Siegfried Kawerau (1886-1936) - Liebesgedichte

Siegfried Kawerau

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Siegfried Kawerau
(1886-1936)

Inhaltsverzeichnis der Gedichte:






Sonett

Und jeden Tag geb ich in Deine Hände
Dir meine Seele dankesfroher hin
und weiß: mich zu verlieren, ist Gewinn,
weil ich mich nur in Deinem Licht vollende.

Daß ich so ganz mich täglich zu Dir wende,
ist, weil ich sonst nur eine Summe bin
von Taten und Gedanken ohne Sinn
und überall ein Anfang, nirgends Ende.

Ein Gott steht hinter diesen schlechten Dingen,
die sich in tollem Wechsel wirbelnd reihn,
und hält in einer Hand die vielen Sinne,

und Deine Fülle gießt auch den geringen
Gefäßen meines Lebens Inhalt ein,
und selig werd ich meiner Einheit inne.
(S. 3)
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Sonett

(Widmung zu Elisabeth Browning Sonetten,
übertragen von R. M. Rilke)

Ich weiß nur eines - diese bangen Lieder,
die langsam aus dem dunkel-kühlen Bronnen
der reinsten Seele goldklar und versonnen
aufsteigen perlend an das Licht der Sonnen,

sie zittern auch in Deiner Tiefe wieder.
Wo nehm ich mir das Recht, sie Dir zu geben,
die scheusten Stunden, die ein Liebesleben
mit Schmerzen je gebar, ich, der ich neben

die keuscheste der Fraun zu treten wage?
Doch heute wird mir, was ich oft beklage,
zu reinem Glück; ich darf es, denn ich trage

die Seele einer Frau, der Sein und Lieben
das gleiche ist; und nun, von Scham getrieben,
reich ich Dir dieses Buch, wie selbst geschrieben.
(S. 4)
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Du

Es ist im tiefsten Grunde doch nur Du,
nach der sich meine Nächte bangen,
nach der die Tage hastig langen;
und wenn des Dämmerns weiche Arme mich umfangen -
es ist im tiefsten Grunde doch nur Du.
(S. 5)
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[Wie ein Seemann seine Netze]

Wie ein Seemann seine Netze
nieder senkt zum Meeresgrund,
sinken langsam meine Lieder
Dir in Deine Seele und
finden dort erst ihre volle,
heißersehnte große Fülle;
wunderliche goldne Fische
fangen sich in ihrer Hülle.
Steigt's dann schluchzend aus der Tiefe,
gleitet schlängelndes Gefunkel
schlüpfend an den straffen Fäden
schlangengleich ins Wellendunkel:
und in allen blanken Stricken
ist ein Zucken, wirr und bebend,
blasse gelbe Schuppen flimmern
und das Netz hängt bleiern-schwebend.
Einmal wird sichs mühlos heben,
silbermaschig, scheinbar leer,
nur mit einer grauen Muschel,
die sich fand im tiefsten Meer:
doch in diesem schlichten Kleide
liegt ein köstlich Kleinod drin,
eine große, klare Perle,
königlicher Liebe Sinn.
Darum sinken meiner Lieder
Dir in Deiner Seele Grund,
darum such ich immer wieder,
bis ich finde sel'gen Fund.
(S. 6)
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Gruß

Aus diesen Tagen, reich an roten Rosen,
spannt Glut und Duft zu Dir den hohen Bogen,
zu Deiner weißen, stillen Lagerstätte:
es glitzern seltne Tränen wie Rubinen,
Sehnsüchte wandeln drauf gleich Saraphinen
und tragen in den silbernen und losen,
weitfaltigen und schimmernden Gewändern,
die goldbrokatne Borten rings umrändern,
den Perlen-Liederschmuck aus meinen Ländern:
mit einer meeresfeuchten, kühlen Kette
besetzen sie den Rand an Deinem Bette
wie sonnenheller Wogenschaum an Küsten,
und ihre Kleider, ihre zarten, weichen,
und ihre langen, blassen Finger streichen
wie frischer Seewind längs den warmen Brüsten
und legen eine schmale, seid'ne Binde,
kalt wie Metall, doch schmiegsam und gelinde,
Dir um Dein Haupt, daß mitten auf der Stirne
länglich und schwer und ähnlich einer Birne
Dir eine große, klare Perle schimmert:
ihr Glanz geht gleitend über Haar und Hände,
hellsilbern Deines Leibes Leuchten flimmert,
und nur im Herzen findet sich ein Ende
für dieses Glücks beseligende Spende:
so segnen Engel, die ich täglich sende.
(S. 7)
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Ich liebe Dich

