züge Engelsmilde
Ließ sonst von jedem Leid es gleich gesunden;
Nun ist auf ewig sie dahin geschwunden,
Dient ihm nicht mehr zum sichren Lebensschilde.

Wenn auch die Lippen waren fest geschlossen,
Drang doch der Blick mit süßer Himmelswonne
Tief in die Brust, und wie von Frühlingssonne

Sich seine Stralen über sie ergossen.
Denn in der sprachlosen Gefühle Schwunge
Von selbst verstummete beschämt die Zunge.


Aus: Sonette von Wilhelm von Humboldt
Berlin Druck und Verlag von Georg Reimer 1853 (S. 152)

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Der Morgengruß

Wohl anmuthsvolle Morgen kann es geben,
Die hold das Sonnenkind, den Tag, beginnen,
Wo man mit frischem Geist und regen Sinnen
Glaubt anzufangen himmlisch neues Leben.

Doch schönere herauf nie werden schweben,
Als meiner Jugend Glück ließ mich gewinnen.
Wie Jahre hin nach langen Jahren rinnen,
Wird mir entgegen stets die Stimme beben.

Wenn sie in meine Kammer kam gegangen
Und schloß die Thüre, die sie zu mir führte,
Und dann ihr: Morgen, Bill! so frisch mir sagte,

Dann wahrhaft es in meinem Busen tagte,
Und Flammen sie mir, ewig lodernd, schürte,
Die jetzt mit Thränen netzen meine Wangen.


Aus: Sonette von Wilhelm von Humboldt
Berlin Druck und Verlag von Georg Reimer 1853 (S. 166)

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Petrarca

Petrarca, den der Liebe Dichter nannte
Die Welt, die wahre Liebe doch nicht kannte;
Sie oft ihm heißt ein menschlich süßes Irren,
Wahnbilder ihm den klaren Sinn verwirren.

Den Stral der Wahrheit mir ein Gott erst sandte,
Als Liebe sich erbarmend zu mir wandte.
Erst da befreit von blöder Augen Flirren,
Sah ich nicht mehr mich Weltgebild' umschwirren.

Erhabnere und reinere Gestalten
Dem wüsten Chaos sonnenhell entstiegen,
Und alle Stürme der Begierden schwiegen

Vor höheren Gefühles heilgem Walten,
Denn Liebe, süß vermählt mit stiller Treue,
Gab jeder Erdenregung Himmelsweihe.

Aus: Sonette von Wilhelm von Humboldt
Berlin Druck und Verlag von Georg Reimer 1853 (S. 171)

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Der Liebe Gewinn

Enttäuschen mag man sich von Erdenfreuden,
Nur von der Liebe darf man nie sich trennen;
Ihr heilig tief im reinen Busen Brennen
Ist schon vom niedren Staub der Erde scheiden.

Denn alle Götter ihre Zauber geuden
In Menschenherz, das sein kann Liebe nennen,
Und lieben heißt das Göttliche erkennen
Und Schmerz und Tod für dies Erkennen leiden.

Im Bild nur des Geliebten ist ihr Leben,
Was sie umgiebt, zieht sie in seine Kreise,
Und schließt das All mit ihm in Eins zusammen.

Drum nichts kann sie aus ihren Angeln heben,
Und auf des Daseins nachtumhüllter Reise
Ihr Lichtstral sind der eignen Gluten Flammen.


Aus: Sonette von Wilhelm von Humboldt
Berlin Druck und Verlag von Georg Reimer 1853 (S. 188)

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Die erste Liebe

Unzählige Jahre hat mich Brama's Gnade
Geführet durch die Seele vieler Frauen;
Nach jedem Tode mußt ich Leben schauen,
Und wieder gehn der Erde dunkle Pfade;

Viel Loose zog ich aus des Schicksals Rade,
Oft sah' ich Freuden meinen Weg umthauen,
Oft mußt ich hartem Mann mich anvertrauen,
Daß auf mich Schmerz und saure Müh' er lade.

Die Freuden nun, die Leiden sind verschwunden,
Seit mich hat Indra's Himmel aufgenommen,
Wie schwerer Traum davon mir vor nur schwebet.

Doch Ein Bild deutlich stralend in mir lebet,
Und niemals wird aus meiner Seele kommen:
Der Mann, mit dem ich ward zuerst verbunden.


Aus: Sonette von Wilhelm von Humboldt
Berlin Druck und Verlag von Georg Reimer 1853 (S. 197)

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Fatme

Es ist sein Grab, es passen alle Zeichen.
Ich habe glücklich nun den Punkt gefunden,
Von wo die Sehnsucht, frei und losgebunden,
Kann den Geliebten, Brust an Brust, erreichen.

Denn wenn der Erde Nebeldünste weichen,
Genesen aller Trennung bittre Wunden,
Und überselger Ewigkeiten Stunden
In Nähe des Geliebten süß verstreichen.

Schlaft, theure Kinder, ungestörten Schlummer,
Und du, der immer gütig mich behandelt,
Nicht deinem Weibe, daß sie gehet, zürne.

Geachtet hat sie nicht des Herzens Kummer,
Ist stets vor dir in treuer Pflicht gewandelt,
Jetzt küßt sie, scheidend, leise dir die Stirne.

Aus: Sonette von Wilhelm von Humboldt
Berlin Druck und Verlag von Georg Reimer 1853 (S. 201)

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Venus

Aus Schaum bist, Venus, du hervorgegangen,
Der auf des Meeres lichter Welle sprühet;
So unentwickeltem Gefühl entblühet
Der Liebe zartaufkeimendes Verlangen,

Der Busen fühlet plötzlich sich gefangen,
Doch weiß zu nennen nicht, was an ihn ziehet;
Denn der Gedanke und die Sprache fliehet,
Wenn dieser innren Stimme Töne klangen.

Erst in des ruhigen Besitzes Stunden,
Wenn das Gefühl hat klar sich losgewunden,
Versunken nicht mehr in dem wachen Traume,

Entfaltet es sich, gleich des Himmels Raume,
Und aus der Nacht, in die es sich verloren,
Hebt sich ein Götterbild, wie neugeboren.


Aus: Sonette von Wilhelm von Humboldt
Berlin Druck und Verlag von Georg Reimer 1853 (S. 214)

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Der süße Traum

Ich sah sie heut im Traume mit den Zügen,
Die Leben malen, nicht es täuschend lügen;
So trat sie aus der Thüre mir entgegen,
So sah den Blick ich sie nach mir bewegen.

O kann ein Traum in Seligkeit so wiegen,
Und die Vertilgungskraft der Zeit besiegen,
Daß der Vergangenheit verschwundner Segen
Sich um die wunde Brust kann schmeichelnd legen?

Ihr heilgen Nächte, bleibet mir gewogen,
Und mich mit euren Geistertritten führet,
Wo lebensathmend mich ihr Bild umschwebet;

Mein Geist dann überselig Leben lebet,
Wie noch vom Hauch der Gegenwart berühret,
Und hier schon zu den Schatten hingezogen.

Aus: Sonette von Wilhelm von Humboldt
Berlin Druck und Verlag von Georg Reimer 1853 (S. 215)

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Entfärbtes Leben

Ich kann mich nicht an deinem Anblick weiden,
Mit Schmerz seh ich dich, Sonne, niedersinken
Und glühend heiß des Meeres Kühle trinken;
Mit Nebelflor umziehet mich dein Scheiden.

Die Nacht verdoppelt meiner Sehnsucht Leiden,
Die Sterne Wehmuth mir hernieder winken
Und meinem Busen stille Zeugen dünken,
Daß nie mir wieder blühn des Lebens Freuden.

Auf welchem Boden sollten sie mir sprießen,
Da, die kein Stral des Erdenlichts durchdringet,
Woher kein Ton je süßer Antwort klinget,

Mein Glück die stillen Schatten in sich schließen,
Und aus den lebenabgeschiednen Räumen
Sein Bild nur schwankend kehrt in dunklen Träumen?


Aus: Sonette von Wilhelm von Humboldt
Berlin Druck und Verlag von Georg Reimer 1853 (S. 219)

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Macht der Liebe

Wenn man geliebt sich tief und innig fühlet,
Wird man berührt kaum von der Erde Schmerzen;
Ihr Glühn mit hehrer Glut die Liebe kühlet,
Und Unglück wohnt nicht in geliebtem Herzen.

Ob in den Busen auch sich Kummer stiehlet,
Läßt seinen Himmel nicht der Mensch sich schwärzen,
Wenn einmal er das höchste Loos erzielet,
Und tausend süße Freuden ihn umscherzen;

Wenn er in Tageslast sich abgemühet,
Dann in der Liebe Arm vertrauend fliehet,
Und reichlich nimmt, was er gewähret, wieder.

Es hebt ihn der Begeistrung Schwangefieder,
Wohin der Liebe Stern ihn stralend ziehet,
Wo er vernimmt der Unschuld Wiegenlieder.

Aus: Sonette von Wilhelm von Humboldt
Berlin Druck und Verlag von Georg Reimer 1853 (S. 222)

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Traumbild der Liebe

Ich sah im Traum, was nie ihr, Augen, sehet,
Wann ihr euch wachend zu dem Lichte drehet.
Ich war entzückt vom engelschönen Bilde,
Es mir begegnete mit Himmelsmilde,

Oft wann der nächtgen Schatten Fittig wehet,
Das Bild zu mir mit stillen Schritten gehet
Der, die bei Tag mich schützt mit Geisterschilde,
Und Nachts mich führt in seliges Gefilde.

Und dann, wann sich der Geist hat losgewunden
Von dem was ird'schen Anblick hält gebunden,
Erscheinet sie in den gewohnten Zügen,

Die nun dem Leben ewig sind entschwunden,
Allein empor im Traum lebendig fliegen,
Und süß in Täuschung treue Liebe wiegen.

Aus: Sonette von Wilhelm von Humboldt
Berlin Druck und Verlag von Georg Reimer 1853 (S. 224)

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Blumen und Sterne

Wenn man ein anmuthreiches Thal sich denket,
Mit tausend duftgen Blumen angefüllet,
Von denen jede farbgen Reiz enthüllet,
Mit Perlen von des Himmels Thau getränket;

Wenn man den Blick zum nächtgen Himmel lenket,
Wo stralend Licht aus tausend Sternen quillet,
Und Licht und Nacht der Seele Sehnsucht stillet
Die gern sich in der Schatten Tiefe senket;

Kann man in beiden Bildern sie erkennen,
Die meine Lippen bang vermischend nennen,
Von jedem weiblich holden Reiz umblühet,

In sanften Frohsinns seelenvollem Scherze,
Doch mehr noch heimisch da in Ernst und Schmerze,
Wohin das Göttlichste den Menschen ziehet.

