Gottfried Kinkel (1815-1882) - Liebesgedichte

Gottfried Kinkel



Gottfried Kinkel
(1815-1882)


Inhaltsverzeichnis der Gedichte:


 



Zehn Sonette an Johanna
(Februar 1840)

1.
Still war mein Knabenleben, eng und klein;
Drum gruben sich auf meines Herzens Grund
Nur wenig Bilder, aber farbenbunt
Mit unzerstörbar tiefen Zügen ein.

Eins blieb mir, du! O weißt du, dort am Rhein -
Ein Kind fast warst du noch, froh, hell, gesund,
Und blicktest heiter in das Weltenrund,
Als wären all die schönen Wunder dein.

Ich kam des Weges auch mit stillem Schritt:
Da standst du dunkel vor dem Abendlicht,
Das mächtig wiederglänzte von der Flut.

Ich sah dich, hellverklärt das Angesicht,
Von meiner Schwester Arme traut umruht -
Ich schwieg und nahm dieß Bild in's Leben mit.
(S. 165)


2.
Die Stille schwand! der Cirkus that sich auf,
Der Herold winkte: hei die Renner fliegen!
Gilt es zu siegen? männlich zu erliegen?
Frisch! Tod und Leben, beide stehn zu Kauf.

Und dich verlor ich in dem raschen Lauf:
Wer kann in weichem Kindheitstraum sich wiegen,
So lang die Kraft er spannen muß zu siegen,
Der Gegner Schaar ihn noch umringt zu Hauf?

Umflogen ist die Bahn! Stolz blickt' ich um,
Langsamern Lauf nun gönnend dem Gespanne;
Nah ist das Ziel, die Gegner all zurück.

Doch jauchzen kann ich nicht: ich denke stumm,
Daß mich der Kampf gereift zum ernsten Manne,
Auch hinter mir liegt fern der Jugend Glück!
(S. 165-166)


3.
Da trittst du mir zum zweitenmal entgegen,
Das jugendliche Haupt im Witwenschleier:
Des Mannes feste Brust darf kühner, freier,
Als einst des Knaben, dir sich zubewegen.

Noch hältst du mich mit deinem Zaubersegen;
Mein Herz ist vollbesaitet deine Leier;
Du nimmst es, wie du willst! Zur ernsten Feier
Zum leichten Scherz kannst wechselnd du's erregen.

Du singst den Psalm: da klingen Melodien
Im Busen mir von Jugendandachtgluten;
In stiller Kirche möcht' ich wieder knien.

Du malst im Klang die Nacht - wie tief es dunkelt!
Du hebst den Mond herauf aus schwarzen Fluten:
Und träumend bin vom Sternglanz ich umfunkelt.
(S. 166-167)


4.
Wo führst du hin mich, Mächtige? Laß ab!
Längst schläft die Jugendzeit mir todtenkalt,
Was übt dein Wort so magische Gewalt,
Was schwingst du ob der Gruft den Geisterstab?

Den Garten seh' ich, der mich eng umgab,
Der Mutter ernste mächtige Gestalt,
Des Vaters Haupt von weißem Haar umwallt,
Sie steigen lebend aus dem dunkeln Grab!

Die Schwester zeigst du mir im Mädchenkleide,
Die nun ein fremder Herd von mir entfernt,
Genossin einst an Jubel wie an Leide.

Du weckst mir Jauchzen und du weckst mir Thränen -
O Lust der Thränen, die ich lang verlernt!
Es schmilzt mein Erz in wonnig weiches Sehnen.
(S. 167)


5.
Und wer dich schaut' - du bist so jung geblieben!
So harmlos bist du, wie nur Kinder sind;
Rasch tanzt dein Geist, ein flüchtiger Wirbelwind,
Und deines Witzes glühe Funken stieben.

Der neckische Scherz steht auf der Stirn geschrieben:
Mir ist, als wärst du noch das leichte Kind,
Umspielt von Frühlingshauchen weich und lind,
Als läge vor dir noch ein erstes Lieben!

Doch weh, dein Mund ist plötzlich schmerzverbittert
Die hohe Stirn deckt sich mit Finsterniß,
Drauf zuckt's, wie wenn im Westen es gewittert.

"Durch all mein Leben klafft ein solcher Riß,
Daß es nur noch dem Tod entgegenzittert -"
Elend auch du? du nickst - es ist gewiß!
(S. 168)


6.
"Die Nacht ist schrecklich, finster, kalt und bang,
Doch lieb' ich sie; sie ist des Todes Schein;
Unendlich einsam bin ich und allein;
Wie draußen, schweigt im Innern jeder Klang.

Da streck' ich mich wie Leichen, starr und lang;
Die müden Hände faltend, dämmr' ich ein -
So träum' ich mich in meinen Todtenschrein,
Und über mir hallt dumpf der Priester Sang.

Und also lieg' ich, bis im wirren Hirn
Des Lebens letzter Funke mild verglimmt,
Und Eiseskälte mir bedeckt die Stirn.

Dann spür' ich Ruhe - Tod und Grab und Nacht,
Gefühl und Denken, Lust und Noth verschwimmt,
Und ob mir waltet der Vernichtung Macht."
(S. 168-169)


7.
So strömt denn hin um Sie, ihr bangen Klagen,
Ach um dieß starke Herz, das muthlos bricht!
Ein Geist - ihn beugten lohe Blitze nicht,
Zerstört sich selbst durch zweifelndes Verzagen!

Sie sucht Genuß, um müde sich zu jagen,
Sie strahlt ihr Leben aus im bunten Licht,
Sie schwärmt im Ton und jauchzet im Gedicht,
Sie stürmt, die zarte Harfe zu zerschlagen.

Sie schlürft begierig mit Vernichtungswonne
Als gährend Gift des Lebens heißen Wein,
Sie treibt die Pulse, daß sie wild zerspringen!

Furchtbarer Wahnsinn, von dem Licht der Sonne,
Das jedes Herz verklärt mit Hoffnungschein,
Freiwillig nach dem Tode hinzuringen!
(S. 169-170)


8.
Am Fenster steh' ich in des Morgens Schauern:
Im Osten flammt Gewölk mit goldnem Prangen:
Der Frühhauch löscht die heißerglühten Wangen,
Die von dem Kummer dieser Nacht noch trauern.

Die Seele hebt sich aus den Klostermauern,
In denen sie der dumpfe Gram gefangen:
Denn der Entschluß ist hell ihr aufgegangen:
Sie retten muß ich, statt sie zu bedauern!

Auch ich war elend und von Gott verlassen;
Auch ich begrüßte jauchzend mächt'ge Töne
Im fremden Land einst, die mir Tod verhießen -

Nun dennoch glücklich! Kann ich's auch nicht fassen,
Für sie weiß ich den Weg zur ew'gen Schöne,
Die voll uns tränkt mit ruhigem Genießen!
(S. 170)


9.
Ich ging durch stille Abenddämmerungen:
Die stumme Flur entschlummerte schon mählig;
Die Vögel hatten, da sie tausendkehlig
Die Sonn' im Scheiden grüßten, ausgesungen.

Da hat ein hoher Klang sich aufgeschwungen
Von Abendglocken rings im Land vielzählig;
Da fühlt' ich mich im tiefsten Herzen selig,
Und Thränen sind in's Auge mir gedrungen.

O Glockenton, wie du an Gott zu denken
Uns aufrufst durch den trüben Erdenabend,
Will sich der Geist so ganz in Andacht senken.

Ein Ton nur klingt durch's öde Weltgetriebe,
Das sehnsuchtmüde Herz noch süßer labend:
O klinge fort, du Ruf der ewigen Liebe!
(S. 171)


10.
Es stöhnt das müde Herz nach Frieden! Frieden!
Der Friede kommt - doch langsam ist sein Gang.
An Jugendüberfülle sind wir krank,
Gesundheit ist dem Alter nur beschieden.

So lange wild des Lebens Fluten sieden,
Ist diesem stillen Gast bei uns zu bang;
Es kommt die Frucht erst wenn die Blüte sank -
Nie eint sich Stille mit der Kraft hienieden.

Du hoffe still! Ich hoffe auch für dich!
Der Tag kommt, wo ich dich versöhnt
In weiten Weltraum freudig schauend sehe.

