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      Klabund (Alfred Henschke) 
      (1890-1928) 
       
      Inhaltsverzeichnis der 
      Gedichte: 
  
       
 
 
       
      LIEBESLIED 
       
      Dein Mund, der schön geschweifte,  
      Dein Lächeln, das mich streifte,  
      Dein Blick, der mich umarmte,  
      Dein Schoß, der mich erwarmte,  
      Dein Arm, der mich umschlungen,  
      Dein Wort, das mich umsungen,  
      Dein Haar, darein ich tauchte,  
      Dein Atem, der mich hauchte,  
      Dein Herz, das wilde Fohlen,  
      Die Seele unverhohlen,  
      Die Füße, welche liefen,  
      Als meine Lippen riefen -: 
      Gehört wohl mir, ist alles meins,  
      Wüßt nicht, was mir das liebste wär,  
      Und gäb nicht Höll noch Himmel her:  
      Eines und alles, all und eins. 
      (S. 661) 
      
      _____ 
  
       
      WIEGENLIED FÜR IRENE 
       
      Einen Sommer lang  
      Goldne Glocke schwang,  
      Rief zu immer holderem Tag.  
      Schlugst das Aug du auf,  
      Lag mein Kuß darauf,  
      Und dein Herz in meinen Händen lag. 
       
      Einen Sommer lang  
      Lied und Lachen klang,  
      Und wir waren ganz vor Glück entbrannt.  
      Schlang und Eidechs kam,  
      Und gezähmt sie nahm  
      Süßigkeit aus deiner guten Hand. 
       
      Einen Sommer lang  
      Mit dem Engel rang  
      Ich, daß ewig dieser Sommer sei.  
      Ach, ich war zu schwach,  
      Und im Herbste brach  
      Sensenmann das Ährenglück entzwei. 
       
      Dieser Sommer war  
      Voll wie hundert Jahr,  
      Die des Gottes Gnadenblut durchdrang.  
      Schenke sein Geschick  
      Unsrem Kind ein Glück  
      Viele, viele, viele Sommer lang. 
      (S. 559-560) 
      
      _____ 
       
  
      Die kleinen Verse für 
      Irene 
       
      Gott hat uns leicht und schwer gemacht. 
      Du hast geweint. Ich hab gelacht. 
      Du hast gelacht. Ich hab geweint. 
      So Sonn und Mond am Himmel scheint. 
      ___ 
       
      Sieh: ich will nicht, daß du weinest, 
      Und brünetter dich verdunkelst. 
      Wage Wagemut: Du scheinest. 
      Leide Leidenschaft: Du funkelst. 
      Warum will die kleine Schwalbe 
      Wieder in die Wildnis fliegen? 
      Sich erheben in das Halbe? 
      Sich um Gaukelgiebel biegen? 
      Inn und Donau gehn und schwärmen, 
      Oberhaus mag prächtig drohen: 
      Um das Helle muß sich härmen, 
      Wem die blonden Feuer lohen. 
      Werde Baum doch! Werde Birke! 
      Schlage Wurzeln, daß du bleibest 
      Und im herbstlichen Bezirke 
      Blütenherz zum Blühen treibest... 
      ___ 
        Der 
      kleine Mann, der auf dem Leuchter saß, 
      Mit schwarzem Kopf, japanischer Gewandung, 
      Den deine Heiterkeit bei mir verließ, 
      Warf plötzlich heute Nacht den Kopf zurück 
      Und starb. Obgleich er leblos schon: er starb; 
      Starb zweiten Tod in einer Träne, die 
      Aus deinem Aug auf seine Hände fiel, 
      Die er verzweifelt in das Leben streckte. 
      Er suchte eine Hand, die ihn ergriffe - 
      Und ihn ergriffen deine Tränen, die 
      Das schwache Herz aus Pappe töteten. 
      ___ 
       
      Ewig werden Tränen rieseln 
      Und der Regen der Gewitter. 
      Götter gleichen ganz den Kieseln. 
      Galle schmeckt im Mund so bitter. 
       
      Schmerz beißt schamlos in die Brust sich, 
      Und zum Kriege trommeln Rippen. 
      Zur Verwesung krümmt die Luft sich, 
      Und der Kuß zerspaltet Lippen. 
       
      Berge stehen zwischen Herzen. 
      Zwischen Augen fließen Flüsse. 
      Brüste trennen Panzer erzen. 
      Zwischen Händen fallen Schüsse. 
       
      Eisenketten selbst zerreißen 
      In der festesten Vereinigung. 
      Und die kalten Gletscher gleißen, 
      Und die Parze lacht der Peinigung. 
      ___ 
       
      Der 
      heiße Strom 
      Rinnt. 
      Ein totes Herz 
      Schlägt schnell. 
       
      Eine Maus 
      Nagt an der Wand. 
      Der Vorhang weht 
      Kalt. 
       
      Im Gang 
      Noch Licht. 
      Die Schwester eilt. 
      Ein Sterbender glänzt. 
       
      Geflüster nebenan 
      Und Glück. 
      Verzweifelte betasten 
      Ihren Leib. 
      ___ 
       
      Tausend Seufzer gehen 
      Hin und her. 
      Keiner konnt verwehen, 
      Stürmt es noch so sehr. 
       
      Liebesblicke viel 
      Sprangen hin und wieder. 
      Keiner fiel 
      Je zu Boden nieder. 
       
      Küsse haben wir gesogen, 
      Tausendfältig, ich und du. 
      Alle sind verflogen - 
      Liebste, warum zögerst du? 
      ___ 
       
      Soll ich kleine Lieder singen, 
      Wie ich oftmals tat? 
      Sonne schon und Nachtigallenschwingen 
      Naht. 
       