Aus: Sonette von Wilhelm von Humboldt
Berlin Druck und Verlag von Georg Reimer 1853 (S. 225)

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Der letzte Traum

Ich lag umschwebt von süßen Morgenträumen,
Da ward ich wider Willen aufgewecket,
Und lang nun hin der öde Tag sich strecket,
Die lieben Sternlein zu erscheinen säumen.

Und doch die schönsten Blüten nur entkeimen
Der Brust, wenn sie die goldne Ruhe schmecket,
Der Schlummer sie mit zartem Schleier decket,
Und Tag und Licht ihr Recht der Nacht einräumen.

Wenn aber reißt im Tod des Daseins Faden,
Dann wird das Leben wieder selbst zum Traume,
Allein zu Traum, der leer verfliegt in Schaume;

Das Träumen, zu dem Lieb' und Sehnsucht laden,
Zeigt den in Erdenschlaf gebundnen Blicken
Ein tief dem Busen bleibendes Entzücken.


Aus: Sonette von Wilhelm von Humboldt
Berlin Druck und Verlag von Georg Reimer 1853 (S. 228)

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Gewählte Gesellschaft

Nichts hin mich zu den Menschen jemals ziehet,
Und gern ich fern von ihren Pfaden bleibe;
Muß ich sie sehn, ich mich nicht thöricht sträube,
Doch fühle etwas in mir, das sie fliehet.

Mein Glück mir still im tiefen Busen blühet,
Sorglos um leer verwirrtes Weltgetriebe,
Und wie des Mondes nachtbedeckte Scheibe,
Bin ich, dem Blick mich zu entziehn, bemühet.

Doch die der Brust Gefühle mit mir theilen,
Wenn sie auch nicht mehr auf der Erde weilen,
Derselbe Kreis der Einsamkeit umschlinget;

Denn ohne Liebesglut verwandter Herzen,
Die Süßigkeit der Einsamkeit nur Schmerzen
Und unbefriedigte Verlangen bringet.


Aus: Sonette von Wilhelm von Humboldt
Berlin Druck und Verlag von Georg Reimer 1853 (S. 229)

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Der Morgen des Glücks

Im kleinen Raum von Erfurts reichen Auen
Bis wo aus Schwarzburgs engem Fichtenthale,
Sich lieblich windend, rauschend strömt die Saale,
Vermocht' ich wohl mein keimend Glück zu schauen.

Ich sah den Morgen dort des Lebens grauen,
Wenn Morgen heißet, wenn zum erstenmale
Hernieder aus der Liebe goldner Schaale
Dem Geist des tiefen Sinnes Perlen thauen.

Denn die der Kranz des Dichterpreises schmückte,
Die beiden strahlverwandten Zwillingssterne,
Die spät noch glänzen in der Zukunft Ferne,

In Freundesnähe mir das Schicksal rückte,
Da Bande, die von Liebe süß gewoben
Empor mich, wie auf lichter Wolke, hoben.


Aus: Sonette von Wilhelm von Humboldt
Berlin Druck und Verlag von Georg Reimer 1853 (S. 234)

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Das Bild im Herzen

Nie wird die ewge Liebe von mir weichen,
Die ich die Brust mir fühle sanft umthauen;
Ich kann mit Zuversicht der Holden trauen,
Sie gab davon mir nimmer trügend Zeichen.

Gefühle wohl vergehen, Bilder bleichen,
Doch was der Busen, klar und hell zu schauen,
Durchs ganze Leben strebte aufzubauen,
Das kann des Wahns Vergänglichkeit nie gleichen.

Und in mir dieser Liebe Bild ich trage,
So weit zurück mein erstes Denken gehet.
Zuerst erschien es mir, wie ferne Sage,

Dann stieg zur Erde es mir sichtbar nieder,
Und nun, da es mir ist verschwunden wieder,
Der Hauch mich der Erinnrung süß anwehet.

Aus: Sonette von Wilhelm von Humboldt
Berlin Druck und Verlag von Georg Reimer 1853 (S. 237)

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Sehnsucht der Liebe

Die Nacht des Todes aus vom Körper gehet,
Wenn, der ihn hält als Wohnung der Gedanken,
Der Einklang nicht harmonisch mehr bestehet,
Und jeder Urstoff tritt aus seinen Schranken.

Die Seele, wenn ihr Himmelshauch gleich wehet,
Und wenn sie, ohne irdisch schwaches Wanken,
Sehnsüchtig nach dem ewgen Licht sich drehet,
Will still doch den Gefährten treu umranken,

Der sie des Lebens Laufbahn hat geführet,
Und ihrer Kräfte Glühen oft geschüret.
Doch nun, was soll die Einsame umfassen?

Sie kann der Liebe Sehnsucht nur vertrauen,
Und auf die tiefgefühlte Wahrheit bauen,
Daß sich verwandte Geister nicht verlassen.

Aus: Sonette von Wilhelm von Humboldt
Berlin Druck und Verlag von Georg Reimer 1853 (S. 240)

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Zwischen Leben und Tod

Ein Augenblick, wenn sich die Augen schließen,
Vom Lebenden den Todten schneidend trennet,
Und keine Sprache Kluft, die mächtger, nennet,
Als die des Stroms, der zwischen ihnen fließet.

Es ist der Strom, der schweigend sich ergießet,
An einer Küste noch die Erde kennet,
Doch da, wo aller Sonnen Urlicht brennet,
Die andere in Aetherferne grüßet.

Drum deren Leben sich in Gram fortspinnet
Um die, die nicht mit ihnen hier mehr weilen,
Nur Sehnsucht treibet nach des Grabes Frieden.

Denn dann der weite Trennungsstrom verrinnet,
Sie können der Geliebten Nähe theilen,
Sind nicht mehr durch Unmöglichkeit geschieden.

Aus: Sonette von Wilhelm von Humboldt
Berlin Druck und Verlag von Georg Reimer 1853 (S. 242)

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Erinnrungsweihe

Wie in der Kinder lieblichem Geleite,
Sie einst anmuthig hin an meiner Seite
Ging durch die Straßen Roms und Vorzeitstrümmer,
Malt sie dies Köpfchen hier im trauten Zimmer,

Still glücklich, wie die holdeste der Bräute
Bald nach dem Tag, der ihr Bündniß weihte,
In schön erblühter Jugend mildem Schimmer,
Dem süßgegebnen Worte treu auf immer.

Wenn mich die Einfachheit des Bildes rühret,
Fühl' ich, daß, was ich tief und still genossen,
Dahin ist in den Strom der Zeit geflossen,

Der nie zurück es meiner Sehnsucht führet.
Doch ewig dauernd die Erinnrung lebet,
Und dämmernd noch des Todes Nacht umschwebet.

Aus: Sonette von Wilhelm von Humboldt
Berlin Druck und Verlag von Georg Reimer 1853 (S. 247)

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Ihr Bild

Ums dunkle Haar den Schleier leicht geschlagen,
Dein tiefes Auge aus dem Bilde blicket.
Wenn auch nicht jeder Zug dich nah uns rücket,
Sieht man dich lebend doch in jenen Tagen,

Wo Roma's Wunder offen vor dir lagen,
Wo du das Höchste sinnvoll still gepflücket,
Und an des Südens Himmel dich erquicket,
Um Rückkehr zu dem rauhen Nord zu wagen.

Denn Liebe zu Hesperiens Zauberblüthe
Verdrängte nicht in dir aus dem Gemüthe
Zum Vaterland die sichre, ewge Treue.

Dein stiller Sinn genügsam in ihm lebte,
Und Großes um dich her geräuschlos webte
Zu Erdenheiterkeit und Himmelsweihe.

Aus: Sonette von Wilhelm von Humboldt
Berlin Druck und Verlag von Georg Reimer 1853 (S. 248)

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Lenore

Lenore sah in schwerem Traumgesichte,
Wie sie zum Grab auf wildem Rappen führte
Ihr Wilhelm, und mit Todeshand berührte,
Zu ihres Zweifelmuthes Strafgerichte.

Die Aermste hing mit irdischem Gewichte
An ihm, der ihrer Liebe Flammen schürte,
Und lauter, als es Christenscheu gebührte,
Erhub sie Klage zum urewgen Lichte.

Doch Ruhe wird ihr bei den dunklen Schatten,
Und ihrer Sehnsucht innig Streben sieget,
Da sie mit Dem vereint im Grabe lieget,

Den sie im Leben nicht umfaßt als Gatten.
Denn für getreuen Busens reine Flammen
Ist Himmel nur, wo Liebe weilt beisammen.


Aus: Sonette von Wilhelm von Humboldt
Berlin Druck und Verlag von Georg Reimer 1853 (S. 256)

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Thekla

Nicht Dolche durch die zarte Brust ihr drangen,
Nicht Becher, giftgefüllt, hat sie geleeret,
Ihr Leben hat nicht langsam Gram verzehret,
Kühn ist sie dem Geliebten nachgegangen.

Wenn alle Kräfte, sehnend, Tod verlangen,
Das höchste Leben aus sich Tod gebäret,
Und die Natur zu sprengen dann nicht wehret
Des Lebens Fessel durch der Seele Bangen.

Sie will noch einmal liebend Den umarmen,
An dem nicht mehr kann ihre Brust erwarmen,
Und sterben dann im letzten langen Kusse,

Das Schicksal seiner treuen Schaaren theilen,
Wohin er ging, an gleicher Stätte weilen,
Sei's in Vernichtung, sei's im Vollgenusse.


Aus: Sonette von Wilhelm von Humboldt
Berlin Druck und Verlag von Georg Reimer 1853 (S. 257)

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Allein

Wenn zwei Geliebte mit einander weilen,
Sie Einsamkeit von andren Menschen trennet; -
Denn Einsamkeit man es in Wahrheit nennet,
Wenn Zwei in Ein Gefühl sich selig theilen, -

Sie jedem Schicksal stark entgegen eilen,
Begeistert durch die Glut, die liebend brennet,
Und alle Wunden, die das Leben kennet,
In dieser Abgeschiedenheit sie heilen.

