Jakob Michael Reinhold Lenz (1751-1792) - Liebesgedichte

Jakob Michael Reinhold Lenz



Jakob Michael Reinhold Lenz
(1751-1792)

Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
 

 

 



Wo bist du itzt, mein unvergeßlich Mädchen,
Wo singst du itzt?
Wo lacht die Flur, wo triumphiert das Städtchen,
Das dich besitzt?

Seit du entfernt, will keine Sonne scheinen,
Und es vereint
Der Himmel sich, dir zärtlich nachzuweinen,
Mit deinem Freund.

All unsre Lust ist fort mit dir gezogen,
Still überall
Ist Stadt und Feld. Dir nach ist sie geflogen,
Die Nachtigall.

O komm zurück! Schon rufen Hirt und Heerden
Dich bang herbei.
Komm bald zurück! Sonst wird es Winter werden
Im Monat Mai.
(S. 10)
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Ach, bist du fort? aus welchen güldnen Träumen
Erwach' ich jetzt zu meiner Qual!
Kein Bitten hielt dich auf, du wolltest doch nicht säumen,
Du flogst davon zum zweitenmal.

Zum zweitenmal sah ich dich Abschied nehmen,
Dein göttlich Aug' in Tränen stehn,
Für deine Freundinnen - des Jünglings stummes Grämen
Blieb unbemerkt, ward nicht gesehn.

O warum wandtest du die holden Blicke
Beim Abschied immer von ihm ab?
O warum ließest du ihm nichts, ihm nichts zurücke
Als die Verzweiflung und das Grab?

Wie ist die Munterkeit von ihm gewichen!
Die Sonne scheint ihm schwarz, der Boden leer,
Die Bäume blühn ihm schwarz, die Blätter sind verblichen,
Und alles welket um ihn her.

Er läuft in Gegenden wo er mit dir gegangen,
Im krummen Bogengang, im Wald, am Bach -
Und findet dich nicht mehr und weinet voll Verlangen
Und voll Verzweiflung dort dir nach.

Dann in die Stadt zurück, doch die erweckt ihm Grauen,
Er findet dich nicht mehr, Vollkommenheit!
Ein andrer mag nach jenen Puppen schauen,
Ihm sind die Närrinnen verleid't.

O laß dich doch, o laß dich doch erflehen,
Und schreib' ihm einmal nur - ob du ihn liebst!
Ach, oder laß ihn nie dich wiedersehen,
Wenn du ihm diesen Trost nicht giebst!

Wie? nie dich wiedersehn? - Entsetzlicher Gedanke!
Ström' alle deine Qual auf mich!
Ich fühl', ich fühl' ihn ganz - es ist zu viel - ich wanke -
Ich sterbe, Grausame - für dich!
(S. 11-12)
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An die Nachtigall

O Philomele,
Sing immer zu!
Du siehst, ich quäle
Mich mehr als du.

Es floh der meine
Wie deiner floh,
Und wie der deine,
So liebt' er, - so! -

Nur wenig Tage
Währt dein Gesang,
Doch meine Klage
Währt lebenslang.

Nach kurzer Weile
Suchst fremde Luft:
Und ich - ich eile
Zur dunkeln Gruft.

Im schönen Lenze
Kommt wieder dir
Von ferner Grenze
Dein Liebchen hier.

 Und neue Freude
Bringt dir das Jahr,
Ich lieb' - und leide
Ach immerdar!
(S. 13-14)
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Ausfluß des Herzens

Oft fühl ichs um Mitternacht;
Dann stehn mir die Tränen im Auge,
Und ich fall im Dunkel vor dir aufs Knie, -
Du prüfst mir das Herz, und ich fühl' es noch wärmer.

Heilig ist es - von Gott -
Was im Herzen glüht. Laut ruft es in mir,
Gott! - Laut ruft's dir entgegen. Es dringt
Durch die Gebeine, und auch die Gebeine fühlen's.

Wo ist's, dies Bild? daß ich's umfasse -
Das Bild Gottes, das meine Seele liebt?
Ich wollt' es durchschauen; mein Arm sollt mit ihm verwachsen,
Und tief prägt' ichs ins Herz.

