Johanna Leitenberger (1818-1893) - Liebesgedichte

Johanna Leitenberger

 

Johanna Leitenberger
(1818-1893)


Inhaltsverzeichnis der Gedichte:

 




Die Bajadere

Auf den golddurchwirkten Kissen
Ruht jetzt India's stolzer Fürst,
Fremde sind zu ihm gekommen
Aus Europa's fernem Land.
Helle strahlt von bunten Lampen
Rings des Saales duft'ger Raum,
Sklaven knie'n, des Winks gewärtig,
Den der Herrscher streng entbot.
Es erhebt der Fürst die Rechte,
Und harmonisch klingt es leis' -
Horch! wie tönt gleich Sphärensang
Durch den Saal der Gamelang!*

Da erscheint in off'ner Pforte
Plötzlich jetzt ein Feenkind -
Rings um seine schlanken Glieder
Fließt im Grün und gold'nen Schimmer
Ein Gewand, das von dem Gürtel
Goldenfunkelnd ist umspannt.
An den zarten, braunen Armen
Und den kleinen, braunen Füßchen
Glänzen breite, goldne Reife,
Und in seinen dunkeln Locken
Blitzt ein Diadem von Golde.
Flügelleicht im Tanze schwebend,
Gleitet leis' die Schöne weiter,
Und wie sie das Köpfchen neiget,
Tönen ihre Lockenspangen -
Horch, es flüstert Liebessang
Durch den Saal der Gamelang!

Und so rasch wie jene Erste
Gleiten nun herein noch Andre,
Sieben sind es, reizend Alle -
Doch die Erste ist die Schönste!
Und die zarten, holden Mädchen
Schweben tanzend wie die Elfen
Durch des Saales lichte Halle,
Neigen, schütteln ihre Köpfchen,
Und ihr Blick voll ernster Wehmuth
Ist zur Erde stets geheftet -
Horch! wie tönet sehnsuchtsbang
Durch den Saal der Gamelang!

Und wie sie gekommen, schwinden
Alle sie durch jene Pforte ...
Schien es nicht, als ob die Schönste
Mit den nächtlich dunkeln Locken
An der Schwelle heimlich zög're,
Und ihr Blick an jenem Jüngling
Hafte, der aus fernem Lande
Kam als Gast zu Indiens Fürsten!
Doch entschwunden ist die Elfe,
Indiens wunderbare Blume -
Leise tönet süß und bang,
Durch den Saal der Gamelang!

Und des Jünglings Blicke weilen
Starr gefesselt an dem Boden -
Über seine glüh'nde Seele
Zieht geheimer Minne Trauer.
Da ertönt von fremden Lippen
Neben ihm halblaut der Ausruf:
"Da, da sind sie wieder alle
Lieblich holden Bajaderen!"
Und im Klang metall'ner Glocken
Neigen, beugen sie sich nieder
Horch! gleich der Sirene Sang
Tönet jetzt der Gamelang!

Diesmal in den zarten Händen
Pfauenwedel, wie zum Spiele
Fliehen, folgen sie einander -
Und wie sie vorüberschweben,
Fällt dem Jüngling eine Feder
Plötzlich zu den Füßen nieder -
Hat die Schönste sie geworfen?
Und wie er sich niederbeuget,
Trifft ihn noch aus dunklen Augen
Rasch ein Blitz gleich Liebesflammen -
Horch! wie tönet schaurigbang
Durch den Saal der Gamelang!

Und so schnell wie sie gekommen,
Ist sie auch dem Saal entschwunden -
Finster neigt der ind'sche Fürst nun
Auf die Hand das Haupt, umwunden
Von des Turbans Funkelstein.
Flammen sprüh'n aus seinen Augen,
Streifen panthergleich den Jüngling
Und des Saales kleine Pforte.
Rasch mit der erhob'nen Rechten
Winkt er einem seiner Sklaven,
Flüstert den Befehl unhörbar,
Der ihn aus der Pforte sendet. - -
Bange Stille in dem Saale - -
Nur der Glocken leises Klingen
Zittert durch die Luft wie Seufzer:
Horch! es tönet Klaggesang
Fernher, ach! der Gamelang.

Ruft noch einmal aus der Pforte
Holder Bajaderen Reigen -
Sieh'! sie kommen, sieh', sie gleiten
Schwebend durch den Saal wie früher -
Alle? Nein, es sind nur sechse -
Nicht erschienen ist die Schönste!
Bangend, spähend hängt das Auge
Jetzt des Jünglings an der Schwelle -
Doch umsonst - der Reigen schwindet,
Und die holden Kinder fliehen -
Traurig nur wie Todessang
Klingt noch fort der Gamelang!