Nicht zwei sie nennt. Wenn Liebe je erwärmet,
Sie nur geschieden hier auf Erden scheinen;
Doch in den tiefsten Wesen der Naturen

Sie unauflöslich Geist und Sinn vereinen,
Und alle Seligkeit der Liebe schwärmet
Still im Entdecken dieser Einheitsspuren.

Aus: Sonette von Wilhelm von Humboldt
Berlin Druck und Verlag von Georg Reimer 1853 (S. 262)

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Höchster Lebensgewinn

Wo Friedrich Barbarossas Reuter zogen,
Zog ich in meines Glückes Jugendtagen,
Doch dacht' ich wenig jener dunklen Sagen,
Die längst hinweggespült der Zeiten Wogen.

Mir vom Geschick war Schönres zugewogen,
Ich durft' im Busen himmlisch Wesen tragen,
Und fühlen Herz an Herz in Liebe schlagen;
Nur diesem Ziel zu meine Schritte flogen.

Aus jenen sehnsuchtsvollen Jugendwegen
Ist mir erblüht des ganzen Lebens Segen
In allen Wandels lieblichen Gestalten;

Denn von der Jungfrau üppig holder Blüthe
Sah bis zum Tod im herrlichen Gemüthe
Ich jede Schönheit göttlich sich entfalten.

Aus: Sonette von Wilhelm von Humboldt
Berlin Druck und Verlag von Georg Reimer 1853 (S. 268)

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Der innigste Wunsch

Wenn sehnsuchtsvoll nach etwas wird gerungen,
Ist's nicht Begierde bloß, es zu empfangen,
Es ist ein grundursprüngliches Verlangen,
In das die ganze Seele ist verschlungen.

Von Sehnsucht ist der Busen tief durchdrungen,
Wenn süßen Liebeglühens zartes Bangen
Erröthend färbt der Jungfrau holde Wangen,
Wenn ihr der Gegenliebe Wort geklungen.

Mit Sehnsucht wünscht man sich zum Schooß der Erde,
Daß Staub zu Staub und Geist zu Geiste werde,
Und Himmlisches von Irdischem sich trenne;

Allein am heftigsten die Sehnsucht glühet,
Daß, was das Erdenlicht, als Schatten, fliehet,
In Himmelslicht sich liebend wiederkenne.


Aus: Sonette von Wilhelm von Humboldt
Berlin Druck und Verlag von Georg Reimer 1853 (S. 269)

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Die Römerin

Das Römermädchen flicht zum Knauf die Haare,
Und steckt mit langer Nadel sie zusammen,
Den Sitten treu, die von den Vätern stammen
Durch langgedehnte Reihe grauer Jahre.

Der Jüngling fest die Treue ihr bewahre;
Wenn ihre Augen erst in Thränen schwammen,
Entlodern ihrer innren Gluten Flammen,
Daß sie ihm nicht der Nadel Wunde spare.

Denn Liebe nahe ist dem Tod verbunden,
Da sich in sie das ganze Dasein schlinget.
Wenn sie das vollste Glück der Brust gegeben,

Was soll dem Glücklichen das schaale Leben?
Wenn sie zur kühnsten Höhe still sich schwinget,
Ist unter ihr die Erde schon verschwunden.

Aus: Sonette von Wilhelm von Humboldt
Berlin Druck und Verlag von Georg Reimer 1853 (S. 276)

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Das Hauskleid

Am liebsten ich mein aschgrau Hauskleid trage,
Als Zeichen innerlich zufriedner Stille,
Es wird mir so bedeutungsvolle Hülle,
Und zeigt, daß ich nach Putz und Schmuck nicht frage.

Denn wie ich das Gewand nur um mich schlage,
Daß einfach es der Glieder Bau umquille,
Zieht sich auch meiner Brust Empfindungsfülle
Einsam zurück vom laut umrauschten Tage.

Und innig werd' ich doch vom Dem verstanden,
An den geknüpfet ich mit ewgen Banden
Hin durch des Lebens stille Gründe gehe;

Und daß mich keiner außer ihm verstehe,
Der Liebe Odem einzig mich umwehe,
Davor längst alle andren Wünsche schwanden.

Aus: Sonette von Wilhelm von Humboldt
Berlin Druck und Verlag von Georg Reimer 1853 (S. 278)

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Sichere Fahrt

An deiner Schöne weid' ich die Gedanken,
Da mir die Bilder, die aus lichter Ferne
Herleuchten, wie des Himmels nächtge Sterne,
Nie vor der Seele, nebeldämmernd, schwanken.

Empor die heiligsten Gefühle ranken
An ihnen, wie an festem Weltenkerne,
Und so mit jedem neuen Tag ich lerne,
Daß Liebe Seligkeit giebt ohne Schranken.

Wenn, abgestoßen auch vom Erdgestade,
Das Lebensschiff verfolgt unsichre Pfade,
Wo dunkles Ahnden nur die Richtung leitet,

Sie einzig nur auf die Geliebte schauend,
Und des Gefühles heilger Macht vertrauend,
Doch Steuer sich und Anker selbst bereitet.


Aus: Sonette von Wilhelm von Humboldt
Berlin Druck und Verlag von Georg Reimer 1853 (S. 279)

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Die Schönheit

Die Schönheit ist der Menschheit höchste Blüthe;
Wenn sie, wie Hauch, nur die Gestalt umschwebet,
Gediegen sie hervor doch sinnig strebet
Aus dem von ihr durchstraleten Gemüthe.

Verein von Geiste, Reinheit, Seelengüte
Ein irdisch reich beglückend Dasein webet;
Doch wo die Allgewalt der Schönheit lebet,
Ists, als wenn Stral dem Himmel selbst entsprühte.

Sie faßt in Eine Knospe fest zusammen,
Worin sich Erd und Himmel hold umschlingen,
Und sendet ihre aetherreinen Flammen,

Daß in die tiefste Brust sie lodernd dringen,
Und sie, befreit von dumpfem Erdenmühen,
Zu freiem Aufschwung kräftigend, durchglühen.

Aus: Sonette von Wilhelm von Humboldt
Berlin Druck und Verlag von Georg Reimer 1853 (S. 280)

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Jenseits

Kann jemals sich von dem Gefährten trennen
Die Seele, und getrennt für sich bestehen,
Die, nur belebt von seines Odems Wehen,
Ist seiner Fibern Götterklang zu nennen?

Hier scheitert unser lichtvolles Erkennen,
Den Glauben hemmet, was wir deutlich sehen,
Und wenn wir hoffend durch das Leben gehen,
Lockt uns des Busens heißes Sehnsuchtbrennen.

Die ahnende Gewalt, die in uns lebet,
Mit Wahrheitskraft empor zum Aether strebet,
Und reißt uns fort, ihr sicher zu vertrauen;

Die Liebe kann, verheißend, nimmer trügen,
Ihr stilles Neigen muß den Stoff besiegen,
Wir müssen wieder, was wir selbst sind, schauen.


Aus: Sonette von Wilhelm von Humboldt
Berlin Druck und Verlag von Georg Reimer 1853 (S. 285)

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Jenseits

Das Dasein kann an neues Sein sich binden,
Wie Bach zum Strom und Strom zum Meere schwillet;
Doch wird das tiefe Sehnen nur gestillet,
Wenn man kann wieder das Gewohnte finden.

Des Wesens Würd' und Anmuth sich verkünden
In der Gestaltung, die sie hold umhüllet,
Und wo im Busen heiße Liebe quillet,
Kann nur der gleiche Funke sie entzünden.

Wenn aus den schön gezognen, milden Schranken,
Die es umschreiben, muß ein Wesen schwanken,
Und sich in Allgemeinerem verlieren,

Kann nicht sein stilles Sein die Brust mehr rühren;
Es fehlt der Hauch, deß innres, heilges Wehen
Macht, daß sich Seel' und Seele leis verstehen.


Aus: Sonette von Wilhelm von Humboldt
Berlin Druck und Verlag von Georg Reimer 1853 (S. 286)

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Ein Geheimniß

Der Menschen Kunde täglich sich vermehret,
Die Sterne mißt, und Erd' und Meer durchspähet,
Doch um was sich die innre Weisheit drehet,
Liegt heute, wie die Vorzeit es gelehret.

Wie tief der Mensch auch forscht, in sich gekehret,
Ein still Geheimniß durch die Schöpfung gehet,
Und unsichtbar der Hauch der Wahrheit wehet,
Und dunkles Ahnden kaum dem Geist gewähret.

Doch an zwei Punkten alle Lösung hänget:
Was das ist, das die Seele hier umkleidet,
In Staub sich löst, in Stein zusammen dränget?

Und was ein Wesen von dem andren scheidet,
Da, die der Liebe süße Band' umwinden,
Doch Eins in zweien ewig nur empfinden.

Aus: Sonette von Wilhelm von Humboldt
Berlin Druck und Verlag von Georg Reimer 1853 (S. 294)

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Gefiederte Sänger

Die Vögel trillern ihre muntren Lieder,
Daß weithin Feld und Wald davon erklinget;
Wie in die Lüfte hoch ihr Flug sich schwinget,
Tönt noch melodischer ihr Zwitschern nieder.

Denn eng verknüpft sind Stimme und Gefieder;
Kein Thier, das frei nicht durch die Lüfte dringet,
Des Liedes Weihe dar dem Himmel bringet,
Einförmger Ruf nur schallet von ihm wieder.

Doch auch der Vögel glückliche Geschlechte
Genießen des Gesanges heilge Rechte
Nur, wenn der Liebe Trieb sie süß begeistert.

Wenn diese Augenblicke sind verschwunden,
Die von der Thierheit Fesseln sie entbunden,
Dann dumpfe Stummheit ihrer sich bemeistert.


Aus: Sonette von Wilhelm von Humboldt
Berlin Druck und Verlag von Georg Reimer 1853 (S. 295)

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Heimfahrt

So sind die flücht'gen Jahre denn vergangen,
Wo meine Seele Kummer nie getrübet,
Wo, liebend, wieder inniglich geliebet,
Ich reines Glück aus güt'ger Hand empfangen.

Jetzt glüht nicht Freude mehr auf meinen Wangen,
Das Menschenschicksal hat sein Recht geübet,
Es nimmt zurück die Gaben, die es giebet,
Und löst die Arme, die sich treu umschlangen.