      Unterm Schnee die Quellen rauschen 
      Schon dem Frühling zu. 
      Laß uns lächeln, laß uns lauschen! 
      Du! 
       
      Rinnt nicht auch in deinen Tränen 
      Schon der Mai? 
      Liebend Berge sich an Berge lehnen. 
      Sei! 
       
      Eine Tanne steht im jungen Triebe, 
      Wo der Marder schlich. 
      Winter wankt. Die Föhne stürmen. Liebe 
      Mich! 
      ___ 
       
      Der 
      Katzenvater steht 
      Im Mond. 
      Lockt Katz und Kater. 
       
      Kocht ihnen gern 
      Ein heißes Süpplein. 
      Brät ihnen Mäuslein, 
      Fängt ihnen Vöglein. 
       
      Im kalten Winter 
      Die Kätzlein frieren. 
      Schnurren im Bart ihm, 
      Hängen im Haar ihm, 
      Schlafen auf seiner filzigen Brust. 
      ___ 
       
      Es 
      ist ein Licht erglommen - 
      Ich muß die Hände vor das Antlitz tun. 
      Es werden andre kommen 
      Und zwischen deinen Lippen ruhn. 
       
      Es werden andre ahnen, 
      Was deine kühle Klarheit scheint. 
      Ich bin auf dunklen Bahnen 
      Verwaist längst und verweint. 
       
      Es wird an deinem Schenkel 
      Die rote Rose ewig blühn. 
      Es werden Kinder noch und Enkel 
      Die Hände zum Gebet zusammenziehn. 
      ____ 
       
      Wo 
      weilt mein Mädchen? 
      Auf dem Berge 
      Bei einem Zwerge 
      Weilt mein Mädchen. 
       
      Wo weilt mein Mädchen? 
      Auf der Wiese. 
      Ein roter Riese 
      Küßt mein Mädchen. 
       
      Wo weilt mein Mädchen? 
      Im Erlengrunde. 
      An ihrem Munde 
      Flattert ein Falter. 
       
      Wo weilt mein Mädchen? 
      Über der Erde. 
      Zwei schwarze Pferde 
      Entführten mein Mädchen. 
      ____ 
       
      Wenn die Matten rosa dämmern 
      Und die Sonne schön erscheint, 
      Eile ich mit meinen Lämmern, 
      Wo man gut es mit uns meint. 
       
      Wolke zieht und Wiese schwebend 
      Aus der Tiefe uns herauf. 
      Und wir weiden, liebend lebend 
      An des Baches Silberlauf. 
       
      Naht mein Mädchen, mich zu grüßen, 
      Nehme ich das jüngste Lamm, 
      Und ich sinke ihr zu Füßen 
      Opfernd wie einst Abraham. 
       
      Liebes Mädchen, nimm die Gabe! 
      Wenn mein Wangenrot erblich, 
      Weide es auf meinem Grabe 
      Und gedenke dann an mich. 
      ____ 
       
      Eine Nacht wie diese 
      Will ich nun nicht mehr 
      Auf der weißen Wiese 
      Liegt der Schnee so schwer. 
       
      Auf dem blauen Himmel 
      Lasten Mond und Stern. 
      Auf dem roten Herzen 
      Ruht dein Herz so gern. 
      ____ 
       
      Einmal muß das Leid doch enden 
      Und der Tränenstrom versiegen. 
      Einmal muß der Stein sich wenden 
      Und entbrannt zum Lichte fliegen! 
      ____ 
       
      Wenn es dämmert, 
      Süßt mich die Sonne. 
      Sommert der Sommer - 
      Blinkt mir der Schnee. 
       
      Herz zwischen Herzen, 
      Brust zwischen Brüsten 
      Wank ich und schwank ich 
      Und krank ich dahin. 
       
      Bis zu den Sternen 
      Hüpft die Schaluppe - 
      Blonde am Buge, 
      Braune am Heck. 
      ___ 
       
      Aber uns 
      Ist ein Standbild errichtet: 
      Über den Horizonten 
      Gemeinsam 
      Uns dreien: 
      Flammend in einem Gestirn - 
      Ist es der Wagen? 
      Wir laufen im seligen 
      Schluchzenden Dreigespann 
      Unter der Peitsche 
      Silberner Qual. 
      Aber sie schwingt 
      Auf dem Trittbrett 
      Ein Unerkannter 
      Rücklings. 
      Wohl ein Jüngling 
      Oder ein wildes 
      Wolkenkind. 
      Nicht wissend, daß sein rasender Lauf 
      Im jauchzenden Jubel 
      Unsre Vernichtung. 
      Daß sein Gelächter 
      Unser unerschöpflicher Tränenborn. 
      ___ 
       
      Man 
      erwacht im Sanatorium 
      Eimer klirrt, es klatscht der Besen. 
      Heiliger wie ein Oratorium 
      Tönt der Tag: geweint ... gewesen ... 
       
      Gültig gehn des Arztes Schritte, 
      Eine Schwester hüpft daneben. 
      Aus der Finsternisse Mitte 
      Schlägt ein Uhrenschlag ins Leben. 
       
      Emsig schon an der Tabelle 
      Träumt ein Assistent bedeutend. 
      Und ich ziehe an der Schelle, 
      Tee und Tag zum Bette läutend. 
      ___ 
       
      Kein Brief heute morgen. 
      Alle Postboten 
      Sind erfroren. 
      In den Lawinen 
      Stecken die Züge. 
      Alle Briefkästen in Basel 
      Barsten. 
      Die Briefe, die an mich bestimmt, 
      Flatterten, 
      Weiße Möwen, 
      Ueber den Rhein. 
      Eine, hoch schon am Himmel, 
      Schreit. 
      Irene! 
      ___ 
       
      Der 
      weiße Schnee. 
      Der brauen Baum. 
      Die Wand: wie nah. 
      Blau: blauer Raum. 
       