Ach ein Bild! Gott du hießt es
Den Genius mir vor Augen halten.
Wach ich früh am Morgen, so steht es vor mir;
Leg ich mich nieder, so schwebt es vor meiner Stirn.

Bät' ich zu dir - wenn Himmel und Erde
Um mich vergeh'n - wenn du nur, und ich in dir
Noch bin - dann lächelt dies Bild in voller Klarheit
Mir entgegen, daß das Herz mir hinweg schmilzt.

Weg! - daß der Strom - er kocht mir im Herzen -
Sich hier vor dem Herrn ergieße!
Herr! ich will - ach! ich will es noch mehr!
Herr! dies Verlangen - den himmlischen Zug!

Ach vor dir! ja, nur dir - O, führe mich hin!
Es ist eine Seele, gleich gestimmt mit mir -
Ich bin nicht ganz ohne sie - mit ihr
Eins - soll ich die Ewigkeit genießen.

Herr, ich sahe ein Mädchen - So wie dies
Müß' ein Mädchen sein.
Die edle Gottesseele flammt im Auge -
Lieb', Unschuld, Größe, Wärme, Adel!

Ach Gott! - Mich däucht, ich sähe das Bild,
Das vor meiner Seele schwebt.
Die ganze Seele fing an sich zu heben,
Noch nie gefühlte heilige Erschütterung

Durchschauert' jede Nerve mir,
Der Geist wuchs. Ich liebte dich reiner,
Ich fühlte mir Kraft, Tugend zu üben,
Wie ich zuvor nie sie gefühlt.
(S. 18-19)
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Piramus und Thisbe

Der junge Piramus in Babel
Hat in der Wand
Sich nach und nach mit einer heißen Gabel
Ein Loch gebrannt.

Hart an der Wand, da schlief sein Liebchen,
Die Thisbe hieß,
Und ihr Papa auf ihrem Stübchen
Verderben ließ.

Die Liebe geht so, wie Gespenster,
Durch Holz und Stein.
Sie machten sich ein kleines Fenster
Für ihre Pein.

Da hieß es: liebst du mich? da schallte:
Wie lieb ich dich!
Sie küßten stundenlang die Spalte
Und meinten sich.

Geraumer ward sie jede Stunde,
Und manchen Kuß
Erreichte schon von Thisbens Munde
 Herr Piramus.

In einer Nacht, da Mond und Sterne
Vom Himmel sahn,
Da hätten sie die Wand so gerne
Beiseits getan.

Ach Thisbe! weint er; sie zurücke:
Ach Piramus!
Besteht denn unser ganzes Glücke
In einem Kuß?

Sie sprach: ich will mit einer Gabe,
Als wär ich fromm,
Hinaus bei Nacht zu Nini Grabe,
Alsdann so komm!

Dies wird Papa mir nicht verwehren,
Dann spude dich.
Du wirst mich eifrig beten hören,
Und tröste mich.

Ein Mann ein Wort! Auf einem Beine
Sprang er für Lust:
Auf Morgen Thisbe! küß ich deine
Geliebte Brust.

 Sie, Opferkuchen bei sich habend,
Trippt durch den Hain,
Schneeweiß gekleid't, den andern Abend
Im Mondenschein.

Da fährt ein Löwe aus den Hecken,
Ganz ungewohnt,
Er brüllt so laut: sie wird vor Schrecken
Bleich wie der Mond.

Ha, zitternd warf sie mit dem Schleier
Den Korb ins Gras
Und lief, indem das Ungeheuer
Die Kuchen aß.

Kaum war es fort, so mißt ein Knabe
Mit leichtem Schritt
Denselben Weg zu Nini Grabe -
Der rückwärts tritt,

Als hätt ein Donner ihn erschossen:
Den Löwen weit -
Und weiß im Grase hingegossen
Der Thisbe Kleid. -

Plump fällt er hin im Mondenlichte:
So fällt vom Sturm
 Mit unbeholfenem Gewichte
Ein alter Turm.

O Thisbe, so bewegen leise
Die Lippen sich,
O Thisbe, zu des Löwen Speise
Da schick ich mich.

Zu hören meine treuen Schwüre
Warst du gewohnt;
Sei Zeuge, wie ich sie vollführe,
Du falscher Mond!

