Gertrud Kolmar (1894-1943) - Liebesgedichte

Gertrud Kolmar

 

Gertrud Kolmar
(1894-1943)

 

Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
 



Nächte

Deine Hände keimen in Finsternissen,
Und ich seh nicht, wie sie blühn,
Atmend aus dem Schnee der Kissen.
Meeresgrün,

Wogengrau verglitzern deine Augen;
Meine Wange leckt ihr Schaum.
Nelkenrote Quallen saugen . . .
Süßes Harz von weißem Birkenbaum

Tropft die Stille goldbraun nieder . . .
O breiter Flügel, zuckender Schulter entstiegen !
O bleicher Schwanenflügel, der mich beschattet!
O Nacken, flaumige Brust, o Leib, den ein Wiegen
Verschilfter Bucht umschläfert, zärtlich ermattet !

Libellensirrendes Wispern . . .

Komm.

Du hast meinem Munde die reife Granatfrucht geschenkt,
Des Apfels starken Saft, erzeugende Kerne,
Hast in die Himmelsgründe kristallen wachsender Sterne
Wurzeln des Rebstocks versenkt.

Blau schwellen Trauben: koste.

Siehe, ich bin ein Garten, den du gen Abend erreicht,
Fiebrige Arme an schlanker silberner Pforte zu kühlen,
Im verstummten Geäst Aprikose zu fühlen,
Bin unterm südlichen Hauch, der die Ruhende streicht,

Eine schmale, blasse Wiese.

Erschauerndes Gräsergefilde, lieg ich bereit und bloß;
Mitternachtsglut schloß mir Lippen bebender Winde zu,
Doch die verborgenste Blüte öffnet den purpurnen Schoß:
Du.

Du ... komm...

Spüre, ich bin die Frau; meine klugen Finger erfüllen
Milchiges Porzellan mit Gewürzen der Lust,
Gießen zaubrisches Naß. Du spreitest aus Hüllen
Schlagenden Fittich, taumelst an meine Brust,

Sinkst, ein großes, lastendes Glück, in Tiefen.

Sanfter nun trägt dich die Flut, streichelt lässig die Flanken
Wuchtendem Schiffe, das drüben im Hafen war
Mit ragenden Schornsteintürmen, Masten hoher Gedanken;
Fühlst du die Möwe wehn dir durch rauchig wirbelndes
Haar?

>>Manhattan<< . . . >>New York<< . . . >>City of Baltimore< . .
bleibe!

Aus Morgen ballt sich mählich graue Nebelhelle,
Nieselt dich schleichend fort
Meinem Schimmerspiegel, meiner armen Welle -
Letzter Blick o letztes Wort!

O, ich ahne euch, da ferne Scharen
Wilder Enten klagend schrein...
Meine Muschelkrone stürzt aus dunklen Haaren -
Schlummre du ... ach, schlummre ein.
Und laß mich weinen...
(S. 78-80)
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Fruchtlos

Die Frauen des Westens tragen den Schleier nicht.
Die Frauen des Ostens legen ihn ab.
Ich möchte mein Antlitz mit dunklem Schleier verhüllen;
Denn es ist nicht schön mehr zu schauen, nicht lieblich
mehr, denn es ist graulich und rissig wie Steine
morschen, erkalteten Herdes.
Mein Haar stäubt Asche.

So will ich warten allein in Dämmerung auf schmaler,
hochlehniger Bank,
So will ich sitzen, da zögernd Nacht um mich sinkt,
Ein schwarzer Schleier.
Ich ziehe ihn um mich und bedecke mein Gesicht.

Doch meine Augen starren . . .

Ich sehe. Ich fühle :
Durch die verschlossene Tür tritt lautlos
Ein Kind.
Das einzige, das mir zubestimmt und das ich nicht geboren.
Nicht geboren um meiner Sünde willen; Gott ist gerecht.
Und ich schweige, und murre nicht, ich trage und berge
das Haupt, und so darf ich es suchen
Manchen Abend.

Ein Knabe.
Nur dieser eine : zart, stumm und flehend, mit weichen
düsteren Locken,
Unter braunlicher Stirn die fremden graugrünen Meeraugen
dessen, den ich geliebt, den ich immer liebe.
Er fürchtet mich nicht, bebt nicht zurück vor dem Schmeicheln
der welken Lippen und Hände.
Er naht, und sein blauer Sammet rührt meinen Arm, und
seine spielenden kleinen Finger greifen nach meiner Seele
Und tun ihr weh.
Zuweilen bringt er mir seine Murmel, die finstere, golden
geäderte, Tigerauge genannt,
Oder auch eine Blume, blasse Narzisse,
Oder auch eine Muschel, rötlich mit Warzen; er hebt sie
sacht an mein Ohr, und ich höre dem Rauschen zu.

Einst
Um die Hälfte der Nacht, der Winternacht,
Erwacht ich und schaute durch Schatten:
Der mich liebte, ruhte auf meinem Lager und schlief.
Sein Atem war Muschelrauschen in Stille.
Ich lauschte.
Und er schlummerte tief, so geborgen in meiner Liebe
Unter Träumen: sie falteten über ihm Flügel, purpurn wie
Saft des besamten Granatapfels, den wir geteilt.
Friede.
Und ich war glüklich und hob mich und saß, innig betend,
Und neigte wieder das Angesicht und hielt es mit Händen
und stammelte Dank um Dank.
Aus meinem Blut
Knospete eine Rose ...

