Liebespaare in der Literatur
 


Jacopo Zucchi (1541-1589)
Amor und Psyche

 


Amor und Psyche
 



Inhaltsverzeichnis:

Apuleius (um 124-um 180) - Der goldene Esel
Franz Hessel (1880-1941) - An Psyche
Agnes Franz (1794-1843) - Die gefesselte Psyche
Sophie Mereau (1770-1806) - Psyche an Amor
Christine Westphalen (1758-1840) - Psyche
Christine Westphalen (1758-1840) - Amor und Psyche am Bach
Johann Gottfried Herder (1744-1803) - Amor und Psyche
Heinrich Heine (1797-1856) - Psyche
Conrad Ferdinand Meyer (1825-1898) - Die gegeißelte Psyche
Frida Bettingen (1865-1924) - Psyche
Hermione von Preuschen (1854-1918) - Psyche
Albert Möser (1835-1900) - Amor und Psyche
John Keats (1795-1821) - Ode an Psyche





Apuleius (um 124-um 180) - Der goldene Esel

Viertes Buch

(...) In einem gewissen Lande lebten einst ein König und eine Königin, welche drei Töchter hatten. Reiz und Anmut schmückten die beiden ältesten in sehr hohem Grade. Doch verschwanden beide wie im Schatten neben dem strahlenden Glanze ihrer jüngern Schwester.
Die Natur schien an dieser all ihren Reichtum erschöpft zu haben, ihre Schönheit war weit über das Menschliche, kein Lob konnte sie erreichen; ja, jede Sprache war zu arm, sie nur zu beschreiben.
Auch zogen Eingeborene sowohl als Fremdlinge, durch den Ruf von dieser Wunderschönheit neugierig gemacht, in Menge dahin. Alle wurden so vor Bewunderung darüber außer sich, daß sie die Prinzessin, nicht anders als ob sie die Göttin Venus selbst wäre, in aller Förmlichkeit anbeteten.
Hierdurch entstand in allen umliegenden Städten und Ländern die Sage: Die Göttin, welche aus des Meeres blauer Tiefe geboren und von dem Taue schäumender Wellen ernährt worden, verstatte jetzt ihrer Gottheit Anblick und wandle sichtbarlich in den Versammlungen des Volks einher; oder es habe gar durch einen neuen Einfluß der himmlischen Gestirne jetzt die Erde, wie ehemals das Meer, eine neue jungfräuliche Venus hervorgebracht.
Dieses Gerücht verbreitete sich mit jedem Tage weiter und weiter. In kurzem war es in den entferntesten Inseln und Landen erschollen.
Nun kamen von nahe und von ferne, über Berge und über Täler und über die Schlünde des Meeres unzählige Scharen, diese glorreiche Seltenheit ihres Jahrhunderts zu schauen. Niemand schiffte mehr nach Paphos zur Göttin Venus, niemand nach Knidos, noch selbst nach Cythera. Die Heiligtümer der Göttin werden vernachlässigt, die Tempel verfallen, ihre Kissen werden mit Füßen getreten, unbekränzt stehen ihre Bildsäulen, und die verwaisten Altäre sind mit kalter Asche bedeckt. Jedermann betet zur Prinzessin. In ihr wird jene große Gottheit verehrt. Des Morgens bei ihrem Erscheinen dampften der Sterblichen Opfer, um der abwesenden Göttin Gunst zu erhalten. Man feiert ihr Fest. Wandelt sie auf den Straßen, so begleitet sie in Gepränge das Volk, wirft sie mit Sträußen und Kränzen und streuet ihr Blumen.
So unmäßig ward die Ehre der Himmlischen einem sterblichen Mädchen zugewandt. Venus Aphrodite entbrannte darüber in Zorn. Im bittersten Unwillen schüttelte sie das Haupt und sprach bei sich selbst: »Wie, ich, der Natur erste Mutter, der Elemente Urheberin, des ganzen Alls ewige Erhalterin, ich soll mit einer Sterblichen die Ehre der Anbetung teilen? Mein himmlischreiner Name soll an irdischer Niedrigkeit entweiht werden? Wie? Ein Kind des Todes soll gemeinschaftliche Opfer mit mir haben? soll mich der Ungewißheit fernerer Verehrung bloßstellen? soll mein Bild auf Erden sein? Mein Bild? So hätte ja Paris, dessen Treue und Gerechtigkeitsliebe der große Jupiter selbst billigte, mir vergebens den Preis der Schönheit vor so großen Göttinnen zuerkannt? Nein! Wer sie auch sei, sie soll sich wahrlich lange der angemaßten Ehre nicht freuen! Soll nur zu bald selbst diese ihre freventliche Schönheit verfluchen!«'
Und sogleich rief sie ihren Sohn, den geflügelten, kühnen Knaben, der mutwillig und frech aller Zucht spottet; des Nachts in den Wohnungen der Sterblichen umherschweift, die Eheleute verführt, die größten Ruchlosigkeiten ungestraft ausübt und überall nichts als Unheil stiftet.
Diesen, von Natur schon zur Bosheit geneigt, reizt sie nun durch Worte noch mehr an. Sie führt ihn in die Stadt, wo Psyche, denn so heißt die Prinzessin, sich aufhält: zeigt sie ihm, erzählt ihm die ganze Geschichte von Psychens Wetteifer mit ihr um den Vorzug der Schönheit, ruft endlich seufzend und mit dem Ausdrucke des allerheftigsten Unwillens:
'Bei dem Bande der mütterlichen Liebe, das mich mit Dir vereint, mein Sohn, bei Deiner Pfeile süßen Wunden, bei der seligen Glut, welche deine Fackel entzündet - beschwöre ich, flehe ich Dich an: Verleihe Deiner Mutter Rache, volle, überschwengliche Rache, züchtige diese freche Schönheit andern zur Scheu! Besonders aber erfülle mir dies Einzige, dies vor allem anderen Wichtigste: Verwunde das Mädchen mit der allerheftigsten Liebe zu dem niedrigsten der Menschen, dem das Schicksal Ehre, Gut und Gesundheit geraubt hat; ja, der so verworfen ist, daß er auf dem ganzen weiten Erdboden nicht seinesgleichen an Elend finden mag!'
Nachdem sie so geredet, umarmt sie den Sohn lange und innigst mit süßen Küssen, begibt sich nach dem nahen Gestade des Meeres und schwebt mit rosigen Füßen über den obersten Schaum gekräuselter Wellen dahin.
Sie hatte kaum die Höhe des tiefen Meeres erreicht, siehe, so sind auf ihren bloßen Wunsch, als auf einen längst vorhergegebenen Befehl, alle Meergottheiten dienstwillig um sie her versammelt. Da sind des Nereus Töchter und singen im Chor, da ist Portunus mit langem, blauen Barte, und Salacia, den Schoß von Fischen schwer, und der kleine Delphinenritter Palämon. Der Tritonen Scharen durchschneiden hin und wieder des Meeres glänzende Fläche; einer bläst lieblich auf der tönenden Muschel, ein anderer schützt mit seidenem Schirme vor der Hitze der feindseligen Sonne, dieser trägt der Göttin einen Spiegel vor, noch andere unterstützen schwimmend den zweispännigen Wagen. In diesem Aufzuge begibt sich Venus zum Ozean.
Unterdessen gereicht Psychen ihre sich selbstfühlende Schönheit keineswegs zum Glück. Ein jeder staunt sie an. Ein jeder bricht über sie in Lobeserhebungen aus. Allein nicht ein einziger, nicht König, nicht Fürst, noch jemand vom Volke begehrt ihrer und wirbt um sie. Man bewundert sie, und das ist alles. Man bewundert sie gleich einer Bildsäule von Meisterhand. Ihre beiden älteren Schwestern hingegen, deren mäßige Schönheit kein Ruf fernen Völkern gepriesen hatte, waren früh an königliche Freier verlobt und genossen jetzt schon das Los glücklicher Ehen.
Allein in ihres Vaters Hause zurückgeblieben, ohne Hoffnung, jemals die seligen Freuden der Liebe zu genießen, weint die unglückliche Psyche ihre leeren Tage hin. Sie dünkt sich in einer öden Wüste verlassen, wird krank an Körper, krank an Seele; ihre Schönheit, welche die Bewunderung ganzer Nationen ausmacht, ist ihr selbst ein Greuel.
Ihr Vater betrübt sich darüber nicht weniger als sie selbst. Er glaubt endlich, irgendeine zürnende Gottheit müsse ihren Haß auf seine Tochter geworfen haben. Daher befragt er das uralte Orakel des milesischen Gottes. Er denkt, vielleicht durch Flehen und Opfer von dieser mächtigen Gottheit für seine verschmähte Tochter einen Gemahl zu erhalten. Allein Apoll antwortete ihm:

'Stelle die Tochter, zur Hochzeit wie zur Leiche geschmücket,
Auf des erhabensten Berges felsigen Gipfel dahin.
Ihr ist von sterblichem Stamm kein Ehegenosse bestimmet,
Sondern ein Ungeheuer, falsch, grausam wie Otterngezücht;
Hoch erhebt sichs auf Schwingen, noch über den Äther; allmächtig
Waltet's mit Feuer und Stahl über die zitternde Welt.
Jupiter scheuet es selbst, den alle Götter doch fürchten.
Ja, der rächende Styx scheut es und bebet davor.'

Wie schmerzlich traf dieser heilige Ausspruch die Seele des Königs! Sein ehemaliges Glück scheint ihm jetzt ein Traum. Langsam und traurig geht er nach Hause zurück und eröffnet seiner Gemahlin den schrecklichen Befehl des Gottes. Da ist Jammer! Tränen und Wehklagen nehmen kein Ende viele Tage lang.
Schon nahet die schreckliche Erfüllung des Orakels heran, wie zum Begräbnis werden die Anstalten zur Hochzeit der unglücklichen Prinzessin gemacht. Düster brennen die angezündeten Brautfackeln. Die hochzeitliche Flöte seufzt nur klagende, lydische Töne. Dumpf schallt der sonst so fröhliche Hymenäus, schließt traurig wie ein Sterbelied. Und mit Tränen der Verzweiflung netzt die Braut den geweihten Schleier.
Das Mißgeschick des königlichen Hauses rührt die ganze Stadt zum Mitleiden; die Trauer ist allgemein, Geschäfte, Gericht, alles unterbleibt.
Aber die Notwendigkeit, dem göttlichen Befehle zu gehorchen, rief die unglückliche Psyche zu dem bestimmten Ort. Sobald in tiefster Betrübnis alle nötigen Zurüstungen zur traurigen Hochzeitsfeier gemacht sind, so beginnt der Zug in Begleitung des ganzen Volkes.
Psyche schwimmt in Tränen, ihre Brust bebt von Schluchzen und Seufzen; sie geht zum Leichenbegängnis, nicht zur Hochzeit. Ihren Eltern bricht das Herz; sie zögern so viel sie nur können, so abscheulichen Greuel zu verüben.
Der unaussprechliche Schmerz des Vaters und der Mutter macht endlich die Tochter ihres eigenen Schmerzes vergessen, sie spricht ihnen mit diesen Worten Mut ein:
'Quält doch nicht durch so stetes Jammern Eure alten Tage, Vater! Mutter! Verkürzt nicht so Euer teures Leben, das ich gern durch das meine noch verlängerte! Was helfen diese ohnmächtigen Tränen, die Euer ehrwürdiges Angesicht entstellen? - Haltet ein! Haltet ein! O tut meinen Augen nicht weh durch Verletzung der Eurigen, schonet doch Eures grauen Haares, schonet Eurer mir heiligen Brust; andern Lohn konntet Ihr Euch ja für meine große Schönheit nicht versprechen! Spät genug fühlt Ihr jetzt erst des leidigen Neides tödliche Wunde. Als uns das Volk und fremde Nationen göttliche Ehre erwiesen und einhellig mich die neue Venus nannten, da hättet Ihr klagen, da weinen, da mich schon als tot betrauern sollen; denn ich fühl' es, ich seh' es, dieser Name ist allein mein Unglück. Jetzt führt mich getrost fort. Stellt
mich auf den angedeuteten Felsen hin, ich eile der glücklichen Vermählung entgegen, zu der ich bestimmt bin. Ich eile, meinen edlen Gemahl kennen zu lernen. Denn wozu soll ich noch lange zögern? Wie soll ich dem entfliehen wollen, der zum Untergange der ganzen Welt geboren ist?'
So sprach sie zu ihren Eltern und mischt sich nun mit gesetztem Tritt unter die Menge des begleitenden Volks.
Der Zug geht zum angewiesenen Berge fort, man langt bei ihm an, führt die arme Psyche auf den obersten Gipfel desselben und läßt sie da allein. Bei ihr bleiben die Brautfackeln, mit denen war vorgeleuchtet worden, aber verlöscht von Tränen, denn jeder schied nur mit strömenden Tränen von dannen.
Auf dem Rückzuge hört man keinen Laut. Ein jeglicher geht stillschweigend, in Gedanken vertieft, das Haupt zur Erde geneigt. Vater und Mutter sind ganz in Jammer niedergebeugt, sie verschließen sich im Innersten ihres Palastes, und trauriges Dunkel umhüllt ihre Tage. Mittlerweile stand Psyche oben auf dem Gipfel des Felsens, ganz allein, in der bangsten Erwartung. Sie zittert, sie bebt und weint bitterlich; auf einmal aber fühlt sie sich sanft überm Boden schweben.
Ein Zephyr hob unvermerkt sie empor; er schwellte mit lindem Hauche den Busen ihres Gewandes - rauschend flatterte der Saum umher - und so trug er sie ruhig in den Abgrund des darunter liegenden Tales und legte sie sanft in den blumigen Schoß eines weichen Rasens nieder.

