Wilhelm Jansen (1837-1911) - Liebesgedichte



Wilhelm Jensen
(1837-1911)


Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
 

 





Marie

Es dringt hieher kein trüber,
Kein lauter Ton der Welt;
Es ruht nur hoch darüber
Das blaue Friedenszelt.
Wo weithin rothumkränzend
Die Alpenrose liegt,
Darauf der Falter glänzend
Die gold'nen Flügel wiegt.

I.
Lieder kommen wie die Rosen,
Wenn die Maienlüfte kosen.
Gestern träumend noch umfangen
Von der Knospe herbem Schacht,
Heute prangend aufgegangen -
Wie das Lächeln über Wangen,
Die der Kummer bleich gemacht -
Wie das Glück nach bangen Schmerzen,
Wie die Lieb' im leeren Herzen -
Wie das Schönste, was erdacht -
Kommen Lieder über Nacht.
(S. 157)


II.
Noch immer ist es mir wie Traum,
Und ob Du's tausendmal beschwörst,
Noch immer, Mädchen, fass' ich's kaum,
Daß du mich liebst und mir gehörst.
(S. 158)


III.
Wenn sich die Wimpern senken
Zur nächtlich stillen Ruh,
Da bist mein letztes Denken,
Mein letzter Herzschlag du.

Und wenn sie froh sich heben
Zum Tageslicht zurück,
Bist du mein erstes Leben,
Bist du mein erstes Glück.
(S. 158)


IV.
Kein Tag, der mich erfreute ohne dich,
Deß Kommen nicht mich reute, ohne dich.
Alt wäre ich, wenn Jugend ewig auch
Sich rastlos mir erneute, ohne dich.
Des Zweifels, daß kein dauernd Glück es gibt,
Und des Verzweifelns Beute ohne dich.
Was hätte ohne dich die Welt an Werth?
Welch' Schreckniß, die ich scheute ohne dich?
Wo einen Garten, der auf meine Stirn
Mir holde Blüthen streute, ohne dich?
Du lächelst - ach, du weißt es selbst zu wohl
Mein Lieb, was wär ich heute ohne dich?
Wär' nicht mein Leben und mein Lied nur ein
Verhallend Grabgeläute ohne dich?
(S. 159)


V.
Wie leiser Hauch durch Frühlingsknospen säuselt
Und sanft des Sees stillen Spiegel kräuselt,

Bis er zum Winde schwillt, und auf den Zweigen
Zerflatternd sich ihm Blatt und Blüthe neigen;

Bis er, zum Sturm geschwellt, heraufgezogen
Des dunklen Grundes tief geheimste Wogen -

So auch beginnt die Liebe sanft und leise,
So zieht und webt sie langsam ihre Kreise,

Und kaum vermögen wir von ihr zu glauben,
Sie könne einst das eig'ne Selbst uns rauben;

Und fürchten nicht von ihren stillen Geistern,
Sie möchten uns mit Dämonskraft bemeistern.

Dann schwillt der Wind, und unsre Kräfte schwinden,
Und machtlos stehn wir in den heißen Winden.

Dann tobt der Sturm und uns're Sinne wanken,
Wie uns des Blutes Wogen hoch umranken -

Und wonneschauend ziehen Geist und Glieder
Verloren sie zur dunklen Tiefe nieder.
(S. 160-161)


VI.
Es war ein Tag im jungen Mai, am weißen Strande saßen wir,
Und träumerisch mit stummem Blick die Abendsternen maßen wir;
Die Sterne zogen langsam auf, die Augen irrten mälig ab
Und fanden sich und hielten sich, und Welt und Stern vergaßen wir.
(S. 162)


VII.
Eine Maid und ein Knab' mit einander,
Theilen all' ihre Hab' mit einander:
Jede Lust, jeden Gram, jedes Glück,
Jede Erdengab' mit einander.
Alle Wünsche, ich hab' sie erreicht,
Wenn ich dich nur hab', mit einander;
Will Heimat und Hülfe dir sein
Und Stütze und Stab mit einander,
So lange verschlungen wir gehn
Bergauf und bergab mit einander.
Bis spät uns rufe dereinst
Der krächzende Rab' mit einander,
Und Arm in Arm man uns leg'
Zur Ruh' in's Grab mit einander.
(S. 163)