* Gamelang: indische Glasharmonika

Gedicht aus: Deutschlands Dichterinnen.
Blüthen deutscher Frauenpoesie
aus den Werken deutscher Dichterinnen
der Vergangenheit und Gegenwart
ausgewählt von Karl Wilhelm Bindewald
Osterwieck / Harz o. J. [1895] (S. 34-35)
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Erinnerung

Man glaubt, daß ich den herben Schmerz vergessen,
Weil keine Thräne mir in's Auge quillt,
Daß nach den Lieben, die ich einst besessen,
Die Sehnsucht nimmer meine Seele füllt!
O sähen sie, die thöricht also denken,
Wenn Nacht und Ruh die Erde rings bedeckt,
Mein Antlitz tief sich in die Kissen senken,
Und wüßten sie, was aus dem Schlaf mich weckt!

Da, bei der Kerze einsam mattem Flimmer,
Schwebt leis ein Bild um's andre zu mir her;
Der holden Augen freundlich milder Schimmer,
Der Mund, den ich geküßt im Abschied schwer -
Ich seh sie all - die Arme breiten sehnend
Nach ihnen hin, und sinken leer zurück,
Doch falte ich die Hände, fromme wähnend,
Daß sie mir nah, wie flücht'ger Sternenblick.

Allnächtlich feire ich ein Fest mit Trauern:
Den still geheimnisvollen Allerseelentag;
Auf Gräbern knie ich, fühl's mit süßem Schauern,
Daß jetzt noch mein, was lang schon modern lag.
Und aus des Lebens trüb bewegten Wogen
Flücht ich zur immergrünen Insel hin -
Erinnrung ist's, zu der ich hingezogen,
Wo alle Rosen meiner Liebe blüh'n!

aus: Unsere Frauen in einer Auswahl aus ihren Dichtungen
Poesie-Album zeitgenössischer Dichterinnen
Von Karl Schrattenthal
Mit zwölf Porträts in Lichtdruck
Stuttgart 1888 (S. 270)
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Rose und Herz

Wer mag der Rose Kelch erschließen,
Entfesseln ihren süßen Duft?
Wenn Sonnenstrahlen morgens grüßen,
Da springt sie aus der Blättergruft.
Zum Licht gewandt auf schlankem Stengel
Enthüllt sie ihre Märchenpracht,
Der lieblichste der Blumenengel,
Den uns der holde Lenz gebracht.

Wer kann ein Menschenherz erschließen,
Wer öffnet seinen tiefen Grund?
Wenn liebe Augen liebend grüßen
Dann ist des Herzens Sonnenstund'!
Der Liebe weiht es all sein Blühen,
Ersteht in wundersamer Pracht,
Und muß es welkend auch verglühen -
Der Zweck des Daseins ist vollbracht.

aus: Unsere Frauen in einer Auswahl aus ihren Dichtungen
Poesie-Album zeitgenössischer Dichterinnen
Von Karl Schrattenthal
Mit zwölf Porträts in Lichtdruck
Stuttgart 1888 (S. 271)
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Beim Scheiden

Beim Scheiden, wenn die Thräne mild
Vom heißen Auge tropft,
Und an die bang bewegte Brust
Um Einlaß bittend klopft.

Da öffnet sich das glüh'nde Herz
Und nimmt die Pilgrin auf,
Sie schlummert in der kleinen Gruft -
Wacht dann als Perle auf.

Und leuchtend ruht sie jetzt hinfür
In tiefster Seele Grund,
Erzählend uns von Glück und Weh -
Von mancher sel'gen Stund!

aus: Unsere Frauen in einer Auswahl aus ihren Dichtungen
Poesie-Album zeitgenössischer Dichterinnen
Von Karl Schrattenthal
Mit zwölf Porträts in Lichtdruck
Stuttgart 1888 (S. 271)
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Annette von Droste-Hülshoff
(Nach einem Bilde)