      Die Matte schmilzt 
      Im Februar. 
      O Licht, du stillst, 
      O Licht, du willst, 
      Was willig war.  
       
      Gegeben ganz 
      Dem goldenen Geist, 
      Grüß ich den Kranz, 
      Der mich umkreist. 
      ____ 
       
      Scham scheucht die Schar. 
      Der Schlitten rollt. 
      Ich atme gold 
      Ein blondes Haar. 
      ___ 
       
      Zwei Mütter liegen meinethalb in Wehen; 
      Der Wind weht kalt um ihre Pein. 
      Könnt ich aus beider Leiber strahlend gehen, 
      Als Baum im Walde ihrer Wehmut stehen, 
      Und ihrer beider Licht und Schatten sein. 
      ___ 
       
      Dir 
      dunkelt 
      Der Mond, 
      Wenn hell am Schlitten die 
      Narzissensterne läuten. 
       
      Wohin lenkt uns der kleine 
      Silberne Kutscher? 
      Tausend Tannen laufen 
      An den Flanken des Schimmels. 
       
      Am Wege kniet ein Berg - 
      Du frommer Bauer! 
      Meervogel kreischt 
      Im Gletscherwind. 
      ___ 
       
      So 
      setzt ich ohne Ruh 
      Schlaflos hier Strich um Strich. 
      War nichts so gut wie du, 
      War nicht so bös wie ich. 
       
      Nichts war so schwarz wie ich, 
      Nichts war so blond wie du. 
      O bleibe, ewiglich, 
      Ruhlose, meine Ruh! 
      ___ 
       
      Lebe wohl! Die Dampfsirenen heulen; 
      An der Brücke hakt sich Hand in Hand. 
      Kleine Tauben habe ich und Eulen 
      Deinen Wegen künftig mitgesandt. 
       
      Auf die rechte Schulter setz die Taube! 
      Auf der linken laß die Eule schrein! 
      Glaube, Mädchen! Der Erfüllung Traube 
      Wird auf deinen Lippen Süße sein. 
      
      (S. 219-228) 
      
      _____ 
       
  
      LIEBESLIED 
       
      Hui über drei Oktaven  
      Glissando unsre Lust.  
      Laß mich noch einmal schlafen  
      An deiner Brust. 
       
      Fern schleicht der Morgen sachte,  
      Kein Hahn, kein Köter kläfft.  
      Du brauchst doch erst um achte  
      Ins Geschäft. 
       
      Laß die Matratze knarren! 
      Nach hinten schläft der Wirt. 
      Wie deine Augen starren! 
      Dein Atem girrt! 
       
      Um deine Stirn der Morgen  
      Flicht einen bleichen Kranz.  
      Du ruhst in ihm geborgen  
      Als eine Heilige und Jungfrau ganz. 
      (S. 613) 
      
      _____ 
       
  
      NACHTS 
       
      Ich bin erwacht in weißer Nacht, 
      Der weiße Mond, der weiße Schnee, 
      Und habe sacht an dich gedacht, 
      Du Höllenkind, du Himmelsfee. 
       
      In welchem Traum, in welchem Raum, 
      Schwebst du wohl jetzt, du Herzliche, 
      Und führst im Zaum am Erdensaum 
      Die Seele, ach, die schmerzliche -? 
      (S. 661) 
      
      _____ 
       
  
      Novemberelegie 
      
       
      Ich habe gestern ein Gedicht an dich geschrieben.  
      Ich saß am offenen Fenster.  
      Ich fröstelte.  
      Der Herbstwind wehte.  
      Er hat's verweht. 
       
      Als du zu mir kamst, 
      Standen zwei alte Weiber im Hausflur. 
      Sie krächzten hinter dir her 
      Wie Krähen. 
      Du hüpftest wie eine Bachstelze stolz und  
      zierlich. 
      Öde ist die Welt, ein braches Feld, und böse 
      sind die Menschen. 
       
      Küsse mich mit deinen braunen Augen  
      Und wirf die Arme  
      Wie weiße Fliederäste um mich  
      Und schenke mir, dem herbstlich taumelnden,  
      Den Sommer,  
      Schenke  
      Noch einmal Sommer mir  
      Und weiße Rosen,  
      Letztes Licht. 
       
      Da nun der Winter eisig reisig klirrt 
      Und weißer Schnee die Wege wirrt: 
      Wohin soll ich wandern? 
      Wo soll ich bleiben, 
      Ich Habenichts,  
      Weißnichts,  
      Kannichts? 
       
      Ich liege schon im offnen Sarg.  
      Küss meine kalten Lippen,  
      Um die der Schneesturm stob,  
      Ein letztes Mal  
      Und schlag den Deckel zu  
      Und geh ins Leben  
      Und lächle deiner Tränen. Lebe!  
      Liebe!  
      Und sei geliebt! Gelobt! Bedankt! 
      (S. 567-568) 
      
      _____ 
       
  
      Die Sonette auf Irene 
       
      I. 
      Ich traf den Engel von der Mondkohorte  
      Am Friedhofstor. Er führte mich die Pfade.  
      Er badete in meinem Tränenbade  
      Die Trauerweide, die am Grabe dorrte. 
       
      Ihr toter Leib ist noch wie Sonnengnade.  
      Die Blumen sprießen hell in seinem Horte.  
      Aus seiner weit emporgerissenen Pforte  
      Treten Kamelie, Rose, Dahlie, Rade. 
       
      Pflück eine Blume dir von ihrem Haupte,  
      Das so voll blonder Sonne war wie keines,  
      Das nur dem Licht und nur dem Lichten glaubte, 
       
      Und flüchte in die Einsamkeit des Haines, 
      Der euch so oft zu zweit dem Werktag raubte. 
      Und auf die Blume hin dein Herz verwein es... 
       
