Friedrich Gottlieb Klopstock (1724-1803) - Liebesgedichte



Friedrich Gottlieb Klopstock
(1724-1803)


Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
 





Die künftige Geliebte

Dir nur, liebendes Herz, euch, meine vertraulichsten Thränen,
Sing' ich traurig allein diess wehmüthige Lied.
Nur mein Auge soll's mit schmachtendem Feuer durchirren,
Und, an Klagen verwöhnt, hör' es mein leiseres Ohr!
Ach warum, o Natur, warum, unzärtliche Mutter,
Gabest du zum Gefühl mir ein zu biegsames Herz?
Und in das biegsame Herz die unbezwingliche Liebe,
Daurend Verlangen, und ach keine Geliebte dazu?
Die du künftig mich liebst, (wenn anders zu meinen Thränen
Einst das Schicksal erweicht eine Geliebte mir giebt!)
Die du künftig mich liebst, o du aus allen erkohren,
Sag', wo dein fliehender Fuss ohne mich einsam jetzt irrt?
Nur mit Einem verrathenden Laut, mit Einem der Töne,
Die der Frohen entfliehn, sag' es, einst Glückliche, mir!
Fühlst du, wie ich, der Liebe Gewalt, verlangst du nach mir hin,
Ohne dass du mich kennst; o so verheel' es mir nicht!
Sag' es mit einem durchdringenden Ach, das meinem Ach gleicht,
Das aus innerster Brust Klage seufzet, und stirbt.
Oft um Mitternacht wehklagt die bebende Lippe,
Dass, die ich liebe, du mir immer unsichtbar noch bist!
Oft um Mitternacht streckt sich mein zitternder Arm aus,
Und umfasset ein Bild, ach das deine vielleicht!
Wo, wo such' ich dich auf? so werd' ich endlich dich finden?
Du, die meine Begier stark und unsterblich verlangt!
Jener Ort, der dich hält, wo ist er? wo fliesset der Himmel,
Welcher dein Aug' umwölbt, heiter und lächelnd vorbey?
Werd' ich mein Auge zu dir einst, segnender Himmel, erheben,
Und umarmet sie sehn, die aufblühen du sahst?
Aber ich kenne dich nicht! es ging die fernere Sonne
Meinen Thränen daselbst niemals unter und auf.
Soll ich jene Gefilde nicht sehn? Führt nie dort im Frühling
Meine zitternde Hand sie in ein blühendes Thal?
Sinkt sie, von süsser Gewalt der mächtigen Liebe bezwungen,
Nie mit der Dämmerung Stern mir an die bebende Brust?
Ach wie schlägt mir mein Herz! wie zittern mir durch die Gebeine
Freud' und Hofnung, dem Schmerz unüberwindlich dahin!
Unbesingbare Lust, ein süsser begeisternder Schauer,
Eine Thräne, die mir still den Wangen entfiel;
Und, o ich sehe sie! mitweinende, weibliche Zähren;
Ein mir lispelnder Hauch, und ein erschütterndes Ach!
Ein zusegnender Laut, der mir rief, wie ein Schatten dem Schatten
Liebend ruft, weissagt, dich, die mich hörete, mir.
O du, die du sie mir und meiner Liebe gebahrest,
Hältst du sie, Mutter, umarmt; dreymahl gesegnet sey mir!
Dreymal gesegnet sey dein gleich empfindendes Herz mir,
Das der Tochter zuerst weibliche Zärtlichkeit gab!
Aber lass sie itzt frey! Sie eilt zu den Blumen, und will da
Nicht von Zeugen behorcht, will gesehen nicht seyn.
Eile nicht so! doch mit welchem Namen soll ich dich nennen,
Du, die unaussprechlich meinem Verlangen gefällt?
Heissest du Laura? Laura besang Petrarcha in Liedern,
Zwar dem Bewunderer schön, aber dem Liebenden nicht!
Wirst du Fanny genannt? Ist Cidli dein feyrlicher Name?
Singer, die Joseph und den, welchen sie liebte, besang?
Singer! Fanny! ach Cidli! ja Cidli nennet mein Lied dich,
Wenn im Liede mein Herz halb gesagt dir gefällt!
Eile nicht so, damit nicht vom Dorn der verpflanzeten Rose
Blute, wenn du so eilst, dein zu flüchtiger Fuss;
Du mit zu starken Zügen den Duft des Lenzes nicht trinkest,
Und um den blühenden Mund sanfter die Lüfte nur wehn.
Aber du gehest denkend und langsam, das Auge voll Zähren,
Und jungfräulicher Ernst deckt das verschönte Gesicht.
Täuschte dich jemand? und weinest du, weil der Gespielinnen eine
Nicht, wie von ihr du geglaubt, redlich und tugendhaft war?
Oder liebst du, wie ich? erwacht mit unsterblicher Sehnsucht,
Wie sie das Herz mir empört, dir die starke Natur?
Was sagt dieser seufzende Mund? Was sagt mir diess Auge,
Das mit verlangendem Blick sich zu dem Himmel erhebt?
Was entdeckt mir diess tiefere Denken, als sähst du ihn vor dir?
Ach, als sänkst du ans Herz dieses Glücklichen hin!
Ach du liebest! So wahr die Natur kein edleres Herz nicht
Ohne den heiligsten Trieb derer, die ewig sind, schuf!
Ja, du liebest, du liebest! Ach wenn du den doch auch kenntest;
Dessen liebendes Herz unbemerket dir schlägt;
Dessen Wehmuth dich ewig verlangt, dich bang vom Geschicke
Fodert, von dem Geschick, das unbeweglich sie hört.
Weheten doch sanftrauschende Winde sein innig Verlangen,
Seiner Seufzer Laut, seine Gesänge dir zu!
Winde, wie die in der goldenen Zeit, die vom Ohre des Schäfers,
 Hoch zu der Götter Ohr, flohn mit der Schäferin Ach.
Eilet, Winde, mit meinem Verlangen zu ihr in die Laube,
Schauert hin durch den Wald, rauscht, und verkündet mich ihr:
Ich bin redlich! Mir gab die Natur Empfindung zur Tugend;
Aber mächtiger war, die sie zur Liebe mir gab.
Zu der Liebe, der schönsten der Tugenden, wie sie den Menschen
In der Jugend der Welt stärker und edler sie gab.
Alles empfind' ich von dir; kein halb begegnendes Lächeln;
Kein unvollendetes Wort, welches in Seufzer verflog;
Keine stille mich fliehende Thräne, kein leises Verlangen,
Kein Gedanke, der sich mir in der Ferne nur zeigt;
Kein halb stammelnder Blick voll unaussprechlicher Reden,
Wenn er den ewigen Bund süsser Umarmungen schwört;
Auch der Tugenden keine, die du mir sittsam verbirgest,
Eilet mir unerforscht und unempfunden vorbey!
Ach, wie will ich, Cidli, dich lieben! Das sagt uns kein Dichter,
Und selbst wir im Geschwätz trunkner Beredtsamkeit nicht.
Kaum, dass noch die unsterbliche selbst, die fühlende Seele
Ganz die volle Gewalt dieser Empfindungen fasst!