Das war die Keimnacht,
Die Segen wollte, Nacht der ungeflüsterten Bitte, doch ich
empfing dich nicht.
Sieh deine Mutter weinen ...
Auch du wirst sterben.
Morgen werde ich einen Spaten nehmen, unter die
Schneebeersträucher gehen und dich begraben. -
(S. 565-567)
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Der Seegeist

Die Glashaut meiner Lider
Verwirft die Nacht, verwirft das Licht;
Der Möwe Sturmgefieder
Hat keine Feder, die sie bricht.
Weil ihre wölbge Schale
Nicht von des Auges Sternfrucht sprang :
Es sah den Tanz der Wale
Und fühlte niemals Salz noch Tang.

Dies Aug, steht ewig offen;
Ihm ist der milde Schlaf versagt.
Ein Schließen will es hoffen,
An das es nicht zu glauben wagt.
Die Zunge ward gebunden,
Und wenn ich liebend bitten mag,
Spricht nur mit heißen Munden
Zu fremdem Ohr mein Herzensschlag.

Ich ruf aus hellen Armen,
Die Klippenstrudel wirbelnd drehn,
Als seliges Erbarmen
Der aufgeborstnen Barke wehn,
Und trinkt der Königsknabe
In kühlster Lust dies gelbe Haar :
Mein Schoß verwuchs zur Wabe,
Die nie empfing und nie gebar.

Die graugeschliffne Flosse
Läßt starke Woge mir erklirrn,
Das Schrein der Albatrosse

Fliegt wie ein Band um meine Stirn;
So muß ich Tod umwerben,
Den Schaum mir bringt und Schaum vertreibt:
Nur dies darf nimmer sterben,
Was nun und ewig fruchtlos bleibt.
(S. 34-35)
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Westindien

Die Welt ist braune und weiße Erde;
Komm, wir teilen die Welt!
Nimm den Westen hin, daß ich Osten werde
Und felsig aufbreche, du Feld.

In meinem Becher von Jade will
Seltsam kostbare Freuden ich finden,
Die Freuden aus Hyazinth und Beryll
Um meine Hüfte winden,

Die Aprikose chinesischer Seide
Mit pflaumendunklen, sehr weichen Schuhn
Und den Bienenstachel in flimmernder Scheide,
Einen kleinen Dolch, zu mir tun.

Ich laß an der Mauer, die steinern liegt,
Blicke wie Blumen ranken,
Über den Weg, der in Wüste versiegt,
Und in des Mannes Gedanken . . .

Und so erwächst mit den Tagen die Beere,
Schlafende Frucht, das singende Land.
Westindien! Spielkind jenseits der Meere
Mit Eimern voll goldenem Sand !

Mit deiner Steppe gräsernem Hauch,
Der großen Büffel witternden Nüstern
Und des Wapiti hörnenem Strauch,
Mit Flammentänzen in Rüstern !

Ich habe die blitzend fliehnden Agraffen,
Winzige Schmuckvögel dir gezähmt,
Mit Pumas, mit pelzigen Goldstirnaffen
Den reichen Mantel verbrämt.

Um deine Schläfe kriecht der Reif
Smaragdener Leguane,
Araraschweif an Araraschweif
Rollt über dein Haupt die Fahne.

Mein Herz hat die brüllende Flut gegriffen,
Die Flut, das riesig schaummähnige Tier,
Und lädt ihm die Bürde aus tausend Schiffen,
Lächelnd von mir zu dir.
(S. 57-58)
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Die Verlassene
An K. J.

Du irrst dich. Glaubst du, daß du fern bist
Und daß ich dürste und dich nicht mehr finden kann?
Ich fasse dich mit meinen Augen an,
Mit diesen Augen, deren jedes finster und ein Stern ist.

Ich zieh dich unter dieses Lid
Und schließ es zu und du bist ganz darinnen.
Wie willst du gehn aus meinen Sinnen,
Dem Jägergarn, dem nie ein Wild entflieht?

Du läßt mich nicht aus deiner Hand mehr fallen
Wie einen welken Strauß,
Der auf die Straße niederweht, vorm Haus
Zertreten und bestäubt von allen.

Ich hab dich liebgehabt. So lieb.
Ich habe so geweint ... mit heißen Bitten ...
Und liebe dich noch mehr, weil ich um dich gelitten,
Als deine Feder keinen Brief, mir keinen Brief mehr schrieb.

Ich nannte Freund und Herr und Leuchtturmwächter
Auf schmalem Inselstrich,
Den Gärtner meines Früchtegartens dich,
Und waren tausend weiser, keiner war gerechter.

Ich spürte kaum, daß mir der Hafen brach,
Der meine Jugend hielt - und kleine Sonnen,
Daß sie vertropft, in Sand verronnen.
Ich stand und sah dir nach.

Dein Durchgang blieb in meinen Tagen,
Wie Wohlgeruch in einem Kleide hängt,
Den es nicht kennt, nicht rechnet, nur empfängt,
Um immer ihn zu tragen.
(S. 127-128)
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Wunschlied

Du solltest zu mir kommen in der langen Nacht.
Sie hätt aus Silberseide dir ein Bett gemacht.