       
      II. 
      Ich habe nichts als diesen Wunsch: zu sterben  
      Und meinem Liebling ganz im Tod zu gleichen.  
      Dem Fergen lächelnd beide Hände reichen,  
      Dem Sanften hingegeben wie dem Herben. 
       
      Ich will mit Demut um die Seele werben,  
      Der keine noch so schönen Seelen gleichen. 
      Steht sie an Wolken, Türmen oder Teichen,  
      Will ich geduldig ihren Schatten erben. 
       
      Ich war voll Bosheit, Niederkeit und Schlangen,  
      Gewürm kroch durch des Hirnes schwarze Windung,  
      In meinem Dom geschwänzte Teufel sangen. 
       
      Verstoß mich nicht! Und prüfe meine Bindung!  
      Sahst du den Mörder auch am Galgen hangen:  
      Sein Herz ist rein von deiner Glutempfindung. 
       
       
      III. 
      Und immer, wenn die Türe ging, du lauschtest, 
      Ob ich nicht käme. Und ich war so weit 
      Und wußte nichts von deinem letzten Leid, 
      Und daß du mit dem Tod schon Blicke tauschtest. 
       
      Wie eine Fledermaus im Dunkel rauschtest 
      Du zaubrisch zwischen Zeit und Ewigkeit. 
      Du schriest nach mir wie eine Eule schreit, 
      Und immer, wenn die Türe ging, du lauschtest ... 
       
      Die Totenglocke hat um eins gebimmelt. 
      Ich bin verschlafen aus dem Traum geschreckt. 
      Ich sah mein Haupt wie einen Pilz verschimmelt 
       
      Und deine Brust mit Messern ganz besteckt. 
      Mit Sternen war die Nacht wie nie behimmelt. 
      Ich schlief, bis mich ein Donnerschlag geweckt. 
       
       
      IV. 
      Es war November. Draußen stob der Föhn.  
      Das Lob der Heimat schien dich zu beglücken. 
      Wir mußten näher aneinanderrücken,  
      Um Donau, Inn und Oberhaus zu sehn. 
       
      Und unsre Wangen streifen sich und wehn.  
      Blut klopft an Blut. Wir sehn in unsren Blicken  
      Erfüllung glänzen, lächeln, jubeln, nicken.  
      Und Lippe sank auf Lippe engelschön. 
       
      Nicht suchte Hand nach Hand. Es klang kein Wort. 
      Die Uhr im Zimmer tickte unverdrossen. 
      Und unsre Herzen schlugen fort und fort 
       
      Wie Wellen, die ins große Meer geflossen.  
      Du standest auf. Das Buch lag noch am Ort.  
      Leis hast du hinter dir die Tür geschlossen. 
       
       
      V. 
      Der beste Vers ist noch zu schlecht für sie.  
      Der reinste Wille unrein vor dem ihren.  
      Sie schritt mit Wolken, Winden, Sternen, Tieren  
      In ganz unwandelbarer Harmonie. 
       
      Ich bin vor ihr ein Kehricht oder Vieh,  
      Bestimmt im dumpfen Stalle zu krepieren.  
      Wenn draußen sie zum Freiheitskampf marschieren,  
      Vielleicht daß ich im Traum nach ihnen schrie. 
       
      Beglänz mein dunkles Dasein mit dem Licht  
      Aus deinen beiden Sonnen, blonde Göttin!  
      Ich bin nicht schlecht, nur kenne ich mich nicht. 
       
      Erheb den Tiefgestürzten und verkett ihn 
      Dem strengen Kirchendienste deiner Pflicht. 
      Aus Trübsal und Verzweiflung: o errett ihn! 
       
       
      VI. 
      O Eitelkeit, wenn Schmerz zum Dichter wird,  
      Und Verse tropfend aus den Wimpern fließen.  
      Ich will ja nur dein Blumengrab begießen,  
      Auf dem der Falter meiner Hoffnung irrt. 
       
      Er regt die schwarzen Flügel, bebt und schwirrt  
      Und seine Flüge auf und nieder schießen.  
      Die Blumen schwankend ihn willkommen hießen,  
      Er ist ihr milder Herr, ihr Heil und Hirt. 
       
      Wenn dann die Sonne sinkt, die Blüten sich  
      Der Nacht verschließen, schwebt in edler Trauer  
      Er durch das Dunkel, schwarz und königlich. 
       
      Er spürt den Wind im hohen Wipfelschauer,  
      Vor dem er segelnd untern Grabstein wich.  
      Da liegt er zitternd auf des Tages Lauer. 
       
       
      VII. 
      Schon sieben Tag und Nächte muß ich weinen.  
      Und immer wieder fließt der Fluß der Tränen.  
      Und immer wieder will das Herz sich dehnen,  
      Sich flügelnd mit dem Ewigen zu vereinen. 
       
      Entflög es doch und fänd sich bei der Einen  
      Als Kissen ihrem Fuß, darauf zu lehnen, 
      Wenn die Schalmein der schönen Engel tönen,  
      Zum Lob gestimmt der Einen ganz All-Einen. 
       
      O wär mein Herz ihr Schemel, drauf zu ruhn,  
      Wenn sich das Haupt in Wolkenkissen schmiegt.  
      Ich will nichts wissen, wollen oder tun. 
       
      Ich will nur bei ihr sein, und leicht gewiegt  
      Von ihren himmlisch zarten Silberschuhn  
      Erbebt mein Herz, das ihr zu Füßen liegt. 
       
       
      VIII. 
      Kämst du doch eine Nacht, wie ich dich kannte, 
      Im leichten Hemd zu mir ins Bett geschlüpft!  
      Die goldne Schnur der Küsse war geknüpft  
      Aus Sternenfäden, die Urania sandte. 
       
