Ludwig Jacobowski (1868-1900) - Liebesgedichte

Ludwig Jacobowski




Ludwig Jacobowski
(1868-1900)


Inhaltsverzeichnis der Gedichte:

 





Nimmer fand ich die Liebe ...

O Liebe, klär' mit milden Händen
Den wahnumfangnen Menschengeist;
Erbarmend schenke Götterspenden,
Der gläubig dir die Seele weist;
Und wessen Hand entsinkt das Steuer
In Daseinskämpfen Sturmgewalt,
Dem reiße von der Stirn den Schleier
Und zeig' des Lebens Goldgehalt.

Wohl haben Menschen hart gestritten,
Gekämpft in heißer Geistesschlacht,
Daß aus dem Abgrund niedrer Sitten
Erblüh' der Liebe Wundermacht;
Doch heute, wo Dämonen drohen
Der holden Himmelskönigin,
Ist sie dem Menschenherz entflohen,
Und nimmer weiß die Welt, wohin.

Was Edles uns durchglüht, das höhnen,
Frech lachend, finstre Geister fort,
Daß unsre Seelen Saiten tönen
In einem einz'gen Schmerzakkord.
Und wenn wir tief zu fühlen wähnen,
Der ganzen Menschheit Erdennot,
Wie ist sie matt, die Lust der Thränen!
Und unser Herz, wie kalt und tot!

Die Menschheit jagt auf wilden Wegen,
Mit stierem Blick, dem Irrlichtschein
Der feilen Sinneswelt entgegen,
So mitleidslos wie Felsgestein.
Zur Rechten Tod, zur Linken Sterben,
Vorüber braust der Menschenstrom,
Hier fällt und dort ein Herz in Scherben,
Zerstampft, ein nichtiges Atom.

Mit heißem Atem, nimmer rastend,
Im Blick die wilde Gier nach Raub,
Zertritt die Menschheit, weiter haftend,
Des Busens Blüten in den Staub;
Doch nimmer schau' ich reine Triebe,
Und Herzen, edel und gerecht,
Denn nur aus tiefster Menschenliebe
Erblüht das neue Hochgeschlecht. -

aus: Aus bewegten Stunden Gedichte (1884-1888)
von Ludwig Jacobowski
Zweite veränderte Auflage Dresden und Leipzig 1899 (S. 6-7)
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Erste Liebesthorheit

I.
Wie Menschenherzen einst geliebt,
Das ist wohl tausendmal gesagt;
Was Menschenherzen einst betrübt,
Das ist wohl tausendmal geklagt.

Was mir an Glück war zugemessen,
Was ich an Liebesleid ertragen,
Das singt mein Lied noch ganz vermessen?
Das wag ich noch der Welt zu klagen?


II.
Liebesfrühling
Bedeckt von des Schnees glitzernder Fläche
Liegt starr und kalt die tote Flur;
In eisigen Fesseln knirschen die Bäche,
Im Winterschlaf träumt die erschöpfte Natur.

Hoch oben am Himmel flammt rot wie Blut
Die Ampel der Schöpfung, der Sonnenball,
Gießt Winterstrahlen voll wärmender Glut
In das frostig schauernde Weltenall.

Am Fenster steh' ich träumend und seh'
Hinaus auf die flimmernden, sonnigen Strahlen,
Wie sie auf glitzerndem weißen Schnee
Hellschimmernde, bunte Krystalle malen.

Und wie ich stehe am Fenster allein
Und lausche der Winde Sturmeslied,
Da fällt mir ein Strahl in das Herz hinein,
Daß weiche Sehnsucht die Seele durchzieht.

Ein Sehnen so mild das Herz umwallt,
Es ist wohl lockende Frühlingsmahnung,
Die das klopfende Herz voll Allgewalt
Durchströmt mit süßer Liebesahnung.

Nach dem Liebeslenze lechzten die Augen,
Nach dem Lenze das drangvoll atmende Herz,
Und es haben ihn nun die leuchtenden Augen,
Und es hat ihn das sehnend unruhige Herz. -


III.
Wenn ich in Sehnsuchtsglut erbebe
Nach einem Herzen unschuldsrein,
Dann hüll' ich mich in's Truggewebe
Holdsel'ger Liebesträume ein.

Und eine Welt bau' ich, im Glanz
Von tiefer Neigung süßen Scherzen,
Und wind' mir einen Dornenkranz
Von selbstgewollten Liebesschmerzen.


IV.
Will ich härmen, will ich klagen
Um ein traumentschwunden Glück,
Spricht der Kopf: "Du mußt ertragen!"
Und das Herz spricht: "Hol's zurück!"


V.
Was das Glück uns zugemessen
Einst in holder Harmonie,
Das wird Eine leicht vergessen,
Aber Einer wird es nie!


VI.
Als deine Liebe gestorben,
Für mich dein Herze tot,
Da glaubt ich vor Schmerz zu vergehen
In Qual und tiefer Not.

Doch milden Trost gab die Muse,
Die all meinen Schmerz versteht.
Ich werde in heimlichen Stunden
Heimlich ein kleiner Poet.


VII.
Ich sehe viel Worte in deinem Brief,
In deinen Worten viel heimliche Schmerzen,
In deinen Schmerzen ein krankes Herz,
Die alte Liebe in deinem Herzen.

aus: Aus bewegten Stunden Gedichte (1884-1888)
von Ludwig Jacobowski
Zweite veränderte Auflage Dresden und Leipzig 1899 (S. 89-96)
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Du

Und schaue ich offenen Auges
Hinaus in den Junitag,
So grüßen mir deine Augen
Still aus dem sonnigen Tag.

Und schließ' ich die Augenlieder,
Ich banne den Zauber nicht,
Ich sehe ja immer wieder
Dein liebes, liebes Gesicht.

aus: Aus bewegten Stunden Gedichte (1884-1888)
von Ludwig Jacobowski
Zweite veränderte Auflage Dresden und Leipzig 1899 (S. 97)
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Liebe

Rauher Winde Sturmesatem
Rauscht jetzt durch die Bäume wieder;
Wie die Hoffnungen der Menschen
Fallen welke Blätter nieder.

Vor des Herbstes Todeskusse
Windet sich im Schmerzenskrampfe
Die Natur, und bald veratmet
Müde sie im Todeskampfe.

Doch in meine Herbstgedanken
Strahlen Augen, blau und tief,
Und sie wecken meiner Seele
Eine Welt, die wachend schlief.

Ach, nach diesen blauen Augen,
Nach der holden Lichtgestalt
Zieht mich weiches, tiefes Sehnen
Mit unfaßbarer Gewalt.

Diese großen, stummen Augen
Bannen mich im Zauberring, -
So ist mir der Lenz erschienen
Als die Welt zum Sterben ging.

aus: Aus bewegten Stunden Gedichte (1884-1888)
von Ludwig Jacobowski
Zweite veränderte Auflage Dresden und Leipzig 1899 (S. 98)
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Bekehrt

Hab' immer höhnisch aufgelacht,
Wenn ihr von Frauenwürde spracht,
Von einer reinen Weibesseele,
Die voller Unschuld, ohne Fehle,
Von mancher keuschen Mädchenblüte,
Die warmen Herzens, voller Güte.
Und erst des Weibes Heiligkeit
Die prieset ihr gar lang und breit;
Ich lachte bitter fort und fort,
Und glaubte euch kein einzig Wort,
Und dacht' dabei an manches Weib,
Mit frechen Augen, schönem Leib,
Das im Genusse selig lacht,
Die Nächte sich zu Tagen macht,
Mit reichem Schmucke schwer behangen,
Mit vollen rotgeschminkten Wangen,
Das lachend lockt und fröhlich tollt,
Bis es das Leben überrollt,
Das selig lebt und dann verdirbt,
Im Kusse lebt, im Wasser stirbt.

Da sah ich nun dein Angesicht,
Was mir geschah, ich weiß es nicht.
Ich hab' wohl mancherlei gedacht,
Doch höhnisch hab' ich nicht gelacht,
Und immer wieder, wenn ich seh
Die stillen Augen in der Näh',
Stirbt alle sündige Begehr,
Und weiß kein unrein Scheltwort mehr,
Und bitte dir im stillen ab,
Was ich für böse Worte gab,
Und hab' Gedanken fromm und gut,
Als wie so junges, junges Blut.
Und alles, was mich dazu zwang,
Ist selig blöder Liebesdrang.

aus: Aus bewegten Stunden Gedichte (1884-1888)
von Ludwig Jacobowski
Zweite veränderte Auflage Dresden und Leipzig 1899 (S. 99-100)
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Wiedersehen

1.
Wie bist du still geworden,
Wie bist du worden bleich!
Ich schau die blassen Wangen;
Mir wird das Herz so weich.

Wo sind die Schelmenaugen,
Die einst mich tief berückt,
Die lachend roten Lippen,
Die selig mich beglückt!

Das silberhelle Lachen,
Das mir die Brust durchdrang,
Ist nicht das alte Lachen;
Es klingt so schwer und bang.

Wir sprachen viel zusammen,
Und sind so tief bewegt;
Ein schmerzliches Erinnern
In unsrer Brust sich regt.


2.
Einst rauschte mir im Herzen eine Symphonie
Von Lust und Leid;
Verschollen ist die stille, süße Melodie
So weit, so weit ...


3.
Die alte tote Liebe
Weint altes Leid mir vor,
Wie schluchzende Akkorde
Hallt's klagend an mein Ohr.

Du alte tote Liebe,
Bist noch nicht ganz verhallt;
Ein letztes, letztes Klingen,
Doch es erstirbt wie bald!

aus: Aus bewegten Stunden Gedichte (1884-1888)
von Ludwig Jacobowski
Zweite veränderte Auflage Dresden und Leipzig 1899 (S. 101-103)
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Ausblick

Wärst du, holder Liebeszauber,
Deine Lust und deine Not,
Wie so manche goldne Hoffnung,
Auch in meinem Herzen tot.

Dann fahr' hin, unmännlich Schwärmen,
Das ich, ach, zu lang gehegt,
Und ich könnt' in Lieder hauchen,
Was das Herz der Zeit bewegt.

aus: Aus bewegten Stunden Gedichte (1884-1888)
von Ludwig Jacobowski
Zweite veränderte Auflage Dresden und Leipzig 1899 (S. 104)
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Aus der Vergangenheit

"O nenne mich wieder dein "süßes Lieb"
Und presse mich fest in die Arme.
Ich kann ja nur stammeln: "Vergieb, vergieb",
Was ich einst gethan im Harme,
Mein Trauter, im Harme!

Wie schluchzte mein banges Herz nach dir
In einsamer dunkler Kammer.
Seit Wochen und Monden warst du nicht bei mir
Und ich allein voll Jammer,
Mein Trauter, voll Jammer.

Seit du mir, du Guter, das häßliche Wort
Gesagt mit zuckendem Munde,
Da brannt' es im Herzen fort und fort,
Und nimmer schloß sich die Wunde,
Mein Trauter, die Wunde!

Es haben die Menschen dir viel erzählt,
Daß ich nur schlechtes triebe.
Doch eines haben sie dir verhehlt:
Daß ich dich unsagbar liebe,
Mein Trauter, so liebe!

Wo bist du gewesen so weit, so weit,
Daß du deinen Liebling vergessen?
Vergessen die schöne, wonnige Zeit
Wo Seele und Leib ich besessen,
Mein Trauter, besessen!

Und hätt'st du gesehen, wie weinend ich rang,
Gesehen mein Jammern und Klagen,
Bis traumbanger Schlaf mich niederzwang,
Du würdest es nicht mehr sagen,
Mein Trauter, nicht sagen.

O, damals lagen ja arm und krank
Mein Vater und Mutter in Fieber.
Und wie ich vor Arbeit die Hände auch rang,
Es ging uns nur trüber und trüber.
Mein Trauter, nur trüber!

O, damals, wie heute! Ein Wintertag,
Da hatten wir nichts mehr zu leben,
Da mußt ich, o furchtbarer, bittrer Schlag,
Mich weinend um Geld hingeben,
Mein Trauter, hingeben.

O sieh nicht weg, mein Liebling du,
Bin ich dir nicht treu geblieben?
Du gabst mir Güte und Liebe dazu,
Was hatte ich als mein Lieben,
Mein Trauter, mein Lieben?

Es haben die Menschen dir viel erzählt,
Daß ich nur schlechtes triebe,
Doch eines haben sie dir verhehlt,
Daß ich dich unsagbar liebe,
Mein Trauter, so liebe." ...

aus: Funken. Neue Dichtungen
von Ludwig Jacobowski
Dresden und Leipzig 1891 (S. 62-63)
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Die Wahnsinnige

Schön wie weiße Rosenknospe,
Stand sie mit ihm am Altar,
Und zur selben Stunde wußt' sie,
Daß ihr Liebster treulos war.