Des Schiffes Segel ist schon aufgezogen,
Das mich zur Küste gegenüber träget,
Vom Wind umspielt sein Wimpel flatternd wehet.

Ob auch die Fahrt durch nächtge Wellen gehet,
Wenn nur dieselbe Hand mein Loos dort wäget,
Die hier mir Seligkeiten zugewogen.

Aus: Sonette von Wilhelm von Humboldt
Berlin Druck und Verlag von Georg Reimer 1853 (S. 305)

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Hofnungslose Sehnsucht

Warum willst Sehnsucht du, nie endend, nähren?
Die Trauer kann den Busen nie verlassen,
Man kann die Schmerzen leiden, doch nie hassen,
Nicht wünschen, ihren Becher je zu leeren.

Doch Sehnsucht ist ein eiteles Verzehren,
Worin nur Gegenwart kann, lebend, prassen;
Will sie mit Geisterarmen Tod erfassen,
Verlangt, was keine Gottheit kann gewähren.

Ich weiß es wohl, mich Hofnungen nicht trügen,
Der Tropfen, der dahin floß, niemals kehret,
Doch der Gewalt der Sehnsucht das nicht wehret;

Sie zieht in schmerzensreichem Wonnestreben
Aus der Unmöglichkeit ihr quillend Leben,
Und wächst, je ferner ihre Güter liegen.

Aus: Sonette von Wilhelm von Humboldt
Berlin Druck und Verlag von Georg Reimer 1853 (S. 308)

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Gegenliebe

Die Liebe nährt sich wohl von Gegenliebe,
Doch wächst auch, wenn ihr diese Nahrung fehlet;
Sie nicht Erreichbares, nicht Glück sich wählet,
Stammt, selbst sich unbewußt, aus dunklem Triebe.

Wenn ihr auch nichts, als ihre Sehnsucht bliebe,
Sie nie die reichvergoßnen Thränen zählet,
Mit süßer Lust ist doch ihr Schmerz vermählet,
Wie Luna's Schimmer blickt durch Wolkentrübe.

Nur Wenigen des Busens Stärke quillet,
Des Liebesglückes Sonnenschein zu tragen,
Und diesen immer Gegenliebe blühet,

Denn Himmelsglut an Himmelsglut erglühet;
Die Meisten nur gedeihn im Morgentagen,
Von trübendem Gewölbe bald umhüllet.


Aus: Sonette von Wilhelm von Humboldt
Berlin Druck und Verlag von Georg Reimer 1853 (S. 311)

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Die Ewiggütige

Wenn ich der Ewiggütigen gedenke,
Die mich begleitet süß hat durch das Leben,
Ich in die schönste Wirklichkeit mich senke,
Die Menschen je auf Erden hat umgeben,

Und scheinbar nur in Wirklichkeit ich lenke
Den Blick; es ist ein himmelhoch Erheben.
An Himmelsthaue ich entzückt mich tränke,
Wenn ich des Bildes Klarheit kann erstreben.

Mit ihm durchschleiche ich des Alters Tage,
Und Seligkeit die Seele reich mir füllet,
Mein Thun ist längstverklungne Vorzeitsage,

Doch mein Genuß in ew'gem Strome quillet.
Denn wie mit unsichtbaren Geisterhänden
Fühl' ich mir ihn sie ewig gütig senden.


Aus: Sonette von Wilhelm von Humboldt
Berlin Druck und Verlag von Georg Reimer 1853 (S. 313)

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Aphrodite

Dem Meer entblühten deine holden Glieder,
Umthaut von seiner Perlenfluten Reine,
Dann goß des Himmels Pracht auf dich sich nieder:
So stralest du in magischem Vereine.

Entzückt umrauschten dich der Musen Lieder,
Dich grüßte Hebe mit dem Götterweine,
Zeus Adler sänftigte sein Glanzgefieder,
Gerührt von deiner Schönheit Wunderscheine.

Dem Menschen wurdest du der Schönheit Quelle,
Du schenktest ihm die seelenvolle Liebe;
Und wie der Strand empfängt das Bild der Welle,

So bildete sich aus dem süßen Triebe
Das, was den Menschen mit dem Gotte gattet,
Des Himmels Glanz, von Erdenreiz beschattet.

Aus: Sonette von Wilhelm von Humboldt
Berlin Druck und Verlag von Georg Reimer 1853 (S. 324)

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Licht der Liebe

In Einem Punkte sich zusammendränget
Mein Leben, wie in seiner höchsten Blüthe;
Aus ihm entsprang dem strebenden Gemüthe,
Woran es sehnend bis zum Grabe hänget,

Und bis dahin es, dunkel eingeenget,
Sein Wollen zu entziffern bang sich mühte:
Da kam mir ihre sonnenmilde Güte,
Wie Thau der Flur, die Sirius Glut versenget.

Wenn mir nun Stralen höhrer Klarheit glänzten,
Sie nur von ihres Schimmers Lichte stammten;
Denn mit den Glorien, die sie umflammten,

Die Stirn mir ihre Hände huldreich kränzten;
Was zartren Ursprungs sich in mir verkündet,
Hat ihrer Liebe Inbrunst erst entzündet.

Aus: Sonette von Wilhelm von Humboldt
Berlin Druck und Verlag von Georg Reimer 1853 (S. 329)

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Aphrodite

Das Wasser lieh mir seine dichte Hülle,
Als ich noch schlummernd lag im Meeresschaume;
Es war, ihr wißt es, Götter, nicht mein Wille,
Herauf zu steigen zu des Aethers Raume.

Wie lieblich quoll der Welle weiche Fülle
Um meine Schwanenbrust, und wie im Traume,
Genoß ich süß balsamisch duftge Stille
Dort unter dem krystallnen Flutensaume.

Hier im Olymp und auf der Menschen Erde
Von Zwist, wie der in Asche Ilion legte,
Durch Götterneid bedroht ich ewig werde.

Drum Liebe zu den Wellen fort ich hegte;
Und wo ich Künstlerphantasie anregte,
Sieht man mich meist in badender Geberde.


Aus: Sonette von Wilhelm von Humboldt
Berlin Druck und Verlag von Georg Reimer 1853 (S. 335)

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Lea

Dir war der Sturm der Leidenschaften lieber,
Als Wehmuthsschweigen tief im stillen Herzen,
Dein Wesen trieb dich in ihr kochend Fieber,
Und sandte dir verzehrend ihre Schmerzen.

Allein die Leidenschaft, die trüb' und trüber
Kann auch des Busens reinen Himmel schwärzen,
Doch läuternd geht ins ganze Dasein über,
Wie Glut die Schlacke löst von edlen Erzen,

Sie war dir fremd; bald stürmend bald beklommen,
Bist nie zum Seeleneinklang du gekommen,
Der die erhabensten der Frauen schmücket.

Viel konntest denkend, fühlend du erringen,
Doch nie dich auf zu ihrer Größe schwingen,
Nie hat dich ihre Götterruh' erquicket.

Aus: Sonette von Wilhelm von Humboldt
Berlin Druck und Verlag von Georg Reimer 1853 (S. 337)

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Jugendgedichte

Komm wieder allgütiger Mai,
Komm wieder und führ uns die Freuden der Liebe herbei!
Denn danken wir Dir nicht alleine die Freuden
Um die uns die Götter des Himmels beneiden!
Führst Du nicht die Wonn und das Glük
Das Venus und Amor verschaffen zurük?

Komm wieder allgütiger Mai,
Komm wieder und mache von Kummer uns frei!
Denn wer kann traurig noch Thränen vergiessen
Wenn rund um ihn Knospen und Blüthen spriessen,
Wenn wieder geschmückt von Mutter Natur
Entgegen ihm winket die grünende Flur.

Komm wieder allgütiger Mai,
Komm wieder, komm wieder und leih
Verjüngete Reize den einsamen Gängen
Wo oft bei der Nachtigall holden Gesängen
An Dorilis Arm mir der Abend verfloss
Wenn ich ihres würzigen Kusses genoss.

Komm wieder und schmükke mit lachendem Grün
Die Laube, wo oft von Umarmungen glühn,
Wo oft von süsserer Wollust durchdrungen
Als je eines Sterblichen Lippen gesungen
Der Wonne der himmlischen Götter so nah
Beneidend die einsame Luna uns sah!

Doch mach, dass vor allen bekleidet mit Pracht
Entgegen dem Auge das Pläzchen lacht,
Da wo bebend zuerst ich es wagte
Und dass ich sie liebte in Worten ihr sagte,
Da wo zuerst meinem jauchzenden Ohr
Laut Treue und Gegenliebe sie schwor.

Aus: Wilhelm von Humboldts Werke
Herausgegeben von Albert Leitzmann
Neunter Band: Gedichte
Berlin B. Behr's Verlag 1912 (S. 1-2)

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Gern säng' ich heute Dir ein Lied,
Ein Lied, so schön es Amarant
Je seiner Nantchen sang,
Gern säng' ich, wie mein Herz für Dich, o Freundin, glüht,
Gern sagt' ich Dir den wärmsten besten Dank,
Den ich so lange schon empfand,
Doch den in Thaten Dir zu zeigen,
Es mir an Willen nicht, nein nur an Kraft gebricht.
Allein so sehr ich zu ihm flehen mag
So will doch Phöbus nicht
Herab zu meinem Saitenspiel sich neigen;
Sag' ich ihm gleich, dass dieser Tag
Der fröhlichste für mich im Jahre ist,
Weil Du o Holde! Du an ihm gebohren bist,
Du die ein freundschaftliches Band
Seit Jahren schon mit mir verknüpfte,
An deren liebevoller Hand
Ich schon als Knab' oft hüpfte,
Mit der im Jünglingsalter oft mein Herz
Bald Freude theilte und bald Schmerz,
Bitt' ich ihn gleich, nur diesen einzgen Tag
Wie ers verdient zu feiern und zu ehren
Ein kleines Lied mir zu gewähren,
Der Unerbittliche, er hört mich nicht.
Drum zürne, Freundin, nicht wenn kein Gedicht,
Wie es für Dich sich ziemte, ich Dir singe,
Und wenn ich Dir an diesem Tage
Nur arme schlechtgereimte Wünsche bringe.
Nicht Harm, nicht Kummer, keine Plage
Umwölke Deiner Jugend Frühlingsmorgen.
Mit immer heitrem, immer frohem Sinn
Schwind' er Dir, wie ein Traum dahin,
Fern sei von Dir der Sorgen,
Der kummervollen Sorgen schwarzer Schwarm,
Fern selbst der Liebe Harm.
Kurz, glüklich sei diess Jahr für Dich,
So glüklich als für Dich und mich
Das vorge unruhvoll gewesen!
Und will das Schiksal Dir ein Leben
Von höchster Erdenwonne geben,
So geb' es Dir zum Manne, wen wohl? -