Fünftes Buch

Allhier ist Psyche augenblicklich aller quälenden Unruhe entledigt. Sanft gebettet auf zartem Lager von betautem Grase, entschlummert sie allgemach. Nach langem erquickendem Schlaf erwacht sie endlich wieder heiterer als jemals und steht auf.
Welch ein Anblick bietet sich da ihren Augen dar!
Sie befindet sich in einem anmutigen Lustwalde, wo unzählige Geschlechter der herrlichsten Bäume ihren Schatten ausbreiten. Eine Quelle, glänzender als Kristall, windet in mannigfaltigen Krümmungen sich mitten hindurch, und da, wo sie sanftrauschend vom Felsen herabstürzt und über sich leichten Silbernebel bildet, steigt auf grünem Ufer ein Palast empor, nicht von Menschenhand und Kunst erbaut. Gleich beim ersten Eintritt in denselben erkennt man ihn für eines Gottes Lustwohnung. Die Decke ist künstlich gewölbt, mit Elfenbein und Zitronenholz eingelegt und von goldenen Säulen unterstützt. Getriebene Arbeit von Silber überdeckt alle Wände, wilde und andere Tiere springen wie lebendig den Hereintretenden entgegen; eine Vollkommenheit der Kunst, die niemand erreicht, ohne ein Zauberer, wo nicht ein Halbgott oder ganz ein Gott zu sein! Der Fußboden prangt mit den köstlichsten Steinen, kleingeschnitten und von verschiedenen Farben, so meisterlich zusammengestellt, daß sie die vortrefflichsten Gemälde bilden. O, zwei und mehrmals glücklich diejenigen, die da Geld und Edelgesteine mit Füßen treten!
Gleicher unaussprechlicher Reichtum herrscht in allen anderen Teilen dieses weitläufigen Gebäudes. Die Mauern sind mit gediegenem Golde über und über bekleidet; von allem Glanze werden die Augen geblendet. Ja, wollte auch die Sonne diesem Palaste ihr Licht entziehen, es würden in demselben die Zimmer, die Gänge, die Türen durch ihren Schimmer einen eigenen Tag hervorbringen.
Auch die Gerätschaft stimmt allenthalben mit der übrigen Pracht überein. Kurz, alles und jedes erweckt hier den Gedanken: der große Jupiter habe sich diese himmlische Wohnung zum Umgange mit den Menschen zubereitet.
Die Schönheit dieses Aufenthaltes zog Psychen an. Sie ging näher hinzu. Bald schon dreister geworden, wagt sie sich in eine Tür hinein; Neugierde und Bewunderung leiteten sie dann immer weiter und weiter, bis sie endlich, vom Größten bis zum Kleinsten, alles besehen hatte.
Nun besucht sie auch die Vorratsgebäude, die, bei der edelsten Bauart, mit den allergrößten Schätzen angefüllt sind. Was hier sich nicht findet, ist nirgendwo in der Welt.
 Psyche war über so unermeßlichen Reichtum erstaunt. Doch ihre höchste Verwunderung war, daß sie zur Verwahrung dieses Schatzes aller Schätze weder eines Riegels noch eines Schlosses noch sonst eines Hüters gewahr ward.
Wie sie dieses alles mit staunender Wonne noch immer betrachtete, wurde sie auf einmal erweckt. Eine Stimme sprach zu ihr, ohne daß sich ein Körper dazu sehen läßt:
'Wie kannst Du, o Gebieterin, so lange bewunderungsvoll diese Kostbarkeiten anstarren? Sie sind ja alle Dein. Gehe lieber in das Schlafzimmer, um Dich auszuruhen, und begib Dich, wenn es Dir ansteht, in das Bad. Ich, deren Stimme Du vernimmst, und noch viele unsichtbare Mädchen mehr sind Deinem Dienste gewidmet. Unsere Emsigkeit wird es Dir an nichts fehlen lassen; jegliche Bequemlichkeit und die köstlichste Tafel erwarten nur Deinen Wunsch.'
Psyche merkt jetzt, daß sich irgendeine Gottheit ihrer annimmt, sie folgt dem Rat der Stimme und erquickt sich durch einen leichten Schlummer und dann durch ein Bad, nimmt darauf an einer Tafel Platz, die für sie zubereitet dazustehen schien. Sogleich ist diese mit einer Menge der lieblichsten Weine und der auserlesensten Gerichte bedeckt. Niemand trägt sie auf, sie scheinen wie von der Luft getragen von selbst herbeizuschweben. Auch ist niemand von denen, die aufwarten, zu sehen. Psyche hört nur zuweilen einzelne Laute.
Nachdem sie abgespeist hat, tritt jemand auf und singt und ein anderer begleitet den Gesang mit der Zither; der Sänger ist so wenig als der Zitherspieler noch die Zither selbst sichtbar.
Darauf läßt sich ein volltöniges Konzert von den lieblichsten Stimmen hören und ergötzt die Ohren Psychens, ohne daß wiederum ihre Augen die Kehlen zu entdecken vermögen, welche diese süße Harmonie hervorbringen.
Nach allen diesen Ergötzlichkeiten geht Psyche auf Anmahnen der anbrechenden Nacht endlich schlafen.
Schon tief in der Nacht weckt sie ein leises Geräusch. Da schaudert es ihr durch alle Glieder. In der großen Einsamkeit ist ihr für ihre Unschuld bange. Zwar weiß sie nicht, was sie befürchtet, aber sie fürchtet es mehr als den Tod.
Siehe, es ist ihr unbekannter Gemahl. Er besteigt das Brautbett, macht Psychen zu seiner Gattin und eilt noch vor Anbruch des Tages von ihr.
Kaum hat er sie verlassen, so sind auch schon die dienstfertigen Stimmen in dem Schlafgemache, um der Neuvermählten alle nötigen Hilfeleistungen zu reichen.
So währte es eine Weile fort. Es ging Psychen mit der neuen Lebensart, wie es immer zu gehen pflegt, anfangs war ihr alles so fremd, so unbehaglich, bald ward sie es durch die Dauer gewohnt, und endlich fand sie Gefallen daran. Die Gespräche mit ihren Unsichtbaren ersetzten ihr alle Gesellschaft.
Unterdessen verzehrten ihre armen alten Eltern sich in Gram und steter Betrübnis. Auch war das Gerücht von dem Orakel und seiner Vollziehung inzwischen zu den ältern Schwestern gekommen. In größtem Leidwesen verlassen beide schleunigst ihre Männer und eilen um die Wette, Vater und Mutter zu trösten und bei ihnen nähere Kundschaft wegen der Schwester einzuziehen.
In eben der Nacht spricht Psychens Gemahl, den sie nie sah, nur fühlte und hörte, also zu ihr:
'Geliebte Psyche, Du mein süßes Weib, ein feindliches Schicksal drohet Dir eine große Gefahr! Aber achte nur genau auf diese meine Warnung, so ist ihr vorgebeugt. Deine Schwestern trauen dem Gerücht von Deinem Tode nicht. Sie werden bald hier sein und Deiner Spur oben auf dem Felsen nachsuchen. Kommt nun ihr Geschrei und Gewimmer Dir zu Ohren, so antworte ja nicht, sieh auch nicht einmal nach ihnen hin. Du bereitest sonst mir den größten Schmerz und Dir selbst das größte Unglück.'
Psyche verspricht's ihrem Gemahl; sie beteuert, nur seinem Rate zu folgen.
Allein kaum ist er mit der Nacht zugleich von ihr geschieden, als sie in Seufzer, Jammer und Tränen ausbricht:
'Jetzt,' ruft sie, 'jetzt erst bin ich mit Recht unglücklich zu nennen! In einem goldenen Kerker eingesperrt, aller menschlichen Gesellschaft abgestorben, darf ich meine Schwestern nicht einmal trösten; meine Schwestern, die um meinetwegen sich härmen! Ach, ich darf sie nicht einmal sehen!'
Und so geht es den ganzen Tag. Sie ißt nicht, trinkt nicht, genießt keine Erquickung, begibt sich nicht ins Bad. So fort ohne Maß weinend, legt sie sich endlich schlafen. Bald findet sich ihr Gemahl bei ihr ein, diesmal früher als gewöhnlich; aber auch seine Umarmung hemmt ihre Zähren nicht.
Leutselig wollte er ihr da ihre Empfindlichkeit verweisen: 'Wie, meine Psyche,' sagt er, 'ist das die Art, womit Du den, Bitten der sorgsamen Liebe Deines Gatten willfährst? Da bleibt mir wenig von Deiner Folgsamkeit zu hoffen übrig! So Tag und Nacht und in meinen Armen selbst in Tränen zu zerfließen! Nein, lieber handle nach Deinem eigenen Gefallen, tue, was Dein Herz Dir eingibt; aber sehen wirst Du, wie schädlich das ist! Dann wirst Du's bereuen, daß Du mir nicht gefolgt bist; aber dann ist's zu spät!'
'Flehentlich bitte ich Dich, Geliebter,' erwidert ihm aber Psyche, 'gewähre mir den Wunsch meiner Seele! Laß mich meine Schwestern sprechen, sie trösten,
oder ich muß sterben! Ich mache diesem meinem verhaßten Leben ein Ende!'
Wie hätte er dieser fürchterlichen Drohung zu widerstehen vermocht? Augenblicklich ergibt er sich den Bitten seines jungen Weibes. Ja, in seiner zärtlichen Schwachheit stellt er es ihr frei, ihre Schwestern mit so vielem Golde und so vielen Juwelen zu beschenken, als sie nur immer wolle.
Doch warnt er sie noch unaufhörlich, bald in Liebe, bald mit Ernst, ja sich nicht von dem unglücklichen Rate derselben verleiten zu lassen, seine Gestalt auszuforschen. Dieser sträfliche Vorwitz würde sie ohne Rettung von dem Gipfel ihres Glückes in das äußerste Elend hinabstürzen und auf ewig seinen Umarmungen entreißen.
Mit aufwallender Freude dankt nun Psyche ihrem Gemahle. 'Eher,' sagt sie, 'eher mag ich hundertmal sterben, als Deinen geliebten Armen entrissen werden! Denn Dich, wer Du auch seiest, Dich liebe ich mit ganzer Seele, wie mein Leben liebe ich Dich, Dich vertauscht' ich mit Amor selbst nicht! Doch dies Einzige gewähre meinen Bitten noch: Gebiete Deinem Zephyr, auf eben die Art wie mich auch meine Schwestern hierher zu bringen.'
Jetzt schlingt sie ihre lilienweißen Arme um seinen Hals und küßt und liebkost ihn so viel und überhäuft ihn mit so vielen zärtlichen Namen der Liebe: heißt
ihn ihre Wonne, ihr Leben, ihre Seele, bis sie endlich obsiegt. Von der Gewalt der Liebe bezwungen, erlag ihr Gemahl wider Willen und Vorsatz und versprach ihr, daß alles geschehen solle, und verschwand, noch ehe es dämmerte, wieder aus ihren Armen.
Allbereits waren Psychens Schwestern bei ihren Eltern angelangt. Sie erkundigten sich nach allem, begaben sich dann eiligst auf den Felsen und an den Ort, wo ihre Schwester allein war verlassen worden. Da sie dort nirgends eine Spur von ihr antrafen, so weinten sie überlaut und schlugen sich bei dem Klagen an die Brust. Von ihrem Jammergeschrei hallten traurig die Felsen wieder. Endlich riefen sie ihre unglückliche Schwester bei Namen. Der durchdringende Laut ihrer ängstlichen Stimmen klang bis tief hinunter in das Tal.
Psyche vernahm es. Mit Ungestüm stürzt sie wie wahnsinnig aus dem Schlosse heraus und schreit:
'Schwestern, was betrübt Ihr Euch so ohne Ursache? Ich, die Ihr beweint, bin hier. Stellt Eure Klagen ein. Trocknet Eure Tränen und kommt herab in meine Umarmung!'
Darauf ruft sie den Zephyr und sagt ihm, was ihr Gemahl befohlen. Ohne Verzug gehorcht dieser und bringt alsbald auf seinem milden Odem ihre Schwestern wohlbehalten und gemächlich hernieder.
Voller Ungeduld fliegen sie sich gegenseitig in die Arme und drücken sich einander lange sprachlos inbrünstig ans Herz. Freudentränen fließen auf ihren Wangen. Endlich spricht Psyche:
'Kommt nun auch mit mir in meine Wohnung, Ihr Lieben! Vergeßt jetzt das vergangene Leid und freuet Euch einmal wieder mit Eurer Psyche!'
Darauf geht sie mit ihren Schwestern in den Palast.
Diese wissen nicht, was sie daran am meisten bewundern sollen: Lage, Gebäude oder Reichtum? Sie erstaunen besonders, als sie das Gewimmel der dienstbaren Stimmen um sich her vernehmen.
Nach einem erfrischenden Bade lagern sie sich mit Psychen an eine Tafel, wo nichts zu vermissen war, was nur immer dem Geschmack eines Gottes auf das Angenehmste schmeicheln mag. Da lassen sie sich beisammen wohl sein und sind guter Dinge.
Endlich verliert sich nach und nach der erste Eindruck des Erstaunens über alle die blendende Pracht und alle die himmlische Herrlichkeit bei Psychens Schwestern. Und gleich tritt in ihre Seelen hämischer Neid an dessen Stelle.
Nun fangen sie an, mit der größten Verschlagenheit und Neugierde nach dem Herrn aller dieser Wunder zu tragen: wer und was denn ihr Gemahl sei?
Jedoch, so schlau und verfänglich sie auch immer ihre Fragen anlegen, Psyche bleibt auf alle Weise dem Befehl ihres Gemahls treu. Sie läßt sich das Geheimnis ihres Herzens nicht ablocken, sondern erdichtet aus dem Stegreif:
Ihr Gemahl sei ein wohlgestalteter Jüngling, dessen blühende Wangen nur erst zarter Flaum bekleidete; er sei fast beständig in Wäldern und auf Bergen mit der Jagd beschäftigt.
Doch fürchtet sie selbst, sich etwa in fernerem Gespräche noch zu verraten. Darum beschenkt sie nach dieser Antwort alle beide reichlichst mit Goldgeschmeide und Juwelen, ruft dann den Zephyr und übergibt sie ihm wieder, um sie auf den Fels zurückzutragen.
Dies geschieht allsofort.
Auf der Rückkehr zu ihren Eltern zeigen die sauberen Schwestern in ihren Reden nur zu sehr, wie des Neides schwarzes Gift in ihrem Innern wüte.
'O Glück,' ruft die Eine aus, 'wie blind, wie grausam und wie ungerecht bist Du doch! Uns, die von ein und eben demselben Vater und Mutter abstammen, so himmelverschiedene Lose zuzuwerfen, und wir, noch dazu die Ältesten, wir, der Gewalt ausländischer Ehemänner nicht anders als Sklavinnen überliefert, fortgestoßen in die Fremde, fern vom väterlichen Hause, fern vom Orte unserer Geburt und getrennt, abgeschnitten von allen Verwandten, müssen unser Leben wie Verbannte hinkümmern! Und sie, von uns allen die Jüngste, die letzte Frucht einer erschöpften Natur, muß einen Gott zum Manne bekommen, um im unsäglichen Überflusse zu prassen, um sich ganz in Reichtum vergraben zu sehen, den sie doch so wenig zu schätzen als zu nutzen weiß! Denn hast Du wohl gesehen, Schwester, wie in ihrem Hause das köstlichste Geschmeide umherliegt, wie prächtige Kleider sie trägt, wie alles von Edelgesteinen blitzet? wie man das Gold bei ihr allenthalben mit Füßen tritt? Ist vollends ihr Gemahl so schön, wie sie's sagt, wahrlich, so ist sie die glücklichste Frau auf dem Erdboden. Und, wer weiß, macht ihr göttlicher Gemahl (wenn erst Gewohnheit seine Zuneigung zu ihr immer mehr befestigt hat), sie nicht noch gar zur Göttin? Gib acht, das geschieht. Sie führte sich auch schon so auf, betrug sich ganz vollkommen so. Als eine Göttin sieht sie sich schon im Geiste. Wie sollte sie auch noch wissen, daß sie eine Sterbliche ist wie wir, da unsichtbare Zofen sie bedienen und die Winde selbst ihr gehorchen? Dafür muß mir armen Unglückseligen an einem Manne genügen, der Alters wegen weit eher mein Vater sein könnte, kahler ist als meine Hand, ohnmächtiger denn ein Kind und dabei so geizig, daß er das ganze Haus verschlossen und verriegelt hält.'
'Bin ich besser daran?' nimmt die andere das Wort. 'Der Meinige ist gar ein Krüppel, ganz krumm zusammen von der Gicht gezogen und so an allen Gliedern gelähmt, daß mir leider wenig Freude bei ihm zuteil wird. Beständig muß ich seine versteinerten Finger reiben und die ekelhaftesten, scheußlichsten Umschläge machen und meine zarten Hände dabei gänzlich verwahrlosen; statt seiner geliebkosten Frau bin ich seine geplagte Krankenwärterin. Aber Schwester, Du magst nun dies alles so demütig (um Dir's frei herauszusagen, wie ich's eigentlich meine), so sklavisch erdulden, wie es Dir nur immer beliebt! Ich für mein Teil werde das nie. Ich kann gegen diese so schreiende Ungerechtigkeit, so übel angebrachte Gunst des Glückes nicht einen Augenblick gleichgültig bleiben. Erinnerst Du Dich, wie hoffärtig und aufgeblasen sie sich gegen uns betrug? Ihre Prahlerei nahm gar kein Ende, ihr Stolz ward je länger je mehr unausstehlich. Merktest Du, wie sie nur erst nach großem Kampfe uns von ihren grenzenlosen Reichtümern diese Kleinigkeiten hinwarf und gleich auch unserer Gegenwart überdrüssig war und uns von ihren Winden wieder fortbringen ließ? Aber ich will nicht Weib heißen, will jetzt zum letzten Male Odem geschöpft haben oder sie muß mir dafür büßen! Sie muß hinab, muß mir zum Boden hinab von ihrer stolzen Höhe! Ich hoffe doch, wie's wohl billig wäre, daß unsere Schmach Dich eben so rührt als mich. So laß uns denn gemeinschaftlich auf einen kräftigen Anschlag bedacht sein! Laß uns für's erste gleich diese ihre Geschenke weder unseren Eltern noch sonst jemand zeigen. Stellen wir uns lieber, als ob wir gar nichts von ihr gehört hätten! Genug, daß wir selbst mehr erfahren haben, als wir wünschen! Was sollen wir noch hingehen, um ihr Glück bei unseren Eltern und bei allen Völkern auszuposaunen. Nein, ein unbekanntes Glück ist kein Glück. Sie soll es schon inne werden, daß wir nicht ihre Mägde, sondern ihre älteren Schwestern sind. So wollen wir uns denn vor der Hand nur wieder zu unseren Männern, in unsere freilich ärmlichen, doch bescheidenen Wohnungen begeben. Aber da bei Muße, nach den reiflichsten Überlegungen, laß uns die untrüglichsten Maßregeln ergreifen und, damit ausgerüstet, endlich ihren Stolz zu demütigen, wieder hierher kehren.'
Dieser böse Anschlag findet bei den zwei Elenden mehr Beifall denn irgendein guter, den ihnen die Dankbarkeit hätte eingeben mögen.
Sie verbergen also alle die kostbaren Geschenke, die sie von ihrer Schwester empfangen haben; zerraufen das Haar, zerkratzen sich ihr schändliches Angesicht, und durch ihr neues Gewinsel und Wehklagen reißen sie ihren armen Eltern alle Wunden des Herzens von neuem auf.
Bald, so verlassen sie diese auch wieder und eilen heim, sich ganz wie wahnsinnig in ihrer verstellten Betrübnis gebärdend, und brüten allda ruchlose, ja endlich meuchelmörderische Anschläge gegen ihre arme, unschuldige Schwester.
Mittlerweile warnt der unbekannte Gemahl Psychen in nächtlichen Gesprächen wiederum.
'Das Schicksal,' sagt er, 'ist gegen Dich in feindlichem Anzuge, o Psyche! Sieh Dich ja aufs sorgsamste vor; sonst kommt es mit seiner Wut über Dich. Wie tückische Wölfe kommen Deine Schwestern wieder, Dich zu beschleichen. Meine Gestalt auszuspähen, wollen sie Dich bereden. Du weißt aber, was ich gesagt habe: hast Du mich einmal gesehen, so siehst Du mich nimmermehr wieder! Kommt also die verruchte Brut mit ihrem giftigen Anschlage zu Dir (und kommen wird sie gewiß, das weiß ich!), so ist das Beste für Dich, sie gar nicht zu sprechen; aber kannst Du dies aus zu großer Zärtlichkeit nicht über Dich erlangen, so mußt Du, ich bitte Dich, wenigstens nicht das Geringste, was mich betrifft, weder von ihnen anhören noch selber reden. Denn Du wirst mir, o Psyche! ein Kind gebären, das schon unter Deinem Herzen lebt und das, je nachdem Du mein Geheimnis bewahrst oder entweihst, unsterblich oder sterblich sein wird.'
Bei dieser Nachricht schoß Psychen vor Freuden das Blut ins Angesicht. Das Herz wallte ihr auf. Sie genoß in dem Augenblick all den Trost, all die Wollust, all die Glorie, die nur der Gedanke, Mutter eines Götterkindes zu werden, geben kann.
 Von nun an zählt sie ängstlich jeden kommenden Tag, jeden verstrichenen Monat, und, ganz neu in ihrem Zustande, denkt sie mit Bewunderung dem unmerklichen Anwachse, vom Unfühlbaren bis zur drückenden Bürde, nach.
Allein schon hatten ihre Schwestern, diese höllischen, Natterngift atmenden Furien, sich eingeschifft und steuerten in gottloser Eile nach ihr hin.
Jetzt ermahnt, voller banger Besorgnis, Psychens nächtlicher Gemahl sie abermals.
'Der letzte, der entscheidende Tag, Psyche, ist nun da,' sagt er. 'Deine abscheulichen Schwestern sind schon angekommen und halten den Dolch gezückt, welcher Dir das Herz durchbohren soll. Ach, welch Unglück drohet uns! Aber erbarme Dich meiner, süße Psyche, erbarme Dich Deiner selbst und rette mich, Dich und dieses unschuldige Kind vom bevorstehenden Verderben! Bewahre mein Geheimnis heilig und unverbrüchlich, und wenn die ruchlosen Weiber (denn sie, die Dir den tödlichen Haß geschworen und alle Bande des Blutes mit Füßen treten, darf ich nicht mehr Deine Schwestern nennen), wenn sie gleich Sirenen sich über den Felsen erheben und mit Unglücksstimmen jeglichen Widerhall wecken, so höre sie nicht, so sieh sie nicht!'
Ihm antwortet Psyche weinend und schluchzend:
'Du hast, so viel ich weiß, bisher meine Verschwiegenheit immer bewährt gefunden und fürchtest, ich möchte jetzt geschwätzig sein? Setze mehr Vertrauen in mich und befiehl getrost dem Zephyr, daß er mir wieder gehorche. Da mir der Anblick Deiner heiligen Person versagt ist, so laß mich wenigstens meine Schwestern sehen! Laß mich sie sehen, ich bitte Dich bei diesen duftenden, Deinen Nacken umfliegenden Locken, bei Deinen runden, zarten, den meinen so ähnlichen Wangen, bei Deinem von unaussprechlichem Feuer glühenden Herzen. Sie sollen mich nicht verführen. Was sollte ich zu meinem Verderben nach Deinem Anblick streben? Wird doch bald dies Kind mich Dein Angesicht in dem seinigen erblicken lassen. Damit verstatte mir unbesorgt der Schwestern frohe Umarmung und ergötze mit Freuden die Seele Deiner Dir gänzlich geweihten, Dich innigst liebenden Psyche, der in Deinen Armen auch die dickste Finsternis Licht ist.'
Von diesen Worten, die mit den zärtlichsten Umarmungen begleitet waren, bezaubert, trocknete Psychens Gemahl ihre Tränen mit seinen Locken ab, gab ihrer Bitte nach und schied, noch ehe es tagte, wieder von ihr.
Sobald das verschworene Schwesternpaar gelandet, verläßt es in der größten Geschwindigkeit den Strand, denkt nicht daran, Vater und Mutter zu besuchen, sondern eilt geraden Weges auf den bekannten Felsen hin und stürzt sich mit tollkühner Wut, ohne den Wind zu erwarten, der sie hinabtrüge, sogleich von da in die Tiefe hinunter.
Jedoch Zephyr, des empfangenen Befehls wohl eingedenk, fängt sie, wiewohl höchst ungern, auf und läßt sie in wallenden Lüften auf den Boden hernieder.
Nun beflügeln sie ihre Schritte zum Palaste hinein, umarmen ihre Beute, nennen sie unter tausend gleich falschen Beteuerungen ihre geliebte Schwester und verbergen unter gleißnerischen Worten und Mienen die höllischen Absichten ihres Herzens.
'Ei,' sagen sie, 'wie in der Zeit sich unsere kleine Psyche verändert hat! Sieh, will sie nicht gar schon Mutter werden?! Du glaubst nicht, liebe Psyche, welche Freude das für uns ist. Das ist ein Glück für unsere ganze Familie. O, eine Seligkeit muß das sein, so ein Götterkind miterziehen zu helfen, das, wie natürlich, der Schönheit seiner Eltern entsprechen und so ein leibhafter kleiner Liebesgott werden muß!'
Durch solche Schmeichelei und verstellte Zärtlichkeit stehlen sie Psychen unvermerkt das Herz.
Sie heißt sie gleich von der Reise auf weichen Polstern ausruhen, führt sie ins Bad und bewirtet sie in dem herrlichsten Saale aufs stattlichste an ihrer Göttertafel.
Sie winkt, und die lieblichste Zither läßt sich hören. Sie winkt wieder, da erhebt sich das sanfte Geflüster wechselnder Flöten. Sie winkt noch einmal, und unzählige Stimmen beginnen den volltönigsten Chor.
Die seelenschmelzende Gewalt der süßen Harmonie war um desto zauberischer, unwiderstehlicher, da man niemand sah, der sie hervorbrachte. Doch blieben die beiden Gäste davon gänzlich ungerührt. All die himmlische Musik vermochte ihre Bosheit nicht zu besänftigen. Sie schreiten zur Ausübung ihrer Ränke.
Abgeredetermaßen wenden sie das Gespräch wie von ohngefähr auf Psychens Gemahl, und, als ob sie das erste Mal von ihm sprächen, tun sie mitten in der Vertraulichkeit wiederum die Frage: Wer er denn eigentlich wäre und welches seine Abkunft sei?
Die gute Psyche hatte unglücklicherweise in der Einfalt ihres Herzens das vergessen, was sie das erste Mal geantwortet hatte. Sie nimmt also zu einer neuen Erdichtung ihre Zuflucht.
Ihr Gemahl, sagt sie, sei aus der nächsten Provinz, führe einen großen Handel, sei sehr reich und ein Mann in den besten Jahren, der jedoch schon graues Haar mitunter habe.