Geb' es ein Gott uns beiden dann, daß ich,
Wenn vollharmonisch deine Seele tönt,
Ein Greis, wie dort ein Knabe, bei dir stehe!
(S. 172)

Aus: Gedichte von Gottfried Kinkel
Sechste Auflage Stuttgart und Augsburg
J. G. Cotta'scher Verlag 1857
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Ein Tagebuchblatt
1840

Süß ist die mitternächtige Stunde,
Die weit die Herzen offen schließt,
Wenn von des Liebchens jungem Munde
Manch traut Geheimniß sich ergießt.
Sie plaudert kindisch, bang, bescheiden
Von Mädchentand, der sie umgiebt,
Sie beichtet, wie mit stillem Leiden
Sie heimlich dich schon lang geliebt.

Doch reicher ist des Tages Helle
Gedämpft zu halbem Dämmerschein;
Es winkt die wohlbekannte Schwelle,
Zum stillen Zimmer tret' ich ein:
Wo bleich und ernst mir Grüße spendet
Ein Mund, der Andre fliehen heißt,
Wo von den Menschen abgewendet
Sich mir erschließt ein reicher Geist.

O einen Schatz hast du gefunden,
Wenn eine Freundin auf dich baut,
Dir aufdeckt ihrer Seele Wunden,
Auch ihren Jubel dir vertraut;
Wenn sie vor deinen wachen Blicken
Das Leben noch einmal durchlebt,
Von großen stillen Augenblicken
Für dich den Schleier freundlich hebt.

Du siehst das Kind sich frei entfalten,
Das ausgereift nun dir sich zeigt,
Der ersten Liebe Vollgewalten,
Wie Mannesglut sie nie erreicht.
Du siehst die Täuschung, siehst des Lebens
Verworr'nen Gang in bleichem Licht;
Sie zeigt den Lohn dir hohen Strebens,
Und auch den Fehler hehlt sie nicht.

Da schaust du solche Lebensschöne,
Du bebst ob solcher Schmerzenlast,
Du hörst so wunderbare Töne,
Wie du sie nie empfunden hast.
Das Stärkste zeigt sich dir, was immer
An Lieb' und Haß die Erde hegt,
Wenn sich in unverfälschtem Schimmer
Ein Frauenherz dir offen legt.

Nun fährst du auf des Lebens Strome,
Rings schimmert Frühlingsblütenpracht,
Am Ufer stehn die hohen Dome,
Die alten Berge halten Wacht.
Doch kennst du nun die flache Stelle,
Du fliehst gewarnt das scharfe Riff,
Und selber auf der Schmeichelwelle
Lenkst sicher du dein kleines Schiff.


Aus: Gedichte von Gottfried Kinkel
Sechste Auflage Stuttgart und Augsburg
J. G. Cotta'scher Verlag 1857
(S. 173-175)

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Sonett

Ja, sie war hier! O sage dir es wieder
Und immer wieder, frohbewegte Brust!
Empfinde ganz sie, der Erinn'rung Lust,
Ergieße sie im Jubelklang der Lieder.

Es bringt der Tag auf hellem Lichtgefieder
Der scheuen Lieb' Entbehrung und Verlust;
Ihr Recht ergreift sie kühn und selbstbewußt,
Senkt sich die milde Nacht zur Erde nieder!

Nun ist geweihet, wo sie stand, die Stelle,
Und jeder Abend bringt die Huldgestalt
Mir wieder bei der Kerzen Dämmerhelle.

Von ihrem Odem fühl' ich mich umwallt -
Leis rauscht ihr Kleid dann über meine Schwelle,
Und fern des Fußes leichter Tritt verhallt!

Aus: Gedichte von Gottfried Kinkel
Sechste Auflage Stuttgart und Augsburg
J. G. Cotta'scher Verlag 1857
(S. 207)

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Liebe und Muse

O holde Thörin, kannst du wähnen,
Uns gingen je die Lieder aus,
Weil endlich trocknen unsre Thränen
Und fern liegt der Verzweiflung Graus?
Weil unsrer Liebe wilde Lohe
Im purpurrothen Kuß zerstiebt,
Entwich die Muse uns, die Hohe
Die uns im Schmerz so hoch geliebt?

Als uns noch fremde Bande drückten
Und zwischen uns Entsagung trat,
Als nur noch Blicke uns beglückten,
Die heimlich suchten ihren Pfad;
Da haben wir im Geist verbunden
Gedanken und Gefühl getauscht,
Und dennoch hat in stillen Stunden
Das Lied gedankenschwer gerauscht.

Nun ist uns Alles freigegeben
Der Mund, die Locken, Brust und Hand;
In süß verstummtem Wonnebeben
Löscht sich des Geistes Flammenbrand.
Viel holder ist's von deinen Lippen
Der Küsse unermessne Zahl,
Als Wort und Töne wegzunippen,
Die ich dir sonst vom Munde stahl.

Drum binden nun sich die Gedanken,
Die einst in schlichtem Wort getönt,
Fest in des Liedes goldne Schranken
Und treten vor dich hochverschönt.
Ein jedes Lied, das ich dir sende,
Gönnt mir zu einem Kuß die Zeit -
Und du meinst, weil der Gram zu Ende,
Sei auch die Muse von uns weit?

Aus: Gedichte von Gottfried Kinkel
Sechste Auflage Stuttgart und Augsburg
J. G. Cotta'scher Verlag 1857
(S. 209-210)

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Als Brief

Ihr flücht'gen Zeilen, hin zu ihr!
Doch was habt ihr zu sagen?
Nah ist die Stunde noch, da wir
Uns in den Armen lagen.
Wir sprachen's aus mit manchem Kuß,
Mit Herz an Herzen Drücken,
Wie wir im Liebesüberfluß
Einander hoch beglücken.

O zaubersüßer Liebestod,
O heil'ge Macht der Minne!
Sie kennt nicht Weigern noch Verbot,
Ist wie ein Kind an Sinne,
Das stets zu geben ist bereit,
Was Mutter ihm geschenket,
Das ohne Harm und ohne Neid
Nur mitzutheilen denket.

Wie du an dieser Brust geruht,
In diesen Arm gesunken,
Das klopft mir noch durch's junge Blut
Und hält mich selig trunken!
O fort dieß Blatt, ich mag es nicht,
Daß es mein Glück mir spiegelt!
Wie möcht' auch künden ein Gedicht,
Was heiß der Kuß versiegelt?

Aus: Gedichte von Gottfried Kinkel
Sechste Auflage Stuttgart und Augsburg
J. G. Cotta'scher Verlag 1857
(S. 210-211)

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Im Salon

Du bist ein wunderliches Kind!
Du willst es mir im Ernste klagen,
Verdrießen könnt' es dich und plagen,
Wenn um uns andre Freunde sind,
Und wenn des Brauches enge Schranken
Festketten unsre Glutgedanken?

Nein! Erst in deiner Gegenwart
Fühl' ich den Geist mir aufgeriegelt,
Der Rede Silberquell entsiegelt,
Entdeckt mein Gold, sonst tief verscharrt -
Und sollt' ich dieß mein Bestes können
Getreuen Freunden ganz mißgönnen?

Wenn still dein Fuß auf meinem ruht,
Dein Haupt mich heimlich grüßt mit Nicken,
Und aus den klugverhohlnen Blicken
Hervorblitzt tiefer Minne Glut:
Da hab' ich's erst so ganz empfunden,
Daß mein du bist zu allen Stunden!

Aus: Gedichte von Gottfried Kinkel
Sechste Auflage Stuttgart und Augsburg
J. G. Cotta'scher Verlag 1857
(S. 216)

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Liebesgruß

Dein Tüchlein blieb in meiner Hand,
Von deinen Thränen war es kühl getränkt,
Ich habe meines Auges Brand
In seine Falten sehnend eingesenkt.

Dein Schmerz ist mein: so will's das Recht
Der gleichen Theilung - gönne mir es still,
Denn der versteckt die Liebe schlecht,
Der Lust nur mit dem Liebchen theilen will.

