Theodor Körner (1791-1813) - Liebesgedichte

Theodor Körner

 

Theodor Körner
(1791-1813)

Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
 

 

 

Wehmut der Liebe

Ach, daß im lauten Spiel des Lebens
Nicht eine Seele mich versteht!
Es klagt mein tiefes Lied vergebens,
Es wird vom Zephirhauch verweht!
Die Liebe nur kennt meinen Schmerz,
Die Liebe nur versteht mein Herz.

Sie weckte mich mit zarten Tönen
Aus meiner Jugend leichtem Spiel,
Das Ideal des höchsten Schönen
Durchflammte glühend mein Gefühl;
Da zog, was tief im Herzen schlug,
Hinauf, hinauf mit Adlerflug.

Doch all mein Sehnen war vergebens
Und mein Elysium zerstört.
Mir ward das höchste Glück des Lebens,
Das Glück der Liebe, nicht beschert.
Wenn überall die Hoffnung spricht -
Umsonst, umsonst, mich ruft sie nicht!

Zwar noch ein Trost ist mir geblieben,
Ein Trost für das zerrißne Herz;
Denn ward mir nicht das Glück zu lieben,
So ward mir doch der Liebe Schmerz;
Er ist, ich fühl's in meiner Brust,
Noch mehr als alle Erdenlust.
(S. 229-230)
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Die Augen der Geliebten

Augen, zarte Seelenblüten,
Klare Perlen ew'ger Liebe,
Augen, ihr verehrte Augen,
Meiner Herrin lichte Sterne,
Laßt euch von des Sängers Liedern
Sanfte Frühlingstöne wehn!

Alles, was das Leben heiligt,
Trägt die Ahnung seiner Seele,
Trägt den stillen Schmuck der Augen;
Nicht der Mensch allein, der stolze,
Auch der Frühling, auch die Erde
Auch des Tages Wechselgruß.

In der Erde dunklen Tiefen
Stehn die klaren Diamanten
Wie ein ewig blühend Auge;
Rosen-Augen hat der Frühling
Und der Tag hat seine Sonne,
Ihre Sterne hat die Nacht:

Aber ihr, verehrte Augen,
Meiner Herrin lichte Sterne,
Klare Perlen ew'ger Liebe,
Augen, zarte Seelenblüten,
Solche liebe, gute Augen,
Solche Augen sind es nicht.

Nicht so klar sind Diamanten,
Die in dunkler Tiefe leuchten,
Nicht so lieblich Frühlingsrosen
An des Lebens zartem Busen,
Nicht so mild die ew'gen Sterne,
Nicht so hell der junge Tag.

Was im Leben schön und edel,
Les' ich klar in eurem Schimmer;
Was das Jenseits dort verschleiert,
Leuchtet mir in eurer Freude,
Leuchtet mir in euren Tränen
Wie aus Himmelsferne zu.

Und so hört des Sängers Grüße!
Wollt ihr freundlich nicht dem Jüngling
Wie die ew'gen Dioskuren
Leuchten durch des Lebens Wogen?
Augen, zarte Seelenblüten,
Wollt ihr meine Sterne sein?
(S. 181-182)
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Poesie und Liebe

Der Sänger rührt der Leier goldne Saiten,
Und in der Seele ist das Lied erwacht;
Es strahlt durch das gewalt'ge Reich der Nacht
Ein göttlich Licht zum Opfer aller Zeiten.

Ein Wesen nur vermag den Klang zu deuten;
Es naht sich still in süßer Himmelspracht,
Und wie vom Götterhauche angefacht,
Erglüht das Lied, die Wolken zu durchschreiten.

Da wogt ein üpp'ges Meer von Harmonieen;
Es schwebt das trunkne Lied im Strahlenflore
Durch Lichtgefilde einer ew'gen Klarheit.

Wo Lieb' und Dichtkunst ineinander glühen,
Da öffnen sich des Himmels Rosentore,
Und aufwärts fliegt das Herz zur heil'gen Wahrheit.
(S. 77-78)
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An Adelaiden, am Johannistage

Des Sommers Lust ist neu geboren,
Die Glut des Lebens angefacht,
Und froh im Wechseltanz der Horen
Ersteht das Fest in süßer Pracht.