Aus: Klopstocks Werke
Oden Erster Band
Leipzig bey Georg Joachim Göschen 1798 (S. 26-32)

_____



Salem

Einen festlichen Abend stieg mit dem Schimmer des Mondes
Salem, der Engel der Lieb' und mein Schutzgeist,
Vom Olympus herab; ich sah den Göttlichen wandeln,
Und ihn gegen mich lächelnd einhergehn.
Ewigblühende Rosen umkränzten sein fliessendes Haupthaar,
Himlische Rosen, von Thränen erzogen,
Die bey dem Wiedersehn einander Liebende weinten,
Als sie kein Tod mehr trennt' und kein Schicksal.
Und ein wolkiger Hauch geathmeter Weihrauchsdüfte
Floss von dem Haupt des Unsterblichen nieder;
Opferdüfte, wie Gott sie, bey süssen dankenden Liedern,
Nach dem Tode die Liebenden opfern,
Dass er sie ewig erschuf, und sie, für einander geschaffen,
Auf der Erde sich fanden und liebten,
Sie kein Schicksal trennte; dass sie nun ewig sich lieben,
Weil sie auf Erden sich fanden und liebten.
Also näherte Salem sich mir, und tief in mein Herz hin
Drang ein Schauer wallender Freuden,
Wie ich mich freue, wenn ich ein Kind der Unschuld erblicke,
Und an Adams Unsterblichkeit denke.
Sieh, ein silberner Ton floss von der Lippe des Seraphs,
Und er blickte sanfter, und sagte:
"Ich bin Salem, der Liebenden Engel, die edler sich lieben,
Göttlicher, als sich Sterbliche lieben.
Wenn es die ersten Empfindungen schlägt, in den stammelnden Jahren,
Bild' ich das Herz der jungen Geliebten.
Lehre dann in Thränen des Knaben Auge zerfliessen,
Die er unwissend der Sterblichen weinet,
Die er lieben soll. Sähe den Knaben die Sterbliche weinen,
O sie würd' ihn da schon umarmen,
Und ihn lieben, und wüsst' es doch nicht, dass es Liebe wäre,
Was sie in seiner Umarmung empfände.
Wenn die Sterbliche nun, wie an den Bächen des Himmels
Eine Rose der Seraphim, aufblüht,
Und den Jüngling erblickt, der seiner Einsamkeit Tage
Fühlt, und seufzend ihr Ende verlanget,
Lässt sie der Thränen viel ihn weinen, Thränen der Wehmuth,
Und der unaussprechlichen Liebe.
Denn sie fühlet noch nicht für ihn, was für sie er empfindet,
Kennet nicht den zärtlichen Kummer
Seiner Seele, den thränenden Blick nicht des wachenden Auges
Durch die mitternächtlichen Stunden,
Seines Herzens Beklommenheit nicht, worüber er selbst staunt,
Weil er noch nie die Bangigkeit fühlte,
Nicht sein frommes Gebet; das hatte der nur vernommen,
Der sie für einander erschaffen.
Dann, dann sendet mich Gott, dann steig' ich in heiligen Träumen
In das Herz der Sterblichen nieder.
Schlafend sieht sie den Jüngling, wie er in Thränen zerfliesset,
Und mit bebender Stimme die Liebe
Endlich stammelnd ihr sagt, dann wieder in Thränen zerfliesset,
Und mit stummer Wehmuth ihr flehet.
Dann empfindet sie grosse Gedanken, das Glück zu verachten,
Und die Schattenweisheit der Kleinen,
Die, ohnmächtig, die Liebe ganz, und die Tugend zu fühlen,
Da noch von Glückseligkeit träumen.
Ach! dann komt die selige Stunde der ersten Umarmung,
Und die jauchzende Jugend der Liebe.
Dann erzittern von süsser Entzückung die ewigen Seelen,
Von der Begeistrung himlischer Freuden.
Dann erstaun' ich über die hohen Wesen, die Gott schuf,
Als er Seelen schuf zu der Liebe.
Und wie stolz, mit welcher Empfindung bring' ich die Seelen,
Nach dem Tode, zur ewigen Ruhe,
Zu den Schaaren der Liebenden alle, die ewig sich lieben,
Weil sie auf Erden sich fanden und liebten!"
Wenn du der bist, himlischer Fremdling, ach wenn du der bist,
O so höre mich, göttlicher Salem!
Höre mit Huld mich, du schönster der Engel, und lehre mich Tugend,
Dass ich der Liebe Wonne verdiene.
Warum wendest du dich? ach, warum fliehst du mein Auge?
Warum muss ich traurend dir nachsehn?
Salem, ich hoffte, du solltest mich hören, da die mich nicht höret,
Der mein Herz schon lange geweint hat.
Ach, ich hoffte, du solltest auch ihr, in heiligen Träumen,
Meiner Seele Bekümmerniss zeigen,
Mein erzitterndes Herz, wie ich in Thränen zerflösse,
Und mit bebender Stimme die Liebe
Endlich stammelnd ihr sagte, dann wieder in Thränen zerflösse,
Und mit stummer Wehmuth ihr flehte!
Warum wendest du dich? ach, warum fliehst du mein Auge?
Warum muss ich traurend dir nachsehn?