Sie bricht darauf sogleich das Gespräch ab; überhäuft die Schwestern wiederum mit den reichsten Geschenken und sendet sie auf ihrem Luftfahrzeug wieder fort.
 Indem diese, von Zephyrs stillem Hauche erhoben, nach Hause zurückkehren, sprechen sie also miteinander:
'Was meinst Du, Schwester,' sagt die eine, 'zu der albernen Lüge, die uns die Närrin da aufbürden will? Erst war's ein Jüngling, auf dessen blühender Wange sich eben der erste Bart kräuselte, und nun ist's auf einmal ein Mann in den besten Jahren, dessen Haar sich schon versilbert! Wer mag der sein, der in so kurzer Zeit alt und grau werden kann?'
'Mir, Schwester,' antwortet die andere, 'kommt's nicht anders vor, als ob das garstige Weib uns mit ihren Lügen zum Besten haben wolle oder gar selbst nicht wisse, wie ihr Mann aussieht. Sei es von beiden, was es immer wolle, so kann ich sie nicht länger in dem Überflusse wissen. Ich ruhe nicht, sie muß alles verlieren. Sollte sie wirklich nicht wissen, wie ihr Mann aussieht, so ist sie zuverlässig an einen Gott verheiratet und geht Dir auch mit einem Gotte schwanger; aber wird sie (welches ich doch nicht hoffe) wirklich Mutter eines Götterkindes, so erhänge ich mich den Augenblick. Indes laß uns zu unseren Eltern gehen und morgen einmal, dieses Verdachts wegen, bei ihr auf den Strauch schlagen.'
Das wird beliebt.
Scheineshalber werden die Eltern besucht. In brennender Ungeduld wird die Nacht durchwacht. Als der Morgen graut, sind sie schon wieder auf dem Felsen.
Mit Hilfe des Windes steigen sie, wie gewöhnlich, zu Psychen hinunter.
Sie pressen und reiben sich die Augen so viel, bis sie Tränen vergießen müssen. Dann reden sie voller Arglist das arme harmlose Weib mit diesen Worten an:
'Wohl Dir, Psyche, daß Du hier so in seliger Unwissenheit alles Unglücks und in ruhiger Sorglosigkeit wegen jeder Dir drohenden Gefahr dahinlebst, indes wir mit zärtlicher Besorgnis Tag und Nacht für Dein Wohl wachen und genug über Dein unseliges Schicksal jammern; auch dürfen wir's als wahre Mitleidende Dir nicht länger verhehlen. Wir haben für gewiß erfahren: ein großer, ungeheurer Drache, in verschlungenen Ringen einherkriechend, triefend von Blut und tödlichem Gift und gräßlich, mit weitem, aufgerissenem, unergründlichem Rachen, soll heimlich die Nächte bei Dir zubringen. Das hat Dir nun just auch das pythische Orakel prophezeit; denn Du wirst Dich erinnern, daß es lautete: Du solltest einem schrecklichen Ungeheuer vermählt werden. Und Bauern, Jäger und Nachbarn dieser Gegend haben ihn abends vom Fraße zurückkehren und sich hier im nahen Strome baden sehen. Alle sagen, am längsten würde er Dich hier im Wohlleben gemästet haben; sobald nur erst Deine Schwangerschaft völlig zur Reife gediehen, würde er Dich, als einen desto fetteren Bissen, verschlingen. Es steht nunmehr bei Dir, ob Du unserem, Deiner für Dein Leben besorgten Schwestern Rate folgend, dem Tode entfliehen und bei uns fern von aller Gefahr leben oder lieber in den Bauch dieser entsetzlichen Bestie Dich begraben lassen willst? Sollte Dir in dieser Einöde Deine Stimmengesellschaft und die schnöde, heimliche, gefahrvolle Lust in Deines giftigen Drachens Armen vor allem am besten behagen: Wohlan! so haben wir wenigstens als zärtliche Schwestern uns nichts vorzuwerfen, wir haben vollkommen das unsere getan.'
Diese grausige Rede bemächtigt sich der Einbildungskraft der guten treuherzigen Psyche. Sie verlor plötzlich alle Fassung. Ihres Gemahls Warnung, ihr eigen Versprechen schwanden aus ihrem Gedächtnis. Blind stürzte sie sich in des Elends Abgrund hinein. Am ganzen Leibe zitternd, totenblaß, stammelte sie mit fast ausgehendem Atem diese Antwort heraus:
'O, Ihr gebt mir einen neuen Beweis von Eurer Liebe, Ihr teuren Schwestern! Und ach, die Euch jenes gesagt haben, haben wohl keine Lügen erdichtet. Noch niemals hab' ich meines Mannes Angesicht gesehen. Ich weiß nicht, wer er ist. Nur bei dunkler Nacht hör' ich ihn und unterhalte mich mit ihm. Warum gäbe er sich sonst mir nicht zu erkennen? warum wäre er so lichtscheu, wenn Ihr nicht wahr redetet? Ich stimme Euch bei. Ja, er ist ein Ungeheuer! Seine ewigen Warnungen: ich sollte ja nicht Verlangen tragen, ihn zu sehen, sein ernstes Drohen mit dem äußersten Elend, falls ich meiner Neugierde nachgäbe, bestätigen es nur zu sehr. Wohlan denn, wißt Ihr Mittel, mich der bevorstehenden Gefahr zu entreißen, o, so eröffnet sie, ich bitte, eröffnet sie, ohne Zurückhaltung, Eurer Schwester!'
So verdarb ein Augenblick Übereilung auf einmal alles, was lange, behutsame Vorsicht gut gemacht hatte.
Die gottlosen Weiber hatten nun gewonnen Spiel. Sie stürmen aus ihrem Hinterhalte hervor, dringen durch die geöffneten Pforten des Herzens ihrer Schwester auf die bestürzten Gedanken der armen Einfalt mit gezückten Dolchen ein und machen sich davon Meisterinnen.
'Wir sind Blutsfreunde,' spricht eine, 'Dich zu retten, setzen wir gern jede Gefahr aus den Augen. Nach allem Hin- und Herdenken aber ist das allereinzigste, wozu wir Dir raten können, dieses: Verbirg Dir insgeheim auf der Bettseite, wo Du zu liegen pflegst, ein äußerst scharfes Messer, das auch bei der leisesten Berührung schon einschneidet, und unter irgendeiner Decke halte eine kleine helle Lampe in Bereitschaft. Laß Dir dann nichts merken. Kommt nun der Drache, seiner Gewohnheit nach, in das Schlafgemach hineingekrochen und liegt nun, neben Dir gestreckt, tief im ersten Schlafe vergraben, so stiehl Dich aus dem Bette, und mit schwebendem Gang, auf nackten Zehen, schleiche zu Deiner Lampe, zieh' sie unter ihrer Decke hervor und brauche ihr Licht zu Deiner herrlichen Tat. Dann halte das zweischneidige Eisen in Deiner Rechten hoch, und kühn trenne des schädlichen Ungeheuers Kopf und Nacken durch Einen mächtigen Streich. Auch soll unser Beistand Dir nicht fehlen. Sobald Du durch Deines Mannes Tod Dein Leben gesichert hast, sind wir bei Dir, geschwind wollen wir dann zusammen hier alles ausräumen, und Du wählest Dir nach Gefallen, statt dieses Drachens, einen Gatten, der Mensch ist wie Du.'
Mit solchen anfeuernden Worten entflammen sie die Seele der unruhigen Schwester und verlassen sie dann unverzüglich. Sie fürchten, bei so großem angerichteten Unglück in der Nähe zu bleiben, damit sie es nicht auch mittreffe. Als sie auf den Flügeln des Windes den Felsen wieder erreicht, begeben sie sich flugs an Bord und segeln davon.
Psyche, sich selbst oder vielmehr allen Furien der Hölle überlassen, schwankt auf einem Meere von Sorgen hin und her.
Alle ihre Entschlossenheit ist dahin, da jetzt der Augenblick zur Ausführung des vorher so festgefaßten Vorsatzes näherkommt.
 Sie ist ein Raub sich widerstreitender Affekte. Ungeduld und Scheu, Mut und Furcht, Zweifel und Wut wechseln unaufhörlich in ihr ab.
Was sie am meisten ängstigt, ist: ein und derselbe Gegenstand ist ihr als Ungeheuer verhaßt und zu gleicher Zeit unaussprechlich teuer als Gemahl.
Nach langem Kampfe macht sie endlich doch, als der Abend schon die Nacht herbeiführt, noch über Hals und Kopf die Zurüstung zur abscheulichen Tat.
Jetzt war es Nacht.
Der Gemahl kam. Nach den ersten Umarmungen der Liebe sinkt er in tiefen Schlaf.
Nun überwältigt Psychen ihr böses Schicksal. Sie, sonst an Leib und Seele gleich zärtlich, ist jetzt stark genug, kühn genug, Lampe und Messer herbeizuholen. Sie ist kein Mädchen mehr.
Allein, was entdeckt sie, als nun des Lichtes Schimmer das Geheimnis beleuchtet? - Von allen Ungeheuern das holdeste, das liebenswürdigste!
Es ist - Kupido. Der süße Gott der Liebe ist es! Da liegt er in all seiner Schönheit. Auch die Lampe freut sich seines Anschauens und flammt heller auf, und dem Messer tut es weh, daß es so scharf ist.
Psyche stutzt. Es faßt sie Reue und Entsetzen; außer sich, leichenblaß und bebend sinkt sie in die Knie. Verbergen möchte sie das Messer; aber in ihrer Brust. Sie hätte es auch getan, wäre nicht der Stahl aus Scheu vor einem so großen Verbrechen ihrer frevlen Hand entsunken und weit von ihr hinweggeflogen.
Allgemach erholt sie sich wieder von der Schwachheit; denn ihr Auge erquickte sich an der göttlichen Schönheit des Schlummernden, und jeder Blick auf ihn war für sie neues Leben. Auch welch ein Anblick! In der Haare Gold das niedlichste Köpfchen eingehüllt. Ambrosiaduftende Locken in zierlichem Gewirre über Rosenwangen und einen Nacken, weiß wie Milch, hinab auf Brust und Rücken irrend. Umher Glanz verbreitet, daß selbst der Lampe Licht davor erbleichte. Blandendpurpurne Fittiche an den Schultern des kleinen Fliegers, die Schwingen zwar ruhig, aber die zarten Busen der Federn in zitternder Wallung und mutwilliger Unruhe. Überhaupt ein Leib so glatt, so glanzvoll, so ganz schön, so ganz seiner Mutter, der göttlichen Venus würdig!
Am Fuße des Bettes lagen Bogen, Köcher und Pfeile, des mächtigen Gottes seliges Geschoß. Unstillbares Verlangen ergreift jetzt Psychen; neugierig beschaut sie die Waffen ihres Gemahls, befaßt sie, bewundert sie. Sie zieht einen Pfeil aus dem Köcher und versucht mit zartem Finger dessen Spitze. Noch hatte sich das Zittern der Glieder nicht gelegt, stärker als sie will, berührt sie das Eisen und verletzt sich, daß gleich Tröpfchen rosigen Blutes ihre Hand betauen. Von nun an liebt sie Amor. Ihre eigene Schuld, doch ohne ihr Wissen.
Mit jeglichem Augenblicke wird diese Liebe brünstiger; schmachtend hängt sie eine Weile über ihn hin und verliert sich im Genüsse des Anschauens. Endlich sinkt sie sanft auf ihn nieder, heftet ihre Lippen an ihn und berauscht sich in Wollust:
'Ach, daß er noch nicht erwache, daß er noch nicht erwache,' lallt ihr Herz in unnennbarem Taumel.
Allein indem sie so trunken von Entzücken sich und alles außer ihr vergißt, so weiß ich nicht, war es Meineid oder Mißgunst, was die unglückliche Lampe anwandelte, oder fühlte auch sie sich hingerissen, solch einen Leib zu berühren und gleichsam zu küssen, genug, sie sprühet einen Tropfen glühenden Öls auf die rechte Schulter des Gottes.
Weh und Fluch Dir, verwegene Lampe! Du erfrechst Dich, selbst den Urheber alles Feuers zu brennen? Ist das der Dank, womit Du der Liebe lohnst? ihr, die Dich schuf, ihren Genuß die Nacht hindurch zu verlängern!
Vor Schmerz springt der Gott aus dem Schlafe auf. Er sieht, wie Psyche schändlich wider ihr Versprechen gehandelt hat, und gleich, ohne ein Wort zu sagen, entflieht er aus ihren Armen. Zwar erhascht ihn das unglückselige Weib noch mit beiden Händen beim Fuß und bestrebt sich, ihn zurückzuhalten. Aber jämmerlich reißt er sie also mit sich empor, bis ihr die Kräfte entgehen und sie dann zur Erde zurückstürzt.
Der Gott liebte sie. So an der Erde, vermochte er nicht, sie zu verlassen.
Er flog auf die nächste Zypresse, und aus dem luftigen Wipfel derselben sprach er in heftiger Bewegung also zu ihr hernieder:
'Sieh, was Du nun angerichtet hast, Du leichtgläubige Psyche! Ich habe den Befehl meiner Mutter hintangesetzt, und statt Dich, nach ihrem Willen, durch Liebe und Ehe dem allernichtswürdigsten der Menschen zu verbinden, bin ich selbst Dein Liebhaber geworden. Ja, ich war noch leichtsinniger, ich herrlicher Bogenschütze, habe mich selbst mit meinen eigenen Pfeilen verwundet und Dich zu meiner Gattin gemacht, und das alles, damit Du mich für ein Ungeheuer hieltest, mit einem Messer mir den Kopf abschnittest, aus dem diese Augen Dich so liebevoll anblickten? Ich hatte Dich deswegen so oft auf Deiner Hut sein geheißen, hatte Dich immer so wohlmeinend gewarnt. Allein Deine trefflichen Ratgeberinnen sollen mir auch auf der Stelle ihren schändlichen Unterricht büßen. Dich aber strafe allein meine Flucht.'