Aus: Wilhelm von Humboldts Werke
Herausgegeben von Albert Leitzmann
Neunter Band: Gedichte
Berlin B. Behr's Verlag 1912 (S. 2-3)

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Liebe, Liebe, Wonnegefühl,
Dir allein weih' ich mein Leben,
Du bist holder Jugend Spiel,
Du kannst Kraft dem Alter geben.
Was wär ohne Dich die Erde,
Ach! ein finstres Thal,
Angefüllt mit Pein und mit Beschwerde,
Und mit tausendfacher Qual!
Aber wenn noch irgend Freude
Einen Sterblichen entzükt,
Wenn ein Trost ihn noch erquikt,
O so danket Dir er beide.
Welcher Pinsel schildert das Entzükken
Wenn ein Jüngling, der die Liebe noch nicht kennt,
Vor des schönsten Mädchens Blikken
Nun zum erstenmal entbrennt.
Wer beschreibt uns, was beim ersten Kuss
Dann sein wonnerfülltes Herz empfindet!
Jedes andre Erdenglük verschwindet
Gegen diesen himmlischen Genuss!
In der Liebe Rausch versunken,
Von dem Anblik seines Mädchens trunken,
Ruft er: Jagt nach Ruhme, jagt nach Gold!
Ich dien um der Minne Sold!
Seid an Nachruhm Cäsarn gleich,
Seid, wie Krassus, gross und reich,
Glüklich durch der Liebe Freuden,
Wird mein Herz Euch nie beneiden.
Zwar sieht er sich oft betrogen,
Wenn er Buhlerinnen traut,
Und auf Liebe, die sie ihm gelogen,
Seine ganze Hofnung baut.
Aber hat denn jede Tugend
Unsern Erdball schon verlassen?
O! dann wehe seiner Jugend,
Er wird Lieb und Leben hassen.
Aber nein Beständigkeit und Treue wohnt
Noch auf Erden, weiss er nur zu wählen,
Wird's ihm nicht an einem Mädchen fehlen,
Die mit Treue seine Treue lohnt.
Und wie glüklich dann an ihrer Hand
Er durchs Thal des Lebens wallt,
Wie verknüpfet durch der schönsten Liebe Band
Stets sein Herz von Wonne überwallt,
Wie sein Leben heitrer, reiner,
Als der Himmel an dem schönsten Frühlingstag,
O! das fühle, wer zu fühlen es vermag,
Nur zu singen wag' es keiner!

Aus: Wilhelm von Humboldts Werke
Herausgegeben von Albert Leitzmann
Neunter Band: Gedichte
Berlin B. Behr's Verlag 1912 (S. 4-5)

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Eilet raschen Flugs dahin,
Eilt, ihr trägen Augenblikke,
Dass mein lieberfüllter Sinn
Meine Lina bald erblikke,
Sie, die meinem Herzen ach! so nah
Nie mein schwermuthsvolles Auge sah!

Dass ich an ihr klopfend Herz
Traulich-brüderlich mich schmiege,
Süss vergessend jeden Schmerz,
Jede Sorg in Schlummer wiege,
Und versenkt in Himmelsschwärmerei,
Nur in Lina lebe, webe, sei!

Ha! wenn dann mich hochentzükt
Sie in sehnendem Verlangen
An den Schwesterbusen drükt!
Wie wird dann auf meinen Wangen
Süss beglükter Liebe Feuer glühn!
Geist und Sinnen werden vor mir fliehn!

Trunken, meiner unbewusst,
Werd ich denken nur sie können;
Doch, durchglüht von reiner Lust,
Wird mein Blik sie Schwester nennen,
Ausdruksvoll ihr sagen, was, zu schwach,
Sprache nachzubilden nicht vermag!

Schliesse, Lina, schliess den Bund,
Der an Seele Seele kettet,
Der aus diesem Erdenrund
Uns in bessre Sphären rettet,
Den von seines Thrones Herrlichkeit
Hoch der Vater sieht und beneidet!

Nie zerreisst ein Liebesband,
Von der Tugend selbst geschlungen.
Siehst Du nicht im Sternenland,
Wenn wir endlich ausgerungen
Dieser Pilgerleben, ausgeweint
Jedes Leiden, dort uns fest vereint?

Sie, die sich mit heisser Gier
Nach Unsterblichkeiten sehnet,
Diese Seele, die sich hier
Stets an jene Hofnung lehnet -
Sieh! der ewge Vater gab uns sie,
Und er täuschte seine Kinder nie!

Aus: Wilhelm von Humboldts Werke
Herausgegeben von Albert Leitzmann
Neunter Band: Gedichte
Berlin B. Behr's Verlag 1912 (S. 5-6)

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Gedichte aus römischer Zeit

Übersetzung des römischen Volkslieds
"Bellezza mia cara"

Jüngling
Lieb Mädel, du meines,
nie sah ich mein Tage
ein zärtliches, feines,
schönes Liebchen, wie dich!
Bist schön du, bist gut du,
von Lieb ganz umglänzet,
scheinst Braut mir, bekränzet,
ich sterbe für dich.


Mädchen
Mein holdes Verlangen,
mein Herzenserwählter,
nun bald, mein Vermählter,
umfängest du mich.
Mein inniges Kleinod,
mein Reichthum, mein Leben,
die Wunde gegeben
mir hast du ins Herz.


Jüngling
Ein Sternlein am Himmel
du scheinst meinen Blicken,
ein Weib zum Entzücken
die Welt so nicht hat.
Bist schön in den Augen,
bist schon in dem Herzen;
es drängt mich mit Schmerzen
zu sterben für dich.


Mädchen
Die Flamme der Liebe
mir hast du geschüret,
mich einst, wies gebühret,
zu trösten, als Mann.
O seliger Tag, wo
die Hand wir uns reichen:
wie Lust, sonder Gleichen,
geniessen wir dann!


Jüngling
Die Augen, der Mund hier
von Liebe süss thauen,
ein Nagel beim Schauen
durchbohrt mir die Brust.
Mein Schönstes, mein Liebstes,
du Seelenerwarmen,
o! schenk aus Erbarmen
ein Pfand mir der Treu!


Mädchen
Auf! gieb nun, als Gatte,
die Hand mir verbunden;
denn nimmer erfunden
ein Mann wird, wie du.
Bist schön und bist lieblich,
bist Trost mir und Wonne,
und mehr, als die Sonne,
mir leuchtest du hell!


Jüngling
Mein Mond, der du stralest
im Sternengepränge,
ach! Wunden in Menge
mir schlugst du ins Herz!
Nicht schlaf ich die Nacht mehr,
kann Ruhe nicht kennen.
Dich Braut mir zu nennen,
schon sterb ich vor Lust.


Mädchen
Vom Worte, das herrlich
du sagest, gesunden
wohl mögen die Wunden
mir tief in der Brust.
Wie fühl' ich dir nahe
mich Wollust umschweben;
von Seufzern macht beben,
arm Herzchen, er Dich.

Aus: Wilhelm von Humboldts Werke
Herausgegeben von Albert Leitzmann
Neunter Band: Gedichte
Berlin B. Behr's Verlag 1912 (S. 19-21)

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Gedichte aus königsberger Zeit

Verlobungslied
An Graf Friedrich von Dohna und Fräulein Julie von Scharnhorst

Wer ist, die dort - wie in Morgens Erglühen
die Rose mit Thaue getränket -
die Blicke, die schüchtern den Blicken entfliehen,
erröthend zur Erde senket,
die schauet vom Vater zum Vater hin?
als flüsterte leis sie in zweifelndem Sinn:
"Ach! soll ich vom trauten Hause denn scheiden?
und kühn mich dem neuen vertraun?
Ich bebe vor Schmerz, ich bebe vor Freuden,
kann vorwärts, kann rückwärts nicht schaun.
Mich hält, und mich ziehet der Liebe Band,
mich fesselt und löset liebende Hand."
Es ist, es ist die liebliche Braut;
sie steht am Verlobungsaltar,
vom Dufte der blühenden Jugend umthaut,
die Myrte im bräunlichen Haar.

Es hat ihr der Jüngling das Herz bezwungen,
der treu sich ihr lange geweihet,
er hat den köstlichen Preis nun errungen!
Was seltenes Schicksal verleihet,
die Krone der Bräute, sie ward ihm zum Lohn;
zu den Eltern nun führt sie der glückliche Sohn.
Nichts reichet von allem, was Menschen beschieden,
an der Liebe des Weibes Glück.
O! wer sie besitzet, der athmet in Frieden,
auch mitten in schwarzem Geschick.
Auf Felsen hat er sein Haus gebaut,
und sicher er nun dem Busen vertraut.
Denn wohl, wie Felsen, ist Weibes Treu,
und nimmer und nimmer sie wankt.
Sie wird mit jeglichem Morgen neu,
wo einmal sie fest sich gerankt.

O, möchten, wie die Stirn in lieblichem Spiele
die bräutlichen Locken umwehen,
die Lose des Lebens in frohem Gewühle
sich auch um Euch, Glückliche, drehen!
Doch, ach! es vermählt Euch stürmische Zeit,
gewapnet zu blutigem, wildem Streit.
Doch wo sich Kämpfe dem Starken bereiten,
da wächst ihm die Kraft in der Brust,
und Männer und Weiber erziehn sich die Zeiten,
des Muths sich hochherzig bewusst.
Und nirgend, soweit sich die Welle wiegt,
uns ein Land in dem Preise der Frauen besiegt.
Als mächtig mit Varus ihr Herrmann stritt,
da zagte Thusnelde nicht;
sie trat entgegen mit kühnem Schritt
dem Feinde ins Angesicht.