Aus: Klopstocks Werke
Oden Erster Band
Leipzig bey Georg Joachim Göschen 1798 (S. 39-44)

_____



Petrarcha und Laura

Anderen Sterblichen schön, kaum noch gesehn von mir,
Ging der silberne Mond vorbey.
Thränend wandt' ich von ihm mein melancholisches
Müdes Auge dem Dunklen zu.
Dreymal schlug mir mein Herz; dreymal erbebtest du,
Tochter des ewigen Hauchs, in mir,
Seele, zur Liebe gemacht; dreymal erschreckte dich
Deiner Einsamkeit bang Gefühl.
Hätte die dich gesehn, welcher du zittertest,
Der du seufzend, Unsterbliche,
Thränen weintest, wie sie wehmuthsvoll edlere
Weinen, wäre vielleicht sie nicht
Durch die Thränen gerührt; hätte vielleicht sie nicht
Eine Thräne mit dir geweint!
Aber süssere Ruh deckte mit Fittigen
Ihres friedsamen Schlummers sie,
Und ihr göttliches Herz über mein Herz erhöht,
Hub gelinder des Mädchens Brust.
Mich nur flohe die Ruh, und mein Gespiele sonst,
Mein geselliger sanfter Schlaf,
Ging dem Auge vorbey, und dem getrübteren
Ihm zu wachen und bangen Blick.
Tief in die Dämmerung hin sah es, und suchte dich,
Seiner Thränen Genossin auf,
Dich, des nächtlichen Hains Sängerin, Nachtigall!
Doch du sangest mir jetzo nicht.
Dein mitweinender Ton, dein melancholisch Ach,
Selbst die Linderung fehlte mir!
Endlich schlummert' ich ein, und ein Unsterblicher
Schloss mitleidig das Auge mir.
Hast du mich weinen gesehn, o du Unsterblicher,
Der mitleidig mein Auge schloss;
O so samle sie ein, samle die heiligen
Thränen in goldene Schalen ein,
Bring sie, Himlischer! dann zu den Unsterblichen,
Denen zärtlich ihr Herz auch schlug:
Zu der göttlichen Rowe, oder zur Radikin,
Die in Frühlinge sanft entschlief:
Oder zu Doris hinauf, die noch ihr Haller weint,
Wenn er die jüngere Doris sieht,
Dass dann Eine vielleicht, hat sie mein Schmerz bewegt,
Aus den holden Versamlungen
Niedersteige, das Herz jener, die inniger
Mein unsterblicher Geist verlangt,
Zu erweichen, und sie zu den Empfindungen
Gleicher Zärtlichkeit einzuweihn!
Also dacht' ich und schlief. Und der Unsterbliche
Gab mitleidig mir einen Traum.
Laura sah ich im Traum, bey ihr den fühlenden,
Liedervollen Petrarka stehn.
Sie war jugendlich schön; nicht wie das leichte Volk
Rosenwangichter Mädchen ist,
Die gedankenlos blühn, nur in Vorübergehn
Von der Natur, und in Scherz gemacht,
Leer an Empfindung und Geist, leer des allmächtigen
Triumphirenden Götterblicks.
Laura war jugendlich schön, ihre Bewegungen
Sprachen alle die Göttlichkeit
Ihres Herzens, und werth, werth der Unsterblichkeit,
Trat sie hoch im Triumph daher,
Schön wie ein festlicher Tag, frey wie die heitre Luft,
Voller Einfalt, wie du, Natur.
An ihr klopfendes Herz legte Petrarka sich.
Also sagte der Glückliche:
"Ach! dein klopfendes Herz, was vor Empfindungen
Schlägt's mir in den bewegten Geist!
Jeder wallende Hauch deiner beseelten Brust
Hebt mich zu den Unsterblichen!
Ach! wie ruh ich so süss! lass mich! die Seele fasst
Deiner Liebe Gewalt nicht mehr!
Laura, Laura! mein Geist hebt sich, voll hoher Lust,
Auf die Hügel der Seligen!
Auf die Hügel der Ruh, wo's von Entzückungen
Taumelnd schwebt um mein trunknes Haupt!
Singet, Söhne des Lichts, meiner Empfindungen
Unaussprechliche süsse Lust!
Singt sie, ich weine sie nur, ja, die Unsterblichkeit
Wein' ich froh von der Liebe durch!"
Mein Petrarka! Sie sprachs; aber nun redeten
Frohe Seufzer und Thränen nur.
Ach! wie fliesst ihr so sanft, unter Umarmungen,
Ewigkeiten voll Ruh, vorbey!
Dass wir dort uns geliebt, ach! wie belohnt uns diess
Unsrer Namen Unsterblichkeit
Auf der unteren Welt! Unserer Zärtlichkeit
Folgt dort Enkel und Enkelin.
Enkel, die ihr uns folgt, euch soll die goldne Zeit
Lächelnd Blumen und Kränze streun!
Ihr sollt glücklicher seyn, als es die Herscher sind,
Mehr als siegende Könige!
Euch gehorche das Spiel, das von der Leyer tönt,
Singet, würdig der Ewigkeit,
Würdig der, die euch liebt; gebt sie den folgenden
Späten Tagen zum Muster hin!
Enkelinnen, die ihr Laura's Empfindung habt,
Euch verfliesse die goldne Zeit.
Wie ein ewiger May, wie ein gefeyrter Tag,
Unter süssen Umarmungen!
Ihr sollt glücklicher seyn, als des Eroberers
Braut! die Tochter des Siegenden!
Euch nur singe das Spiel, das von der Leyer tönt,
Seyd unsterblich, wie Laura ist!

