Liebespaare in der Literatur
 


Edmund Blair Leighton (1853-1922)
Abaelard und seine Schülerin Heloise

 


Abälard und Heloise
 



Inhaltsverzeichnis:

Abälard und Heloise - Briefe
Christian Hofmann von Hoffmannswaldau (1617-1679) - Liebe und Lebenslauff Peter Abelard und Heloisen
Gottfried August Bürger (1747-1794) - Heloise an Abelard
Nikolaus Lenau (1802-1850) - Heloise
Luise von Ploennies (1803-1872) Abälard und Heloise - Ein Sonettenkranz
Alexander Pope (1688-1744) - Heloise an Abelard
Friedrich Bouterwek (1766-1828) - Abelard an Heloise (1)
Friedrich Bouterwek (1766-1828) - Abelard an Heloise (2)
Wilhelm Wackernagel (1806-1869) - Abailard und Heloise
Minna Kleeberg (1841-1878) - Abälard und Heloise
David Goldfeld (1904-1942) - Lied Abälards
Karl Ludwig Kannegießer (1781-1861) - Heloise

Mathias Leopold Schleifer (1771-1842) - Heloise an Abelard
 




Briefe
(Auszüge)

Erster Brief
Ihrem Herrn, ja Vater; ihrem Gatten, ja Bruder; seine Magd, ja Tochter; sein Weib, ja Schwester:
an Abälard seine Heloise

Dein Trostbrief an einen Freund, mein Geliebtester, hat neulich mir Jemand zufällig überbracht. Da ich ihn sogleich nach dem Anblick der Aufschrift als den Deinigen erkannte, so begann ich um so glühender ihn zu lesen, je inniger ich den Schreiber selbst umfasse, daß wenn mir auch seine Person verloren ist, ich doch durch sein Wort wenigstens wie durch ein Bild von ihm erquickt werde. Es war, erinnere ich mich, im Briefe fast Alles Galle und Wermuth; er erzählte ja die jammerreiche Geschichte von unsrer Einkehr in's Kloster und Dein fortwährendes Kreuz! Dort hast Du in der That erfüllt, was Du im Eingange dem Freund versprachst, daß nehmlich im Vergleich mit der Deinigen er seine Noth für keine oder eine kleine halten könnte. Du erzählst die Verfolgungen Deiner Lehrer gegen Dich, dann den schmählichen Verrath, der Deinen Körper traf, und wendest hierauf den Griffel zum fluchwürdigen Neid und der unersättlichen Feindschaft Deiner Mitschüler, Alberichs und Lodulfs des Lombarden. Auch jenes übergehst Du nicht, wie durch ihren Einfluß gegen das ruhmvolle Werk Deiner Theologie, wie gegen Dich selbst verfahren ward, den sie gleichsam zum Kerker verdammten. Dann kommst Du zu den Anschlägen Deines Abtes und der treulosen Brüder, zu den unerträglichen Verleumdungen jener beiden falschen Apostel, die Dir die genannten Nebenbuhler angeregt, und zu dem Ärgerniß, das die Meisten an dem Namen Paraklet genommen, den Du unserm Bethhaus gegen die herkömmliche Sitte beigelegt, endlich zu den schrecklichen und noch andauernden Angriffen auf Dein Leben durch jenen grausamen Landverwüster und die niederträchtigen Mönche, welche Du Söhne nennst, und hiermit vollendest Du die jammerreiche Geschichte. Niemand, glaub' ich, kann dies Alles mit trocknen Augen lesen oder hören, meinen Schmerz aber mußte es um so mächtiger erneuen, je genauer das Einzelne dargestellt war, um so höher ihn steigern, da Du erzählst, wie jene Gefahren für Dich noch wachsen, sodaß wir Alle auf gleiche Weise dahin gebracht sind an Deinem Leben zu verzweifeln, und stündlich unser Busen und pochendes Herz jener Kunde von Deinem Tod entgegensehen. Bei ihm selber also, der Dich bis heute für seinen Dienst auf jede Weise schirmt, bei Christus beschwören wir Dich, Du mögst seine und Deine Mägde würdigen, ihnen recht oft über den Sturm, von dem Du noch schiffbrüchig einhergeschleudert wirst, brieflich sichere Nachricht zu geben, damit Du uns wenigstens, die wir Dir einzig geblieben sind, zu Genossen des Schmerzes oder Freude habest. Mitleidende pflegen ja dem Leidenden einigen Trost zu gewähren, und jede Last, die Mehreren aufgelegt ist, wird leichter getragen oder abgeworfen. Wenn aber jenes Ungewitter ein wenig ruht, so müssen Deine Briefe um so schneller kommen, je mehr sie uns erfreuen werden. Was Du aber auch schreiben magst, es wird uns Alles zum Heile gereichen. Und wie angenehm die Briefe abwesender Freunde sind, das lehrt uns ja auch Seneca durch sein eignes Beispiel, wenn er irgendwo an Lucilius also schreibt: "Ich danke Dir, daß Du mir häufig schreibst; denn Du zeigst Dich mir auf die einzige Art, die Dir möglich ist; niemals empfange ich Deinen Brief, ohne daß wir sofort vereint wären." Wenn uns schon die Bilder abwesender Freunde angenehm sind, welche die Erinnerung auffrischen und die Sehnsucht der Abwesenheit mit eitlem und leerem Trost erleichtern, wie viel angenehmer sind uns erst die Briefe, welche die wahren Züge des fernen Freundes bringen! Gott sei Dank, daß wenigstens diese Gegenwart uns zu gewähren kein Neid Dich abhält, keine Schwierigkeit Dich hindert; o möge, ich beschwöre Dich, auch keine Nachlässigkeit Dich säumen lassen! Du hast dem Freunde einen langen Brief geschrieben zum Troste zwar für seine Widerwärtigkeiten, aber über die Deinigen. Indem Du die Deinigen sorgsam aufzähltest und ihn zu trösten gedachtest, hast Du meine Trostlosigkeit nur noch erhöht, und während Du seine Wunden heilen wolltest, hast Du mir alte Wunden aufgerissen und neue schmerzliche geschlagen. Heile selbst, ich beschwöre Dich, was durch Dich geschehen, der Du der Sorge für das ein Genüge thust, was durch Andre geschehen ist. Einem Freund und Genossen warst Du willfährig und löstest die Schuld der Freundschaft und Genossenschaft; aber in größrer Verpflichtung hast Du Dich uns verbunden, die Dir nicht sowohl Freundinnen als Geliebte, nicht sowohl Genossinnen als Töchter zu nennen ziemt, oder wenn ein noch süßeres und heiligeres Wort erdacht werden kann.
Wie sehr Du aber uns verbunden und verpflichtet bist, das bedarf nicht Beweis oder Zeugniß, als ob etwas Zweifelhaftes bestätigt werden sollte; und wenn Alle schwiegen, würde die Sache selber laut reden. Denn Du bist nächst Gott der einzige Gründer dieses Orts, der einzige Erbauer dieses Bethhauses, der einzige Urheber dieses Zusammenseins. Nichts hast Du auf fremden Grund gebaut, Alles, was hier ist, ist Deine Schöpfung. Diese Einöde war nur für wilde Thiere und Räuber ein Aufenthalt, sie kannte keine menschliche Wohnung, sie hatte kein Haus. In den Lagerstätten des Wildes, in den Höhlen der Räuber selbst, wo Gott nicht pflegt genannt zu werden, hast Du ein göttliches Zelt aufgeschlagen und hast dem heiligen Geiste einen Tempel geweiht. Nichts hast Du zu seiner Erbauung aus den Schätzen der Könige und Fürsten genommen, da Du selber das Meiste und Größte vermochtest, und was geschah, kann Dir allein zugeschrieben werden. Geistliche und Schüler strömten zu Deinem Unterricht hier zusammen und brachten Dir um die Wette alles Nöthige dar; und die von den Wohlthaten der Kirche lebten und Opfer nicht zu bringen, sondern nur zu empfangen wußten, und ihre Hände nur zum Nehmen, nicht zum Geben hatten, die brachten hier verschwenderisch und ungestüm das Ihrige dar. Dein ist also, in Wahrheit Dein eigen diese neue Pflanzung in heiligem Willen, deren meist noch zarte Pflanzen häufiges Begießen verlangen, damit sie gedeihen. Schwach genug ist schon nach der Natur des weiblichen Geschlechts diese Pflanzung; sie ist nicht stark, auch wenn sie nicht eine neue wäre. Darum fordert sie um so sorgsamere und häufigere Pflege, nach dem Spruch des Apostels: "Ich habe gepflanzt, Apollo hat begossen, aber Gott hat das Gedeihen gegeben." Gepflanzt hatte der Apostel und gegründet im Glauben durch die Lehre seiner Predigt die Korinther, denen er schrieb. Begossen hatte sie der Schüler des Apostels, Apollo, mit heiligen Ermahnungen, und so gab ihnen die göttliche Gnade das Gedeihen der Tugend in reichem Maße. Den Weinberg fremder Reben, den Du nicht gepflanzet hast, der Dir zur Bitterkeit verkehret ist, den pflegst Du oft mit fruchtlosen und umsonst heiligen Reden. Was Du den Deinen schuldig bist, beachte, der Du so für Feinde Deine Sorge aufwendest. Du belehrest und ermahnest die Aufrührerischen und förderst nichts. Vergebens wirfst Du die Perlen göttlicher Rede vor die Säue. Der Du den Widerstrebenden so Vieles bietest, erwäge, was Du den Gehorsamen schuldig bist. Der Du den Feinden so reichlich und vielfach gibst, besinne Dich, was Du den Töchtern schuldig bist. Und um von den Andern zu schweigen, bedenke, wie Du mich Dir verbunden hast, daß das, was Du gemeinsam den ergebenen Frauen schuldig bist, Du Deiner Einzigen um so ergebener lösen mögest. Deine Herrlichkeit aber weiß es besser als meine Schwachheit, welche und wie viele Schriften zur Lehre, zur Ermahnung oder auch zum Trost heiliger Frauen die heiligen Väter und mit welchem Fleiß verfaßt haben. Darum sehe ich Dich jetzt nicht ohne schmerzliche Verwunderung die noch zarten Anfänge unserer Bekehrung schon eine Zeit lang vergessen, da weder die Ehrfurcht vor Gott, noch die Liebe zu uns, noch das Beispiel der heiligen Väter Dich antreibt, daß Du mich, die noch Schwankende und von langem Kummer Darniedergeschlagene, entweder gegenwärtig durch Deine Rede, oder abwesend durch einen Brief zu trösten suchest.
Und Du weißt doch, daß Du mir größrer Schuld verpflichtet bist, je inniger der Bund des ehelichen Sakramentes uns aneinanderkettet, daß Du mir um so mehr ergeben sein mußt, je heißer ich Dich stets, wie Alle wissen, mit unendlicher Liebe umfaßt habe. Du weißt, Geliebtester, Alle wissen es, wie viel ich in Dir verloren habe, und durch welches unselige Geschick der äußerste Verrath mich selber und Dich mir entrissen hat, und wie unvergleichlich größer der Schmerz des Verlustes jetzt ist, als der des Schadens war. Je größer aber die Ursache des Leidens ist, desto größere Mittel des Trostes müssen angewandt werden, nicht von einem Andern sonst, sondern von Dir selbst, daß der Du allein des Leidens Ursache warst, auch allein seist in der Gnade des Trösters. Du bist es ja allein, der mich betrüben, der mich erfreuen oder mich trösten kann. Und Du bist es allein, der vorzüglich das mir schuldig ist, und darum am meisten, weil ich Alles, was Du befohlen, soweit erfüllt habe, daß ich, die Dir in nichts zuwider sein konnte, auf Deinen Befehl mich selbst dahinzugeben vermochte. Und was noch ein Größeres ist und wunderbar klingt, in solche Raserei ist meine Liebe verwandelt, daß, was sie einzig begehrte, sie selber sich ohne Hoffnung des Wiedergewinnes entzog, da ich sogleich auf Dein Gebot ein andres Kleid und einen andern Sinn annahm, auf daß ich Dich als den alleinigen Herrn meines Leibes wie meiner Seele erwiese. Nichts habe ich jemals, Gott weiß es, in Dir gesucht, als Dich selber, rein nur Dich und nicht das Deinige begehrend. Nicht den Bund der Ehe, nicht andre Heirathsgüter habe ich erwartet, nicht meinen Willen und meine Lust, sondern Deine zu erfüllen gestrebt, wie Du es selber weißt. Und wenn der Name der Gattin heiliger und würdiger scheint, süßer doch war mir's immer, Deine Geliebte zu heißen, oder, wenn Du nicht darüber zürnen willst, Deine Buhle oder Hetäre; damit je tiefer ich mich für Dich erniedrigte, ich um so größere Huld und Gnade bei Dir fände, und den Glanz Deiner Herrlichkeit weniger beleidigte.
Diese hast Du um Deiner selbst willen nicht ganz in dem oben erwähnten Briefe vergessen, den Du einem Freunde zum Troste geschrieben. Dort hast Du auch nicht verschmäht einige Gründe aus einander zu setzen, durch die ich Dich von unsrem Ehebund und seinem unheilvollen Lager abzuhalten versuchte, die meisten aber verschwiegen, aus denen ich die Liebe der Ehe, die Freiheit der Fessel vorzog. Gott rufe ich zum Zeugen an, wenn Augustus, der Beherrscher der ganzen Welt, mich der Ehre seiner Gattin würdigen und mir die Herrschaft des ganzen Erdkreises für alle Zeit bestätigen wollte, so würde es mir lieber und würdiger erscheinen, Deine Buhle genannt zu werden, als seine Kaiserin; denn der Reichste und Mächtigste ist darum nicht auch der Beste, jenes ist des Glückes, dieses der Tugend Werk. Täusche sich auch Die nicht darüber, daß sie sich bloß verkauft, die lieber einem Reichen als einem Armen sich vermählt und mehr in ihrem Manne das Ihrige, als das Seine begehrt. Gewiß, welche von solcher Begierde zur Ehe geführt wird, der gebührt mehr ein Sold, als die Huld der Liebe. Denn gewiß, ihr gilt es um das Vermögen, nicht um den Mann, sie würde sich, wenn sie könnte, dem Reicheren preisgeben. Dieses beweist auch offenbar das Gespräch, welches beim Sokratiker Aeschines die Philosophin Aspasia mit dem Xenophon und seiner Gattin führt; dieses Gespräch, das die genannte Philosophin zur Aussöhnung der Beiden begonnen, schloß sie folgendergestalt: "Denn wenn ihr dieses vollbringt, daß weder ein Mann besser noch eine Frau auf Erden fröhlicher sei, wahrlich, dann werdet ihr vor Allem zumeist nach dem trachten, was ihr für das Beste halten werdet, daß Du der Gatte des besten Weibes und sie dem besten Manne vermählt sei." Wahrlich ein heiliger und mehr als philosophischer Ausspruch, den die himmlische Weisheit selbst, nicht blos das Streben nach Weisheit geboren. Ein heiliger Irrthum ist dies und eine selige Täuschung der Gatten, wodurch die vollkommne Liebe den Bund der Vermählung unverletzt bewahrt, nicht so sehr in Enthaltsamkeit des Leibes, als in Keuschheit der Seele.
Aber was Täuschung bei Andern, das hatte die offenbarte Wahrheit bei mir bewirkt; denn was jene von ihren Männern meinen möchten, das hab' ich, das hat die ganze Welt von Dir nicht sowohl geglaubt, als gewußt, sodaß meine Liebe zu Dir um so wahrer erfunden ward, je ferner alle Täuschung blieb. Denn wer der Könige oder der Philosophen konnte Deinem Ruhme gleichkommen? Welches Land, welche Stadt, welches Dorf brannte nicht Dich zu sehen? Wer, ich bitte Dich, eilte nicht Dich zu erblicken, wenn Du öffentlich auftratest, wer folgte, wenn Du wegginst, nicht mit vorgestrecktem Halse, mit auf Dich gerichteten Augen? Welche Vermählte, welche Jungfrau sehnte sich nicht nach dem Fernen, entbrannte nicht für den Gegenwärtigen? Welche Königin, welche hochgestellte Frau beneidete nicht meine Freuden oder mein bräutliches Lager?
Zweierlei aber, ich gestehe es, war Dir eigenthümlich, wodurch Du die Herzen aller Frauen sogleich gewinnen konntest: die Anmuth des Worts und des Gesanges; und das war den andern Philosophen bekanntlich keineswegs verliehen. Indem Du hieran wie an einem Spiel Dich von der Anstrengung philosophischer Arbeiten erholtest, hast Du viele im Maß oder Rhythmus der Liebe gedichtete Lieder hinterlassen, die wegen überschwänglicher Süßigkeit so der Worte wie der Melodie häufig nachgesungen meinen Namen in Aller Munde unaufhörlich erhielten, sodaß die Lieblichkeit wohllautenden Gesanges auch die Ungebildeten Deiner niemals vergessen ließ. Und daher besonders seufzten die Frauen in Liebe zu Dir. Und da der größte Theil jener Lieder unsre Liebe besang, so verkündeten sie vielen Ländern meinen Namen in kurzer Zeit, und entzündeten gegen mich den Neid vieler Frauen. Denn welches Gut der Seele oder des Leibes schmückte Deine Jugend nicht? Welche von Allen, die mich damals beneideten, triebe nicht mein Unglück jetzt zum Mitleid, da ich solcher Wonnen beraubt worden bin? Welchen Mann oder welche Frau, mögen sie mir auch Anfangs feind gewesen sein, erweichte mir jetzt nicht das verdiente Mitleid? Und am meisten schuldig, bin ich dennoch, wie Du weißt, am meisten unschuldig. Denn nicht im Erfolg der That, sondern in des Thäters Gesinnung besteht das Verbrechen, und die Billigkeit wägt nicht was geschieht, sondern in welchem Geiste es geschieht. Welche Gesinnung ich aber immer gegen Dich hegte, das kannst Du allein beurtheilen, der es erfahren hat. Deiner Prüfung stelle ich Alles anheim, in Allem unterwerfe ich mich Deinem Zeugniß.
Sage mir das Eine, wenn Du kannst, wie ich je nach unsrer Einkehr in das Kloster, die Du allein beschlossen hattest, bei Dir in solche Vernachlässigung und Vergessenheit kommen mochte, daß ich mich weder an der Rede des Gegenwärtigen erfreue, noch durch einen Brief des Abwesenden getröstet werde; sprich, sage ich, wenn Du kannst, oder ich will aussprechen, was ich fühle, was Alle argwöhnen. Die Begierde hat Dich mir mehr verbündet als die Freundschaft, die Gluth der Sinnenlust mehr als die Liebe. Da nun, was Du verlangtest, entwichen ist, so verschwand zugleich, was Du dafür thatest. Das, Geliebtester, ist nicht sowohl meine Vermuthung, als die der Welt, nicht sowohl eine besondere, als die allgemeine, nicht sowohl eine private, als die öffentliche. O daß es mir doch allein so scheinen möchte, und daß sich für Deine Liebe Andre fänden sie zu entschuldigen, damit durch sie mein Schmerz ein wenig gestillt würde! O daß ich doch Umstände erdichten könnte, durch welche ich Dich entschuldigen und damit meine Niedrigkeit und Blöße irgendwie bedecken könnte!
Merke auf, ich bitte Dich, was ich verlange, und es wird Dir klein und ganz leicht dünken. Während ich um Deine Gegenwart betrogen bin, vergegenwärtige mir wenigstens die Süßigkeit Deines Bildes durch die Zeichen Deiner Worte, deren Du solche Fülle hast. Vergebens hoffe ich auf Deine Freigebigkeit in Thaten, wenn ich Deinen Geiz in Worten schmerzlich empfunden habe. Jetzt aber hatte ich am meisten von Dir zu verdienen geglaubt, da ich Alles für Dich erfüllt und vor Allem in Deinem Gehorsam beharrt habe. Denn mich trieb in zarter Jugend zur Härte des Klosterlebens nicht religiöse Hingebung, sondern allein Dein Wille. Daher urtheile, ob ich nichts von Dir verdient habe, als vergebliche Mühe. Keinen Lohn habe ich dafür von Gott zu erwarten, denn es steht fest, daß ich es nicht aus Liebe zu ihm gethan habe. Als Du zu Gott hineiltest, da bin ich Dir gefolgt und habe den Schleier genommen, ja ich bin Dir vorausgegangen. Denn als gedächtest Du an Lot's Weib, welche sich rückwärts wandte, so hast Du früher mich als Dich selber durch das heilige Kleid und klösterliche Gelübde in den Dienst des Herrn gegeben. Und ich bekenn' es, mit heftigem Schmerz und Erröthen sah ich Dich hierin allein mir weniger vertrauen. Ich aber, Gott weiß es, hätte nicht angestanden, und wenn Du zu vulkanischen Orten hinstürztest, nach Deinem Willen Dir voranzugehen oder zu folgen. Denn nicht bei mir, sondern bei Dir war meine Seele. Und auch jetzt besonders, wenn sie nicht bei Dir ist, so ist sie nirgends; sein aber ohne Dich kann sie auf keine Weise. Doch daß es ihr bei Dir wohl sei, das schaffe, ich beschwöre Dich. Es wird ihr aber bei Dir wohl sein, wenn sie Dich liebevoll findet, wenn Du Huld für Huld erwiederst, Geringes für Großes, Worte für Thaten. Wenn doch, Geliebter, Deine Liebe weniger auf mich baute, daß Du besorgter wärest! Aber je sicherer ich Dich nun gemacht habe, desto größere Vernachlässigung muß ich ertragen. Gedenke, ich beschwöre Dich, was ich gethan habe, und was Du mir schuldig bist, das beachte.
Als ich in fleischlicher Lust Dein genoß, da galt es den Meisten für ungewiß, ob ich es aus Liebe oder aus Sinnlichkeit that. Jetzt aber bezeugt es das Ende, aus welcher Quelle der Anfang kam. Alle Freuden habe ich mir untersagt, um Deinem Willen zu gehorchen. Nichts habe ich für mich behalten, als daß ich so nun am meisten die Deine würde. Wie groß aber Deine Unbilligkeit ist, das erwäge, wenn Du mir, je mehr ich verdiene, um so weniger gibst, ja am Ende gar nichts; besonders da es ein Kleinod ist, was ich fordere, und Dir ganz leicht.
Bei ihm selber also, dem Du Dich geweiht, bei Gott flehe ich zu Dir, daß Du, auf welche Art Du kannst, mir wieder Deine Gegenwart schenkest und mir ein Wort des Trostes schreibest, mindestens auf den Beding, daß ich dadurch erquickt dem göttlichen Dienste heiterer obliegen könne. Als Du mich einst zu zeitlichen Freuden verlangtest, da besuchtest Du mich mit manchen Briefen, da brachtest Du durch manches Lied Deine Heloise in Aller Mund. Von mir hallten alle Straßen, von mir alle Häuser. Aber mit welch größerm Recht würdest Du mich jetzt zu Gott, als damals zur Lust erwecken! Erwäge, ich beschwöre Dich, was Du schuldig bist, beachte, was ich fordere, und so schließe ich den langen Brief mit dem kurzen Ende: Lebe wohl, Du Einziger!
(S. 61-73)