O, segnet, die hoch ihr den Himmel umthronet,
und die Lose des Schicksals bewahret,
die Stirn, wo weibliche Hoheit wohnet,
mit weiblicher Demuth gepaaret,
den Jüngling, erglühend für Wahrheit und Recht;
lasst beiden entspriesen ein herrlich Geschlecht!
Es welken die Menschen dahin, und fallen,
wie herbstlich erschrumpfendes Laub:
nicht Einer bleibt von den Tausenden allen,
der Zeit wird jeder zum Raub.
Doch der Funke, der hell der Brust entsprüht,
auch ewig und ewig die Menschheit durchglüht.
Was einmal lebendig im Busen war,
das pflanzet und pflanzet sich fort,
und stellet sich, nimmer vergehend, dar
in That und in sinnigem Wort.

Geh, Lied, nun und sprich: "o lasset mich ein,
der Liebe auch Blumen der Freundschaft zu streun!
Doch wer mich gesendet, dem fraget nicht nach;
was kümmert ein Name am glücklichen Tag?
Er liebet euch beide, er sah euch im Stillen,
er sendete Wünsche fromm für Euch empor,
die möge mit günstigem Ohr
gerecht nun der Himmel erfüllen!

Auch er stand einst am Verlobungsaltar,
in zukunftahnendem Sinn;
es reichte die Liebe die Rechte ihm dar;
hin schwand seitdem manch scheidendes Jahr,
und glücklicher wurde sein glückliches Loos
in häuslichen Kreises liebendem Schooss,
und hätt' ihm das Schicksal nicht früh sie geschicket,
und fänd' er erst heute, die jetzt ihn beglücket,
er stellte noch heute sich hin."

Königsberg, den 4. Julius 1809

Aus: Wilhelm von Humboldts Werke
Herausgegeben von Albert Leitzmann
Neunter Band: Gedichte
Berlin B. Behr's Verlag 1912 (S. 64-66)

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Der Garten

Ich lebt' in einem holden Wundergarten,
wo Blumen schönen Dufts und bunter Farben,
die, ohne dass sie Gärtnershände warten,
der Anmuth nie, und nie der Frische darben;
ich wandelte mit innigem Ergetzen,
an dieser bald, an jener mich zu letzen.

Doch jetzt hat über felsumstarrte Pfade
das Schicksal mich dem Paradies entrücket,
und mich geführt an ferne Meergestade,
wo schwer Gewölk den trüben Himmel drücket;
ich sah die sieben Hügel rückwärts fliegen,
und hinter mir blieb, was ich liebte, liegen.

Auch hier schaut' ich der Blumen manche spriessen,
die süsser Reiz und holde Anmuth kränzet,
und laden zart zu sinnigem Geniessen,
wenn minder auch der Farben Teppich glänzet.
Denn fester hält mit tieferem Verlangen
der würzge Duft den irren Sinn gefangen.

Allein zu keiner sehnend hingezogen,
wähnt' ich mich frei von jenem zarten Neigen,
bei dem, in süssem Auf und Nieder Wogen,
in Einem jegliche Gefühle schweigen.
Ich scherzte kühn mit unbefangnen Lippen,
und glaubt', aus vollem Becher leicht zu nippen.

Da kam - ich ging nicht nah - da bog - sie wandte
sich nicht zu mir; wie trafen wir zusammen? -
ein Blümchen, das bisher mir keiner nannte,
mir ins Gesicht, und Funken wurden Flammen.
Von allen Blumen, die im Garten stehen,
will nun der Blick allein zu ihr sich drehen.

Und aus streckt sich die Hand, denn sanfte Milde
strahlt aus dem zartgefärbten Blätterbaue,
doch starret plötzlich, wie vor heilgem Bilde,
wenn schwer der Kelch sich neigt von Himmelsthaue.
O! wem dies Blümchen nicht gelingt zu pflücken,
den können Blumen fürder nicht beglücken.

Soll ich die Holde schildern nun und nennen? -
Sie stehet still an einer Gartenecke,
scheint ihrer Würze Balsam nicht zu kennen,
und trachtet nur, dass sie sich mehr verstecke;
doch wer sie einmal sah, geht nie vorüber;
das Blümlein heisst: je länger, ach! je lieber!

Königsberg, den 20. September 1809

Aus: Wilhelm von Humboldts Werke
Herausgegeben von Albert Leitzmann
Neunter Band: Gedichte
Berlin B. Behr's Verlag 1912 (S. 67-68)

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Der Herbstmorgen

In Nebel liegt die Gegend halb verhüllet,
und rings umziehet sie ein dichter Flor,
der Strahl, der matt der Sonne Bild entquillet,
bricht mühsam durch den grauen Duft hervor.
Und die mir ewig Herz und Busen füllet,
ruht noch an später Träume Morgenthor.
O! möchten nun ihr durch die luftge Pforte
vernehmlich schallen meiner Sehnsucht Worte.

Oft ging ich hier, sah auf den frischen Matten
der Bächlein Krümmungen sich lieblich ziehn,
sah ihre Ufer Bäume hoch umschatten,
und mit des Himmels Blau des Laubes Grün
in dichtverschränkter Aeste Wölbung gatten,
und Blumen ihre Wurzeln breit umblühn.
Doch stillte nichts die schweifenden Verlangen,
die stets umsonst mit ferner Sehnsucht rangen.

Jetzt wie erscheint neu alles meinen Blicken!
Sinds nicht die altbekannten Gründe mehr?
der Thäler Buchten, und der Hügel Rücken,
des Stromes Flut, eilend zum nahen Meer?
Können Gefühle, die die Brust durchzucken,
so wandeln die Gestalten hin und her?
Die kalt und fühllos sonst mich stets gelassen,
vermag jetzt kaum das arme Herz zu fassen?

Muss ich denn von der neuen Heimath scheiden?
sie blutend reissen aus der wunden Brust,
die niegefühlten Schmerz und neue Freuden
ins tiefe Herz zu senken mir gewusst?
in banger Trennung bängre Trennung leiden?
entsagen jeder kaumgenossnen Lust?
und ihres Busens zart verwundbar Leben
Preis ohne mich dem rauhe Schicksal geben?

In unversöhntem, nie verstandnen Streite
liegt mit dem innren Sinne das Geschick.
Er strebt mit Muth in unbegrenzte Weite,
es drängt arglistig grausam ihn zurück;
was du geliebt, reisst es von deiner Seite,
zerstört, was du dir schafftest, jedes Glück;
und möchte gern mit tückisch argem Tichten
bis auf des Busens letzte Kraft vernichten.

Allein es lebt ein unvertilgbar Streben
im Busen durch der Liebe Wunderkraft,
das auch aus Tod und Trennung quillend Leben,
auf ewig unzerstörbar, mächtig schafft;
sich, wie die Eiche starr in Sturmes Beben,
im Mann empor entgegenkämpfend rafft,
im Weibe biegsam zwar wohl scheinbar schwanket,
doch unzerreissbar fest, wie Epheu, ranket.

So, Theure, lass uns durch das Leben schreiten,
treu dem Gefühl, das keine Trennung schwächt.
Es bleibt auch in unselger Flucht der Zeiten
ihm doch sein ewig unvergänglich Recht.
Wo Aeusseres und Innres mühvoll streiten,
tritt es zurück aus ungleichem Gefecht,
doch senkt sich tief, wo nimmer Band' es engen,
und Drang und Sehnsucht jede Fessel sprengen.

Königsberg, 25. October 1809

Aus: Wilhelm von Humboldts Werke
Herausgegeben von Albert Leitzmann
Neunter Band: Gedichte
Berlin B. Behr's Verlag 1912 (S. 68-70)

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Die Trennung

Hast jemals du der Pflanzen Loos beneidet,
die sicher sich dem Boden anvertrauen,
und niemals einen andren Himmel schauen,
als der ihr Laub mit Huld zuerst geweidet?

Ach! wer vom Liebsten seines Lieben scheidet,
er fühlts, wenn Thränen seinen Blick umthauen,
wenn fern auf nichts er kann mehr hoffend bauen,
wenn Trennung, bittrer als den Tod, er leidet.
Nie wird mein Blick im Blick entzückt mehr lesen!
Auf ewig ist der Liebe Glück verschwunden,
und einsam fortan meine Tage rollen!
Und auch verschönet ward ihr himmlisch Wesen,
wenn still sie, Mittags, und in nächtgen Stunden,
sah den, der ihr nur wollte Liebe zollen!

Königsberg, 23. November 1809

Aus: Wilhelm von Humboldts Werke
Herausgegeben von Albert Leitzmann
Neunter Band: Gedichte
Berlin B. Behr's Verlag 1912 (S. 70-71)

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Weibertreue

Wie eine Pflanze, die, des Südens Zonen
entrissen, unter fremdem Himmel spriesst,
wenn auch des Nordens Stürme sie verschonen,
doch furchtsam nur und bang die Zweige schiesst;

so ist das Weib, - in höhern Regionen,
die wolkenloser Aether rein umfliesst,
bestimmt in ewger Klarheit frei zu thronen, -
ein Fremdling nur, der diesen Boden grüsst.

Wie zart und rein ihr Busen ist besaitet,
fühlt nicht der Männer irrdisches Geschlecht;
wie sie mit scheuem Fuss durchs Leben schreitet,

stösst sie auf Rauhheit und auf schroffes Recht;
zur eignen Brust nur kehret ungeschwächt
der zartste Laut, der himmlisch ihr entgleitet.


Drum wundert nicht euch, wenn von Ernst geleitet,
nur Trauerweisen dem Gesang entklingen,
wenn Schmerzen tief zu eurem Herzen dringen,
die auch der Beste oft dem Weib bereitet.

Im Kampf, wo Kränkung schwach mit Liebe streitet,
sah ich die Armen oftmals leidend ringen,
und mit dem Blick, der Mitleid rings verbreitet,
sich immer selbst zum sauren Opfer bringen.

Was ich geschauet, soll mein Lied nun klagen,
und an mir selbst die eignen Schulden rächen,
wenn los mich sollte auch mit Hulden sprechen,

der ich, der Liebe schönste Frucht zu brechen,
mich früh vermählt in selger Jugend Tagen,
zu der sich schüchtern diese Töne wagen.


1.
Also hat die Stunde denn geschlagen,
wo ich, frei von diesen nächtgen Plagen,
aus dem Bett den glühnden Fuss darf setzen,
nicht mehr brauche fremde Lust zu letzen,

die, der Thränen, die mein Kissen netzen,
achtend nicht, sucht mir verhasst Ergetzen?
Lang schon sah' ich sehnsuchtsvoll es tagen,
hinterm Hause dort die Strahlen ragen,

durfte mich den Armen nicht entwinden
noch, die mich mit herrisch kaltem Schweigen
streng an herber Pflichten Uebung binden.