Hier send' ich dir das Tuch zurück;
Laß du nun deine Lippen auf ihm ruhn;
Mein Busen schwillt von stolzem Glück -
Du theilst dieß Glück mit mir zum Danke nun!


Aus: Gedichte von Gottfried Kinkel
Sechste Auflage Stuttgart und Augsburg
J. G. Cotta'scher Verlag 1857
(S. 218)

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Abends

In stiller Dämmerstunde,
O Liebste, denk' ich dein;
Es perlt im Herzensgrunde
Mir der Erinn'rung Wein.

In diesem halben Schimmer,
Vom Tag nicht mehr belauscht,
Hast du mit mir ja immer
Der Liebe Lust getauscht.

Aus dieser Büsche Düster
Ringt sich ein Säuseln los -
So hört' ich dein Geflüster,
Mein Haupt auf deinem Schooß.

Es brennt auf meine Wangen
Durch's Laub des Abends Glut,
Wie gestern voll Verlangen
Die deinen dort geruht.

Im Busen tief beklommen
Hör' ich des Herzens Schlag,
Wie ich ihn da vernommen
Als ich an deinem lag.

Die Lippen mir ein lindes
Erbeben süß durchzückt;
Die langen Küsse sind es,
Die du auf sie gedrückt.

Doch still ist's in der Runde,
Und ich bin, ach, allein -
In weicher Dämmerstunde
O Liebste, denk ich dein!

Aus: Gedichte von Gottfried Kinkel
Sechste Auflage Stuttgart und Augsburg
J. G. Cotta'scher Verlag 1857
(S. 219-220)
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An meine Minna

Uns zur Seiten alle Stunden
Gehn geliebte Todte mit,
Und Geschlechter, die geschwunden,
Stäuben auf bei unserm Tritt.

Doch auch durch die Himmelsräume
Täglich strahlt das Morgenroth -
Aus den Gräbern wachsen Bäume
Und das Leben aus dem Tod.

Ihre Ehre sei den Todten,
Feig ist's, die Erinnrung scheun!
Doch den Lebenden geboten
Ward's, des Lebens sich zu freun.

Was wir jauchzend einst genossen
Mit des Herzens vollem Schlag,
Sei es in die Nacht zerstossen -
Unser ist der wache Tag!

Bis auch meine Pulse stocken,
Halt' ich dich, mein Lieb, im Arm,
Und auch unter'm Schnee der Locken
Klopft das Herz noch voll und warm.

Löse drum des Schweigens Siegel
Von den Lippen frank und frei,
Da mir deiner Seele Spiegel
Offenbar und heiter sei.

Frisch, wie jung mit jedem Lenze
Aufersteht das frohe Grün,
Laß auch deiner Minne Kränze
Um das schneeige Haupt mir blühn!


Aus: Gedichte von Gottfried Kinkel Zweite Sammlung
Stuttgart Verlag der J. G. Cotta'schen Buchhandlung 1868
(S. 72-73)

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Liebesgruß
in ein Zeitungsblatt geschrieben

Schmiegt euch, feingeschriebne Zeilen,
Hier in diesen Winkel ein;
Wird ihr Aug das Blatt durcheilen
Mit dem blauen Sternenschein,
Duckt euch in das kleinste Eck,
Haltet fein euch im Versteck!

Doch wirft sie nun ungeduldig
Fort das Blatt, dann kichert ihr,
Ruft ihr zu dann schlau-unschuldig:
Kukuk, Minna, wir sind hier!
Hüpft aus diesem sichern Haus
Dann hervor und lacht sie aus!


Aus: Gedichte von Gottfried Kinkel Zweite Sammlung
Stuttgart Verlag der J. G. Cotta'schen Buchhandlung 1868
(S. 74)

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Als mein Lieb Todesgedanken hatte

Es kommt aus West am Maientag
Schmelzend ein Hauch gezogen;
Von frischem Laub ist grün der Hag,
Der Grabesstaub verflogen.
Wir brauchen der Blumen nicht länger zu warten:
Die Mutterlieb' in Lilienpracht
Und die Rose der Sinne ist glühend entfacht;
All Leben erwacht
In der Liebe sonnigem Garten.

Der Sommer nah, der Winter fern,
Stark ist des Lebens Walten;
Und jede Blume will auch gern
Zur Frucht sich noch entfalten.
Wir ahnen der künftigen Lenze Schimmer,
Wir schaun, wie rings ein jegliches Beet
Voll lebender strebender Keimchen steht -
Der Lenzhauch weht,
Und an's Sterben denken wir nimmer!

Aus: Gedichte von Gottfried Kinkel Zweite Sammlung
Stuttgart Verlag der J. G. Cotta'schen Buchhandlung 1868
(S. 75)
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Elegien im Norden
An Johanna 1840-1841

Die Flut der Leidenschaft sie stürmt vergebens
An's unbezwungne feste Land -
Sie wirft poetische Perlen an den Strand
Und das ist schon Gewinn des Lebens
Goethe, Divan


Erste Elegie

Laß den Eindruck nicht veralten,
Flüchtiges eile festzuhalten.

Nicht im schwächlichen Laut romantischen Reimegeklingels
Hallt dein Preis mir hinfort, Klassische unter den Frau'n!
Nicht wie ein liebliches Kind mit zärtlich schmachtendem Auge,
Das mit des Schweigens Gewalt zaubrisch verwundet das Herz -
Nicht wie die träumende Blume noch halb umhüllt von der Knospe,
Nein, im vollesten Duft stehst du, ein herrliches Weib!
Mag dich die Masse verschmähn, weil dir die erschaffende Mutter
Gab für die Farbe die Form, gab für die Fülle die Kraft:
Aber Wem sich entzündet der Sinn für Macht des Charakters,
Der auf die leibliche Form prägt den gewaltigen Druck;
Wer, ein Paris nicht, doch ein hochverständ'ger Odysseus,
Oder ein starker Achill Pallas für Venus erwählt:
Diesem wendest das Herz du im Busen, wenn du zur Seite
Halbgewendet dich zeigst, sendend in's Ferne den Blick!
Dann verbreitet das Haar sich spielend zum wallenden Helmbusch,
Aus dem saphirenen Aug' schießen die Pfeile hervor;
Gleich als hielte die Hand ein Schwert, so fest und entschlossen
Trotzend der feindlichen Macht blickst du auf's Lebensgewühl.
Also schaut' ich dich gestern: es lachte die mächtige Stirne,
Und aus der Brauen Gewölb hüpften die Scherze heraus.
Wieder erspäht' ich dich dann: du flogst auf eilenden Füßen
Ueber den Markt dahin, wie von der Senne geschnellt.
Eng umhüllte die schlanke Gestalt anliegende Seide,
Und durch des Hütchens Netz dunkelte prächtig das Haar.
Flüchtig entschwebtest du hin: du hattest mild dich verspätet,
Weil dich verzögert der Freund - schwer ja ist Scheiden von dir!
Aber am Eck des Marktes, wo plötzlich du dich gewendet,
Traf dich mein glühender Blick, traf mich dein freundlicher Gruß.
In dieß Lied rasch band ich das sonnige Leuchten des Auges -
Mög' es dir funkeln auf's Neu' hier aus den Zeilen hervor!
(S. 105-106)


Zweite Elegie

Wirst die Kühnheit du entschuldigen,
Die sich müht dir treu zu huldigen?