Aus: Klopstocks Werke
Oden Erster Band
Leipzig bey Georg Joachim Göschen 1798 (S. 45-49)

_____



An Fanny

Wenn einst ich todt bin, wenn mein Gebein zu Staub'
Ist eingesunken, wenn du, mein Auge, nun
Lang' über meines Lebens Schicksal,
Brechend im Tode, nun ausgeweint hast,

Und stillanbetend da, wo die Zukunft ist,
Nicht mehr hinauf blickst, wenn mein ersungner Ruhm,
Die Frucht von meiner Jünglingsthräne,
Und von der Liebe zu dir, Messias!

Nun auch verweht ist, oder von wenigen
In jene Welt hinüber gerettet ward:
Wenn du alsdann auch, meine Fanny,
Lange schon todt bist, und deines Auges

Stillheitres Lächeln, und sein beseelter Blick
Auch ist verloschen, wenn du, vom Volke nicht
Bemerket, deines ganzen Lebens
Edlere Thaten nunmehr gethan hast,

Des Nachruhms werther, als ein unsterblich Lied,
Ach wenn du dann auch einen beglückteren
Als mich geliebt hast, lass den Stolz mir,
Einen Beglückteren, doch nicht edlern!

Dann wird ein Tag seyn, den werd ich auferstehn!
Dann wird ein Tag seyn, den wirst du auferstehn!
Dann trennt kein Schicksal mehr die Seelen,
Die du einander, Natur, bestimtest.

Dann wägt, die Wagschaal in der gehobnen Hand,
Gott Glück und Tugend gegen einander gleich;
Was in der Dinge Lauf jetzt misklingt,
Tönet in ewigen Harmonieen!

Wenn dann du dastehst jugendlich auferweckt,
Dann eil' ich zu dir! säume nicht, bis mich erst
Ein Seraph bey der rechten fasse,
Und mich, Unsterbliche, zu dir führe.

Dann soll dein Bruder, innig von mir umarmt,
Zu dir auch eilen! dann will ich thränenvoll,
Voll froher Thränen jenes Lebens
Neben dir stehn, dich mit Namen nennen,

Und dich umarmen! Dann, o Unsterblichkeit,
Gehörst du ganz uns! Komt, die das Lied nicht singt,
Komt, unaussprechlich süsse Freuden!
So unaussprechlich, als jetzt mein Schmerz ist.

Rinn unterdess, o Leben. Sie komt gewiss
Die Stunde, die uns nach der Zypresse ruft!
Ihr andern, seyd der schwermuthsvollen
Liebe geweiht! und umwölkt und dunkel!