Und um der Blumen bunte Kränze
Reiht sich des Kreises schnelle Lust,
Umgaukelt von dem Spiel der Tänze,
Schlägt frei das Herz in jeder Brust.

Drum laß dir gern dies Liedchen bringen
In liebevoller Melodie,
Und munter, wie die Töne klingen,
Sei deines Lebens Harmonie.

Und wie an bunten Frühlingsranken,
Vom ersten Morgenstrahl begrüßt,
Der Wiesen heitre Blümchen wanken,
Wenn sie des Zephirs Hauch geküßt:

So wandle durch das frohe Leben,
Die Liebe führe still dein Herz,
Und wie die Töne sich verbeben,
So löse freundlich sich der Schmerz.
(S. 74-75)
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Als sie eine Kornähre in der Hand zum Blühen brachte

Ein jeder Wunsch, den in des Herzens Räumen
Mit zartem Sinne zarte Herzen pflegen,
Blüht herrlich auf mit wunderbarem Segen,
Kann nimmer seines Lebens Tag versäumen.

Und so machst du in heitern Frühlingsträumen
Verborgne Kraft sich in der Pflanze regen;
Zum zweiten Male sproßt sie dir entgegen,
Und neue Blüten lockst du aus den Keimen,

Und so auch wogt, hat mich dein Blick getroffen,
Ein heißes Sehnen tief in meinem Busen,
Und schneller als die Blüte dir geblüht,

Erglüht mein Herz mit jugendlichem Hoffen;
Der Genius ergreift mich und die Musen,
Und deiner Anmut singt mein kühnes Lied.
(S. 118-119)
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Die Harmonie der Liebe

Einst, vom Schlummer überwältigt,
Lag ich auf der weichen Matte,
Und im Traume nahte Phöbos,
In der Hand die Leier haltend.
Golden wiegten sich die Locken
Auf der hohen Götterstirne,
Und den Feuerblick des Auges
Seiner Sonne zugewendet,
Griff er mutig in die Saiten.
Da umrauschten Harmonien
Himmlisch meine trunknen Sinne,
Und das Lied des Götterjünglings
Strömte feurig durch die Glieder.
Plötzlich aber schwang der Sänger
Auf sich von der stolzen Erde,
Und den goldnen Sternen näher
Schwand das hohe Lied des Gottes,
Immer leiser, immer leiser,
Bis das Element des Einklangs
Sich in süßes Wehn verwandelt. -
Da erwacht' ich, und Apollos
Liede noch begierig lauschend,
Griff ich hastig nach der Leier.
Um den Nachhall meines Herzens
Auszuatmen in der Saiten
Süß berauschendem Getöne.
Doch ich suchte nur vergebens
Nach der Harmonie des Gottes,
Und der Saiten stimmte keine
Mit dem himmlisch reinen Liede,
Das mir tief im Herzen wogte,
Finster starrt' ich in die Lüfte
Und verwünschte meine Leier.
Plötzlich aber weckten Küsse
Mich aus meinen düstern Träumen.
Leis' war Chloris hergeschlichen
Und verscheuchte schnell den Unmut
Durch das süße Spiel der Liebe.
Ach, und jetzt in ihren Armen,
Ihr am liebewarmen Busen,
Strömte mir ein neues Leben,
Neue Kraft durch alle Glieder,
Und der Liebe süßster Einklang
Wogte mir im trunknen Herzen
Schöner, heiliger und reiner
Als das Lied des Götterjünglings.
(S. 76-77)
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Im Prater

Es keimen die Blüten, es knospen die Bäume,
Der Frühling bringt seine goldenen Träume,
Ein lauer Wind weht freundlich mich an,
Die Felder sind bräutlich angetan.

Dort unten flüstern die Wellen vorüber,
Zu duftigen Bergen schau' ich hinüber,
Die Vögelein singen und fliegen vorbei
Und lispeln von Sehnsucht, von Liebe und Mai.

Und jetzt erklärt sich das heimliche Beben,
Jetzt ahn' ich erst, Frühling, dein Wirken und Weben,
Jetzt weiß ich erst, was die Nachtigall singt,
Was die Rose duftet, die Welle klingt.

