Friederike Jerusalem (1759-1836) - Liebesgedichte

 




Friederike Jerusalem
(1759-1836)


Inhaltsverzeichnis der Gedichte:







An die Natur

Früh' in des Lebens Lenz weiht' ich mich deinen Freuden,
Und lauschte deinem Reitz, du heilige Natur!
Wie herrlich glänzte da der Schmelz beblümter Heiden!
Wie lieblich dufteten mir Wald und Wiesenflur!
Wie fühlt' ich, angeblinkt vom Stral der Abendsonne,
In deinem Heiligthum des jungen Daseyns Wonne!

Doch konnt' ich dein mich nur im Traum der Jugend freuen,
Du, deren Reitz die Zeit mit leiser Hand berührt?
Du, deren Zauber sich mit jedem Lenz' erneuen?
Du, die der Horen Tanz an Rosenbanden führt,
Und der, ob Haine blühn, ob falbe Blätter wallen,
Stets Harmonien der Lust, wie Sphärenklang enthallen?

Nein, du wardst nie mir alt! Mit immer gleicher Wonne
Blick' ich ins Veilchenthal, vom Silberquell durchbebt,
Blick' ich zum Sternenzelt, wenn vor der Morgensonne
Auf purpurnem Gewölk Aurorens Wage schwebt!
Im Goldlicht jener Höhn, im Thauglanz dieser Fluren,
In Allem leuchten mir des Weltgeists hehre Spuren!

Sein Hauch bist du, Natur! Du lehrst uns ihn empfinden,
Aus dessen vollem Strom auch uns ein Tropfen floss!
Den Mittagshell' und Nacht', den Blüth' und Frost verkünden,
Der mild auf seine Welt des Segens Fülle goss!
Er ist im Donnersturm, dem Waldgebirge drönen,
Und in des Zephyrs Wehn, dem Aeolsharfen tönen!

O Harmonie des Alls! Welch reges Lustgewimmel
Wird Jubelhymne dess, der Erd' und Aether füllt!
Welch reiner Opferduft steigt auf zu seinem Himmel,
Der uns das volle Licht der Gottheit noch verhüllt;
Doch stralts, wie Mondesblick durch leichte Wolkenflöre,
Hier aus dem Feuerwurm, dort aus dem Sternenheere!

Dir schwör' ichs, o Natur! So lange meinen Blicken
Das Abendroth noch glüht, und noch der Vollmond stralt,
Sich mir noch Wies' und Feld, und Berg' und Haine schmücken,
Der Lenz die Rose noch mit sanftem Purpur malt:
So lange bleiben Geist und Herz, und all' ihr Streben,
Du ewig Liebende! dir kindlich hingegeben!
(S. 159-161)
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An die Nachtigall

Begeistre mich, o Freundin Philomele,
Durch deiner Lieder tief gefühlten Klang!
Durch deine Seufzer! Stimm' auch meine Seele
Zu wehmuthsvoller Zärtlichkeit Gesang!

Schon floh der Mai, der Schöpfer süsser Lieder;
Doch scharf und kalt war seines Odems Hauch,
Die Blüthe sank vom Sturm entblättert nieder,
Und später Frost entlaubte Baum und Strauch!

Du aber sangst, wenn gleich die Morgenröthe
In grauer Wolkendämmrung sich verlor,
Und Abends noch drang rein, wie Dülons Flöte,
Dein Silberschlag mir, trotz dem Sturm', ins Ohr.

Denn, o du singst ja nicht allein den Freuden,
Nein! auch der Wehmuth und dem leisen Schmerz;
Stimmst sympathetisch zum Gefühl der Leiden
Durch Ahndungsmelodien ein weiches Herz.

O Freundin! Lehr' auch mich den Rosenschleier
Der Phantasie um trübe Tage ziehn;
Dann wird, bei der Erinnrung stiller Feier,
Der Hoffnung Reis mir selbst auf Gräbern blühn.

Ist nicht die Flur, wenn falbe Wolken thauen,
Wenn Frühlingsregen Saat und Blumen beugt,
Oft schöner noch, als hellbeglänzte Auen,
Worauf die Sonn' ihr Stralenantlitz neigt?

So sind auch Stunden, der verborgnen Trauer,
Der Wehmuth und dem weisen Ernst geweiht,
Gewogner der Begeistrung sanftrem Schauer,
Und lieblicher, als laute Fröhlichkeit.