Dritter Brief
Ihrem Einzigen nach Christus seine Einzige in Christus

(...) O wenn es erlaubt wäre zu sagen, daß Gott mir in Allem grausam ist! O über diese ungnädige Gabe, dies unselige Geschick, das alle Geschosse seines ganzen Angriffs gegen mich schon so sehr verwandt hat, daß es keine mehr besitzt, um mit ihnen gegen Andre wüthen zu können! Den vollen Köcher hat es gegen mich erschöpft, daß nun die Andern seinen Kampf umsonst fürchten. Und hätte es auch noch ein Geschoß übrig, an mir fände es keinen Raum mehr zu neuen Wunden. Eins hat das Geschick gefürchtet, daß ich unter so vielen Wunden durch den Tod die Martern endigen möchte. Es läßt nicht ab mich zu Grunde zu richten, nur will es meinen Untergang nicht, den es doch beschleunigt.
O ich Jammerreichste aller Jammerreichen! Ich Unseligste der Unseligen, einen je erhabenern Rang ich behauptete, vor allen Frauen in Dir erhöht, um so schwereres Leid hab' ich in Dir und mir getragen, als ich von dort herabgestürzt ward! Je höher die Stufe der Emporsteigenden, desto schwerer der Sturz der Herabfallenden. Welche unter allen edlen und mächtigen Frauen konnte mir je das Glück voranstellen oder gleichsetzen? Und welche hat es endlich so darniedergeworfen, konnte es so mit Schmerzen erdrücken? Welche Herrlichkeit hat es mir in Dir verliehen! Welchen Verlust hat es in Dir mir bereitet! Wie gewaltig war es mir auf beiden Seiten, sodaß es weder im Guten noch im Schlimmen Maß hielt! Und mich zur Unglücklichsten von Allen zu machen hatte das Schicksal mich vorher seliger als Alle werden lassen, daß wenn ich bedächte, wie Großes ich verloren, ich dann von einer desto tiefern Wehklage verzehrt werden sollte, je größrer Verlust mich darniederdrückte; daß ein desto stärkerer Schmerz über das Entrissene nachfolgen sollte, je größre Liebe zu dem, was ich besaß, vorausgegangen war; daß die Freuden der höchsten Wonne das Leid des tiefsten Wehs endigen sollte. Und daß aus dem Unglück noch ein heftigeres Gefühl der Kränkung erwüchse, wurden alle Rechte der Billigkeit gleicherweise bei uns verkehrt. (...)
(S. 86-87)

(...)
So süß waren mir aber jene Freuden der Liebe, die wir zusammen genossen, daß sie mir nimmer mißfallen und kaum in der Erinnerung verbleichen können. Wohin ich mich wende, überall tritt ihr Verlangen mir vor Augen, und ihre Bilder lassen mich nicht ruhig schlafen. Bei der Feier der Messe sogar, wo das Gebet das reinste sein soll, halten die üppigen Phantasiegestalten jener Lust so sehr meine unglückliche Seele gefangen, daß ich mehr ihrem schmählichen Reiz als dem Gebet nachhange. Über das Begangene sollte ich weinen, aber ich seufze nach dem Verlorenen.
Und nicht blos was wir gethan, auch Ort und Zeit, da wir es thaten, sind so meinem Geist eingeprägt, daß ich dort mit Dir zusammen bin und auch im Schlafe keine Ruhe davon habe. Ja manchmal werden durch die Bewegung meines Körpers die Gedanken meiner Seele verrathen und vor unvorsichtigen Worten können sie sich nimmer hüten. O ich bin in Wahrheit elend und würdig jenes Klagerufs der seufzenden Seele: "Ich elender Mensch, wer wird mich erlösen von dem Leibe dieses Todes?" Daß ich doch auch das Folgende der Wahrheit gemäß hinzufügen könnte: "Die Gnade Gottes durch Jesum Christum, unsern Herrn."
Diese Gnade, mein Theuerster, kam Dir zuvor, sie befreite Dich von diesem Sinnenreiz und heilte viele Wunden der Seele durch die eine des Körpers, und da, wo Gott Dir am härtesten zuwider scheint, hat er sich Dir mild erwiesen nach Art eines treuen Arztes, der unsres Schmerzes nicht schont, aber für unsere Genesung sorgt. Mir aber entzündet das jungendliche Feuer meines Alters und die Erfahrung der süßesten Freuden jene Reizungen des Fleisches, jenen Brand der Lust auf's heftigste, und in diesem Kampf werde ich um so leichter überwältigt, je schwächer die Natur ist, die er angreift. Keusch nennen sie mich, die die Heuchlerin nicht ertappt haben. Die Reinheit des Leibes legen sie mir als Tugend aus, da doch die Tugend nicht des Körpers, sondern des Geistes ist. Einiges Lob habe ich vor den Menschen, keines verdiene ich vor Gott, der Herzen und Nieren prüft und in das Verborgene sieht. (...)
(S. 91-92)

(...) In jeder Lage meines Lebens aber, Gott weiß es, habe ich mehr gescheut, Dich zu beleidigen, als Gott; mehr als ihm strebte ich Dir zu gefallen. Dein Gebot trieb mich zum Nonnenstand, die Liebe zu Gott zog mich nicht dazu heran. Siehe, welch ein unglückliches, wie ganz unseliges Leben ich führe, da ich hier so Vieles vergebens ertrage und dort in Zukunft keinen Lohn dafür habe. Auch Dich, wie Viele, hat lange der Schein getäuscht, für Religion nahmst Du die Heuchelei; darum besonders befiehlst Du Dich meinem Gebet, und forderst von mir, was ich von Dir erwarte. O traue mir nicht zu viel zu, daß Du nicht säumest, mir mit Gebet zur Seite zu stehen! Halte mich nicht für gesund, damit Du mir die Gunst der Heilmittel nicht entziehest. Erachte mich nicht für reich, damit Du nicht zauderst meiner Noth Hilfe zu bringen. Glaube nicht, daß ich wohl und stark sei, damit ich nicht eher zusammensinke, als Du die Wankende stützest. Erdichtetes Lob hat Manchen geschadet und ihnen den Schutz entzogen, dessen sie bedurften. (...)
(S. 93)

Aus: Abälard und Heloise
Ihre Briefe und die Leidensgeschichte
übersetzt und eingeleitet durch eine Darstellung
von Abälards Philosophie und seinem Kampf mit der Kirche
von Moriz Carriere [1817-1895]
Gießen J. Ricker'sche Buchhandlung 1844
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Christian Hofmann von Hoffmannswaldau (1617-1679)

Liebe und Lebenslauff Peter Abelard und Heloisen

Abelard an Heloissen

Mein Schreiben ist verderbt / die Feder ist verschnitten
Die Tinte fleust nicht mehr / wie sie zuvor gethan /
Es wird ein kleiner brief dich umb Verzeihung bitten
Daß ich forthin als Mann / dich nicht bedienen kan.
Dein Abelard ist nicht / was er zuvor gewesen /
Er flöst dir künftig nicht die Zucker-Tropfen ein
Du kanst bey mir nicht mehr die Liebes-Apfel lesen.
Dich heist man ohne Lust / mich ohne Kräften seyn.
Kein fleischlich Jubel-Jahr ist mehr von mir zu hoffen
Nach dem ich lebenslang die Faste halten muß /
Das Messer / so mich schied / das hat dich auch getroffen /
Man gönnt dir ferner nichts als einen schaffen Kuß
Helisse meynt vielleicht / daß ich ein Retzel schreibe
Und ein verdörrter Scherz den Brief bekleiden soll /
Nein! was die Seele quält / das quilt aus meinem Leibe /
Sie ist der kalten Angst / er heisser Schmerzen voll.
Wo ist der edle Lenz / wo bleibt die süsse Stunde /
Als mich der heisse Strahl / der LiebesSonne stach /
Als ich die Regeln dir auf dem ZinoberMunde /
Und in der engen Schoß die Zucker-Rosen brach.
Ich kan im Geiste noch den süssen Honig schmecken /
Der mir aus deinem Mund auf meinen Lippen floß.
Was eingeschlafen lag / das kontest du erwecken /
Du warst mein SeelenZug und ich dein Leibgenoß.
Die süsse Kützelung die spielt mir noch im Herzen /
Als in dem warmen Schnee ich rothe Beeren laß /
Recht satt von Buhlerey / und voll von LiebesScherzen /
Auf des Gelückes Schoß / und auch auf deiner saß.
Mein Frühling ist verblüht / es ist mein Winter kommen
Die nackte Liebe scheut erkalten Reif und Schnee /
Dein falscher Vetter hat mir meinen schatz genommen /
Er stielt mir meine Lust / und schenckt mir Ach und Weh.
Er kan mich füglich nicht von deiner Seite treiben /
So raubt sein HenckersSinn / mich endlich selber mir /
Was mänlich in mir lag / daß hier er mir entleiben.
Vor Perlen findest du die leere Muschl hier.
Ach wie verfolget mich das flüchtige Gelücke /
Ich meynt es richte mir ein Bett' aus Liljen zu /
Ich wär' ein weisser Zweck von seinem LiebesBlicke.
Es führte sein Magnet mich in den Port der Ruh.
Ich äß' aus seiner Hand ambrirte Mandelkochen /
Es legte mir das Haupt auf seine weiche Brust /
Es hätte vor mein Heil und Leben gut gesprochen /
Er tränckte mich mit nichts als Moscateller-Most.
Es hätt' auf ewig sich mir treu zu seyn verschworen /
Es salbte mir das Haupt mit frembden Balsam ein /
Mein Unstern hätte sich aus der Natur verlohren /
Mein Lied das würde nichts als Halleluja seyn.
So spielt der selbst Betrug umb unsre blöde Sinnen /
Cometen scheinen oft in unsrer Freuden-Hauß /
Den LustSaal schauen wir wie dünnen Schnee zerrinnen /
Und dieser Bau verfällt auch ohne ZiegelGraus.
Wo vor die Freudigkeit uns wolte Palmen steruen
Und Bisem und Zibeth uns opfert ihre Schoß /
Da will das ungemach mit seinem Donner dreuen
Und läst auf uns erzörnt entbrennte Keile loß.
Der Hoffnungs-Ancker bricht / der Freudens-Grund verschwindet /
Man hört wie uns die Lust verlohren Söhne heist /
Wie das Verhängnis uns mit JammerSeilen bindet /
Und unser Herze selbst aus unsern Herzen reist.
Heliß ich weiß forthin kein rechtes Wort zu machen
Die Seele blutet mir / es kräncket Geist und Muth;
Wem Schmerzen / scham und furcht tief in dem Geiste wachen /
Der schreibet / wie du siehst / gewieß nicht allzu guth.
Ich schlafe wachende / und kan kein Auge schliessen /
Du schaust / wie meine Schrifft nicht Gleiß und Ordnung hält;
Ich ließ dich zwar die Kunst des klugen Schreibens wissen /
Die mir als Meistern selbst aus dem Gedächtnüß fält.
So trennt durch Zufall sich / was Lehr und Leben heisset /
Ein kleiner Neben-Zug reist Löwen Kräfften ein;
Man schaut / wie uns die Noth aus dem gewichte reisset /
Und grosse Riesen heißt verachte Zwerge seyn.
Ich meint auf heiser Glut wie auf den Thau zu lachen /
Es solte mir kein Dorn verschrencken meine Bahn;
Ich dacht' auf dünnen Eiß ein Buhler-Lied zu machen /
Itzt lern ich / daß ein schnitt mein Meister werden kan.
So hebt die Hochmuth uns auch über das Gestirne;
Vergist was menschlich ist / und kennt die Erde nicht.
Verliebt sich in sich selbst / und bauet im Gehirne /
Was ein geringer Wind wie Spiegel-Glaß zerbricht.
Helisse kennstu noch was ich zuvor gewesen;
So kehre mir auch itzt ein treues Auge zu.
Laß deine Wehmuth mich aus einem Briefe lesen /
Der nach dem Himmel schmeckt / und lieblich ist / wie du.
Du kanst allein mir das beste Pflaster senden /
So mir die Schmerzen dämpft / und mich der Noth entreist /
Und dis alleine steht in deinen zarten Händen.
Ich weiß / daß mich dein Mund noch seine Seele heist.
Du hast ja meinen Geist zu erste lernen kennen /
Mein Geist hat deinen Geist eh als den Leib geliebt.
Und glaub: ich werde noch in meiner Seele brennen /
Ob gleich der matte Leib nicht rechte Funcken giebt.
Mein Geist sol deinen Leib auf neue Weisse küssen /
Und mein Gemüthe wird stets unverschnitten seyn.
Ich weiß / der Himmel selbst wird meine Noth versüssen /
Und streut die Liebligkeit mit reichen Händen ein.
Nicht scheu dich diesen Brief in deine Hand zu schliessen /
Er ist verwund / wie ich; ach druck ihn nicht zu sehr!
Laß doch zu meinem Blut auch deine Thränen fliessen;
Die Feder fällt mir hin; Heliß ich kan nicht mehr.


Heloisse an Abelarden
Auf einen Brief von Blutt gehört ein Brief von Thränen /

Ich fühle wie dein Schnitt mich auch zugleich sticht
Ach daß der Himmel mich den Jammer läst erwehnen /
Und mir nicht auch dabey das matte Herze bricht.
Kein Zug der Eitelkeit / kein Dunst beflammter Lüste /
Macht daß ich deine Noth entzuckt beweinen muß /
Die Geister führen mich in eine dürre Wüste /
Gedencke ich künfftig mehr an einen geilen Kuß.
Ich scheue mich zwar nicht in Schwachheit zu bekenen
Daß deine kühne Faust mich in die Gluth geführt;
Wie solte nicht ein Weib in ihren Geist entbrennen /
Wann ihr ein Abelard so schöne Funcken rührt?
Das Wort / damit dein Mund mein Ohre hat bestritten /
Bezwang mir auch den Geist durch süsse Zauberey.
Ich bin mein Edler Frund durch deine Hand geglitten /
Und lebte sonder dich von allem Falle frey.
Ich bin durch dich allein auß dem Gewichte kommen /
Doch wer durch Helden fält / der fält nicht ohne Ruhm
Daß du mich hast bekriegt / und mir das Heft genommen /
Das bleibt der beste Schatz von meinem Eigenthum.
Mein Einfalt schärftest du durch viel gelehrte Küsse
Die Geilheit legtest du in bunde Schalen ein /
Es machte mir dein Kuß Gall und auch Wermut süsse
Du liest Vertrauligkeit der Keuschheit Wiege seyn.
Es war die buhlerey mit Weißheit überzogen /
Ja unsre Geilheit selbst mit Keuschheit angethan
Mit solcher Liebligkeit ward unser Lust gepflogen
Daß ich sie auch itzund nicht gämzlich tadeln kan;
Es gieng die Schlüpfrigkeit in einem reinen Kleide /
Ich ward von deiner Brunst geziehret / nicht befleckt /
Es war mein PurpurRock nicht ohne weisse Seide.
Wer liebt die Speise nicht so nach der Tugend schmeckt.
Als Monde wolt' ich nur durch dich o Sonne scheinen.
Mich schreckt auf deiner Schoß kein Bild betrübter Nacht
Ich dacht' auf dieser Welt forthin nicht mehr zu weinen /
Ach daß sich unser Lust zur UnlustMutter macht.
Du hattest mir so viel von tugend fürgestellet /
Daß sich die Schelmerey dadurch nicht blicken ließ.
Mit solcher Liebligkeit ward ich durch dich gefället
Daß ich in Lust entzückt / es nicht mehr Sünde hieß.
Mich deucht ich sündigte / diß Sünd' und Schuld zunennen /
Was süsser ist als Most und nach Jeßminen schmeckt.
Ich meynt' / ich würde hier in einer Flamme brennen /
So nur zu leutern weiß / und nichts an uns befleckt.
Ich schlug in solcher Lust Geist und auch Auge nieder /
Wer Adlern gleiche sieht / wird durch die Liebe blind /
Was ich aldar empfand / bringt mir kein Monath wieder /
Es ist verrauschte Flut und längst verrauchter Wind.
Ich will forthin nicht mehr in Liebes Schrancken kämpfen
Ich will itzt Meisterin von meinem Blute seyn.
Ich weiß der Himmel selbst wird meine Lüste dämpfen /
Und druckt mir albereit der Keuschheit Siegel ein.
Ein guter Vorsatz kan uns mehr als Stah verschneiden /
Wer ihm sich selbst entbricht / fährt in den Port der Ruh
Wir schmecken keine Lust / als in der Lust / zu meiden
Und was dein Leib entgeht / das wächst der Seele zu /
Es hat mein Abelard mich niemahls recht geliebet /
So er der Meynung ist / daß ich ihn lassen kan /
Ein edles Weib wie ich / so nicht als Hure liebet /
Schaut Leibespracht als Spreu / die Seel als Körner an.
Man muß die Liebe nicht mit gleicher Ele messen /
Gemeine Buhlerey sucht nichts als Fleisch und Blut /
Doch der ein edler Geist das Herze hat besessen /
Die läst das Schlacken Werck / und sucht ein höher Gut.
Hat mich dein ZuckerMund zu Fleischlich angerühret
Und in ein Rosenthal ein schlüpfrich Haus gebaut /
So hat doch keine Brunst mir die Vernunft entführet
Es hat ein ieder Kuß auf deinen Geist geschaut.
Ich hielt vor ungereimt den edlen Leib zu hassen
Wo dein erlauchter Geist so kluge Hofstadt hielt.
Kam gleich mein Abelard mich fleischlich zu umfassen
So scherzt ich mehr von Lieb / als Geilheit angefüllt.
Ich weiß der Himmel läst uns leicht Genade finden
Der unser Seele hat tief in das Bluth gesetzt /
Ach schreib ich auch zuviel? dergleichen zarte Sünden /
Seyn der Vergebung mehr als Grobe werth geschätzt.
Als Engel werd ich dich forthin umbfassen können /
Was Männ-und Weiblich heist / bedenckt die Seele nicht /
Es scheint die Sterne selbst belachen mein Beginnen /
Und haben Cronen mir von Strahlen zugericht.
Wir wollen einen Eiß von tugend-Liljen bauen /
An dem kein schwarzer Fleck vermehrter Lüste klebt;
Die Welt wird mich und dich in einen Bande schauen /
Auf dem die Kostbarkeit von Zucht-Gewircke schwebt.
Die Seelen werden sich auf eine Weisse küssen /
Die man empfinden kan / doch nich zu nennen weiß.
Ein süsses Etwas wird von Geist zu Geiste flüssen /
Vor Liebestöckel pflanzt man künftig Ehren-Preiß.
Viel hundert JahreRost wird unsern Ruhm nicht stören;
Gesetzte Tugend sprost auch aus der Buhlerey.
Wer allzu eifrig zörnt / wird diese Worte hören:
Gar wenig Menschen seyn von Lieb und Blattern frey
Ich küsse dich itzund in diesem kurzen Schreiben /
Die Seele schreibet mehr als diese schwache Hand.
Laß mich nur deine Magd in Ewigkeit verbleiben /
Ich bin dir längst verschenckt / du darffst kein ferner Pfand.
Vor deinen Schaden kan ich itzt kein Pflaster senden /
Wenn meine Wehmut man nicht deine Salbe heist.
Hiermit empfehl' ich dich des Himmels treuen Händen /
Der heile deinen Leib / und stärcke meinen Geist.