Mit den letzten Worten erhob er sich auf seinen Fittichen in die Luft.
Psyche, am Boden liegend, sah, so weit ihre Augen reichten, unter entsetzlichem Jammer und Händeringen dem Fluge ihres Gemahls nach. Als ihn aber endlich das Ruder der Flügel in unermeßlicher Höhe ihrem Gesichte entführte, riß sie sich auf und stürzte sich in Verzweiflung von dem jähen Ufer in den nahen Fluß.
Es scheute der milde Fluß den Gott, dessen Flamme auch selbst dem Gewässer furchtbar ist, und schonte der Unglücklichen. Sorgfältig trug er sie auf unschädlichen Wellen an das blumenreiche Gestade.
Dort saß eben der Gott Pan. Er hielt seine geliebte Syrinx in dem Rohre umfaßt, worin sie war verwandelt worden, und lehrte sie allerlei liebliche Töne angeben. Seine Ziegen schweiften um ihn her und hüpften und weideten und kletterten am Rande des Ufers.
Der geißfüßige Gott, von Psychens Unfall unterrichtet, ruft mitleidig sie zu sich und spricht ihrem herben Schmerz sanften Trost ein.
'Artiges Kind,' redete er sie an, 'ich bin zwar nur ein schlechter Hirt, doch hat mich eine lange Reihe wohltätiger Jahre mit vieler Erfahrung ausgerüstet. Wenn ich denn Deinen Ungewissen wankenden Tritt, Dein bleiches Ansehen und Dein tiefes Stöhnen richtig auslege (weissagen heißt bei klugen Leuten nichts mehr), so ist unglückliche Liebe Dein ganzes Leiden. Folge mir also, suche nicht wieder Dein Leben auf irgendeine gewaltsame Art zu enden, sondern gib Dich zufrieden und weine nicht so untröstlich. Richte nur Dein Gebet fleißig an den Kupido, den größten der Götter. Er ist jung, zärtlich, liebreich, er wird sich Deiner gewiß erbarmen.'
Psyche antwortet dem Hirtengotte nicht, sondern betet stillschweigend diese günstige Gottheit an und geht weiter.
Sie hatte sich noch nicht lange in der Irre trauernd herumgeschleppt, als sie auf einem unbekannten, einen Abhang herunterleitenden Fußpfade zu einer Stadt kommt, worin der Gemahl einer ihrer Schwestern seinen königlichen Sitz hatte.
Als Psyche das erfährt, läßt sie sich bei ihrer Schwester melden. Sie wird sogleich angenommen und zu ihr geführt.
Umarmungen von beiden Seiten! dann eilfertig Gefrage der Schwester, welcher glückliche Zufall denn Psychen zu ihr bringe?
'Du weißt wohl,' antwortete ihr diese, 'daß Ihr mir rietet, dem Ungeheuer, das unter dem erlogenen Namen meines Gemahls bei mir schlief, die Kehle abzuschneiden, bevor es mich arme Unglückselige verschlänge. Als ich mich nun dazu anschickte und mit der Lampe in der Hand - gleichfalls nach Eurem Rate - dem Bette mich näherte, wurde ich von dem allerunerwartetsten, himmlischsten Anblick überrascht. Lag doch der Sohn der Göttin Venus, Kupido selbst, in sanfter Ruhe eingeschlummert da! Freude und Fülle der Wollust durchströmten mich, als ich ihn erblickte. Nur zu bald aber verwirrten sich meine Sinne über dem staunenden Betrachten seiner göttlichen Schönheit, und lüstern nach mangelndem Genusse, vergaß ich mich. Da mußte, zu meinem Unglück, die verwünschte Lampe von siedendem Öl überwallen und dem Gott die Schulter verletzen. Der Schmerz schreckte ihn den Augenblick aus dem Schlafe auf, und da er mich mit Feuer und Stahl bewaffnet vor sich sah, rief er: Abscheulich! Du? Mich? Auf der Stelle räume das Ehebette. Nun habe ich mit Dir weiter nichts zu schaffen! Nein! Deine Schwester - und hier nannte er Deinen Namen - soll Deine Stelle vertreten, sie nehme ich förmlich zur Gemahlin. Und sogleich ließ er mich vom Zephyr weit aus dem Bezirk seines Palastes wegtragen.'
Kaum hatte Psyche ihre Erzählung vollendet, als jene schon, von dem Sporn wütender Begierden und boshaften Neides getrieben, mit einer schnellgeschmiedeten Lüge vom Tode ihrer Eltern, ihren Gemahl hintergeht, sich zu Schiffe begibt und in aller Eile nach dem Felsen hinsegelt.
Oben sein, ausrufen: 'Empfange, Kupido, Deine würdige Gattin, und Du, Zephyr, nimm Deine Gebieterin auf!' und, ganz blind vor ungeduldiger Hoffnung, hinabspringen, obgleich ein ganz anderer Wind bläst, ist eins.
Allein auch nicht einmal tot gelangt sie an den erwünschten Ort.
An den hervorragenden Klippen zerschmetterte und zerstückte sich im Fallen ihr Leib, und, nach Verdienst, werden ihre umher zerstreuten Glieder ein Raub der Vögel und der wilden Tiere.
Die Strafe der anderen Schwester nahm auch keinen längern Anstand. Denn, indem Psyche wiederum irrend umherschweifte, gelangte sie bald ebenfalls zu der Stadt, worin sich diese aufhielt.
Gleiche List, gleiche Wirkung. Mit eben derselben lasterhaften Begierde als die erste eilte auch diese nach dem Felsen hin und fand auch da den nämlichen Tod.
Mittlerweile Psyche Kupido bei allen Völkern aufsuchte, lag er in dem Zimmer seiner Mutter und seufzte und litt an der verletzten Schulter große Schmerzen.
Eine Seemöve bekommt das zu wissen. Geschwind taucht sie sich in den Ozean und fährt bis in die unterste Tiefe hinab, wo Venus sich eben mit Baden und Schwimmen belustigte.
Da erzählt sie ihr, ihr Sohn habe sich verbrannt, er liege am Wundfieber sehr krank, und es sähe mißlich um seine Wiederherstellung aus. Überhaupt, setzt sie hinzu, stände ihr Sohn sowohl als auch sie selbst auf der ganzen Welt eben nicht im besten Rufe. Von ihm sage man, er verbuhle seine Zeit im Gebirge bei einer Beischläferin, und sie lebe in Herrlichkeit und in Freuden beim Ozean im Bade. Unterdessen gehe es auf Erden bunt über. Lust, Witz und Grazie seien davon entflohen. Alles sei wild, rauh, ungesittet. Man kenne gar Ehe, Freundschaft und kindliche Liebe nicht mehr. Die abscheulichsten Ausschweifungen und die gräßlichsten Laster herrschen überall.
Also schwatzt der schmähsüchtige Vogel und verleumdet Amor bei seiner Mutter.
'Wie?' ruft Venus voll jähen Zornes, mit lauter Stimme aus, 'also hätte mein allerliebstes Söhnchen sich schon ein Mädchen zugelegt! Geschwind sage mir ihren Namen, o Du, die Du mir allein noch mit Liebe zugetan bist! Nenne mir die, welche den unschuldigen Knaben verführt hat! Ist's eine Nymphe, Hore oder Muse, oder eine von meinen Grazien?'
'Das weiß ich nicht,' erwidert die plauderhafte Möve. 'Ich glaube aber, es ist nur eine Sterbliche, in die er verliebt ist; wenn ich mich recht auf ihren Namen besinne, so heißt sie Psyche.'
'Psyche?' versetzt Venus mit zunehmendem Grimme. 'Entsetzlich! In Psyche hätt' er sich verliebt, in Psyche, meine Nebenbuhlerin in der Schönheit, die sich meinen Namen angemaßt hat, die ich selbst, sie zu strafen, ihm gewiesen habe! Und verliebt hat er sich in die? So hält er mich wohl gar für seine Kupplerin? Empfindlicher konnte er mich nicht kränken!'
Und hiermit erhebt sie sich aus dem Meere und begibt sich sogleich nach ihrer goldenen Wohnung, wo sie ihren Sohn in dem ihr beschriebenen Zustande antrifft.
Sie rief ihm gleich aus der Türe im bittersten Grimme ihres Herzens mit dem größten Ungestüme zu:
'O, brav, herrlich, ganz wieder Deiner würdig! Recht so, unter die Füße mit den Befehlen der Mutter, der Gebieterin! Was da lange ihre Nebenbuhlerin mit schmählicher Liebe quälen! Lieber aus ihr einen Zeitvertreib gemacht, die Mutter muß es sich wohl gefallen lassen! Aber warte, Du mutwilliger Bube, es soll Dir übel bekommen! Trotze nur darauf, daß Du der einzige Sohn bist, Dein Dünkel soll Dir bald benommen werden, ich bin noch gar nicht zu alt, noch einen weit besseren Sohn zu haben als Du sauberes Früchtchen bist! Allein Dich desto empfindlicher zu beschimpfen, will ich lieber einen von meinen Leibeigenen an Kindesstatt annehmen. Er soll diese Flügel, die Fackel, den Bogen und die Pfeile, die ganze Rüstung haben. Sie kommt von mir her, und zu solchem Gebrauche war sie Dir nicht verliehen. Du Bösewicht hast schon von Klein auf nichts getaugt, hast Dich beständig an allen vergriffen, denen Du Ehrerbietung schuldig bist! Wie hast Du nicht Deiner Mutter selbst stets frevelhaft mitgespielt, wie oft mich nicht bis ans Leben verwundet, welche Schmach tust Du mir nicht noch täglich an. Verächtlicher kann wohl niemand
einer armen hilflosen Witwe begegnen! Und vor Deinem Stiefvater, dem großen Kriegsgott, hast Du wohl Furcht und Achtung mehr? Deine kindliche Pflicht müßte denn darin bestehen, daß Du ihm immer Mädchen zuführst - o und Du weißt, in welche Verzweiflung ich dadurch gesetzt werde. Aber ich will Dir das Spiel nun für immer legen und lange, lange sollst Du an diese Deine feine Buhlschaft denken!'
'Aber wie räche ich nun meine Schmach?' fährt sie darauf bei sich selbst fort. 'An wen wende ich mich? Wie züchtige ich den Taugenichts nach Verdiensten? Ob ich mir von meiner Feindin Mäßigkeit Hilfe ausbitte? Von ihr, die ich eben dieses übermütigen Knaben wegen so vielfach beleidigt habe, und nun sollte ich mich dieses garstigen groben Weibes Spott aussetzen und mich vor ihr erniedrigen? Hart, hart! - Doch, süße Rache, Dich erkauft man nicht zu teuer; ja, ich will zur Mäßigkeit gehen! Ihr will ich den Buben zur Züchtigung überliefern. Sie soll ihm den Köcher leeren, die Pfeile stumpfen, die Bogensehne zerschneiden und ihn ohne Barmherzigkeit kasteien! Eher, eher will ich mich nicht befriedigen, als bis ich seine Haare, die ich so oft mit eigenen Händen mit Gold durchflochten habe, kahl abgeschoren, bis ich seine Flügel, die ich so manchmal, wenn er auf meinem Schoße saß, in Nektar gebadet, kurz abgestutzt sehe.'
Also eifert sie und verläßt, das Herz voll bitterer Galle, ihren Palast.
Doch bald begegnen ihr Ceres und Juno. Sie lesen ihr den Zorn gleich in den Augen und fragen, warum sie so finster aussehe, warum sie die Holdseligkeit ihrer Blicke in Unmut einhülle?
'Wie gelegen,' antwortet sie ihnen, 'kommt Ihr für mein brennendes Herz. Helft mir Gewalt und Rache ausüben, helft mir, ich bitte Euch, die landstreicherische, flüchtige Psyche aufsuchen. Denn gewiß wißt Ihr schon meines unwürdigen Sohnes schändliche Aufführung, das Gerücht davon ist zu kundbar!'
Die Göttinnen wußten in der Tat schon um alles. Nun suchen sie durch Zureden der Venus überwallenden Zorn in etwas zu besänftigen.
'Was, o Göttin,' sagen sie ihr, 'was hat denn Dein Sohn so Großes verbrochen, um sein Vergnügen so gewalttätig zu stören, um die, die er liebt, so mit Haß zu verfolgen? Rechnest Du ihm für Sünde, daß er einem hübschen Mädchen gut ist? Er ist ja einmal von männlichem Geschlechte und endlich schon Jüngling! Oder vergißt Du, wie alt er ist, und denkst, weil er noch immer so jung und zart aussieht, er sei auch immer noch ein Kind? Du bist Mutter, bist eine kluge Frau und willst Deines Sohnes kleinen Ausschweifungen immer so neugierig nachspähen, seine Galanterien tadeln, seine Liebeshändel stören; kurz, was Deine eigene Kunst, Deine einzige Glückseligkeit ist, bei dem schönen Sohne ahnden? Welcher Gott, welcher Mensch wird es hinfort ertragen können, daß Du überall Liebe verbreitest, wenn Du dieselbe Liebe an Deinem Sohne so bitter bestrafst, wenn Du ihm den Umgang mit gefälligen Schönen verwehrst, wenn Du Deinen Zorn gegen ein Mädchen ausläßt, das sich der ihr verliehenen Gabe, zu gefallen, glücklich bedient hat?'
Also sprachen Ceres und Juno zum Vorteil Kupidos, selbst in seiner Abwesenheit; denn sie fürchteten sich vor seinen Pfeilen.
Venus aber nimmt ihre Rede als Verspottung ihrer Schmach auf, verläßt die Göttinnen desto unwilliger und wendet sich mit beschleunigten Schritten nach dem Meere hin.