Denn auch in mir ist's Frühling geworden,
Es schwelgt die Seele in Blütenakkorden;
Der Sehnsucht Stimme, der Liebe Drang
Klingt Wellengeflüster und Lerchengesang.

Und freundlich, wie die heiligen Strahlen
Der Sonne den lieblichen Tempel malen,
So steht meine Liebe mir immer fern
Und glüht in der Seele ein günstiger Stern.

Und jeder geschlossene Kelch meines Lebens,
Und jede Knospe des freudigen Strebens
Wird von dem Sterne der Blüte geküßt,
Ein Hauch, der das Tote erwecken müßt'.

Und alle Blumen, die in mir keimen,
Und alle Strahlen aus meinen Träumen
Bänd' ich gern in einen Strauß,
Der spreche mein Leben, mein sehnen aus!

Mein Lieben, mein glühens unendliches Lieben,
Wo ist all das andere Treiben geblieben?
Versunken in Sehnsucht nach deinem Licht
In den einen Wunsch, der für alle spricht.

Und du lächelst mild dem Freunde entgegen
Und pflegest die Blumen auf seinen Wegen
O, was hat der Himmel für Seligkeit
In das kalte, nüchterne Leben gestreut!

Drum mag der Herbst in den Blättern säuseln,
Der Winter die silbernen Flocken kräuseln,
Die Lerche schweigen, die Schwalbe ziehn;
In meinem Frühling bleibt's ewig grün!
(S. 180-181)
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In der Nacht

Ich bin dir nah, nur eine dünne Mauer
Trennt mich von dir.
Du träumst wohl schon im sanften Schlummerschauer,
Vielleicht von mir.

Auf diesem Pfühl, der oft in heil'ge Weihe
Dich eingewiegt,
Ruht jetzt dies Herz, das dir voll Mut und Treue
Entgegenfliegt.

Mir ist's, als blühten aller Sehnsucht Keime
Melodisch auf,
Als fliegen geisterflüsternd deine Träume
Zu mir herauf.

Ich fühle plötzlich in den dunklen Locken
Ein leises Wehn;
Die Ahnung ruft, die vollen Adern stocken,
Die Pulse stehn. -

Es war dein Geist, und heilig auf der Wange
Fühlt' ich den Kuß;
An deiner Lippen küssendem Gesange
Kannt' ich den Gruß.

Es war dein Geist! Es war der Hauch der Liebe!
Hast mein gedacht!
O, daß sie ewig, ewig, ewig bliebe
Die schöne Nacht!
(S. 247)
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Nähe der Geliebten

Ich denke dein im Morgenlicht des Maien,
Im Sonnenglanz;
Ich denke dein, wenn mich die Sterne freuen
Am Himmelskranz.

Ich sorg' um dich, wenn in des Berges Wettern
Der Donner lauscht;
Du schwebst mir vor, wenn in den dunkeln Blättern
Der Zephir rauscht.

Ich höre dich, wenn bei des Abends Gluten
Die Lerche schwirrt;
Ich denke dein, wenn durch des Deiches Fluten
Der Nachen irrt.

Wir sind vereint, uns raubt der Tod vergebens
Der Liebe Lust;
O, laß mich ruhn, du Sonne meines Lebens,
An deiner Brust!
(S. 100)
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Das gestörte Glück

Ich hab' ein heißes junges Blut,
Wie ihr wohl alle wißt,
Ich bin dem Küssen gar zu gut,
Und hab' noch nie geküßt;
Denn ist mir auch mein Liebchen hold,
's war doch, als wenn's nicht werden sollt':
Trotz aller Müh' und aller List
Hab' ich doch niemals noch geküßt.

Des Nachbars Röschen ist mir gut;
Sie ging zur Wiese früh,
Ich lief ihr nach und faßte Mut
Und schlang den Arm um sie:
Da stach ich an dem Miederband
Mir eine Nadel in die Hand;
Das Blut lief stark, ich sprang nach Haus,
Und mit dem Küssen war es aus.