O wohl ahn' ich das Glück, dich ungetheilt zu besitzen,
An der melodischen Brust täglich und stündlich zu ruhn!
Jeglicher Sturm verschwände von weichen Tönen umschwommen,
Jede verzagende Angst stärkte dein mächtiger Klang.
Mit dir Arm in Arm, von dem fliegenden Geiste getragen,
Heiter vom Scherz umspielt, trotzt' ich dem Grimme der Welt.
Aber ich beuge das Haupt dem furchtbar mächtigen Willen,
Der die verwandte Natur doch für die Erde getrennt.
Einst schien sonnig der Morgen herab auf lachende Triften;
Hoch zum Himmelsgewölb wallte der Rosen Arom.
Lächeln quoll aus dem Blick des väterlich schaffenden Geistes:
Und da rief er in's Sein, ganz ein geschwisterlich Paar.
Beiden gab er den Sinn, den harmlos frohen, des Scherzes,
Welcher des Lebens Ernst wandelt in kecken Genuß:
Beiden den muthigen Trotz, der unbekümmert um Meinung
Jegliche Frucht sich begehrt, wenn er als rein sie erkannt:
Beiden die Thräne der Lust, wenn überirdische Schönheit,
Sei es in Ton und Gestalt oder in Farben, erstrahlt:
Beide legt' er voll Durst an die Mutterbrüste der Schöpfung,
Und als des Lebens Milch spendete Beiden er Wein.
Dann aus dem eignen Geist gab Beiden schöpfrischen Blitz er,
Nicht zu genieße allein, auch zu gestalten die Macht.
Eins nur mischt' er anders: mir ward die Gabe des Wortes;
Ob es gemessenen Gangs wecket des Lernenden Sinn,
Ob es im spielenden Vers mir tanzt, ob braust in der Rede:
Immer umwogt es mit Zier seines Gedankens Gehalt.
Anders du: dir wurden die ahnenden Töne verliehen,
Welche geheimnißreich reden vom ew'gen Gefühl.
Uroffenbarung nenn' ich Musik: in keiner der Künste
Strömt der verschlossene Mensch also krystallen heraus.
Drum wie dem Klang der Stimme die gleichgespannete Saite,
Hallt dir des Hörenden Herz immer im Liebesakkord.
Also wurden wir Beide: da nahm der Vater die Wage,
Legte das herrlichste Loos uns in die Schalen hinein.
Einen wollt' er uns gern in bräutlich seliger Liebe
Und in den mächtigen Arm legen das mächtige Weib.
Wäre gefallen das Loos - du mußtest, Hohe, mir folgen,
Ob auch das eigene Herz stolzere Wünsche gehegt!
Dann ein Doppelgestirn, die Lichter freudig vermischend,
Gingen wir leicht durch die Welt, jeder dem andern zur Lust.
Und schon faßte der Vater das Loos: mit himmlischen Lettern
Band Ein Namen uns da, der nun der meinige ist.
Aber sinnend zog er zurück den Arm, und es stiegen
Andre Gedanken herauf - ach er verwarf den Beschluß!
Ernst nun sprach er das Wort: Durch's Leben wandelt geschieden,
Allzu nahe verwandt für den beständigen Bund!
Nicht das gemeine Thun des erbärmlichen Alltagslebens
Schwäche den geistigen Reiz, der euch erzieht und beglückt!
Nicht in kleinlichem Gram um niedrige Sorge des Hauses,
Nur in gewaltigem Kampf ringe der Geist mit dem Geist!
Selber habt Ihr zu dämpfen: ich gab genug Euch des Feuers -
Weh wenn ein Sohn Euch entsproß, einend die doppelte Glut!
Träumte doch einst dem König, es schenke die hoffende Gattin
Ihm die Fackel als Sohn, die den Palast ihm gesengt!
Also zum eigenen Heil verwehr' ich irdische Minne,
Daß nicht schwindelndem Glück schreckliches Elend entwächst.
Darum trenn' ich sie nun durch unüberspringliche Klüfte;
Nah wohl stehn sie sich stets, doch sie erreichen sich nie.
Neigt sich der Eine zum Sturz, wohl mag ihn warnen der Andre,
Aber hinüber trägt nirgend die Brücke den Fuß!
Eh sie sich wandernd erschaun und als ebenbürtig erkennen
Feßl' ihr Dasein streng stählerne Kette der Pflicht.
Dann, wenn ernsteres Alter sie warnt vor kindischem Leichtsinn,
Bringt sie zusammen der Pfad, den sie sich selber gewählt.
Er mit besonnenem Wort wird ihre Seele durchschüttern
Und aus der stöhnenden Nacht heben zum sonnigen Tag.
Ihm dann blüht ein seliges Sein! Ihm gab ich zu kämpfen
Mit der vermodernden Welt, mit dem verstumpften Geschlecht,
Ihn trifft Haß, und er wandelt im Schweiß die staubige Kampfbahn,
Oft noch zagend, und oft irr' an dem eigenen Werth.
Fest dann ruh' er in Lieb' und Achtung tüchtiger Freundin,
Die ihm sein besseres Selbst zeigt in verklärendem Schein!
Schwesterlich ist sie ihm nah: sie giebt ihm Mark der Gedanken,
Wenn ihm die eigene Kraft, Lehre verspendend, versagt.
Oder todt in der Brust ihm fressender düsterer Unmuth,
Zaubert ihr Ton und Gesang schönere Welten ihm her.
Geistig walte die Ehe, und zahllos hege sie Kinder:
Lieder der Milde und Kraft, paarend das Wort und den Ton!
(S. 106-109)


Dritte Elegie

Du gestattest mir zu singen:
Ernstes Wort nun laß dir bringen.

Irdischem Leben gesetzt ist ein Losungswort: die Entsagung!
Und kein härteres Wort nennt dir der menschliche Laut.
Stammelnd lernt es die Lippe, die bleiche: doch immer auf's Neue
Muß sie es lernen, denn ach, ach sie vergißt es zu gern!
Aber was schwer, das wird zum Segnenden: also geordnet
Hat es die ewige Hand, welche das Leben bestimmt.
Denn aus Tod blüht Leben; es sproßt die Saat aus Verwesung;
Aus dem geborstnen Gestein hebt sich die Eiche zum Tag.
Pfand der Ewigkeit ist's, daß das sterbliche irdische Dasein
Nimmer den Wünschen genügt, die uns so zauberisch blühn.
Anders lautet das Wort, das aus bessern Welten herüber
Klingt in prophetischem Ton und in der Ahnung der Brust.
Hör' es und schaudre vor Lust: die Ewigkeit bringt die Gewährung,
Und kein süßeres Wort nennt dir der menschliche Laut.
Einst wird fallen die Hülle, die nebelhaft um des Geistes
Wetterleuchten sich legt und um des Herzens Erglühn.
Was als reines Gefühl du trugst durch die Stürme der Erde,
Was du in Treue geminnt, los vom begehrenden Wunsch:
Das wirst ganz du besitzen, wenn frei der Geist mit dem Geiste
Heilig und sündlos tauscht, was in den Tiefen ihm brennt.
Dann entreißt dir nicht des Freundes gleiche Gemeinschaft
Niedriges Welturtheil noch die bewahrende Scham;
Nicht auf engem Bezirk der Lust am eigenen Hause
Grenzt dann Liebe sich ab, spannt sich den weitesten Kreis.
Irdisches fällt, es fällt das Recht, ausschließlich zu haben;
Frei wie die himmlische Lust ist des Geliebten Besitz;
Und am größten gerechnet, am würdigsten göttlicher Nähe
Wird, wem am vollesten strömt, Liebe, dein goldener Born!
(S. 110-111)


Vierte Elegie

Waltet frei, Lied und Gedanke!
Geistertausch kennt keine Schranke!

Ja, du trafst es, o Starke! Von Dornen windest du Kränze,
Schärfe des Wermuts dient dir noch zum zierlichen Strauß!
Stachlich starret die Palme: doch süß entreift ihr die Dattel,
Und ihr gewaltiger Zweig schmückt überwindende Hand.
Leiden ist sterbliches Loos: doch ach nur Wenigen keimet
Aus dem verletzenden Baum golden und labend die Frucht.
Anders du! Dir wachsen aus Leid holdselige Lieder,
Wie aus Adonis Blut Purpur der Rosen entsprang.
Darum bist du mir groß, und darum neigt sich mein Herz dir,
Weil dich das eigene Leid reizend verklärt und verschönt.
Freude, das göttliche Wort! Genuß, o schmeichelnder Laut du!
Aber die Freude verstumpft, aber Genuß, du erschlaffst.
Spannung gibt nur das Leid. Ihr Leid einst klagete Sappho,
Und ihr unsterbliches Lied hallt die Jahrhunderte durch.
Selbst auch duldet' ich viel: es starrt die Brust mir von Narben,
Welche das Leben mir tief, tiefer ich selber mir schlug.
Darum fasset mich nicht, auch nicht die donnernden Lieder
Wem an die kleinliche Brust nur das Gewöhnliche schlug.
Du begreifst den Dichter, den ernst aufstrebenden Jüngling,
Und das verwandte Gefühl lehrt dich die Rhythmen verstehn.
So aus bleierndem Schlaf, in dem mein Genius hinstarb,
Wecktest du flutigen Born neuen Gesanges mir auf;
Ja, du erwiederst den Klang, der die tiefsten Saiten durchdröhnet,
Milderst in lieblichem Ton dämpfend die herbere Kraft.
Bleibe denn so mir treu! Es schelte Keiner das Bündniß,
Das in erhabenem Tausch knüpfet den Geist an den Geist!
Andern gehöre das Thun und des Tagwerks ringende Mühe;
Und, was in heiliger Nacht dichtend die Seele geträumt!
(S. 111-112)


Fünfte Elegie

Will sich schwarz die Zukunft uns verschließen,
Laß uns der Erinn'rung noch genießen.