VIII.
Ich weiß nicht, wie es gehen soll
Und nicht mehr was geschehen soll.
Ich fühle wohl, daß mich ein Wind
Mit frischem Hauch umwehen soll,
Daß ich nicht nur und immerfort
In deine Augen sehen soll,
Aus Sonnenglanz und Traumesduft
Der Zukunft Pfad erspähen soll -
Und weiß doch nicht, wie ich jetzt mehr
Ein irdisch Ding verstehen soll?
(S. 164)


IX.
Wo heimlich ich mein Lieb' begrüßt
Im Morgensonnenstrahl,
Wo deine Lippen ich geküßt
Viel tausend, tausend Mal,

Da rauschte heut' in Dämmerruh
Die Well' um meinen Fuß;
Sie rauschte ab, sie rauschte zu,
Als brächt' von dir sie Gruß.

Sonst regte sich, bewegte sich
Nichts in der tiefen Ruh,
Und Gottes Friede legte sich
Mir still an's Herz wie du.
(S. 165)


X.
Und kämst du ein ärmlich, ein bettelnd Kind
Im flatternden Röckchen gegangen,
Ich höb' an meine Brust dich geschwind
Und küßte dir Lippen und Wangen.

Ich küßte vom Mund dir den schmerzlichen Hauch,
Vom Auge die Thräne, die süße;
Ich küßt' die verbrannten Hände dir auch,
Die nackten, bestäubten Füße.

Ich küßte dich auf den Königsthron,
Wenn mir die Krone verliehen;
Ich küßte dich und wollt' keinen Lohn,
Als vor der Bettlerin knieen.
(S. 166)


XI.
Ueber die alte Ruine,
Ueber das morsche Gestein
Kletterten wir zusammen
Fröhlich im Abendschein.

Hielten, daß Keiner fehle,
Sicher uns Hand in Hand,
Schauten rastend hinunter
Weit in's lachende Land.

Zog sich Sommergewinde
Aus zerbröckelndem Ritz,
Klommen beide geschwinde
Wir auf den moosigen Sitz.

Drunten lagen die Städtchen,
Goldener Thurmesknauf;
Klang nur leises Geläute
Eben zu uns herauf.

Fragt ich dich, was es bedeute?
Sah'st mir stumm ins Gesicht,
Lächeltest, liebes Mädchen,
Aber redetest nicht.

Mußten um uns die Geister
Brechen den stillen Bann
Aus dem alten Gemäuer;
Hörtest träumend sie an.

Sprachen: Hörten das Läuten
Einstmals auch so wie ihr;
Soll euch heute bedeuten:
Seid so glücklich wie wir.

Träumend legte dein Köpfchen
Sich an meinem zur Ruh;
Deine Lippen auf meinen
Sprachen: Amen, dazu.
(S. 167-168)


XII.
Zwielicht weht über die Haide,
Im Schilfe murmelt der Wind;
Nun reiten wir zweibeide
Mit über die Haide geschwind.

Im flatternden Nebelkleide
Huscht tanzend das Elfengesind'
Seitab um die graue Weide
Und lacht und verblaßt und zerrinnt.

Doch uns, wie Fäden von Seide,
Umwogt das Gras und spinnt
Thautropfen wie Perlgeschmeide
Um dich, mein blondes Kind.

Mir ist, als rief's aus den Zweigen
Uns nach mit lachendem Mund,
Als kläng's wie Hochzeitsreigen
Fern über den Haidegrund -

Die Luft ist glockentönig,
Als trüg' auf nebelndem Roß
Der Wind uns zum Haidekönig
Auf deines Vaters Schloß.
(S. 169-170)


XIII.
Heimlich um die Erden
Weht des Alters Staub,
Herbst beginnt zu werden,
Und es fällt das Laub.
Durch das Zweiggerippe
Leise summt der Wind,
Wie auf greiser Lippe
Müdes Wort zerrinnt.