      Der Mond sein Licht auf unser Spiel verwandte,  
      Das er mit kleinem Heiligenschein getüpft.  
      Er zitterte, wenn ich das Hemd gelüpft  
      Und deine Brüste rot mit Küssen brannte. 
       
      In einer Nacht wie dieser ward das Kind.  
      Du weißt es noch und fühltest, daß es werde.  
      Der Schneewald sang. Die Wand zersprang im Wind. 
       
      An Schlitten klang Geläut der Nebel-Pferde.  
      Du sprachst: Weil wir nun eins geworden sind,  
      So steigt im Kind der Himmel auf die Erde. 
       
       
      IX. 
      Der Regen regnet tausend Tag und Nächte, 
      Die Fenster sind von Graugespinst verhangen. 
      Im See das letzte Licht die Fische fangen. 
      Das Gute stirbt. Es triumphiert das Schlechte. 
       
      Wo ist der Heiland, der Erlösung brächte? 
      Ich höre Mordgelächter. Räuber rangen 
      Um Hunger, Geilheit, Goldgier, Pöbelprangen. 
      Der Edle schweigt. Im Sumpf schwärt das Geschwächte. 
       
      Ich geh von dannen, schließe Aug und Ohren 
      Und heb die Schale meiner Einsamkeit 
      Zu dir, Irene, Sternbild unverloren! 
       
      Wie rauh die Rotte tobt, die Meute schreit: 
      Werd ich in deinem Dienste neugeboren, 
      So bin ich gegen diese Zeit gefeit. 
       
       
      X. 
      Stets sah ich nur den Tod am Horizont  
      Im Jägermantel übern Acker schreiten,  
      Die braunen Rüden an der Leine leiten,  
      Die breite Stirn vom Abendrot besonnt. 
       
      Ich sah ein Kind ihn auf dem Arm im Mond  
      Auf einem weißen Pferd vorüberreiten,  
      Ich sah ihn still im Kahn vorübergleiten,  
      In dem ein junges Mädchen weinend wohnt. 
       
      Mein Weib und ich: wir lauschten früh der Mette, 
      Da riß die Türe jäh wie Spinngeweb. 
      Er hob mein Liebstes lächelnd aus dem Bette 
       
      Und sprach zu ihr: Mein goldner Vogel, schweb!  
      Ich schrie in Martern: Wo ist meine Stätte?  
      Er sprach: Sie ist erlöst. Du, büße! Leb! 
       
       
      XI. 
      Ich will mein einsam künftig Leben leben,  
      Als atmetest du neben mir im Lichte.  
      Wie früher lese ich dir die Gedichte,  
      Wenn deine Augen um die Lampe schweben. 
       
      Du bittest mich, dem armen Mann zu geben.  
      Du sitzest über Hochmut zu Gerichte. 
      Du wendest deinen Rücken, wenn die Wichte  
      Nach Wichtigkeit und nach Bedeutung streben. 
       
      Hier ist am Tisch ein Sessel für dich frei. 
      Du ißt mit mir. Das Kind spielt mit den Horen.  
      Du flüsterst ihm von Königssohn und Fei. 
       
      Mir jagt der Winterwind durch alle Poren. 
      Er schlägt mit Hagel schier das Glas entzwei. 
      So hart sind meine Tränen schon gefroren... 
       
       
      XII. 
      Die Zeit wird niemals meine Wunden heilen: 
      Sie ist verfault. Sie kann sie nur vereitern. 
      Noch mehr das Herz zerreißen, und verbreitern 
      Die vielen Messerstiche; dran sie feilen 
       
      Die Genien der Verzweiflung. Hüpfen, eilen 
      Von Herz zu Hirn, von Hirn zu Herz auf Leitern 
      Aus Blutgefaser. Und gleich kleinen Reitern 
      Sitzen auf Blick sie und Gehör und peilen. 
       
      Die Zeit ist überreif wie eine Feige 
      Vom vorigen Herbst. Sie stinkt in der Verwesung, 
      Daß sie wie eine alte Hure zeige 
       
      Die eingefallne Brust zur letzten Äsung. 
      Erscheine uns, Irene, neige, neige 
      Dein schönes Haupt und lächle uns Erlösung! 
       
       
      XIII. 
      Ich war dein Tod. Ich habe dich gemordet. 
      Schuld bin ich, daß das Chaos wie ein Krater 
      Aufbricht und Feuer speit. Ich bin der Vater 
      Der Anarchie, die rot uns überbordet. 
       
      Ich war dein Tod. Ich habe dich gemordet. 
      Vergebens warnte mich der brave Pater, 
      Ich schändete dich, dolorosa mater ... 
      Ich habe dich mit meinem Kind gemordet. 
       
      Die Herrschaft, die du mit der Lilie übtest, 
      Ich stürzte sie im Fieber meiner Kaste. 
      Du lächeltest. Du segnetest. Du liebtest. 
       
      Ich blickte finster. Drohte. Fluchte. Haßte. 
      Und während du das Gold vom Staube siebtest, 
      Lief ich zur Wollust, grölte, soff und praßte. 
       
       
      XIV. 
      Ich stehe an den Teichen von Losone,  
      Wo wir so oft die schönen Schlangen fingen  
      Und Arm in Arm in aller Nacktheit gingen  
      Durch Knieholz, Ginsterbusch und wilde Bohne. 
       
      Du spieltest mit den Fröschen. Gabst zum Sohne  
      Dem großen Frosch den kleinen. Und in Ringen  
      Mußten die Schlangen um die Hand sich schlingen. 
      Ich dachte an ein Mädchen des Padrone: 
       
      Es war einmal ein Mädchen tugendhaft,  
      Die lebte nur in Fröschen, Schlangen, Kröten.  
      Hingab sie ihre Liebe, ihre Kraft. 
       