Die kalte Hand fuhr nach dem Degen
Und dann durchs Herz.
Der Mond fing an sich zu bewegen
Für Leid und Schmerz.

Ihn suchte Zephir zu erfrischen
Umsonst bemüht.
Die Vögel sangen aus den Büschen
Sein Totenlied.

Schnell lauschte Thisbe durchs Gesträuche
Und sah das Gras,
Bedeckt von einer frischen Leiche
Von Purpur naß.

O Gott, wie pochte da so heftig
Ihr kleines Herz!
Wie hob ihr braune Haar geschäftig,
Sich himmelwärts.

Wie flog sie - zieht, ihr blassen Musen,
Den Vorhang zu!
Dahinter ruht sie, Stahl im Busen:
Gott welche Ruh!

Der Mond vergaß sie zu bescheinen,
Von Schrecken blind.
Der Himmel selbst fing an zu weinen
Als wie ein Kind.

Man sagt vom Löwen, sein Gewissen
Hab ihn erschröckt,
Er habe sich zu ihren Füßen
Lang hingestreckt.

O nehmt, was euch ein Beispiel lehret,
Ihr Alten, wahr!
Nehmt euch in Acht, ihr Alten! störet
Kein liebend Paar.
(S. 22-25)
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An mein Herz

Kleines Ding mit Müh und Leiden
Hier in dieser Brust gepflegt,
Herz! wenn sich dein Sturm nicht legt,
Herz! wo sind denn deine Freuden?

Deine Schläge! wie so selten
Mischt sich Lust in sie hinein!
Und wie schnell sind sie, mit Pein
Jede Lust mir zu vergelten!

Phillis! ach nur Augenblicke
Lacht, was jeden Unmut stillt,
Lächelt dein geliebtes Bild
Es von ew'gem Gram zurücke.

Ganz gewandelt, neu geboren
Fühl ich dann mich, Göttern gleich:
Und die Welt ein Himmelreich,
Das du dir zum Sitz erkoren.

Ja ein Blick von dir zerteilet
Der Verzweiflung Nacht in mir,
Daß mit Riesenschritt zu dir
Meine Hoffnung siegreich eilet.

Alles sind mir deine Augen,
Was der Erde Sonnenschein,
Wo die Trauben ihren Wein,
Die Geschöpfe Leben saugen.

Könnt ich dir zu fühlen geben,
All' die Wohltat deines Blicks!
Schöpfer meines ganzes Glücks,
Spricht er über Tod und Leben.

Aber Angst und Furcht und Schröcken
Ueberfällt im höchsten Wohl
Mich auf einmal: Phillis! soll
Diesen Blick einst Nacht bedecken?

Sollen diese Zaubermienen,
Wo der Liebe ganze Macht
Mir das Herz hinweg gelacht,
Einst dem trüben Unmut dienen?

Dieser Busen, der mir Triebe
Banger Lust entgegen schwoll,
Soll er schwinden? Himmel! soll
Ihn kein Wunsch empören, Liebe?

Phillis, soll sogar dein Feuer
Und dein schöner Witz dich fliehn?
Ungetreue - sieh mich knien,
Dennoch bleibst du, bleibst mir teuer.

Fährt dein Herz nur fort zu schlagen
Für das Herz, das dich verehrt,
Dem du diese Glut gelehrt,
Sie bis in sein Grab zu tragen.

Ach ich will dich mit Entzücken,
Wenn dein Herz nur fühlbar ist,
Selbst wenn du es nicht mehr bist,
An des Greisen Schneebrust drücken.

Auf verwelkten Lippen schweben
Unsre Seelen noch vereint,
Wenn das Auge nicht mehr weint,
Soll es doch zu weinen streben.

Zitternd falten wir die Hände
Ineinander, halb vertaubt,
Stützen wir noch Haupt an Haupt,
Und erwarten so das Ende.
(S. 33-35)
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An **

Das dich umgiebt, belebest du;
Dein Auge gießt wie Saft der Reben
In tote Adern Geist und Leben
Und führt dem Herzen Feuer zu.