Aus: Klopstocks Werke
Oden Erster Band
Leipzig bey Georg Joachim Göschen 1798 (S. 50-52)

_____



An Cidli

Unerforschter, als sonst etwas den Forscher täuscht,
Ist ein Herz, das die Lieb' empfand,
Sie, die wirklicher Werth, nicht der vergängliche
Unsers dichtenden Traums gebahr,
Jene trunkene Lust, wenn die erweinete,
Fast zu selige Stunde komt,
Die dem Liebenden sagt, dass er geliebet wird!
Und zwo bessere Seelen nun
Ganz, das erstemal ganz, fühlen, wie sehr sie sind!
Und wie glücklich! wie ähnlich sich!
Ach, wie glücklich, dadurch! Wer der Geliebten spricht
Diese Liebe mit Worten aus?
Wer mit Thränen? und wer mit dem verweilenden
Vollen Blick, und der Seele drin?
Selbst das Trauren ist süss, das sie verkündete,
Eh die selige Stunde kam!
Wenn diess Trauren umsonst Eine verkündete;
O dann wählte die Seele falsch,
Und doch würdig! Das webt keiner der Denker auf,
Was vor Irren sie damals ging!
Selbst der kennt sie nicht ganz, welcher sie wandelte,
Und verspäht sich nur weniger.
Leise redets darin: Weil du es würdig warst,
Dass du liebtest, so lehrten wir
Dich die Liebe. Du kennst alle Verwandlungen
Ihres mächtigen Zauberstabs!
Ahm den Weisen nun nach: Handle! die Wissenschaft,
Sie nur, machte nie Glückliche!
Ich gehorche. Das Thal, (Eden nur schattete,
Wie es schattet,) der Lenz im Thal
Weilt dich! Lüfte, wie die, welche die Himlischen
Sanft umathmen, umathmen dich!
Rosen knospen dir auf, dass sie mit süssem Duft
Dich umströmen! dort schlummerst du!
Wach, ich werfe sie dir leis' in die Locken hin,
Wach vom Thaue der Rosen auf.
Und (noch bebt mir mein Herz, lange daran verwöhnt,)
Und o wache mir lächelnd auf!


Aus: Klopstocks Werke
Oden Erster Band
Leipzig bey Georg Joachim Göschen 1798 (S. 121-122)

_____



Das Rosenband

Im Frühlingsschatten fand ich Sie;
Da band ich Sie mit Rosenbändern:
Sie fühlt' es nicht, und schlummerte.

Ich sah Sie an; mein Leben hing
Mit diesem Blick' an Ihrem Leben:
Ich fühlt' es wohl, und wusst' es nicht.

Doch lispelt' ich Ihr sprachlos zu,
Und rauschte mit den Rosenbändern:
Da wachte Sie vom Schlummer auf.

Sie sah mich an; Ihr Leben hing
Mit diesem Blick' an meinem Leben,
Und um uns ward's Elysium.


Aus: Klopstocks Werke
Oden Erster Band
Leipzig bey Georg Joachim Göschen 1798 (S. 123)

_____



An Sie

Zeit, Verkündigerin der besten Freuden,
Nahe selige Zeit, dich in der Ferne
Auszuforschen, vergoss ich
Trübender Thränen zu viel!

Und doch komst du! O dich, ja Engel senden,
Engel senden dich mir, die Menschen waren,
Gleich mir liebten, nun lieben
Wie ein Unsterblicher liebt.

Auf den Flügeln der Ruh, in Morgenlüften,
Hell vom Thaue des Tags, der höher lächelt,
Mit dem ewigen Frühling,
Komst du den Himmel herab.

Denn sie fühlet sich ganz, und giesst Entzückung
In dem Herzen empor die volle Seele,
Wenn sie, dass sie geliebt wird,
Trunken von Liebe, sichs denkt!

Aus: Klopstocks Werke
Oden Erster Band
Leipzig bey Georg Joachim Göschen 1798 (S. 124-125)

_____



Ihr Schlummer

Sie schläft. O giess ihr, Schlummer, geflügeltes
Balsamisch Leben über ihr sanftes Herz!
Aus Edens ungetrübter Quelle
Schöpfe den lichten, krystallnen Tropfen!

Und lass ihn, wo der Wange die Röth' entfloh,
Dort duftig hinthaun! Und du, o bessere,
Der Tugend und der Liebe Ruhe,
Grazie deines Olymps, bedecke

Mit deinem Fittig Cidli. Wie schlummert sie,
Wie stille! Schweig, o leisere Saite selbst!
Es welket dir dein Lorbersprössling,
Wenn aus dem Schlummer du Cidli lispelst!

Aus: Klopstocks Werke
Oden Erster Band
Leipzig bey Georg Joachim Göschen 1798 (S. 126)

_____



Furcht der Geliebten

Cidli, du weinest, und ich schlumre sicher,
Wo im Sande der Weg verzogen fortschleicht;
Auch wenn stille Nacht ihn umschattend decket,
Schlumr' ich ihn sicher.

Wo er sich endet, wo ein Strom das Meer wird,
Gleit' ich über den Strom, der sanfter aufschwillt;
Denn, der mich begleitet, der Gott gebots ihm!
Weine nicht, Cidli.