      Sie wußte nur von ihren Freud' und Nöten. 
      Da zwang ein Jüngling ihre Leidenschaft. 
      Und sie ertrug ihn nicht und ließ sich töten... 
       
       
      XV. 
      Es schaukelt unser Boot zu jenen Inseln,  
      Die deine großen Blicke stets ersehnten.  
      Vom Fenster unsres hohen Zimmers dehnten 
      Sie sich im See, umspült von Goldgerinseln. 
       
      Tunesiens Bäume glichen grünen Pinseln.  
      Die Eukalyptuszweige Düfte tränten.  
      An dicken Säulen lasteten und lehnten  
      Steinerne Löwen im versteinten Winseln. 
       
      Das Boot legt an. Ein alter Diener schreit. 
      Die Fürstin steht gebückt auf der Estrade. 
      Sie hilft dir aus dem Boot. Ich höre Leid 
       
      Aus der Begrüßung sanfter Serenade.  
      Du gehst zum Schloß. Der Saal ist dunkel. Breit  
      Liegt eine Wachshand auf der Bücherlade. 
       
       
      XVI. 
      Ich war bereit, Gefängnis zu erdulden, 
      Um eine Stunde nur bei dir zu sein. 
      Ich ließ mich heuchelnd in Intrigen ein; 
      Ich gab dahin Ruf, Ruhm und türmte Schulden. 
       
      Ich wälzte mich im Dreck und lag in Mulden 
      Von Schlamm und war Genoß von Ratt und Schwein. 
      Gras fraß ich, und ich lachte meiner Pein. 
      Ich sah den Weg zu dir: durch Schutt und Sulden. 
       
      Ich log und trog mich hin zu dir 
      Und einen Berg von Ekel überwand ich. 
      Ich war bei dir. Du warst bei mir. 
       
      Fühlte nur deine zarte Kinderhand ich, 
      War ich ein Kind wie du im Waldrevier. 
      Und in der Hand: Licht, Luft und Land umspannt ich ... 
       
       
      XVII. 
      Nachts steige ich mit Lampe, Hammer, Schippe 
      In Sturm und Regen übern Friedhofszaun. 
      Ich taste glücklich mich und ohne Graun 
      Durch alle Gräber zu der heiligen Krippe. 
       
      Ich schaufle und zerbrech den Sarg. Die Lippe 
      Seh ich im Scheine der Laterne blaun. 
      Und deine halbgeschlossnen Augen schaun 
      Nach innen auf den Tanz der Engelsippe. 
       
      Und meine Lippen küssen dein Skelett. 
      Sie neiden dem Gewürm die schönsten Brüste. 
      Der faule Sarg dünkt mich ein Himmelsbett. 
       
      Umarmung deines Todes: frömmste Lüste! 
      Ich schließe schluchzend das gekreuzte Brett, 
      Und regnend spült's mich an die irdische Küste. 
       
       
      XVIII. 
      Nie wieder wird ein Sommer sein wie dieser, 
      Den wir gemeinsam Hand in Hand durchschritten. 
      Kein leises Leid und keinen Streit erlitten 
      Wir im Genuß des Glückes. Immer süßer 
       
      Erweckte uns der Tag noch ganz inmitten 
      Der Lust der Nacht. Als heitre Liebesbüßer 
      Bestiegen wir den Berg, des Frührots Grüßer, 
      Und sind wie Vögel durch die Luft geglitten. 
       
      Nie schien so jung der graue Greis von siebzig, 
      Nie haben junge Herzen so gebebt, 
      Nie hat die Sonne so in Glanz zerstiebt sich, 
       
      Nie sind so Kinder durch den Tag geschwebt, 
      Nie haben Menschen so geliebt sich, 
      Nie ward das liebe Leben so gelebt. 
       
       
      XIX. 
      Wenn ich den Dornenkranz der Stunden binde, 
      Ist's nur, weil ich im Jenseits dir vereinigt. 
      Ich bin gestäupt, gefoltert und gepeinigt, 
      Damit ich der Verstrickung mich entwinde. 
       
      Ich geißle blutig mich. Ich stech und schinde. 
      Ich geh mit bloßem Fuß durchs spitze Steinigt, 
      Bis ich beseelt, geläutert und gereinigt 
      In deinen Himmel meine Heimat finde. 
       
      Die Dornenkrone thront mir auf der Stirn. 
      Die magren Knochen klappern dumpf und klirrn. 
      Das Blut tropft rot aus Achsel, Aug und Munde. 
       
      Du rufst zum Dienst das heilige Gesind. 
      Du bettest mich und wäscht mich wie ein Kind 
      Und beugst die Lippe sanft auf jede Wunde. 
       
       
      XX. 
      Ich breite nachts im Halbschlaf meine Hände,  
      Daß sie von deinem Geist ergriffen werden.  
      Ich atme schwer. Und taumle nach Gebärden.  
      Es schwebt ein rosa Hauch durch das Gelände. 
       
      Und plötzlich seh ich Stern- und Fackelbrände.  
      Apostel auch mit kleinen Engelherden.  
      Es steigen Heilige von Flügelpferden,  
      Und Weihrauch schlägt sich dämmrig an die Wände. 
       
      Die Orgel dröhnt. In Sänfte naht getragen  
      Verschleiert eine edle Dulderin.  
      Und alle knien und singen oder sagen: 
       
      Maria, hohe Himmelskönigin!  
      Und Mönche schleppen einen leeren Schragen.  
      Es ist dein Sarg. Und selig knie ich hin. 
       
       
      XXI. 
      Das Auge sucht nach Brüdern und nach Schwestern. 
      Die hohe Stirn glänzt wie die ewige Leuchte. 
      Der Mund ist halb geöffnet. Und mich deuchte, 
      Er spräche: Liebster, heute so wie gestern! 
       