Einsam am Gelände
Hohe Pappel weht,
Die des Tages Wende
Trüben Blickes späht.
Leise Winde fächeln
Ihre goldne Firn,
Wie ein müdes Lächeln
Spielt um greise Stirn.

Deine Wangen schließe
Nun an mein Gesicht,
Komm und überfließe
Mich mit jungem Licht.
Kündet keine Falte
Deiner Jugendpracht
Uns doch noch die alte
Räthselvolle Nacht.

Komm, du junger Morgen,
Mit dem frischen Kranz,
Und es fliehn die Sorgen
Deinem Sommerglanz.
Während müd' die Erde
Um uns her zerfällt,
Spricht dein Herz das: Werde!
Einer neuen Welt.
(S. 171-172)


XIV.
Du riefst mich im Traume
In dunkler Nacht,
Von deinem Ruf
Bin ich erwacht.

Ich küßte die Lippe,
Die mich rief,
Bis ich im Traum
Mit ihr entschlief.

O süßes Ruhen,
O holde Rast,
Wenn Traum bei Traum
Also zu Gast.
(S. 173)


XV.
Und ob sie plärr'n und singen
Im Thal und auf der Höh,
Die Kniee wund sich ringen
In Kirche und Moschee:
Ob sie die Lieder heben
Mit näselndem Gebet,
Und nur dem Himmel leben
In Andacht früh und spät -

In deinen schönen Locken
Der Rose Duft und Glanz,
Ist mehr als Kirchenglocken
Und mehr als Rosenkranz:
Und ob um Christi Leiden
Dir keine Thräne rinnt,
Sie sind ja doch die Heiden,
Und du bist Gottes Kind.
(S. 174)


XVI.
Es steht ein Stern mir zu Häupten,
Ich schaue nach ihm empor;
Aus allzuviel haftenden Wolken
Ringt er sich leuchtend hervor.

Und könnten meine Augen
Dich einst auch nicht mehr sehn,
Ich weiß es ja immer, die Wolken,
Sie müssen alle verwehn.

Ich weiß ja doch, sie treten
Nur zwischen dich und mich -
Du aber am Himmel der Liebe
Strahlst unveränderlich.
(S. 175)


XVII.
Lobsinget der Sonne und preiset den Mai,
Jauchzt auf mit klirrenden Gläsern dabei,
Ich singe euch doch mein Weib nur allein,
Das schön wie die Sonne, der Mai und der Wein.

Und kommen die Rosen und athmet der Duft
Berauschender Blüthen durch dämmernde Luft,
Mit süßerem Hauch umfängt mich mein Weib,
Und ich leg' ihr den Arm um den blühenden Leib.

Komm, liebliche Nacht, komm du prangender Tag -
Du Stern meines Glückes, allimmer mir wach,
Du stehst mir zu Häupten in Dunkel und Licht,
Und ich singe nur dich, du mein lieblich Gedicht.
(S. 176)
_____



Das waren Tage gold'ner Wonne,
Wie denk ich fern an sie zurück,
Am blauen Himmel zog die Sonne,
Aus blauen Augen schien das Glück.

Wir schritten stumm am weißen Strande,
Die Lippen arm, im Herzen reich,
Die Welle brach am Muschelrande -
Es war im Herbst, doch frühlingsgleich.

Kein Menschenlaut - hoch ob dem Ufer
Gleich schwarzem Punkt nur stand der Weih,
Der Kiebitz gab, der ferne Rufer,
Antwort der Möve heis'rem Schrei.

Und Diamanten rings die Ferne
Und goldig spiegelnd weit die Fluth,
Doch heller noch der Augen Sterne
Und goldiger der Lippen Gluth.