Frei auf dem wallenden Strom aus dem dumpfigen Qualme der Stadtwelt
Trägt mich das mächtige Schiff, führt mich der fröhliche Sinn.
Müde des ewigen Lehrens und müder noch ewigen Lernens
Geh' ich, wie einst als Kind, lachend die Schule vorbei;
Städtische Damen und Herrn, o du hochweise Gesellschaft,
Sähst du den Flüchtling hier jauchzend der Freiheit sich freu'n!
Fort, o brausendes Schiff, und führe die leuchtenden Bilder,
Felsen, Gebirg und Wald, Städte mit Domen mir vor!
Doch was fühl' ich? Nicht ganz entging ich, scheint es, der Heimat,
Denn geleiten mich nicht, Traute, Gedanken an dich?
Zwischen dir und der Welt, die im sonnigen Glanze sich breitet,
Schlage die Brücke das Lied, drauf ich mich schaukle mit Lust.
Jeglicher Platz ist geweiht: du hast sie alle betreten,
Jeder zertrümmerte Stein hegt mir dein grüßendes Bild.
Heimatdörfchen, du winkst mit der weithin schau'nden Terrasse:
Dort erblickt' ich zuerst, die mich so freundlich beglückt,
Scheuer Knabe, noch wild: doch regte tief in der Brust sich
Achtung der mächtigen Form: treu auch verblieb mir das Bild.
Honnef dort, das liebliche Thal, mit ländlicher Einfalt
Paarend den städtischen Schmuck, Villen und Gärten vereint;
Dort in der fröhlichen Zeit noch ungebändigter Jugend
Hast du idyllisch geschwärmt mit der Gespielinnen Schaar.
Und noch liebst du den Ort: von ernster schöpfrischer Mühe
Ruhst in den Büschen du gern unter dem Schutz des Gebirgs.
Lustigem denk' ich nach, auch Ernstem, das du geübt hier -
Aber den Träumenden führt rasch durch die Fluten das Schiff.
Andernach schon, das ergraute: wie glänzt dort junge Erinn'rung!
Diese Felsen erstieg gemsengeschwinde dein Fuß.
Dieß die Ufer, die einst im wiegenden Kahn dich gesehen,
Als du mit heimlichem Trunk freundlichen Gruß mir gesandt.
Neuerer Zeit auch dacht' ich! wie viel des Lieben und Guten
Kam mir, Traute, von dir! Nimmer ja dächt' ich es aus,
Wie du mit kühnem Trotz mich rissest los von den Formen,
Die mir den ängstlichen Sinn lange beschwerend gedrückt,
Wie aus dem kränklichen Schmerz, aus matt wehmüthiger Klage
Du mich in frischere Welt sel'gen Humores erhubst.
Sah ich die Leidende dich im kecken Spiel mit dem Leben,
Fühlt' ich, daß jegliche Noth zwinge der wollende Geist.
Drum wenn heut ich beglückt die leuchtenden Wogen durchfurche,
Dank' ich es dir allein, die mich zu leben gelehrt.
Aber neu nun drängt sich ein fröhliches Bild mir entgegen,
Bingen erscheint, und es ruht lehnend am mildern Gebirg.
Rechtsher neigt sich vom Berg einsam die Rochuskapelle,
Wo Bettina vorzeit liebende Hymnen ergoß.
Gerne gedenk' ich der mächtigen Frau: du nanntest sie Freundin,
Mir auch führtest zuerst du vor das Auge sie hin.
Sei's auch Thorheit genannt, den Widerstrebenden lieben,
Hat sie mit inniger Glut doch auch die Thorheit verklärt.
Langsam zieht an dem Thurm vorüber die Scheibe des Mondes,
Krönt mit dem Heiligenschein mild den geweiheten Ort.
Rüdesheim, du strahlst vom Lied des gemeinsamen Freundes,
Der in Ketropia nun südliche Rhythmen ersinnt.
Einst doch sang er in deutscherem Ton vom Schatten des Kaisers,
Der allnächtlich erscheint, segnend der Reben Gedeihn.
Schau, da glänzet die Brücke des Mondlichts, aber sie schwanket,
Ringelt sich schlangengleich auf der durchschnittenen Flut.
Rings auf Höhen der Wein: gemeinsam nenn' ich den Freund auch,
Dessen begeistertem Gruß Beide wir fröhlich erglühn.
Diesen Becher auf dich! Sein Kuß ist feurig und innig -
So wohl glühet dein Mund, ach, den ich nie noch berührt!
Still blaut rings der Himmel; am schwärzlichen Bergrand schimmern
Gastliche Lichter hervor, plaudernd von friedlichem Glück.
Ruhig kräuselt der Dampf sich auf in heitere Nachtluft,
Durch die Umschleierung blickt neckisch zuweilen ein Stern.
Rauschend wandelt das Schiff, hoch steigt zum Mast die Laterne,
Leise fächelt der Wind auf der beschwichtigten Flut.
In dein Bild verrinnt mir des Tages holdes Erinnern,
Und wie ein blinkender Stern hellt es die träumende Nacht.
(S. 112-115)


Sechste Elegie
(Godesberg)

Glück, das einsam uns erbaut,
Sei dem Liebe nun vertraut.

Sie
Hoch vom alten Gemäuer in's Weite späht' ich und lauschte,
Ob bald nahe der Freund: endlich erhallte dein Schritt.

Er
Wohlverwarnt doch blickt' ich hinauf, und es traf sich, o Traute,
Früher mein grüßender Blick, ehe dein Wurf mich geneckt.

Sie
Ueber verwitterte Steine zu mir dann flogst du herüber;
Fast glitt aus dir der Fuß! Bebend erharrt' ich dein Nahn.

Er
Frisch die siedende Stirn dem kühligen Winde geboten!
Ueber dein sinnendes Haupt warf ich den Blick in das Thal.

Sie
Purpurn sank die Sonne hinab am waldigen Hügel.
Wir vermißten sie nicht; schönere stieg uns herauf.

Er
Noch nicht lebte sich's frei in den abendgerötheten Trümmern;
Spähend noch schlichen umher reisende Söhne des Nords.

Sie
Schüchtern schaut' ich um zu den bärtig wilden Gestalten;
Aber schützend im Kreis standen die Freunde gereiht.

Er
Nun vom Steine herab zum Saale gehuscht, wo die Ritter
Einst durch goldigen Wein lugten in's schimmernde Land.

Sie
Dort in's Nesselgesträuch den Vorrath bargt ihr des Weines;
Gegen die nächtliche Lust sollt' er uns Wärme verleihn.

Er
Reichliches Gut auch brachtest du mit, der Mythe gedenkend,
Welche Dionysos stets nennt mit Demeter zugleich.

Sie
Hoch am Abhang ragte hervor ein moosiges Felsstück;
Divan, Schemel und Tisch - alles zusammen vertrat's.

Er
Dort zu oberst gelagert du selbst, uns Allen die Fürstin,
Aber zunächst bei dir mein der gefälligste Platz.

Sie
Ja, du erwähltest ihn klug! der erste trefflichste Bissen
Wurde dem Nächsten zu Theil; ihm auch der frischeste Wein.

Er
Aber das Fatum, weh! Wer tränke mit dir aus dem Becher,
Loosend ward es bestimmt - mich überhüpfte das Loos.

Sie
Das nicht kränke dein Herz, denn wahrlich, jeglichen Tropfen
Den der Pokal umschloß, trank ich hinab auf dein Wohl.