Aus: Klopstocks Werke
Oden Erster Band
Leipzig bey Georg Joachim Göschen 1798 (S. 131)

_____



Gegenwart der Abwesenden

Der Liebe Schmerzen, nicht der erwartenden
Noch ungeliebten, die Schmerzen nicht,
Denn ich liebe, so liebte
Keiner! so werd ich geliebt!

Die sanftern Schmerzen, welche zum Wiedersehn
Hinblicken, welche zum Wiedersehn
Tief aufathmen, doch lispelt
Stammelnde Freude mit auf!

Die Schmerzen wollt ich singen. Ich hörte schon
Des Abschieds Thränen am Rosenbusch
Weinen! weinen der Thränen
Stimme die Saiten herab!

Doch schnell verbot ich meinem zu leisen Ohr
Zurück zu horchen! die Zähre schwieg,
Und schon waren die Saiten
Klage zu singen verstumt!

Denn ach, ich sah dich! trank die Vergessenheit
Der süssen Täuschung mit feurigem
Durste! Cidli, ich sahe
Dich, du Geliebte! dich Selbst!

Wie standst du vor mir, Cidli, wie hing mein Herz
An deinem Herzen, Geliebtere,
Als die Liebenden lieben!
O die ich suchet', und fand!


Aus: Klopstocks Werke
Oden Erster Band
Leipzig bey Georg Joachim Göschen 1798 (S. 136-137)

_____



Selma und Selmar

Weine du nicht, o die ich innig liebe,
Dass ein trauriger Tag von dir mich scheidet!
Wenn nun wieder Hesperus dir dort lächelt,
Komm', ich Glücklicher, wieder!

Aber in dunkler Nacht ersteigst du Felsen,
Schwebst in täuschender dunkler Nacht auf Wassern!
Theilt' ich nur mit dir die Gefahr zu sterben;
Würd', ich Glückliche, weinen?


Aus: Klopstocks Werke
Oden Erster Band
Leipzig bey Georg Joachim Göschen 1798 (S. 244)

_____



Edone

Dein süsses Bild, Edone,
Schwebt stets vor meinem Blick;
Allein ihn trüben Zähren,
Dass du es selbst nicht bist.

Ich seh' es, wenn der Abend
Mir dämmert, wenn der Mond
Mir glänzt, seh' ich's, und weine,
Dass du es selbst nicht bist.

Bey jenes Thales Blumen,
Die ich ihr lesen will,
Bey jenen Myrtenzweigen,
Die ich ihr flechten will,

Beschwör' ich dich, Erscheinung,
Auf, und verwandle dich!
Verwandle dich, Erscheinung,
Und werd' Edone selbst!


Aus: Klopstocks Werke
Oden Erster Band
Leipzig bey Georg Joachim Göschen 1798 (S. 311)

_____



Die Lehrstunde

Der Lenz, ist, Aëdi, gekommen;
Die Luft ist hell, der Himmel blau, die Blume duftet,
Mit lieblichem Wehen athmen die Weste,
Die Zeit des Gesangs ist, Aëdi, gekommen!

"Ich mag nicht singen, die Zeisige haben
Das Ohr mir taub gezwitschert!
Viel lieber mag ich am Aste mich schwenken,
Und unten in dem krystallenen Bache mich sehn."

Nicht singen? Denkest du, dass deine Mutter
Nicht auch zürnen könne?
Lernen musst du, der Lenz ist da!
Viel sind der Zaubereyen der Kunst;
Und wenig der Tage des Lenzes.

Weg von dem schwankenden Aste,
Und höre, was einst vom Zauber der Kunst mir sang
Die Königin der Nachtigallen, Orphea.
Hör', ich beb' es zu singen,
Aber hör', und sing es mir nach.
Also sang Orphea:

Flöten musst du, bald mit immer stärkerem Laute,
Bald mit leiserem, bis sich verlieren die Töne;
Schmettern dann, dass es die Wipfel des Waldes durchrauscht!
Flöten, flöten, bis sich bey den Rosenknospen
Verlieren die Töne.

"Ach ich sing' es nicht nach, wie kann ich!
Zürne nicht, Mutter, ich sing' es nicht nach.
Aber sang sie nichts mehr
Die Königin der Nachtigallen?
Nichts von dem, was die Wange bleich macht,
Glühen die Wang', und rinnen, und strömen die Thräne macht?"

Noch mehr! noch mehr!
Ach dass du dieses mich fragtest,
Wie freut mich das, Aëdi!
Sie sang, sie sang auch Herzensgesang!

Nun will ich das jüngste Bäumchen dir suchen,
Den Spross dir biegen helfen,
Dass du dich näher sehen könnest im Silberbach.
Auch dieses liess erschallen
Die Liederkönigin, Orphea:

Der Jüngling stand, und flocht den Kranz,
Und liess ihn weinend sinken!
Das Mädchen stand, vermocht' es über sich
Mit trocknem Blick den Jüngling anzusehen.
Da sang die Nachtigall ihr höheres,
Ihr seelenerschütterndes Lied.
Da flog das Mädchen zu dem Jüngling hin!
Der Jüngling zu dem Mädchen hin!
Da weinten sie der Liebe Wonne!