Nun in Nächten dumpfen Irrsinns
Dämmert sie den Daseinstraum,
Engelschön noch wie Ophelia
Unterm stillen Weidenbaum.

Dieses süße Kindesantlitz,
Dieser Locken Goldgerank,
Diese liebestrunknen Lippen, -
Wie ein ew'ger Schönheitssang!

Dieses märchenfromme Lächeln,
Dieser Glieder holde Pracht, -
Nur die Augen sind verschlossen,
Wie ein Stern, der sank in Nacht ...

Nun hebt sie die weichen Wimpern, -
Nimmer sah ich tiefre Not,
Als in diesen großen Augen
Starrten Irrsinnsnacht und Tod.

aus: Funken. Neue Dichtungen
von Ludwig Jacobowski
Dresden und Leipzig 1891 (S. 65)
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Martha

Motto:
Ist's möglich, daß ich's erlebt?
Daß du verweht, verklungen
Wie Harfenton?
Hermann Menkes

I.
Und starre ich offenen Auges
Hinaus in den lenzjungen Tag,
So grüßen mir deine Augen
Still aus dem sonnigen Hag.

Und schließ ich die Augenlider,
Ich banne den Zauber nicht.
Ich sehe ja immer wieder
Dein liebes, liebes Gesicht!


II.
Blondkopf mit den blauen Augen,
Still zu Füßen sitz ich Dir,
Schau wie um das Köpfchen goldig
Spielt der Locken reiche Zier.

Sieh mir schweigend in das Auge,
Du mein liebes Heil'genbild,
Das die Unschuld siegsgewaltig
Scheuche, was mich bang erfüllt.

Oft, mein Lieb, wenn dunkle Zweifel
Todeseisig roll'n durchs Hirn,
Kann nur Unschuld sie verbannen
Daß sie schattengleich entschwirrn.

Wenn sie meine Brust bestürmen,
Daß mein guter Genius weicht,
Schau ich deine Unschuldsaugen
Und das Herz wird wieder leicht!


III.
Kirchhofsidyll
Charfreitag war's, ein wundervolles Wetter,
Wie Frühlingslachen ging es durch die frohe
Bewegte Lenznatur und wellengoldig
Lag sonnenflutenatmend Flammenlicht
Auf grüner Flur. Hier guckten grüne Gräser
Neugierig aus dem säftesatten Boden
Und kicherten hinein ins frühlingshelle
Auflachen der Natur; die ernsten Bäume,
Sie lachten ernster und viel würdiger
Als jene kleinen, ewig grünen Knirpse.
Doch heller noch und lauter als sie alle
Erklang das Lachen froher Menschenkinder,
Die schön geputzt in ihrem Sonntagsstaat
Die breite, staub'ge Landstraß' schwatzend füllten
Und heiter lärmend langsam vorwärts gingen.
Doch ach, Poetenohren, Allmutter Natur,
Sie hören nur das Lachen deines Frühlings,
Des Lieblings deines Herzens, wie er pfeifend
Die Hände in den Taschen durch den kraft-
Gewürzten spülend-weichen Aether schreitet,
Und, wie geschwellt von saft'ger Cnakskraft,
Die breite Jünglingsbrust vollatmend dehnt,
Die Arme jauchzend in die Lüfte breitet,
Als wollt' er keck der Sonn' ins Antlitz patschen. -
Doch hören auch Poeten nur das dumpfe
Wehscharfe Aechzen deines Schmerzenssohnes,
Des Winters, den der Lenz auf grüner Halde
Mit junger Riesenkraft erschlagen; wie in
Den ersten Frühlingswetterschlägen rollt
Der letzte bange Aufschrei heiser krampfend
Durch's saftgeschwellte All. Die Riesenstadt
Liegt nun mit ihrem dumpf-geschwätzigen
Gewühle hinter uns und frühlingsheiter
Hinwandern wir dem Kirchhof zu nach Britz.*
[* Vorstadt Berlins]
In ihren Händen trägt sie sorgsam einen
Mit weißen Blumen durchgeschmückten Kranz,
Das hoffnungsfrische Grün zu legen auf ein
Geliebtes Grab. Und vor uns, neben, hinten,
Da wandern mit uns kleine Scharen; Männer,
Und Frauen, Kinder schreiten sonntagsfestlich
Gekleidet auf der grauen, heißen, staub'gen
Landstraße hin. Sie all' gedenken heute
Der teuren Hingeschiedenen und halten
In ihren Händen duftig grüne Kränze,
Und Blumentöpfe blütennickend blatt-
Beschwert, als sollten sie die stummen Boten
Sein für die stillen Toten, einzuhauchen
Lenzfrisches Leben, Atmen in den starren
Urewig gähnend stummen Erdenhügel.

An einem Grabe, das der Epheu träge
Umkroch, stillstanden wir und vor uns lag
Ein matt ergrauter Marmorstein, in dessen
Goldheller Schrift die Sonnenstrahlen spielten
Und stechend uns ins Herz und Auge brannten.
Hier weilt' ihr Auge wie verloren lang
Und legt den vollen Arm um meinen Hals
Und lehnt ihr blondes Haupt an mich und spricht:
"Mein Lieber, Guter, hier liegt meine Schwester,
Sie war die hübscheste von uns und auch
Der Liebling von Papa, und wenn Papa
Dran denkt, an unsre tote Grete, wird er
Ganz still, ganz still und ... siehst du, hier, da steht's,
Sie war erst sechzehn Jahr, und blaue Augen
Hat sie gehabt und lange blonde Zöpfe.
Nun sind's schon fünf Jahr her, und damals war ich
Grad dreizehn alt geworden. Damals hat auch
Papa zum ersten Mal geweint. Und wenn
Ein Mann so weint, ist's doch zu schrecklich, und haben
Wir alle darum mitgeweint und unsere kleinste
Schwester stand immer vor dem Bett und guckte
Neugierig auf die blasse, stumme Grete ..."
Wie sie dalag ... ich darf gar nicht dran denken!

Nun sahen ihre blauen Augen still und
Wehmütig in die Ferne. Dann zog rasch sie
Die Handschuh von der Hand und warf sie mit
Dem bunten Sonnenschirm hin auf die Bank,
Die neben stand und nahm den grünen Kranz
Mir aus der Hand und legt ihn an den eckigen
Fahlgrauen Stein. Mit müden Sinnen saß
Ich auf der Bank und sah, wie sie geschäftig
Mit ihren weißen Händen all' die morschen
Und dürren Aestchen riß, die gelben Blätter
Und säubernd auf dem Grab die kleinen Steinchen
Einsammelte und emsig seitwärts warf,
Bis ihre blauen Augen, prüfend, forschend
Das liebe Grab nun frisch gesäubert sahen.
Die Gießkanne nahm sie darauf, auf deren
Hellblankem Grün die roten Sonnenstrahlen
Hinwogend Flammen in das Auge sandten,
Und nickte mir noch zu und ging zum Brunnen,
Um sie zu füllen für das durstige Epheu,
Das klammernd übers Grab sich hinschlich. Sinnend
Saß ich dabei und ließ sie stumm gewähren.

Wie so verwandelt ist es um mich her!
O blütendufter Fliederhauch, du warmer,
Du leuchtend roter Sonnenstrahl, ihr weißen
Hellschimmernd losen Wölkchen und du blauer
Breit niederlachend lenzgeschmückter Himmel,
Ich lieb euch doppelt heute, daß ihr schmeichelnd
Die thränensatte Erde mitleidsvoll
Geküßt und quellenfrisches Leben locktet,
Wo müde Augen totkühl starren und ein
Hinwürgend Sterben durch den Boden schleicht,
Ich grüß euch hier an dieser Stelle wieder,
Viel tausendmal und fleh euch an, erwürgt
In meiner Brust die alte Frage,
Die rollenden Gedanken, wüsten Zweifel,
Die Mörder meines Friedens. Heut nur
Laßt mich frei sein, und ledig aller bangen Fragen.
Ich hab so viele trübe Stunden, wo
Das Haupt hinsinkt so müde, trostlos, daß es
Mich durstig sehnt nach einem Quell voll Lachen ...
Du scheinst und lächelst! Hab Dank, du Sonne,
Du liebe gute Sonne, habe Dank! - - -


IV.
Im Mausoleum
Vorm Sarg des totes Kaisers standen
Wir seelentiefergriffen still.
Dein Haupt auf meiner Schulter ruhte
Vor unaussprechlichem Gefühl.

In deinen Augen standen Thränen,
Die du so weichen Herzens bist;
Es dämmerte um uns so einsam ...
Da hast du sprachlos mich geküßt.

Mir war wie über dunkler Haide
Hinschimmre warmer Sonnenschein ...
Der Tod in düstrer Ecke hockte
Und schwieg und schaute drohend drein.


V.
Störung
Viel liebe Grüße, herzsüßes Lieb!
Willst zur Gesellschaft, bleiben in meines Bruders
langweil'gem Comptoir?
Ach wie du gut bist!
Wie schallt nun Lachen, Scherzen und Kichern!
Tausend Kobolde sitzen in allen
Gähnenden Ecken und blinzeln vergnügt
Lustig darein.

Staunend erschauen die Fächer und Waren,
Dies ungehörte, dies ungewohnte
Neckische Spiel.
Laut lacht die Sonne durchs blanke Fenster,
Sommerlich webt es, schwirrt es und girrt es,
Summend im Zimmer wie ferne Musik.

Wie sich die Thüre langsam nun öffnet,
Ach, welch ein alter, ärmlicher Greis!
Rot starrt das Auge, Sorge das Grauhaar,
Kummer die Stirn:
"Hab keine Arbeit, mein junger Herr,
Habe Familie,
Bin schon gelaufen manch langen Tag
Und fand doch niemals lohnende Arbeit.
Fehlt junger Herr, bei Ihnen einer?
Bin zwar schon alt, kenn ich doch Arbeit,
Grad wie ein Junger!"

Ach wie so gerne, gäb ich Almosen,
Fürchtet' ich nicht, daß ernst er sich weigert.
Ach wie so gerne gäb ich ihm Arbeit ...
Frage den Meister,
Ob er noch nähme mir zu Gefallen den
Graubärtigen Mann.
Aber verneinend schüttelt das Haupt er,
Mochte befehlen, so viel ich wollte,
Blieb er doch standhaft bei seinem Wort.
Ach, und dem Alten, konnt ich nicht sagen
Bittere Worte.
Konnte nicht sagen, was ihn so schmerzt.
Und so verstrichen lange Minuten
Bangen Stillschweigens.
Konnte nicht sagen, was ihn so schmerzt!
Da griff der Alte still nach der Mütze,
Grüßte dann tonlos und ging hinaus.

Geh süßes Lieb!
Mag nicht mehr küssen, mag nicht mehr lachen,
Denk ich des Alten traurigen Blick,
Sei mir nicht bös drum, süßblondes Lieb.
Aber ich wollte für deine Küsse
Heut' lieber gelbe goldne Dukaten.
Heute zum ersten Mal neid' ich dem Reichen
Schwellenden Reichtum
Neid ich das Glück ihm, helfen zu können.

Geh süßes Lieb!
Mag nicht mehr küssen, mag nicht mehr lachen,
Denk ich des Alten traurigen Blick.


VI.
Mein Kopf auf deinem Schoße,
Lieg ich bange atmend still.
Süßes Lieb, ach wenn Du wüßtest,
Was das Herz mir sprengen will.

Süßes Lieb, beschwöre nimmer
Meiner Leidenschaften Heer,
Daß sie trunkne Wonnen träumen
Unergründlich wie das Meer ...


VII.
Im Winter
... Der Schnee in bleichen Flocken fällt ...
Nun träumt verschlafen die ganze Welt.
Der Tod mit kaltem Atemhauch
Streut Funkenflocken ob Baum und Strauch.
Aufseufzt die Erde in starrem Krampf
Ausatmend Nebel und Silberdampf.
Im Leichentuch von Dämmerschnee
Verschläft sie ihr ganzes Daseinsweh.
Nur manchmal im tiefsten Innern brennt's:
Die Blumenwehen des jungen Lenz!
... Nun träumt auch mein Herz von Wintersruh,
Als deckte der Schnee es schläfrig zu,
Nur manchmal mich bleiche Wonne grüßt,
Wenn Du mich küßt, wenn Du mich küßt ...


VIII.
Der Kerker
Vor der Mutter hält mein Bildnis
Tiefgeheim mein Lieb geborgen;
Zwischen frommen keuschen Blättern
Des Gesangsbuchs ruht mein Bildnis!