Drum solltest du bei mir schlafen die ganze lange Nacht;
Mein kleines dunkles Auge war ein tiefer, tiefer Schacht.

Mein Auge war ein Brunnen, im Grunde Geisterlicht,
Da schautest du unter der Wirklichkeit allen Glückes Gesicht.

Träume blieben in Stunden stehn und sahn dich an: Es ist wahr.
Sehnsucht würf den Flügelhut aus ihrem brennenden Haar.

Alles was süß ist und warm ist, leis deine Lider nur streift,
Hätt Nacht in roter gespaltener Frucht für deine Lippen gereift.

Meine Locken wären feines braunes Gras und Kraut,
Aus den Halmen sprängen Blüten, wie du sie nie geschaut.

Blüten von so fremdem Duft, Blüten von so seltnem Schein
Schüteten mit unaufhörlich sachtem Rieseln ganz dich ein.

Aber meine Arme kröchen, listigen Schlangen gleich,
Durch den Blumenwald zu dir, schön und schwellend, bunt und weich.

In schillernde Schlingen verstrickt, in Blütenwehe verschneit -
Könntest du noch erwachen vor lauter Seligkeit?
(S. 298)
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Der Wal
K. J. gewidmet

Du. Dich wollt ich vom Himmel mir krallen,
Reißen tief in mein Leben hinein;
Tag ist eben zu Splittern zerfallen,
Sonne tröpfelt, nun süßerer Wein.
Ob meiner Hand,
Greisingewand,
Schleiert schon weißer der neblichte Schein.

Du. Du weidest auf kühleren Wiesen,
Schaumglasäckern, Gefilden der Flut,
Hinverwandelt zum schwebenden Riesen,
Der bei den Müttern der Bläue ruht.
Felsen von Eis
Stromen dir leis
Reinere Kissen, ihr silbernes Blut.

Was du empfunden, als Labe, als Beule,
Was du in Helle gedacht und begehrt,
Wirft dir vom Haupte die tanzende Säule
Höher ins Dunkel, das sprudelnde Schwert.
Lilie aus Gischt
Blüht und erlischt:
Seele, von ewigem Wogen verzehrt.

Warst du so stark je, so Stummheit und Rune?
War je dein Atem so hauchend und groß?
Stürzt dir mein frevelnder Schrei die Harpune,
Zerrst du durch jagende Qualen dich los?
Irgendwo weit,
Leicht in der Zeit,
Taumelt ein leeres, gekentertes Floß.
(S. 190-191)
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Du

Du. Ich will dich in den Wassern wecken!
Du. Ich will dich aus den Sternen schweißen!
Du. Ich will dich von dem Irdnen lecken,
Eine Hündin! Dich aus Früchten beißen,
Eine Wilde! Du. Ich will so vieles -
Liebes. Liebstes. Kannst du dich nicht spenden?
Nicht am Ende des Levkojenstieles
Deine weiße Blüte zu mir wenden?

Sieh, ich ging so oft auf harten Wegen,
Auf verpflastert harten, bösen Straßen;
Ich verdarb, verblich an Glut und Regen,
Schluchzend, stammelnd: >>. . . über alle Maßen . . .<<
Und die Pauke und das Blasrohr lärmten,
Und ich kam mit einer goldnen Kette,
Tanzte unter Lichtern, die mich wärmten,
Schönen Lichtern auf der Schädelstätte.

Und ich möchte wohl in Gärten sitzen,
Auch den Wein wohl trinken aus der Kelter,
Doch die Lider klafften, trübe Ritzen,
Und ich ward in Augenblicken älter.
Und auf meinen Leichnam hingekrochen
Ist die Schnecke träger Arbeitstage,
Zog den Schleimpfad dünner grauer Wochen,
Schlaffer Freude und geringer Plage.

In den Wäldern bin ich umgetrieben.
Ich verriet den Vögeln deinen Namen,
Doch die Vögel sind mir ferngeblieben;
Wenn ich weinte, zirpte keiner: Amen.
Und die Scheckenkühe an den Rainen
Grasten fort mit seltnem Häupterheben.
Da entfloh ich wieder zu den Steinen,
Die mir dieses Kind, mein Kind nicht geben.

Einmal muß ich noch im Finstren kauern
Und das Göttliche zu mir versammeln,
Es beschwören durch getünchte Mauern,
Seinem Ausgang meine Tür verrammeln,
Bis zum bunten Morgen mit ihm ringen.
Ach, es wird den Segen nimmer sprechen,
Nur mit seinem Schlag der erznen Schwingen
Diese flehnde Stirn in Stücke brechen...
(S. 32-33)
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Der Engel im Walde

Gib mir deine Hand, die liebe Hand, und komm mit mir;
Denn wir wollen hinweggehen von den Menschen.
Sie sind klein und böse, und ihre kleine Bosheit haßt und peinigt uns.
Ihre hämischen Augen schleichen um unser Gesicht, und
ihr gieriges Ohr betastet das Wort unseres Mundes.
Sie sammeln Bilsenkraut . . .
So laß uns fliehn
Zu den sinnenden Feldern, die freundlich mit Blumen und
Gras unsere wandernden Füße trösten,
An den Strom, der auf seinern Rücken geduldig wuchtende
Bürden, schwere, güterstrotzende Schiffe trägt,
Zu den Tieren des Waldes, die nicht übelreden.