Er
Aber ich selbst indeß genoß den geweiheten Wein nicht,
Welcher die Lippen dir süß kränzte beim herzlichen Trunk.

Sie
Lange von dunkelm Gewölk umfangen säumte der Vollmond;
Siegreich aber zuletzt hob er sich strahlend empor.

Er
In dein Auge ja fiel er: da schaut' ich ein wunderlich Zeichen:
Dein stets sonniger Blick feucht nun erschien er gedämpft.

Sie
Alte Wehmuth weckte sein Schein und den Traum der Erinn'rung,
Doch in ein fröhliches Lied löste die Seele sich bald.

Er
Frei nun wurde die Lust. Viel klangen der Sänge von Freunden,
Bis sich zu schaffender Kraft kühn dir der Genius hub.

Sie
Mir entsprang in der Brust ein frischer Quell Melodien,
Wiederspiegelnd den Blitz dir von den Lippen entsprüht.

Er
Also schlagen die Töne den ahnenden Seelen die Brücke,
Drüber sie stürzen mit Lust in die Umarmung hinein!

Sie
Manch verstohlener Seufzer entrang sich den schmachtenden Lippen,
- Da, ein erregender Sturm, kam uns der tolle Humor.

Er
Bald im Philisterkostüm agirten wir lustige Rollen;
Ernst in der Stimmen Gewirr schaute der schweigende Thurm.

Sie
Endlich müde des Spiels aufsuchen wir Ruh' und Erfrischung;
Kühn nun wallte der Wein über das flammende Herz.

Er
Stille ruhete rings: im Schlaf erstarrte das Leben,
Hoch ob irdischem Traum wachten die Glücklichen nur.

Sie
"Fließe die Neige des Weins dem Geist der schönsten Erinn'rung!"
- Dießmal den letzten Trunk theilt' ich verstohlen mit dir.

Er
Rauschender tanzte der Wind mit des Thalgrunds lustigen Bäumen -
Zwölfmal klang's, und es schritt schaudernd durch Trümmer die Nacht.

Sie
Und es rafften sich bleich aus dem Boden die Rittergespenster -
Huschten durch das Gewölb, nebelhaft, klagenden Tons.

Er
Schrecklich sah aus dem Fenster das Haupt des grimmigen Kaisers,
Der, abtrünnig dem Kreuz, hier sich den Tempel erbaut.

Sie
Seltsam bildeten sich die Mauern selbst zu Gestalten;
Mönche streckten den Arm weit aus der Kutte hervor.

Er
Bang vor grausigem Spuk empört sich der Lebenden Herzblut;
Tod, du Beherrscher der Nacht, treibest die Fühlenden fort.

Sie
Und wir zogen vorbei der Kapelle, da winkte vom Friedhof
Ernst uns den Abschiedsgruß blumenumschattetes Kreuz.

Er
Einmal, einmal noch zu dem burggekröneten Berghaupt
Hub sich drunten der Blick: golden umspielt' es der Mond.
So, du verdämmerte Nacht, glüh' auf im Schimmer der Dichtung,
Hebe dich flammenverklärt aus der Vergessenheit Duft!
(S. 115-119)


Siebente Elegie

Das sei unsers Dichtens Hort,
Dein der Geist und mein das Wort.

Weithin schau' ich hinaus in die dunstigen Nebel der Zukunft,
Vor dem prophetischen Blick hebt sich die schlummernde Zeit.
Folge mir, fliege voran, du hellbegeisternde Freundin!
Nie von dir ja getrennt leuchtet das Künftige mir.
Alles schaust du gewandelt: es blich uns beiden die Locke,
Müd schon strauchelt der Fuß, langsamer kreiset das Blut.
Aber die Lieb' ist treu; nicht kann das Herz sich verwandeln,
Ewig ruhest du mir in der verschwiegenen Brust.
Wieder steigt vom Himmel ein sonnenbeleuchteter Morgen,
Lächelnd schaut er herab auf ein gesegnet Geschlecht.
Rheinland jauchzet in Lust: gleich ausgegohrenem Weine
Hat es sich völlig geklärt von der Parteiungen Wuth,
Hat sich mit eigenem Blut fest angekettet dem Deutschen;
Siegsfest feiert es heut über den fränkischen Feind.
Heiter belebt sich der Strom, und es dampfen die eilenden Schiffe,
Alte wie neue zumal, führend ein jauchzendes Volk.
Dann betret' ich mit Lust das erhobene Ufer der Heimat,
Wo den Gealterten hält fröhlicher Kindheit Gefühl.
Dort mit offenem Blick die gebreitete Flur überschau' ich
Und auf dem rauschenden Strom flaggender Schiffe Gewühl.
Und nun steigst du herauf die vielbetretenen Stufen,
Ungesehen von mir - rasch, wie die Freude sich naht,
Fliegst du heran mir im Sprung, der Altersmüde vergessend,
Und an das träumende Herz sinkst du mir wonnedurchbebt.
Ja, du bist's, dich hab' ich - mit jugendkräftigem Feuer
Drückt auch des Greisenden Arm fest dich und fester an's Herz.
Heimlich Geplauder beginnt, und den Teppich heil'ger Erinn'rung
Rollt das gemüthliche Wort farbenlebendig uns auf.
So spricht dann dein Mund: Schau, siehst du nahen das Schiff dort,
Langsam, müde wie wir? Kennst du noch sein Gallion?
Schau, Marianne ist's, es ist die Priesterin Gottes,
Die uns den heiligen Bund fügte mit tödlichem Ernst.
Weißt du, wie wir vorzeit auf jenen Berg uns verstiegen,
Wo sich auf blühendes Land sonniger Blick uns gegönnt?
Du warst traurig und ernst, und feucht erblickt' ich dein Auge -
Edelste Thräne! sie rann um die zukünftige That.
Werd' ich, sprachest du da, die höchste Palme gewinnen,
Wird mein begeistertes Lied treffen die Herzen des Volks?
Wird mir der Lorber krönen die schweißbeträufelten Schläfen,
Oder ich ruhmlos gehn zu der Geschiedenen Schar!
Da weissagend verhieß ich Erfolg, und setzte prophetisch
Kühlenden Eppichs Kranz dir auf die pochende Stirn.
Aber trüb doch bliebst du! wir stiegen still in den Nachen,
Der uns auf dunkelnder Flut führte mit schwankendem Lauf.
Da kam ferne gewandelt des Riesenschiffes Laterne,
Schau, dort winkt noch der Baum, welcher die Stelle dir zeigt.
Nah schon wälzt' es sich her, wie die Riesenschlange mit Zischen,
Und den entsetzlichen Schlund sperrt' es uns Singenden auf.
Du noch suchtest zu helfen mit lautem Rufe der Warnung,
Ich nach hinten gewandt sah ein vernichtendes Grau'n:
Denn ein schwarzes Gebild, gleich Charons höllischem Anblick,
Faßte das Steuer mit Macht, trübte des Schiffes Verstand.
Grad vorwärts nun gespornt zu der Todesfackel des Fahrzeugs
Rannte der knickende Kahn gegen die eiserne Brust.
Jetzt in tödlicher Lust umarmt' ich dich wild, und zusammen
Stürzten wir still in die Flut, die sich begierig erschloß.
Da empfand ich den Tod, er drang mir selig zum Herzen -
Mit dir ging ich hinab, ew'ger Vereinigung zu.
Aber du, ein Mann auch dem Tod noch schauend in's Auge,
Rissest mit mächtigem Stoß mich aus der Tiefe herauf.
Auf den geborstnen Kahn leicht hubst du mich, lustig und lächelnd,
Gleich als hättest im Spiel einmal die Kraft du erprobt.
Aber wie ich nun lag am treuesten Herzen gebettet,
Schwoll dir jauchzend die Brust, und du erschienst ein Prophet.
Nicht zu kleinlichem Zweck, so sprachst du, sind wir gerettet,
Nun bringt Frucht uns das Sein, das uns ein Wunder erhielt.
Schwimme der Epheu hin, den die Freundin küssend gewunden,
Bald nun drückt mir mein Volk adligern Kranz auf die Stirn!
Und nun schau ich erfüllt, was im Rettungsjubel du ausriefst,
Denn mein Dichter, ihn nennt ihren Germania heut!
Dann umfass' ich dich still, und im Aug' wohl perlt mir die Thräne:
Nicht für mich ja allein sprach ich verheißenden Spruch!
Dich auch schau ich versöhnt und den Sturm im Busen beschwichtigt,
Fromm wie ein inniges Kind blickest das Leben du an.
Auch dein Lied erschallt in Deutschlands wallenden Fluren,
Auch dein tönender Geist geht triumphirenden Gang.
Deine Weisen entbeben dem liebenden Munde des Knaben,
Wenn er in nächtlichem Sturm Lieder der Schlummernden singt;
Mütter wiegen das Kind mit deinen Tönen zum Schlafe,
Und dein Hymnus erbraust hoch von der Orgel in's Chor.
An der Brust dir liegt die kindlich träumende Menschheit,
Und auf dem Fittich des Klangs hebst du sie himmelempor!
Also reden wir dann, und es sinkt den Beglückten die Sonne,
Wie es vor Zeiten geschah, da wir zuerst uns geschaut.
Weinlaub reiß' ich herab, und ich kröne wieder das Haupt dir,
Wieder des Eppichs Kranz windet dein Finger für mich.
Doch aus dem letzten Kahn, der die Spiegelfluten durchschaukelt,
Schallet ein mächtiger Chor männlicher Stimmen herauf.
Antwort gibt ihm der Strom mit anmuthsvollem Geplätscher,
Und von der Felswand singt Echo den schwebenden Laut.
Dein ist, sprichst du, das Lied! Erkennst du die wogenden Maße,
Die vor allen zuerst du mir geflüstert in's Ohr?
Aber ich lausche beglückt den voller schwellenden Tönen:
Mein nicht, dein ist das Lied, welchem die Weise du gabst.
Nun erst dauert der Bund! Wir leben ein ewiges Dasein,
Ob auch das mattere Haupt still zu dem Grabe sich senkt.
Horch, im Wechsel des Tons umarmen sich mächtig die Geister,
Jeglicher singende Mund zeugt von dem treuen Verein.
So zwei lichte Gestalten, gewiegt von den wogenden Tönen,
Schweben wir Hand in Hand über dem heimischen Strom.
(S. 119-123)