Peter Abelard in Frankkreich unfern Nantes in Britannien / aus einem adelichen Geschlechte gebohren / verließ das Recht der ersten Geburth seinen jüngern Brüdern / den freyen Künsten desto ruhiger obzuliegen. Er begab sich erstlich nach Paris / so damahls in Wissenschafften ein ziemliches zuthun begunte / und vertrauete sich einem fürnehmen Manne Compelense genannt / so in gelehrten Händen über die massen erfahren war; Es wehrete nicht lange so wuchs der Schüller über seinen Meister / kriegte einen Anhang von jungen Leuthen / begunte selbst zu lehren / und weil dieses Werck ein übel Ansehen hatte / und er ihm allerhand Feindschafft damit erweckte / muste er Paris verlassen / und sich nach Corveil begeben / da er in einer Crone junger Leuthe sich tapfer hören ließ. Weil dan mitler Zeit sein alter Lehrmeister ein Münch worden / begab sich Abelard wieder nach Paris / und brachte es dahin / daß der jenige dem gedachter Compelense sein Lehr-Ampt vertrauet hatte / es ihm willig überließ / und sein Zuhörer ward. Welches ihn dann wiederumb bey seinen Wiederwertigen so grossen Neid verursachete / daß er sich mit seinem Anhange aus Paris / und nach Melun verfügen muste. Nach dem nun vorgedachter Compelense Bischof zu Chalon erwehlet worden / und auch daselbst Abelarden zu drucken begunte / so wendete er sich abermahls zurücke nach Paris / doch nur in die Vorstadt / weil sein voriger Lehr-Platz schon von einem andern eingenommen war. Compelense treibet endlich auch aldar Abelarden auf / und nöthigt Ihn sich als ein Schüller in die Aussicht Anselmes eines berühmten Schrifftgelehrtens zu begeben; Aber dieses Werck bleibet nicht lange in seinem Stande und dieser hochmütige Schüler begunte endlich seinem meister zu Kopfe zu wachsen / und ihn von seiner Stelle zu dringen / welcher Hochmuth dann eine gefährliche Rache abgab. In dem nun Abelard in seinem Orte Meister spielete / und sein Nahme in aller Mund und Herzen war / er auch sich albereit vor unvergleichlich zu halten anfieng / begab es sich / daß ein Thum Herr / mit Nahmen Folbert, eine junge Vetterin aus dem fürnehmen Hause Mommoranci in Latein und andern Wissenschaften ziemlich erfahren / bey sich hatte / und unsern berühmten Abelard dieser Jungfrau in Sprachen und Wissenschafften eine Stunde zu lesen ansprach. Abelard schlug dieses nicht ab; Sondern nahm diese anmuthig Schüllerin mit Freuden an / und sie begunte in kurzen mercklich zu bessern. Es geschah endlich / daß dieser geschickte Lehr-Meister seiner untergebenen zu tief in die Augen schaute / und etliche gefährliche Funcken fühlete / so Witz und Buch Ihm aus Gemüth und Händen wunden. Er begunte albereit mit seiner Schüllerin freundlicher umbzugehen / er gebrauchte sich ungewöhnlicher Arten zu reden / und ein Kuß war die erste Losung / daß er forthin etwas mehr als Lehrmeister seyn wolte. Diese junge Tochter merckte endlich dieses verborgene Spiel ziemlich deutlich / und ließ Ihr nicht gänzlich unangenehm seyn / von dem / der an Anmuth und Beredsamkeit wenig seines gleichen hatte / bedient zu werden; Mit einem Worte sie waren unfleissig auf eine andere Arth fleissig zu werden; Abelard fieng nunmehr an seine Schüllerin bald wegen Ihrer entzündeten Augen / bald wegen Ihrer weissen Hände / bald wegen Ihres röthlichen Mundes / bald wegen etwas verborgeners zu rühmen / und was er diesen Augenblick gelobet / wolte er den andern mit Augen schauen; oder mit Händen und Lippen berühren / der Durst wuchs endlich durch den Trunck / iemehr kleine Freyheiten unser verliebter genoß / iemehr er geniessen wolte / und die Anmuth dessen / was er allbereit überkommen / ward durch die imbrünstige Begierde etwas vollkommenes zu holen gleichsam vergället. Es gerieth endlich dahin / daß nunmehr das liebe Latein sambt andern Wissenschafften gänzlich vergessen war / und diese zwey verliebten in ihrer Muttersprache ziemlich offenherzig zu reden einen Anfang machten. Heloisse that dem Ansuchen ihres Liebsten endlich Thür und Angel auf / und der Canari-Zucker gegenwertiger Zeit / ließ sie an Wermuth der künfftigen nicht wohl gedencken. Was nur ungewöhnlich in der Liebe zu finden / war sinnreich hergeführet / und sie meyneten / es were eine Unvollkommenheit / wann sie allein gelehrt reden und schreiben / und auch nicht zugleich gelehrt buhlen solten. Sie überschütterten sich endlich dergestalt mit Wollustgerichten / daß unsre schöne Jungfrau sich in kurzen gegen ihren Liebsten vertrauen ließ; Daß sie diesen Tag der Stunde wegen Unwillen des Magens nicht abwarten konte / und wenig Zeit hernach fragte / was es doch wohl bedeutete / wann einem zwey Herzen zugleich im Leibe schlügen; Abelard war dieses Uhrwerck / so er selbst aufgezogen / nicht unbekandt / er verständigte seine Schöne / daß sie ehestens ein stummer Gast verrathen würde / und entschloß sich Spott und Schaden zu vermeiden / endlich heloissen aus ihres Vatern Hause zu seiner Schwester in das Französische Britannien zu führen / da sie dann einen jungen Sohn / den sie Astrolabe nennen ließ / auf die Welt brachte. Abelard bemühete sich darauf seien Schwagern / der Zorn-Gluth und Feuer bließ / so viel möglich zu besänftigen / verspricht seine Freundin in der Stille zu ehlichen / doch mit der Bedingung / daß es nicht der Welt allzu sehr lautbar werden möchte. Mit welchem Fürschlage sich auch gedachter Thum-Herr dem Scheine nach befriedigte / und solches mit Kuß und vielen verbündlichen Worten versiegelte Abelard begiebt sich hiermit wiederum zu seiner Geliebten / erzehlete ihr den Fürsatz der abgeredeten Verehligung / wurd aber durch allerhand bündige Einwürfe davon abgehalten / sie stellete ihm unter andern von / daß ihres Vettern rechgieriges Gemüthe durch nichts dergleichen würde besänfftiget werden können: Sie gab ihm zu erkennen / daß es höchlich zu beklagen were / wenn ein so hohes Gemüthe / so die Natur zu etwas edelern gewidmet durch / Sorgen der Nahrung und andere unvermeindliche Mühseeligkeiten geschwächet werden solte. Sie erinnert ihn / daß sein und ihr Name die bißhero vor ein Beyspiel aller Tugenden gehalten weren worden / mercklich gekräncket / ja der Glanz beyder Ehr und Tugend durch diese ungebundene Händel ganz dunckel werden würden mit angeheftem Vermelden / daß es Ihr annehmlicher seyn solte seine Freundin als seine Ehefrau genennet zu werden. Nach dem sie aber ihres geliebten Fürsatz durch diese und andere Einwürfe nicht zurücke lencken konte / gab sie sich endlich mit diesen Worten in seinen Willen / daß gewiß mit Verderb ihrer beyden / die kommende Schmach grösser als die vergangene Freude seyn würde / sie übergab darauf den jungen Sohn des Abelards Schwester / machte sich auf den Weg und ward in Beyseyn etlicher weniger Freunde in Pariß mit diesem / der neben den Zucker der Wissenschafft / ihr auch zugleich die Galle der Unkeuschheit eingeflößt / ordentlich vermählet. Folbert begunte darauf dieses Ehewerck durch die ganze Stadt ruchtbar zumachen Heloisse aber ihren so hochgeschätzten bey Ehren zu erhalten / leugnete so gut sie konte / und dieses Werck gerieth endlich dahin / daß Abelard gezwungen war / seine Ehegattin nach Argenteil unsern von Pariß gelegen / in ein kloster zu senden / und sie biß auf den Fechel aldar einkleiden zu lassen. Diese Entweichung der Heloisse verbitterte den Folbert iemehr und mehr / der sich auch endlich aus Nachgier dahin verleiten ließ / bey Abelard / nach dem er zuvor seinen Knecht mit Gelde bestochen / bey nächtlicher Zeit seines Herren Schlafgemach zu eröfnen / durch dazu gleichfalls erkaufte Personen in seiner Ruh zu überfallen / und zu entmannen. Diese ungewöhnliche That war alsobald durch ganz Paris ruchtbar / und Abelard / dem die angethane Schmach / mehr als der LeibesSchmerz empfindlich war / schauete in wehrender Niederlage stündlich eine grosse Anzahl Frembde umb sich / so ihr Mitleiden / mit Seuffzen / Worten / und Thränen scheinbar spühren liessen. Nach dem nun besagter unglückseeliger Zufall unsern Abelard untüchtig gemacht / seiner Liebsten Heloisse nach voriger Arth künftig beyzuwohnen / so entdeckte er derselben / den unvollkommenen Zustand seines Leibes / so dann nach Vergiessung tausend Thränen / endlich ihr Gemüthe / als ein gelehrtes Weib weißlich bestillete / und sich völlig als Nonne zu Argenteil einkleiden ließ / Abelard aber in den Kloster des H. Dionis. die MünchKappe gleichfalls anlegte. Den elenden Zustandt / darein Abelard in besagtem Kloster / wegen eines geistlichen Streites / dazu er wegen seines hitzigen Gemüthes sehr geneigt war / in kurzen gerieth / were zuverdrießlich hier ausführlich zu erzehlen. Die Geistlichkeit erhub insgesambt wider ihn / also daß er aus Furcht auch in des damahligen Königs in Franckreich Ungenade zu fallen / unter eines Grafen in Champagnien Schutz mit Namen Thiboult sich begab / der sich nicht ungeneigt erzeigte auf allerhand Weisse auszusöhnen / so aber keinen andern Ausschlag gewinnen wolte / als daß er endlich Erlaubniß überkam / einen einsamen Orth zu seiner Wohnstadt ihm zu erkiesen / sein Leben / doch allzeit unter der Beschaffenheit eines Bruders des Klosters des H. Dionis. daselbst zuzubringen Es ward ihm ein kleiner Platz / als ein Allmosen / unfern bey dem Flecken Nogent an der Seene angewiesen / allwo er auf die armseeligste Weisse ein enges GottesHauß aus gar schlechten Zeuge aufbauete / und nebenst einen dürfftigen Geistlichen ihm an den Gottesdienst Handreichung zu leisten / in solcher einsamkeit sein Leben zu enden entschlossen war. Nach dem aber seine vorige Schüller aus Liebe ihres Meisters sich häuffig bey ihm einfunden / und zu ihrem Auffenthalt geringe Zellen baueten / begunten seine Wiedersacher theils wegen des Namens / so er dem Kloster gegeben / theils wegen daß er wiederum aufs neue zu lehren anfieng / ihn zu verfolgen / also daß der Fürst von Nieder-Britannien / weil die Abten des Klosters Hildasse sich entlediget / solche Abelard auftrug. Diese den Schein nach gelückseelige Begebenheit verkehrte sich alsobald in neues Unheil / in dem er durch treue Versorge / viel Unordnung / so unter den Brüdern eingerissen / nach und nach vernünfftig abstellen wolte / und also ihm tausenderley verfolgunf auf dem Halß zoge. Nachdem nun der Abt zu H. Dionis. die geistliche Jungfrauen zu Argenteil, ich weiß nicht / unter was vor einen Vorwand wandt aus dem Kloster drang / und es mit München besetzte / reimete Abelard sein GottesHauß Paraclit gedachter Nonnen ein / allwo Heloisse als Aebtissin ein strenges Leben führete / und mit ihrem unbefleckten Wandel es dahin brachte / daß die Bischoffe sie vor ihre Tochter / die Abtisse sie vor ihre Schwester und die weltlichen sie vor ihre Mutter hielten. Bey welcher gelegenheit theils die gegen dem Abelard übelgesinnte / ihm daß er gegen gedachtem Kloster nicht gnugsam Vorschub thete / feindseelig vorrückten / andere / weil er dieses JungfrauKloster nicht selten zu besuchen pflegete / ihm daß er die Fleisch-Töpfe Argypten / und wegen der in der Natur noch steckende Regung seiner alten Buhlschaft nicht müssig gehen konte / ungeschämet aufbürdeten. Welches aber der unschuldig Verleumbdete / mit Gedult vertrug / und die Rache / in dem er mit Stahl und Gift von seinen Widerwertigen verfolget war / Gott allein heimstellete / so ihn auch hernach in seinem hohen Alter und zwar des 63sten seiner Jahre von Sorgen und Ungemach abgemattet / ausspannete / nach dem er vor seiner letzten TodesStunde befohlen seinen Lein seiner geliebten Heloisse zu überantworten / so ihn auch mit ihren Thränen wohl benetzet / in den besten Orth ihrer Kirchen begraben ließ. Und viel Jahr hernach aus dieser Welt scheidende den geistlichen Jungfrauen anbefahl ihren toden Leib gleichfalls unter die Leichen ihres getreuen Abelards zu legen / so auch dergestalt erfolget / und melden die geschichtschreiber selbiger Zeit / daß Abelard / als man seine geliebte Heloisse (so mir in folgenden zwey Briefen wegen des Reimes Helisse zu nennen erlaubet seyn wird ) nach verlauf vieler Jahre zu ihm in das Grab bracht / mit ausgestreckten Arm solche umbfasset und an die Brust gedruckt haben solte. Welches mich dann auch bewogen / diesen so wandelbaren lebens-Lauf mit folgender Grabschrifft zu beschliessen.

Ein Freund / den Noth berühmt / Verlust hat groß gemacht /
Drückt seine Freundin noch allhier an Brust und Armen
Lieb und Vertrauligkeit / so Tod und Grab verlacht /
Heist die Verliebten Zwey auch in dem Grab erwarmen.
Ein edles Leben macht auch einen edlen Todt /
Getreue Liebe will auch aus dem Grab entspriessen /
Zum Zeugniß daß Sie nun besiegen Todt und Noth /
So wollten sie sich hier auch in der Asche küssen.

Aus: Hofmann von Hofmannswaldau Christian: Gesammelte Werke; Nach dem Druck vom Jahre 1697
(Hrsg. von Franz Heiduk. Nachdruck Olms 1984, Hildesheim, Zürich)
aus Band I 2 (darin alle Heldenbriefe) (S. 584-600)
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Gottfried August Bürger (1747-1794)

Heloise an Abelard
Frei nach Popen

Hier im Schauer tiefer Totenstille,
Wo die Himmelstochter Andacht wohnt,
Und Melancholie in schwarzer Hülle
Sinnig mit gesenktem Haupte thront,
Was will hier entflammter Triebe Hader
In der gottgeweihten Jungfrau Brust?
Warum glüht ihr noch in jeder Ader
Rückerinnerung entflohner Lust? -
Immer noch zu Liebe hingerissen,
Immer noch durch dich, mein Abelard,
Muß ich den geliebten Namen küssen,
Welcher mir so unvergeßlich ward.

Süßer Zaubername, dem das Siegel
Heiliger Verschwiegenheit zerspringt! -
Birg, o Herz, ihn tiefer unterm Flügel
Da, wo Liebe wild mit Andacht ringt!
Schreib' ihn nicht! - Doch ach! was hilft mein Wehren? -
Rasch Hand, du schriebst ihn ja schon hin! -
Löscht ihn wieder aus, ihr meine Zähren!
Rettet, rettet die Verräterin! -
Ah! Die Arme, die vor Schuld erbanget,
Schluchzt und weint umsonst, umsonst ihr Ach;
Was gebieterisch das Herz verlanget,
Schreibt die Hand nur allzu willig nach.

Mitleidslose Mauern, zwischen denen
Sich die Buße langsam selbst entseelt!
Harte Quadern, oft benetzt von Thränen
Und von wunden Knieen ausgehöhlt!
Felsengrotten, tief in Dorn verborgen!
Heil'genblenden, wo die ganze Nacht
Christus' Braut mit ihren frommen Sorgen
Zu Gebeten und Gesängen wacht!
Bilder selbst, die ihr bei uns so kläglich
Weinen lernt! Mit euch in Harmonie
Ward ich kalt zwar, stumm und unbeweglich:
Doch zu Stein vergaß ich noch mich nie.
Nimmer herrscht da unumschränkt der Himmel,
Wo sich Abelard nicht bannen läßt.
Stets geneigt zu Aufruhr und Getümmel,
Hält Natur des Herzens Hälfte fest.
Alles Beten, alles Fasten hemmet
Nicht des Blutes Sturm und Drang aufs Herz;
Jahrelang, allein umsonst, beschwemmet
Wang' und Busen meiner Reue Schmerz.

Kaum entfalt' ich deinen Brief mit Beben,
So durchbohrt das Herz mir wie ein Schwert
Jener Name, traurig meinem Leben,
Dennoch ewig meiner Seele wert;
Jener Name, meines Friedens Klippe,
Abgestorbner Freude Monument,
Den der Büßerin verblühte Lippe
Nimmer ohne Thrän' und Seufzer nennt. -
Auch den meinen beb' ich zu erblicken:
Überall ziehn Kränkung oder Schmach,
Überall des Schicksals böse Tücken
Ihm, wie Schatten ihren Körpern, nach.
Meine Seufzer finden keine Weile;
Eine Zähre drängt die andre fort:
Denn ein Schwert, ein Schwert ist jede Zeile,
Und ein Stachel ist ein jedes Wort.
Schnell aus freier, goldner Frühlingshelle,
Wo mich warmer Liebeshauch umgab,
Schlang mein Leben eine Klosterzelle,
Kalt und düster wie die Gruft, hinab.
Hier verlosch die Lohe meiner Triebe
Vor des finstern Kirchenwahnes Hauch;
Und die besten, Ehrbegier und Liebe,
Hier zerflosen sie in eitlen Rauch.

Dennoch schreib', Geliebter meiner Seele,
Schreib' mir alles, alles ohne Scheu,
Daß mein Schmerz dem deinen sich vermähle,
Daß ich deiner Seufzer Echo sei!
Diese Macht entzogen ja der Armen
Ihr Geschick und ihre Feinde nie.
Könnte wohl, entneigter dem Erbarmen,
Abelard ihr mehr entziehn als sie?
Noch sind sie mein eigen, diese Zähren:
Wozu spart' ich sonst die Zähren noch?
Wollt' ich sie der Liebe nicht gewähren,
So entpreßte sie mir Buße doch.
Meiner matten Augen letzte Kräfte
Sehnen sich von nun an, spät und früh,
Nach dem einen seligen Geschäfte:
Lesen nur und weinen wollen sie.

Teile dann dein Weh mit meinem Herzen!
Weigre mir sie nicht, die bittre Lust! -
Teilen? - O zu wenig! - deine Schmerzen
Alle, alle schütt' in meine Brust! -
Traun, ein Gott war's, welcher Schrift und Siegel
Für ein armes Liebespaar erfand;
Für das Mädchen hinter Schloß und Riegel,
Für den Jüngling, weit von ihr verbannt.
Briefe leben, atmen warm und sagen
Mutig, was das bange Herz gebeut.
Was die Lippen kaum zu stammeln wagen,
Das gestehn sie ohne Schüchternheit.
Daß im Gram sich Herz an Herz erhole,
Herz von Herz getrennt durch Land und Meer,
Tragen sie von Indus bis zum Pole
Dienstbar auch den Seufzer hin und her.

Mann, du weißt, wie schuldlos ich entbrannte,
Als, besorgt vor jungfräulicher Scham,
Deine Lieb, die sich Freundschaft nannte,
Leise mich zu überflügeln kam.
Nicht als einen von der Erde Söhnen,
Nein, als ersten aus der Engel Schar,
Als das Urbild des Unendlichschönen
Stellte dich die Phantasie mir dar.
Süßes Lächeln, daß der Sieg nicht fehle,
Milderte des glanzes Flammenspiel
Der nun schmeichelnd mir in Aug' und Seele
Wie ein Tag des Paradieses fiel.
Arglos blickt' ich in die sanfte Klarheit,
Arglos lauschte dir mein offnes Ohr;
Doppelt wahr kam jedes Wort der Wahrheit
Mir auf deiner Honiglippe vor.
Wer die Lehre solcher Lippen höret,
O, der glaubt, von jedem Zweifel frei!
Nur zu bald ward ich durch sie belehret,
Daß die Liebe keine Sünde sei.
Wiederkehrend aus des Himmels Höhen
In der Erdenwonnen Region,
Wünscht' ich keinen Gott in dem zu sehen,
Den ich liebt' als holden Erdensohn.
Wirr' und dämmernd wie ein Traumgewimmel
Schwebte fern der Engel Lust mir vor,
Und ich gönnte Heiligen den Himmel,
Den ich gern um Abelard verlor.

O wie oft, zur Sklaverei der Ehe
Durch den Spruch gestrenger Zucht verdammt,
Rief ich über jede Satzung Wehe,
Welche nicht von freier Liebe stammt.
Freie Liebe bebet vor den Schlingen
Fesselnder Verträge scheu zurück.
Schnell entfaltet sie die leichten Schwingen
Und entflieht im ersten Augenblick.
Immer folge der vermählten Dame
Reichtum, Pomp und hoher Ehrenstand;
Hehr und unbescholten sei ihr Name:
Gegen Liebe, welch ein leerer Tand!
Den Betrognen, die der heil'gen Liebe
Nicht um ihretwillen nur sich weihn,
Haucht sie rächend umgestüme Triebe
Zur verdienten Seelenmarter ein.
Werfe sich der ganzen Welt Gebieter
Huldigend zu meinen Füßen hin:
Stolz verschmäh' ich ihn und alle Güter,
Wenn ich nur des Liebsten Holdin bin.

Fällt dir sonst ein Name, mich zu zieren,
Freier, süßer noch als Holdin, ein:
O, so laß, Geliebter, mich ihn führen,
Laß mich dir, was er bedeutet, sein!
Welch ein selig Los, wann Seel' und Seele
Sich einander ziehn durch eigne Kraft
Und, nur folgsam der Natur Befehle,
Liebe Freiheit, Freiheit Liebe schafft!
Allbesitzend immer, allbesessen,
Labet eins am andern sich alsdann.
Keine der Begierden darbt vergessen,
Die sich nicht in Fülle weiden kann.
Der Gedank' erahndet den Gedanken,
Ehe noch die Lipp' ihn offenbart;
Kaum entschlüpft der Wunsch des Herzens Schranken,
Als sich schon Erfüllung mit ihm paart.
Bild der Seligkeit! Wenn auch hienieden
Keine Welterfahrung sonst dir glich:
Uns war deine Wirklichkeit beschieden;
Selig waren Abelard und ich. -

Weh' mir! Welch ein Wechsel jener Szenen!
Was für Greuel plötzlich mir so nah'! -
Horch! des Hochgeliebten Todesstöhnen!
Nackt, gebunden, blutend liegt er da! -
Ha, wo war ich mit der Retterstimme,
Mit der hohen dolchbewehrten Hand? -
Ach! ich hätte des Verfolgers grimme
Frevelthat vielleicht noch abgewandt.
"Halt, Barbar, mit der entblösten Schneide,
Halt mit dem verruchten Vorsatz ein!
Rügst du Schuld, so tragen wir sie beide,
Beider müss' also die Strafe sein!" -
Ach, ich kann nicht mehr! - Von Scham befangen
Und von Wut, erstickt in mir das Wort.
Redet, Flut der Augen, Glut der Wangen,
Redet ihr statt meiner Lippe fort! -

Kannst du noch dir in die Seele rufen
Jenen feierlichen Trauertag,
Als gestreckt auf des Altares Stufen
Jegliches von uns, ein Opfer, lag?
Als bei tausend Thränen hoch und teuer
Warme Jugend sich der Welt entschwur? -
Dennoch ach! empfing der Weiheschleier
Seinen Kuß von kalter Lippe nur.
Rund umher erbebte Gottes Tempel;
Jeder Kerze sank in Dämmerung;
Staunend sah der Himmel dies Exempel
Ungebgreiflicher Eroberung.
Als wir drauf zum Hochaltare gingen,
O, wie schlug das volle Herz in mir;
Heloisens Aug' und Seele hingen
Nicht am Kreuze, hingen nur an dir.
Liebe, statt der Gnade, deine Liebe
War das Herzgeschrei der Schwärmerin.
Ach! Wenn diese nicht ihr übrigbliebe,
So wär' alles, alles für sie hin.
Komm dann, Liebster, komm mit Blick und Stimme!
Lindre mir den wilden Seelenschmerz!
Stimm' und Blick entzogst du ja dem Grimme
Deines Schicksals für mein armes Herz.
Laß mein Haupt an deinem Busen lauschen!
Laß, indem dein Arm mich fest umschließt,
In dem süßen Gifte mich berauschen,
Welches dir von Aug' und Lippe fließt!
Komm, o komm, du meines Lebens Leben!
Alle meine Wünsche rufen dich;
Gib mir alles, was du noch kannst geben;
Und was nicht - erträumen laß es mich! -
Himmel, nein! Genuß wie dieser werde
Selbst durch deine Hilfe mir zum Spott!
Zeige mir den Himmel statt der Erde!
Abelard verschwinde mir vor Gott!

Komm und hilf! - Ach, mindestens bedenke,
Was der guten Herde noch gebührt,
Die du zwischen Wald und Felsenbänke
Hier auf neue Weide hergeführt!
Du hast diese Freistatt aufgerichtet,
Der so manches zarte Lämmchen schon
Sich vor Wolf und Tiger zugeflüchtet,
Welche draußen seiner Unschuld drohn.
Deiner Großmut Gaben nur bedecket
Statt erschlichnen Gutes dieses Dach.
Ihrem väterlichen Erbe strecket
Keine Waise hier die Hände nach.
Hier belud das sterbende Verbrechen,
Zagend vor dem nahen Strafgericht,
Den erzürnten Himmel zu bestechen,
Den Altar mit Gold und Silber nicht.
Diese schlichten, ungeschmückten Hallen,
Die bescheidne Frömmigkeit erhob,
Tönen nicht von Ach und Weh, erschallen
Ganz allein von ihres Schöpfers Lob.

In dies Haus, vom Lärm der Welt geschieden,
In den Dom, von Epheu grün bedacht,
Rund umkränzt mit schlanken Pyramiden,
Und in seiner hohen Wölbung Nacht,
Wo hinein durch schmale, trübe Fenster
Wie ein stilles, hehres Mondenlicht
In der Wanderstunde der Gespenster
Selbst der sonnenhellste Mittag bricht,
Strömte Wonne sonst aus deinen Blicken
Und schuf hohen, lichten Tag umher:
Doch von jenem himmlischen Entzücken
Strahlt kein Auge, glüht kein Antlitz mehr.
Trübe Blicke, blaß gehärmte Wangen,
Schlaffe Häupter rund umher gestehn
Ohne Worte täglich das Verlangen,
Ihren Hirten wieder hier zu sehn.
O so komm dann! Heitre das Betrübte!
Komm, mein Vater, Bruder, Gatte, Freund!
Tochter, Schwester, Gattin und Geliebte,
Alles, alles fleht in mir vereint. -

Nicht des Felsen Stirn im Fichtenkranze,
Die sich rauschend in die Wolken hebt,
Noch des Hügels Rücken, der vom Tanze
Froher Lämmerherden lebt und webt;
Nicht der Waldstrom, der vom hohen Gletscher
Donnernd über Felsenstufen fällt;
Noch der Grottenquell, der mit Geplätscher
Tag und Nacht das Echo wach erhält;
Nicht des Frühlings Winde, welche säuselnd
Durch das Laub der Wiesenpappel wehn,
Noch des Teiches Wellen, die sich kräuselnd
Um den Flügelschlag des Schwanes drehn;
Nicht von allem Großen, allem Schönen
Spricht ein Trostwort meinem Kummer zu,
Nicht mit ihren besten Wiegentönen
Lullt Natur den Wüterich zur Ruh'.
Wie im Kreuzgang über Leichensteinen,
So schwebt überall Melancholie.
Über Gärten, Wiesen, Feldern, Hainen,
Über Thal und Hügel schwebet sie.
Ächzend deckt sie mit dem Trauerflore
Alle Schimmer, alle Farben zu.
Weh thut jeder Frohlaut ihrem Ohre;
Totenstille heischt sie nur und Ruh'.
Tief stimmt sie herab die höchsten Töne:
Tief herab der Glock' und Orgel Klang,
Tief und bis zu dumpfem Grabgestöhne
Silberhellen Feld- und Waldgesang.