Dem Kranken läuft das Blut geschwinder;
Der alte Mann, die kleinen Kinder,
Warm von dem ungewohnten Glück,
Umhüpfen deinen frohen Blick.

O Phillis, diesen Blick umgiebt
All' alles, was man wünscht und liebt.
Ich möchte sonst kein Glück erwerben,
Als voll von diesem Blick zu sterben.

Drum flieg' ich, Räubrin meiner Ruh!
Daß mir dein Aug' den Tod soll geben,
Dir täglich voller Sehnsucht zu,
Und täglich - schenkt es mir das Leben.
(S. 36)
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An **

In der Nacht im kalten Winter
Wird's so schwarz und graulich nicht,
Als in meinem armen Herzen
Fern von deinem Angesicht.

Aber wenn es wieder lächelt
In die Seele mir hinein,
Werd' ich jung und neu geboren,
Wie das Feld im Sonnenschein.

Du allein giebst Trost und Freude;
Wärst du nicht in dieser Welt,
Stracks fiel alle Lust zusammen,
Wie ein Feuerwerk zerfällt.

Wenn die schöne Flamm' erlöschet,
Die das all gezaubert hat,
Bleiben Rauch und Brände stehen
Von der königlichen Stadt.
(S. 37)
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Bebe, beb' ihr auf zu Füßen
Frühlingserde, und ein Flor
Junger Veilchen sie zu grüßen
Keim' aus deinem Schoß hervor.

Sagt ihr Veilchen eure Wonne,
Daß ihr sie zu sehn gekriegt,
Sagt ihr, daß in eurer Sonne,
Fern von ihr, ein Bruder liegt.
(S. 38)
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Als Widmung

Fühl alle Lust, fühl alle Pein
Zu lieben und geliebt zu sein,
So kannst du hier auf Erden
Schon ewig selig werden.
(S. 38)
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An das Herz

Kleines Ding, um uns zu quälen,
Hier in diese Brust gelegt!
Ach wers vorsäh, was er trägt,
Würde wünschen, tätst ihm fehlen!

Deine Schläge, wie so selten
Mischt sich Lust in sie hinein!
Und wie Augenblicks vergelten
Sie ihm jede Lust und Pein!

Ach! und weder Lust noch Qualen
Sind ihm schrecklicher als das:
Kalt und fühllos! O ihr Strahlen,
Schmelzt es lieber mir zu Glas!

Lieben, hassen, fürchten, zittern,
Hoffen, zagen bis ins Mark,
Kann das Leben zwar verbittern;
Aber ohne sie wärs Quark!
(S. 39)
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Die erste Frühlingspromenade

Der Baum, der mir den Schatten zittert,
Der Quell, der mir sein Mitleid rauscht,
Der Vogel, der im Baume zwittert,
Und, ob ich ihn auch höre, lauscht;
Die ganze freundliche Natur
Nimmt mich umsonst in ihre Kur.

Die Weisheit, strengen Angesichtes
Und guten Herzens, aber kalt,
Lacht meines glühenden Gedichtes
Von Liebe - und doch glaubt sie's bald;
Will mich entzaubern, trösten mich,
Bezaubert und verirret sich.

Die Schöne, die auf jungen Rosen
Des liebesbangen Maien liegt,
Von der, dem Kummer liebzukosen,
Mir Blick und Wunsch entgegen fliegt,
Die schraubt mein mir entrücktes Herz
Nur höher auf zu wilderm Schmerz.

Ach Phyllis! um gleich jenen Knaben
In Sturmhaub' und Perück' und Stern,
 So froh die Fluren zu durchtraben,
Müßt' ich von diesen weisen Herrn
Die Kälte und die Blindheit haben;
Müßt' ich, in meinem Selbst vergraben,
Dich, Gottheit, nie gesehen haben;
So hold, so nah mir - und so fern - -
(S. 40)
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Der Dichter, verliebt

Ich dich besingen, Phillis? - Nein!
Ich fühle dich zu sehr, um jetzt nicht stumm zu sein.
(S. 41)
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Süße Schmerzen meiner Seele,
Angenehme Pein,
Und doch muß bei dem Gequäle,
Diese Seele heiter sein,