Den Becher hoch! Verstummt die Klage,
Es rinnt der Sand, es rollt das Glück;
Das waren goldner Wonne Tage
Und kehren nimmermehr zurück.

Stoßt an! Die Sonne kehret wieder,
Es kehrt der Lenz - ob herbstesgleich,
Wer fühlt's? Uns blieben Lieder - Lieder -
Die Herzen arm - die Lippen reich.
(S. 4-5)
_____



Mitunter ist es mir, als möchte
Ich einmal nur dich wiedersehn;
Als möcht' ich einmal stillen Schrittes
Wie einst an deiner Seite geh'n.

Und durch die Dämm'rung leis gesprochen,
Entfiel' ein halb verstanden Wort
Und webte unbewußte Bilder
Im Dämmertraum des Herzens fort.

Mitunter ist es mir, als wäre
Was nie geschehen sollt', geschehn,
Und wär' ein Traum nur, könnt noch einmal
Ich so an deiner Seite gehn.
(S. 25)
_____



Die Sonne brennt, doch Herbsteshauch
Streicht durch's Gezweig', das halbentlaubte,
Und heimlich schweift mein Blick vorbei
An deinem goldumfloss'nen Haupte.

Wie schön du bist - und hinter dir
Fliegt's goldig durch die Halmeswogen,
Wie silbern noch ein Leuchten folgt
Dem Ruder, das die Fluth durchzogen.

Ein stilles, märchenblaues Licht
Umglänzt aus deinen Kinderzügen
Die müde Welt - ja, es ist Lenz!
Du sagst's - und die Natur muß lügen.

Du fühlst nur, daß die Sonne brennt -
Wie könntest du das Wehen fühlen,
Des frühen Herbstes ersten Hauch,
Der mir schon will die Stirne kühlen?

Und lächelnd streifst mit leiser Hand
Am Wege du die gold'nen Aehren,
Du ahnst nicht, wie die Hand erweckt
Ein süßes, schmerzliches Begehren.

Du ahnst das Zittern nicht, das mich
Durchrinnt, wär' meiner Hand erlaubt es,
Einmal zu streifen scheuen Flugs
Die goldenen Fäden deines Hauptes.
(S. 29-30)
_____



Siehst du mich an mit stillen Augen,
Da überkommt's mich oft genug,
Als seien wir emporgestiegen
Aus einem alten Märchenbuch.

Und wie im Traum' schau' ich die Halle
Und schau' im Waldesdunkel tief
Die grüne Dämmrung, drin verzaubert
Uralt beschlossne Liebe schlief.

Und immer will es mich bedünken,
Als sei ich noch nicht ganz erwacht,
Als liege noch um meine Stirne
Ein Schleier jener Wundernacht.

Siehst du mich an mit stillen Augen,
Da fällt er mehr und mehr herab,
Und aus dem Herzen bricht es jubelnd,
Daß ich dich ganz zurücke hab'.
(S. 33)
______



Könnt' ich wie Alpen ragen
Mit dir in's Lichtgezelt,
Gleich einer Wolke tragen
Dich ob der nied'ren Welt.
Könnt' ich auf Adlerschwingen
Dich heben, ruhevoll,
Bis unter dir verklingen
Sollt' jeder Erdengroll.

Nun mußt du durch die Gassen
Und durch den Menschenschwarm,
Ich kann dich nur umfassen
Mit schwachem Menschenarm.
Ich kann dich nur beschirmen
Mit Liebesglück und Schmerz
Und retten aus den Stürmen
Nur an mein eig'nes Herz.

O komm, mit ihm zu theilen
Und laß es nimmerdar,
O komm, an ihm zu weilen,
Wo deine Heimat war,
Eh' deine Stirn umfangen
Des Lebens erster Gram,
Eh' dir mit stummem Bangen
Die erste Sehnsucht kam.
(S. 34-35)
_____


Aus: Gedichte von Wilhelm Jensen
Stuttgart Verlag von A. Kröner 1869

 



Biographie:

http://de.wikipedia.org/wiki/Wilhelm_Jensen




 

 


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