Goldig auf dem sammt'nen Buche
Glänzt das Schmerzenskreuz des Heilands. -
Kannt' als Knabe schon die Lieder,
Die man sang aus sammtnen Buche,

Sang vom Trost im heil'gen Geiste,
Von der ew'gen Heilandsliebe,
Von der Zuversicht im Vater,
Und im Sohn und heil'gen Geiste,

Von der Reu des argen Sünders,
Und der bösen Heidenrotte ...
Zwischen diesen frommen Blättern
Ruht das Bild des argen Sünders.

Wenn sie singt im hohen Dome
Aus den frommen keuschen Blättern,
Sing ich, ein verlorner Jude,
Weinend mit im hohen Dome.


IX.
O, nicht mehr mein! So schmerzlich klang
Mein Herz es fröstelnd immer wieder.
Mit einem bittern Lächeln zwang
Ich all mein heißes Lieben nieder.

Nun hab ich einen Brief zur Hand ...
Ich les', doch ist das Auge trübe.
Ach, durcheinanderschluchzend stand
So viel von Thränen, Weh und Liebe ...


X.
Ich schau viel Zeilen aus deinem Brief,
Aus deinen Zeilen viel Qual und Schmerzen,
Aus deinen Qualen ein krankes Herz,
Die alte Liebe aus deinem Herzen ...


XI.
Es war kein fröhlich Wiedersehn!
Dein Antlitz schaute bleich wie Tote.
Die Augen flammen glühend Flehn,
Das mir im Herzen widerlohte.

Die blauen Augen flehn so sehr ...
Was soll, mein Herz, dein Drängen, Treiben?
Du süßes Lieb, es ist so schwer
In diesem Kampfe Mann zu bleiben!


XII.
Du hassest Lüge wie die Sünde,
Sprachst du, mein Lieb, einst feierlich;
Und 's war doch beides: Lüge, Sünde,
Als du mir schwurst: Ich liebe dich!


XIII.
Abschied
Daß du soviel mußt' leiden,
Daß ich dich oft betrübt,
Verzeih' mir vor dem Scheiden,
Wenn du mich je geliebt.

Daß mir die letzten Worte,
Du blasses, müdes Kind,
An dunkler Todespforte
Wie letztes Lächeln sind.


XIV.
Resignation
Ein Traum, wie ein Traum ...
Mählich erlosch im Innern
Der einzige Sonnenblick;
Nachzittert ein letztes Erinnern
Wie - ein Traum, wie ein Traum,
Wie ein Schatten vom Glück.


XV.
Schatten
Die Dämmerung schattet sacht herein.
Ich sitze in dunkler Ecke allein.
Nur hockt Erinnerung neben mir still,
Als wenn sie mir etwas sagen will.

In wohliger Dämmereinsamkeit,
Da träumt es sich gut von Vergangenheit,
Da träumt die Seele so vor sich hin,
An tote Liebe denkt mein Sinn,

An jene Zeit, da ich glücklich war
Durch ein blaues, blitzendes Augenpaar,
Durch Mädchenlippen so süß und weich,
Durch ein Antlitz zart und totenbleich.

Die Haare flattern im Lockgerank
Wild um die weiße bleiche Wang ...
... So sah ich sie sitzen am Klavier,
Das letzte Mal, da ich bei ihr ...

Aus schimmernden Tasten die schlanke Hand
Zauberte Töne aus Geisterland,
Akkorde so weinend, so ohne Sinn,
Es lag ja verratene Liebe darin.

Bang lauschend am Klavier ich stand
Und sah auf die schlanke bleiche Hand,
Wie die Brust sich hob in geheimer Glut,
Auf Wangen sich jagten Blässe und Blut.

Und da, mit einem schrillen Klang,
Der knirschend in das Herz mir drang,
Starb hin der Tasten Geisterspiel
Vor atemlosen Schmerzgefühl,
Und dann, dann sah ich mich allein
Mit meiner Reu' und Herzenspein ...

... Und immer, wenn nahn in der Dämmerung
Die Schatten trüber Erinnerung,
Dann tönt mir aus ihrem stummen Wort
Der eine einzige schrille Akkord,

Dann seh ich die Tasten, das Augenpaar,
Das voll von bittren Thränen war,
Und sehe die schlanke weiße Hand
So schlank, so weiß wie Totenhand ...

aus: Funken. Neue Dichtungen
von Ludwig Jacobowski
Dresden und Leipzig 1891 (S. 87-106)
_____


Felice

I.
Versuchung
Tiefe schwüle Augenpaare,
Rote Lippen wünschevoll,
Stirngekräuselt Lockenhaare,
Atemzüge tief und voll.

Augen, die mir leuchtend winken,
Runder Nacken, schimmerndweiß,
Küsse, die mein Herzblut trinken,
Busenheben schwer und heiß.

Schultern, die kokett sich zeigen,
Tausend Wonnen süßer Lohn!
Ach, was soll ich es verschweigen,
Wer bleibt da ein Sankt Anton! - - -


II.
Die Rose
Diese letzte rote Rose
Hab ich für dich, Lieb, erstanden,
Und ich berg sie still im Mantel
Daß im Schnee sie nicht erfriere.

Diese letzte rote Rose
Bring ich her durch Ungewitter;
Lustig tanzt ein Schneegestöber
Flockenwirbelnd durch die Lüfte.

Oben glänzen tausend Sterne
Auf die weißen Straßen nieder,
Und sie dämmern fast wie schläfrig
Unterm weißen Flockentuche.

Aber Lieb, nun sag mir endlich,
Warum heut' so früh zu Bette,
Bist du heute so verschlafen?
Oder warst du so verfroren?

Ach, die Ampel brennt so traulich,
Diese wohlig weiche Wärme,
Dieser Hauch von Rosendüften,
Diese schlummersüße Stille!

Diese letzte rote Rose
Soll die weiße Brust dir schmücken,
Halt nur still, mein Lockenköpfchen,
Schlag nicht wie ein kleines Kätzchen,

Murr nicht wie ein kleines Kätzchen,
Lach nur mit den Purpurlippen;
An des Hemdchens weißer Spitzen
Soll sie deine Brust dir schmücken.

Schlag nicht wie ein kleines Kätzchen,
Weil die Dornen dich gerissen,
Denn ich hab nicht viele Uebung,
Zofenartige Talente.

Lieb, mit diesen kleinen Tropfen
Roten Bluts, der dir entflossen
Zwischen weißen Psychebrüstchen,
Trink' ich süßes rotes Herzblut.

Seit ich nun dein Blut getrunken
Aus dem Herzen dir geronnen,
Trink ich tausend Leidenschaften,
Unerschöpfte Götterwonnen.


III.
Die Lampe
Mein Lieb, warum so schämig rot?
Die Lampe ist ja tief geschraubt,
Du scheust das grelle Licht, drum birg
An meine Brust dein Lockenhaupt!

Laß küssen mich den weißen Hals,
Die Psychebrüste, wonnig weich ...
Lösch aus, o Licht, denn selig winkt
Der Wonnen ganzes Himmelreich ...


IV.
Vor dem Schaufenster
Ach, Schwarzköpfchen, wirklich!
Es ist keine Art,
Daß ich hier am glänzenden Schuhwarenfenster
Ein Stündchen lang wart!

Wär hier nicht der Waaren
Neugier'ge Pracht,
Ich hätt' mich, beim Himmel, schon längst vor Aerger
Davon gemacht! ...

Doch sah' ich viel Schuhe
Gestickt mit Brokat,
Hellglänzend von Seide; so spitzig, so zierlich,
So blitzend die Naht.

Die weißen Brautschuhe,
So wunderhübsch fein,
Es kommen, das dacht ich, blitzniedliche Füßchen
Wohl einmal hinein.

Und dazu noch Strümpfchen
So duftig und zart;
Und die Beinchen darinnen fleischrosig erschimmernd
Von zierlichster Art ...

Schon wollten die Träume
Noch höher sich ranken, ...
Da kamst du, mein Lieb, sonst hätt ich noch manchen
Unheil'gen Gedanken!


V.
Idyll
Wie deine Wangen glänzen
Du süßes Lieb;
Schweratmend liegst du da,
Der Leib schimmernd und
Schmiegsam wie Weidengerte,
Mit Funkelaugen
Und wirrem Haar ...
Selig erschöpft,
Mit der Hand,
Mit der kleinen weißen Hand
Deckst du mir,
Schamhaft errötend
Die lächelnden Augen zu
Und dann
Mit einem Ruck
Voll drolligen Zornes
Wendest du plötzlich dich um
Und zeigst mir des Nackens
Rotschimmerndes Rund.
Wie'n kleines Kätzchen
Knurrst du und murrst du
Und preßt das erhitzte Antlitz
In's verschwiegene Kissen ...
Endlich nach langem
Lachen und Kichern
Wendest du zu mir
Das kleine Näschen,
Das rote Mündchen,
Die Funkelaugen
Und schneidest, ein unartiges Kind,
Ein dummes Gesichtchen
Und zeigst mir neckisch
Des Züngleins rosige Spitze.
Ach Lockenkopf, sei nicht so thöricht
Und schneid' nicht naiv
Solch dummes Gesichtchen,
Dann flüstre ich ein Wörtchen
Ein einziges, dir
Ins kleine liebliche Öhrchen
Dann bist du klug,
So klug,
Nicht wahr,
Du Liebling,
Du kleines Kätzchen,
Du Lockenköpfchen,
Denn Liebe macht klug,
So klug ...


VI.
Venusstern
Oftmals lieb ich nicht die Sonne
Vorlaut heiße Strahlenpracht,
Denn manch trunkner Liebesseufzer
Siegt viel leichter in der Nacht!

Wenn das All verschlafen atmet,
Sonnenlicht so himmelsfern,
Preis' ich dich verschwiegnen Herzens,
Venus: Morgen-, Abendstern! ...


VII.
Mysterium
- Wie fahler Irrlichtschein
Den einsamen Wanderer
Lockt in Todespein,
So deines Leibes knospenhaft
Blühende Pracht
- Im Dunkel der Nacht
Dem Unstet Verdammten
Fieberhaft winkt.
Schweratmend mit heißem Blut
Nachstürzt er der Flammenglut,
Tausend Wonnen er gierig trinkt.
- Im Erschöpfungdampfe der Leidenschaft
- Wandelt riesengroß-schattenhaft
Das große Geheimnis
Des Lebens ...


VIII.
Im Spiegel
"Ich weiß nicht, Lieb, was du nur heute hast,
Du bist so still, ich kenn' dich gar nicht wieder.
Dir zuckt der Mund in schmerzlich banger Hast
Und fiebernd glühen deine Augenlider.

Mein süßes Lieb, komm sag mir, was dir ist,
Ich kann nicht sehn dies müde stumme Zagen!
Was soll ich thun, da du so traurig bist,
Wenn ich nicht weiß, warum dein tonlos Klagen?

Was taucht dein Blick in meinen langsam ein
Aus braunen Augen unaussprechlich müde?
Wie kann ich, bei dir sitzend, fröhlich sein,
Wenns zuckend quillt dir unter'm Augenlide?" ..

""Still, setz dich zu meinen Füßen,
Mein Liebling, und höre zu!
Daß mirs im Herzen so trübe,
Nur ich bin schuld, nicht du!

Ich hab dir erzählt gar manchmal,
Von meiner Freundin Margr'ret.
Wie sie für Mutter und Schwester
Gar fleißig zu Hause genäht.

In Schule die schönste von allen,
So war sie wie Milch und Blut.
Sie war meine liebste Freundin
Und war mir von Herzen gut.

Wir wurden dann eingesegnet
Und sahen uns dann und wann.
Wir mußten ja beide verdienen!
Und bitter kam es uns an!

Vor einem Halbjahr war es,
Seit ich sie zuletzt gesehn,
Da kam heut' die kleine Schwester;
Ich sollte doch mit ihr gehn.

Und wie ich zu ihr gekommen,
Da lag sie mit wirrem Haar
Totbleich in ihren Kissen ...
Ich wußte nicht, wie mir war!

Da faßte sie meine Hände
Und zog mich weinend aufs Bett;
Erzählt' mir, wie es gekommen,
Daß sie mich gemieden hätt.

Sie war in Schande gefallen;
Sie hatte ihn heiß geliebt;
Er hatte sie heimlich verlassen,
Sie war so tief betrübt.

Ich konnte kein Wort ihr sagen,
Mir war es so schwül und heiß.
Ich küßte ihr weinend die Stirne,
Die Hände, so zart und weiß.

Mir sagte sie ihren Jammer!
Mir sagte sie ihre Not!
Mir war, als säß ihr zu Häupten
Kalt lächelnd der winkende Tod.""