Dennoch muß ich hier nun ewig weilen,
Ewig zwischen Gott und dir mein Herz
Peinlich in der bangen Öde teilen.
Nur der Tod bricht endlich meinen Schmerz.
Und auch dann zerfällt mein Staub hier, zwischen
Ausgelöschter Herzen Aschenrest;
Bis ihn, frei zum deinen ihn zu mischen,
Die Natur den Winden überläßt.

Ha! Verworfne, die so hochvermessen
An der Hand den Brautring Gottes trägt,
Doch im Herzen, gott- und ehrvergessen,
Eines Mannes Bild und Liebe hegt! -
Hilf mir, Himmel, wider meine Fehle! -
Doch - was preßte diesen Ruf mir aus?
Hauchte Frömmigkeit aus tiefer Seele,
Oder stieß Verzweiflung ihn heraus?
Hier noch, wo ihr Haupt in dichten Schleier
Kalte Keuschheit birgt, noch hier sogar
Finden für ihr scheltenswertes Feuer
Lieb' und Wollust Tempel und Altar.
Büßen sollt' ich zwischen diesen mauern;
Doch vergebens winket mir die Pflicht.
Den Geliebten kann ich wohl betrauern,
Aber das Vergehn der Liebe nicht.
Immer blick' ich's an, und immer lodert
Hoch das Herz bei seinem Anblick mir;
Kaum bereut es alte Lust, so fodert
Neu schon die sträfliche Begier.
Bald erheb' ich himmelan die Hände
Und beweine laut, was ich verbrach;
Bald, wann ich nach dir die Seele wende,
Sprech' ich aller Unschuld Hohn und Schmach.
Von dem Schweren, was die Liebe lernet,
Bleibt Vergessen stets die schwerste Kunst.
Wenn sie das Vergehn auch von sich fernet,
So begleitet's doch ihr Blick mit Gunst.
Haßt das Weib die Sünde wohl von Herzen,
Das von Herzen so den Sünder liebt?
Weiß ich, ob mir Buße diese Schmerzen,
Oder Liebe sie zu fühlen gibt? -
Hartes Werk, die Leidenschaft zu dämpfen,
Für ein Herz, so hoch wie meins entbrannt!
O wie oft muß Haß mit Liebe kämpfen,
Eh' der Friede Lärm und Aufruhr bannt!
O wie oft wird nicht das Herz indessen
Hoffen, zagen, wünschen, streben, ruhn,
Schmachten und verschmähn, - nur nicht vergessen! -
Alles sonst erleiden, alles thun! -
Doch, wann sein der Himmel sich bemeistert,
Dann - ha! wie es dann nicht bloß gerührt,
Nein! entzückt, belebt nicht, nein! begeistert
Sein erhabnes Heldenwerk vollführt! -
Komm, o komm und hilf den Kampf mir wagen!
Hilf besiegen die Natur in mir!
Hilf mir meiner Liebe, hilf entsagen
Meinem Leben, meinem Selbst - und dir!
Eile, mein Geliebter, und vermähle
Deine Braut mit Gott! denn Gott allein
Kann nach Abelard von ihrer Seele
Letzter, einziger Gebieter sein.

O wie selig, selig unermessen
Ist der reinen Gottverlobten Los!
Welt vergessend und von Welt vergessen
Bettet sie sich in der Ruhe Schoß.
Kein Gebet von ihr bleibt unerhöret,
Weil sie stets in Gottgenügsamkeit
Jeden eitlen Erdenwunsch sich wehret.
Fleiß und Muße teilen ihre Zeit.
Sie kann schlafen, wachen, lächeln, weinen,
Beten, singen, wie es ihr gefällt.
Friedlich müssen Triebe sich vereinen,
Die der Geist im Gleichgewicht erhält.
Was sie weint, das weinet sie mit Wonne;
Was sie seufzt, das wehet himmelan.
Gleich dem Strahl der milden Abendsonne
Lacht der Gnade holdes Licht sie an.
Engel, im Geleite goldner Träume,
Schweben säuselnd über ihrer Ruh';
Engel, sanft bewegend Edens Bäume,
Fächeln ihr der Blüten Düfte zu.
Sie zur Braut sich zärtlich zu bedingen,
Reicht den Ring der Bräutigam ihr dar.
Weiße Jungfraun, Hand in Hand, umschlingen
Unter Brautgesängen den Altar.
Aufgelöst vom Klange zarter Saiten,
Mild umschimmert von des Himmels Strahl,
Wähnt sie, wie ein Bächlein hinzugleiten
In das ewig helle Wonnethal.

Ha! In solche Paradiesgefilde
Träumt sich meine irre Seele nie.
Ehrenlose, sträfliche Gebilde,
Reger Wollust Brut, umschwärmen sie.
Wann in Nächten, darbend an Genüge,
Phantasie ersetzt, was Wut geraubt,
Das Gewissen schläft und ohne Rüge
Schnöder Üppigkeit ihr Spiel erlaubt:
Dann entschlüpft sie ihren Schranken, stürzet
Wonnedürstend sich an deine Brust,
Und die Mitgespielin, Sünde, würzet
Höher, feuriger den Kelch der Lust.
Höllengeister, die bei Tage schliefen,
Spornen rascher der Begierde Lauf,
Rühren bis in seine tiefsten Tiefen
Jeden Quell der Lieb' und Wollust auf.
Ha! Dann blick' und lechz' ich mit Entzücken
Jede Blume deiner Schönheit an
Und umkette rund bis in den Rücken
Mit den Armen den erträumten Mann.
Ich erwach', - aus Arm, aus Aug' und Ohre
Schlüpft das Traumbild, liebeleer wie du.
Schnell verzischt es, gleich dem Meteore;
Seinen Schimmer deckt der Nachtflor zu.
Weit erstreck' ich dann die leeren Arme;
Rasch verfolgt es mein erwachter Blick;
Laut ruf' ich ihm nach in wildem Harme:
Doch umsonst! Es kehrt mir nicht zurück.
Schmachtend sinkt des müden Hauptes Schwere
Rückwärts auf den Pfühl zu neuem Traum:
"Komm zurück, du holder Taumel! Gäre
Wieder auf, du süßer Nektarschaum!" -
Nichts! - Mir dünkt, nun wandern wir zusammen
Durch die Schauer öder Wüstenei
Und bejammern, daß von unsern Flammen
Nirgends, nirgends mehr Erlösung sei.
Abgemattet von des Tages Schwüle,
Von der Wanderung durch Dorn und Moor,
Suchen wir und finden keine Kühle.
Schwere Dämpfe steigen grau empor
Und benehmen unserm müden Gange,
Gleich den Dünsten einer Totengruft,
Zwischen fürchterlichem Überhange
Hoher Felsenmassen, Licht und Luft.
Jach erhebst du dich von meiner Seite,
Schwebest bis zur Wolkendeck' empor,
Winkst mir zu aus der erhabnen Weite
Und verbirgst dich in der Dämmrung Flor.
Donnerklang und Sturm- und Stromgebrause
Schreckt mich wach; doch werd' ich des nicht froh:
Denn ich find' in meiner öden Klause
Alles Elend, dem ich kaum entfloh.

Anders hat zu deinem Lebensteile
Gütig strenge das Geschick gewählt
Und das Herz dir gegen alle Pfeile
So des Schmerzes wie der Lust gestählt.
Seinen gleichen, sanften Schlag beflügelt
Nie ein rasches, wild entflammtes Blut.
Deines Geistes stille Großmacht zügelt
Die Begier und wehrt der Überflut.
Ruhiger lag nicht in seinen Tiefen,
Als noch angefesselt der Orkan
Und die Kräfte der Bewegung schliefen,
Ruhiger lag nicht der Ozean;
Sanfter schlummert aus der Welt Getümmel
Nicht der Gottversöhnte sich ins Grab;
Milder leuchtet nicht der offne Himmel
In sein halbgebrochnes Aug' herab.

Sei mir dann, sei nochmals her entboten!
Denn was fürchtest du mein Angesicht?
Komm, o Abelard! Denn unter Toten
Zündet ja der Liebe Fackel nicht.
Kalt versagt Natur dich süßem Scherze;
Gott verdammt, was heiße Liebe schwärmt;
Ach! Sie lodert gleich der Totenkerze,
Die kein Leben in die Urne wärmt.

Was für herzentweihende Gebilde
Stellen sich mir allenthalben dar!
Ich mag betend wandeln im Gefilde,
Ich mag knieend beten am Altar:
Unter meiner Sehnsucht Hauch verdunkelt
Und verzehrt mein Morgenlämpchen sich;
Hell an jeder Betkoralle funkelt
Eine Thräne, hingeweint für dich;
Allenthalben stiehlt mit leisem Gange
Zwischen Gott und mich dein Bild sich hin;
Dich vernimmt in jedem Chorgesange
Das getäuschte Ohr der Schwärmerin.
Wann vom Altar bis zum Tempelbogen
Blau die süße Weihrauchwolke schwebt
Und sich, steigend mit den Orgelwogen,
Himmelan die fromme Seel' erhebt:
Dann zerstört auf einmal der Gedanken
Flüchtigster an dich des Festes Glanz;
Alles seh' ich durcheinander wanken,
Priester, Kerze, Rauchfaß und Monstranz;
Fühle tief in einem Feuermeere
Meine Seele brennend untergehn,
Währenddes in Flammen die Altäre
Und umher die Engel zitternd stehn. -

Jetzt, da ich der Reue Dolch empfinde,
Da aus mir die Tugend wieder weint,
Da ich betend mich im Staube winde,
Da mein Herz ein Gnadenstrahl bescheint,
Jetzt komm an, dein Herrenrecht zu pflegen!
Schwinge deines Reizes Zauberstab!
Setze dich des Himmels Macht entgegen!
Streit ihm mutig deine Sklavin ab!
Komm! Ein süßer Blick von dir vernichte
Jeden Wunsch der Frömmigkeit in mir!
Tritt zu Boden meiner Buße Früchte!
Alle Macht der Gnade weiche dir!
Übereile meine Segensstunde,
Reiße mich, schon nahe meinem Glück,
Reiße, mit dem Höllengeist im Bunde,
Noch aus Gottes Armen mich zurück! -

Nein, entfleuch! O fleuch zur fernsten Ferne!
Laß, wie Pol und Pol, uns nimmer nahn!
Steige Berg auf Berg bis an die Sterne!
Rolle zwischen uns ein Ozean!
Komm nicht, schreib' nicht, denk' mein nicht und trage
Nun und nimmer wieder Leid um mich!
Jeden Schwur erlaß ich dir; entsage
Jeder Rückerinnerung an dich.
Fleuch, verwirf und hasse Heloisen! -
Aber du, ihr einst so wonnevoll,
Sei hiermit zum letzenmal gepriesen,
Holdes Bild! Und nun - leb' ewig wohl! -
Hehre gnade! Göttlich schöne Tugend!
Segenvolle Weltvergessenheit!
Hoffnung, Himmelskind im Schmuck der Jugend!
Glaube, Spender hoher Seligkeit!
Sprecht nun, all' ihr hoch willkommnen Gäste,
Freundlich meiner offnen Seele zu!
Schenket zu dem nahen Jubelfeste
Meinem Feierabend sanfte Ruh'! -

Sieh', o sieh' hier an des Todes Schwelle
Heloisen trauernd ausgestreckt,
Wo ihr Leib vielleicht die Ruhestelle
Einer gleichen Dulderin bedeckt!
Mehr als Luft ist, was mit sanftem Schauer
Oft sie anweht, leise sie umstöhnt;
Mehr als Echo, was von jener Mauer
Murmelnd ihre Klagen widertönt.
Wach, gleich wie ihr Blick das düstergelbe,
Matte Kerzenlicht, so wach vernahm
Jüngst ihr Ohr den Ruf, der vom Gewölbe
Hohl und dumpf herausgewandelt kam:
"Komm", so sagt' es oder schien's zu sagen,
"Komm von hinnen, arme Schwester, komm"
Hier ist Ziel und Ruhestatt der Klagen.
Die dich ruft, war schwach wie du und fromm!
Vormals bebte, weinte, seufzte, flehte,
Litt sie, ach! um Liebe, gleich wie du.
Gott vernahm der frommen Angst Gebete,
Und geheiligt ging sie ein zur Ruh'.
Ah, wie sanft und süß ist hier der Schlummer!
Wie so still ist alles rund umher!
Ausgewimmert hat allhier der Kummer,
Und die Liebe seufzt und weint nicht mehr.
Höllenangst ob ihrer Menschheit Schwächen
Folgt hieher der frommen Einfalt nicht;
Menschenhärte darf den Fehl nicht rächen,
Dem ein milder Gott Verzeihung spricht."

Ha, ich komm', ich komme! Seht mich fertig,
Eure Rosenlauben zu beziehn!
Seid mit Himmelspalmen mein gewärtig
Und mit ewig blühendem Jasmin!
Mich verlangt, in Ruhe da zu weilen,
Wo die reinen milden Lüfte wehn,
Wo der Liebe Flammenwunden heilen
Und in Lust die schmerzen übergehn. -
Jetzo komm, mein Abelard, und leiste
Liebreich mir die letzte Trauerpflicht!
Ebne sanft dem müden Pilgergeiste
Seinen Übergang aus Nacht in Licht!
Sieh' das Brechen meiner trüben Augen,
Sieh' das Beben meiner Lippen an!
Neige dich, den letzten Hauch zu saugen
Und im Fluge meinen Geist zu fahn! -
Nein, ach nein! - Im heiligen Talare,
Still erbebend wie der Espe Blatt,
Mit geweihter Kerze vom Altare
Nahe dich zu meiner Lagerstatt!
Folge meinem irren Augensterne
Mit dem Kreuz und reich' es mir zum Kuß;
So auf einmal lehre mich und lerne
Du von mir auch, wie man sterben muß! -
Ah! Nun magst du, tief im Schaun versunken,
Schuldlos vor der einst so Teuern stehn;
Magst verglühn des Auges letzten Funken
Und verglühn der Wange Rosen sehn!
Stehn, bis keiner ihrer Lebensgeister,
Selbst der kleinste sich nicht weiter regt,
Bis ihr Herz für seinen großen Meister,
Seinen Abelard, auch nicht mehr schlägt. -
Tod, o Tod, du Redner ohnegleichen
Vor dem Liebenden, der sonst nichts hört,
Wie erschütternd, selbst durch stumme Zeichen,
Predigst du, was ihn für Staub bethört! -

Wann nun auch die schönste der Gestalten,
Die mein Blick so lüstern oft umirrt,
Unter Lebensmüh' und Zeit veralten
Und erschlafft zusammensinken wird:
Dann verwandle sich in Hochentzücken
Alle deine Herzbeklommenheit!
Weit vor deinen aufgeklärten Blicken
Öffne sich des Himmels Herrlichkeit!
Eine lichte Wolke steige nieder
Und, umringt von froher Engel Chor,
Schwebe bei dem Klange süßer Lieder
Deine Seel' ins Paradies empor!
Ruf' ihr dort der Heiligen und Frommen
Ganze Schar, die sich entgegendrängt,
So voll Liebe, so voll Lust Willkommen,
Als dich Heloisens Arm umfängt!

Beide Asche decke nun ein Hügel,
Beider Namen werd' ein Stein geweiht!
Glorreich trage deines Ruhmes Flügel
Meine Liebe zur Unsterblichkeit!
Fügt sich's dann in später Nachwelt Tagen,
Wann am Herzen mir kein Wurm mehr frißt,
Und von meinen Seufzern, meinen Klagen
Längst der letzte Laut verschollen ist,
Daß ein Ungefähr nach seiner Weise
Für ein trautes Paar den Plan erdenkt
Und die Schritte seiner Pilgerreise
Nach dem stillen Paraklete lenkt:
O so tret' es wehmutsvoll und schweigend
An den alten grauen Marmelstein!
Haupt zu Haupte sanft hinüberneigend,
Schlürf' es eins des andern Thränen ein!
Aufgeschüttert von des Mitleids Triebe,
Hinterlaß es betend unser Grab:
"Segn' uns Gott mit einer frohern Liebe,
Als das Schicksal diesen Armen gab!"

In der Feierstunde, wann der Chöre
Lautes Hosianna hier ertönt,
Oder wann ihr banges Miserere
Knieend eine Schar von Büßern stöhnt;
Mitten dann im Pomp der Hekatombe
Frommer Seufzer, die gen Himmel wehn,
Müsse noch auf unsre Katakombe
Seitwärts manches Auge niedersehn!
Selbst der Andacht müss' in höchster Sphäre
Ein Gedanke noch an uns entfliehn,
Und, die ihn begleiten wird, die Zähre
Werde gern im Himmel ihr verziehn!

Wenn das Glück nicht meinen Nachruhm neidet,
So erhebt ein Sänger sich vielleicht,
Der an einer Seelenwunde leidet,
Die der meinigen an Tiefe gleicht;
Der umsonst, umsonst durch lange Jahre
Seiner Hochgeliebten nachgeweint,
Bis ihn noch mit ihr - doch vor der Bahre! -
Das Geschick minutenlang vereint;
Der nun unter Klagemelodieen,
Fern von treuer Gegenliebe Kuß,
Schmachtend in das Land der Phantasieen
Seine liebsten Wünsche senden muß:
Dieser mach' in preislichem Gedichte,
Wohlgestimmt dazu an Herz und Mund,
Unsre thränenlockende Geschichte,
Meinem Schatten noch zum Labsal, kund!
Bei dem Liede mein- und seiner Schmerzen
Werde jedes Hörers Brust erregt!
Denn nur der beweget leicht die Herzen,
Welchem selbst ein Herz im Busen schlägt.

Aus: Bürgers Gedichte. Herausgegeben von Arnold G. Berger. Kritisch durchgesehene und erläuterte Ausgabe Leipzig und Wien 1891. Bibliographisches Institut (S. 331-347)
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Nikolaus Lenau (1802-1850)

Heloise

Im Klostergarten steht ein steinern Bild,
Ein Crucifix so ernst, versöhnungsmild.
Oft in der Nacht, der ungestörten, späten,
Geht Schwester Heloise hin, zu beten.
Auch heute kniet sie dort am Marmorstamme
Und fleht um Kühlung ihrer Herzensflamme:
"O Gott! nachdem du hast für uns gelitten,
Geklagt, geweint, empfangen Todeswunden,
Wird unglückliche Liebe noch gefunden?
Hat sie nicht ausgeweint und ausgestritten?
Hilf! rette mich aus diesen Finsternissen
Der Zweifel, die mein blutend Herz umnachten!
Nach Ihm, nach Ihm nur muß ich ewig schmachten;
O Gott! hier liegt mein Herz vor dir zerissen!
Umsonst, daß ich empfing den frommen Schleier,
Daß ich zum strengen Orden mich bekannte,
Noch immer seh' ich meinen süßen Freier,
Wie er beim letzten Lebewohl sich wandte.
Du selbst hast ihn zum Gatten mir erkoren;
Oft wenn ich Wort' und Küsse mit ihm tauschte,
War mir, ob Himmelsbeifall uns umrauschte,
Kannst du mich trösten, daß ich ihn verloren?
Du kannst es nicht, muß zitternd ich bekennen,
Ich sterbe hin in meiner Leidenschaft,
Es muß mein Herz mit seiner letzten Kraft,
Dir abgewandt, in dieser Glut verbrennen.
Und wenn ich das Verlorne und Versäumte,
Als hätt' ich es, in süßen Nächten träumte,
Verzeih, mein Gott! daß ich in meinem Schrecken,
Wenn kalt die Schwestern mich zur Hora wecken,
Nach Truggestalten strecke meine Hände,
Vergötternd mich zu meinen Träumen wende.
Verzeih, wenn ich oft knieend am Altare
Zu knieen mein' an meiner Freudenbahre,
Und daß in mir verlornes Mutterglück
Aufschreit: gib mir den Bräutigam zurück!
Im Mondlicht seh' ich hier dein Bildniß schimmern,
Die Winde seufzen durch den Blütenstrauch;
Ich kam zu beten, doch im Windeshauch
Hör' ich mein unempfangnes Kindlein wimmern.
Ich bin so arm, verlassen und beraubt,
Nichts kann ich mehr zum Opfer und Geschenke
Dir bringen, Gott! als daß mein müdes Haupt
Ich hier zu deinem heil'gen Kreuze senke,
Daß ich die Wange kühl' an deinem Steine,
Wenn ich die Nacht um Abälard verweine.

Aus: Nikolaus Lenau Werke und Briefe. Historisch-kritische Gesamtausgabe. Herausgegeben im Auftrag der Internationalen Lenau-Gesellschaft
Band 1: Gedichte bis 1834
Band 2: Neuere Gedichte und lyrische Nachlese
Wien 1995 (Band 2 S. 13-14)
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Luise von Ploennies (1803-1872)

Abälard und Heloise - Ein Sonettenkranz

Heloise an Abälard
An den Geliebtesten, der sie durch diese
Sternlose Nacht geleiten soll als Vater,
An ihren Gatten, Bruder, Freund, Berather,
An Abälard die Seine, Heloise.

Der Wahn, dass deine Seele mich verließe,
Die du geweiht zur Dolorosa Mater,
Sollt' ewig fern mir bleiben, aber naht' er,
Ist mir's, als ob der Heiland mich verstieße.

Ich hab' den Brief an deinen Freund gelesen,
Er hat das Innerste mir neu zerrissen,
Nun fehlt der Trost mir, d'ran ich mag genesen.

Ich bin allein in tiefen Finsternissen,
O du! der Sonne meinem Lenz gewesen,
Laß mich den Strahl in meiner Nacht nicht missen!


Heloise an Abälard
O schreibe mir, du, dessen Wort den Schwingen
Der bangen Seele leihet neue Kraft,
Wenn sie auf ihrem steilen Flug erschlafft,
Wenn alle Himmelsträume ihr zergingen.

O du! den diese Arme einst umfingen
Im Zauberbanne glüh'nder Leidenschaft,
Verzeih', verzeih', wenn ich der süßen Haft
So sel'gen Traumes nicht mich kann entringen.

Du Einziger! mit dem ich wonnetrunken
Durch alle Himmel flog im Glutverein,
Als Stern um Stern an meine Brust gesunken;

Du Göttlicher, in deiner Liebesfülle! -
Welch kalter Schauer rinnt durch mein Gebein,
Ich beuge stumm mein Haupt, das ich verhülle.


Abälard an Heloise
An sie, die in der Welt mir Gattin ward,
Die nun die Braut des höchsten Gottes ist,
Geliebte Schwester mir in Jesu Christ,
An Heloise schreibt ihr Abälard.

Nicht wähnt' ich, dass auf ird'sche Zeichen harrt
Die Gottesbraut, die dieser Welt vergisst,
Daß sie die Trennung nach dem Raume mißt,
Genossenschaft nach ird'scher Gegenwart.