Sechstes Buch

Unterdessen trieb Psychen Tag und Nacht rastlose Sehnsucht nach ihrem Gemahl aller Orten umher. Sie dachte denselben noch irgendwo anzutreffen und seinen Zorn, wo nicht durch zärtliche Liebkosungen, doch wenigstens durch demütiges Bitten zu besänftigen.
Auf dem Gipfel eines hohen Berges wird sie jetzt einen Tempel ansichtig. 'Ach, wenn da mein Geliebter sich aufhielte!' ruft sie und richtet sogleich ihre Schritte dorthin. Hoffnung und Wunsch erneuen ihre ermatteten Kräfte, behend hat sie die höchste Spitze erreicht.
Als sie in den Tempel tritt, sieht sie darin hin und wieder Weizenähren haufenweise zerstreut oder auch in Kränze gebunden am Boden liegen, Gerstenähren mitdarunter gemischt. Auch findet sie Sicheln und alles andere Erntegerät ohne Ordnung untereinander hingeworfen, sowie nach vollendeter Arbeit die müden Landleute es nachlässig hinfallen lassen.
Psyche macht sich gleich darüber her. Sorgfältig sondert sie jegliches voneinander und bemüht sich, alles in schickliche Ordnung zu bringen; denn sie glaubte, keines Gottes Dienst vernachlässigen zu dürfen, sondern aller Mitleiden und Gunst suchen zu müssen.
Mitten in dieser emsigen Beschäftigung trifft die allernährende Ceres sie an.
'Ach arme Psyche!' ruft diese ihr schon von ferne zu, 'entrüstet sucht Venus Dich in der ganzen Welt auf; droht Tod Dir und Verderben, spart keine Macht, ihren Mut nur an Dir zu kühlen! Und Du, auf nichts weniger bedacht als auf Deine Rettung, stehst geruhig hier und trägst Sorge für das Geräte meines Heiligtums?'
Da warf Psyche sich vor ihr auf die Knie nieder, netzte ihre Füße mit einem Strom von Tränen und flehte die Göttin mit den rührendsten Worten um ihren Schutz an. Ihre goldenen Locken schleppten am Boden.
'Ich bitte Dich, o Göttin,' spricht sie, 'bei dieser Fülle der Früchte ausspendenden Rechten, bei den fröhlichen Erntefesten, bei Deinen heiligen, geheimnisvollen Körben, bei Deinem drachenbespannten Wagen, bei Siziliens Fruchtbarkeit! Ich beschwöre Dich, bei dem Raube Deiner Tochter, bei der Erde, die sie verbarg, bei Deinem fackelerleuchteten Hinabsteigen zu ihrer Hochzeit in der Unterwelt, bei Deiner Wiederkehr und bei allem übrigen, was das attische Eleusis in unverbrüchliches Stillschweigen einhüllt! Erbarme Dich, Du milde Ceres, hilf der unglückseligen Psyche, die zu Dir ihre Zuflucht nimmt! Verstatte mir, nur wenige Tage unter diesen zusammengetragenen Ähren verborgen zu liegen, bis der mächtigen Venus Zorn durch Zeit sich besänftigt oder bis wenigstens meine so unablässig angestrengten und nun völlig erschöpften Kräfte durch einige Ruhe wiederhergestellt sind!'
'Deine Tränen,' antwortet ihr Ceres, 'und Deine Bitten rühren mich, und von ganzem Herzen wünschte ich, Dir helfen zu können; allein die genauesten Bande der Verwandtschaft und Freundschaft verknüpfen mich mit der Venus, und sie ist auch sonst eine so gute Frau. Es ist mir unmöglich, etwas zu tun, wodurch ich sie mir (wie ich voraussehe), zur Feindin machen würde. Geh also nur gleich aus meinem Tempel, Psyche! Du kannst hier weder Schutz noch Herberge finden und wirst es mir wohl selbst nicht verdenken.'
Abgewiesen zu werden, hatte Psyche keineswegs erwartet; doppelte Traurigkeit beklemmt also ihr Herz.
Sie geht den gekommenen Weg wieder zurück. Beim Herabsteigen vom Berge erblickt sie unten im Tale in einem dämmernden Haine einen Tempel von künstlicher Bauart. Neue Hoffnung belebte sie. Welcher Gottheit auch dieser Tempel geweihet sei, sie will die Huld derselben anrufen.
Als sie der heiligen Pforte naht, sieht sie an den Ästen naher Bäume und an den Türpfosten viele reiche Geschenke aufgehängt, bei jedem ein Tuch, dessen Goldstickerei die erhaltene Wohltat und den Namen der Göttin des Ortes erzählt.
Nun wischt sie die Tränen von ihren Augen, kniet hin, umfaßt den noch lauen Altar mit beiden Händen und betet also:
'Schwester und Gattin des großen Jupiter! Du bewohnst nun den uralten Tempel von Samos, das Deiner Geburt, Deines ersten kindlichen Lautes und Deiner Erziehung sich rühmt, oder Du besuchst Deinen seligen Sitz im hohen Karthago, das Dich als Jungfrau im löwenbespannten Wagen himmelan fahrend verehrt, oder Du waltest an den Ufern des Inachus über die hochberühmten Mauern der Argiver, die Dich als Vermählte des Donnerers und der Göttinnen Königin anrufen! Du, die der ganze Aufgang als Vorsteherin der Ehe und der ganze Niedergang als Geburtsgöttin anbetet: O hilfreiche Juno: verlaß mich in meinem Drangsale nicht! Ich erliege unter der Last meines Elendes, stehe mir bei, entferne von mir die drohende Gefahr! Ich vertraue Dir, o Göttin; Deine Hilfe entgeht ja niemals notleidenden Schwangeren!'
Kaum hat sie ausgebetet, so steht Juno in aller Majestät ihrer Gottheit vor ihr.
'Wie gern, o Psyche,' so sagt sie, 'gewährte ich Dein Gebet! Allein Venus ist meines Sohnes Weib, und ich habe sie von jeher wie mein eigenes Kind geliebt, ich müßte mich schämen, wollte ich mich Deiner, ihrer Feindin, gegen sie annehmen.'
Psyche, abermals in der Hoffnung, Schutz und ihren Gemahl zu finden, getäuscht, verzagt nun ganz und gar. Lauter Unglück ahnend, spricht sie also bei sich selbst:
'Umsonst, umsonst! Für mich ist keine Rettung mehr! Der Göttinnen bester Wille selbst ist ja für mich ohnmächtig! Was fliehe ich noch? bin ich nicht überall mit Garnen umstellt wie ein gefangenes Reh? Und welches Dach, welche Finsternis mag mich vor dem allschauenden Auge der großen Venus verbergen? Auf denn, Psyche, ermanne Dich! Hinweg mit der eitlen Hoffnung! Geh, liefere der Göttin Dich freiwillig in die Hände. Unterwürfigkeit mag sie vielleicht allein noch erweichen, mag ihren Zorn mildern! Und ach, wer weiß? Triffst Du nicht gar den bei seiner Mutter an, den Du schon so lange allenthalben vergebens gesucht hast?'
So war Psyche nun völlig zur mißlichen Demütigung vor Venus, ja selbst zum gewissen Verderben bereit. Sie sann nur noch auf den Anfang ihrer bittenden Rede, den ersten Ausbruch des Zornes der Göttin doch wenigstens zu schwächen, wenn sie ihn nicht ganz vermeiden könnte.
Mittlerweile war Venus müde, auf der Erde nach Psychen herumzuziehen. Sie erhebt sich gen Himmel. Schon läßt sie sich den Wagen rüsten, welchen Vulkan ihr zum Hochzeitsgeschenke gemacht hatte. Sauber und künstlich hatte ihn der Gott selber verfertigt. Er strahlte von Glanze. Was die nagende Feile ihm an Golde geraubt, hatte seine Kostbarkeit nur umsomehr erhöht.
Alsbald flattern vier von den weißen Täubchen herzu, welche in unzähliger Menge um die Wohnung der Göttin nisten. Sie wenden girrend ihre farbewechselnden Hälse, streifen das von Edelgestein blitzende Joch über, nehmen ihre Gebieterin ein und fliegen fröhlich mit ihr empor. Mit lautem Gezwitscher umgaukelt den Wagen ein Heer buhlerischer Spatzen, andere kleine liebliche Sänger schweben vorauf, in süßen Weisen der Göttin Ankunft verkündigend, sonder Furcht insgesamt vor den begegnenden Adlern oder den räuberischen Habichten.
Die Wolken schwinden, es öffnet sich der Himmel vor seiner Tochter; mit Freuden empfängt der hohe Äther die Göttin.
Sie begibt sich sogleich zu Jupiters königlicher Burg. Mit stolzer Bitte fordert sie als notwendige Hilfe den Merkur zum Herold. Sie bedürfe seiner höchst notwendig. Zeus winkt ihr von den hohen schwarzen Augenbrauen Gewährung ihrer Bitte zu.
Frohlockend steigt sie nun augenblicklich in Begleitung Merkurs vom Himmel herab und eröffnet ihm unterwegs ihr Anliegen.
'Bruder,' sagte sie, 'Du weißt es, ohne Deinen Beistand tat Deine Schwester Venus überall nichts. Auch jetzt weißt Du, wie lange ich schon umher nach der versteckten Dirne suche. Umsonst! sie entgeht allen meinen Nachforschungen. Ich wende mich wieder zu Dir, lieber Merkur! mach' es doch auf der Erde bekannt, daß ich jedem, der sie mir zuweist, hohe Belohnung verspreche! Aber tu mir diesen Gefallen recht bald, bezeichne sie dabei höchst genau, auf daß sie allen Menschen kennbar werde und niemand, der sie verbirgt, hoffen dürfe, sich mit der Entschuldigung zu schützen, er habe sie nicht gekannt!'
Darauf gibt sie ihm einen Zettel mit Psychens Namen und ihren übrigen Kennzeichen, verläßt ihn und begibt sich nach ihrem Palaste.
Merkur erfüllt geflissentlich ihren Auftrag. An allen Orten, bei allen Völkern des Erdbodens ruft er aus:
'Kund sei es jedermänniglich, wie eine gewisse Königstochter, mit Namen Psyche, sich an Venus schwer vergangen hat und heimlich nun entwichen ist, sich ihrer verdienten Strafe zu entziehen. Sollte jemand sein, der diesen Flüchtling aufgefangen hat oder nur nachweisen kann, wo sie sich verborgen hält, der finde sich bei den Murcischen Pyramiden ein und gebe es bei mir, dem Merkur, an, der ich dieses als Herold jetzt bekannt mache. Er soll für seine Mühe von Venus in Person sieben Küsse zur Vergeltung bekommen und einen noch insbesondere, der mit allen Süßigkeiten gewürzt ist, welche nur der Liebesgöttin Honigmund zu geben vermag.'
Auf diesen Ausruf Merkurs beeiferten sich alsbald alle Sterblichen um die Wette, eine so hohe Belohnung zu verdienen. Umsomehr beschleunigt Psyche die Ausführung ihres vorgefaßten Entschlusses.
Und schon nahet sie zur Türe der Venus, als ihr die Gewohnheit, eine von der Göttin Hofgesinde, begegnet und so laut, als sie nur immer kann, zu schreien anfängt:
'Ha, Du Nichtswürdigste! So erkennst Du endlich, mit wem Du es aufnimmst, und demütigst Dich jetzt, nachdem Du Dich in der ganzen weiten Welt hast aufsuchen lassen, und wir uns um Deinetwillen Tag und Nacht haben plagen müssen. Doch gut, daß Du gerade mir in die Hände gerätst, in den Klauen des Todes wärest Du nicht sicherer aufgehoben, und besser als ich könnte Dich selbst keine Furie bewillkommnen.'
Und nun keck, mit beiden Händen zugleich, Psychen in die Haare, und sie so fortgeschleift, ohnerachtet sich diese nicht im mindesten ihr zu folgen sträubt.
Sobald als Venus Psychen also zu sich hereinschleppen sieht, schlägt sie das laute Gelächter auf, das der wütige Zorn zu erbeben pflegt, schüttelt den Kopf und sagt zu ihr mit den höhnischsten Gebärden:
'Ei! So würdigst Du mich doch noch endlich, mich als Deine Schwiegermutter zu begrüßen! Oder gilt der Besuch etwa dem Herrn Gemahl, dem das glühende Öl, womit Du ihn gesalbt hast, so schlecht bekommen ist? Gleichviel, nur näher! Es soll Dir darum nicht weniger alle verdiente Ehre widerfahren!'
'Angst! Sehnsucht! wo seid Ihr?' ruft sie jetzt, sich zu ihrem Gefolge wendend. Sie erscheinen sogleich.
'Ich überlasse Euch diesen Gast,' spricht sie zu ihnen, 'und empfehle ihn Euch bestens.'
Beide verstehen nur zu gut ihre Gebieterin. Sie führen gleich Psychen mit sich hinweg und sparen an der armen Unglücklichen weder Geißeln noch andere Qualen. Dann bringen sie sie wieder zur Göttin zurück.
Venus empfängt sie mit neuem Spottgelächter: 'Seht nur', ruft sie aus, 'wie sie ihre Schwangerschaft so vorteilhaft zu zeigen weiß, um unser Mitleiden damit zu erschleichen. Die Verschmitzte hat die schwache Seite meines Herzens ausgespäht! Sie spiegelt mir das süße Glück vor, nun bald Großmutter zu heißen! Wie? Ich? Großmutter? in der Blüte meiner Jahre? Und durch wen? durch ein so schnödes Geschöpf? Irre Dich nicht, Du Elende! Deine Brut kann nie Kleinkind der Venus heißen. Wer bist Du, daß Du Dich mit meinem Sohne vermählen könntest? Die Ehe wäre zu ungleich, auch ist sie überdies nicht gültig! nur auf dem Lande, ohne Zeugen, ohne des Vaters Einwilligung geschlossen! Sie ist null, sie ist nichtig! Nur einen Bastard wirst Du zur Welt setzen, wenn ich es anders noch so weit kommen lasse!'
Mit den Worten fliegt sie Psychen ins Angesicht, zerrauft ihr das Haar, reißt ihre Kleidung in Stücken und mißhandelt sie aufs erbärmlichste.
Dann nimmt sie Weizen, Gerste, Hirse, Mohn, Erbsen, Linsen und Bohnen, mischt es alles untereinander und schüttet es auf einen Haufen zusammen.
'Da,' spricht sie nun, 'Du Scheusal! sieh zu, ob Dir hier Deine Emsigkeit eben wie im Buhlen will zustatten kommen! Lies mir dies vermengte Gesäme auseinander! Mache von jeglicher Art einen besonderen Haufen, und eh es noch Abend wird, sei mir damit fix und fertig!'
Nach so angewiesener Arbeit begibt sie sich zu einem Hochzeitsschmause.
Psyche bleibt stumm und starr vor ihrem aufgegebenen Geschäfte stehen. Die Unmöglichkeit, es zu vollenden, benimmt ihr den Mut, nur Hand daran zu legen.
Allein eben hielt sich eine kleine Ameise da auf. Es jammerte sie so große Bedrückung der Gattin eines mächtigen Gottes und erregte all ihren Abscheu gegen die Grausamkeit der Schwiegermutter. Stracks läuft das gute Tierchen und ruft und bittet in aller Geschwindigkeit sein ganzes benachbartes Geschlecht zusammen.
'Herbei!' schreit es, 'herbei! Ihr arbeitsamen Kinder der allgebärenden Erde! Kommt, erbarmt Euch Amors schönen Weibes und rettet es durch schleunige Hilfe aus der sonst unvermeidlichen Gefahr!'
Wie ein Strom stürzen die Ameisen der Gegend alle, eine über die andere, in Eile herzu. Der Boden wimmelt. Sie fallen über den ungeheuren Gesämhaufen her, sondern mit Sorgfalt Art von Art, machen von jeglicher einen eigenen Haufen und verschwinden wieder, nachdem alles vollbracht ist.
Als nun bei einbrechender Nacht Venus, von Weine triefend und duftend von Balsam und mit tausend blühenden Rosen geschmückt, vom Hochzeitsgelage nach Hause zurückkehrt, erstaunt sie nicht wenig, da sie Psychens Aufgabe getan findet. 'O,' ruft sie, 'das ist nicht Dein, nicht Deiner Hände Werk, Du Nichtswürdige! sondern dessen, dem Du zu Deinem und seinem Unglück gefallen hast!' Hiermit wirft sie ihr nur ein Stück grobes Brot hin und geht schlafen.
Aber Kupido war in dem nämlichen Palaste, ganz im Innersten des Hauses, in einem besonderen Zimmer, allein, unter äußerst strenger Aufsicht, damit er nicht etwa Mutwillen treiben und seinen Schaden verschlimmern oder gar entwischen und seiner Geliebten zufliegen möchte.
So zusammen unter einem Dache, einander so nahe und darum nicht weniger getrennt: welche Nacht, welche abscheuliche Nacht für beide Liebende.
Kaum aber fährt Aurora herauf, so ruft Venus schon Psychen.
'Siehst Du den Wald da,' sagte sie ihr, mit der Hand nach demselben hinzeigend, 'welcher sich längs den Ufern jenes Flusses erstreckt, dessen Quellen dort auf dem nahen Berge entspringen? Ungehütet weiden darin fette Schafe mit goldenen Vließen; stracks gehe hin und sieh zu, wie Du mir einen Flocken von ihrer köstlichen Wolle herbringst!'
Willig machte sich Psyche dahin auf den Weg. Zwar nicht in der Absicht, den Befehl zu vollbringen, sondern sich vom Ufer in die Tiefe zu stürzen, um endlich einmal vor allen Leiden Ruhe zu haben. Allein bald wisperte ihr vom Flusse her das grüne melodische Schilf, von einem Gotte durch sanfter Lüfte lindes Geflüster beseelt, diese Worte entgegen:
'Besiege Deine Verzweiflung, Psyche! und entweihe nicht mein heiliges Gewässer durch Deinen Tod, noch begegne jetzt, ich bitte, diesen furchtbaren Schafen! Sie pflegen, so lange die Sonne im Mittag brennt, die Glut derselben zu teilen und toben in unbändiger Wut, mit spitzem Gehörn, mit eisernem Schädel, ja mit giftigem Gebisse, jeglichem Sterblichen den Untergang drohend. Warte, bis der nahende Abend die Sonnenhitze mildert und dann sich die Tiere im frischen Wehen vom Gestade her abkühlen und besänftigen. Verbirg Dich inzwischen unter der breitblättrigen Platane dort, die einen Strom mit mir trinkt. Sobald sich aber der Schafe Wut gelegt hat, gehe hervor und schleich Dich näher herzu in den Wald, wo Du an Gesträuchen und Stämmen hin und wieder Flocken wolligen Goldes wirst hängen finden.'
Diesen heilsamen Rat erteilte das mitleidige Schilf der verzweiflungsvollen Psyche. Sie verschmäht ihn nicht, pünktlich befolgt sie ihn, und sonder Mühe bringt sie der Venus den Schoß voll verlangter Goldwolle zurück.