      Das dichte Blondhaar ringelt sich in Nestern 
      Von Kolibris, die dein Gespräch nicht scheuchte. 
      Die Hände sind mit Tau besprengte feuchte 
      Lotos, die ewig der Vergängnis lästern. 
       
      An diesem goldnen Halsband hielt ich mich, 
      Wenn ich in Liebe zu ertrinken drohte. 
      In dieses Ohr sprach mein Gelübde ich. 
       
      An dieser Aprikosenwange lohte 
      Ich fiebernd. Diesen Nacken küßte ich 
      Und wußt es nicht: ich küßte eine Tote ... 
       
       
      XXII. 
      Ich danke Gott mit Macht aus tiefstem Herzen, 
      Daß er dich mir geschenkt ein göttlich Jahr. 
      Der Mutter dank ich, welche dich gebar. 
      Den Schwestern im Spital, die mit den Kerzen 
       
      Am Sarge gingen. Und die mir dein Haar  
      Mit kleiner Schere abgetrennt. Den Schmerzen  
      Des Hundes Ri. Dem Priestergreis, der erzen  
      An deinem offnen Grab errichtet war. 
       
      Und sollt' ich hundert Jahre Qual erleiden,  
      In denen stündlich ich dich neu verlöre:  
      Einmal war doch das Paradies uns beiden! 
       
      Einmal erbrausten Harf- und Zymbelchöre!  
      Und muß ich einst von dieser Erde scheiden,  
      Spring lachend ich in Charons Fährenföhre. 
       
       
      XXIII. 
      Dich kannte niemand außer Gott und mir.  
      Dein wahres Wesen war der Welt verborgen. 
      Sie gehn ja nur nach Guldenglück und sorgen  
      Sich nicht um Wolke, Nelke, Mond und Tier. 
       
      Du warst Geschwisterwesen diesen vier:  
      Wind, Sonne, Schmetterling und Frühlingsmorgen.  
      Du sahst ins finstre Antlitz aller Gorgen,  
      Daß sie zu Stein verendeten vor dir. 
       
      Weit schweifend wie der Wind, und wie das Licht  
      Der Erde Fruchtbarkeit und Wärme lehend.  
      So wie der Falter Strahl an Strahlen flicht. 
       
      Ein Frühlingsmorgen, Pfirsichblüten schneend,  
      Und hell getönt wie Dantesches Gedicht.  
      So warst du: gehend, stehend, wehend, sehend. 
       
       
      XXIV. 
      Wie Schmetterlinge zahllos sind die Küsse, 
      Die wir versunken ineinander tauschten. 
      So wie des Ozeanes Wogen rauschten 
      Die Wogen unsres Blutes. Unsre Küsse 
       
      Waren wie Grillen, die einander lauschten  
      Und wechselseitig zirpten. Unsre Küsse 
      Lagen wie Wolk an Wolke. Unsre Küsse 
      Sich wie die Pfauen bunt im Dunkel bauschten. 
       
      Und keiner von den Küssen ist vergangen.  
      Sie sind lebendig, wo ein Knabe lächelt. 
      Und wo sich Lerchen in die Lüfte schwangen. 
       
      Und wo ein Mädchen Sehnsucht strickt und hechelt. 
      Und wo zwei Welten feurig sich umschlangen.  
      Und wo der Wind auf deinem Grabe fächelt. 
       
       
      XXV. 
      Damit ich diese brachen Strophen schriebe - 
      War's nötig, daß du starbst? Sie sind's nicht wert.  
      Ich schwanke ohne Heimat, ohne Herd  
      Von neuem in das Wanderschaftsgetriebe. 
       
      Wo soll ich hin? Wo wünscht' ich, daß ich bliebe?  
      Ich bin mit einem Marmorstein beschwert,  
      Den muß ich mit mir tragen, denn er ehrt  
      Mit goldnen Lettern deine goldne Liebe. 
       
      Der Stein mein Herz. Es zittern meine Füße. 
      Der Wind pfeift durch das hohle Hosenbein. 
      Die Raben senden ihre ersten Grüße, 
       
      Bald wird es Winter und Verzweiflung sein.  
      Ach schlief' ich, überhaucht durch eine süße  
      Sternnacht, am nächsten Straßenrande ein. 
       
       
      XXVI. 
      Dein Name sei als Turm gesetzt, Irene! 
      Ich taufte dich am Quell in unsrem Garten. 
      Du mußtest niederknien und lächelnd warten, 
      Bis ich die Stirne dir genetzt, Irene. 
       
      Du hast das Banner Krieg zerfetzt, Irene. 
      Wie Bauern wir in Frieden Erde karrten. 
      Wir lachten derer, die uns meckernd narrten. 
      Den Hund hab ich auf sie gehetzt, Irene. 
       
      Durch alle Sphären jubilier dein Name! 
      Er seufze süß aus jeder Kantilene. 
      An seinem Klange krücke sich der Lahme. 
       
      Der Taube selbst in seinem Ohr ihn wähne. 
      Aus jedem Acker sprieße er als Same. 
      Und jedes holde Echo sing: Irene! 
       
       
      XXVII. 
      Nur dir soll künftig meine Flöte klingen,  
      Und jedes Wort soll lieb- dich und lobpreisen.  
      Ich will in zarten und in wilden Weisen  
      Ein Echo deiner in die Reime zwingen. 
       
      Ich will dir kniend meine Bücher bringen,  
      Und mit dem Vogel Bülbül zu dir reisen.  
      Er soll an deinem Grab mit holdem leisen  
      Gezwitscher deines Todes Anmut singen. 
       