Nicht wähnt' ich zaghaft, der die Kraft gegeben,
Kleinmüthig nicht, der Großes ward vertraut,
Die stärken, trösten, leiten soll, erheben:

So lebst du mir im Geiste, Gottesbraut,
Drum aus dem Zagen laß es dich erheben,
Daß Abälard als Heilige dich schaut.


Heloise an Abälard
Du Einziger! nach langem, langem Schweigen
Bin ich umweht von deines Geistes Grüßen,
Und lieg' in Andacht betend dir zu Füßen,
Dir, dem sich muß mein tiefstes Wesen neigen.

Du Einziger weißt, wie ich ganz dein eigen,
Wie nicht das Herz mich hält in Klosterhallen,
Wie meine Hymnen, die gen Himmel wallen,
Aus einer heißen Seelenwunde steigen.

Dich fleh' ich an, bei meiner wunden Seele,
Zu den Gesunden zähle nicht die Kranke,
Daß nicht die einz'ge Arzenei mir fehle;

Bei dieser Sehnsucht, drin ich mich verzehre,
Für stark nicht halte du die schwache Ranke,
Daß sie in dir nicht ihren Stab entbehre.


Heloise an Abälard
Gott weiß, ich hab' nach Anderm nie getrachtet,
Als einzig nur nach dir, o du mein Leben!
Nicht wollt ich mich durch Glück und Rang erheben,
Nach deinem süßen Selbst hab' ich geschmachtet.

Nicht was die Menge groß und herrlich achtet,
Ersehnt' ich, meines Herzens heißes Streben
War einzig, ganz mich dir dahin zu geben,
Würd' ich darum von aller Welt verachtet.

Und hätt' Augustus mir die Kaiserkrone
Geboten, dass ich auf dem Herrscherstuhle
Der Welt als stolze Gattin mit ihm throne,

So ruf ich Gott den Ewigen zum Zeugen,
Daß es mir größer schien, als deine Buhle
Mein Haupt in Schmach und Niedrigkeit zu beugen.


Heloise an Abälard
Und ich war glücklich, konnt' in allen Reichen
Von Sonnenaufgang bis zum Niedergang,
So weit der Liebe Lebensruf erklang,
Ein glücklich Weib dem Deinen sich vergleichen?

Der Edelste ja selber musste weichen
Dem Einzigen, den dieser Arm umschlang,
Der wie das Sonnenlicht die Welt durchdrang
Mit seinem Geist, dem klaren, lebensreichen.

Und er, den alle Stimmen jubelnd priesen,
Den sein Jahrhundert sich als Stern erkor,
Der Tausenden den Weg zum Heil gewiesen,

Hob mich an sein begeistert Herz empor.
Da war ich Gottesbraut, als Heloisen
Ihr Abälard erschloß des Himmels Thor.


Heloise an Abälard
Wenn ich als Quelle deines Leids verdamme
Mein Herz, dann droht das Uebermaas der Wehen
Es zu zersprengen; Frieden zu erflehen,
Werf ich danieder mich am Kreuzesstamme.

Dann ringt sich manchmal himmelan die Flamme,
Wie Jephta's Tochter fühl' ich mich durchwehen
Vom heil'gen Stolz, dass du mich ausersehen,
Du Einziger! zu deinem Opferlamme.

Das ist das Heil in diesem Trank, dem bittern,
Daß ihn die Liebe weiht; das wird erheben
Mich einst als Trost im letzten Herzenszittern:

Daß ich den vollen Kranz vom reichen Leben,
Ohn' in Entblätterung ihn zu zersplittern,
Für eine große Liebe hingegeben.


Heloise an Abälard
Schon lange hört' ich deinen Ruhm erschallen,
Wie du, von seltner Geisteskraft durchdrungen,
Dem hohen Bild der Wahrheit nachgerungen,
Der Edelste, der Weiseste von Allen.

Wie in des Wissens hochgewölbten Hallen
Du dich so früh, so ernst emporgeschwungen,
Wie deinem starken Wort der Sieg gelungen
Ob Finsterlingen, die der Nacht Vasallen.

Dein Wort, es sei der göttlichen Gedanken
Harmonisch lichtdurchflossenes Gewand,
Durchwoben von lebend'gen Blumenranken;

Es sei ein blitzend Schwert in deiner Hand,
Vor dem vernichtet deine Gegner sanken,
Um das der Ruhm den grünen Lorbeer wand.


Heloise an Abälard
Und wie ich nun in's schöne Aug' dir schaute,
Dein Ton erklang in meinem stillen Zimmer,
Da war mir's klar im Herzen, dass ich nimmer
Empfunden solchen Blick und solche Laute.

Warm, wie ein Frühlingsperlenschauer, thaute
Dein Wort in's Herz mir, reicher, heller immer;
Dein Blick durchstrahlte es mit Sonnenschimmer,
Bis sich in mir der Wunderbogen baute.

Und ich, bedrängt vom innern Glanze, sah
Nach dir, der unterm kühn geschwungnen Bogen
Stand wie ein Sieger, heiter lächelnd da;

Da schlug des Innern Fülle starke Wogen,
Ein selig Klingen tönte fern und nah,
Und dir zu Füßen fühlt' ich mich gezogen.


Heloise an Abälard
Gelernet hatt' ich nach dem Schulgebrauche,
Denn heiß war nach Erkenntniß mein Verlangen,
Ich ließ mein Aug' an starren Lettern hangen,
Daß ihrer Nacht die Weisheit hell enttauche.

Jetzt las ich sie in deinem schönen Auge;
Die ernst und streng an mir dahin gegangen,
Erschien als Grazie vom Reiz umfangen
Mir in der Liebe duft'gem Rosenstrauche.

Wie aus dem tiefen See zum Licht der Sonnen
Die Ballisneria steigt aus grünen Ranken,
Den Kelch erschließend in dem Drang der Wonnen:

So, wenn ins Herz mir deine Strahlen sanken,
Erhoben aus der Nacht, die sie umsponnen,
In's Reich des Lichts sich blühend die Gedanken.


Heloise an Abälard
Wenn sich zwei Herzen aneinander pressen,
Vom Himmel selbst ersehn zum Liebesbunde,
Wie kann mit solcher lebensglühnden Stunde
Der kalte Traum des Ruhmes je sich messen?

Wir hatten Erbe, Gram und Tod vergessen,
Mein Lebenshauch ging aus von deinem Munde,
Die höchste Lust, die quoll dem Erdenrunde,
Wir hatten eins durch's andre sie besessen.

Denn deines ganzen Wesens keusche Flammen,
Und meines tiefsten Lebens reine Triebe,
Sie strömten unaufhaltsam stark zusammen;

Kein Blatt im Kelch, das unerschlossen bliebe,
Der süßen Rosen, die aus Eden stammen,
Der Geist und Sinn bewält'gend sel'gen Liebe.


Heloise an Abälard
Und wenn wir dann in Götterfrieden ruhten,
Ward unser Auge zum verstärkten Spiegel,
Und unsre Lippen drückten stumm das Siegel
Auf unseres Glücks geheimnißvolle Gluten.

O wunderbare, göttliche Minuten!
Erinnrung sprengt des Schicksals ehrne Riegel,
Und meine Sehnsucht schlägt mit wundem Flügel
Bang an die Pforte, heiß sich zu verbluten.

Erinn'rung, Sehnsucht, Reue, Grauen, Zagen,
Verzehren mich, doch treibt mich das Verlangen,
Statt der Gebete dieses Wort zu sagen:

Glücksel'ger Mund, an dem sein Glück gehangen,
Glückselig Herz, an dem sein Herz geschlagen,
Glückselig Weib, das liebend er umfangen.


Heloise an Abälard
Ich leb' so ganz in jenen Lenzestagen
Mit meiner Seele und mit allen Sinnen,
Daß alle Tropfen, die zum Herzen rinnen,
Die Gluten ihrer Sonnen in sich tragen.

So Tag und Nacht, bei starkem Herzensschlagen
Such' ich im Kreise frommer Beterinnen
Umsonst der Seele Frieden zu gewinnen,
Ach alle Hymnen werden Sehnsuchtsklagen.

Oft hingesunken vor der Jungfrau Bilde
Fleh' ich umsonst zu ihrer heil'gen Milde,
Sie blickt auf mich hernieder streng und kalt;

Sind denn die Gluten, die mein Sein verzehren,
Nicht auch ein Funken jener Lieb', der hehren,
Die einst am Kreuze himmelan gewallt?


Heloise an Abälard
Wird, von der Liebe heil'gem Geist durchdrungen,
Nicht jedes Weib der Erde zur Madonne,
Nicht jedes Kind ein Heiland und in Wonne
Auf's neu der alte Feind, der Haß bezwungen?

So wähn ich oft, im Traum von dir umschlungen,
Des künft'gen Lebens Himmel schon gewonnen,
Von einem Strahl der ew'gen Liebessonnen
Den neuen Leib in Seligkeit durchdrungen.

Ja, Mann und Weib sind Träger jener Flammen
Die schöpferisch das weite All durchglühen,
Drum strömen sehnsuchtsinnig sie zusammen.

Wenn alle Kräfte ihres Seins zur Klarheit
Gelangt, als Krone ihres Bunds erblühen,
Dann giebt sich kund des Bundes inn're Wahrheit.


Heloise an Abälard
Der Stunde denk' ich, der geheimnißvollen,
Als sich mit feuchtem Glanz dein Auge schmückte,
Als das vom Uebermaß des Glücks bedrückte
Ließ auf mich nieder seine Thränen rollen.

In meinem Geiste hört' ich Reichbeglückte
Die Lieder, die durch alle Lande schollen,
Vom Nachhall unsres Glückes schon umquollen,
Als noch des Glückes Fülle mich entzückte.

O diese Lieder, die wie Nachtigallen
Entzündet vom melod'schen Liederbrand,
Sich schwangen durch des Lenzes grüne Hallen!

O diese Rosen aus dem Paradiese,
Die mit dem Dufte durch das Vaterland
Den Namen trugen deiner Heloise!


Heloise an Abälard
Glückselig, die geliebt von einem Dichter,
Mit ihm entrückt dem Treiben dieser Welt,
Ruht träumend aus im ros'gen Wolkenzelt,
Drin er entzündet seine Gnadenlichter.

In leisen, süßen Zauberworten spricht er,
Von feiner'n Wonnen ist sein Herz geschwellt,
Sein Aug' von sel'gem Gottesglanz erhellt,
Und ihr in's Haar statt Blumen Sterne flicht er.

Zerronnen! Dicht umhüllt von Trauerflören,
Im Kreuzgang knieend auf den kalten Steinen,
Bin ich umwallt von schwarzen Schattenchören.

Erloschen! Grabeskerzen seh' ich scheinen,
Nur Grabgesänge darf die Nonne hören,
Nur heiße Thränen auf die Gräber weinen.


Abälard an Heloise
Geliebte Braut in Christo, sei gegrüßt!
Und er verleihe dir den heil'gen Frieden,
Der alle Trauer, alle Qual hienieden
Mit seinem sanften Himmelstrost versüßt.

Und glaube mir, die Welt ist öd' und wüst,
Die du nach meinem Wunsche früh gemieden,
Und jeder Seele wird das Heil beschieden,
Die selbstvergessen für die Liebe büßt.

Laß fest in dir den Glauben Wurzel schlagen,
Dann sprieset lebendig in dir auf das Hoffen,
Als Krone werden sie die Liebe tragen.

Wo Glaube, Liebe, Hoffnung sich getroffen,
Erstarkt die Seele bald zu kühnem Wagen,
Und edler That sind neue Bahnen offen.


Abälard an Heloise
Du weißt, daß hohe Segenswunder schafft
Die Liebe, wenn sie stark empor sich schwinget
Zu solcher Höhe, daß sie sich entringet
Im Himmelsflug der Ichheit enger Haft.

Sie wird zum Helden, der, ob blutig klafft
Die heiße Wunde, stark die That vollbringet;
Zum Heiland, der am Kreuz die Welt umschlinget,
Und segnend stirbt als Gott durch ihre Kraft.

Was in der Liebe irdisch war, zerrinne,
Wir aber schließen heiliger und freier
Ein Liebesband hoch überm Reiz der Sinne.

Du Priesterin der höchsten Liebesfeier,
Zünd' an die Kerzen unsrer ew'gen Minne,
Und laß mich ruh'n in deinem weißen Schleier.


Abälard an Heloise
Die nur vom Erdenreize stammt, die Liebe,
Gleicht unsres Lenzes wonnevoller Rose,
Ein Kind der Erde, theilt sie Erdenloose,
Geboren, daß sie mit dem Lenz zerstiebe.

Blind folgend der Natur gewalt'gem Triebe,
Bleibt ihrem Bunde fern das Ew'ge, Große,
Sie ist die reizende, doch willenlose,
Nichts lebt in ihr, das nach dem Lenz noch bliebe.

Doch unsre Liebe, die erstarkt zur Tugend,
Ist ihrer tiefen Wahrheit sich bewußt;
Enttaucht dem heißen Wonnerausch der Jugend,

Dringt sie in Tiefen der verwandten Brust;
Das Unvergängliche in Trümmern suchend,
Ahnt sie im Tod des ew'gen Lebens Lust.


Abälard an Heloise
Der höchste Schritt ist's zur Vollkommenheit,
Wenn zwei in hoher Liebe überwinden,
Wenn, die erst Fessel war, den Geist zu binden,
Zur Schwinge wird, die rettend ihn befreit.

Und das wird sein die höchste Seligkeit,
Wenn wir dereinst in Gott uns wieder finden,
In ihm, den ahnend wir in uns empfinden,
Vermählt zu sein für alle Ewigkeit.

Die über Klippen einst gestürzt, die Welle,
Sie ströme nun, vom starken Drang gereinigt,
Dem Meer entgegen silberklar und helle;

Nicht ferner durch der Trennung Qual gepeinigt,
Bedenke, daß uns bald der Liebe Quelle,
Die endlich Alles in sich eint, vereinigt.


Heloise an Abälard
O Liebster, könnt' ich jetzt bei dir erscheinen,
In heil'ger Ruh zu deinen Füßen liegen,
Wie ein beschwichtigt Kind an's Herz dir schmiegen
Mein sinnend Haupt und leise, leise weinen!

Wie tief und heilig fühl' ich dich den meinen!
Jetzt wird mein Geist, der nah dem Unterliegen,
Durch deine Kraft den heißen Schmerz besiegen,
Um nachzustreben deinem Flug, dem reinen.

O führ' mich, Einziger, o führ' mich weiter!
An deiner Hand erklimm' ich Stuf' um Stufe
Der steilen, mühevollen Himmelsleiter.

Gieß Strahl auf Strahl von deinem hellen Lichte
Mir aus, mein Stern, zu dem ich flehend rufe,
Zu dem ich sehnend Herz und Blicke richte!


Heloise an Abälard
Erfülle mich mit deines Glanzes Pracht,
Laß meine Seele deinen Geist umfangen;
Wie einst mein Auge deinen Blick empfangen,
So schenke Klarheit meiner Seele Nacht.

Denn mancher Zweifel ist in mir erwacht,
Nicht kann ich blind an meinem Glauben hangen,
Drum laß des Lichtes auch zu mir gelangen,
Das deine Weisheit unsrer Zeit entfacht.

Du hast die heil'ge Wohnung uns gegründet;
Hier, wo die Wälder das Geheul, das wilde,
Des Raubthiers einst durchdrungen, uns verbündet;

Hast vor der Liebe himmlisch reinem Bilde
Die ew'ge Lampe unsres Diensts entzündet,
So spende jetzt das Oel durch deine Milde.


Heloise an Abälard
Wir, deine Töchter, wollen darum einen
Uns alle jetzt in flehentlicher Bitte,
Du wollest ordnen unsres Klosters Sitte,
Und dadurch ganz uns weihen zu den Deinen.

Doch laß dir sagen, daß mir unnütz scheinen
Will aller Zwang, darin der Körper litte;
Erlaß uns Qualen, die mein Geist bestritte,
Der gern im Großen opfert, nicht im Kleinen.

Auch sei es uns durch dich, o Herr, verkündet,
Woher den Ursprung unser Stand gewonnen,
Worauf sich unser streng Gelübde gründet.

Wo bliebe noch der heil'gen Ehe Segen,
Wenn nach dem Himmel Mönche nur und Nonnen
Hinwandelten auf einzig rechten Wegen?


Heloise an Abälard
Was ich nach deinem Wunsch begonnen habe,
Das will ich ganz und deiner werth vollenden,
Doch laß mich die getrübten Blicke wenden
Nur stets nach dir, nach meiner einz'gen Labe.

Mein glühend Herz kann noch nicht über'm Grabe
Daheim sein, wie die Frommen der Legenden;
Du mußt die Kraft mir zur Entsagung spenden,
Empor mich richten an der Liebe Stabe.

Du hießest aufwärts diese Mauern steigen,
Hast diesen Thürmen ihre luft'gen Bahnen
Geboten, daß sie frei gen Himmel steigen;

Führ' nun die Geister himmelan zur Klarheit,
Daß alle dich in ihrem Aufschwung ahnen,
Daß Form und Wesen sei harmon'sche Wahrheit.


Abälard an Heloise
Geliebte Braut in Christo, seine Gnade
Sei heut' mit dir und mir und mit euch Allen,
Auf daß wir fest und reinen Herzens wallen
Die schmalen aber sichern Lebenspfade.

Der Heiland kam und sprach: Euch Alle lade
Ich ein in meines Reiches lichte Hallen,
Doch fordr' ich keine irdische Vasallen,
Die Schätze suchen an der Welt Gestade.

Und wer mir folgen will aus reinem Triebe
Der lasse hinter sich das Gut der Erde,
Und solches nur erstrebe seine Liebe:

Triumph der Seele, Niedrigkeit der Hülle,
Dem Geiste Wonne und dem Leib Beschwerde,
Lust in Entsagung, in der Armuth Fülle.


Abälard an Heloise
Und Allen, denen noch im Herzen glühte
Von Gottes Schöpferglut ein Liebesfunken,
Sie waren ihm zu Füßen hingesunken,
Und folgten ihm mit gläubigem Gemüthe.

Vor Allen aber in der Frau entblühte
Der Liebe Seelenknospe gottestrunken;
Der Strahl, der ihr aus seinem Aug' gewunken,
Vermählte sich der eingebornen Güte.

Bei ihm kein strenges Richten, kein Verdammen;
Wie eine Mutter trug er sanft am Herzen
Den todtbedrohten Liebling aus den Flammen.

Der Sünde dunkle Flecken auszumerzen,
Bewies er, dass vom ew'gen Lichte stammen
Tugend und Lieb', in heißen Todesschmerzen.


Abälard an Heloise
So hob er aus den Flammen Magdalenen,
Und trug sie in der Liebe Heimathland,
Und löschte ihrer Sünden Todesbrand,
Mit seines Gottesauges heil'gen Thränen.

Und immer war's der Frauen reines Sehnen,
Das tief den Weg zu seinem Herzen fand,
Und sie auch sah man treu am Grabesrand,
Gleich Marmorbildern tiefer Trauer lehnen.

Und als die Gruft gesprengt, da durften Frauen
Den Lebensengel in den Lichtgewanden
Zuerst mit den verweinten Augen schauen;

Vor Allen sie, die Schuld durch Lieb' gebüßet,
Denn zu ihr trat der Gott, der auferstanden,
Und sprach mit sanftem Tone: Sei gegrüßet!


Abälard an Heloise
Und als nun Christus sich emporgeschwungen,
Ließ als Vermächtniß er zurück die Liebe,
Und daß sein Wort der Welt lebendig bliebe,
Ward eine Schaar vom heil'gen Geist durchdrungen.

Daß der lebend'ge Schatz, den sie errungen,
Mit ihrem Tode fruchtlos nicht zestiebe,
So zogen sie hinaus in's Weltgetriebe
Und predigten den Herrn in allen Zungen.

Und andre schlossen einen Bund der Geister;
In tiefer Stille, fern dem Reiz der Erde,
Erstrebten sie, gleich ihrem hohen Meister,

Triumph der Seele, Niedrigkeit der Hülle,
Dem Geiste Wonne und dem Leib Beschwerde,
Lust in Entsagung, in der Armuth Fülle.


Abälard an Heloise
Der Becher, der geprangt im stolzen Saale,
Erfüllt vom Feuerwein der Jugendglut,
Der Minnelust und tollen Uebermut
Und Sang und Klang geweckt im Kerzenstrahle;

Ward nun geweiht zur heil'gen Opferschale,
Daraus des Welterlösers göttlich Blut
Symbolisch quoll als heiße Liebesflut,
Wie aus dem goldnen Kelch beim Abendmahle.

So läuterte in Paulus starker Brust
Im glüh'nden Strahl der ew'gen Liebessonne
Zu reinem Geist sich wilde Sinnenlust;

So weihte heilige Begeisterung
Maria Magdalena ein zur Nonne,
Zum Kelche göttlicher Erinnerung.


Abälard an Heloise
Nun ich willfahret einem Theil der Bitte,
So gut ich es vermochte, will ich eilen,
Zu ordnen und zu regeln ohne Weilen
Dein Klosterleben nach bestimmter Sitte.

So werd' ich ewig sein in eurer Mitte,
So werden unsrer Trennung Wunden heilen,
Im Geiste werd ich eure Feier theilen,
Ob Zeit und Raum mir dieses Glück bestritte.

Wie eines Tempels inner'n Raum zu schmücken,
Der Maler Zeuxis nach den schönsten Frauen
Gemälde schuf, das Auge zu entzücken;

So schmück ich eures geist'gen Tempels Wände,
Mit höher'm Bild die Seele zu erbauen,
Ihr aber fleht, daß ich's mit Gott vollende.


Heloise an Abälard
Dank deiner Hand, die rettend mich ergriffen,
Zum Licht mich führt, aus diesen Nebelmassen;
Mußt' auch der Erdenfreude Schein erblassen,
Ich darf mit dir zu sel'gen Inseln schiffen.

Nicht irret in der Zweifel schroffen Rissen
Die Seele ferner einsam und verlassen,
Du lehrtest sie die ew'ge Wahrheit fassen,
Giebst Klarheit ihren dämmernden Begriffen.

Trag' mich hinan zum höchsten Ziel des Strebens
Laß mich erschau'n den Gottesquell des Lebens,
Der sich ergießt in dreifach heil'gem Strom;

Daß ich wie du erfüllt von seinem Lichte,
Ihn schau von Angesicht zu Angesichte,
Mit dir vermählt in der Erkenntniß Dom.


Abälard an Heloise
Gar manche heiße Pein hab' ich ertragen
Durch fremde Bosheit und durch eigne Fehle,
Denn schwer gekränkt ward ich an Leib und Seele
In voller Kraft von meinen Lebenstagen.

Ich ward geweiht dem schmerzlichsten Entsagen,
Daß sich die Kraft zu höh'rem Werke stähle,
Dann auf des Hasses und des Neids Befehle
Mußt' ich mein eignes Buch in's Feuer tragen.

Doch leicht kann ich das schwere Leid verschmerzen,
Weil mir durch Gott die höh're Kraft geblieben,
Ihn zu verkünden deinem tiefen Herzen.

Und seine Weisheit wird mich nicht verlassen,
Wird es vergönnen meinem reinen Lieben
Sein Wesen dreifach eins für dich zu fassen.


Abälard an Heloise
Als Weltendichter hab ich mir gedacht
Den höchsten Gott, der Alles wirkt und schafft,
Der aus dem unerschöpften Born der Kraft
Unendlich zeugt in gränzenloser Macht.