Komm.
Herbstnebel schleiert und feuchtet das Moos mit dumpf
smaragdenem Leuchten.
Buchenlaub rollt, Reichtum goldbronzener Münzen.
Vor unseren Schritten springt, rote zitternde Flamme,
das Eichhorn nur.
Schwarze gewundene Erlen züngeln am Pfuhl empor in
kupfriges Abendglasten.

Komm.
Denn die Sonne ist nieder in ihre Höhle gekrochen, und ihr
warmer rötlicher Atem verschwebt.
Nun tut ein Gewölb sich auf.
Unter seinem graublauen Bogen zwischen bekrönten Säulen
der Bäume wird der Engel stehn,
Hoch und schmal, ohne Schwingen.
Sein Antlitz ist Leid.
Und sein Gewand hat die Bleiche eisig blinkender Sterne
in Winternächten.
Der Seiende,
Der nicht sagt, nicht soll, der nur ist,
Der keinen Fluch weiß noch Segen bringt und nicht in
Städte hinwallt zu dem, was stirbt :
Er schaut uns nicht
In seinem silbernen Schweigen.
Wir aber schauen ihn,
Weil wir zu zweit und verlassen sind.

Vielleicht
Weht ein braunes, verwelktes Blatt an seine Schulter,
entgleitet;
Das wollen wir aufheben und verwahren, ehe wir weiterziehn.

Komm, mein Freund, mit mir, komm.
Die Treppe in meines Vaters Haus ist dunkel und krumm
und eng, und die Stufen sind abgetreten;
Aber jetzt ist es das Haus der Waise, und fremde Leute wohnen darin.
Nimm mich fort.
Schwer fügt der alte rostige Schlüssel im Tor sich meinen
schwachen Händen.
Nun knarrt es zu.
Nun sieh mich an in der Finsternis, du, von heut meine Heimat.
Denn deine Arme sollen mir bergende Mauern baun,
Und dein Herz wird mir Kammer sein und dein Auge mein
Fenster, durch das der Morgen scheint.
Und es türmt sich die Stirn, da du schreitest.
Du bist mein Haus an allen Straßen der Welt, in jeder
Senke, auf jedem Hügel.
Du Dach, du wirst ermattet mit mir unter glühendem
Mittag lechzen, mit mir erschauern, wenn Schneesturm
peitscht.
Wir werden dürsten und hungern, zusammen erdulden,
Zusammen einst an staubigem Wegesrande sinken und weinen ...
(S. 559-561)
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Sehnsucht

Ich denke dein,
Immer denke ich dein.
Menschen sprachen zu mir, doch ich achtet es nicht.
Ich sah in des Abendhimmels tiefes Chinesenblau, daran
der Mond als runde gelbe Laterne hing,
Und sann einem anderen Monde, dem deinen, nach,
Der dir glänzender Schild eines ionischen Helden vielleicht
oder sanfter goldener Diskus eines erhabenen Werfers wurde.
Im Winkel der Stube saß ich dann ohne Lampenlicht,
tagmüde, verhüllt, ganz dem Dunkel gegeben,
Die Hände lagen im Schoß, Augen fielen mir zu.
Doch auf die innere Wand der Lider war klein und unscharf
dein Bild gemalt.
Unter Gestirnen schritt ich an stilleren Gärten, den Schatten-
rissen der Kiefern, flacher, verstummter Häuser,
steiler Giebel vorbei
Unter weichem düsteren Mantel, den nur zuweilen
Radknirschen griff, Eulenschrei zerrte,
Und redete schweigend von dir, Geliebter, dem lautlosen,
dem weißen mandeläugigen Hunde, den ich geleitete.
Verschlungene in ewigen Meeren ertrunkene Nächte!
Da meine Hand in den Flaum deiner Brust sich bettete
zum Schlummer,
Da unsere Atemzüge sich mischten zu köstlichem Wein,
den wir in Rosenquarzschale darboten unserer Herrin,
der Liebe,
Da in Gebirgen der Finsternis die Druse uns wuchs und
reifte, Hohlfrucht aus Bergkristallen und fliedernen
Amethysten,
Da die Zärtlichkeit unsere Arme Feuertulpen
porzellanblaue Hyazinthen aus welligen, weiten, ins
Morgersgraun reichenden Schollen rief,
Da, auf gewundenem Stengel spielend, die halberschlossene
Knospe des Mohns wie Natter blutrot über uns züngelte,
Des Ostens Balsam- und Zimmetbäume mit zitterndem
Laube um unsere Lager sich hoben
Und purpurne Weberfinken unserer Munde Hauch in
schwebende Nester verflochten. -
Wann wieder werden wir in des Geheimnisses Wälder fliehn,
die, undurchdringlich, Hinde und Hirsch vor dem
Verfolger schützen?
Wann wieder wird mein Leib deinen hungrig bittenden
Händen weißes duftendes Brot, wird meines Mundes
gespaltene Frucht deinen dürstenden Lippen süß sein?
Wann wieder werden wir uns begegnen?
Innige Worte gleich Samen von Wurzkraut und Sommer-
blumen verstreun
Und beglückter verstummen, um nur die singenden
Quellen unseres Blutes zu hören?
(Fühlst du, Geliebter, mein kleines horchendes Ohr, ruhend
an deinem Herzen?)
Wann wieder werden im Nachen wir gleiten unter zitronfarbnem
Segel,
Von silbrig beschäumter, tanzender Woge selig gewiegt,
Vorüber an Palmen, die grüner Turban schmückt wie den
Sproß des Propheten,
Den Saumriffn ferner Inseln entgegen, Korallenbänken,
an denen du scheitern willst?
Wann wieder, Geliebter . . . wann wieder . . ? . .
Nun sintert mein Weg
Durch Ödnis. Dorn ritzt den Fuß.
Bäche, frische, erquickende Wasser, murmeln; aber ich finde
sie nicht.
Datteln schwellen, die ich nicht koste. Meine verschmachtende
Seele
Flüstert ein Wort nur, dies einzige:
»Komm. . .«
O komm ...
(S. 562-564)
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Märchen