Aus: Klopstocks Werke
Oden Zweiter Band
Leipzig bey Georg Joachim Göschen 1798 (S. 9-11)

_____



Mein Wäldchen
An den Grafen und die Gräfin Holck

Eure Beschattung kühlt schon lang, des lieben
Wäldchens Eichen, ich habe nicht die Wurzel
Dieser hohen Wipfel gesenkt, ihr wuchset
Früher als ich, seyd

Jünglinge gleichwol noch, erhebet höher
Einst die Häupter, und streckt, wenn sich der Tag neigt,
Längre Schatten. Grünet denn, überlebt; ich
Neid' euch nicht, Eichen!

Will mit Gespielen euch, mit Thränenweiden,
Rings umpflanzen, dass einst, wenn nun die Sonne
Sinkt, in eurer Kühle, durchhaucht von Abend -
Lüften, ihr Laub sich

Leise bewege, dann der Liebling sage
Zu dem Mädchen: "Sie weint ja nicht, sie säuselt,
Lallt Musik; wie fabelte von der schönen
Weide der Vorfahr!"

Wenn von dem Sturm nicht mehr die Eich' hier rauschet,
Keine Lispel mehr wehn von dieser Weide:
Dann sind Lieder noch, die von Herzen kamen,
Gingen zu Herzen.

Aus: Klopstocks Werke
Oden Zweiter Band
Leipzig bey Georg Joachim Göschen 1798 (S. 23-24)

_____



Selmar und Selma

Meine Selma, wenn aber der Tod uns Liebende trennet?
Wenn dein Geschick dich zuerst zu den Unsterblichen ruft?
Ach, so werd' ich um dich mein ganzes Leben durchweinen,
Jeden nächtlichen Tag, jede noch trübere Nacht!
Jede Stunde, die sonst in deiner Umarmung vorbeyfloss,
Jede Minute, die uns, innig genossen, entfloh!
Ach, so vergehen mir dann die übrigen Jahre voll Schwermuth,
Wie der vergangenen keins ohne Lieb' uns entfloh.
Ach mein Selmar, wenn künftig der Tod uns Liebende trennet,
Wenn dein Geschick dich zuerst zu den Unsterblichen ruft;
Dann, dann wein' ich um dich mein ganzes übriges Leben,
Jeden schleichenden Tag, jede schreckliche Nacht!
Jede Stunde, die sonst, mit deinem Lächeln erheitert,
Unter dem süssen Gespräch zärtlicher Thränen entfloh!
Ach so vergehen mir dann die übrigen Tage voll  Schwermuth,
Wie, der Liebe leer, keiner vordem uns entfloh.
Meine Selma, du wolltest nach mir nur Tage noch leben?
Und ich brächte nach dir Jahre voll Traurigkeit zu?
Selma, Selma, nur wenig bewölkte trübe Minuten,
Bring' ich, seh' ich dich todt, neben dir seelenlos zu!
Nehme noch Einmal die Hand der Schlummernden, küsse dein Auge
Einmal noch, in die Nacht sink' ich, und sterbe bey dir.
Selmar, ich sterbe nach dir! den Schmerz soll Selmar nicht fühlen,
Dass er sterbend mich sieht. Selmar, ich sterbe nach dir!
Bringe dann auch nur wenig bewölkte trübe Minuten,
Seh' ich, Selmar, dich todt, neben dir seelenlos zu!
Blicke noch Einmal dich an, und seufze noch Einmal: Mein Selmar!
Sink an die ruhende Brust, zittr' und sterbe bey dir!
Selma, du stürbest nach mir? den Schmerz soll Selma nicht fühlen,
Dass sie sterbend mich sieht. Selma, du stirbst nicht nach mir!
Selmar, ich sterbe nach dir! Das ist es, was ich vom Schicksal
Lang mit Thränen erbat. Selmar, ich sterbe nach dir!
Ach wie liebest du mich! Sieh diese weinenden Augen!
Fühle diess bebende Herz! Selma, wie liebest du mich!
Meine Selma, du stürbest nach mir? du fühltest die Schmerzen,
Dass du sterbend mich sähst? Selma, wie liebest du mich!
Ach wenn eine Sprache doch wäre, dir alles zu sagen,
Was mein liebendes Herz, meine Selma, dir fühlt!
Würde diess Aug' und sein Blick, und seine Zähren voll Liebe,
Und diess Ach des Gefühls, das mir gebrochen entfloh,
Doch zu einer Sprache der Götter, dir alles zu sagen,
Was mein liebendes Herz, meine Selma dir fühlt.
Ach, wenn doch kein Grab nicht wäre, das Liebende deckte,
Die einander so treu, so voll Zärtlichkeit sind!
Aber weil ihr denn seyd, ihr immer offenen Gräber;
Nehmet zum wenigsten doch, nehmet auf Einmal uns auf!
Hörest du mich, der zur Liebe mich schuf? Ach wenn du mich hörest;
Lass mit eben dem Hauch Selma sterben, und  mich!
Selmar, ich sterbe mit dir! Ich bete mit dir von dem Himmel
Diese Wohlthat herab. Selmar, ich sterbe mit dir!