Denn unserm Geist sind unvermischte Freuden,
Was ungetrübter Sonnenglanz der Flur:
Drum gab dem Lenze Sturm, dem Menschen Leiden,
Aus gleicher Huld, der Vater der Natur.
(S. 162-163)
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Der Herbst
An meinen Vater


Wenn der Herbst, in feierlicher Wonne,
Auf dem Fittig leiser Lüfte schwebt,
Und das Gold der hellen Mittagssonne
Durch der Bäume lichtre Schatten bebt;
Wenn, dem Abend ähnlich, kühl und milde
Er die Welt mit süssem Frieden tränkt,
Und auf saatentlastete Gefilde
Hoffnung neuer Segensfülle senkt:

Dann entflieht vor seines Ernstes Blicken
Zwar des Lenzes heitre Jugendlust:
Aber dennoch flösst auch er Entzücken,
Flösst auch er Begeistrung in die Brust
Ihm, als Genien, zur Seite schweben
Seelenstille, die sich sinnend freut,
Und Erinnrung, die zum Frühlingsleben
Herbstesleben liebevoll erneut.

O wie herrlich stralen nicht die Farben,
Die in ihren Zauberbildern glühn!
Selbst die Rosen, die im Sommer starben,
Sieht sie oft im Herbste schöner blühn.
Und auch sie, vom Himmel uns verliehen,
Jeden Erdenkummer zu zerstreun,
Auch die Hoffnung naht, und Blumen blühen
Rings empor in ihrem holden Schein.

Tröstend zeigt sie uns in jedem Keime,
Der aus weicher Erde sich enthüllt,
In den Knospen halbentlaubter Bäume,
Schon von fern des künftgen Lenzes Bild.
Aber dieser Friede, diese Wonne,
Die den Geist im Herbst so mild' umfliesst,
Dies Gefühl, das jeden Stral der Sonne,
Als den letzten dankbarfroh begrüsst;

Und dies Ahnden, und dies frohe Warten
Auf das Jahr, das einst uns wiederkehrt,
Und nach kurzer Trauer Flur und Garten
In der Jugend Lichte neu verklärt:
Ist das alles nicht ein Bild der Freude,
Der ein unbewölkter Herbst uns weiht,
Wenn, im purpurfarbnen Feierkleide,
Er des Friedens goldne Schale beut?

Ja, das Alter, so des Menschen Leben,
Wie der Herbst des Jahres Leben, schliesst,
Kann den Geist zu Seligkeiten heben,
Wie im Lenze selbst ihm keine spriesst.
Von den steilen, kühn erstiegnen Höhen
Blickt voll Ruh' er in das Thal zurück;
Sieht noch einmal jede Blum' entstehen,
Grüsst noch einmal jedes stille Glück!

Aber lächeln einzig seinen Blicken
Freuden schon genossner Lebenslust?
Stralt nicht auch, mit himmlischem Entzücken,
Ihm die Zukunft Frieden in die Brust,
Ja, die Zukunft, so die düstern Stunden
Banges Grams mit Morgenroth begränzt,
Wird am seligsten erst dann empfunden,
Wenn ihr Licht dem Augen näher glänzt!

Nur aus bleicher Ferne fällt sein Schimmer
Auf den kaum betretnen Pilgerpfad;
Doch er läutert, mehrt und stärkt sich immer,
Wie das Ziel der grossen Hoffnung naht!
So verherrlicht Gottes hoher Segen
Den Bewährten in der Prüfungszeit;
Stralt am hellsten seinen letzten Wegen,
Und verkündet ihm Unsterblichkeit!
(S. 164-166)
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Abendempfindungen

Geröthet von der Sonne letzten Blicken,
Lag Gottes Welt in stiller Feier da;
Der Landschaft Reitz goss heiliges Entzücken
Mir in den Geist, der nie sie schöner sah.

Der Saaten Grün am sanftgeschwellten Hügel
War von des Abends Golde mild beglänzt;
Der See, des blauen Aethers reiner Spiegel,
Von schlanker Pappeln lichtem Grün umkränzt.

O du bist schön! so rief durchglüht von Freude,
Mein Herz an des Gestades Felsenrand:
O Erde! schön im holden Jugendkleide,
Im Brautkranz, den der Lenz dir liebend wand!

Jetzt, Erde, sing' ich dir noch Wonnelieder,
O du, die mir der Freuden Fülle gab!
Und doch sink' einst in deinen Schooss ich nieder!
Doch grünt auf dir schon mein bestimmtes Grab!

Wenn dann der Lenz, die Schöpfung zu verjüngen,
Belebend sich dir an den Busen schmiegt,
Dann wird mein Staub in junge Blumen dringen,
Worauf der West an meiner Gruft sich wiegt;

Und aufgelöst in Millionen Theilchen,
Wird meines Geistes Hülle bald verwehn;
In Halmen grünen, duften in den Veilchen,
Die einsam an des Hügels Kreuze stehn!