Achte Elegie

Magst auch du einmal bekennen,
Wie so süß die Herzen brennen!

(Sie spricht:)
Soll dem Leide denn nur die Harfe rauschend erbeben?
Locken aus ihr kein Lied schimmernde Stunden des Glücks?
- Noch ist die alte Kraft, ich fühl's, der Hand nicht entwunden,
Sonniger Bilder Flut weckt sie aus träumendem Klang.
Sieh, noch einmal steigt mir herauf des Morgens Erglühen
Ueber der alternden Stadt, wo wir verborgen geweilt.
Mag ich sonst wohl gern in halbem Schlummer mich wiegen,
Heut wie aus Wolken der Blitz, rafft sich aus Träumen der Geist.
Fertig nun, und bereit mit dir die Stadt zu durchwandern,
Du saumseliger Freund, wartet' ich lange schon dein.
Flink nun ging es hinaus an dem grasumwachsenen Stadtthor,
An dem verwitterten Bau mächtiger Mauern entlang;
Reizend umspielt von dem Strahl des frühen schimmernden Herbsttags,
Welcher der Zinnen Zerfall krönte mit funkelndem Gold.
Dann zum Dome gewandt durch enge bescheidene Gäßchen,
Wo ein geringes Geschlecht kärglich und fröhlich gewinnt;
Auf den erleuchteten Platz, wo ob irdischer Häuser Gewühle
Heiter das göttliche ragt, stellt' ich dich Staunenden hin.
Selbst kaum schaut' ich den Bau; es wuchs zu mächtig im Busen
Hoch mir die Liebe hinauf, selbst ein gewaltiger Dom:
Seine Pfeiler Gedanken, die kühn entstreben der Erde,
Drüber als Bogengewölb himmelerstürmend Gefühl;
Rings doch neckisch von Knospen umspielt, leichtflatternden Liedern,
Zierlich mit brennendem Glas buntesten Scherzes gemalt;
Rosen in jeglichem Eck, durchwunden von kindlicher Lilie,
Aber inmitten das Kreuz, deutend unsterblichen Schmerz.
Drum den prächtigen Bau, der im Innern hell mir emporschoß,
Schwemmten, wie bald! mir hinweg Thränen des grimmigen Weh's.
Träumend ließ ich mich führen: wir traten hinein in die Hallen,
Schweigsam wandelten wir zwischen den Bildern umher.
Hast du gebetet, mein Lieb? Gewiß du flehtest für mich auch,
Der unmuthiger Gram stahl von den Lippen das Wort.
Denn entflohen dem Raum, der die Seele bang mir zerpreßte,
Schwang ich mich draußen beglückt hoch in die sonnige Luft.
Nun zum heimlichen Platz hinab am Ufer des Flusses!
Einsam hatt' ich dort oft in mich gesogen dein Bild;
Aber heute lebendig und fühlbar warst du mir nahe,
Tief in das wallende Herz schaut' ich durch's Auge hinab.
Lustig erzähltest du viel von den fernher blauenden Bergen,
Welche du gestern noch erst rüstigen Fußes bezwangst.
Viel von der Schwester auch, die dort im Frieden des Dorfes
Neben dem wackern Gemahl fand ein bescheidenes Loos;
Wie du dem Vogel gleich auf schwankendem Ast dich geschaukelt,
Wo sich die röthliche Frucht frei dir geneigt in die Hand:
Wie du droben, umspielt vom herbstlichen Hauch des Gebirges
Heiter das Gütchen beschaut, Wiesen und Gärten und Flur;
Wie du gern dich geträumt in die patriarchalische Enge,
Wo Ein liebendes Weib voll dir ersetzte die Welt.
Lieder sprachest du auch, die auf jener Flur dir erwachsen -
Hoch auf schwoll mir die Brust, denn sie erwuchsen für mich.
Fort erzähltest du dann, wie der Rückkehr endlich gedenkend
In dem entzückenden Grün du dich mit Willen verirrt,
Also daß spät am Tag noch fern dir lagen die Mauern,
Drin mein sehnendes Herz deines Erscheinens geharrt.
Wie du müde sodann und fast verzagenden Schrittes
Durch die unheimliche Nacht klettertest fort auf dem Steg,
Bis zur Rechten hell des Wagens Pracht dir emporstieg
Und dir des Nordlichts Strahl zwischen den Rossen erschien.
Neu mit des Nordens Kraft durchwogt' es die lässigen Glieder,
Vorwärts strebte das Herz, welches die Liebende zog.
So mit wechselndem Wort beschwurst du des Grams Dämonen,
Denn durch das bunte Geweb strahlte mein Name hervor.
Hand in Hand nun gingen wir hin am blinkenden Strome,
Nur der bedächtige Berg schaute das glückliche Paar.
Was wir geredet, nicht weiß ich's - es mündet in Einer Erinn'rung
Ganz mir der brausende Strom mächtiger inniger Lust.
Unter dem dunkelnden Thor, das aus schweigenden Gärten der Minne
Wieder uns drängte hinein in das gemeine Gewühl -
Ach, da umfaßtest du mich - wie ein Meer umwogt' uns die Liebe,
Und als Siegel des Tags flammte der lodernde Kuß.
(S. 123-126)


Neunte Elegie

Schau, wie ich verwandelt bin,
Große Wunderthäterin!