Durch Weisheit stets zum Schönsten angefacht,
War, um die Welt zu lösen aus der Haft
Des Todes und der sünd'gen Leidenschaft,
In ihm der Liebe heilig Werk erwacht.

Daß Leben neu entkeime der Vernichtung,
Vermählte seine Weisheit er der Erde
In seines heil'gen Geistes Liebesdichtung.

Die Weisheit sprach: Der Mensch sei auserkoren!
Die Allmacht rief herab ihr göttlich: Werde!
Da ward der Geist der Lieb' im Wort geboren.

Abälard an Heloise
Drum dich, die ich geliebt, will ich bitten,
Du wollest mit den Schwestern, den Geweihten,
Die Schwingen des Gebetes schützend breiten
Ob ihm, der steht in der Gefahren Mitten.

Und fall' ich, der so ruhelos gestritten,
Dann senkt mich ein zu des Altares Seiten,
An dessen Stufen ihr zu allen Zeiten
Frieden erfleht ihm, der so viel gelitten.

Wie einst Maria Lazarum erworben,
Dem Christi Thräne ward zum Lebensfunken
Für's Erdenleben, - so wenn ich gestorben,

Laß du für mich empor dein Flehen dringen,
Daß ruhen darf der Leib in Staub versunken,
Der Geist sich frei zum Quell des Lichtes schwingen.

Heloise an Abälard
Dein Brief, o Theurer, den mit heißem Sehnen
Ich mit den Schwestern bang erwartet habe,
Daß er in schwüler Pilgerschaft uns labe,
Hat uns versenkt in Trauer und in Thränen.

Wie aber kannst, mein Einziger, du wähnen,
Daß wir, getrennt von unserm einz'gen Stabe,
Noch wandeln könnten über deinem Grabe,
Die wir von dir nur unser Sein entlehnen?

O sprich, wo sollten all die bangen Herzen,
Die du gerettet aus dem Drang der Wellen,
Sich bergen vor dem Sturme solcher Schmerzen?

Du, der allein mit deinem heil'gen Auge
Entzündest unsrer Liebe fromme Kerzen,
Und unsre Hymnen schwellst mit deinem Hauche.

Heloise an Abälard
O vor dem Tode nimm uns nicht das Leben,
Gieb uns nicht das, was ärger als der Tod!
Seit der Gedanke unser Herz bedroht,
Verwandeln die Gebete sich in Beben.

An dir ist es, Geliebter, zu erheben
Dein Fleh'n für uns in unser letzten Noth;
Wenn es empor von unserm Grabe loht,
Wird unser Geist mit ihm gen Himmel schweben.

O sende den Betrübten bald ein Wort,
Das Freudeschwingen leihe unsern Chören,
Du unser Heil, du unser Seele Hort!

Du unser Heiliger, bei dem wir schwören,
Den ich erfasse einzig hier und dort,
Ach laß mich bald dein Wort des Lebens hören!

Heloise
Viel kann das schwache Menschenherz ertragen,
Die Wogen schlagen über ihm zusammen,
Es lebt, ein Salamander, in den Flammen,
Berührt vom Tod muß es noch bebend schlagen.

Mein Leben sah ich todt im Sarge tragen,
Sah, also todt, zum Leben mich verdammen;
Den Schlag, dem diese Schmerzen all' entstammen,
Ersehn' ich nun als Ende meiner Klagen.

Bei ihm ist meine Seele, nicht da drunten
Im dunklen Sarge, denn sonst müßte ja
So nah dem Todten, dieses Herz gesunden.

Ich weilte Tag und Nacht dem Grabe nah,
Doch immer heißer brennen meine Wunden,
Mein Leben, meine Seele sind nicht da.

Heloise
Den meine Seele liebt, hat sie gefunden;
Als mit den Schwestern ich wie er geboten,
Das Requiem sang dem geliebten Todten,
Hab' ich die Nähe Abälards empfunden.

Es hatte sich mein Geist dem Schmerz entwunden,
Als himmelan die hellen Töne lohten;
Ich sah verklärt in ew'gen Morgenrothen
Im Geiste ihn, der mir im Raum entschwunden.

Jetzt weiß ich, daß mein Heil da droben wohnet,
Nicht mehr verzweifelnd blick' ich dort hinab,
Und ohne Buße werd' ich jetzt belohnet.

Frei darf mein Geist zu dem Geliebten schweben,
Die letzte Thräne wein' ich auf sein Grab,
Denn unsrer Liebe quillt unsterblich Leben.

Aus: Neue Gedichte von Luise von Ploennies
Darmstadt 1851 (S. 235-274)
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Alexander Pope (1688-1744)

Heloise an Abelard
(Bruchstücke)

Woher, woher an diesem heil'gen Orte,
Wo dumpfe Schwermuth finster grübelnd weilt,
Wo nur zum Himmel sich Gedanken, Worte
Aufschwingen, wo die tiefste Wunde heilt,
Woher der Sturm in der Vestalin-Brust,
Hier, wo erstarrt der Schmerz, wo stirbt die Lust?
Wie, oder schweifen, trotzend allen Schranken,
Hinaus von dannen, weithin die Gedanken?
Wie, noch entbrennt mein Herz, noch wallt mein Blut?
Hilf Gott, ich liebe noch mit aller Glut!
Dein Name hat mich meinem Wahn entrissen,
Ich seh' ihn hier und muss ihn bebend küssen.

O, nenn' ihn nicht, sprich' ihn nicht aus, o Mund,
Den unheilvollen, ach, so theuern Laut!
Dem stillen Herzen bleib' er anvertraut,
Dort sei gebannt er auf den tiefsten Grund,
Wo sich sein Bild mit Gottes Bild vereint.
Schreib' ihn nicht nieder, Hand! Doch schon erscheint
Geschrieben "Abelard". O, strömet nieder,
Ihr Thränen, und verwischt die Züge wieder!
Doch Heloise weint umsonst und sorgt.
Das Herz gebietet, und die Hand gehorcht.

Ihr kalten Mauern, die ihr oft vernommen
Der Seele Weinen, Seufzer tief beklommen,
Ihr Felsenstufen, unterm Druck geschwunden
Wankender Knie, die sich hinauf gewunden,
Ihr dumpfen Zellen, wo bei Zwielichtscheine
Die Dornenruthe schwankt, ihr heil'gen Schreine,
Vor denen bleiche Jungfrau'ns wachen, härmen,
Ihr Heil'gen, deren Bilder weinen lernen,
Zwar ward ich kalt und stumm, wie ihr, allein
Noch ward ich nicht entmenschlicht ganz zu Stein;
Noch nicht gehör' ich ganz dem Himmel an;
Ein Theil ist ihm, ihm, dem geliebten Mann.
Noch hält in Aufruhr die Natur mit Macht
Das halbe Herz; kein Beten, Fasten macht,
Auch Thränen nicht, und wär'n Millionen Tropfen,
Den eigensinn'gen Pulsschlag leiser klopfen.


Du weisst, wie keusch, wie rein ich Dir genaht,
Da Lieb', verhüllt in Freundschaft, vor mich trat,
Zum Engel schuf dich meine Phantasie,
Ein Ausfluss schienst du ew'ger Poesie;
Dein Auge, ach! so ernst und mild zumal,
Schien süss verlockend, wie des Himmels Strahl.
Arglos schaut' ich hinein und ward berauscht,
Hat doch der Himmel, wenn du sangst, gelauscht.
Von deinen Lippen hehr verkündet, schien
Mir ew'ge Wahrheit edler als vorhin.
Wer kann den Eingang zu dem Herzen wehren,
Wenn solchem Mund entströmen weise Lehren?
Zu bald er lehrte, dass der Geist sei frei,
Und dass die Liebe keine Sünde sei,
Und gern im Geist den Platz zurück ich rann:
Nicht bleib' er Engel, den ich lieb' als Mann;
Nicht locken mich die unbekannten Freuden
Der Seligen. Nein, ich mag sie nicht beneiden
Um ihren Lohn, einst auch bestimmt für mich,
Nicht um den Himmel, den ich liess für dich.


Wie glücklich doch der frommen Nonne Loos;
Die Welt vergessend, lebet Gott sie blos!
Ein ew'ger Sonnenschein ihr rein Gemüth;
Treu ihr Gebet, beruhigt ihr Geblüt.
Arbeit und Musse theilen ihren Tag,
Und süsser Schlummer folgt gehorsam nach.
Kein Wunsch sie quält, Affekte sie nicht drücken,
Und ihre Thränen selbst sie noch entzücken.
Von heit'rer Stirne Gottes Gnade strahlt;
Ein Engel flüsternd süssen Traum ihr malt:
Die Rosen Edens glaubt sie zu erblicken;
Des Himmels Wohlgerüche sie erquicken.
Sie sieht den Bräut'gam, der hinauf ihr winkt,
Ein Jungfraunchor den Brautgesang ihr singt.
So schläft sie ein, löst auf sich ohne Leid,
Stirbt in Entzückung ew'ger Seligkeit.

Ganz and're Träume mich im Schlaf berücken,
Unheil'ge Freuden, sündhaftes Entzücken.
Wenn traurig sich der Tag zu Ende neigt,
Und Phantasie im Schlaf verjüngt mir zeigt,
Was schnöde Unthat, Theurer, dir entrissen,
Dann fliegt, da ja unthätig das Gewissen,
Die Seele mein, von allen Banden frei,
Zu dir, zu dir und kennet keine Scheu.
Verwünschter, süsser Schrecken solcher Nacht,
Wo noch die Schuld die scharfe Lust entfacht,
Und Teufel selbst fortträumen Hindernisse,
Dass jede Liebesquelle in mir fliesse.
Ich hör' dich, seh' dich, meine Arme drücken
Fest an mein Herz dich, loderndes Entzücken.
Ich wache auf, ich lausch', ich fasse zu -
Ach, das Phantom ist grad' so kalt, wie du!
Ich rufe laut; es hört nicht, was man ruft,
Mein heisser Arm umschlinget kalte Luft.
O süsses Bild, o Träume kehret wieder!
Doch weh! nicht mehr - mich dünkt, wir zögen beid'
Durch Wüsten hin, beweinend unser Leid,
Wo um Ruinen kriechen Epheuranken,
Und Felsen über graus'ge Tiefen schwanken.
Da schwebst empor du, winkest mir noch mild,
Doch eine Wolke raubt mir jäh dein Bild,
Der See rollt laut, ein Sturmwind sich erhebt,
Und rings das Felsenlabyrinth erbebt,
Ich fahr' zusammen, weiss mich kaum zu fassen,
Erwach' zu all' dem Leid, das kaum verlassen.


Sieh ausgestreckt mich hier auf kaltem Stein,
Nah manchem Grab, bei düst'rer Lampe Schein,
Will's mir bedünken, dass im Windesrauschen
Verwandte Geister Worte mit mir tauschen;
Und während still verlöschen will das Licht,
Aus jenem Schrein es da auf einmal spricht:
"Komm, Schwester, komm! (dumpf klang das Geisterwort)
Dein Platz ist hier! Komm, Schwester, komm' mit fort.
Einst so wie du hab' ich geweint, geklagt,
Der Liebe Opfer, jetzt 'ne heil'ge Magd.
Hier nur ist Ruh, hier sterben alle Triebe,
Hier seufzt nicht Kummer mehr, hier weint nicht Liebe.
Selbst Aberglauben weckt nicht Furcht noch Scheu;
Denn Menschen nicht, - Gott spricht hier sündenfrei."
Ich komm', ich komm'! Bereite mir die Hallen,
Lass Blumen duften, Himmelspalmen wallen,
Dort geh' ich hin, wo Sünder Ruh' erjagen,
Leidlos in Seraph's Brust die Herzen schlagen.
Du, Abelard, den letzten Dienst mir reiche,
Den Pfad mir ebne zu dem Himmelsreiche.
Sieh, wie mein Aug' umgiebt schon Todesnacht,
Die Lippe bebt, ja bald ist es vollbracht.
O, sauge meinen letzten Athemzug!
Fang' meine Seele auf, bereit zum Flug!
Doch nein, steh' fern! in düsterm Mönchgewand,
Die heil'ge Kerze zitternd in der Hand.
Das Kreuz erhebe, wenn ich schau' nach dir,
Lehr' mich zu sterben, lerne du's von mir.
Dann magst du mich, die du geliebt, ansehn,
Mich anzuschaun ist dann ja kein Vergehn.
Sieh', von der Wang' die Rosen alle fliehn,
Im starren Blick den letzten Strahl erglühn,
Bis stockt der Puls und Nacht mich ganz umgiebt,
Und selbst nicht Abelard mehr wird geliebt.
Ach! überzeugend kann der Tod nur lehren:
Wir lieben Staub, wenn Menschen wir verehren.
Und wenn dereinst des Todes Allgewalt
Sich wagt an deine herrliche Gestalt,
(Die Ursache meiner Schuld, all' meiner Freuden)
In himmlischer Verzückung magst du scheiden,
Purpurne Wolken mögen niederschweben,
Und Engel tröstend, liebreich dich umgeben.
Des Himmels Glorie auf dich niederscheine,
Find' Liebe dort, so treu, so ächt, wie meine!

Ein Grab soll unsre Asche dann vereinen,
Dein hoher Ruhm unsterblich lässt erscheinen
Auch meine Lieb'. Wenn dann in spätern Tagen,
Wenn dies rebell'sche Herz längst ausgeschlagen,
Zwei Liebende beglückt vorüberwallen
An Paraklet's berühmten Klosterhallen,
Vor unserm Grab die Lippen sie dann schliessen,
Die Thränen trinkend, die vor Mitleid fliessen.
Und beide sagen sie zum Tod betrübt:
O, liebten nie wir, so wie sie geliebt.
Ja, wenn vom Chor Hosianna schallt mit Macht,
Erhöhend noch des graus'gen Opfers Pracht,
Und auf den Stein dann fällt ein scheuer Blick,
Der das verbirgt, was bleibt von uns zurück,
Wird Andacht selbst vom Himmel abgelenkt,
Und eine Thräne quillt, die Gott nicht kränkt.

Übersetzt von Albrecht Deetz
Aus: England und Amerika
Fünf Bücher englischer und amerikanischer Gedichte
von den Anfängen bis auf die Gegenwart
In deutschen Übersetzungen
Chronologisch geordnet mit litterarhistorisch-
krittischen Notizen und einer Einleitung von Julius Hart
Minden i. W. J. C. C. Brun's Verlag 1885 (S. 163-167)
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Friedrich Bouterwek (1766-1828)

Abelard an Heloise
Ein Fragment

Wer hat zuerst von unsern weisen Thoren
Die Hoffnung letzte Trösterinn genannt?
Er hatte Hab' und Gut vielleicht verloren;
Verlust der Liebe hat er nie gekannt.
Mir sprossen, blüh'n und welken keine Blüthen.
Dem Winter folgt der Lenz im Wechselflug;
Mir die verlornen Freuden zu vergüten,
Ist selbst die Ewigkeit nicht reich genug.
Von Nahmen und von Zeichen will ich leben,
Will Heloise rufen früh und spät.
Wenn meine Lippen im Gebethe beben,
So laute Heloise mein Gebeth.
O, Heloise! Spielt um deine Sinne
Ein gleicher Traum beym Nahmen Abelard,
So labe, lab' am nichtigen Gewinne
Den Busen, der auf mehr vergebens harrt.
Und welkt die letzte Ros' auf deiner Wange;
Und ruft der Tod: "Bald hast du ausgebüßt!"
Doch weine, weine Trost dir selbst, so lange
Der Thränen und des Lebens Quelle fließt!

Komm, Himmelsbild! Enthebe dich dem Staube!
Laß mich den Schleyer dir vom Auge zieh'n!
Komm' mit mir in die Nachtigallenlaube,
Wo im geschloss'nen Grün Jasminen blüh'n!
Wie dort die graue Mauer gegen über
Der Epheu still mit tausend Armen herzt!
Wie da die Meise zwitschert, wenn ihr Lieber
In leichten Flügen ihr vorüber scherzt!

Was beth' ich, wenn ich nirgend wieder finde,
Was diese Brust mit voller Gnüge letzt?
Wie? Dieses Seufzen wäre Sünde?
Hat Andacht schon, was ich verlor, ersetzt?
Vergebens sing' ich Chorgesang und Psalme.
Sie lindern nicht den nahmenlosen Schmerz.
Vergebens greif' ich nach des Himmels Palme.
Sie duftet nicht wie meine Ros' in's Herz.
Ein Heiliger weiß nichts von meinem Heile.
Sein Herz ist, wie sein Bild im Tempel, stumm.
Mir gilt von Heloisen eine Zeile
Mehr als ein ganzes Evangelium.

Mein Leben ist nur eine Todesstunde,
Und auf uns Beyde wartet ein Gericht.
Ein Engel kühle meines Herzens Wunde!
Nur heile sie, so lang ich lebe, nicht!
Vereinigt brachen wir im Lebensgarten
Die schönste Frucht verboth'ner Seligkeit.
Vereinigt laß auch sterbend uns erwarten,
Ob der verzeihen kann, der gern verzeiht.

Aus: Friedrich Bouterwek's Gedichte
Neueste Auflage Wien 1820
Bey B. Ph. Bauer (S. 85-87)
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Friedrich Bouterwek (1766-1828)

Abelard an Heloise

So ist doch auf ewig nicht verloren,
Der Myrtenkranz, den unsre Liebe wand?
So reicht mir aus geweihten Klosterthoren
Die Freude weinend noch einmahl die Hand?
Du liebst mich noch? Am Morgen deines Lebens
Hinabgeschmettert in die Felsenkluft,
Wo ihr zurückgeworfnes Ach! vergebens
Die Andacht zwischen Höll' und Himmel ruft,
Du, die vom ew'gen Untergang zu retten
Vielleicht ein eigner Engel niederstieg,
Du schmiegst dich in die schon zerriß'nen Ketten
Und seufzest weg der Gnade schönen Sieg?
Du liebst mich noch? - Vergebung, Rächer droben!
Es kniet vor dir ein treues Sünderpaar.
Auch mich verräth, wenn gleich mit leiserm Toben,
Ein Herz, das sonst des Heiles würdig war.
Ich sollte schreiend in mich niederschaudern,
Und niederstürzen mit zerknirschtem Sinn;
Und süße Thränen, die im Auge zaudern,
Bekennen, daß ich ein Verstockter bin.
Es säuseln neue Wollustmelodieen
Mit Nachtigallenwirbel um mein Ohr.
Beklommne Rückerinnerungen ziehen
Mein Herz im langen Athemzug empor.
Es wallt und wogt in meines Lebens Tiefen;
Mir glüht die Stirn; mein Innerstes ist wach!
Gefühle, die auf Dornen starr entschliefen,
Erweckt auf Rosen Heloisens Ach!
O könnt' ich - Oh! ich ärmster Selbstverräther! -
Noch such' ich Blumen auf verbotnem Pfad? -
O ich unseligster der Uebelthäter!
Ich bin zu schwach zur schönen Uebelthat.
Ein Andrer kann sich auch im Fallen ehren;
Mir blieb zum letzten, schmerzlichen Gewinn
Auch nicht einmal der Trost, mich zu bekehren;
Denn das Verbrechen ist für mich dahin.
Was frommt dir's im verlornen Paradiese,
Was frommt dir's, hohe Palme, daß du grünst?
Brich nur die Zweige! brich sie, Heloise!
Mein Weigern ist ja doch nicht mein Verdienst.

Uneingedenk der schauerlichen Rüge,
Zu der mein Name Wort und Losung ist,
Hast du, Erkorne, dieses Namens Züge
Statt dessen, der sie niederschrieb, geküßt?
Geküßt im Nachgefühl der Flammenstunde,
Die noch in meinen welken Adern brennt?
Geküßt mit warmen, liebevollem Munde
Das todte Nichts auf kaltem Pergament?
O Schattenspiel verwöhnter Phantasieen!
Erquick' auch den, der selbst nur Schatten ist!
Erquicke den, der nie mit vollem Glühen
Den Kuß der Wechselliebe wiederküßt!
Von Namen und von Zeichen will ich leben,
Will Heloise! rufen früh und spät.
Wenn meine Lippen im Gebete beben,
So laute Heloise! mein Gebet.
Auf jedes weiße Blatt will ich ihn mahlen,
Den Namen, der an meiner Stirne glimmt.
Die Sonne les' ihn mit den ersten Strahlen,
Und les' ihn wieder, wenn sie Abschied nimmt!
Er fliehe hin, der Friede, der - ich ruhte
In dumpfen Träumen - tröstend zu mir kam.
Ich hatt' ihn mir erkauft mit meinem Blute,
Und geb' ihn weg für ewig süßen Gram.
Den kann der Reue Geißel nicht vertreiben;
Der folgt mir, wenn dieß Sündenhaus zerstiebt;
Der soll mir auch im Schlund der Büßung bleiben,
Wenn es dort oben keine Gnade giebt. -

O Heloise! spielt um deine Sinne
Ein schöner Traum beim Namen Abelard,
So labe, lab' am nichtigen Gewinne
Den Busen, der auf mich vergebens harrt!
Und bleicht der Schmerz das Flammenroth der Wange,
Und stirbt der Wunsch, der nie sein Unrecht büßt,
So weine, weine Trost dir selbst, so lange
Der Thränen bald versiegte Quelle fließt!
Nur weine nie des Vorwurfs Marterthräne!
Der Vorwurf, der den letzten Wahn verklagt,
Ergreift mich, wie auf Gräbern die Hyäne
Um Mitternacht an mürben Leichen nagt.

Wer hat zuerst von unsern weisen Thoren
Die Hoffnung letzte Trösterinn genannt?
Er hatte Hab' und Gut vielleicht verloren;
Verlust der Liebe hat er nicht gekannt.
Und wenn dem Herzen Alles würd' und bliebe,
Dem Herzen, das sich gar nichts mehr verspricht,
Zum Himmel würd' es staunen; aber Liebe
Will Liebesglück, und alles Andre nicht.
Mir sprossen, blühn und welken keine Blüthen.
Und folgt dem Herbst der Lenz im Wechselflug;
Mir die gewes'nen Freuden zu vergüten,
Ist selbst die Möglichkeit nicht reich genug.
Drum fliege nur aus meinem engen Kreise
Die Hoffnung dem entflog'nen Glücke nach; -
Sie tröste, wo sie kann, nach ihrer Weise;
Mir wird ihr Flisterton zum lauten Ach!
Ein andres Wesen, trauriger und milder,
Und näher mit dem Liebenden verwandt,
Sie, die der Schmerzen todtenfarbne Bilder
Verlieblicht mit erfahrner Künstlerhand;
Sie, der nur Träumer Dank und Opfer bringen,
Weil sie auf Wirklichkeiten nie verweis't,
Die, weil sie nicht mit Amorettenschwingen
Von Wunsch zu Wunsche gaukelt, Schwermuth heißt;
Vor dieser Gottheit, wo ich Gnade finde,
Entströme meiner Klagen freier Lauf!
In ihrem Tempel stell' ich ohne Sünde
Zur Andacht Heloisens Bildniß auf.