Muß geliebt von allem, was auf Erden
Liebenswert und heilig ist,
Seiner Sehnsucht Opfer werden,
Wie mein Bruder! du es bist.
(S. 42)
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Auf eine Papillote
welche sie mir im Konzert zuwarf

Meinstu, mit Zucker willst du meine Qual versüßen?
Mitleidig göttlich Herz! wie wenig kennst du sie?
Wenn sich nach Mitternacht die nassen Augen schließen
Schläft doch mein Herz nicht ein, es wütet spat und früh.
Vor Tage lieg ich schon und sinn auf mein Verderben
Und strafe mich oft selbst und nehm' mir Tugend vor
Und kämpf und ring mit mir und sterb und kann nicht sterben,
Weil mich mein Unstern nur zum Leiden auserkohr.
Ich soll dich sehn und fliehn? Dein Lächeln sehn und meiden?
Und du verstehst es wohl, wo mirs am wehsten tut.
Du hassest meine Ruh, es scheint dich freut mein Leiden,
Du wünschst es größer noch, es scheint du willst mein Blut.
So nimm es Göttliche! ein kleines Federmesser
Eröffnet mir die Brust, wie sanft würd es mir tun?
Ach tus, durchbohr mein Herz, gewiß, dann wird mir besser,
In deinen Armen will ich dann vom Leben ruhn.
Ach welche Süßigkeit! von Lieb und Wollust trunken
Schläft dann mein mattes Haupt von seiner Unruh ein,
Auf deinen süßen Schoß verliebt herabgesunken,
Und küsset sterbend noch die Ursach seiner Pein.
Ja tus! von deiner Hand wie kann der Tod mich schröcken?
Es ist das größte Glück, das ich erhalten kann.
Ein Stoß, so ists geschehn: wie süß wird er mir schmecken,
Ein kleiner Stoß, und dann geht erst mein Leben an.
Dann will ich zärtlich dir als Geist zur Seite schweben,
Dann wehrt es niemand mir, du selber wehrst es nicht;
Denn darf ich ungescheut dem Munde Küsse geben,
Der so verführisch lacht und so bezaubernd spricht.
Dann darf, so lang ich will, mein Auge nach dir sehnen,
Denn hasch ich deinen Blick und schließ ihn in mein Herz.
Denn wein ich, wenn ich will, und niemand schilt die Tränen,
Dann seufz ich, wenn ich will, und niemand schilt den Schmerz.
Dann will ich dir im Traum zu deinen Füßen liegen
Und wachend horch ich auf, wie dirs im Busen schlägt.
Bist du vergnügt, o Glück! so teil ich dein Vergnügen,
Wo nicht, so teil ich auch, was dir Verdruß erregt.
Dann mein unschätzbar Gut! dann straft mich das Gewissen
Für meine Liebe nicht, nur dann, dann steht mirs frei;
Dann fühl ich keinen mehr von den verhaßten Bissen
Als ob ich Frevler Schuld an deiner Unruh sei.
Dann bist du meiner los, nicht wahr du bist es müde
Von mir gekränkt zu sein? dann weißt du es nicht mehr
Was mich schmerzt oder nicht, denn hast du ewig Friede,
Denn nach dem Tode rührt mein Schmerz dich nicht so sehr.
Selbst ach! dein Glück verlangts, ich fühl es, ach! mit Zittern,
Daß ich im Wege bin - so tu es beste Hand!
Ich muß mir täglich nur das Leben mehr verbittern,
Und tust du's nicht - denn Gott! erhalt mir den Verstand! -
(S. 43-44)
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Geduld und unerschrockner Mut
Beseelen mein getreues Blut,
Ich fürcht mich nicht zu sterben.
Der Himmel kostet Leiden hier,
Ich leide froh, kann ich von dir
Mir einen Blick erwerben.

Nur du verdienst beglückt zu sein,
Drum will ich gerne Gram und Pein
In meine Brust verschließen.
Den Tränen will ich wiederstehn,
Du Engel sollst sie nimmer sehn
Auf meine Wangen fließen.

Ach traue deutscher Redlichkeit,
Die sich zu deinem Dienste weiht,
Und willst du sie belohnen,
So müsse Tag und Nacht der Schmerz
Dir fremde sein und Lust und Scherz
Dein schönes Herz bewohnen.