      Ich bin nur selig, weil es du ja bist. 
      Ich bin nur glücklich, weil in meinem Arm 
      Du's warst. In der Erinnerung hock und nist 
       
      Ich wie ein armer Kauz, verweht und warm,  
      Und warte bis zur Auferstehungsfrist,  
      Wo du mich rufst zum süßesten Alarm. 
       
       
      XXVIII. 
      Und immer wieder graut durch blasse Scheiben 
      Ein trüber Morgen. Immer wieder pfeifen 
      Fabriken. Und die armen Menschen schweifen 
      Und lassen sich zu Frohn und Elend treiben. 
       
      Und wieder muß ich meine Wimpern reiben, 
      Dran noch der Nacht verträumte Tränen träufen. 
      Und immer wieder geht's zu Kram und Käufen. 
      Und Feuer muß ich zünden. Tränke seiben. 
       
      Wozu dies alles? Daß mein müdes Herz 
      Ein Dutzend Jahre länger Steine pocht, 
      Ein Dutzend Jahre mehr ich meinem Schmerz 
       
      Die Myrtenkränze der Erinnrung flocht? 
      Die Flamme lodert höll- und himmelwärts. 
      Nur rußig brennt mein angeschwellter Docht. 
       
       
      XXIX. 
      Ich möchte sterben mittags in der Sonne.  
      Die Spatzen werden krähn. Die Pferde blinken.  
      Am Brunnen wird ein armer Ziehhund trinken.  
      Ein Kind geht tändelnd an der Hand der Bonne. 
       
      Ein Käfer schwirrt in Auferstehungswonne.  
      Zwei Liebende seh ich einander winken.  
      Es zacken trotzig sich des Domturms Zinken;  
      Im blauen Äther lächelt die Madonne. 
       
      Das Leben lebt. Ich hör es, seh es, fühl es! 
      Ob ich dabei, was schiert sich's drum? Es lebt. 
      Im leichten Tanz des ewigen Gewühles 
       
      Die Brust der Erde auf und nieder bebt.  
      Ich fühle an der Stirn ein klares kühles  
      Gewölk - Irene, die mich aufwärts hebt. 
       
       
      XXX. 
      Der erste Monat, seit du starbst, ist um. 
      Ich schrieb an jedem Tag dir ein Sonett, 
      Und bracht es abends an dein Himmelbett. 
      Du lauschtest ihm, die Augen zu und stumm. 
       
      Und glaubt ich, daß es dich ermüdet hätt, 
      Verscheuchte ich des Bienenvolks Gesumm. 
      Du schliefst. Dein Schlaf war mein Martyrium. 
      Und dein Erwachen wird mein Amulett. 
       
      Und wen sein Mensch verließ am Wanderstab, 
      Dem reich ich ein Sonett zum kargen Trost. 
      Den tausend Tränen, die er weinte, gab 
       
      Die Schale ich. Die Gottheit wägt und lost. 
      Das höchste Glück sinkt in das tiefste Grab. 
      Der Strom der Ewigkeiten stürmt und tost. 
      
      (S. 387-401) 
      
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      O gieb 
       
      O gieb mir deine Hände,  
      Der Frühling brennt im Hag,  
      Verschwende dich, verschwende 
      Diesen Tag. 
       
      Ich liege dir im Schoße  
      Und suche deinen Blick.  
      Er wirft gedämpft den Himmel,  
      Der Himmel dich zurück. 
       
      O glutend über Borden  
      Verrinnt ihr ohne Ruh:  
      Du bist Himmel geworden, 
      Der Himmel wurde du. 
      (S. 18) 
      
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      O wenn mein Mund an
      deinem Munde brennt 
      (E. S. zu eigen) 
       
      O wenn mein Mund an deinem Munde brennt, 
      Firmamente erblühen feurig am Firmament! 
      Sonne hat sich in aber Sonnen gespalten, 
      Wo ein Büsser in dürre Kniee sank, Millionen Chöre  
      singend die betenden Hände falten. 
      Mond rollt mit vielen Monden an goldner Kette. 
      Mädchen, o tanzte ich erst in deinem hüpfenden Bette! 
      Mein Atem weht wie Beduinenwind um deiner Brüste rosiges Gezelt. 
      Mein Auge ist kleiner Gott, dein Leib ist die grosse Welt. 
      Alle meine wilden Willen wurden zu Kindern, die spielen möchten 
      Und die sich gerne Veilchenblüten in ihre maibraunen Haare flöchten. 
      Der ich über das Gebirge hinschreite mit Macht: 
      Felsensturz nicht fürchte und nicht Lawine und nicht 
      des Dunkels dunkle Nacht - 
      Ich zittre, dass mein Körper klirrend wie Kettenpanzer bebt, 
      Meine Füsse trommeln, Nebel grau an meinen Schläfen klebt: 
      Hebst du wie Schmetterlingsflügel den leichten Blick! 
      Ach wie fern ist noch nächste Nähe dem weitesten Glück! 
      (S. 146) 
      
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      Wir im Welteninnen 
       
      Pflanze auf meine Lenden  
      Deiner Liebesküsse Raserei: 
      Sieh: mein Schrei  
      Brüllt wie eine Fackel auf zu Weltenbränden. 
       
      Lass die Sterne bleich ins Nichts verrinnen,  
      Lass die Erde sich in Asche modern,  
      Wir im Welteninnen  
      Werden wie die Hölle ewig lodern. 
      (S. 139) 
      
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        Alle
        Gedichte aus: Klabund (Alfred Henschke): Sämtliche Werke. Band I: Lyrik. 
      Hrsg. von Ramazan Sen. Rodopi Amsterdam / Atlanta, GA K&N Würzburg 1998 
      
       
       
        Biographie:  
       
      
      http://de.wikipedia.org/wiki/Klabund 
         
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