Möchtst Du langsam dich zum Abend neigen,
hehres Licht! denn bei des Tags Verschwinden
muss ich wieder dieses Bett besteigen!


2.
Ist denn dies Recht auch ihm eingeräumet,
mir die Sinne tief so zu empören?
wenn die Lust empor in ihm sich bäumet,
in mir selbst mich selber zu bethören,

ähnlich der, die schwere Träume träumet?
Gnügts nicht, wenn sich gegen mich verschwören
seine Lüste, duldsam ihn nicht stören?
Muss erglühn auch ich, wenn auf er schäumet?

O! wie konntest so verhasste Gluten
ein dem armen Weibe, Gott, du hauchen?
Ach! in tausend bittre Thränenfluten

möcht' ich diese schnöden Glieder tauchen,
die, wenn Seel und Herz vor Kummer bluten,
mit in frevelvoller Hitze rauchen!


3.
"Komm, dass, Weib, ich dich umfah' aufs Neue,
froh mir eines Erben Samen streue,
und die vielen Töchter dir verzeihe!"
Also schrieb er, und ich kam mit Treue.

Ohne Gruss und Wort liess er mich stehen,
rief zur Kammer mich; was da geschehen,
davon zeugen herb die bangen Wehen,
die nun bald durch Mark und Bein mir gehen.

Sprach dann: "jetzt kannst du nach Hause fahren,
nimm in Acht dich, wohl es zu bewahren;
auch ein schwangres Weib darf Müh' nicht sparen."

Und ich fühlte bald drauf seiner Lenden
Stärke Mühe mir und Schmerzen senden,
die vielleicht ein bittrer Tod wird enden!


4.
"Einen Knaben hab' ich dir geboren,
theurer Mann, und säug' ihn an den Brüsten,
welche oftmals deine Lippen küssten,
als du mich zuerst zum Weib erkohren.

Furchtbar litt ich; doch nicht will ich brüsten
mich mit meiner Pein vor deinen Ohren.
Wieder haben wir, was wir verloren!
Sprich nur, ob ich soll zur Fahrt mich rüsten,

ihn dir bringend fragen, still geneiget,
wie soll heissen, den du stark gezeuget!"
Also ich, und so der Antwort Zeilen:

"Er heisst Franz; wann du ihn ausgesäuget,
werden Frauen ihn zu holen eilen;
dein bedarfs nicht; du kannst dort verweilen!"


5.
Der, die Freistatt ihm im Schooss gewähret,
und an ihrer Brust ihn gross genähret,
nun bedarfs nicht mehr; des Vaters Rechte
fordert ab ihn; lässt sie gramverzehret,

Ach! indess beim frohen Mahl er zechte,
sass sie auf die langen Winternächte,
ohne dass sie Ruhe je begehret
von der Mühe, die den Körper schwächte.

Einsam sitzt sie nun auf Einer Stelle,
wähnt zu sehen noch der kleinen Glieder
Zappeln, blickt zum leeren Schoosse nieder,

wehrt umsonst der heissen Thränen Quelle,
aber hofft, dass, umgewandt, sie wieder
ihm und sich der strenge Mann geselle.


6.
Jahre hatte trauernd sie geschwiegen,
doch vermag nicht ruhig mehr zu bleiben,
und beschliesset, bittend ihm zu schreiben:
"Theurer Mann, verzeih, wenn angstvoll Treiben,

Gram und Unruh Pflicht und Scheu besiegen,
wenn du siehst mich weinend vor dir liegen,
um Erlaubniss flehn dir zu zu fliegen.
und mich gegen dein Gebot mich sträuben.

Bin ich werth auch nicht, zu dir zu kehren,
mögst du doch des Mutterherzens schonen
und mir mit des Knaben Anblick lohnen!"

Er versagt es, schreibt, den Gram zu mehren:
"Dir geziemet einsam fern zu wohnen,
und gehorchend mein Gebot zu ehren."


7.
Und wie sie, versenkt in tiefe Trauer,
an dem stillen Kammerfenster sitzet,
schaut ein Ritter sie, der Jagd erhitzet
ruhet an des Schlosses hoher Mauer.

Plötzlich da ergreift ihn Liebesschauer;
wie ein Strahl ihm durch die Seel' es blitzet:
"die da weinet, auf den Arm gestützet,
sey die Meine auf des Lebens Dauer!

Doch der trübumwölkten Blicke Leiden
zeugt nicht von der Jungfrau holder Blüthe;
ach! gekostet hat sie fremde Freuden,

und zu spät für sie mein Herz erglühte!"
Aber festgewurzelt im Gemüthe
trägt er sie, kann nicht vom Platz mehr scheiden.


8.
Als gewahr sie ward sein Gehn und Kommen,
hatte sie mit Sorgfalt ihn gemieden.
"Nicht mir stören soll der Seele Frieden
fremde Neigung!" sprach sie bang beklommen.

Meiden kann nicht gegen Liebe frommen,
und was Eins ist, findet sich hienieden.
Ist sie lang von seinem Blick geschieden,
war ihr Bild nicht seiner Brust entnommen.

Wie, wer scheitert, an des Schiffes Trümmer,
hält er fester an der theuren Stelle,
schauet nach der matterhellten Zelle,

bis er dunkel einstmals fand das Zimmer,
und an ihrer Gartenthüre Schwelle
ihr begegnete bei Mondesschimmer.


9.
Glücklich waren Wochen hingeschwunden,
und in traulichen Gespräches Feier
hatten seiner Liebe tiefe Wunden
linden Balsam ihrem Schmerz gefunden.

Er auch wurde ihrem Herzen theuer,
und ein Himmel schuldlos milder, neuer
Freuden ging ihr auf in süssen Stunden,
und sie wurden treuer sich und treuer.

Doch sie fühlte plötzlich Liebe keimen,
sah, dass glühen, und doch Glut vermeiden
ist ein eitel und vergeblich Träumen.

"Theurer Adolph, ach! wir müssen scheiden,
lass mich Strafbare nicht länger säumen!"
sprach sie, und vergrub sich in ihr Leiden.


10.
Vorwurf nagte nun mit Natterbissen
an dem banggeänsteten Gewissen,
und es fand sie oft auf wunden Knieen
noch der Morgen bei der Nacht Entfliehen.

Einsam trauert ihres Bettes Kissen,
Speis' und Schlummer will sie büssend missen.
Leichter, denkt sie, wird die Schuld verziehen
den Belasteten mit Schmerz und Mühen.

Und noch mahnt sies in der irren Seele,
sich zu werfen zu des Mannes Füssen,
zu bekennen die begangne Fehle,

dass er Strafe, hart und ernst, ihr wähle.
"Nach dem Fehltritt kann nur strenges Büssen",
seufzt sie, "noch des Weibes Qual versüssen.


11.
Doch selbst auferlegte Schmerzen büssen
kann ich, und was schuldig ich verbrochen,
sey mit Striemen an dem Fleisch gerochen!
hat es Lust gesucht, mag Pein ihm spriessen."

Eilig lässt sie einsam ein sich schliessen,
und vom Augenblick, wo sies gesprochen,
Tag für Tag in schmerzensreichen Wochen
unter Streichen ihre Thränen fliessen.

Sich enthüllen müssen nackt die Glieder,
und sie schwingt mit unbarmherzgen Händen
selbst die Ruth' auf Rücken, Arm' und Lenden.

Aber Angst und Unruh kehren wieder;
reuig will sie doch zum Mann sich wenden,
und bang wogt ihr Busen auf und nieder.


12.
Wie sie zweifelnd mit dem Vorsatz ringet,
und der Zweifel noch die Pein vermehret,
kommet Botschaft, dass zurück er kehret,
und zurück ihr ihre Kinder bringet.

Freude nun ihr armes Herz verjünget.
"Mein ist wieder, den ich tief verehret,
da der Trennung Kelch ich ausgeleeret;
Liebe wieder mich und ihn umschlinget. -

Doch wie wird der Strenge mich empfangen?
Führt ihn wirklich sehnendes Verlangen,
oder kehrt er kalt in meine Arme?

Ach! mit Inbrunst will ich an ihm hangen,
ihm erzählen von dem langen Harme,
dass er mild sich seines Weibs erbarme!"


13.
Da nun ist er. Monde kommen, schwinden,
und sie hört nur kurz und ernst Befehlen,
darf nur des Gehorsams Loos sich wählen,
und doch nimmer auf Verzeihung zählen.

Tag' und Nächte muss sie ab so winden,
und vom strengen Dienst sie zu entbinden,
können Bitten nicht Erhörung finden,
Thränen nicht, die sich dem Aug' entstehlen.

Dennoch wandelt ewig unverdrossen
sie den Pfad, den Dornen rings umsprossen,
trägt geduldig, spart kein Gehn und Kommen,

wenn ihr Dienst nur mag dem Theuren frommen;
und sein Aug' hat ihre Hand geschlossen,
eh' er ihrer Klage Laut vernommen.


14.
Einsam waltet sie im Hause wieder,
blicket starr zum stillen Rasen nieder,
und mit nächtlich düsterem Gefieder
deckt der Schmerz die schwarzumhüllten Glieder.

Adolph hört sie sich zurückgegeben;
darf noch Hofnung durch die Brust ihm beben? -
Ach! vergeblich ist sein eitles Streben;
nur dem Gram will die Verwaiste leben.

Monde sich indess zu Jahren thürmen;
rasch die Söhne schon ins Leben stürmen.
treue Gatten mild die Töchter schirmen.

Und die Mutter schwingt des Geistes Flügel
frei nun, und von ihrem Grabeshügel
blüht die Lilie, reiner Treue Siegel.


15.
Der Liebe Zartheit und des Geistes Adel
keimt nicht bloss da, wo Gold und Reichthum blinken;
rein, wie der Bach, und sonder Fehl und Tadel

ist oft auch die, der bei des Abends Sinken,
wenn sie den langen Tag in Schweiss durchfrohnet,
nur schwarzes Brot und hartes Lager winken.