Aber so gefahrvoll auch diese zweite Arbeit gewesen war, sie besänftigte dennoch die Göttin so wenig als die erste; denn sie schrumpfte die Augenbrauen und sagte mit bitterem Lächeln:
'Du hast Ursache, Dich bei Deinem Gehilfen zu bedanken, in der Tat, er hat Dir gute Dienste geleistet! Doch jetzt auch ein Pröbchen von Deinem unerschrockenen Mut und Deiner großen Klugheit! Du siehst doch auf dem hohen Berge da die schroffe Felsenspitze so kühn emporstreben? Oben auf derselben strömen schwarze Fluten aus einer finsteren Quelle und stürzen sich tief in ein verschlossenes Tal hinunter, wo sie den stygischen Pfuhl anfrischen und das dumpfe Getöse des Kozytus unterhalten, da gehe hin und schöpfe mir mitten aus der Quelle innerstem Strudel diesen Krug voll!'
Mit diesen Worten reicht sie ihr, unter den entsetzlichsten Drohungen, ein glattes, kristallenes Gefäß.
Psyche nimmt es und eilt mit beschleunigten Schritten davon, des Berges oberster Spitze zu. Dies, denkt sie, sei nun gewiß ihr letzter mühseliger Gang; auch nahete sie nur erst von ferne dem Gipfel, so zeigte sich ihr schon ganz deutlich unvermeidliche Todesgefahr bei Ausführung des ihr erteilten Befehls. Denn der Fels, der unermeßlich hoch in die Luft ragt und überall schroff und unzugänglich ist, speit nur erst auf der äußersten Höhe, aus weitgeöffnetem Schlunde das fürchterliche Gewässer aus, und sobald dieses aus der Tiefe hervorgebrochen, stürzt es jäh den Abhang schäumend hinunter in eine enge grundlose Felsenkluft und wälzt sich mit Ungestüm da hindurch zu dem benachbarten Tale hinab. Rechts und links lauern wilde Drachen in Höhlen. Sie drohen und zischen, ihre langen Hälse schrecklich emporreckend. Nimmer schließt der Schlaf ihre unermüdlichen Augenlider; darum sind sie hierher zu ewigen Wächtern gebannt, wiewohl schon die heulenden Wellen allein sich Schutzes genug wären. 'Hinweg von hier!' lautet immerfort ihr wechselseitiges Gebelle, 'nicht zu nahe, sieh Dich vor, was machst Du, nimm Dich in acht, fleuch! Hier bist Du verloren!'
Der Anblick all dieser unübersteiglichen Schwierigkeiten versteinert Psychen. Wie entseelt steht ihr Körper da; vor Übermaß des Schmerzes gebricht ihr auch der letzte Trost - Tränen.
Aber die Not der unschuldig Leidenden war vor den Augen der allgütigen Vorsehung nicht verborgen. Denn siehe, es erscheint des hohen Jupiters königlicher Vogel, der starke Adler, hoch im Winde sich wiegend auf ausgespreiteten Schwingen. Eingedenk, daß ihm einst Kupido gefällig beistand, als er für den Zeus den phrygischen Mundschenken raubte, eilt er jetzt, aus Dankbarkeit, des Gottes Gattin in ihrer Bedrängnis zu helfen. Flugs verläßt er seine hohe Himmelsbahn, bleibt still vor Psychens Angesicht schweben und redet sie also an:
'O blödsinnige, unerfahrene Psyche! Wie kannst Du hoffen, dieser heiligen, furchtbaren Quelle auch nur einen Tropfen zu entwenden, ja nur, Dich ihr zu nahen? Hast Du nie gehört, daß sogar die Götter und Jupiter selbst dies stygische Gewässer scheuen und daß, wie Ihr bei ihrer Gottheit schwört, also sie bei der Majestät des Styx zu schwören pflegen? Aber gib her Deine Urne!'
Stracks nimmt er sie ihr aus den Händen, und im Nu war sie gefüllt. Denn dicht über dem Schlund hängt er sich, künstlich sich schwingend, und mit immer regem Fittich zu beiden Seiten der giftigen Drachen Biß und dreigespaltene Zunge meidend, schöpft er ein die widerstrebende, scheltende Flut, nachdem er sie mit vorgegebenem Befehl der Venus getäuscht.
Mit Freuden empfängt Psyche den angefüllten Wasserkrug wieder zurück und überbringt ihn eiligst der Venus.
Allein auch hierdurch wurde das rachsüchtige Herz der Göttin nicht gerührt. Vielmehr ergrimmte sie jetzt um desto ärger gegen die arme Psyche und trachtete nur eifrig nach ihrem Verderben.
Mit schnödem Spotte hebt sie also zu ihr an: 'Ei, ich glaube gar, Du bist eine Zauberin! Mag Dir doch unsereins in der Welt nichts mehr aufgeben, was nicht bloß Kleinigkeit für Dich wäre! Indes, mein Kind, nur noch einen kleinen Dienst. Da nimm die Büchse, geh damit in die Unterwelt, bis zu des Orkus finsterer Burg hinunter und stelle sie da Proserpinen zu. Sag ihr dabei: Venus läßt Dich bitten, ihr doch so viel von Deiner Schönheit zu schicken, als sie auf einen Tag wohl bedarf. Die ihrige wäre bei der Wartung ihres kranken Sohnes zunichte gegangen. - Komm aber ja bald wieder zurück, denn ich will sie gleich noch auflegen, um damit in der Versammlung der Götter zu erscheinen.'
Nun erkannte Psyche mit Zuverlässigkeit der Göttin letzte grausame Absicht. Auch lag sie klar genug am Tage: der Befehl, zum Tartarus hinunterzuwandern und zu den Manen, ist überall nur eindeutig.
Ungesäumt richtet sie jetzt ihren Weg nach einem sehr hohen Turme hin, sich von da herabzustürzen; denn kürzer und schöner, glaubt sie, könne sie zur Unterwelt nicht gelangen. Allein der Turm bricht plötzlich in diese Stimme aus:
'Und warum willst Du, Ärmste, Dich von meiner Höhe herabstürzen und Dich töten? Warum so ohne Not der allerletzten gefährlichen Arbeit unterliegen? Ist Deine Seele einmal vom Leibe geschieden, so kommst Du freilich in den tiefen Tartarus hinunter; allein von dort auch nie wieder zurück. Merk also lieber auf meine Rede! Nicht weit von hier liegt Griechenlands edles Lacedämon. In der Nachbarschaft desselben, nur etwas abseits und versteckt, findest du Tänar. Dort ist der Eingang zum Dis; dort die Pforte, welche den rauhen Weg zur Unterwelt öffnet. Da hindurch begib Dich und verfolge dann den geraden Fußsteig; so gelangst Du unmittelbar zu des Orkus Burg. Leer indessen darfst Du diesen Weg der Finsternis nicht antreten, in jeder Hand mußt Du einen Honigfladen und im Munde zwei Stüber mitnehmen. Unterwegs wirst Du einen hinkenden Esel, mit Holz beladen, antreffen, samt einem gleichfalls hinkenden Eseltreiber. Letzterer wird Dich bitten, ihm die vom Esel herabgefallenen Holzscheite wieder aufzuheben; aber gehe Du, ohne ein Wort zu verlieren, stillschweigend vorüber. Nun kommst Du gleich zum Totenfluß, worüber Charon gesetzt ist. Ehe er die Ankömmlinge in seinem wandelbaren Nachen an das jenseitige Ufer hinübersetzt, fordert er sich erst Fährgeld von jedem ein.' - Wehe! Also auch bei den Toten herrscht Habsucht? So wenig Charon als Vater Dis, ein so großer Gott er auch ist, tut das Geringste umsonst! Und der Arme muß zum Sterben sich erst mit einem Reisepfennig versehen, sonst darf er nicht fort! - 'Gib dann diesem schmutzigen Greise einen von Deinen beiden Stübern Schifferlohn, oder vielmehr, laß ihn sich denselben aus Deinem Munde selbst nehmen. Kaum werdet Ihr Euch auf dem trägen Pfuhl eingeschifft haben, so wird Euch der Schatten eines Alten nachgeschwommen kommen und seine nichtigen Hände zu Dir aufheben und aufs Erbärmlichste flehen, ihn doch in das Schiff zu ziehen. Doch fern sei von Dir ein so unzeitiges Mitleiden! Seid Ihr aber den Fluß hinüber, dann wirst Du so gar weit eben nicht gehen, so werden Dich wieder alte Weiber, die mit Weben beschäftigt sind, bitten, doch auch ein wenig Hand mit anzulegen und ihnen zu helfen. Allein auch damit laß Dich unvermengt. Denn dies und noch weit mehreres geschieht alles auf Betrieb der Venus, um Dir nur einen von den Kuchen aus den Händen zu spielen; und das siehe ja nicht bloß für einen geringen Teigverlust an! Wisse, mit eines einzigen Verlust ist Dir die Rückkehr zum Lichte auf ewig versperrt. Denn durch sie allein kannst Du Dich vor dem Cerberus schützen. Gleich vor dem Eingange zu den düstern Gemächern Proserpinens liegt dies schreckliche, dreiköpfige Ungeheuer und bewacht des Dis leere Behausung, indem es mit donnerndem, dreigespaltenem Rachen den Toten, denen es weiter nichts Böses zufügen kann, Entsetzen entgegenbellt. Zolle ihm einen Honigkuchen, so ist seine Wut bezähmt und sonder Gefahr kannst Du vorbeischlüpfen. Gehe sofort zu Proserpinen. Freundlich und huldreich wird sie Dich empfangen, wird Dich einladen, neben ihr auf weichen Polstern Platz zu nehmen, um an ihrer herrlichen Tafel mitzuspeisen. Aber schlage Du alles aus und setze Dich auf den platten Boden und laß Dir nichts als etwas schwarzes Brot reichen, und das iß. Darauf entledige Dich Deines Auftrags, nimm, was sie Dir dann geben wird und kehre damit zurück. Und wenn Du wieder gehörig mit dem dann noch übrigen Honigfladen beim Höllenhunde Dich lösest, nachher dem geizigen Schiffer den zurückbehaltenen Stüber gibst, den Fluß herüberfährst und auf dem gekommenen Wege zurückgehst, so wirst Du zuletzt zum Glanze der himmlischen Sternenheere wohlbehalten wieder heraufkommen, wofern Dich nicht lüstet (sei aber davor auf das kräftigste von mir gewarnt), die Büchse zu eröffnen, um den darin verwahrten Schatz göttlicher Schönheit vorwitzig zu besichtigen oder gar zu berauben!'
Also der weitschauende Turm. Psyche säumt nicht. Sie geht nach Tänar; versieht sich vorgeschriebenerweise mit den Stübern und Fladen, steigt damit in den Höllenschlund hinab, zieht stillschweigend an dem gebrechlichen Eseltreiber vorüber, zollt dem Schiffer das bestimmte Fährgeld, achtet nicht des nachschwimmenden, alten Gespenstes Begehren, nicht der tückischen Weberinnen hinterlistige Bitte, schläfert des bösen Höllenhundes Wut durch einen vorgeworfenen Kuchen ein und dringt bis zu Proserpinens Gemach.
Allda widersteht sie jeder freundlichen Einladung. Nicht der weichgepolsterte Thron der Königin der Hölle, nicht ihre Göttertafel verführt sie. Demütig setzt sie sich zu den Füßen ihrer leutseligen Wirtin auf den harten Boden, begnügt sich mit schwarzem Brote und richtet alsdann getreulich der Venus Gesandtschaft aus.
In kurzem bekommt sie die Büchse, insgeheim mit dem Verlangten angefüllt, zurück.
Sie verschließt nun wieder mit dem andern Kuchen des Cerberus fürchterlichen Rachen, fährt für den andern Stüber zurück über den schleichenden Acheron, und schon verläßt sie hochgemut die Hölle; schon erblickt sie, schon trinkt ihr Auge wieder mit Wonne das schimmernde Tageslicht und beflügelt sich mit Eile ihr Fuß, im Nu das gefährliche Geschäft zu vollenden - indem, so beschleicht, betört verwegener Vorwitz ihren Sinn.
'Siehe,' spricht sie, 'wärest Du nicht eine Törin, Psyche! Du hättest hier die Götterschönheit in Händen und legtest Dir nicht einmal ein ganz klein wenig davon auf? Dadurch könntest Du ja allein Deinem schönen Liebhaber wieder gefallen!'
Gedacht, versucht. Auf ist die Büchse. Allein wehe! Da ist keine Schönheit, da ist nicht das Geringste darin. Nur ein höllischer Schlaf, ein wahrer Totenschlaf.
Sobald der Deckel geöffnet ist, fährt er hervor, ergreift Psyche, gießt sich in einem Gewölk schwerer Schlummerdünste um all ihre Glieder und streckt sie sofort unbeweglich am Boden hin. Da liegt sie auf dem Wege, eine schlafende Leiche!
Aber Kupido war allbereits wiederhergestellt von seiner Wunde und vermochte nicht länger die langwierige Abwesenheit seiner Psyche zu ertragen. Er entschlüpft durch ein Fenster aus der Kammer, worin er eingesperrt gehalten wurde und seine Flügel, die desto mehr Schwingkraft durch die lange Ruhe erhalten hatten, tragen ihn schneller als jemals davon, hin zu seiner Psyche.
Sorgfältig nimmt er sogleich den Schlaf von ihr hinweg, verschließt ihn wiederum in die Büchse und erweckt dann Psychen mit der Spitze eines unschädlichen Pfeiles.
'Sieh,' sagt er zu ihr, 'warst Du nicht schon wieder durch Deinen Vorwitz verloren? Doch gehe nur jetzt und entledige Dich geflissentlich Deines Auftrages bei meiner Mutter, ich will schon weiter für uns sorgen.'
Mit den Worten hebt sich der holde Flieger in die Luft; Psyche aber trägt allsofort der Venus Proserpinens Geschenk hin.
Kupido, nicht minder von Liebe zu Psyche als von der Furcht genagt, seine Mutter möge ihn doch noch der Mäßigkeit übergeben, da ihr Blick noch immer zürnet, nimmt hinwiederum zu seinen gewöhnlichen Ränken seine Zuflucht. Er schwingt sich auf rüstigem Gefieder zum hohen Pole des Himmels, klagt da dem großen Jupiter seine Not und macht denselben alsbald seinen Wünschen geneigt.
Liebreich küßt ihn Zeus, mit der einen Hand den kleinen Mund sanft ihm zusammendrückend, mit der andern ihn zu sich hinziehend, und spricht zu ihm also:
'Du kleiner loser Schelm! hast Dich zwar jederzeit mehr als mein Herr betragen, denn als mein Sohn, hast mir nie die von allen Göttern mir einhellig zugestandene Ehre erzeigt! So könnte ich es denn nun wohl ahnden, daß Du mich, den Gesetzgeber der Elemente, mich, den Roller der Sphären, fast beständig zum Ziele Deiner Pfeile genommen und zu so vielen Torheiten mit irdischen Schönen, zu so vielen Verstößen gegen alle Gesetze der Zucht und Ehrbarkeit verleitet hast, daß ich beinahe allen Anspruch auf Ehre und Glimpf verloren habe. Hat mich doch Dein Mutwille bis zu Drachen, zu Feuer, zu Vögeln, zu allerhand wilden und zahmen Tieren herabgewürdigt. Allein, ich will mich nur meiner Liebe zu Dir erinnern. Du bist ja unter meinen Augen aufgewachsen. Ich will alles tun, Dich glücklich zu machen; nur bleibt die Sorge, Dich vor Nebenbuhlern zu schützen. Dein eigen! Doch weißt Du, was ich mir bei Dir kleinem Schalk für diese Huld zur Vergeltung ausbedinge? Das hübscheste Mädchen auf Erden!'
Er sprach's und erteilte dem Merkur Befehl, augenblicklich die gesamten Götter zur Versammlung zu berufen und anzukündigen, wer fehle, solle mit zehntausend Nummen büßen. Aus Furcht vor der Strafe ist in kurzem kein Platz im weiten himmlischen Versammlungssaale mehr leer.
Majestätisch vom erhabenen Throne herab spricht nun Jupiter also:
 'Ihr sämtlichen Götter und Göttinnen, deren Namen in den Denkbüchern der Musen verzeichnet sind, Ihr kennt alle diesen Jüngling, der hier unter meinen Augen auferzogen worden. Es ist jetzt meines Erachtens Zeit, dem feurigen Ungestüm seiner ersten Jugend einen Zügel anzulegen. Schon übel genug ist er durch allerlei böse Nachrede von Ehebruch und anderen Ausschweifungen berüchtigt. Laßt uns ihm die Gelegenheit rauben, auf dem Wege weiter fortzugehen, laßt uns seinen jugendlichen Flattersinn mit den Fesseln der Ehe binden. Er hat sich schon selbst ein Mädchen gewählt und mit ihr gebulht. Diese laßt uns zu eigen ihm geben! Er vermähle sich mit ihr diesen Augenblick! In Psychens Umarmung genieße er fortan ewige Fülle der Liebe!'
'Du aber' - fährt er fort, zur Venus sich wendend - 'meine Tochter, darfst Dich keineswegs darüber betrüben. Nicht im mindesten soll Dein hohes Geschlecht und Dein Stand unter dieser Verbindung Deines Sohnes mit einer Sterblichen leiden. Ich will straks allem abhelfen, was dabei dem Wohlstande oder den Gesetzen entgegen sein könnte.'
Jetzt winkte er, und Merkur verschwindet, holt Psyche und führt sie in den Himmel ein.
Der Gott der Götter reicht ihr selbst den Becher der Unsterblichkeit dar. 'Nimm, Psyche,' spricht er, 'und sei unsterblich! Niemals wird Kupido wieder von Dir weichen, denn Euch verknüpft von nun an ein ewiges Band!'
Fröhlich wird alsbald das herrlichste Hochzeitsmahl gerüstet. Man lagert sich umher; obenan Psyche, ihrem Neuvermählten im Schoß. In gleicher Lage Jupiter und seine Juno daneben. Dann die sämtlichen Götter nach der Reihe.
Jupitern reicht sein Mundschenk Ganymed, der schöngelockte Hirt vom Ida, den Nektar. Die übrigen bedient Bacchus. Vulkan legt vor.
Die Horen bepurpurnen Tafel, Polster und Fußboden mit frischen Rosen und anderen Blumen.
Die Grazien erfüllen die Luft mit Wohlgeruch des Balsams, und die Musen ergötzen die Gäste mit silbernen Stimmen.
Zuweilen singt auch Apoll zu der gewölbten Leier melodischen Saiten; Venus tanzt mit entzückender Anmut, jede ihrer Bewegungen in bezaubernder Harmonie mit der angegebenen Weise; die Musen stimmen alsdann dazu im Chore Lieder an, und wechselweise begleitet sie jetzt die Doppelpfeife eines Satyrs, jetzt die Flöte eines jungen Pans.
Also ward Psyche feierlich mit Kupido vermählt. Sie genaß bald einer Tochter, die in der Sprache der Sterblichen 'Wollust' genannt wird.