Ich liebe Dich mit Deinen tiefen Augen,
so tief wie Waldes Dämmerdunkel,
wenn silberhelles Mondgefunkel
sich über weiße Wiesen legt.

Ich liebe Dich mit Deinen tiefen Augen,
so tief wie Waldsees schwarzer Grund:
der Abendstern schwimmt träumend - und
die Fläche kaum sich atmend regt.

Ich liebe Dich mit Deinen tiefen Augen:
in ihnen möchte ich ertrinken,
in ihnen langsam niedersinken
und unten ruhen unbewegt.
(S. 8)
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Chrysanthemen

Zärtlich weiße Chrysanthemen
freuen sich vor rötlich-braunen Blättern,
sind wie Ostertage nach der Trauer.
Zärtlich weiße Chrysanthemen,
welche Licht und Dunkel nehmen
wie ein seidnes Kleid in warmen
Armen eines roten Sessels,
scheinen Wunder zu bedeuten:
ihre feinen Blütenblätter, die sich schämen,
zähmen silbernes Gelächters Läuten,
schauen schüchtern nach der dunklen Mitte:
ihr Geschlossensein ist eine Bitte
gegen Blicke, welche hastig nehmen;
aber solchen, die mit einem bangem Zagen
diese silberlichten Mädchen fragen,
sind sie wie geliebte Augen offen:
fern in ihnen weiße Seelen schimmern
wie der Mövenflügel weiches Flimmern,
die ein Sonnenstrahl im Flug getroffen.
(S. 9)
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[Ich will von Deinen Küssen träumen]

Ich will von Deinen Küssen träumen,
von Deiner Hände Melodien -
und meines Leibes straffe Saiten
erklingen, wenn sich über ihn
der Finger leise Lieder neigen:
so bin ich wie der Schlaf von Geigen,
wenn durch der Sommernächte Schweigen
die Seelen künft'ger Harmonien
wie weiße Wundervögel gleiten:
ihr Fittich streift, die Geigen zittern wieder,
und silbern singen ihre schlanken Glieder.
(S. 10)
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Du und Ich

Du bist der See, ich bin der Strahl,
der glitzernd steigt aus Dir zum Glück
und immer schimmernd fällt in Dich zurück;
Du bist der Wald, ich bin der Stern,
der zwischen allen Ästen steht
und durch das Dunkel wie die Hoffnung geht;
Du bist die Hostie, ich der Priester,
der stündlich Dich zerbricht und spendet
und ewig neu an alle Welt verschwendet;
Du bist die große Gottesstille
und ich ihr Wille.
(S. 11)
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Nun nie getrennt

Ich ging mit Dir so eng vereint im frischen Schnee,
der wie ein Blütenfallen auf uns kam
und fiel und fiel und tröstend von uns nahm
den Lärm der Welt, das eigne Weh -
ich ging mit Dir.

Ich ging allein den Weg zurück im weichen Schnee
und sah die Spuren noch von unsern Füßen,
schon halb verweht, und doch wie heimlich Grüßen -
es schrie mein Herz vor wildem Weh -
ich ging allein.