Alsdann mein Kind ist alles gut,
Alsdann so mag mein junges Blut
Für dich die Erde färben.
 Es ist mir sonst nichts fürchterlich
Als dich betrübt zu sehen, dich!
Viel sanfter tuts zu sterben.

Drum fleh ich, heitre dein Gesicht,
Ich scheue Höll und Himmel nicht,
Bleibt mir dein Auge offen.
Wenn du vergnügt und glücklich bist,
Und stünd ich auf dem Richtgerüst,
Dann ist mein Ziel getroffen.

Und wär ich in der Sklaverei,
Und hätte nur den Trost dabei,
Für dich, für dich zu leiden;
Und wär ich jenseits überm Meer
Und wüst, daß Clephchen glücklich wär,
Doch wär ich zu beneiden.

Nur sie, nur sie muß glücklich sein,
Nur sie, nur sie verdients allein;
Und gieng die Welt zu Grunde,
Ich selber mit - o wie so schön
Würd ich alsdann zu Grunde gehn.
Schlag bald, du schöne Stunde!
(S- 45-46)
_____



Von dir entfernt, dir immer nah,
O du mein Leben, Seraphine,
Ist das ein Traum, was mir geschah?
Mich tröstet, daß ichs nicht verdiene.
Nein, selbst dein Zorn verschönert dich
Und ist das höchste Gut für mich.
In dieser Einsamkeit, des kurzen Lebens müde,
Das ich doch nicht verlieren kann,
Da schenkst nur du, mein Glück! dem bangen Herzen Friede,
Das dich auf ewig liebgewann.
Wie, wer verbietet mirs? wer kann es mir verbieten?
Ist das ein Laster, Götterbild!
Von dir gerührt zu sein? wer kann sein Herz behüten
Wenn selbst der Himmel nicht solch eine Neigung schilt.
Nein Göttliche! solch eine Lieb ist Pflicht,
Für die will ich mein Blut verströmen,
Man kann mir zwar das Leben nehmen,
Doch meine Liebe ewig nicht.
Ich kenne dich nicht erst von heute,
Ich kenne dich von jeder schönen Seite.
Ich bete, denk ich noch daran,
Dank, Sehnsucht, Tränen in den Blicken,
Den, der dich schuf, mit heiligem Entzücken
Und dich, sein schön Geschöpfe, an.
Ach wieviel Glück ist selbst in diesen Tränen,
Nach wem kann sich mein Herz sonst sehnen
Als nur nach dir und stets nach dir
Und dies - nur dies - verbeut man mir?
Dies reine Feuer macht ein Bube, sich zu rächen,
Mir zu dem schwärzesten Verbrechen?
Und du mit ihm? Du die Gerechtigkeit,
Die Güte selbst? War es Verwegenheit
Dich anzusehn? Gott! ist es eine Sünde,
Wenn ich in dir den Himmel finde,
Mit aller seiner Seeligkeit?
Schiltst du ein Kind, das dir die Hände küßt,
Dafür, daß du ihm freundlich bist?
Hast du mich je in den beglückten Stunden,
Da ich noch nicht verstoßen war,
Wohl anders als ein Kind gefunden,
Und worin lag denn die Gefahr?
Ach Seraphine, Seraphine,
Es tötet mich, daß ich das nicht verdiene.
(S. 47-48)
_____



Auf eine Quelle,
worin F. W. sich gewöhnlich baden soll

Heilige Quelle,
Wie so schön helle!
Ach wärst du nicht so rein
Ich legte mich hinein.
Zwar wär es Sünd' auf lebenlang:
Doch macht mir nicht die Hölle bang.
Hab ich sie doch im Busen hier,
So lange W- fehlet mir.
Heilige Quelle,
Wie so schön helle
Ach! trocknetest du nicht für Glut,
Als sie sich legt' in deine Flut,
Ach! hast du nicht mit geistigem Verlangen
Den schönen Leib umfangen?
Warf nicht der Baum sein blühend Haar
All hin auf ihrer Augen Paar,
Und deckte, daß sie es verstund,
Mit Lilien den Rubinenmund,
Mit Lilien sie um und um
Und klagte so sein Leiden stumm?
Heilige Quelle,
Wie so schön helle
Du weißt es wohl, daß sie dich kennt,
Dir gerne deine Freude gönnt,
Ach! aber ich - mich kennt sie nicht
Und gönnt mir nicht ihr Angesicht.
(S. 52)
_____



Urania

Du kennst mich nicht,
Wirst nie mich kennen,
Wirst nie mich nennen
Mit Flammen im Gesicht.