... Aufschluchzend sinkt mein Kopf dir in den Schoß;
Schwer ruhen auf dem Haupt mir deine Hände,
Und deine Augen schauen wesenlos
Als wenn ein bleicher Schatten vor dir stände:

Ich sehe Schatten schleichen an der Wand.
O seid nicht schlimmer Zukunft bange Mahnung!
Was ruht auf meinem Haupt so schwer die Hand
Wie eine weinend trübe Schicksalsmahnung?

Was kann ich stammeln als "Vergieb," "Vergieb!"
Weil ich Erfüllung flehte meinem Harren!
Sprich nur ein einzig Wort, du süßes Lieb!
Nicht dieses wort- und thränenlose Starren!

Was schaust du an mich fragend wie gebannt,
Als willst du mir der Seele Tiefstes trinken?
Hast du im Schicksal jener deins erkannt?
Und siehst du deine tote Freundin winken? ...


IX.
Ich steh auf Bergeshöhe; schwarz gähnt um mich die Nacht;
Dort unten schweigt das Städtchen, hoch oben Sternenpracht.

Ich lehn' wie traumverloren am hohen Steineswall;
Ein totenstiller Friede durchwebt das müde All.

Da schwatzt und kichert's langsam den dunklen Weg empor.
Und da, da dringt ein Lachen aufschluchzend an mein Ohr.

Ich kenne die süße Stimme, den Mund, der so wonnig lacht!
Gehetzt von Wehgedanken durchirr ich allein die Nacht.


X.
Ich seh dich auf der Bühne scherzen, lachen,
Viel süße Blicke, Liebesseufzer wechseln,
Geschmeidig glatte Complimente machen
Und schöne Phrasen recht gefühlvoll drechseln!

Dann kannst du jammern, schmerzlich Hände ringen,
Nioben gleich vor Schmerz versteinert scheinen
In Tönen schluchzen, die das Herz durchdringen,
Und schöne Phrasen recht gefühlvoll weinen! ...

So hast du mir gelacht aus Lippen weich und rot!
... Mich packt ein Weinen, dumpf von Zorn und Not! ...
So hast du mir geweint aus Augen thränennaß!
... Mich packt ein Lachen, dumpf von Hohn und Haß! ...


XI.
Wiedersehen
Ich sah dich wieder
So engelsschön,
Wie ich dich im Frühling
Einstmals gesehn.
Einst konnt ich treulos
Von dannen gehn
Unmutig hassend
Ein Wiedersehn.

O könnten wir uns
In Unschuld nahn!
O Menschenherz!
O Trug und Wahn!
Ich schau dich immer
Und immer an,
Und werde wieder
Ein schwacher Mann ...

Ach, wär das Vergang'ne
Verweht wie Schaum,
Ich sollte dir küssen
Des Kleides Saum,
Dich halten, dich pressen,
O wonniger Traum,
Dich lieben, dich lieben
Ob Zeit und Raum! ...

Doch würd'st du mich küssen
Voll Leidenschaft,
Mir niederschmeicheln
All Manneskraft, ...
Ich könnte dich morden
Ich weiß nicht was,
Dich lieben aus Liebe,
Dich morden aus Haß!

aus: Funken. Neue Dichtungen
von Ludwig Jacobowski
Dresden und Leipzig 1891 (S. 109-124)
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Träumerei

So müßt es sein: In deinem Erkerzimmer
Verglüh'n die roten Scheite im Kamin;
Dein Füßchen leuchtet auf im Feuerschimmer
Und zuckt zurück, wenn ein paar Funken sprüh'n.
Sonst Finsternis. - Doch niemand ruft nach Licht.
Im weiten Schlosse ist kein Schritt zu hören;
Nur manchmal will ein fremder Laut uns stören ...
Gewiß, die Bodenfenster schließen nicht. -
Und wieder schaun wir reglos in die Glut
Und sind so stumm und hätten viel zu sagen,
Doch niemand will das erste Wörtchen wagen,
Denn dieses Schweigen ist so süß und gut.
In unsern Augen ruht ein eigner Glanz;
Der überleuchtet tiefste Dunkelheiten,
Und so, im Atem stummer Seligkeiten,
Fühl ich dich ganz,
Fühlst du mich ganz ...
So müßt es sein!

aus: Leuchtende Tage. Neue Gedichte
von Ludwig Jacobowski
Dritte Auflage Berlin 1908 (S. 25)
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Maienblüten

Duld es still, wenn von den Zweigen,
Von den überfüllten Zweigen,
Blüten weh'n ins fromme Haar,
Und sich sacht herüberneigen,
So im Durst herüberneigen,
Lippen sich auf Lippenpaar.

Sieh, ein Beben süß und wunderlich,
Rinnt durch übersonnte Blätterreihen.
Alle Blüten, die sie niederstreuen,
Segen streuen sie auf dich und mich.

aus: Leuchtende Tage. Neue Gedichte
von Ludwig Jacobowski
Dritte Auflage Berlin 1908 (S. 26)
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Frage

Die Welt ist so in Blüte,
Sie kann nicht blühender sein.
Doch tot ist mein Gemüte,
Und schuld bist du allein.

Ist denn die Welt in Blüte,
Wenn irgendwo ein Schmerz?
Und ist sie voll von Güte,
Wenn leer dein eigen Herz?

aus: Leuchtende Tage. Neue Gedichte
von Ludwig Jacobowski
Dritte Auflage Berlin 1908 (S. 26)
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Ballszene

Durch tausend Gäste schreit ich hin,
- Elektrisch glüh'n die blassen Kerzen -
Durch Tanzmusik und lautes Scherzen,
Und weiß doch, daß ich einsam bin.
Nun schweigt der letzte Bogenstrich;
Ein Schwirren, Schwatzen bei den andern ...
Wohin auch meine Schritte wandern,
Sie suchen unbewußt nur dich.

Sonst lehnt ich nicht an blanker Wand
Bewegungslos vorm Lüstrespiegel;
Der Walzer gab den Fersen Flügel
Und warme Händchen in die Hand.
Ich tu, als schau ich nicht nach dir,
Als blätt're ich an Chrysanthemen.
O Gott, wär sie allein mit mir,
Wie wollt ich sie ans Herze nehmen!

aus: Leuchtende Tage. Neue Gedichte
von Ludwig Jacobowski
Dritte Auflage Berlin 1908 (S. 27)
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Tanz

Wenn du dein Köpfchen an mich legst,
Dann hör ich kaum die Geigen spielen.
Ich seh nur dich und kann nur fühlen,
Wie du mich ganz in Händen trägst.

Und weiß nicht hin mit meiner Lust
Und nehm die ganze Kraft zusammen,
Denn Flammen strömen jetzt in Flammen,
Und heimlich drängt sich Brust an Brust.

aus: Leuchtende Tage. Neue Gedichte
von Ludwig Jacobowski
Dritte Auflage Berlin 1908 (S. 27-28)
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Unbewußt

Nicht nur in blanker Tageshelle
Hat mich dein blauer Blick bezwungen.
Er dringt auch durch die Dämmerschwelle
In meiner Seele Niederungen.

Oft schaff ich recht so aus dem Vollen
Und denke nicht an Liebesgrüße.
Da ... wie von selbst emporgequollen,
So spricht es plötzlich fremd: "Du Süße!"

aus: Leuchtende Tage. Neue Gedichte
von Ludwig Jacobowski
Dritte Auflage Berlin 1908 (S. 29)
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Wandlung

Finster ist mein Herz,
Finster mein Gesicht.
Doch dein Mündlein froh
Lacht ins Sonnenlicht, -
Sieh, es glänzt nur so!

Störrisch ist mein Haar,
Störrisch ist mein Sinn.
Doch dein Händchen streicht
Nur so drüber hin, -
Sieh, es biegt sich leicht!

aus: Leuchtende Tage. Neue Gedichte
von Ludwig Jacobowski
Dritte Auflage Berlin 1908 (S. 30)
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Bitte

Nur Eines, Liebste, wünsche ich:

Das Schaltuch aus Japanerseide,
Das überm dunkelroten Kleide
Sonst wohl mit weichem Knistern strich, -

Das lege um den Nacken dir,
Und laß die goldnen Enden fliegen,
Sich wohlig auf der Schulter wiegen ...
Vielleicht verwehen sie zu mir.

Dann flattert wohl das seid'ne Band,
Das liebe Lüfte aufgefangen,
Liebkosend mir um Stirn und Wangen
Wie feiner Gruß von Frauenhand.

Und fühl ich auch ein Weilchen bloß,
Worin dein Hals so hold gebettet,
So hat ein Ring uns doch verkettet ...

Nun wehre dich! - Du kommst nicht los!

aus: Leuchtende Tage. Neue Gedichte
von Ludwig Jacobowski
Dritte Auflage Berlin 1908 (S. 31)
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Ungestüm

Liebe läuft auf Blitzesschuhen,
Ungebeten, ungerufen;
Um an weichem Mund zu ruhen,
Überspringt sie tausend Stufen.

Und so nah ich nicht beklommen,
Um die Lippe kalt zu finden.
Küsse, die wie Blitze kommen,
Werden auch wie Blitze zünden!

aus: Leuchtende Tage. Neue Gedichte
von Ludwig Jacobowski
Dritte Auflage Berlin 1908 (S. 31-32)
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Nicht genug

Ich liebe dich, doch nicht genug
Für deine Seele, deine süße.
Ich hab ja Augen nicht genug
Für ihre tausend stummen Grüße.
Nicht Hände habe ich genug,
Um Glück, nur Glück dir zuzutragen,
Und habe Atem nicht genug,
Um soviel Liebe auszusagen!

aus: Leuchtende Tage. Neue Gedichte
von Ludwig Jacobowski
Dritte Auflage Berlin 1908 (S. 34)
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Seidenfaden

Um eine Kugel Elfenbein
Hat Seidenfäden sie gezogen,
Und stickt in gelben Atlas ein
Seltsam Getier mit Schnabelbogen.

Jetzt ruht die fleiß'ge Hand sich aus
Und bleibt im Schoß ermüdet liegen.
Durchs Fenster schweift ihr Blick hinaus
Und folgt den finstern Wolkenzügen.

Liegt auch im Schatten ihr Gesicht,
Ich mein jetzt ihren Blick zu spüren,
Indes im roten Lampenlicht
Sich kaum die Fingerspitzen rühren.

Wir horchen still ... der Ofen surrt
In Gluten, die zusammenprasseln;
Ans Fenster stößt der Wind und murrt
Zum rauhgetönten Wagenrasseln.

Da fällt's mir unversehens ein:
Wenn sie die Fäden fallen ließe,
Daß, abgerollt vom Elfenbein,
Sich Ketten schmiegten um die Füße,

Ich nähm's für einen stillen Gruß,
Unsichtbar einem fremden Dritten,
Und streifte vom beglückten Fuß
Sie nicht um hunderttausend Bitten!

aus: Leuchtende Tage. Neue Gedichte
von Ludwig Jacobowski
Dritte Auflage Berlin 1908 (S. 35-36)
_____



Tu das nicht!

Tu das nicht mehr!
Tu das nicht!
Komm nicht, sag nicht
"Gute Nacht";
Weißt nicht, was in
Mir erwacht,
Wenn die Nacht
Ins Zimmer bricht.

Hör der Stimme
Rauhen Ton!
Rote Flammen
Brennen drin,
Lichter zucken
Drüber hin,
Und der Atem
Zittert schon.

Halt nicht meine
Hand so fest!
Meine Finger
Sind wie Eis.
Und sie glühen
Fieberheiß,
Wenn du leis
Sie fallen läßt.

Bleib auf finstrer
Schwelle steh'n,
Sprich wie Hauch
Gedämpft zu mir!
Brauchst nicht seh'n,
Wie an die Tür
Ich die nasse
Wange leh'n ...

aus: Leuchtende Tage. Neue Gedichte
von Ludwig Jacobowski
Dritte Auflage Berlin 1908 (S. 36-37)
_____


Herr

So du mich willst, so komm ich,
Und willst du nicht, - erst recht!
Bin Herr von deinem Herzen,
Nimmermehr dein Knecht.

Mag jäh dein Fuß sich wenden
Fluchtwärts zur Kammertür,
Ich reiß dich mit den Händen
Jauchzend her zu mir.

Und wehrst du dich mit Tränen,
Verwirrnis und Verdruß, -
Ich fühl dein ganzes Sehnen
Auch im halben Kuß!

aus: Leuchtende Tage. Neue Gedichte
von Ludwig Jacobowski
Dritte Auflage Berlin 1908 (S. 37-38)
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Himmlische Liebe

Ja doch, Liebste wir wollen uns wiegen
Hoch in unendlicher Ätherwelt,
Frei mit befreiter Seele fliegen
Dort wo die Gottheit ihr Hochamt hält,

Wollen im Himmel in Reinheit uns kühlen,
Abtun der Wünsche verwegene Lust, -
Einmal jedoch laß mich Erde fühlen,
Irdische Fülle an irdischer Brust!

aus: Leuchtende Tage. Neue Gedichte
von Ludwig Jacobowski
Dritte Auflage Berlin 1908 (S. 38-39)
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Gelegenheit

Mittagsschwüle in der Runde,
Schläfrig schlägt die Kirchenuhr.
Und wir selbst auf sel'ger Spur
Hand in Hand in jungem Bunde.