Nun nie getrennt das Leben lang bei Sturm und Schnee,
und Du so dicht geschmiegt an meine Seite,
der ich nur zagend durch das Dunkel schreite
von Weh zu Glück, von Glück zu Weh.
Nun nie getrennt.
(S. 12)
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Rosensprüche

Dunkler glühen rote Rosen
vor dem Schmelz der blanken Brüste,
spiegeln sich im weißen Leib -
täglich leg ich rote Rosen,
die aus meinem Blute blühn,
auf die Schale Deines Wartens -
aus den Wunden schmeichelnd weicher,
tödlich blasser Abendstunden
brech ich brennend rote Rosen. -
(S. 15)
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Volle Schalen

Volle Schalen sah ich stehen,
flossen über ineinander,
ließen ihren Segen strömen.
In der Mitten
stieg der Strahl,
frisch und leicht,
Höhen sehnend,
leise plätschernd
sank er nieder,
schwer und müde:
und die Schalen flossen über,
immer tiefer
troff das Wasser,
tröpfelnd, klatschend,
Tiefen suchend,
und die unterste der Flächen
war bedeckt mit vielen Spitzen,
die aufsprangen, wenn es tropfte -
volle Schalen sah ich stehen,
sah sie stehn in einer Seele,
und sie flossen ständig über,
und ich hört' den Segen rauschen,
und ich sah die Perlen fallen,
aber keiner kam zu schöpfen. -
Volle Schalen sah ich stehen - -
(S. 16)
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Aus: Lieder aus dem Dunkel
von Siegfried Kawerau
Verlegt bei Max Schildberger
Berlin 1910

 

Biographie: Georg Siegfried Kawerau (* 8. Dezember 1886 in Berlin; † 16. Dezember 1936 ebenda) war ein deutscher Pädagoge und Schulreformer. Er wirkte als Gymnasiallehrer in Berlin, war Mitglied der SPD und des Bundes entschiedener Schulreformer.
Siegfried Kawerau, der Sohn des Berliner Domorganisten und Gesanglehrers Hermann Kawerau, studierte von 1904 bis 1909 in Berlin und Breslau. 1910 erwarb er in Berlin die Befähigung zum Lehramt an höheren Schulen für Deutsch, Geschichte und Latein und wurde mit der Arbeit Die Rivalität deutscher und französischer Macht im 10. Jahrhundert an der Albertina in Königsberg zum Doktor der Philosophie promoviert. Ab 1911 war er Oberlehrer an der Oberrealschule der evangelischen Gemeinde in Bukarest, ab Herbst 1913 in Landsberg an der Warthe. Mit Ausbruch des Ersten Weltkriegs hatte er Kriegsdienst zu leisten. 1915 wurde er bei Verdun verletzt, so dass er nicht mehr kriegsdienstfähig war und kehrte in den Schuldienst nach Landsberg zurück.

In Vorträgen vor Lehrerverbänden verlangte er interkonfessionelle Erziehung und Koedukation. Er forderte ein soziales Kaisertum, die Überwindung des Konfessionalismus und die Trennung von Kirche und Staat. Er beteiligte sich ab Anfang 1918 am Vaterländischen Unterricht und lehrte ab Ostern 1919 an höheren Schulen in Berlin. Dort trat er der SPD und im Herbst 1919 Paul Oestreichs Bund entschiedener Schulreformer bei. Er war Mitglied der Reichsschulkonferenz 1920 und sprach sich dort gegen Heinrich Schulz und den Weimarer Schulkompromiss aus. Von den Entwicklungen enttäuscht verließ er die Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Lehrer, den Bund entschiedener Schulreformer und die evangelische Landeskirche.

Ab 1921 war er Mitglied der Charlottenburger Bezirksversammlung und von 1925 bis 1930 Stadtverordneter. Er veröffentlichte Schriften zur Reform des Geschichtsunterrichts. 1927 wurde er Oberstudiendirektor am Köllnischen Gymnasium, bis er Anfang 1933 verhaftet, nach mehreren Monaten entlassen und zum 1. September 1933 in den vorzeitigen Ruhestand versetzt wurde. Von den gesundheitlichen Folgen der Haft erholte er sich nicht und starb im Alter von 50 Jahren.

Er war mit Rainer Maria Rilke befreundet und seit 1911 mit Anna Magdalena verheiratet. Aus der Ehe gingen drei Söhne und eine Tochter hervor.

aus: http://de.wikipedia.org/wiki/Siegfried_Kawerau


 


 


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