Ich hab vor deinem Hause still gestanden
In einer Nacht.
Und hatte ganz dich lieb und ohne Maßen;
Ich wies zu dir den Sternen goldne Straßen
Und habe selig stumm gelacht.

Ob meinem losen Haar hob ich die Arme
Wie Zweige, schlank und rund.
Da stürzte Regen in das Mainachtschweigen
Und rief sich zage Blüten aus den Zweigen,
Und jede war ein blasser Mund.

Du aber kamst nicht.
So streute ich mit lächelndem Verschwenden
Dem Mond die Blumen her.
Und spürte Treiben herber, dunkler Kräfte,
Mir ward die Frucht voll süßer, süßer Säfte;
Schon fiel sie, duftend, weich und schwer.

Du aber kamst nicht.
Eishagel tanzte höhnend auf den Steinen.
Da klaffte schwarz ein Schacht.
Drein ließ ich die zerbrochnen Arme hangen. -
Geblüht und Frucht getragen - und vergangen
In einer Nacht.
(S. 296)
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Verwandlungen

Ich will die Nacht um mich ziehn als ein warmes Tuch
Mit ihrem weißen Stern, mit ihrem grauen Fluch,
Mit ihrem wehenden Zipfel, der die Tagkrähen scheucht,
Mit ihren Nebelfransen, von einsamen Teichen feucht.

Ich hing im Gebälke starr als eine Fledermaus,
Ich lasse mich fallen in Luft und fahre nun aus.
Mann, ich träumte dein Blut, ich beiße dich wund,
Kralle mich in dein Haar und sauge an deinem Mund.

Über den stumpfen Türmen sind Himmelswipfel schwarz.
Aus ihren kahlen Stämmen sickert gläsernes Harz
Zu unsichtbaren Kelch ein wie Oportowein.
In meinen braunen Augen bleibt der Widerschein.

Mit meinen goldbraunen Augen will ich fangen gehn,
Fangen den Fisch in Graben, die zwischen Häusern stehn,
Fangen den Fisch der Meere : und Meer ist ein weiter Platz
Mit zecknickten Masten, versunkenem Silberschatz.

Die schweren Schiffsglocken läuten aus dem Algenwald.
Unter den Schiffsfiguren starrt eine Kindergestalt,
In Händen die Limone und an der Stirn ein Licht.
Zwischen uns fahren die Wasser ; ich behalte dich nicht.

Hinter erfrorener Scheibe glühn Lampen bunt und heiß,
Tauchen blanke Löffel in Schalen, buntes Eis ;
Ich locke mit roten Früchten, draus meine Lippen gemacht,
Und bin eine kleine Speise in einem Becher von Nacht.
(S. 20)
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Das Haar

Ich will mein Haar nicht stümmeln zu kleinen kurzen Stümpfen,
Nicht kröpfen wie die Kronen der Weiden, der Linden,
Da üppig Blattwerk ringelt an den wunden Rümpfen;
Ich will mein Haar verhalten, es flechten und binden.

Doch wenn Nächte schweben, möchte ich es lösen,
Erlösen zu schwarzen Wolken, die Blitze rot durchbluten,
Braune Sturzäcker reißen aus den Spangen und Ösen,
Es unter Eisenbrücken werfen, blaue Fluten.

Ich lade ihm bunt die Boote mit Hölzern und mit Früchten,
Ich blas ihm Grauglasfische, leicht im Gefäll zu streifen,
Und streu die wilden Hühner, die über Schollen flüchten,
Und schmiede Kometen mit flammgewundenen Schweifen.

Ich will das Haar ausgießen auf ein reines Linnen;
Seine Strähnen sollen an die vier Winde rühren,
Als schmale klargefegte, dunklere Pfade rinnen
Zwischen Schneetüchern hin, dich führen und verführen:

Vor klagenden Hungerwölfen wird dich Zauber retten,
Der blasse, feine Ring mit herzgeformter Perle,
An allen Weges Ende auch mein Gesicht entketten
Aus dem begrabenen Brunnen, aus der gefangenen Merle.
(S. 30-31)
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Liebende

Ihre Leiber standen in den Abendschatten licht,
Schmal und hoch, von schimmerloser Bleiche :
Blütenzweig, den Lieb für Liebe bricht,
Windgewiegt und taugeküßt am Teiche.

Stern um Stern kroch übers Dach sie anzusehn,
Und die Schar der zarten Wolkenlämmer
Flockte zögernder in lindem Wehn :
Ihre Leiber standen licht im Dämmer.