Sehnt sich da nicht Mund zu Munde?
Lockt dich nicht die weiche Flur?
Ach, mein Auge fragt dich nur:
Wann kommt meine, deine Stunde?

aus: Leuchtende Tage. Neue Gedichte
von Ludwig Jacobowski
Dritte Auflage Berlin 1908 (S. 39)
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Bitte

Gewiß, einst komm ich nachts zu dir;
Mich dürstet so nach deinen Küssen.
Dann taumle ich in Finsternissen
Mich tastend bis an deine Tür.

O, heb vom Kissen dich empor,
Und laß mich nicht von dannen gehen,
Dem Bettler gleich, der müd vom Stehen
Den toten Blick umsonst verlor ...

aus: Leuchtende Tage. Neue Gedichte
von Ludwig Jacobowski
Dritte Auflage Berlin 1908 (S. 39-40)
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Heimlicher Weg

Stark stößt der Wind. Wie grell das Schloßtor knarrt!
Jäh überläuft sie ungewohntes Schauern.
Sie schaut sich um, ob kein Verräter harrt,
Doch tief im Finstern ragen nur die Mauern.

Sie horcht. Kein Laut im langen Korridor,
Und doch ist ihr die Stille nicht geheuer.
Den weiten Mantel zieht sie übers Ohr,
Dann schleicht sie wie ein Schatten durchs Gemäuer.

Das ist die Tür! Sacht klopft ihr Ringlein an.
Ein leiser Ruf, ein halbersticktes Lachen. -
Ein sehnend Mädchen und ein sel'ger Mann. -
Komm, Sankt Georg, uns treulich zu bewachen!

aus: Leuchtende Tage. Neue Gedichte
von Ludwig Jacobowski
Dritte Auflage Berlin 1908 (S. 40)
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In der Nacht

Ein Schatten gleitet durch die Nacht
Bis an mein Bett und horcht und horcht.
Ein leises Rascheln von Battist,
Dann halbes Atmen sacht und süß.

Ich seh dich nicht, doch fühl ich dich,
Den Leib im kühlen Nachtgewande,
Das Köpfchen mit dem schweren Haar,
Du Süße, du mein junges Weib.

Und beugt sich langsam zu mir her,
Als wär's ein Kinderstreich zur Nacht.
Ein Hauch von Kuß auf beide Augen
Und sanfter noch auf meinen Mund.

Hoch will ich heben Hand und Arm,
Den jungen Nacken zu umwinden,
Die Lippen wölben wie zum Kuß,
Um ihre Lippen sanft zu fangen,
Die sel'gen Augen heimlich öffnen,
Um ihren lieben Blick zu trinken ...

Ich kann es nicht. Gefaltet ruh'n
Die Hände hinterm müden Scheitel,
Die Lippe bebt im Atem kaum,
Und schwer geschlossen bleibt der Blick.

Nur leis, wie Hauch der Juninacht,
Fließt unbegrenzte Zärtlichkeit
Aus ihrer Augen holder Nähe
Durch tausend Adern mir ins Herz.

So lieg ich da. So läg ich gern
Die armen Nächte meines Lebens,
Und käm das Sterben so zur Nacht,
Es träf mich wehrlos und beglückt.

aus: Leuchtende Tage. Neue Gedichte
von Ludwig Jacobowski
Dritte Auflage Berlin 1908 (S. 41-42)
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Unverbesserlich

Wenn du so mit klugem Munde
Meinem heißen Drängen wehrst,
Hundertmal in einer Stunde
Mich in frommer Zucht belehrst - -

Hör ich nur den Klang, den weichen,
Und der Lippen holdes Spiel;
Und zu hundert neuen Streichen
Lockt mein zärtliches Gefühl! ...

aus: Leuchtende Tage. Neue Gedichte
von Ludwig Jacobowski
Dritte Auflage Berlin 1908 (S. 42)
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Siegerin

Nimm dich in acht, mein Lieb, du kennst mich nicht!
So wie der Goldgrund alter Schloßtapeten
Durch tausend übermalte Farben bricht,
Um sonnenleuchtend an den Tag zu treten, -

So wie im Steppenbrande Halm für Halm
Jählings verknisternd durch die Flammen fliegen,
Um immer wieder aus dem Aschenqualm
Den schlanken Siegerleib im Licht zu wiegen -

So treib nur hin, so toll' nur lachend hin,
Wo weiße Frauenarme dich umwinden:
Denn immer - weil ich deine Sehnsucht bin, -
Wirst du in fremden meine Seele finden!

aus: Leuchtende Tage. Neue Gedichte
von Ludwig Jacobowski
Dritte Auflage Berlin 1908 (S. 43)
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Wann ich liebe ...

Wenn ich mit frohbeglückten Händen
Dir zärtlich streiche das Gesicht, -
O, glaub mir nicht!

Und runde ich um deine Haare
Den hellsten Reif aus Edelstein, -
Du bist nicht mein!

Und schwöre ich: dein holdes Bildnis
Ist Leuchte meiner Lebensspur, -
So lächle nur!

Doch wenn ich jäh herüberrisse
Dein stolzes Haupt mit einem Ruck
Und küßte dich mit wildem Bisse,
Das kaum du stammeln kannst: "Genug!"
Und bluteten dir beide Füße
Vor meiner Peitsche rotem Strich,
- Wehtun schafft tausendfache Süße! -
Dann lieb ich dich,
Dann lieb ich dich!

aus: Leuchtende Tage. Neue Gedichte
von Ludwig Jacobowski
Dritte Auflage Berlin 1908 (S. 44-45)
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Gruft

Meine Liebste hat einen altdeutschen Schrein,
Vier Ritter tragen die Ecken.
Dort legt sie alles hinein
In heimlichem Verstecken:

Blumen, die ich für sie gepflückt,
Zärtliche Wünsche, auf Zettel geschrieben,
Verse, die meiner Liebe geglückt,
Worte, im Herzen haften geblieben ...

Alles legt sie in diesen Schrein,
Wie in der Gruft das rosige Leben.
Ich weiß, einst schließt sie mich selber ein,
Um nie mehr den Deckel zu heben.

Blumen, heimlich für sie gepflückt,
Zärtliche Worte, auf Zettel geschrieben,
Verse, von Herzen zu Herzen geschickt ...
Was ist von euch geblieben?

Gespenstisch nur raschelt es manchesmal,
Ein Seufzer hebt sich noch trübe;
Ach, und kein erinnernder Strahl
Tastet ins Dunkel der Liebe ...

aus: Leuchtende Tage. Neue Gedichte
von Ludwig Jacobowski
Dritte Auflage Berlin 1908 (S. 45-46)
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Ein Ton

Alle meine Lieblingslieder
Hab ich heute durchgesungen.
Doch der Ton kommt immer wieder,
Der mir jäh ins Ohr geklungen.

Jener Ton aus deinem Munde,
Als du Abschied hast genommen,
Und ich weiß in dieser Stunde,
Du wirst niemals wiederkommen.

aus: Leuchtende Tage. Neue Gedichte
von Ludwig Jacobowski
Dritte Auflage Berlin 1908 (S. 46)
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Warten

Stündlich harrt mein Herz darauf,
Doch du schenkst mir keine Zeile. -
Liebe hat sonst Möweneile
Und hört nie zu geben auf.

Reglos förmlich steht die Zeit,
Jede Stunde schwillt ins Breite.
Mutlos schau ich in die Weite,
Tiefbedrückt vor Traurigkeit.

aus: Leuchtende Tage. Neue Gedichte
von Ludwig Jacobowski
Dritte Auflage Berlin 1908 (S. 49-50)
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Vergebung

Drei Rosen wolltest du mir senden,
Dein holder Mund versprach es mir.
Die Rosen blüh'n an allen Enden,
Und täglich fragen sie nach dir.

Und Myrten wolltest du mir stecken
Ins dunkle Haar als Brautgeschmeid;
Die Myrten blüh'n an allen Ecken,
Du kommst nicht, und sie sind bereit.

Nun stehn verwildert Ros' und Myrte,
Verödet Garten und Gemach;
Nur manchmal wecken sie verirrte,
Sehnsücht'ge Abendlüfte wach.

Einst ruf ich dich zum letzten Male,
Am Abend vor der letzten Früh;
Vor deinem Blick die Todesschale,
Befreiten Herzens trink ich sie.

Dann reich ich schweigend dir die Rechte
Und will versöhnt dein Antlitz seh'n
Und in die große Nacht der Nächte
Mit deinem Bild hinübergeh'n ...

aus: Leuchtende Tage. Neue Gedichte
von Ludwig Jacobowski
Dritte Auflage Berlin 1908 (S. 50-51)
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Sehnsucht

Alte Gruben schaufle um,
Tiefer werden sie und breiter;
Altes Leid wird nimmer stumm,
Denn im neuen schluchzt es weiter.

Alter Wein, der unversehrt,
Kocht in seines Saftes Gluten;
Alte Sehnsucht schwillt und nährt
Sich vom eigenen Verbluten.

aus: Leuchtende Tage. Neue Gedichte
von Ludwig Jacobowski
Dritte Auflage Berlin 1908 (S. 52-53)
_____


Liebe

Liebe ist wie alter
Flammenwilder Wein;
Liebe will mit Fürsicht
Fein genossen sein.

Tumbe nur und Toren
Trinken sich zur Qual,
Und mit langen Ohren
Taumeln sie ins Tal.

Doch der Zecher fürnehm
Ist im Rausche rar. -
So bleibt Lieb bei Liebe
An die hundert Jahr.

aus: Leuchtende Tage. Neue Gedichte
von Ludwig Jacobowski
Dritte Auflage Berlin 1908 (S. 111)
_____


Ich aber weiß ...

... Ich aber weiß, ich seh dich manche Nacht,
In meine Träume klingt dein holdes Lachen,
Und meine Lippen murmeln oft im Wachen
Verlor'ne Wünsche, die an dich gedacht.

Und unaufhörlich legt sich Zeit zu Zeit ...
Verweht wie deine sind dann meine Spuren,
Bis zu den Mauern jener stillen Fluren,
Wo schweigsam Hügel sich an Hügel reiht.

Dann wird der Sturmwind um die Gräber weh'n,
Der wird mit seinen regenfeuchten Schwingen
Von Menschenglück und junger Liebe singen ...

Wir aber ruh'n und werden's nicht versteh'n.

aus: Leuchtende Tage. Neue Gedichte
von Ludwig Jacobowski
Dritte Auflage Berlin 1908 (S. 112)
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Die Fremde

Sah dich heut vorübergeh'n:
Aus dem schwarzen Morgenkleide
Hob der weiße Nacken sich
Und die Nacht gewellter Haare.

Was im Grund der Augen glüht,
Ruht auf glänzend weißer Stirne,
Was die Lippe heimlich spricht,
Ach, ich sinne Tag um Tage ...

Doch in Nächten sommerschwer,
Wo kein Blättlein sich will regen,
Steh ich still im Laubengang,
Wo du einst vorbeigewandelt.
Und mir ist, du kämst daher,
Und nun lachen deine Augen,
Deine Stirne senkt sich sanft,
Und es wölbt sich heiß die Lippe.

Süße Träume ... Sterne steh'n
Unbeweglich hoch am Himmel,
Und am Gittertor verblüht
Langsam Rose mir um Rose ...

aus: Leuchtende Tage. Neue Gedichte
von Ludwig Jacobowski
Dritte Auflage Berlin 1908 (S. 113)
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Du bist ...

Du bist für meine arme Seele
Wie treuer Stab dem Sinkenden,
Wie Wein dem gierig Trinkenden,
Wie Himmelstrost in Falsch und Fehle.

So lebt mein Herz, das ängstlich-zage,
Beglückt im Schatten deiner Mächte
Das halbe Leben meiner Tage,
Das ganze Leben meiner Nächte.

aus: Leuchtende Tage. Neue Gedichte
von Ludwig Jacobowski
Dritte Auflage Berlin 1908 (S. 114)
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Vergessen?

Wie war der Julitag so heiß und schwer!
Rauchsäulen stiegen weiß von drüben her,
Als schien's im Feld zu brennen.
Wir saßen Arm in Arm auf enger Bank
Und sah'n uns an, so unersättlich lang ...
Wie hast du das vergessen können?