Jüngst ging ich so zum Zeitvertreib
Und traf sie dort am Fluß;
Ich schlang den Arm um ihren Leib
Und bat um einen Kuß.
Sie spitzte schon den Rosenmund,
Da kam der alte Kettenhund
Und biß mich wütend in das Bein.
Da ließ ich wohl das Küssen sein.

Drauf saß ich einst vor ihrer Tür
In stiller Freud' und Lust;
Sie gab ihr liebes Händchen mir,
Ich zog sie an die Brust.
Da sprang der Vater hinterm Tor,
Wo er uns längst belauscht', hervor;
Und wie gewöhnlich war der Schluß:
Ich kam auch um den dritten Kuß.

Erst gestern traf ich sie am Haus;
Sie rief mich leis herein:
"Mein Fenster geht in'n Hof hinaus,
Heut abend wart' ich dein."
Da kam ich denn im Liebeswahn
Und legte meine Leiter an;
Doch unter mir brach sie entzwei,
Und mit dem Küssen war's vorbei.

Und allemal geht mir's nun so;
O, daß ich's leiden muß!
Mein Lebtag werd' ich nimmer froh,
Krieg' ich nicht bald 'nen Kuß.
Das Glück sieht mich so finster an -
Was hab' ich armer Wicht getan?
Drum, wer es hört, erbarme sich
Und sei so gut und küsse mich!
(S. 119-120)
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Der geplagte Bräutigam

Im ganzen Dorfe geht's Gerücht,
Daß ich um Greten freie;
Sie aber läßt das Tändeln nicht,
Die Falsche, Ungetreue!
Denn Nachbar Kunzens langer Hans
Führt alle Sonntag' sie zum Tanz
Und kommt mir ins Gehege.
Man überlege!

Auf künft'ge Ostern wird's ein Jahr,
Da faßt' ich mich in Kürze
Und kaufte ihr (das Ding war rar)
Ein Band zur neuen Schürze;
Und an dem zweiten Feiertag,
Just mit dem neunten Glockenschlag,
Bracht' ich ihr mein Geschenke.
Man denke!

Ich hätte nämlich räsoniert
Den Tag vorher beim Biere:
Wenn ich sie mit dem Band geziert
Zum Abendtanze führe,
So sag' ich alles lang und breit
Und breche die Gelegenheit
Im Fall der Not vom Zaune
Man staune! -

Drauf hatt' ich mich schön angetan,
Als ging's zum Hochzeitsfeste!
Ich zog die neuen Stiefeln an
Und meines Vaters Weste;
Doch als ich kam vor Gretens Haus,
War auch der Vogel schon hinaus
Mit Hansen in die Schenke.
Man denke!

Das faßte mich wie Feuerbrand,
Der Zunder mußte fangen;
Da kam, um seinen Hut mein Band,
Der Musjö Hans gegangen;
Nun sprüht' ich erst in voller Wut,
Er wurde grob, und - kurz und gut,
Ich kriegte derbe Schläge
Man überlege!

Den Tag darauf an Gretchens Tür
Lauscht' ich als Ehrenwächter.
Da schallte aus dem Garten mir
Ein gellendes Gelächter.
Und als ich habe hingeschaut,
Da saß denn meine schöne Braut
Mit Hansen hinterm Zaune.
Man staune!

Das fuhr mir arg durch meinen Sinn,
Das Wort blieb in der Kehle;
Des andern Morgens ging ich hin
Und hielt ihr's vor die Seele;
Und sagt' ihr's endlich grad heraus:
"Hör', Grete, mach' mir's nicht zu kraus,
Sonst geh' ich meiner Wege!"
Man überlege!

Da lachte sie mir ins Gesicht
Und kehrte mir den Rücken.
Ja, wenn der Hans den Hals nicht bricht,
So reiß' ich ihn in Stücken!
Sonst bringt sie es gewiß so weit,
Daß ich mich noch bei guter Zeit
Im nächsten Teich ertränke!
Man denke!
(S. 124-126)
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Bei einem Springbrunnen

Sieh, dort strebt mit Jünglingsmute,
Wie Kristalle rein und hell,
Von der eignen Kraft gehoben,
Himmelwärts der Silberquell.

Immer höher, immer höher
Sprudelt er in Sonnenglut,
Wenn er oben kaum verstoben,
Wächst er auf mit neuer Flut.