War das Eine kurzen Weg hinabgeeilt,
Riefs das Andre um mit stillem Schauen;
Feiner Falterflügel, zwiegeteilt,
Schleierblaß, verwuchsen sie im Grauen.

Leise, wie ein Stückchen leichter Tag,
Sind sie dann in Nacht und Gras gegangen. -
Und die braunen Hasen im Verschlag
Äugten wundernd durch die Gitterstangen.
(S. 85)
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Wacht

Lied, das im Schlummer des geliebten Mannes tönt!
Wenn alles eingesammelt, Ruf, Gespräch und Glossen
Wie Kinderspielzeug abends in den Schrank verschlossen,
Die schwarze Mutter stumm in Schleiern und gekrönt

Auf Treppen hoher Türme niederschreitet,
Ein Lager streifend mit umflortem Mond bescheint,
Der Silberlampe ; wenn sie lautlos weint
Und Krankentrunk aus Mohn und Asphodel bereitet :

Dann hör ich deine Atemzüge gehn.
Du singst. Ich suche dich und soll dich nie erlangen.
Ach, jeder weist mir, daß du heimlich fortgegangen -
Wie lang? Wohin? Ich kann dich nicht mehr sehn.

So weit bist du, so weit getrennt von meiner Seele,
Ob auch dein Leib so nah an meinem Leibe blieb ;
Ich rühre deine Achsel : Du. Ich hab dich lieb . . .
Und fühle Worte, die ich tags voll Scham verhehle,

Und doch will dies Gesicht, das über deins sich beugt,
Den Schläfer nimmer wecken,will nur betend wachen,
Daß nicht der Raum verfällt zur Höhle grauer Drachen,
Die einst den Knabentraum in wirre Angst geäugt.

Und doch weiß dieses Herz, daß Stundenschläge splittern,
Da du, ihm abgewendet, niemals wiederkommst.
Stern, der du über mir im warmen Dunkel glommst,
Wann werd ich einsam vor durchschneiten Morgen zittern?

Du weißt es nicht. Und bist am Ende schon bereit
Und fliehst mich ohne Hast auf deinen fremden Wegen -
Ich mag die Schläfe still an deine Schulter legen,
Die Hände auf mein Herz, das um Erbarmen schreit.
(S. 81-82)
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Leda

Mein Fenster ist im Dunkel aufgetan
Und meine Seele aufgetan mit ihm.
Ich seh den Sternenkranz der Cherubim
Und warte auf den Schwan.

Der Nachthauch irrt um Lager und Gestühl
Und tastet an mein schauerndes Gewand
Und streicht mit kaltem Finger meine Hand;
Mein Fuß ist nackt und kühl.

Ich habe nicht den Tag, der eben blich,
Den Morgen und den Abend nicht erkannt;
Ich ging in Zimmern. Doch mein Wesen stand
Und rief die Nacht und dich.

Ich rufe dich. Ich klage nach dir stumm.
Ich sehne mich. Und wage keinen Schrei.
Sonst stürzte Neugier, Staunen, Zorn herbei;
Nun schlummert das ringsum.

Wo weilt der Teich, da blasse Rosen sind?
Wo glimmt die Tiefe, da du Silber schürfst,
Der mondgemischte Tropfen, den du schlürfst,
Raunt taubenblauer Wind?

Der meines Glückes glühnde Schmerzen trägt,
Dein stolzer Nacken windet sich und sinkt . .
O Stunde, da dein Flug, der schneeig blinkt,
An schwarze Himmel schlägt!

O Stunde, da du rauschend niederziehst,
Auf meine Brüste weicher Flaum sich senkt,
Da um die Liebe, die dir bebend schenkt,
Du reine Flügel schließt!

O komm. O komm. Mein Kelch ist aufgetan
Und badet, schwer von Demut und von Duft,
Sich blühend in der winterklaren Luft
Und wartet auf den Schwan.
(S. 75-76)
_____




Einsamer Tanz

Meine Füße tauchen in den Teppich, gaukeln auf dem bunten Meere,
Klappernd um die Knöchel hüpft grüner Kugelketten Zier.
Meine nackten Füße wissen nichts von Müh und Schwere,
Meine Lenden wissen nichts von Scham vor dir.

Mein bemalter Schwebeschleier
Sprengt mit Rosen einen Leib, der ist Elfenbein;
Weiße Seide streicht, wie geballter Windhauch über einen Weiher,
Meine Arme stoß ich tief in die luftige Lust hinein.

Vor dem harten, kalten Spiegel tanzt ich immer.
Deine wasserhellen Augen werden Spiegel fur ein Weib,
Dennoch starrst du mit so toten, äußren Blicken in dies Zimmer:
Du erschaust die Seele durch den dargebotnen Leib.

Doch ich irre. Nur dem eignen Bilde warf ich dieser Blöße Glanz entgegen,
Und der Sessel,drin du sitzen sollst und sehen sollst, ist leer;
Du fährst über Feld zu Knecht und Herde, wiegst den Ackersegen -
Denkst du einmal her?

Deine Hände schaffen plagevolles Werk am Ende,
Meiner Lippen Wünsche gehn im Schritt der Schenkel, scheu wie Diebe,
Küssen deine schmalen, schlanken, deine bleichen, eisigen Hände,
Die ich innig liebe.
(S. 297)
_____




Die Liebliche

Milchigweiße Ferne!
Myrtengrüne Zeit!
Nacht! Da Sommersterne
Goldnen Schnee geschneit.
Auf der Gitterlaube
Feinstem Filigran
Rosagrauer Taube
Zartes Porzellan.