Und abends standen wir am Wiesenrand;
Nach deinem Händchen suchte meine Hand,
Die Lippen drauf zu pressen.
Ein Blick, ein Druck, ein hingestammelt Wort,
Ein leises "Du" ... wie klang das in uns fort ...
Wie hast du das vergessen können?

aus: Leuchtende Tage. Neue Gedichte
von Ludwig Jacobowski
Dritte Auflage Berlin 1908 (S. 114)
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Bonta passa belta

Ja, du bist schön! - Ein Lied zu deinem Preise
Säng ich wohl gern, nach Minnesängerweise,
Doch schon beim ersten Verse hör ich auf.
Dein holdes Bildnis steigt vor mir herauf,
Und - Reim und Rhythmus dreh'n sich wild im Kreise.

Doch, ob du gütig bist? - Ihr dürft nicht fragen,
Denn meine Lippe wird nicht Antwort sagen,
Nur meine Augen werden traurig seh'n. -
Am Himmel müßten abends Sterne steh'n,
Ich seh heut Wolken nur, die vorwärts jagen.

aus: Leuchtende Tage. Neue Gedichte
von Ludwig Jacobowski
Dritte Auflage Berlin 1908 (S. 115)
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Eine Seele

In deinen Liedern lebt mein Leben,
Durch meine Lieder strömt dein Blut.
Ein unerschöpftes Nehmen, Geben
Und eine unerschöpfte Glut.

Ein Lächeln nur und nur ein Leiden,
Du bist in mir und ich in dir.
Und kommt das Glück, es winkt uns beiden,
Und keiner bettelt: Komm zu mir!

Und wenn mein Blick vom letzten Ziele
Ins fremde Land hinüberrinnt,
Du fühlst es mit, wie ich es fühle,
Weil wir so ganz verkettet sind.

aus: Leuchtende Tage. Neue Gedichte
von Ludwig Jacobowski
Dritte Auflage Berlin 1908 (S. 116)
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Schweigen

Bekümmert schick ich täglich Boten aus:
Sie seh'n dich nicht, verschlossen ist dein Haus.
Vieltausend Wünsche sende ich zu dir,
Sie pochen an: verriegelt bleibt die Tür!
Nun schick ich meine Liebe hinterher, -
Sie hebt den Riegel nicht: er ist zu schwer!
Nun steh ich da und weiß nicht, was ich tu!
Kein Toter schließt so tief sich ein wie du!

aus: Leuchtende Tage. Neue Gedichte
von Ludwig Jacobowski
Dritte Auflage Berlin 1908 (S. 116-117)
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Du

Immer wieder denk ich dran,
Wie ich's früher schlimm getrieben,
Wenn an mir was gut geblieben,
Du, mein Lieb, bist schuld daran.

Und beruhigt fühle ich
Deines Wesens holde Stille.
Unerschöpflich und in Fülle
Senkst du Frieden über mich.

aus: Leuchtende Tage. Neue Gedichte
von Ludwig Jacobowski
Dritte Auflage Berlin 1908 (S. 117)
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Anita

Von Italien kommst du her!
Deinen Himmel mußt du lassen,
Deine heimatlichen Gassen
Und das weite, blaue Meer.

Jedes Fenster, jede Tür,
Jeder Stein an meinem Orte
Schenkt dir tausend Liebesworte!
Ach, was geb ich dir dafür?

Blauer Himmel wölbt sich nicht;
Nur die nassen Nebel steigen,
Und von kümmerlichen Zweigen
Tropft dir Regen ins Gesicht.

Meine Gassen sind dir fremd,
Fremd die Menschen vor den Türen. -
Wie ein Vöglein wirst du's spüren,
Dem ein Ring die Flügel hemmt.

Suche Woge nicht noch Strand!
Große Augen künden Tränen;
Und in ungestilltem Sehnen
Bangt dir nach dem Heimatland.

Auch die ew'ge Trösterin,
Deine Sonne, geht hier schlafen.
Ohne Halt und ohne Hafen
Gleitet deine Sehnsucht hin.

Ach, für all die Pracht und Lust,
Himmel, Sonne ohne Ende ...
Sag, was sind dir meine Hände,
Meine Seele, meine Brust?

aus: Leuchtende Tage. Neue Gedichte
von Ludwig Jacobowski
Dritte Auflage Berlin 1908 (S. 117-118)
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Sphinx

Und wärst du das teuflische Nixenweib,
Das die Seele mir saugt aus dem sehnenden Leib,
Mit grausamem Blick im düst'ren Gesicht, -
Ich fürcht mich nicht, ich fürchte dich nicht!

Und ruhten wir beide so Brust an Brust,
Und rissest das Herz du mir aus vor Lust,
Ich schaute dich an, ich lachte dich an
Und wär noch im Sterben ein seliger Mann.

aus: Leuchtende Tage. Neue Gedichte
von Ludwig Jacobowski
Dritte Auflage Berlin 1908 (S. 124)
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Liebe

Höre täglich deinen Liebsten bitte,
Fühle schwinden mählich Kraft um Kraft,
Laß ein einzig Mal dich überschütten
Mit der Fülle seiner Leidenschaft, -

Wagst du dann den Kopf noch hochzutragen,
Herzlos über mich hinwegzuseh'n,
Will ich, Schwester, geh'n und dich beklagen,
Denn nur Liebe kann mein Herz versteh'n.

aus: Leuchtende Tage. Neue Gedichte
von Ludwig Jacobowski
Dritte Auflage Berlin 1908 (S. 124)
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Heimliche Liebe

Gleichwie der Säman auf der Flur
Den Segen streut nach allen Seiten,
So werf ich Liebe, Liebe nur
In alle Lüfte, alle Weiten.

Und wo sie leuchtend niederfällt,
Will jede Hand den Segen haben;
Die arme Welt, die reiche Welt
Ist voll von meinen Sonnengaben.

Und alle folgen meiner Spur,
Als wär der Heiland selbst gekommen.
Und meine Liebe galt doch nur
Der Einen, die die - nie genommen ...

aus: Leuchtende Tage. Neue Gedichte
von Ludwig Jacobowski
Dritte Auflage Berlin 1908 (S. 125)
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Durch die Gassen

Himmel zu Häupten und Stern über Stern,
Brausende Gassen rollen von fern,
Um uns des Nachtwinds weiches Gefühl,
In uns ein Sehnen, ein Drängen, ein Ziel.
Streichelt die Hand deines Nackens Gelock,
Tastet am Fuß mir dein schwellender Rock.
Seele in Seele schmeichelt sich ein,
Keiner weiß mehr, was mein und dein.

Summen im Telegraphenstrang ...
Liebste, was stehst du und lauschest so bang?
Hör nur der Lüfte verworrenen Klang,
Schwebender Geister freundlichen Sang!
Geister der Nächte, behütet uns zwei!
Sel'ge des Tages, o helft uns dabei!
Schmiedet uns beiden den Kronreif des Glücks,
Eines Erduldens und eines Geschicks!

aus: Leuchtende Tage. Neue Gedichte
von Ludwig Jacobowski
Dritte Auflage Berlin 1908 (S. 135)
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Nicht?

Mund, der dürstend mir am Munde lag,
Und die Augen halb erschöpft geschlossen,
Füßchen, die ich hob zum Wagenschlag,
Irre Worte, die in eins verflossen,
Nachts in finst'ren Fluren Kuß um Kuß,
Lange Blicke, die wie Fackeln brannten,
Zwischen Tagesanfang und -Beschluß
Brief und Verse, die mir Flammen sandten - -
Komm nur her und sprich, du liebst mich nicht!
Und hast mondelang um mich geworben,
Mondelang bist du um mich gestorben!
Jetzt her den Blick und sprich: "Du liebst mich nicht!"

aus: Leuchtende Tage. Neue Gedichte
von Ludwig Jacobowski
Dritte Auflage Berlin 1908 (S. 136)
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Mandelblüte

Vom Mandelbaum nur eine einz'ge Blüte,
Dazu ein Brieflein dunkelblau Papier
Mit hundert Wünschen, daß mich Gott behüte ...
Von wem ist's anders als von dir?
Das ganze Zimmer öffnet sich der Blüte,
Dem holden Gruß mein innigstes Gemüte! ..
O weh, wie sehnt es mich nach dir!

aus: Leuchtende Tage. Neue Gedichte
von Ludwig Jacobowski
Dritte Auflage Berlin 1908 (S. 136)
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Dämmerstunde

Ein Schaukelstuhl, um leise mich zu wiegen,
Dahinter ihre zierliche Gestalt,
Zwei Händchen, die auf meinen Schultern liegen,
Als suchten die verwaisten festen Halt.
Allmählich werfen Schatten sich ins Zimmer,
Dann schüttet sie die rhythmische Gewalt
Schmerzlicher Lieder in den Abendschimmer,
Hinreißend, ohne Halt ...

So sitz ich oft bei ihr zur Dämmerstunde
Und bin beglückt, bezwungen und bewegt.
Dann schweigen wir und hören in der Runde
Nur unser Herz, das jetzt verdoppelt schlägt,
Und fühlen, wie in tiefstem Seelengrunde
Der Jubel keine Fessel mehr erträgt;
Und plötzlich hängt sie bebend mir am Munde,
Ganz wunderlich erregt.

aus: Leuchtende Tage. Neue Gedichte
von Ludwig Jacobowski
Dritte Auflage Berlin 1908 (S. 137)
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Antwort

Von den Wünschen, die im Busen brennen,
Zu den Worten, die den Wunsch benennen,
Von den Federn, die nach Worten jagen, -
Zu den Blättern, die sie weitertragen, -
Ach, verfliegt der feinste Hauch!

Darum will ich mir kein Brieflein kaufen,
Auch nicht Federn, wenn sie selber laufen,
Mich nicht mühen, Worte aufzutreiben,
Meine Wünsche sorgsam zu umschreiben. -
Nein! die Lippen drängen sich entgegen,
Wünsche wollen sich an Wünsche legen,
Und mein Herz an deines auch!

aus: Leuchtende Tage. Neue Gedichte
von Ludwig Jacobowski
Dritte Auflage Berlin 1908 (S. 138-139)
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Martha

An der Bahre

Still, Gewitter! - Schweig vor diesen Mauern!
Halte Frieden, wo zwei Seelen trauern. -
Eine, die in Dornen nur gelegen,
Wandelt jetzt auf ungemess'nen Wegen,
Und inmitten ihrer Not und Schmerzen
Barg sie noch mein Haupt an ihrem Herzen,
Daß des Lebens Stachel nimmer quäle
Meine arme Seele!

Weiße Rosen schütt ich auf die Bahre,
Dunklen Lorbeer in die blonden Haare.
Huscht ein leiser Windstoß an den Wänden,
Raschelt in der Kränze Sammetenden. -
Hör ich eine Stimme leise klagen:
"Deine Rosen welken schon nach Tagen,
Gib mir doch, auf daß mir nichts mehr fehle:
Gib mir deine Seele!"

aus: Leuchtende Tage. Neue Gedichte
von Ludwig Jacobowski
Dritte Auflage Berlin 1908 (S. 161)
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Die Tote

Ein altes Bild aus Kinderzeiten,
Das macht die Hand so schwer und schwach.
Es will fast aus den Fingern gleiten,
Denn tiefstes Leid wird wieder wach:
Mein Lieb als Kind von sieben Jahren,
Die Augen hold und unbewußt,
Den runden Zopf aus Sonnenhaaren,
Das gold'ne Kreuzlein auf der Brust ...

Ach, dieses Bild hat soviel Süße,
Durch Tränen schau ich das Gesicht.
Und wenn ich's auch mit Tränen büße,
Es hilft mir nichts,
Du bist es nicht ...

aus: Leuchtende Tage. Neue Gedichte
von Ludwig Jacobowski
Dritte Auflage Berlin 1908 (S. 162)
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Reue

Oft denk ich, wie du meinetwillen
Verweint so manche lange Nacht
Und doch im Herzen, ganz im stillen,
Was Liebes für mich ausgedacht,
Und halte ich mein Herz dagegen,
Das, ach, nicht halb so gut wie du -
Möcht ich mich lang zu Boden legen,
Das Angesicht der Erde zu ...

aus: Leuchtende Tage. Neue Gedichte
von Ludwig Jacobowski
Dritte Auflage Berlin 1908 (S. 162)
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Später Sieg

Dein kleines Herz
In übermüt'ger Hand,
Hielt schon mein bloßer Blick
Dich einst gebannt;
Und meinem ungestümen
Herrschersinn
Bog sich dein blonder Scheitel
Wehrlos hin.