Ein Herz auch unterm groben Kittel wohnet,
in das Natur den reichen Schatz gesenket,
den höchsten, mit dem Mensch dem Menschen lohnet,

das rücksichtslos sich dem Geliebten schenket,
und in des Lebens engbefangnem Gleise
am Aetherduft der Himmelsliebe tränket.

So warst in deines Hauses kleinem Kreise
du, stilles Tagelöhnerweib, Rosine,
begleitend auf des Lebens saurer Reise,

mit stets geduldig demuthsvoller Mine,
den Mann, dem dein Vater früh gegeben,
dass unterwürfiger dein Arm ihm diene.

Der Strenge, gegen den kein Widerstreben,
kein Flehen galt, kein rührend Bitten,
sprach: "dieses ist der Mann, mit dem zu leben

ich dir befehle!" und gehorchen mitten
in Thränen musste sie und Jammer,
wie sehr dagegen Herz und Neigung stritten.

Auf ihren Knieen fand in ihrer Kammer
die sanfte Mutter sie; sie rang die Arme,
ihr Busen pochte, wie ein Eisenhammer;

da, dass zum Leben wieder sie erwarme,
zog sie an sich der Tochter kalte Glieder,
und sprach ihr zu in ihrem tiefen Harme:

"Mein Kind, ein Herz, das schläget unterm Mieder,
ist da in dieser Welt allein zum Leiden,
und steigt mit schwerem Graun zur Grube nieder.

Das Weib muss dienen und gehorchen, scheiden
von jeder eignen Lust, und sonder Klage
im sauren Dienst der Stirne Schweiss vergeuden.

Beginne drum die mühevollen Tage
geduldig, Rosa, wein' dich satt im Stillen,
wenn, wie des Regens Flut, die saure Plage

mit jedem Kindbett wächst. Du weisst, den Willen
nicht bloss dem Mann, dem Amtmann auch, dem Schreiber,
dem Herrn, der gnädgen Frau müssen erfüllen

wir, wenn nicht unsre unbarmherzgen Treiber
mit Schmerz und Hohn, nach strengen Rechtes Ueben,
bedecken sollen unsre armen Leiber.

Vergiss es nie: zu dulden, und zu lieben
den, dem sie dienet, ist das Weib geboren.
Denn sie ist nicht zum Glück nach eignen Trieben,
zu fremden Vortheils Werkzeug nur erkohren."

Aus: Wilhelm von Humboldts Werke
Herausgegeben von Albert Leitzmann
Neunter Band: Gedichte
Berlin B. Behr's Verlag 1912 (S. 72-81)

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Gedichte aus den Jahren 1809-1820

Was sich gestaltet, leblos und lebendig,
versammelt sich um Einen Bildungskern,
da sonst die Stoffe blieben stets sich fern,
schweifend chaotisch, einzeln, unbeständig.

Der Erdball ward geformt so von inwendig,
gesellt so seiner Sonne jeder Stern,
und vom Krystall bis zu der Schöpfung Herrn
herrscht dies Gesetz, fest, ewig und nothwendig.

So auch im Menschenglück. Wo Eins verliehen,
das fest sich um das Herz des Busens rankt,
des Einen Kräfte Alles an sich ziehen.

Mir ward dies Eine an dem Tag geboren,
dem Dich, Geliebte, mein Geschick verdankt.
Jetzt ist des Unglücks Macht an mir verloren.

Aus: Wilhelm von Humboldts Werke
Herausgegeben von Albert Leitzmann
Neunter Band: Gedichte
Berlin B. Behr's Verlag 1912 (S. 89)

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Erdenfreuden

Da, wo des Berges Gipfel sich erhebt,
sah Blumen ich in heitrem Glanze stehen.
Ich wagte nicht zu ihnen hinzugehen,
mir war die Stirn von düstrem Gram umbebt.

In bittersüsser Sehnsucht Schmerzen lebt
die Glut in mir, und neue Flammen wehen,
so oft die Augen auf zu'n Blumen sehen
im Herz, so sich mit seinem Schmerz begräbt.

Da stieg ein holdes Kind zu mir hernieder,
ein süsses Lächeln schwebt um seinen Mund,
und macht mir leis die ernste Warnung kund:

"Brich jene schnell - sie blühen so nicht wieder -
eh' sie des Todes kalter Hauch berührt,
und sie auf ewig deinem Aug' entführt."

Aus: Wilhelm von Humboldts Werke
Herausgegeben von Albert Leitzmann
Neunter Band: Gedichte
Berlin B. Behr's Verlag 1912 (S. 89-90)

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Ade, Ade, ihr lieben Fluren,
o, bleibet mir getreu!
Erhaltet meiner Liebe Spuren,
in mir ja ist sie ewig neu.

Hier hat die Hehre, Holde,
geliebet mich zum erstenmal,
die, wie mit Morgensonnengolde,
umstralte dies geliebte Thal.

Darum vor allen auf dem Erdenrunde,
vom Morgen bis zum Abendglanz,
bleibt theuer bis zur letzten Stunde,
mir dieser Hügel stiller Kranz.

Wohl mag die Sonn' ihm dunkler scheinen,
und Nebel oftmals sie umziehn,
der Mensch auch muss oft menschlich weinen,
Und Wonn' und Jugend kann nicht ewig glühn.

Es strahlet weit das Herrliche und Schöne,
und weckt das staunende Verlangen,
doch dass die Brust sich heimisch dran gewöhne,
hält gern sie engrer Kreis gefangen.

Was tief das Herz in Frieden wieget,
was Wonne beimischt süssen Sorgen,
was ewger Sehnsucht immer neu genüget,
lag hier mir, wie ein Schatz, verborgen.

O, möcht' auch mir in kühler Erde Bette
zu ruhen hier einst seyn vergönnet,
da heiliger und süsser keine Stätte
seit meiner Jugend Tagen ich genennet.

Besiegt dann von des Todes Schauern,
lieg ich, wie sonst ich oft gestanden,
zu schaun vom Berge auf die theuren Mauern,
die fest mich hielten in der Liebe Banden.

Und so kann, wie er hat begonnen,
sich meines Daseyns Kreis beschliessen,
dass, was zuerst mein Herz gewonnen,
sieht seinen letzten Lebensschein verfliessen.


Aus: Wilhelm von Humboldts Werke
Herausgegeben von Albert Leitzmann
Neunter Band: Gedichte
Berlin B. Behr's Verlag 1912 (S. 90-91)

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Altersgedichte

Es giebt ein farbig glühend Bild,
das mir von Kindheit an
die Seele hat gefüllt,
das ich im Grab erst missen kann.

Dem Bilde ich verdanke,
dass ich in keinem Weh
unmuthig jemals wanke,
es geh mir, wie mirs geh.

Dem Bilde ich verdanke,
dass Glück mir Einsamkeit,
dass nimmer ich erkranke
an leerer Eitelkeit.

Dem Bilde ich verdanke,
dass ewig in mir lebt
ein einziger Gedanke,
der mich der Erd' enthebt.

Dem Lob ich gern entsage,
den Freuden auch der Welt.
Das Bild versüsset meine Tage,
und mir den Busen schwellt.

Was ist das Bild gewesen,
nehm' ich mit mir ins Grab.
Wer will im Herzen lesen,
steige mit mir hinab.

Aus: Wilhelm von Humboldts Werke
Herausgegeben von Albert Leitzmann
Neunter Band: Gedichte
Berlin B. Behr's Verlag 1912 (S. 153)

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Den Frieden hat mit sich genommen,
die nimmer nun wird wiederkommen,
der Seele Ruhe von mir floh,
ich werd' im Leben nicht mehr froh!

Es geht wohl fort im alten Gleise,
die Lippe kann noch scheinbar scherzen.
Doch ewig wach nach Geisterweise
bleibt Gram in dem verwaisten Herzen.

Erst wenn das Leben ist verronnen,
der Tod mich lang hat hingestreckt,
ist wieder Ruhe mir gewonnen.
Ein Grab mich mit der Theuren deckt.

Ob Wiedersehn die Sehnsucht stillet?
In dunkeln Schleier ist's gehüllet.
Doch mit der Liebsten gleiches Loos zu theilen
ist aller Erdenwunden Heilen.

Tegel, 8. Julius 1829

Aus: Wilhelm von Humboldts Werke
Herausgegeben von Albert Leitzmann
Neunter Band: Gedichte
Berlin B. Behr's Verlag 1912 (S. 156)

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An die Gypse in meiner Stube

Seht mich an, ihr himmlischen Gebilde,
die ihr mich in lichte Höhen hebt,
dass in überirrdische Gefilde
einzugehn die Seele strebt.

Ja in jedem Augenblicke
bin zu sterben ich bereit,
rechne mir den Tod zum Glücke,
da er Ihr mich wieder weiht.

Möcht' ich ruhn erst, wo Sie lieget!
Wie auch dunkel künftges Schicksal sey,
gleicher Schlummer doch, wie Sie, mich wieget,
und kein Morgen wird mir ohne Sie mehr neu.

Ach! ich hab' an Ihr gehangen
mit der Liebe reinsten Fülle,
möchte nun die sehnenden Verlangen
tauchen in des Grabes Stille.

Tegel, den 16. October 1829

Aus: Wilhelm von Humboldts Werke
Herausgegeben von Albert Leitzmann
Neunter Band: Gedichte
Berlin B. Behr's Verlag 1912 (S. 156-157)

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Nach dem Lesen einiger Briefe meiner Frau

Süsser Hauch aus lang vergangnen Zeiten
mir das Herz ergreift mit Allgewalt.
Die im Grabe ruhet still und kalt
lispelt, wie von Aeolsharfen Saiten,
Sprache, der Erinnrung nur zu deuten,
die im tiefen Herzen wiederhallt,
Bilder jugendlicher Wonngestalt
mich ins Land entfernter Sehnsucht leiten.
Dieser Aufruhr zaubrischer Gefühle,
dies in sich versunkne Wonnebeben
kann nicht führen in das öde Leben:
Nein, sie ruft mich, wo am Strahlenziele
schreitend durch des Erdenschoosses Kühle
liebumschlungen selge Geister schweben.

18. September, 1830. Abends

Aus: Wilhelm von Humboldts Werke
Herausgegeben von Albert Leitzmann
Neunter Band: Gedichte
Berlin B. Behr's Verlag 1912 (S. 158)
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Biographie:

https://de.wikipedia.org/wiki/Wilhelm_von_Humboldt



 

 


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