Ich kenne dich
Und kann dich missen -
Ach mein Gewissen,
Was peinigest du mich?

Dich missen? Nein,
Für mich geboren -
Für mich verloren?
Bey Gott es kann nicht sein.

Sei hoch dein Freund
Und groß und teuer -
Doch, ist er treuer
Als dieser, der hier weint?

Und dir mißfällt - -
O Nachtgedanken!!
Kenn' ihn, den Kranken,
 Sein Herz ist eine Welt.
(S. 53)
_____



Impromptu auf dem Parterre

Dies Erschröcken, dies Verlangen,
Das mich, als du kamst, umfangen,
Dies Gefühl - wer zauberts nach?
Gott! wie schlug das Herz so schwach -
Als mein Glas ihn überraschte,
Jenen Blick, nach dem ich haschte,
Jenen Blick - o Huldgöttin!
Welch ein Himmel war darin!

Sieh mein Herz, das nach dir bebte,
Kannt' ich gleich die Ursach nicht,
Zog, obschon ich widerstrebte,
Stets mein Aug' auf dein Gesicht,
Bis ich, ohne daß ich wußte,
Wer du wärest, weinen mußte.
(S. 55)
_____



Aus ihren Augen lacht die Freude,
Auf ihren Lippen blüht die Lust,
Und unterm Amazonenkleide
Hebt Mut und Stolz und Drang die Brust
Doch unter Locken, welche fliegen
Um ihrer Schultern Elfenbein,
Verrät ein Seitenblick beim Siegen
Den schönen Wunsch besiegt zu sein.
(S. 57)
_____



Ach du, um die die Blumen sich
Verliebt aus ihren Knospen drängen,
Und mit der frohen Luft um dich
Entzückt auch ihren Weihrauch mengen,
Um die jetzt Flur und Garten lacht,
Weil sie dein Auge blühen macht;

Ach könnt ich jetzt ein Vogel sein
Und im verschwiegnen Busch es wagen,
Dir meines Herzens hohe Pein,
Die ohne Beispiel ist, zu klagen.
Empfändest du die Möglichkeit
Von dieser Qualen Trunkenheit:

Vielleicht, daß jener Busen sich
Zu einem milden Seufzer hübe,
Der mich bezahlte, daß ich dich
Noch sterbend über alles liebe!
(S. 58)
_____



Wie mach ich es? wo heb ich Berge aus
Mich ihr zu nähern? wer kommt mir zu Hülfe?
O wär ich leicht wie Zephir, wie ein Sylphe,
Ach oder dürft ich in ihr Haus
Unmerkbar leise wie die Maus!
O wär ein Zaubrer da, mich zu zerschneiden, spalten
Mich tausendartig zu gestalten:
Gönnt er mir nur das Glück, ihr Angesicht zu sehn,
In tausend Tode wollt ich gehn.
Die schwarzen Augen, deren süßes Feuer
Zu Boden wirft, was ihnen naht, der Schleier
Des unbezwungnen Geistes, der von jedermann
Anbetung sich erzwingt, auch wer ihn hassen kann.
Das holde Mündchen, das so fein empfindet,
So zärtlich liebet, das schalkhafte Kinn
Gebildt von einer Huldgöttin.
(S. 59)
_____



 Ich will, ich will den nagenden Beschwerden
Ein Ende machen, will zur Quelle werden.
Tief unterm Herzen diese Qual
Ach Gott, verweint ich sie einmal!
Vielleicht, vielleicht, versäh sie sich,
O selger Quell! und nehme mich für dich!
(S. 59)
_____



An ihrem Blicke nur zu hangen
Verlang ich, weiter nichts,
Und von dem Reichtum ihres Lichts
Ein Fünkchen in mein Herz zu fangen.
(S. 60)
_____



Pygmalion

An diesen Lippen, diesen Augen,
Die Welt vergessend, hinzuhangen,
Und aus den rosenroten Wangen
Des Lebens Ueberfluß zu saugen;
An dieses Busens reiner Fülle
Die Schmerzen meiner Brust zu wiegen,
Und auf des Schoßes Fried' und Stille
Mit tränenmüdem Haupt zu liegen:
Das war mein Wunsch - das ist mein Grämen -
Und soll mir doch kein Schicksal nehmen.
(S. 62)
_____



An W-.