Aus: Klopstocks Werke
Oden Zweiter Band
Leipzig bey Georg Joachim Göschen 1798 (S. 128-130)

_____



Das Bündniss

"Selmar, dein Wort: Du erscheinst, stirbst du vor mir,
Deiner Selma! O geuss den Balsam
In die Wunde der verlassnen,
Selmar, dein heiliges Wort!"

Selma, dein Wort: Du erscheinst, stirbst du vor mir,
Deinem Selmar! O geuss den Balsam
In die Wunde des verlassnen,
Selma, dein heiliges Wort!

Aber kann es, wer schied, kann er sein Bild
Schaffen dem wartenden Blick des Freundes,
Der verstummend ihm zurückblieb
An der trennenden Gruft?

Zeigen kann ich vielleicht, dass ich dir nah,
Dass ich dein Selmar noch bin! durch Zeichen,
Die gewiss dir, wie Erscheinung,
Und nicht schrecklich dir sind.

"Wenn einst, Selmar, im Lenz unter dem Baum
Junge Blüthe dich labt; dann giess' ich,
Wie den Regen, der nicht träufelt,
Zeigend, auf dich sie herab."

Weilst du der Nachtigall einst, Selma, im Lenz;
Send' ich zu dir sie herab; sie fliegt dir
Auf die Schulter, und sie singt da
Neuer als jemals, und stirbt.

"Nein, nicht Zerstörung! vom Baum lös' ich die Frucht
Mit der Blüthe nicht ab; den Liebling,
Der noch wach ist, mir zu flöten,
Selmar, den tödtest du nicht!

Wenn kaum rege das Laub, leise der Bach
Einst dir rauschen; du hörst dann lautre
Melodieen, die du kennest,
Töne, wie Selma's Gesang.

Wenn nach Wettern mein Blick zu des Olimps
Hohem Bogen sich hebt; dann seh' ich,
An dem Rande des Gemäldes,
Flämchen erwachen, und wehn."

Selma, mein Wort: Du erblickst, sterb' ich vor dir,
Wehende Flämchen! Mein Wort: Du hörest,
Mit den Blättern, und dem Bache,
Töne, wie Selma's Gesang!

Aus: Klopstocks Werke
Oden Zweiter Band
Leipzig bey Georg Joachim Göschen 1798 (S. 131-133)

_____



Aus der Vorzeit

In dem Maye war ihr eben das zwölfte Jahr
Mit dem Morgen dahin geflohn.
Dreyzehn Jahre, nun sie fehlten den siebzigen,
Die den Frühling er wiedersah.
Schön war die Laube, der Baum neben der Laube schön;
Blüthe duftete gegen sie.
Kont' er es ahnden? Er sass, glühend vor Fröhlichkeit,
Bey dem Reh in der Laube Duft,
Zittert', ahndete nichts, Hell war ihr schwarzes Aug',
Als zuvor er es niemals sah.
Bald verstumt' er nicht mehr, stammelte, redete,
Kosete, blickte begeisterter.
"Diesen Finger, nur ihn ... Schlank ist dein Wuchs, und leicht
Senket der Tritt sich der gehenden.
Ach den kleinen, nur ihn ... Röthlich die Wang, und doch
Ist die Lippe noch lieblicher!
Diesen schönsten, nur ihn gieb mir!" Sie gab zuletzt
Alle Finger dem flehenden,
Zögerte länger nicht mehr, wandte sich, sagt': Ich bin
Ganz dein! leise dem glücklichen.
Ida's Stimme war Luft, Ida, du athmetest
Leichte Töne, die zauberten.
Küsse kant' er noch nicht; aber er küsst' ihr doch
Schnell die lebenden Blicke weg.
Und nun bleiben sie stehn, schweigen. Die Schwester ruft
In den kühleren Schattengang.


Aus: Klopstocks Werke
Oden Zweiter Band
Leipzig bey Georg Joachim Göschen 1798 (S. 226-227)

_____



Das Wiedersehn

Der Weltraum fernt mich weit von dir,
So fernt mich nicht die Zeit.
Wer überlebt das siebzigste
Schon hat, ist nah bey dir.

Lang sah ich, Meta, schon dein Grab,
Und seine Linde wehn;
Die Linde wehet einst auch mir,
Streut ihre Blum' auch mir,

Nicht mir! Das ist mein Schatten nur,
Worauf die Blüthe sinkt;
So wie es nur dein Schatten war,
Worauf sie oft schon sank.

Dann kenn' ich auch die höhre Welt,
In der du lange warst;
Dann sehn wir froh die Linde wehn,
Die unsre Gräber kühlt.

Dann ... Aber ach ich weiss ja nicht,
Was du schon lange weisst;
Nur dass es, hell von Ahndungen,
Mir um die Seele schwebt!

Mit wonnevollen Hofnungen
Die Abendröthe komt:
Mit frohem, tiefen Vorgefühl,
Die Sonnen auferstehn!


Aus: Klopstocks Werke
Oden Zweiter Band
Leipzig bey Georg Joachim Göschen 1798 (S. 251-252)

_____

 

Biographie:

https://de.wikipedia.org/wiki/Friedrich_Gottlieb_Klopstock



 

 


zurück zum Dichter-Verzeichnis

zurück zur Startseite