Komm, Himmelsbild! enthebe dich dem Staube!
Laß mich den Schleier dir vom Auge ziehn!
Komm mit mir in die Nachtigallenlaube,
Wo Flieder und Jasminenranken blühn!
Sieh, wie die graue Mauer gegenüber
Der Epheustamm mit tausend Armen herzt!
Hör', wie die Meise flistert, wenn ihr Lieber
In leichten Flügen ihr vorüber scherzt!
Was wogt der Zweig an jenem Apfelbaume?
Ein trautes Pärchen flatterte hinein.
Jetzt muß es sich im unbewußten Traume
Auf schwankem Liebesbett zusammen freun.
Und ich - Oh! diese Bilder jagen wieder
Die weggeweinten Qualen auf mich zu,
Und drücken meine matten Augenlieder,
Und foltern mich aus meiner Thränenruh.
Das war es nicht, warum ich, Gnade bittend,
Dich in die Nachtigallenlaube zog.
O Wahnsinn, Wahnsinn, der mein Herz zerrüttend
Mich noch einmahl aus dem Gelübde log! -

Was wollt' ich? - Ja! Dir Hand in Hand erzählen,
Was seit dem Tage, wo mit Donnertritt
Der Rächer kam, sich selbst dir zu vermählen,
Ich Büßer hier im Mönchsgewande litt.
An jenem Tage, als ich, dir entrissen
Durch unsres Meuchelmörders freche Hand,
Kaum aus des Todes ersten Finsternissen
Den Dornenweg zurück in's Leben fand,
Da starrt' ich, hingestreckt auf hartem Bette,
Die nackten Wände meines Kerkers an,
Betäubt, als ob ich nichts verloren hätte,
Bis Thrän' auf Thräne brennend Raum gewann.
Da faßte sausend mit der Hölle Tücken
Ein wildes Fieber mich, und zerrt' und zog
An jedem Nerven, bis vor meinen Blicken
Weitauf die Pforte meiner Leiden flog.
Dich sah ich, dich! In allen deinen Mienen
War keine Liebe mehr für Abelard.
Des Vorwurfs und der Reue Schauder schienen
In deinen tiefen Zügen eingestarrt.
Kein Mitleid für den armen Hingewürgten
Im Auge, das so oft sich mir ergab.
Aus Blicken, die sonst Wunsch um Wunsch verbürgten,
Schoß Flammenpfeile die Verzweiflung ab.
Auf riß ich mich von meinem Krankenlager;
Auf raf't' ich, diesem Tode zu entgehn.
Umsonst! - Ich sah dich hingekrümmt und hager
Bald über mir und bald zur Seite stehn.
Wild und verwüstet hingen deine Haare;
Bald lehntest du, im Zittern fürchterlich,
Mit einer Hand dich fest an eine Bahre,
Und drohtest mit der andern gegen mich.
O hätte da aus aufgerißnem Schlunde
Die Hölle selbst mir Flammen zugegähnt,
Ich hätte mich gekühlt in meiner Wunde
Und zu den Seligen entzückt gewähnt.

Wie eine Winterschwalbe, unbedächtig
Erwärmt und ihrem Schlummertod' entweckt,
Belebt, und ihres Lebens doch nicht mächtig,
Die matten Flügel hebt und senkt und streckt,
So fand ich mich, als nach der Todtenpause,
Wo mir das Fieber aus den Adern wich,
Zum erstenmahl ich aus der dumpfen Klause,
Am Stabe wankend, in den Garten schlich.
Ich sah in Blumen, Busch und Baum dasselbe,
Dasselbe hier, und dort dasselbe nur.
Des Himmels hohes, sonniges Gewölbe
War mir die Todtenhalle der Natur.
Je mehr ich der Gesundheit Wiederkehren
In jedem stärkern Athemzug empfand;
Je tiefer sich aus allen Lebensröhren
Mein Klageton vom matten Herzen wand,
Je minder war ich fertig und besonnen
Zur Reue, die ich nicht umsonst vergaß.
Ich lechzte nach den hingeschwundnen Wonnen
Und hielt die Büßung an der Freude Maß.
Die Liebe, rief ich, schlingt uns sanft zusammen,
Die Frömmigkeit vereinzelt wie der Tod.
Die Frömmigkeit mag Irrende verdammen,
Die Liebe weiß von keinem Strafgebot.
Was bet' ich, wenn ich nirgends wiederfinde,
Was mein Gefühl mit süßer Gnüge letzt?
Was büß' ich, wenn den Augenblick der Sünde
Ein Leben voller Beß'rung nicht ersetzt?
Was sing' ich Chorgesang und Friedenspsalme?
Viel lauter regt sich mein verbotner Schmerz.
Was greif' ich nach der dargereichten Palme?
Sie duftet nicht wie meine Blum' in's Herz.
Ein Heiliger weiß nichts von meinem Heile.
Sein Herz ist, wie sein Bild, im Tempel stumm.
Mir gilt von Heloisen Eine Zeile
Mehr, als ein ganzes Evangelium.

So, Heloise, schweift' ich Gottvergessen
Im Labyrinth der Besserung umher.
Umsonst empfand ich des Gewissens Pressen;
Schön blieb mein Unrecht, und die Buße leer.
Von der Entsagung kalter Hand geleitet,
Und von der Schwermuth Balsamhauch umkos't,
Fand ich nur Thränenwohl für mich bereitet
Und dürstete nach keinem andern Trost.
Ich fing im Garten Pflanzen an zu stecken
Und impft und senkte junge Reiser ein;
Ich flocht' und bog an Lauben und an Hecken
Und merkt' auf Regen und auf Sonnenschein.
Oft schimmerte die frühe Himmelsröthe
Auf meine Hände, naß vom hellen Thau.
Oft sah ich noch, wenn schon der Abend wehte,
Nach meinen Rosen durch das Dämmergrau.
Ich zog dein Bild zu meiner Schattenstätte;
Es ließ mich fühlen, daß ich mich betrog:
Ich führt' es hin an jedes Blumenbette;
Es pflückte nicht die Rosen, die ich zog. -
Dann ließ ich Gründe mit einander streiten,
Bestimmte der Begehrung Ziel und Maß,
Und lernte, wie in meinen goldnen Zeiten,
Mit Fleiße, was ich allzuoft vergaß.
Dann zog ich Deutung aus der Näh' und Ferne,
Wo nur ein Denker Licht und Ordnung sieht.
Zum hohen Harmonienlauf der Sterne
Verwies ich mein zerrüttetes Gemüth.
Ich wandte mich an alle Seelenärzte,
Und alle kannten ihren eignen Sinn;
Doch wo es nur in meinem Sinne schmerzte,
Da fiel kein Tröpfchen ihres Balsams hin.
Und als ich mich zuletzt im Büßen übte,
Versündigt' ich sogar am Heile mich.
Dich endlich zu vergessen als Geliebte,
Dacht' ich als Gattinn, Heloise, dich.
Die Gottesmutter mußte deinen Zügen
Den Abstrahl ihres Tempelbildes leihn;
Ich sah das Kind auf ihrem Schooße liegen,
Und träumte, träumte - Gott! - es wäre mein.

Nun deute dir, warum ich kaum den Schauer
Der stürmenden Erschütterung ertrug,
Als in das tiefe Dunkel meiner Trauer
Die helle Flamme deines Briefes schlug.
So stehn vielleicht die Heiligen und wenden
Den Blick vom Throne, der die Himmel trennt,
Wie ich da stand, in meinen beiden Händen
Dieß unsrer Herzen neue Testament.

Und dieser Brief, an den ich innig glaube,
Mein letzter Kummer und mein letztes Glück,
Der ruft aus diesem Nacht- und Grabesstaube
An deinen, deinen Busen mich zurück?
Noch einmahl soll ich hören, fühlen, sehen
In dir und mir dieß eine Ich und Du?
In deinem Athem meines Namens Wehen,
Wie Maiendüfte spielt' es auf mich zu.
Und wenn ich komme, sehe dein Erröthen,
Sonst meines Sonnenaufgangs Morgenroth,
Und - oh! - dein Auge bietet dem Asceten
Das Alles, was es sonst dem Manne bot,
Dem Manne - - Laß mich! laß mich, daß ich sterbe!
Beschwöre nicht den Schatten noch einmahl!
Es ist vergebens! Die zerschlagne Scherbe,
Sie war, sie war ein schimmernder Pokal.
Ich komme nicht. - Ob es wohl Unrecht wäre,
Dir zu gehorchen, weiß und denk' ich nicht.
Dein Ruf ist meines Herzens Rath und Lehre.
Ein Wunsch von dir lös't jeden Schwur der Pflicht.
Erdrückt von einer unerhörten Bürde,
Wie soll ich wählen zwischen Geist und Sinn?
Erst müßt' ich wissen, wem ich folgen würde,
Wenn ich das wäre, was ich nicht mehr bin.
Doch du, Geliebte, bist noch Eine Blüthe.
Dein Busen wogt von freier Lebensgluth.
Wie? wenn ich nun, getrennt von dir, verhüthe,
Was sonst die schöne Seele Böses thut?
Wenn ich mir dieß Verdienst erringen möchte,
Das einzige, das meine Kraft erreicht?
Dann bötest du mir sterbend deine Rechte!
Dann segnetest du unsern Bund vielleicht!
Vielleicht - Nein! nicht so! kann ich nicht, dem Rufe
Des höhern Rechts gehorsam, mich kastei'n,
So soll dieß Herz auf seiner untern Stufe
Doch nie dem Mund' ein Heuchelwort verzeihn.
Von Scham und Sehnsucht hin und hergerissen,
Nicht vom Gedanken an die beß're Welt,
Gesteh es frei, verzweifelndes Gewissen,
Es ist die Kette, was den Sklaven hält!
Denn könnt' ich, könnt' ich, wie ich möcht' und wollte,
Ich flög', und wenn auch flammend gegen mich
Ein Himmlischer mit Wolken dich umrollte,
Ich flöge zu dir und umschlänge dich;
Ich wagt' es deine Seele mit zu tödten;
Und spaltete sich dicht vor uns ein Grab,
Und säh' ich Bliz auf Bliz die Tiefe röthen,
Ich stürzte dich an meiner Brust hinab.
Wohl spräche dann ein kalter Tugendhüther
Mit Ernst und Schauder: "Welch ein Sünder, der!"
Doch flisterte gewiß ein Samariter:
"Fromm war er nicht, und doch ein Märtyrer."

Und ich, ich selbst erbebe vor den Bildern
Der aufgestörten Krankenphantasie?
Ihr mögt ja, Wünsche, immerhin verwildern!
Ihr stört ja Heloisens Engel nie!
Ich komme nicht. Und wenn du mich aus Güte
Mit allen süßen Männernamen nennst,
So bin ich doch, ich, der von Leben glühte,
Ein hingeblichnes, schleichendes Gespenst.
Ich komme nicht. Mein Rathen und mein Dichten
Ist, wie ich selbst, von warmen Troste leer.
Der dürre Baum weiß nicht nur nichts von Früchten,
Die kahlen Zweige schatten auch nicht mehr.
Mein Leben ist nur eine Todesstunde,
Und auf uns Beide wartet ein Gericht.
Der Geist des Friedens kühle deine Wunde!
Nur heile die Vergessenheit sie nicht!
Vereinigt brachen wir im Lebensgarten
Die schönste Frucht verbotner Seligkeit;
Vereinigt laß auch sterbend uns erwarten,
Ob der verzeihen will, der gern verzeiht!
Gewähre ohne Scheu und unverbittert
Dem Mitgefühl ein Recht, das ihm gebührt!
Hat mir dein Rufen Mark und Bein durchschüttert,
So gönn' es dir, wenn dich mein Weigern rührt;
Denn ich bin Dein! Nicht lange kann es dauern,
So schwank' ich nieder unter meiner Last.
Mich fast der Tod mit allen seinen Schauern,
Wie ein Orkan die Felsentanne faßt.
Doch bleib ich dein! Ich bete mich nicht böser.
Der Fuß der Treue wankt am Grabe nicht.
Und lächelte mir auch kein Welterlöser,
So bliebe doch, dich lieben, meine Pflicht.
Und sollte nicht des Menschensohnes Lächeln
Den Sieg der schönen Menschlichkeit verzeihn,
So werd' ich sterbend Heloise röcheln,
Und ewig büßend unverloren seyn.

Aus: Bouterwek's Miscallaneen I. Band
Berlin bei C. L. Hartmann 1794 (S. 113-138)
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Wilhelm Wackernagel (1806-1869)

Abailard und Heloise

Abailard und Heloise
Saßen in dem grünen Gärtchen.
Flüsternd Abendwinde spielten
Mit des Buchs verschlagnen Blättern.

Beide hatten längst vergessen,
Was zu lesen, was zu schreiben,
Streiften bebend sich an Händen,
Mahlten in den Sand mit Reisern.

Sagt, was kümmert wol die beiden?
Also bleich sind ihre Wangen.
Welches Glück will ihnen scheinen?
Also glänzt ihr Auge lachend.

"Herrinn mein, und wär ich Paris,
Sollt ich theilen, nie erhielte
Venus jenen goldnen Apfel:
Eurer Hand würd ich ihn bieten."

"Abailard, so holdem Diener
Lohnen würd ich nicht wie Venus,
Würd euch geben als Gebieter
Selbst mein Herze, selbst mein Leben." -

Was nun weiter noch geschehen,
Weiß ich nicht, noch sagts mein Liedchen:
Nur ein Vöglein war zugegen,
Das sie hörte, treu verschwiegen.


Aus: Gedichte eines fahrenden Schülers.
Herausgegeben von Wilhelm Wackernagel
Berlin Verlag von Fr. Laue 1828 (S. 30)
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Minna Kleeberg (1841-1878)

Abälard und Heloise
(Vor einem Gemälde)

Gewaltiger ist Liebeskraft, als Wahn und Priesterbande,
Es bebt in düst'rer Leidenschaft der Mann im Mönchgewande;
Denn Kampf und Satzung schirmen nicht vor heißem Seelenbunde,
Und Heloisens Auge spricht urew'ge Liebeskunde:

"O klage nicht mit Thränen bang' um den verlor'nen Frieden,
So deinem Sein ein Weiheklang: die Liebe - ward beschieden.
Die Liebe naht dir unbewußt, die göttliche, die wahre;
Aus Schmerz und Glück, aus Leid und Lust entkeimt die Wunderbare.

Kein Dürfen und kein Wollen gilt in ihrem Heiligthume,
Dem göttlich hehren Muß entquillt die lichte Wunderblume.
Gott ist die Liebe! - Lehrt Natur zu diesem Gott dich beten,
So horch' dem Ruf der Liebe nur, dem göttlichen Propheten.

Und was dir tief im Herzen spricht, ist ohne Schuld und Fehle;
Verbirg dein hold' Geheimniß nicht der heißgeliebten Seele.
Und opf're nicht dein Liebstes hin der Satzung und dem Scheine -
Die Liebe nur ist Hochgewinn, die heilige, die reine!

Doch miss' nach ihren Früchten auch die Liebe und ihr Walten,
Sie muß dein Sein, wie Gotteshauch, durchleuchten und entfalten,
Und aufwärts schwingt sich zauberhaft dein Geist vom Weltgetriebe;
Denn Schwäche nicht, nein - Gotteskraft ist treuer Herzen Liebe!" -

So ward ein Liebesheldenthum für alle Zeit errungen;
Vereinigt hält der Sage Ruhm die Liebenden umschlungen.
Und webt auch ewig Menschenwahn des Erdenglücks Vernichtung,
Das wilde Leid der Erdenbahn versöhnen Kunst und Dichtung.


Aus: Gedichte von Minna Kleeberg
Louisville: Henry Knöfel
New-York Willmer u. Rogers News Co. 1877 (S. 143-144)
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David Goldfeld (1904-1942)

Lied Abälards

Der weite Weg aus Lust und Leid,
der weite Weg zu dir:
Ich weiß nicht, war er Wirklichkeit
oder träumte er mir?

Durch Sonnenglut und Dunst und Staub
und nachts durch scharfen Reif,
so jagt ich hin, der Sehnsucht Raub,
wie Tauben vor dem Greif.

Du sahst mich an vom Dachgestühl
im Hause unsres Herrn,
erschienst im dichten Marktgewühl
mir nahe bald, bald fern.

Ein jedes flehnde Bettelweib
streckt seine Hand mir hin.
Und tanzte wo ein trunkner Leib,
so sah ich dich erglühn.

Ach, als ich einst im Stift bei Nacht
aufschrak aus schwüler Ruh,
hielt eine gute Schwester Wacht
und sah mich an wie du.

In jedem Winde war dein Hauch,
in jedem Wort dein Laut.
Warst Duft in jedem Weiherauch
und Glück in jeder Braut.

Warst jede Freude, jedes Leid -
Und alles was mir kam,
war Bote deiner Lieblichkeit,
die mich gefangen nahm.

Aus: David Goldfeld Der Brunnen Gedichte
Herausgegeben und mit einem Nachwort
von Helmut Braun
Rimbaud Verlagsgesellschaft mbH Aachen 2010 (S. 116-117)

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Karl Ludwig Kannegießer (1781-1861)

Heloise

Wenn zu Sonettes Inhalt ich erkiese
Sie, der im Arm des feurigen Abälard
Ein wenn auch kurzes Wonneleben ward,
Wer schiene würdiger, daß man sie priese.

Und wer beklagenswerther doch als diese?
Nach solchem Liebesrausch war doppelt hart
Solch ein Erwachen: Paraklet umstarrt
Für langen Lebensrest dich, Heloise!

Gebeut das Schicksal Trennung, mög' es sein,
So sehr es schmerze, lieber für hienieden
Von einem Tod zum anderen geschieden!

Weh, den Geliebten lebend noch zu wissen,
Ihm nah zu sein vielleicht, und doch zu missen!
Die Trennung heiliget der Tod allein.

Aus: Frauenlob Sonette von
Karl Ludwig Kannegießer
Berlin 1853
Verlag von Constantin Breuer Unter den Linden 13 (S. 70)
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Mathias Leopold Schleifer (1771-1842)

Heloise an Abelard
Frei nach Pope und Colardeau

In dieser Mauern dämmernder Umnachtung,
Um die der Genius des Friedens schwebt,
Wo ew'ges Schweigen wohnt, wo die Betrachtung
Das Auge unverwandt zum Himmel hebt, -
Woher der Sturm in meines Busens Tiefen?
Warum aus dieser Zelle schweift der Lauf
Der Sinne fort? Was lodern Flammen auf,
Die lange schon verhüllt in Asche schliefen?

Wie? - Lieb' ich noch? Ja, sie sind sein, die süßen,
Geliebten Züge! Heloise soll
Den Namen Abelard noch ein Mal küssen!
O Name, voll der Lust und wehevoll,
Ertöne nie von dieser Lippe wieder!
In Demuth schweigend ehre sie den Schwur,
Den sie vor Gott gethan; ihr ziemen nur
Der heil'gen Hora feierliche Lieder!

Im tiefsten Herzen berg' ich diesen Namen;
Mit des Erlösers Bild geselle dort
Sich Abelard's geliebtes Bild zusammen . . .
Halt ein, o Hand! schreib' nie mehr dieses Wort! -
Hier steht es schon, verlöscht es meine Zähren! -
Dein Weinen, Heloise! dein Gebet, -
Es ist umsonst; vergebens widersteht
Die schwache Hand dem Herzen, ihrem Herren!

Du schauerlicher Bau der Klosterhallen,
Wohin der Büßer selbstverklagend flieht;
Gewölbe, wo der Reue Seufzer schallen;
Ihr Stufen, von der Andacht wund geknie't;
Ihr Höhlen, starr von Dornen; ihr Altäre,
Um die die Jungfrau'n, bleich wie Lilien,
Beständig wachen, heil'ge Statuen,
Verkündiger der Selbstbeherrschungs-Lehre.

Ich blick' auf euch, ich blicke stumm zur Erden, -
Umsonst! Mich rufen Stimmen himmelwärts, -
Umsonst! Ich kann empfindungslos nicht werden!
Selbst im Gebete muß das halbe Herz
Auf der Natur Empörungsstimme hören;
Ob wachend, betend meine Seele ringt,
Ob ich den Leib kasteie, - nichts bezwingt,
Nichts kann die Glut, die in mir flammt, zerstören!

Kaum, daß dein Brief, die erste theure Kunde
Seit langer Zeit, von mir entfaltet ward,
So fühlt' ich bluten jede alte Wunde,
Neu aufgeritzt beim Namen Abelard.
O, diesen holden, schmerzlich süßen Namen, -
Mit Seufzen nur, nur weinend nenn' ich ihn,
Und nur mit Zittern les' ich meinen drin, -
Er und das Unglück steh'n so gern beisammen!

Von Zeil' in Zeile fliegt mein Aug' voll Thränen
Durch deinen Brief, ich finde Zug für Zug
Nur eine Gallerie von Trauerscenen:
Wie jetzt mein Herz voll heißer Liebe schlug;
Wie jetzt der Gram, der meiner Jugend Blume
Benagt, des Klosters Freistatt mir erwirbt,
Wo jede Flamm' in strenger Übung stirbt, -
Ach, selbst der Trieb zur Liebe und zum Ruhme!

Doch schreib' mir nur, Geliebter! schreib', ergieße,
Was noch in deinem Busen flammt und liebt!
Kein Seufzer schalle, keine Thräne fließe,
Die nicht mein Herz dir treulich wiedergibt!
Den einz'gen letzten Trost wollüst'ger Zähren,
Der mir vom Schicksal nicht entrissen ward,
Nicht von der Feinde Grimm, - soll Abelard,
Grausamer, als sie alle, mir verwehren?

Ich habe nichts mehr, als das Recht zu weinen.
So strömt, ihr Thränen, strömt aus Liebe nun,
Wie sonst aus Andacht, auf des Altars Steinen!
Dieß Aug' voll Gram, was kann es Bess'res thun,
Als lesen, oder sich in Thränen baden?
So gönne mir den Trost, zu zieh'n mit dir
Am Schmerzensjoch, ja mehr noch, lasse mir
Die Freude, es auf mich allein zu laden!

Zum Trost für liebende getrennte Seelen
Erfand ein Gott den Griffel und das Blatt;
Jetzt seh'n sie sich, sie sagen sich's, erzählen,
Was Liebe Zärtliches und Süßes hat;
Das Herz darf seine Sehnsucht frei erklären,
Ganz offen liegt es dem Geliebten da;
Der Trennung Schranke bricht, die Fern' ist nah,
Ein Seufzer tönt durch beide Hemisphären.

Als deine Liebe sich der Freundschaft Namen
Geborgt, - wie unschuldsvoll empfing ich sie!
Du schienst ein Engel, deines Auges Flammen
Ein Strahl vom Himmel meiner Phantasie;
Ich glaubte frei bewundern dich zu können,
Und - liebte dich; der ganze Himmel schien
Zu lauschen deiner Hymnen Melodie'n,
Dein Vortrag Jesus Wort noch zu verschönen.

Wen hätten jemals deines Glaubens Gründe
Nicht überzeugt? Wie gierig meine Brust
Den Glauben einsog: Lieb' ist keine Sünde!
Wie zog so süß der Reiz der Sinnenlust!
Nun war der Mann mir, dem ich mich verschworen,
Kein Engel mehr; der Engel Seligkeit
Sah ich in trüber Fern', und ohne Neid
Den Himmel selbst, den ich um dich verloren.

Oft dacht' ich, wenn mich die Verwandten trieben,
Mich zu vermählen, strenge Tyrannei
Sei das Gesetz, das Liebe nicht geschrieben;
Dem Volk der Lüfte gleich, schweb' Amor frei,
Und fliehe, will ihm Hymen Fesseln schmieden,
Mit leichter Schwinge fort! Sei Gold und Ruhm,
Des Namens makelloses Heiligthum
Ehrbarer Ehfrau'n Theil! - ich bin's zufrieden.