Alles ist mir eigen,
Alles zwitschert : Du!
Mürrisch grobes Schweigen
Deckt mein Lächeln zu;
Eines Lachens Fittich
Flügelt, wo ich ging,
Und ein Nymphensittich
Spielt im Silberring.

Honigblitze schaukelt
Hauch und Harmonie,
Küsse, leicht entgaukelt,
Bunt wie Kolibri,
Listige Tarantel,
Die am Grunde hängt,
Bläulich seidnem Mantel
Roten Herzschmuck fängt.

Sieben Freuden fallen
Klingend mir ins Ziel,
Kugeln von Korallen,
Beinern Federspiel;
Meiner braunen Blicke
Südweinglitzern springt...
Weiß im Kelch die Wicke,
Wen ihr Duft umschlingt?
(S. 54-55)
_____




Komm

O komm.
Du amethystenes Gewölbe großer Nacht.
O komm.
Du goldgestickte Decke über süßen Broten.
O komm.
Sternsamen, aus dem himmlischen Getreide rieselnd sacht.
O komm.
Du kupferdunkle Schlange, die mit Lebensgeifer spritzt die Toten.
O komm.
Du überm Alltag schwebende, verzückte Melodie,
O komm.
Ich möchte einmal dich mit Lippen fassen, eh ich sterbe.
O komm.
Du meine braune Rose. Solche gab es nie.
O komm.
Du samtner Taumund voll unsäglich süßer Herbe.
O komm.
Grau riesenhafter Turm, der in die Öden floh.
O komm.
Ich duck mit Schleierkäuzen mich am Fenster ohne Scheibe.
O komm.
Du steinernes Gesetz, das bröckelnd stürzte irgendwo.
O komm.
Ich richte die geborstne Tafel auf an finstrer Eibe.
O komm.
Du Zauberspange, die der unverstandne Spruch durchflicht.
O komm.
Mein Haupt in Ruhe, meine Stirn in Schlaf zu schließen.
O komm.
Du blauer Brunnen, der aus jeder Blume eine schöne Iris bricht.
O komm.
Du Regenbogenweinen, grasgesäumtes Fließen.
O komm.
Mein Kind. O komm, o komm, du Kind.
O komm.
Mein hohler Paukenschlag kann mich nicht mehr betäuben.
O komm.
Und willst du nicht, so nimm mich in den Wind.
O komm.
Und laß mich überm Meere, Ockersand, verstäuben.
(S. 221-222)
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Die Stadt

Sie gingen
Durch den nebelleicht kühlen Wintermorgen, Liebende,
Hand in Hand.
Erde bröckelte hart, gefrorene Pfütze sprang gläsern unter den Sohlen.
Drunten am Uferwege
Saß einer in brauner Sammetjoppe vor seiner Staffelei
Und malte die blattlos hängende Weide.
Kinder pirschten neugierig näher,
Und die Großen hielten fur Augenblicke mit ihrem Gange ein, tadelten, lobten.
An dem algengrünen, glitschigen Stege
Schwamm ein lecker, verrotteter Kahn.
Drei Schwäne über den Wellen
Bogen die stengelschlanken Hälse, schweigend, entfalteten sich, blühten.
Die Frau brach Brot und warf es weit in die Flut.

Unter starrenden Eichen,
Die Äste, schwarz, verrenkt, wie gemarterte Glieder streckten,
Schritten sie an den fröstelnden Rasen, efeuumwucherten
Pfeilern verschlossener Gärten dahin.
Als sie die lange steinerne Brücke betraten,
Riß Sonne den Nebel von sich wie ein Gewand,
Und die Stadt stieg auf, schräg hinter dem breiten Becken des Flusses.
Ineinander, übereinander schoben sich Dächer, schwarzgrau
glänzend wie Dohlengefieder, einzelne, höhere patinagrün; goldene
Turmhauben blitzten.
Möwen umkreischten, hungrig flatternde Bettler, das Brückengeländer.
Sie waren, hinüber
Und schauten vor mürrisch alltäglichem Hause den Knaben
zu, die ihrem gelben Hund die wunde, blutende Pfote verbanden.
Frauen mit Marktnetzen, Henkelkörben blickten vorüber-
eilend die müßigen Fremden knapp und mißtrauisch an,
Verschwanden hinter den Türen düsterer kleiner murkliger Läden.