An den Balkon gelehnt, so blickt sie ernst hinunter,
Die sinn'ge Dichterin, von stolzer Meeresburg -
Der düstern Wolken grauen Schleier mächtig teilend,
Gießt auf der Erde Schlummer Mondlicht eine Welt,
Das Reich voll strahlender Gedanken, hehrer Tiefe,
Ist vor dem Blick Annettens schimmernd aufgethan.
Sie späht vom hohen Schloß hernieder in die Weite,
Die ihr das Licht erhellt. Tief unten dort der Turm,
Die Kirche, die gleich Schatten aus dem Grunde tauchen,
Fernhin die glänzend lichte Flut des Bodensees,
Aus der der Erdengeister mächt'ge Träume ziehen
Und eines Rätsels Worte flüstern unbelauscht.
Dem Seherauge aber öffnet sich die Pforte,
Die magisch jener Welt Geheimnis uns verbirgt,
Und zu Annettens dringt aus ungekannten Sphären
Ein Wort zur Lösung jedes Dunkels des Weltalls.
Wie in dem Wasserglas des Forschers Aug' erblicket
Das Walten ungeahnter Kräfte der Natur,
So fühlt sie nur im Weh'n der Luft, im Glanz der Wellen
Den Hauch des ew'gen Geistes, der im Kuß der Nacht
Die Erde, die da schlummert, mild umfangen haltend,
Dem milden Sterne flüstert leis im tiefen Traum.
Das Wort, das alles Elend Gottes ferner Welten
Erlösend, ahnungsvoll zu sel'gen Höhen trägt. -
Ein kaltes Weh'n um ihre Stirn' - ein banger Seufzer -
Dahin ist jene Ahnung, die das Heil verhieß,
Und eine Sehnsuchtsthräne bebt am Aug' Annettens.
"Warum entschwand mir doch der Lösung hehrer Spruch?"
Da flüstert's leise, leise tief in ihrem Herzen:
"Im flücht'gen Hauche nur streift des Weltalls Geheimnis
Den Geist, solang' auf Erden Du am Leib gefesselt -
Doch in des Herzens Tiefe, ungeahnt und reich,
Da ruht der Schatz des Menschentums, des Friedesegens.
O heb' ihn glaubensvoll, mit milder, weicher Hand,
Und spende ihn der Not der Menschheit im Erbarmen.
Die Liebe ist es, die auf dunkler Erdenflur
In Blick und Wort und That jedwedes Dunkel lichtet,
Ein Schatz, um den selbst Himmlische den Menschen neiden,
Der gold'ne Schlüssel, der das Weltall uns erschließet!"
Tiefinnig lauschend diesem ernsten, heil'gen Spruch,
Beugt sich Annette demutsvoll der Geisterbotschaft
Und bringt, getreu der Sendung, schon nach Mondenfrist
Der Welt ihr "Geistlich Jahr" als warme Liebesgabe,
Ein Laut, ein milder Strahl aus reiner Sphären Glanz.

aus: Deutsche Dichterin[n]en und Schriftstelerin[n]en
in Wort und Bild
Herausgegeben von Heinrich Groß
II. Band Berlin 1885 (S.145)
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Das Volkslied
Sage

Zu jener Stunde, wo im Zauberschlosse
Dornröschens alles einst, gleich ihr, der Schlaf umfieng,
Da saß die Nachtigall auf einem Rosenzweige,
Der über'm Haupte der Prinzessin hieng.
Sie hatte süß der Liebe Lied gesungen -
Das nun so rasch in Traum und Nacht verklungen.

Und als der Zauber vor der Nacht entflohen,
Mit der der Liebe Wunder nur die Welt umflicht,
Da hebt auch jubelnd Nachtigall die zarten Schwingen,
Mit frischem Klang grüßt sie das neue Licht.
Dornröschen aber spricht die holden Worte:
"Entfleuch, mein Vöglein, jetzt dem Waldeshorte!"

Und frei zog sie hinaus auf sonn'ge Fluren,
Die Künderin der neuerstand'nen Zauberwelt,
Die, aus Dornröschens ew'gem Liebesbund entsprossen,
Von Poesie mit Blütenglanz erhellt -
Und wo das Vöglein fliegt in weite Ferne,
Da leuchten auf im Sang - des Volkslieds Sterne!

aus: Deutsche Dichterin[n]en und Schriftstelerin[n]en
in Wort und Bild
Herausgegeben von Heinrich Groß
II. Band Berlin 1885 (S. 146)
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Biographie:

Eine Österreicherin von Geburt ist Johanna Leitenberger (geb. 31. Januar 1818 in Prag), die Tochter eines Gutsbesitzers, eines Schülers Fichtes, der mit vielen Gelehrten, Dichtern und Schriftstellern in Verbindung stand; ihm verdankt sie ihren offenen Sinn für Fortschritt im guten und schönen. Als ihr Vater durch den Staatsbankerott von 1811 sein Vermögen einbüsste, kam sie mit ihm, der Agent der österreichischen Spinnfabriken wurde, nach Wien, wo der Umgang mit den angesehensten und gebildetsten Familien ihre Neigung für die Dichtkunst förderte, so dass sie sich in der Folge der schriftstellerischen Laufbahn zuwandte. 1848 vermählte sie sich mit dem Postbeamten E. Wolf, mit dem sie in Pöltschach und Graz lebte; am letzten Orte leitete sie 1872 die "Frauenblätter", deren Zweck Förderung der Frauenbildung war. Nach einer Reise durch Oberitalien und Südfrankreich 1873 siedelte sie 1874 nach Salzburg über, wo sie noch heute lebt. Sie veröffentlichte ihre Dichtungen unter dem Pseudonym Litahorsky; es sind die Sammlungen "österreichischer Frühling" 1848, "Frühlingslieder" 1863, "Epheu" mit einem Vorworte von R. Hamerling 1870, die Märchen "Kindergarten" 1867, das historische Trauerspiel "Veronika von Teschenitz" 1867 und das Lustspiel "die Fiole Cagliostros" 1868.

Aus: Deutschlands Dichterinnen und Schriftstellerinnen
Eine literarhistorische Skizze zusammengestellt
von Heinrich Gross
Zweite Ausgabe Wien 1882

 

 

 


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