Wenn der greisende Sänger vorzeit in Heldengebilden
Ausgoß mordliche Kraft, die er in Kämpfen gespart;
Wenn halbkindische Völker, entfernt von des Weltsturms Brandung,
Gern sich ersetzen im Klang, was als Gedanke noch fehlt;
Wenn ein Jüngling singt, dem die erste Lieb' in dem Arm ruht,
Dem sie in purpurnen Schein tauchet die zackige Welt -
Wundre dich nicht! denn es wächst ja nothgedrungen die Rebe,
Wenn sie die Sonne des Mai's faßt mit dem schleichenden Strahl.
Ohne Wahl auch erblüht aus kräftiger Freude die Dichtung,
Selber ein Thun: sie vertritt lieblich die mangelnde That.
Doch mein Lied nicht so! Im Rücken liegt mir die Täuschung;
Jedes Lebendige zeigt tief in dem Kern mir den Tod.
Tief in's Nachtgraun stieg ich hinab, in die Hölle des Zweifels,
Welche des Grams Brandmal zischend mir brannt' auf die Stirn.
So wie Verona's Frau'n vor Dante's wolkigem Antlitz
Und vor dem Stempel der Nacht bebend und schaudernd entflohn,
Also floh mich das Leben; und trat ich in jauchzende Kreise,
Dämmerte düstres Gewölk über die Fröhlichen hin.
Früh schon starb mir der Stamm, auf dem ich kräftig emporwuchs -
Treueste Eltern, euch rief allzubeschleunigter Tod.
Grausige Sorge, du kamst: in's Hohle des Auge[s] dir schauend
Warf ich erbebend den Schmuck kindlicher Lieder hinweg.
Auf mir selbst nur stand ich, und sah zu dem ewigen Himmel,
Aber kein Fuß breit war mein auf dem Erdengefild.
Da versengte die Schläfen die Sommersonne der Arbeit,
Und aus der siedenden Stirn brannte die Sänge sie fort. -
Endlich nahet das Glück - doch Nebel bedecken die Flur nun:
Leugne dir's nicht, mein Herz, Nebel verkünden den Herbst!
Ach schon mischt sich die Locke mit Grau - nicht haben die Jahre,
Nein, der verzweifelnde Gram hat sie gebleicht vor der Zeit.
Träg schon wandelt das Blut, und in schwärmender Flammenentzückung
Rollt es mir nimmer so wild, wenn sich die Freude mir naht.
Sprich, wie fass' ich es denn, daß dennoch, Herz, du beglückt bist,
Fröhlicher selbst, als je, schaust in die herbstliche Zeit?
Daß du, selbst einst todt, mit Leben nun tränkest die Andern,
Und wie ein wallender Born Lieder unendlich erzeugst?
Lieb' allein ist Glück, aus Liebe nur quellen die Klänge -
Und zu lieben die Kraft hast du, o Herz, dir gespart!
Preise denn jegliches Lied die Hohe, die Wundergewalt'ge,
Jedes Empfinden der Brust ströme der Herrlichen zu,
Deren begeisterndes Wort aufsprengt die verschlossene Felsbrust,
Draus sich der helle Krystall sonnendurchlodert erhebt,
Die mit dem Zaubergesang der Meerflut Stürme beschwichtigt,
Daß sich die Muschel getraut, Perlen zu bringen dem Licht,
Die aus blauem Azur die sonnigen Blicke versendet,
Einen verspäteten Keim weckend mit jeglichem Strahl.
Laß, o Sonne, mich ruhn in deinem Glanz, und verkläre
Mir die verdüsterte Brust, zehre den Groll mir hinweg!
Dann mag Schnee mir decken das Haupt, und Dunkel das Auge -
Strömt doch allmächtig von dir ewige Jugend mir zu!
(S. 126-128)


Zehnte Elegie

Will ein Schicksal dich verlassen,
Such' es klar in's Lied zu fassen.

Fahr' denn wohl, du elegisches Maß! Mich hast du geleitet
Treu wie ein tröstlicher Freund durch die verworrene Zeit,
Da mein scheues Verlangen, erschreckt von zagendem Zweifel,
Noch nicht offen an's Licht scheltender Welt sich gewagt.
Furchtbar bist du dem Mann, o heimlich quellende Liebe,
Ja, du zerknicktest das Herz, brächst du nicht endlich dir Bahn!
Wachsendem Waldstrom nenn' ich dich gleich, der auf schroffstem Gebirgsrand
Mählich dem Gletscher enttropft: aber es mehrt sich der Schwall,
Wenn von des Frühlings Gluten des Schneefelds Mürbe geschmelzt ward,
Daß ihm ein Zufluß kommt rings von den Halden und Flüh'n.
Schäumend entspringt er der Haft; da faßt ihn unten das Becken,
Fest von granitnem Gestein riesig zusammengefügt.
Erst zwar schmiegt er sich gern um die scharf gekanteten Formen,
Und der Gewaltige dämmt mild sich zum spiegelnden See.
Doch in den Tiefen, da gährt's: es hört der bangende Landmann
Nächtlich die Geister der Flut hadern mit dumpfem Gemurr.
Wild auf rauscht es auch wohl, wenn ein lange zerfressener Felsblock
Endlich vom Kerne gelöst tief in den Krater sich rollt.
Nah schon schwillt zum Rande der langsam wachsende Spiegel,
Und mit entsetzlicher Wucht preßt er das stöhnende Thal.
Und nun reift der Entschluß: es sendet der ewige Himmel
Bundesgenossen ihm zu, Regen und Hagel und Schnee.
Machtvoll schwingt den Trident nach Freiheit ringend der Wilde,
Und mit vernichtendem Stoß bricht er den Kerker entzwei.
Laut mit Jubelgeheul braust hin die entkettete Welle,
Und den zerstäubenden Schaum dampft sie als Opfer des Siegs.
Weithin schleppt sie zu Thal die zerschmetterten Glieder des Feindes,
Donnernd im Unmuth folgt ihr der gefangene Fels,
Bis sie in Freiheitsstolz ihn hinwirft und zu des Ufers
Bau ihn verbraucht als Trophä' ihres erstürmten Triumphs.
Aber es sammelt die Flieh'nden der Strom: nicht will er die Freiheit,
Die ihm der Aether verlieh'n, üppig verschwenden im Sturz.
Leichtsinn hasset der Gott und die frevelnde Wuth der Zerstörung,
Heiligen Wohlthuns denkt gern er und segnenden Werks.
Tief nun wühlt er sein Bett, und in frei umgränzter Beschränkung
Lädt er den Kaufmann ein ihm zu vertrauen das Gut;
Oder der Hirtin beut er den sanft sich glättenden Spiegel,
Locket der Jünglinge Schaar kühlend zu lustigem Bad;
Reizvoll windet er sich durch glänzende Tafeln des Malers,
Ladet den Bürger herzu, daß er sich baue die Stadt;
Oder am heimlichen Platz im Schatten der sinnigen Weide
Murmelt in dichtende Brust Sagen und Lieder er leis.
Aber im männlichen Thun wie oft noch denkt er der Jugend,
Denkt der vergangenen Qual, denkt des errungenen Siegs!
Viel doch ließ er zurück im zerklüfteten Thal des Gebirges,
Wo ihm die schwellende Lust reifte zur schaffenden Kraft,
Dort ja ließ er die Nymphen, die sonst mit nächtlichen Klängen
Ueber der dunkelnden Flut reizend im Tanz sich gedreht,
Ließ auch die Blumen zurück, die von seinen Gewässern befeuchtet
Mächtigen Dufts ihn oft senkten in träumende Ruh'.
Also die Liebe: sobald in die reizende Flur der Erfüllung
Froh sie und segnend sich senkt aus der entbehrenden Qual,
Dann verstummen die Geister des Lieds, im wachen Bewußtsein
Völlig erschlossenen Glücks braucht sie der Ahnung nicht mehr;
Denn das befriedete Herz, sein Glück ausspendend der Erde,
Wendet vom klagenden Lied froh sich zur männlichen That.
Hier an dem Gränzbaum drum, wo in weit sich öffnenden Thalgrund
Lächelnd die Seele mir schaut, frei von ermattendem Leid,
Häng' ich die Harf' an den Ast: durchwogt sie mir freundlich, ihr Winde,
Tragt mir den früheren Sang weit in die Lande hinaus!
Preis euch Göttern, die mild auch Schmerzen dem Dichter verliehen,
Daß sich am männlichen Klang stärke des Hörenden Muth!
(S. 128-131)

Aus: Gedichte von Gottfried Kinkel
Erster Band Siebente Auflage
Stuttgart Verlag der J. G. Cotta'schen Buchhandlung 1872
_____

 

Biographie:

http://de.wikipedia.org/wiki/Gottfried_Kinkel

 

 


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