Lauter und stärker, wohlhäbiger, fülliger wurden die Straßen.
Stattliche Gasthöfe luden mit kräftigen Lettern ein;
Rötliche Backsteinmauern standen machtvoll-gewichtig da
gleich Ratsherren alter Zeit mit Puffenwams und
Barett und prunkender Schaube.
Bahnen lärmten fröhlich, bimmelten flink, wie ein Gassen-
junge am Parktor, entwischten.
Männer in dicken, warmen Mänteln beredeten rauchend
und lebhaft schreitend Handel und Wandel,
Und bald fing die Garküche an, ihren Stand mit nahrhaften
Bratgerüchen zu rühmen.
Laden reihte an Laden sich,
Bot zartes, saftiges Fleisch und Wildbret, Fische, geräucherten Aal und
Sprotten,
Bot knusprig braunes längliches Brot, süß, mit Korinthen
gefüllt, und herbes, das mehlüberstäubt oder mit Salz
und Kümmel bestreut war.
Zwischen zwei Kupferbechern duckte ein winziges chine-
sisches Teehaus von kirschrot gelacktem Holze sein
geschweiftes vergoldetes Dach.
Doch das Gewölk, da um teures Geld Tränke und Salben
und Pulver gemengt und verabreicht werden,
Wies durchs Fenster den Greis, wie lebend, gebückt im Sessel,
In wollener Kutte, mit schlohweiß wallendem Bart;
Er schloß die Lider.
Hinter ihm grinste ein langes scheußliches Beingeripp mit
Totenschädels höhnischen Augenhöhlen und Zähnen,
Die glitzernde Sense in einer Hand und mit der andern des
Sinkenden Schulter krallend.
Eine Uhr zeigte Mitternacht.
Da erschrak die Frau und griff nach dem Manne -
Er nickte und lächelte aber;
Denn er sah nichts als ihr finsteres Haar und ihr blasses
dunkeläugiges Antlitz.
(S. 556-558)
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Travemünde

Über uns Abend: schwaches Rosenflehn.
Unter uns Sand. Tote Muscheln. Tang.
Um uns Wind in finsterer Mäntel Wehn
Und Meergesang.

Unsere Nüster sog, die Lippe sann
Ruch von Salz und See und Nichtmehrsein,
Da das Wasser gnadelos hinverrann,
Bleich am Strande traurige Fische schrein.

Seine Lieder troffen von Ewigkeit,
Seine Stirnen schäumten glasiges Licht,
Seine Augen schauten, leer und weit,
Sinkender Welt Gesicht.

Unser zarter Tag entzitterte welk,
Hing wie Fledermäuse im Winterschlaf
Mit erstarrten Träumen am Gebälk
Schwarzen Leuchtturms. Und das Murmeln traf

Unsere Seelen, wallte, wurde groß
In der Brust dir, die umwuchert schwand
Unter Algenhaaren, nachtgrünem Moos.
Und du rührtest mich mit kühler Hand

Stillen Meeres . . .
(S. 84)
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Die Geliebte

Vor deinen starken Taggedanken
Steh ich zerbrechlich und verhöhnt,
Die Schale mit den Blumenranken,
Der deine Lippe sich gewöhnt,
Ein zärtliches Gefäß, bekränzt
Mit rotem Mohn und blauen Raden,
Dein Schaun dem Tranke einzuladen,
Den deinem Dürsten es kredenzt.

So zierlich klirrend, bunt gesprenkelt
Ergötz ich Heimkehr dir und Tisch,
Gerundet wart ich und gehenkelt,
Geduldig und verführerisch,
Daß du mit kurzem Griff mich pflückst,
Um rasch und achtlos zu genießen;
Dann muß ich mich im Schrank beschließen,
Bis du mich neu zur Lampe rückst.

Ach, ich war nie in jenen Stunden,
Da du dich selbst der Welt verwarfst;
Mein Blut entsprang geheim den Wunden,
Die du im Schlaf mir öffnen darfst.
Und schmeichelnd duckte blasse Hand,
Die immer, Scharlachtropfen, blühten,
Die meine Sorgen nicht behüten,
Wenn erst dein Rausch sie wiederfand.

Du siehst das Haar mir tief im Nacken
Als dunkle, schwere Bürde ruhn,
Daß du es reißen magst und packen
Und wie ein Dickicht um dich tun.
Mich selber schlägst du, Zweig und Stamm,
Gehorsam dir den Herd zu wärmen:
Aus deinen Nächten will ich schwärmen
Mit zitternd loderndem Geflamm
Und Asche bleiben und mich härmen.
(S. 26-27)
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Fischkönig
An K. J.

Wo sind Namen, die ich gewußt?
Aufschrei hat sie zerrissen.
Einer segelt durch die Brust
Mit meinem grauen Gewissen,
Schwankt auf meinem schweren Sinn,
In sein Licht gestiegen:
Fahre, König, fahre hin,
Laß die Krone liegen!

Die Krone krallt den Grundschlamm fest,
Wurzelt, eine Rüster.
Brachsen funkeln durchs Geäst
In ein altes Düster,
Welse stürzen vom Geäst
Nach beschupptem Raube,
Und der Stichling baut sein Nest
Im getriebenen Laube.

Gleite, König, gleite stromab,
Laß die Flosser sich haschen!
Ich werfe Netze über mein Grab,
Netze ohne Maschen.
Ich will dich fangen als einen Fisch,
Fisch der Sonnenröten;
Schlürfen sollst du Gewell und Gezisch
Mit den Feuerkröten.

Ich hebe dir ein Königreich
Über Schlämmgoldkörner.
Deine Haare wehen Laich,
Spülen Schneckenhörner.
Meine Tiefe spaltet ein Stein,
Den Fäuste hinverstießen.
Da will ich dich setzen, dich allein,
Und die Wasser über dir schließen.
(S. 202-203)
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Alle Gedichte aus: Gertrud Kolmar: Das lyrische Werk. Kösel Verlag 1960


Biographie:

http://de.wikipedia.org/wiki/Gertrud_Kolmar




 

 


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