Ach eh ich dich, mein höchstes Ziel,
Eh ich dich fand, welch mutlos Streben,
Welch regelloses Fibernspiel,
Bald der, bald der mein junges Leben
Mit allen Freuden Preis zu geben,
Nachdem es ihrem Stolz gefiel.
Und keine sah es, was ich litte,
Und keine hörte meine Bitte,
Verstand mein Sehnen, meine Pein,
Mir liebenswert, mir was du bist, zu sein.
Jetzt hab ich dich - und soll dich lassen -
Eh möge mich die Hölle fassen!
(S. 63)
_____



Lotte klagt um Werther

Erwach ich zum Gefühl, stößt die beklemmte Brust
Die Seufzer aus, die sie erstickt sich unbewußt,
Ist's recht auch, daß zu deinem Grab die Tränen fließen,
Die zur Erleichtrung sich aus trübem Aug ergießen?
Ists Pflicht, sich sinnenlos um eingestandne Pein,
Verstummend, unerklärt im Herzen zu verzeihn?
Verdunkelt sind nunmehr die Freuden meiner Tage,
Dein traurig Schicksal bleibt der Vorwurf meiner Klage.
Und laß die Welt mich schmähn, Albert wird mir verzeihn,
Dich liebt ich als den Freund höchst zärtlich, engelrein,
Ein allzuzärtlich Herz verlangte Albert nicht.
Gern hätt es eingestimmt zu der geliebtern Pflicht,
Dem unglückseel'gen Freund kein'n Hoffnungsblick zu geben,
Um ihm die stille Glut im Busen zu beleben.
Ja ich, ich wars, dies ihm aus seiner Brust fortriß.
Durch mich beweint in hoffnungsloser Kümmernis
Die Mutter, den geraubt, den Sohn
Und Wilhelm seinen Freund, den er dort fern vom Thron,
Dem Abadona gleich, vielleicht von weiten sieht
Und heiliger verklärt von ihm nun traurig flieht.
Dort, wo du einsam ruhst, dort irrt die Phantasei
In schwermutvolle Lust und bricht in Melodei
Der Trauertöne aus, häuft Vorwurf auf den Schmerz,
Der langsam tötend auch zerreißt mein leidend Herz.
Das rührende Geschenk, das dein Hand mir gab,
Erinnert mich ans Grab,
Ach! wär es mein Geschick, dich einst zu überleben,
Für was für einen Preis hätt' ich mich dir ergeben! -
Ich schaudre, fühl es kalt durch meine Adern gehen,
Versteinert bleibt mein Herz als Monument hier stehen.
(S. 119)
_____



An Henriette

Von Gram und Taumel fortgerissen,
Verzweiflungsvoll dein Bild zu küssen,
Ach, alles, was mir übrig ist.
Dies Bild will ich am Munde halten,
Wenn alles an mir wird erkalten,
Und du mir selbst nicht denkbar bist.
(S. 120)
_____



Verzeih den Kranz, den eines Wilden Hand
Um dein geheiligt Bildnis wand,
Hier, wo er unbekannt der Welt,
In dunkeln Wäldern, die ihn schützen,
Im Tempel der Natur es heimlich aufgestellt,
Und wenn er davor niederfällt,
Die Götter selbst auf ihren Flammensitzen
Für eifersüchtig hält.
(S. 121)
_____

Aus: Gesammelte Schriften von Jacob Mich. Reinhold Lenz
Zweiter Band: Gedichte
Verlegt bei Paul Cassirer Berlin W 1909

 


Biographie:

http://de.wikipedia.org/wiki/Jakob_Michael_Reinhold_Lenz

 

 


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