Und das reine Licht des Tages
Bricht sich im kristallnen Strahl,
Und den schönsten duft'gen Schleier
Webt der Farben heil'ge Zahl.

Ach, so steigt auch all mein Streben
Durch die Wolken himmelwärts,
So durchflammen tausend Wünsche
Glühend mein begeistert Herz.

Aber wie der Kreis der Farben
Sich im reinen Licht vermählt,
Sind auch alle meine Wünsche
Nur von einer Glut beseelt.

Und es ist der Liebe Sehnsucht,
Die den Busen mächtig schwellt,
Mit der Ahnung leisem Schauer
Wie ein Traum aus jener Welt.
(S. 110)
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Liebeständelei

Süßes Liebchen, komm zu mir!
Tausend Küsse geb' ich dir.
Sieh mich hier zu deinen Füßen.
Mädchen, deiner Lippen Glut
Gibt mir Kraft und Lebensmut.
Laß dich küssen!

Mädchen, werde doch nicht rot!
Wenn's die Mutter auch verbot -
Sollst du alle Freuden missen?
Nur an des Geliebten Brust
Blüht des Lebens schönste Lust -
Laß dich küssen!

Liebchen, warum zierst du dich?
Höre doch und küsse mich!
Willst du nichts von Liebe wissen?
Wogt dir nicht dein kleines Herz
Bald in Freuden, bald in Schmerz?
Laß dich küssen!

Sieh, dein Sträuben hilft dir nicht!
Schon hab' ich nach Sängers Pflicht
Dir den ersten Kuß entrissen.
Und nun sinkst du liebewarm
Willig selbst in meinen Arm,
Laß dich küssen!
(S. 80)
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Sehnsucht der Liebe

Wie die Nacht mit heil'gem Beben
Auf der stillen Erde liegt!
Wie sie sanft der Seele Streben,
Üpp'ge Kraft und volles Leben
In den süßen Schlummer wiegt!

Aber mit ewig neuen Schmerzen
Regt sich die Sehnsucht in meiner Brust.
Schlummern auch alle Gefühle im Herzen,
Schweigt in der Seele Qual und Lust:
Sehnsucht der Liebe schlummert nie,
Sehnsucht der Liebe wacht spät und früh.

Leis wie Äolsharfentöne
Weht ein sanfter Hauch mich an.
Hold und freundlich glänzt Selene,
Und in milder, geist'ger Schöne
Geht die Nacht die stille Bahn.

Aber auf kühnen, stürmischen Wegen
Führt die Liebe den trunkenen Sinn.
Wie alle Kräfte gewaltig sich regen!
Ach, und die Ruhe der Brust ist dahin!
Sehnsucht der Liebe schlummert nie,
Sehnsucht der Liebe wacht spät und früh.

Tief im süßen, heil'gen Schweigen
Ruht die Welt und atmet kaum,
Und die schönsten Bilder steigen
Aus des Lebens buntem Reigen,
Und lebendig wird der Traum.

Aber auch in des Traumes Gestalten
Winkt mir die Sehnsucht, die schmerzliche, zu,
Und ohn' Erbarmen, mit tiefen Gewalten,
Stört sie das Herz aus der wonnigen Ruh.
Sehnsucht der Liebe schlummert nie,
Sehnsucht der Liebe wacht spät und früh.

So entschwebt der Kreis der Horen,
Bis der Tag im Osten graut.
Da erhebt sich neugeboren
Aus des Morgens Rosentoren
Glühendhell die Himmelsbraut.

Aber die Sehnsucht in meinem Herzen
Ist mit dem Morgen nur stärker erwacht;
Ewig verjüngen sich meine Schmerzen,
Quälen den Tag und quälen die Nacht.
Sehnsucht der Liebe schlummert nie,
Sehnsucht der Liebe wacht spät und früh.
(S. 85-86)
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Alle Gedichte aus: Theodor Körner's sämmtliche Werke
Im Auftrage der Mutter des Dichters
herausgegeben und mit einem Vorwort begleitet
von Karl Streckfuß
Berlin 1861


Biographie:

http://de.wikipedia.org/wiki/Theodor_Körner_(Schriftsteller)

 

 


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