Nun, da im Wind
Sich keine Locke wiegt,
Dein armes Haupt
In engen Brettern liegt,
Da macht die Reue
Mir das Herz so schwer,
Den Tag so finster
Und die Nacht noch mehr.

Mit tausend Fäden
Ziehst du mich an dich,
Mit tausend Fäden
Hält das Leben mich,
So schwank ich zwischen Tod
Und Leben hin,
Verwirrt durch meiner Seele
Doppelsinn.
Nun, da dein Haupt
In engen Brettern liegt,
Jetzt fühl ich erst,
Wie sehr du mich besiegt ...

aus: Leuchtende Tage. Neue Gedichte
von Ludwig Jacobowski
Dritte Auflage Berlin 1908 (S. 163-164)
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Memento

Und geh'n noch einmal sieben Jahre hin,
Ich habe meinen Kummer nicht verwunden.
Denn manchmal, mitten wenn ich fröhlich bin,
Klopft jäh der Pulsschlag meiner alten Wunden.

Und dann verlangst es mich nach deiner Nähe;
Ich lauf die Gräberreihe ab zu dir!
Ich weiß, dir ist dort unten nicht mehr wehe ...
Und mir? Fragst du dort unten je nach mir?

aus: Leuchtende Tage. Neue Gedichte
von Ludwig Jacobowski
Dritte Auflage Berlin 1908 (S. 164)
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Die alte Frau

I.
Ich hab da eine alte Frau,
Die wohnt zu allernächst dem Himmel,
Denn neunzig Stufen sind's genau,
Und Kinder drauf, ein Mordsgewimmel.

In ihrem Stübchen, blank und rein,
Vertost der laute Hall der Gassen.
Und mählich sinkt die Nacht herein
Verfinsternd auf die Häusermassen.

Der Vollmond klettert über Dach,
Die Sterne leuchten rings im Reigen,
Die Wanduhr tickt nur noch gemach ...
Wir sitzen reglos da und schweigen.


II.
Was hab ich wohl an der alten Frau?
Das weiß ich selber nicht so genau.
Ihr Kaffee kann es doch nicht sein,
Sie gießt mir zuviel Milch hinein.
Nur ihre Bratäpfel lieb ich sehr,
Die pflegt sie für mich in der Ofenröhr.

Was ich wohl an der Alten hab?
Das macht weit draußen ein schmales Grab.
Dort legte sie ihre Hoffnung hinein,
Ein schlankes, blondes Mägdelein.
Das ging durchs Leben still für sich,
Und dachte an einen und der war ich.
Und ward sonst niemandem offenbar,
Daß sie meines Lebens Süße war.

Fühl ich das Leben wirr und rauh,
Dann steig ich empor zu der alten Frau.
Denn ihr bescheidenes Kämmerlein
Schließt meiner Seele Blüte ein.
Und komm ich zu ihr, ist mir weh,
Und wohl nur, wenn ich von ihr geh!

aus: Leuchtende Tage. Neue Gedichte
von Ludwig Jacobowski
Dritte Auflage Berlin 1908 (S. 165-166)
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Nocturno

Wenn durch der Dämm'rung tiefgesenkten Flor
Kaum unsre Linien aus dem Finstern ragen,
Spiel mir noch einmal das Nocturno vor,
Aus dem die Ängste dieser Erde klagen,
Ganz leise nur!

Der Mondschein kommt vielleicht,
Und drückt die helle Stirne an die Scheiben,
Und wenn er selbst bis vor die Schwelle schleicht,
Soll ihn kein böser Klang in Wolken treiben.

Wie Mädchenblicke sind,
Die sich zum erstenmal dem Liebsten heben,
Wie Blütenhauch aus vollen Kelchen rinnt,
Wie Seufzer, die von blasser Lippe schweben.

Dann kommt ein Mollakkord! Ich fürcht' ihn schon:
Ein Jammerlaut, wie aus der fernsten Ferne.
Die Seele zittert unter diesem Ton
Und hebt sich haltlos über Welt und Sterne.

Die Nacht rauscht schwerer durch die Dunkelheit,
Und wie die letzten Töne sanft verfließen,
Liegt meine unbegrenzte Traurigkeit
In fassungslosem Weinen dir zu Füßen ...

aus: Ausklang. Neue Gedichte aus dem Nachlaß
von Ludwig Jacobowski
Herausgegeben und mit Einleitung versehen
von Dr. Rudolf Steiner
Minden in Westf.
J. C. C. Bruns Verlag 1901 (S. 49)
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Adam und Eva

Presse deinen Arm in meinen,
Und du trägst gehälftet Leid;
Will dir keine Sonne scheinen,
Lieb' ich deine Dunkelheit. -

Und dann wandern wir mit reinen
Blicken in die Ewigkeit,
Ich mit Lächeln, du mit Weinen,
Wir in Ungebrochenheit ...

aus: Ausklang. Neue Gedichte aus dem Nachlaß
von Ludwig Jacobowski
Herausgegeben und mit Einleitung versehen
von Dr. Rudolf Steiner
Minden in Westf.
J. C. C. Bruns Verlag 1901 (S. 69)
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Auf fremdem Stern ...

Auf fremdem Stern will ich dir's sagen,
Wie meine Sehnsucht mich gequält,
Und wie selbst meinen holdesten Tagen
Das allerholdeste gefehlt.

Wohl küßt' ich manche Mädchenblüte,
Ach, süße Lippen blüh'n genug.
Und doch, es war nicht deine Güte,
Dein Lächeln nicht, dein Händedruck.

aus: Ausklang. Neue Gedichte aus dem Nachlaß
von Ludwig Jacobowski
Herausgegeben und mit Einleitung versehen
von Dr. Rudolf Steiner
Minden in Westf.
J. C. C. Bruns Verlag 1901 (S. 75)
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Sinkt die Sonne ...

Sinkt die Sonne auch ins Trübe,
Einmal rollt ihr Glanz hervor;
Und so hebt sich meine Liebe
Herrlich über Leid empor.

Gold'ne Glut aus großen Stunden
Leuchtet abgeklärt und fern;
Und der Schmerz, versöhnt empfunden,
Steigt gen Himmel und wird Stern.

aus: Ausklang. Neue Gedichte aus dem Nachlaß
von Ludwig Jacobowski
Herausgegeben und mit Einleitung versehen
von Dr. Rudolf Steiner
Minden in Westf.
J. C. C. Bruns Verlag 1901 (S. 80)
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Lerchen

Lerchenlaut in Licht und Luft,
Ungeseh'n, doch hell vernommen,
Ich und du im Haideduft,
Und die Blicke süß beklommen.

Lippe sinkt auf Lippe schon, -
Und wir fühlen ungesprochen
Aus dem Lerchenjubelton
Schon den Vorglanz blonder Wochen.

aus: Ausklang. Neue Gedichte aus dem Nachlaß
von Ludwig Jacobowski
Herausgegeben und mit Einleitung versehen
von Dr. Rudolf Steiner
Minden in Westf.
J. C. C. Bruns Verlag 1901 (S. 93)
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Lohn

Es ist kein Tag, an dem ich dich nicht rief,
Und mitten in der Wirrnis grauer Stunden,
Mein ganzes Sehnen jäh von dannen lief,
Bis du es vor der Schwelle aufgefunden.

Und keine Nacht sinkt über mich herein,
In der sich meine Hände nicht erheben,
Als säh ich aus dem Dämmermondenschein
Dein bleiches Haupt zu mir herniederschweben.

Verdürstet schlepp' ich mich in deine Näh'.
O, ein paar Tropfen, um das Herz zu laben!
Laß mich den Becher, den ich vor mir seh',
Den Cyperwein der Liebe laß mich haben.

Du aber lächelst grausam meinem Weh
Und hast mir einen andern Trunk beschlossen,
Der Freundschaft abgestand'nen Fliederthee,
Lauwarm gereicht und bitterlich genossen.

aus: Ausklang. Neue Gedichte aus dem Nachlaß
von Ludwig Jacobowski
Herausgegeben und mit Einleitung versehen
von Dr. Rudolf Steiner
Minden in Westf.
J. C. C. Bruns Verlag 1901 (S. 99)
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Grabschrift

"Dem Auge fern, dem Herzen nah!"

Als ich die alte Grabschrift sah
Im eingesunk'nen Marmorstein,
Da fiel mein totes Lieb mir ein ...

O Gott, ich schrieb schon tausendmal
Das gleiche Lied aus gleicher Qual,
Und war doch keins wie dieses da:

"Dem Auge fern, dem Herzen nah!"

aus: Ausklang. Neue Gedichte aus dem Nachlaß
von Ludwig Jacobowski
Herausgegeben und mit Einleitung versehen
von Dr. Rudolf Steiner
Minden in Westf.
J. C. C. Bruns Verlag 1901 (S. 105)
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Immer kommt das alte Zittern ...

Immer kommt das alte Zittern,
Nehm' ich mir dein Bild zur Hand.
Ach, du gingst aus Kirchhofsgittern
Längst in kummerloses Land.

Und ich häng' an deinem Bilde
Selber reglos wie ein Bild,
Bis der Mondglanz deiner Milde
Meinen Blick mit Thränen füllt.

aus: Ausklang. Neue Gedichte aus dem Nachlaß
von Ludwig Jacobowski
Herausgegeben und mit Einleitung versehen
von Dr. Rudolf Steiner
Minden in Westf.
J. C. C. Bruns Verlag 1901 (S. 115)
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Mit einem Bild: Ich und klein Martha

Und ist dies Mädchen noch so klein,
Ich drück' es fest an meine Wangen.
So war ein Stückchen Glück doch mein,
Das ich im Bilde festgefangen.

O weh, was thun mir meine Tage an!
Mit Harm und Hader füllen sie das Herz.
Das bißchen Leben und sein Schmerz -
Wie schwer trag' ich daran!

aus: Ausklang. Neue Gedichte aus dem Nachlaß
von Ludwig Jacobowski
Herausgegeben und mit Einleitung versehen
von Dr. Rudolf Steiner
Minden in Westf.
J. C. C. Bruns Verlag 1901 (S. 116)
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Einer Toten

Heut' brach dein Blick in meine Träume.

Im Sterngewande stand'st du da,
Dein Rufen bettelte durch alle Räume
Und kam mir nah
Und klang mir nah:

"Wie kann ich oben meine Seele weiden,
Im Garten Gottes nach den Lilien seh'n,
Wenn deine Wege nur aus tiefen Leiden
In immer tief're Gründe untergeh'n!
Man stiehlt die Sonne dir aus Hinterlist,
Man häuft vor deine Blicke Thür um Thür,
O weh, mein Lieb,
Man ist nicht gut mit dir!
Wie kann ich friedeselig sein in mir,
Wenn du so friedlos bist?"

Aufzuckt mein Herz.
Ich kann kein Wort erwidern,
Kraftlos die Hand, die sonst zur Faust sich krümmt.
Weil hinter meinen festgeschloss'nen Lidern
Das Auge ganz in warmen Thränen schwimmt ...

aus: Ausklang. Neue Gedichte aus dem Nachlaß
von Ludwig Jacobowski
Herausgegeben und mit Einleitung versehen
von Dr. Rudolf Steiner
Minden in Westf.
J. C. C. Bruns Verlag 1901 (S. 117)
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Wenn mir's durch die Sinne fuhr ...

Wenn mir's durch die Sinne fuhr,
Süße Worte dir zu machen,
Ach, es ward ein Stammeln nur
Zwischen Thränen, zwischen Lachen.

aus: Ausklang. Neue Gedichte aus dem Nachlaß
von Ludwig Jacobowski
Herausgegeben und mit Einleitung versehen
von Dr. Rudolf Steiner
Minden in Westf.
J. C. C. Bruns Verlag 1901 (S. 118)
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An ...

Das scheint mir die schlimmste Pein
In Lebens-Sturm und -Streit:
Seine Freuden tragen allein,
Allein sein Herzeleid.

Denn die Freuden vergehen wie Schnee,
Und die Leiden wachsen wie Gras.
O weh!
Wie bitter ist das!

aus: Ausklang. Neue Gedichte aus dem Nachlaß
von Ludwig Jacobowski
Herausgegeben und mit Einleitung versehen
von Dr. Rudolf Steiner
Minden in Westf.
J. C. C. Bruns Verlag 1901 (S. 119)
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An ...

O, schrie ich jetzt ein Wort heraus,
Das meinen alten Gott bewegt:
Lösch' nicht die Flamme in mir aus,
Die Schmerz und Schlacke niederschlägt.

Dies ist ein Wort so wie Gebet,
Das deiner Gnade sich vermißt,
Damit mein Herz nicht untergeht,
Das doch von deinem Herzen ist!

aus: Ausklang. Neue Gedichte aus dem Nachlaß
von Ludwig Jacobowski
Herausgegeben und mit Einleitung versehen
von Dr. Rudolf Steiner
Minden in Westf.
J. C. C. Bruns Verlag 1901 (S. 120)
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Ich habe manches Weib geliebt ...