Es sei, dass Staub der Erdenschleier werde!
O darum schreckt mich noch dein Anblick nicht!
Wenn fiel die Saat in deinen Schooss, o Erde,
Und drang verwandelt nicht aufs neu' ans Licht?

Der Keim sinkt erst in deine Kühle nieder,
Und spriesst zum Baum, zur Blume dann empor:
So geh' auch ich am grossen Morgen wieder,
Nach kurzem Schlummer, aus der Gruft hervor.

Dann werd' ich die Geliebten wieder kennen,
Die hier der Tod von meiner Seite nahm:
Doch wer vermöcht', o Wonne, dich zu nennen,
Die noch in keines Menschen Seele kam?
(S. 167-168)
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Mailied

Bereite dich, Erde, zu festlicher Feier!
Der Freudenerwecker eilt wieder herbei!
Er schwebt in den Wolken, im rosigen Schleier,
Der Blumenerschaffer, der liebliche Mai!
Aus himmlischem Glanze
Erhob er, beim Tanze
Der Horen, sein Haupt,
Die wallenden Locken
Von duftenden Glocken
Und Mirten umlaubt.

Er athmet: und neues allmächtiges Leben
Durchlodert die Pulse der ganzen Natur!
Er lächelt: und siehe! die Saaten erheben
Sich grüner und schneller aus bräunlicher Flur!
Nun gaukeln die Weste
Um Reiser und Aeste
Im grünenden Hain,
Und laden zu Zweigen,
Die dämmernd sich neigen,
Die Nachtigall ein.

Da kommt sie, die Wonne der Schöpfung, und flötet
Ihr schmelzendes Mailied dem horchenden Baum;
Vom Strale des scheidenden Tages geröthet,
Bewegen die Blätter und Blüthen sich kaum.
So schwiegen die Wälder,
So lauschten die Felder,
Als, klagend und bang,
Der König der Lieder:
"Noch einmal komm wieder,
Eurydice!" sang.
(S. 169-170)
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Gedichte aus: Lyrische Anthologie
Herausgegeben von Friedrich Matthisson
Vierzehnter Theil Zürich 1805


Biographie:

Jerusalem Friederike Magdalene, geb. den 4. April 1759 zu Braunschweig, eine Tochter des Abts Johann Friedrich Wilhelm Jerusalem, erfüllte mit ihren beiden Schwestern redlich die kindliche Pflicht, ihren Vater zu trösten und zu erheitern, als ihn bereits in höherem Alter (1775) der unerwartete Verlust seines Sohnes, Karl Wilhelm, und einige Jahre später seiner Gattin, einer Tochter des Seniors Pfeiffer in Erfurt und Wittwe des göttinger Professors Albrecht, getroffen hatte. Nach ihres Vaters Tode (1789) zog Friederike sich in das hanoverische Stift Wulfingshausen zurück, wo sie den 15. April 1836 ihre irdische Laufbahn schloß, nachdem sie 65 Jahre ein Mitglied des dortigen Klosterconvents gewesen war.
Sie verband mit einer Fülle gediegenen Wissens, die sie einer sorgfältigen Jugenderziehung verdankte, einen wahrhaft christlichen, bescheidenen und anspruchslosen Sinn. Von den Lieben, an denen ihre Seele hing, war einer nach dem andern entschlummert. Sie allein war übrig geblieben, und lebte, wenn auch den Erscheinungen der Gegenwart nicht gänzlich entfremdet, doch mehr in der Erinnerung und in der Hoffnung auf ein höheres Sein. Sich auf dasselbe in stiller Frömmigkeit vorzubereiten, schien die Hauptaufgabe ihres Lebens. Ihrem Charakter fehlte es nicht an liebenswürdigen Zügen. Sie entbehrte gern selbst, um nur Andern wohlzuthun, und ihr größter Schmerz war, nicht Allen helfen zu können. Ein so milder wohlwollender Geist athmete auch aus ihren Gedichten, die sie bescheiden nur vertrauten Freunden mitteilte. Ohne ihr Mitwissen und gegen ihren Willen wurden einige derselben in Sammlungen eingerückt, unter andern in dem von Voß und Göckingk herausgegebenen Musenalmanach (1783 und 1785) und in Matthisson's lyrischer Anthologie. Friederike Jerusalem besorgte auch im Jahre 1792 die Herausgabe der nachgelassenen Schriften ihres Vaters in zwei Bänden.

Aus: Allgemeine Encyklopädie der Wissenschaften und Künste
in alphabetischer Folge von genannten Schriftstellern bearbeitet
und herausgegeben von J. S. Ersch und J. G. Gruber
Zweite Section H-N
Herausgegeben von Hermann Brockhaus
Fünfzehnter Theil
Leipzig 1838

 


 

 


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