Dieß Afterglück zerrinnt in öde Leere,
Wenn Leidenschaft durchwühlt die heiße Brust.
Was seid ihr alle: Reichthum, Ruf und Ehre,
Verglichen mit der Liebe Götterlust?
Ach! Amor, sieht er sich gering geachtet,
Füllt rächend mit der Liebe Raserei'n
Das Herz, das, seine Flammen zu entweih'n,
Nach andern Freuden bei den seinen schmachtet.

Lieg' auf den Knie'n vor mir der Herr der Erden,
Und biet' er mir all seine Kronen, - nein!
Auch nicht des Cäsars Gattin will ich werden,
Des Liebenden Geliebte will ich sein!
O, wüßt' ich andre Namen noch zu nennen,
Noch freier, süßer! Glücklich sind ja nur
Zwei freie Liebende, die die Natur,
Nur ihr Gesetz, und andres kein's erkennen.

Ein Herz, von dem Geliebten ganz erfüllet,
Besitzet wechselweis', und gibt sich hin;
Oft, eh noch Zung' und Lippe ihn enthüllet,
Begegnet sich der Seelen stiller Sinn;
Denselben Wunsch, der Beid' erfüllet, lesen
Zwei Liebende eins in des andern Blick;
Und dieß - das einzige vollkomm'ne Glück -
Ist Abelard's, ist meines einst - gewesen.

O Wandel des Geschicks! Urplötzlich sehe
Ich das Entsetzlichste, was je geschah.
Gebunden, nackt liegt Abelard - o wehe!
In seinem Blute schwimmend liegt er da.
Wo warst du in der Stunden voll Entsetzen,
O Heloise? Dein Geschrei, dein Muth
Hätt' abgewandt, gereizt der Mörder Wuth:
Die Dolch' in deinem Blut allein zu netzen!

Barbaren, halt! Zurück von dem Geliebten!
Zum Mind'sten, weil, von Zärtlichkeit entbrannt,
Dieselbe Sünde wir zusammen übten,
So werd' auch beiden gleiche Straf' erkannt!
Sein Jammerruf zermalmt mich, wird mich tödten!
Habt Mitleid, Achtung für das Heiligthum
Des Zartgefühls der Frauen! - Ich erstumm'
In Thränen und in glühendem Erröthen. - -

Muß ich den Tag dir in's Gedächtniß rufen
Voll Pomp und Schmerz, wo, Opferlämmern gleich,
Wir standen an des Weihaltares Stufen,
In Thränen ganz zerflossen, jammerbleich?
Im Lenz des Lebens - wie viel Stoff zu Zähren! -
Sagt' ich der Welt Leb'wohl; mein Kuß, wie Eis,
Fällt auf den Schleier; es erbleicht der Kreis
Der Lichter auf den wankenden Altären.

Der Himmel selbst und seine Engel sahen
Mit Staunen auf den Schwur, den ich gethan;
Ich wag's, dem furchtbar'n Hochaltar zu nahen,
Nicht auf das Kreuz, nur auf den theuren Mann
Den Blick gewandt; nicht Eifer frommer Triebe
War mein Beruf, kein Strahl der Gnade, - nein!
Ich liebt' und litt; verloren wollt' ich sein,
Weil ich verlor den Abgott meiner Liebe.

So komm' denn, tröste, lindre meine Schmerzen
Durch Blick und Wort, die man dir nicht gewußt
Zu rauben, daß mein Haupt an deinem Herzen
Noch ein Mal raste, ich nach voller Lust
Am süßem Gifte deiner Augen schwelge,
Am süßen Gift der Lippen! - Was sie dir
Gelassen, gib; den Rest ersetze mir
Die Phantasie aus ihrem Zauberkelche!

Doch nein, entflieht, ihr Wünsche voll Verbrechen,
Auf ewig! Komm' als Lehrer meiner Pflicht,
Laß uns von minder flücht'gen Freuden sprechen,
Zeig' dem erhellten Blick in vollem Licht
Des Himmels Glorie; du selbst bewege
Das Herz mir, hinzuopfern dich um Gott!
Komm', es verdient auch ohne mein Gebot
Der treuen Schwestern Häuflein deine Pflege!

Sie sind ja deine Herd' und Pflanzung, deines
Gebetes Kinder, - ach, als Kinder schon
In dieß Asyl ruhathmenden Vereines -
Ein heilig Haus, von dir gebaut - entfloh'n!
Durch dich verschönt, tritt aus der Wildniß Hainen
Ein Paradies; in deines Tempels Bau
Stellt kein Altar des Vaters Gold zur Schau,
Um das so oft beraubte Waisen weinen.

Kein Prachtgemälde prangt an diesen Wänden,
Und keines Bildners Werk von Erz und Stein:
Ruchlosen Sündern abgepreßte Spenden,
Dem Himmel dargebracht in Todespein, -
Dem Himmel, den sie, statt ihn zu versöhnen,
Damit verwirken; nein, so einfach fromm,
Wie seiner Priester Schar, muß dieser Dom
Vom Preis des Schöpfers würdiger ertönen!

O, kämst du je hieher, wohin, geschieden
Von aller Welt, das Schicksal uns verwies,
Und säh'st du dieses Tempels Pyramiden,
Die grauenvoll', ehrwürd'ge Finsterniß,
In die nur schwach des Lichtes Schimmer fallen,
Durch trübe Fenster mühsam uns gebracht, -
Von deinem Auge würd' entflieh'n die Nacht,
Des Ruhmes Sonnenglanz dein Haupt umstrahlen!

Was soll mich jetzt darin erheitern können?
Schwer athmet drin der Wehmuth düstrer Hauch;
Nur Seufzer sind es, die dem Ohr ertönen,
Nur Augen voll von Thränen sieht das Aug'.
Komm', Vater! Bruder! Gatte! hab' Erbarmen!
Als deine Magd, als Schwester, als dein Kind -
Wenn diese Namen je dir heilig sind -
Beschwör' ich dich: hab' Mitleid mit mir Armen!

Unfähig ernsterer Betrachtung, irrend
Von Wunsch zu Wunsch, schwankt meine Seel' umher;
Der Anblick der Natur, so einfach rührend -
Ach, ehmals nur, jetzt rührt er mich nicht mehr! -
Der Fichten Kranz, am Felsenhang gepflanzet,
Durch deren Wipfel dumpf der Nordwind saus't;
Der Waldbach, vom Gebirg herabgebraus't,
Und sie, die murmelnd durch die Thäler tanzet.

Die Felsenquelle hier, die durch ihr Säuseln
Der Grotten Echo schwätzend aufgeregt;
Der Seeen Spiegel, die vom Ost sich kräuseln,
Dieß Alles, was mich einst so tief bewegt,
Kann meinen Frieden mir nicht wiederbringen;
Die Haine, Grotten, Felsen all bewohnt
Melancholie; der Boden, wo sie thront,
Sind Gräber, offen stets, uns zu verschlingen.

Mit finsterm Schweigen hat sie sich umgeben,
Das ganz des Todes ernstem Schweigen gleicht;
Die Landschaft, lachend einst und voller Leben,
Verdorrt durch sie, der Blumen Glanz erbleicht,
Das Grün der Wiese stirbt, des Baches Rauschen
Am Felsensturz ertönt wie Grabgesang,
Und rings umher scheint, schaudervoll und bang,
Ein heimlich Grauen unsichtbar zu lauschen.

Doch bin ich fest gebannt an diese Stätte
Auf ewig. O, welch Denkmal voller Pein
Der Lieb' und des Gehorsams! Diese Kette,
Die hier mich festhält, bricht der Tod allein.
Hier werd' ich einst noch fleckenfrei erscheinen,
Hier lischt sie einst noch aus, die Glut in mir,
Hier wird einst meine Asche ruh'n, und ihr
Vergönnt sein, sich zu mischen mit der deinen.

Verworfne! die als Jesus Braut, im Schleier,
In schnöder Sinnenlust gefangen bleibt!
Gott, rette mich! Woher dieß fremde Feuer?
Ist's Andacht, ist's Verzweiflung, was mich treibt?
Wie? In der Keuschheit heiligem Asyle,
Hier blieb der Lieb' und ihrer sünd'gen Lust
Noch ein Altar? Von Reue soll die Brust
Mir glüh'n, doch was vermag der schwache Wille?

Mein Gram gilt nicht der schuldbefleckten Flamme, -
Um den Geliebten traur' ich nur! Wie groß
Auch meine Sünde sei, - ich seh', verdamme,
Und - liebe sie! Die Lust, die ich genoß,
Bereu' ich jetzt, doch ach, - mit Wonnebeben!
Zum Himmel blick' ich büßend jetzt hinauf;
Jetzt denk' ich dein, und geb' es weinend auf,
Der Unschuld Frieden länger nachzustreben.

Ich kann dich nicht vergessen, meine Sünde
Kann ich nicht hassen; liegt doch stets in mir
Ihr Urstoff! O, ich Arme widerstünde
So gern, doch fühl' ich erst im Kampf mit ihr:
Der Sünde Schöpfer ist's, der meine Triebe
So mächtig reizt; es knüpft ein süßes Band
An das Verbrechen seinen Gegenstand;
Zerrissen ring' ich zwischen Reu' und Liebe.

Wie konnt' ein Weib so tief, wie ich empfinden,
So ganz durchglüht sein für den theuren Mann,
Und eine solche Liebe überwinden!
Eh meine Seele ihre Ruh' gewann,
In welchen Kämpfen hat sie sich gemessen!
Wie rangen Pflicht und Liebe, Reu' und Schmerz!
Bald hob sich stolz, bald sank das schwache Herz;
Es konnte Alles, nur nicht - dein vergessen.

Doch nein! ich habe nichts mehr zu erringen,
Nichts mehr zu fürchten, Alles ist vollbracht.
Komm', Vater! die Natur will ich bezwingen,
Gestärkt durch dich und deiner Lehre Macht.
Losreißen will ich mich von Lieb' und Leben,
Entsagen mir und dir; entsühnt und rein
Gehör' ich meinem Gott! Er kann allein
Ein Herz erfüllen, das du aufgegeben.

Der Jungfrau drei Mal Heil, der gottgeweihten!
Vergessen haben sich die Welt und sie;
Sie schmeckt des tiefsten Friedens Süßigkeiten;
In anspruchsloser Demuth weiß sie nie
Von einem Wunsch, den Gott verworfen hätte;
In Ruh' und Arbeit theilt sie wechselweis',
Und schließt mit sanftem Schlaf der Stunden Kreis,
Zum Wachen neu gestärkt und zum Gebete.

Ein Ziel nur hat ihr Sehnen und ihr Hoffen.
Sie weint, weil ihre Seel' in Lust zerfließt;
Sie betet, und es steh'n die Himmel offen;
Die Gnade des Dreieinigen umgießt
Ihr Haupt mit Glorien; die Engel senden,
Bewachend ihres Schlummers heil'ge Ruh',
Ihr reine wonnevolle Träume zu;
Der Bräut'gam harrt, den Trauring in den Händen;

Schneeweiß gekleidet singen ihr zum Ruhme
Die Jungfrau'n Hymnen; nur für sie allein
Blüht unvergänglich Edens schöne Blume;
Sie athmet Wohlgerüche, süß und rein,
Die mild von Seraphsflügeln niederwehen;
Doch endlich tönt der Himmelsharfen Ton!
Die Jungfrau stirbt, und sterbend sieht sie schon
Die Freuden, die kein menschlich Aug' gesehen.

In andern Träumen schweift, in andern Wonnen
Mein trunkner Geist. Die Rückerinn'rung malt
Am Abend, wenn der düstre Tag verronnen,
Mir meines Freundes lächelnde Gestalt.
Nun sprich, Natur; es schlummert das Gewissen,
Mein Herz ist ganz bei dir; die Phantasie
Weckt jene Nacht - ihr fluchend, lieb' ich sie -
Wo ich zuerst von Liebe hingerissen.

Ich hör', ich seh' dich; meine Händ' umfassen
Dein Bild, es fest zu halten; ich erwach'
Und höre, seh' nichts mehr, als mich verlassen!
Dein Bild entflieht, ich ruf' umsonst ihm nach, -
Wie du so grausam, hört es nicht mein Flehen! -
Die Arme streck' ich in den leeren Raum,
Die Augen schließ' ich zu, den süßen Traum,
Das holde Trugbild ein Mal noch zu sehen.

Wohl seh' ich dich, doch - trauriges Erscheinen!
Durch Wüsteneien zieh'n wir Hand in Hand,
Um unsers Lebens Jammer zu beweinen.
Urplötzlich stehst du jetzt auf hohem Rand
Einstürzender Ruinen, rings umkrochen
Von dunklem Epheu; itzo seh' ich dich
Auf Felsenspitzen, hoch und schauerlich,
Um die des Meeres Wogen brandend kochen.

Da scheinst du, zu des Himmels Höh'n erhoben,
Zu mir zu sprechen, doch der Wolken Zug
Steht trennend zwischen uns, die Wellen toben,
Es braust der Winde losgelassner Flug;
Entsetzen faßt mich, schnell entflieht mein Schlummer,
Ich finde mich vom alten Trauerkreis
Umgeben, - dem Verfolger bleib' ich Preis,
Der nimmer von mir weichet, meinem Kummer!

Gemildert hat das Schicksal deine Leiden,
Die herbe Strenge deines Strafgerichts;
Zwar weißt du nichts mehr von der Liebe Freuden,
Doch auch vom Schmerz der Liebe weißt du nichts;
Die tiefe Ruhe deines Busens stören
Der Leidenschaften Stürme nun nicht mehr:
So war das Weltmeer, eh der Winde Heer
Den Wink erhielt, es feindlich zu empören.

Dein Leben strömt dahin in stillem Frieden,
Wie eines Heil'gen Schlaf, deß Missethat
Der Himmel längst verzieh'n, und der hienieden
Nun für sein Heil nicht mehr zu kämpfen hat.
So komm' denn, theurer Abelard! Auf Erden
Bedroht kein Feind mehr deine fromme Pflicht!
Den Todten brennet Amors Fackel nicht,
Und all sein Zorn kann dich nicht mehr gefährden.

Dein Herz, nun voll Religion, verachtet
Die Stimme der Natur mit kaltem Muth;
Nur Heloise liebt dich noch, und schmachtet
In unvergänglich hoffnungsloser Glut:
So brennt, von nie versiegtem Oel befeuchtet,
Im Grabgewölb' die Lampe, deren Licht
Sich unnütz nur an Sarkophagen bricht,
Und deren matter Schein nur Todten leuchtet.

Welch neue Scenen seh' ich sich entfalten,
Wohin mein Auge blickt, wohin mein Tritt
Sich wendet, - holde, liebliche Gestalten,
So hold, als Unheil drohend, ziehen mit;
Ich mag mit nassem Aug' durch Gräber irren,
Am Fuße des Altares betend knie'n -
Nur jene Bilder fesseln mich und zieh'n
Mein Herz, das sie mit Zaubermacht verwirren.

Ich such' umsonst den Himmel; eitles Ringen!
Dein Bild, dazwischen stehend, spricht ihm Hohn.
Ich glaube, hör' ich eine Hymne singen,
Zu unterscheiden deiner Stimme Ton.
So viele Wort' ich bete, so viel Zähren!
Die Weihrauchwolke steigt; es rollt der Strom
Der Orgentöne brausend durch den Dom,
Das Ohr hört Harmonie'n aus schönern Sphären;

Da denk' ich dein, und mit des Blitzes Schnelle
Ist fortgescheucht die feierliche Pracht,
Und Tempel, Priester und der Fackeln Helle
Verschwindet und versinkt in öde Nacht;
Ja, selbst im Augenblick, wo tausend Kerzen
Beim Hochamt brennen, wo der Engel Schaar
Anbetend niedersinkt am Hochaltar,
Flammt Liebe, wie ein Glutmeer, mir im Herzen!

Doch dann auch, wenn voll Reu' und frommer Wonne
Ein Strom von Thränen mir vom Auge sinkt;
Wenn ich anbetend knie' vor Gottes Throne,
Mir schon der Gnade Siegeskrone winkt, -
Selbst dann noch wage es, auch dann erscheine
Mit jener Anmuth, die mich einst entzückt,
Mit allem Reiz der Liebe komm' geschmückt,
Und messe mit des Himmels Macht die deine!

Komm', wag' es, um mein Herz mit Gott zu streiten!
Komm' mit dem Blick, des süßen Zaubers voll,
Vor dem das Glanzbild aller Seligkeiten
Des Paradieses matt erbleichen soll!
Wend' ab von mir das himmlische Erbarmen,
Zerstöre jede Frucht der Reu' in mir,
Vom Weg des Heiles locke mich zu dir,
Ja, reiß mich tollkühn selbst aus Gottes Armen!

Was ras' ich Elende? Was schreib' ich nieder?
Flieh lieber weit, laß Berge, laß das Meer
Sich thürmen zwischen uns, komm' niemals wieder,
Schreib' mir nicht mehr, gedenke mein nicht mehr!
Von jenen Qualen, die mein Herz zernagen,
Sei du verschont; all seiner Schwüre sei
Mein Abelard von mir entbunden, frei:
Ich will an ihn zu denken mir versagen!

Er hasse, er vergesse mich, ersticke
All mein Gedächtniß bis zur schwächsten Spur!
So lebt dann wohl, ihr wundersüßen Blicke,
An die ich denke - ach, zu gerne nur!
Ihr süßen Bilder, mir so tief im Herzen,
Lebt wohl auf ewig! Du erhebe mich,
O Gnade Gottes! Himmelskraft! daß ich
Die Welt vergess' und ihre eitlen Schmerzen!

Auch du, o Hoffnung! die von uns nicht weichet, -
Der schönsten Freuden Mutter! Himmelskind,
Das schon hienieden uns die Blume reichet
Vom Lande her, wo wir nicht Staub mehr sind! -
O, kommet all' in diesen Busen! wohnet
Als theure, als geliebte Gäste d'rin;
Mein Leben fließ' in heitrem Frieden hin,
Den ewig nun der Stürme Grimm verschonet!

Ich seh', gelehnt an eines Grabes Hügel
Voll Sehnsucht und voll Gram zu euch empor.
Was hör' ich? - Schlägt des Abendwindes Flügel
Mit bangem Murmeln an mein lauschend Ohr?
Tönt eine Geisterstimme durch die Hallen,
Die mich gemeint? beim Namen mich genannt?
Ha! dieser Ton ist mir nicht unbekannt,
Und mehr als ein Mal hört' ich ihn erschallen.

In einer Nacht mußt' ich im Tempel dienen,
Und auf der Gräber Lampen wachend schau'n,
Die eben jetzo zu erlöschen schienen;
Da scholl aus einem Grab herauf voll Grau'n
Ein hohler Ruf: "Komm', wohne nun, o meine
Geliebte Schwester, wohne hier in Ruh'!
Ich war der Liebe Märtyrin, wie du;
Ihr ward mein Herz geopfert, wie das deine!"

"Gebetet und geweint mit bangem Zagen
Hab' ich, wie du. Beim Schlummer nur im Grab'
Vergißt das kummervolle Herz zu klagen;
Hier trocknet Lieb' erst ihre Thränen ab;
Selbst frommer Wahn wird von den Schreckgestalten,
Die ihn im Staube ängsten, hier befreit,
Weil Gott, der Gnade Urborn, hier verzeiht,
Was Menschen keiner Gnade werth gehalten."

Ich komm' - ich komme! Eilt, ihr Engel, schmücket
Die duft'gen Lauben mir! Im Siegesglanz
Schwingt eure Palmen mir entgegen! Pflücket
Mir eurer Rosen ewig frischen Kranz!
Hin will ich zieh'n zur großen Ruhestätte
Gebeugter Sünder, wo von reiner Glut
Die Heiligen entglüh'n! Mit treuem Muth
Steh' du, mein Freund, an meinem Sterbebette!

Erheitt're mich beim bittern Todesgange;
Sieh zucken meinen Mund, vom Tod zumeist;
Schließ mein erstarrend Auge zu; empfange
Im letzten Seufzer den entfloh'nen Geist!
Doch nein! im heil'gem Priesterrock erscheine;
Vor meinem Blick, zum Himmel schon gewandt,
Steh' du mit Kreuz und Kerze in der Hand,
Mein Lehrer du im Sterben, ich der deine!

Betrachte - nun ist's nicht mehr Sünde - diese
Einst so vergötterte Geliebte itzt!
Die Rosenwange deiner Heloise
Ist Asche nun! In ihrem Auge blitzt
Der letzte matte Strahl, der ihm geblieben!
Jetzt fasse, drücke meine Hand, bis mich
Gefühl und Athem nun verläßt, und ich
Aufhöre, meinen Abelard zu lieben!

Wie so beredtsam zeigest du uns Thoren,
O Tod, den Wahnsinn einer Leidenschaft,
Die eine Handvoll Staub zum Ziel erkoren!
Ja, diese Züge, deren Zauberkraft
Mir so verderblich war, - einst naht auch ihnen
Ihr letzter Tag, sie werden Staub nur sein!
O, möge dann der Todesstunde Pein
In seliger Entzückung dir verrinnen!

O, mögen dann die glanzumfloss'nen Schaaren
Der Engel schützend um dein Lager steh'n!
Vom off'nen Himmel Strahlen niederfahren,
Die um dein Haupt als Siegeskronen weh'n!
Dann, wenn die Erde deinem Blick entweichet
Soll dir der Chor der Auserwählten nah'n,
Und dich mit einer Zärtlichkeit empfah'n,
Der keine and're, als die meine gleichet!

O, daß ein Edler unsre Namen schriebe
Auf eines Grabmals Stein zusammgereiht;
Dann schimmerten dein Ruhm und meine Liebe
Gepaart im Tempel der Unsterblichkeit!
Vielleicht, wenn in des Zeitenstromes Wellen
Manch künftiges Jahrhundert untergeht,
Daß einst ein liebend Paar nach Paraclet
Zu seinen Mauern kommt, zu seinen Quellen.

Dann drängen sie sich Haupt an Haupt zusammen,
Und bücken sich, damit sie leichter nun
Des Grabmals Inschrift lesen, und die Namen
Der beiden Liebenden, die drunter ruh'n;
Und wechselweise von den Wangen küssen
Sie ihre Thränen sich: "O! - seufzen sie
Voll tiefer Rührung - lasse Gott uns nie
So schmerzlich für der Liebe Freuden büßen!"

"Zu sehr liebten sie sich, und waren elend; o, laßt uns
Weinen an ihrer Gruft, aber nicht lieben, wie sie!"

Wer blieb' auch ungerührt? Selbst wer im Glanze
Des feierlichen Hochamts betend kniet,
Und vom lebend'gen Gott und der Monstranze
Nach unserm Grabeshügel seitwärts sieht, -
Mitleidig wird er eine Thrän' uns weihen,
Und wenn er nun, von unserm Mißgeschick
Gerührt, sein Herz für einen Augenblick
Dem Himmel stiehlt - wer wird ihm nicht verzeihen?

Fühlt je ein Sänger Leiden, wie die meinen,
Und muß er weinen, jahrlang, sehnsuchtsvoll
Um sie, die ihm in Träumen nur erscheinen,
Doch lebend nimmermehr begegnen soll, -
Wird er geliebt mit voller, heißer Seele, -
Der schreibe: Helois' und Abelard;
Deß Herz am zärtlichsten geschaffen ward,
Der Edle sei der Sänger, den ich wähle!

Aus: M. L. Schleifer's sämtliche Gedichte
Wien 1846 Carl Haas'sche Buchhandlung
(S. 33-55)
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