Ich habe manches Weib geliebt,
Dies gab mir ihre Seligkeit;
Am Ende war's nur Bitterkeit
Und Schmerzen, die kein Mann vergiebt.

O, blüht denn nie das Wunderfest,
Das Glück, das so in Fülle steht,
In Sehnsucht kommt, in Sehnsucht geht,
Und doch noch Sehnsucht hinterläßt.

aus: Ausklang. Neue Gedichte aus dem Nachlaß
von Ludwig Jacobowski
Herausgegeben und mit Einleitung versehen
von Dr. Rudolf Steiner
Minden in Westf.
J. C. C. Bruns Verlag 1901 (S. 124)
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Auf meinem Schreibtisch ...

Auf meinem Schreibtisch steht ein Bild,
Vor dem mein Auge überquillt;
Zehn Jahre schaut es auf mich her
Und macht mein Leben leer und schwer,
Weil sie mein Herze nie vergißt,
Wie schweigsam auch ihr Hügel ist.

Zehn Jahre sind eine lange Zeit
Für Jugend und Beständigkeit.
Ein Frauenherz ist leicht entflammt,
Ob unter Schürze, unter Sammt;
Und schlug ein Herzlein froh an meins,
Stellt' ich ihr Bildnis neben deins.

O weh! Zehn Jahr' sind lange Zeit
Für Falsch und Unbeständigkeit.
Heut' steht dein Bildnis ganz allein,
So soll's für tausend Jahre sein.
Dein Bild hat Ruh', mein Herz hat Ruh' ...
Dein Hügel deckt mein Sehnen zu.

aus: Ausklang. Neue Gedichte aus dem Nachlaß
von Ludwig Jacobowski
Herausgegeben und mit Einleitung versehen
von Dr. Rudolf Steiner
Minden in Westf.
J. C. C. Bruns Verlag 1901 (S. 127)
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Ich hab' einen Brief ...

Ich hab' einen Brief von ihrer Hand,
Den geb' ich nicht her um Indiens Land,
So schwer ist seine Seele und Segen.

Strecke ich einst meine Ellbogen aus
 - Ich stoß' mich sonst in dem Bretterhaus -,
Sollt ihr ihn mir über die Augen legen.

Wie bitter ist so ein dunkles Grab!
Kein Röslein und Schwälblein plaudert hinab,
Sie fürchten die stillen Räume.

Ich aber schlafe zufrieden ein,
Meine Augen werden voll Träume sein
Und voll von dir meine Träume!

aus: Ausklang. Neue Gedichte aus dem Nachlaß
von Ludwig Jacobowski
Herausgegeben und mit Einleitung versehen
von Dr. Rudolf Steiner
Minden in Westf.
J. C. C. Bruns Verlag 1901 (S. 130)
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Erneuerung der Liebe

Ach, was wird mir wohl im tollen
Tanz der Tage noch erblüh'n!
Immer will mir aus dem vollen
Leben neue Liebe glüh'n. -
Bin ich nicht der früchtereichen
Erde echtes Enkelkind,
Die sich Jahr für Jahr den gleichen
Blütenduft der Ernte spinnt? ...

aus: Ausklang. Neue Gedichte aus dem Nachlaß
von Ludwig Jacobowski
Herausgegeben und mit Einleitung versehen
von Dr. Rudolf Steiner
Minden in Westf.
J. C. C. Bruns Verlag 1901 (S. 133)
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Ein  Lämpchen aufgeglommen ...

Ein Lämpchen aufgeglommen,
Solch Lämpchen, Glück, bist du:
Aus Nächten hergekommen,
Den Nächten geht es zu.

Es glüht vor deinen Schritten;
Herzklopfend bleibst du steh'n. -
Und ist vorbeigeglitten,
Eh' du es recht geseh'n. -

aus: Ausklang. Neue Gedichte aus dem Nachlaß
von Ludwig Jacobowski
Herausgegeben und mit Einleitung versehen
von Dr. Rudolf Steiner
Minden in Westf.
J. C. C. Bruns Verlag 1901 (S. 134)
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Immer, wenn du traurig bist ...

Immer, wenn du traurig bist,
Tröst' ich dich in deinen Thränen;
Denn ich weiß: Wer elend ist,
Will sein Herz an Herze lehnen.

Und du stehst und schaust mich an,
Merkst nicht, daß ich tief erblasse;
Deinem Schluchzen fühl' ich an,
Wen du liebst und wen ich hasse.

Und ich streichle dich und lern'
Deinetwillen, froh zu scherzen;
Denn ich weiß, du lachst so gern,
Und das Lachen heilt die Herzen.

Bis du wie gewandelt tollst,
Spür' ich freudig deine Freude,
Weil du niemals fühlen sollst,
Wie ich lächelnd um dich leide.

aus: Ausklang. Neue Gedichte aus dem Nachlaß
von Ludwig Jacobowski
Herausgegeben und mit Einleitung versehen
von Dr. Rudolf Steiner
Minden in Westf.
J. C. C. Bruns Verlag 1901 (S. 136)
_____


An ...

Ich weiß, in Thränen liegt heut' Nacht dein Schlummer,
Denn meine Worte wühlten ankertief,
Nun überfällt mich jäh dein schwerer Kummer
Und wirft sich über mich, indes ich schlief
Bis ich im Träumen deinen Namen rief! -
Mich müde rief nach einem Wort von dir,
Das uns're kleinen Herzen hochgerissen,
Wo in der Firnluft wolkenloser Sphären
Die finstern Schmerzen sich zu Wonnen klären
Und wir
Vom Leide nichts mehr, nur von Liebe wissen.

aus: Ausklang. Neue Gedichte aus dem Nachlaß
von Ludwig Jacobowski
Herausgegeben und mit Einleitung versehen
von Dr. Rudolf Steiner
Minden in Westf.
J. C. C. Bruns Verlag 1901 (S. 142)
_____


Am Fenster

Ich weiß wohl, daß sie nie mehr kommt,
Nie mehr die dunkelroten Vasen
Taufrisch mit Wiesenblumen schmückt,
Daß sie zu mir herunternicken
Und Küsse hauchen, blütenzart,
In denen deine Seele duftet ...

Ich weiß wohl, daß sie nie mehr kommt, -
Doch täglich, wenn die Dämmerung schleicht
Und grauen Staub in alle Ecken
Mit langgespitzten Fingern streut,
Täglich lehn' ich aus off'nem Fenster
Und hab' in meinem Blick den Weg,
Wo sonst dein Händchen hochgewinkt ...

Der Schlächter streicht die weiße Schürze.
Die Milchfrau rundet sich so voll.
Der Schuster putzt die Ladenfenster,
Nimmt eine Prise sich und niest,
Daß wir sein Echo fangen können ...

So sah ich's oft, so seh ich's heut';
So werd' ich's morgen wiedersehen,
Lehn' ich durchs Fenster meine Stirn,
Tagtäglich mit gesenkten Wimpern.
Und weiß doch, daß sie nie mehr kommt,
Nie mehr kommt ...

aus: Ausklang. Neue Gedichte aus dem Nachlaß
von Ludwig Jacobowski
Herausgegeben und mit Einleitung versehen
von Dr. Rudolf Steiner
Minden in Westf.
J. C. C. Bruns Verlag 1901 (S. 144)
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An ...

Was kann ich wohl an Freude haben,
Wenn kümmerlich der Morgen naht,
Um mich tagsüber zu begraben,
Aus Furcht vor meiner Missethat!

Und kommt die Nacht herangekrochen,
Die Stern um Stern vom Himmel löst,
Dann fühl' ich, daß ich nichts verbrochen,
Als Liebe nur, die sie verstößt!

aus: Ausklang. Neue Gedichte aus dem Nachlaß
 von Ludwig Jacobowski
 Herausgegeben und mit Einleitung versehen
 von Dr. Rudolf Steiner
 Minden in Westf.
 J. C. C. Bruns Verlag 1901 (S. 145)
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An ...

Ich sah sie wohl schon Wochen nicht.
Wie lang sich Wochen dehnen!
Ich sehnte so ihr süß' Gesicht,
Doch was hilft alles Sehnen?

Sie lebt ja ohne mich so gut,
Warum den Frieden stören?
Wenn's meiner Seele bitter thut,
Sie soll es niemals hören.

Man hat mich nicht als Kind verwöhnt
Und nicht geliebt den Knaben,
Nun bin ich Mann und steh' beschämt,
Ich wollt' es besser haben!!

aus: Ausklang. Neue Gedichte aus dem Nachlaß
 von Ludwig Jacobowski
 Herausgegeben und mit Einleitung versehen
 von Dr. Rudolf Steiner
 Minden in Westf.
 J. C. C. Bruns Verlag 1901 (S. 146)
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An ...

Daß dein Händchen mit mir spielte,
Als ob's Kinderspielzeug hielte,
Heut' seh' ich's traurig ein! -

Was als Wonne in mir wühlte,
Was ich so als Segen fühlte, -
Wie konnt' das nicht Treue sein!

Erde möcht' ich auf mir haben,
Tiefer als die andern graben,
Weil ich meiner Seele Gaben
Weggab, um sie zu entweih'n.

aus: Ausklang. Neue Gedichte aus dem Nachlaß
 von Ludwig Jacobowski
 Herausgegeben und mit Einleitung versehen
 von Dr. Rudolf Steiner
 Minden in Westf.
 J. C. C. Bruns Verlag 1901 (S. 147)
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Die Bilder ...

Die Bilder, die ich von dir hab',
Die fanden heut' ihr Flammengrab.
Ich sah ins Licht wie festgebannt,
Und sah noch, als sie längst verbrannt ...

Um ein Bild ist mir sterbensleid,
Es war mir Trost in Traurigkeit:
Wir sitzen Wang' an Wang' geschmiegt,
Ich ganz in deinen Arm gefügt,
Die freien Hände so gepreßt,
Als hielten wir zum Wohlthun fest -
Und übergroß schaut unser Blick,
Als faßten wir es nicht, das Glück,
Daß keiner mehr vom andern läßt.

Das Bild, das mir das liebste ist,
Ich hab's noch einmal leis geküßt,
Die Thränen sind mir gekommen,
Nun bist du mir ganz genommen!

aus: Ausklang. Neue Gedichte aus dem Nachlaß
 von Ludwig Jacobowski
 Herausgegeben und mit Einleitung versehen
 von Dr. Rudolf Steiner
 Minden in Westf.
 J. C. C. Bruns Verlag 1901 (S. 151)
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Ein fremder Mann spricht auf mich ein

Ein fremder Mann spricht auf mich ein,
Ich sehe ihn an, ich hör' ihn an.
Die Worte geh'n zu mir herein,
Ihr Sinn kommt nicht zu mir heran.

Dann plötzlich zeigt sich in der Luft
Ein bleiches, liebliches Gesicht;
Ich hör' ein Stimmchen, das mich ruft,
Ein Mündlein, das durch Thränen spricht.

Dann durch die Lüfte kam's und klang
"Von fernen Gräbern komm' ich weit,
Zehn Jahre sind für dich nicht lang,
Mir waren sie wie Ewigkeit.

Mein Schlaf ist aus, ich schlumm're nicht,
Ich hab' die Erde aufgemacht,
Weil mir das Herz noch einmal bricht,
Durchweinst du also Nacht für Nacht."

aus: Ausklang. Neue Gedichte aus dem Nachlaß
 von Ludwig Jacobowski
 Herausgegeben und mit Einleitung versehen
 von Dr. Rudolf Steiner
 Minden in Westf.
 J. C. C. Bruns Verlag 1901 (S. 157)
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Ich bin ein Sproß aus Heidenblute ...

Ich bin ein Sproß aus Heidenblute,
Der Götter und Gebet verlacht,
Doch als dein Herz an meinem ruhte,
War ich verwandelt über Nacht.

Ich grübelte nach Liederreihen
Und sprach sie so wie einst als Kind,
Damit dich deine Tage freuen,
Und immerfort dir gütig sind.

Ob du an and'rer Brust gelegen,
Längst Fremden öffnest Herz und Thor, -
Mein Bittspruch abends deinetwegen
Ist Innigkeit wie je zuvor.

aus: Ausklang. Neue Gedichte aus dem Nachlaß
 von Ludwig Jacobowski
 Herausgegeben und mit Einleitung versehen
 von Dr. Rudolf Steiner
 Minden in Westf.
 J. C. C. Bruns Verlag 1901 (S. 160)
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Biographie:

http://de.wikipedia.org/wiki/Ludwig_Jacobowski

 

 

 


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