Aus: Apulejus: Der goldene Esel
Aus dem Lateinischen übersetzt von August Rode [1751-1837]
Berlin: Propyläen-Verlag, 1920 (S. 102-153)
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Franz Hessel (1880-1941)

An Psyche

Dich trugen Wogen wunderlich
Geschwind und weich aus Sturz und Tod
Herüber in das Uferschilf -
Wacht auf nun, liebe Augen.

Sieh, dieses Licht ist Tageslicht
Und dieses Grün ist Erdengras.
Du bliebst im Leben. Sieh ich bin
Der stillen Mittagsstunde Gott.
Ich trockne deine Locken. -

Mit meiner Nymphen leisem Lied
Und Tanzesschritt und mit dem Ton
Der Flöte weckt ich dich
Wach auf,

Verschlafnes Kind. Ich weiß es wohl,
Du bist des Wachens übermüd.
Denn es entwich, der dich gehegt,
In süßem Dunkel dich beglückt,
Das du verscheucht mit schlimmem Licht. -

Viel zarter als der stolze Gott
Will ich dich hegen, ob ich auch
Nur erdennah in Busch und Rohr
Ein brauner Faun des Schilfes bin
Nicht hold und hehr, nicht schmal und schön,
Nein, kraus und schwer und zottig -

Von meinen Lippen tönt ein Lied
Aus Wiesendunst und Sonnenduft.
An meinen Lippen lernest du
Den feuchten Kuß der Mutterflur,
An meiner Brust das süße Glück
Die treue Glut, das müde Glück
Der früchteschweren Erde -

Keiner Blume Namen nenn ich mein,
Kein Baum ist mir, kein Fluß, kein Teich
Allein zu eigen. Alle doch
Sind mir verbunden, untertan -
Und älter als die Himmlischen
Ist mein Geschlecht, und länger währt
Mein Wandel und Verweilen auf
Dem wandelbaren Boden, Pan
Stirbt später als die Götter -

Du hörst mich kaum. Ich rühme mich
Umsonst vor deiner Müdigkeit,
Du fremdes Weib. Ich weiß, ich weiß,
Du bleibst nicht hier, du suchst den Weg,
Findest den Pfad,
Deine lichten Füße finden den Pfad
Durch müden Sand und scharfen Fels
Der mühevollen Wanderung.
Bis an das Wasser, an das Tor,
Bis an den Thron der blassen Braut
Und wieder an das Licht zurück. -

Du selige, beseelende,
Du gibst dem Gott beschwingte Kraft,
Daß er dich aus der neuen Not
Zu höchstem Glücke hebe. -
Dein Blick zerschmilzt der Mutter Grimm
Dir lächeln alle Himmlischen,
Dir tanzen Flüsse, göttliche,
Den Hochzeitstanz - Du fremdes Weib,

Lieg heute noch im Schatten hier,
Im überwachsnen Uferbusch,
Daß ich auf meiner Flöte dir
Das Lied der Stunde spiele.


Aus: Franz Hessel Sämtliche Werke in fünf Bänden
Band IV: Lyrik und Dramatik
Herausgegeben von Hartmut Vollmer und Bernd Witte
Igel Verlag Oldenburg 1999 (S. 66-68)

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Agnes Franz (1794-1843)

Bei Gerhard von Kügelchens Gemälde:
Die gefesselte Psyche

Was sinn't die Stirn in heiliger Verklärung?
Sehnt nach der Götterheimath fernem Glück,
Nach ew'ger Liebe seliger Gewährung
Sich Dein entzückter, sehnsuchtsvoller Blick?

Berührt von höher'm, wärmern Sonnenstrahle
Langst Du empor zur lichten Himmelswelt,
Hinweg Dich sehnend von dem dunklen Thale
An dem Dich streng die Erdenfessel hält.

Die bunten Fitt'ge regen sich, und streben
Verlangend auf, das gold'ne Licht zu grüßen,
Wie Blumen dürsten nach dem Strahl der Sonne;

Doch angehörend noch dem Erdenleben
Darf nur der Traum die reine Stirn Dir küssen,
Und Ahnung heißt der Blicke stumme Wonne.

Aus: Gedichte von Agnes Franz
Erste Sammlung Zweite Auflage Essen 1836 (S. 131)
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Sophie Mereau (1770-1806)

Psyche an Amor

Wo schwand er hin, der seligste der Träume,
das höchste Ziel der innigsten Begier?
Die Sehnsucht schwingt sich in des Äthers Räume;
doch, ach! verbannt, gefesselt schmacht' ich hier!

Es wär' auf ewig mir dahin geschwunden
das Land der Himmlischen, der Ätherhain
der Harmonie? Hienieden festgebunden,
blieb' eine Ewigkeit dies Herz allein?

Einst, als ich unter Blumen hier erwachte,
umleuchtet von der Hoffnung mildem Stern,
bewegt der neuen Welt entgegen lachte,
schien Amor, der Geliebte, mir nicht fern.

Du athmetest in milden Frühlingslüften;
dein Auge sprach im Sternenglanz zu mir,
und jeder süsse Ton in Thal und Lüften
war mir ein holder Liebeslaut von dir.

Bald schwand der schöne Wahn, wie Nebelsterne
in dunkeln Nächten, und mein Herz blieb leer,
und brennend flog die Sehnsucht in die Ferne,
und ahndete dich über Berg und Meer.

Da trat ein holdes Wesen mir entgegen,
voll Himmels-Ahndung; eine neue Lust
durchflog mein Herz mit ungewohnten Schlägen,
und süsses Weh durchschauerte die Brust.

Ich fühlte unsrer Liebe Seligkeiten,
wie Himmelslüfte, freundlich um mich wehn;
verloren in der Ahndung Trunkenheiten,
vermeint' ich dich, mein Ideal, zu sehn.

Der Welt entrückt, im seligsten Entzücken,
vermisst' ich deinen Himmel selbst nicht mehr;
Verklärung strahlte aus des Lieblings Blicken,
und Ätherrosen blühten um mich her.

Doch, ach! der Unbestand der Menschenherzen
erträgt es nicht, das allzuhohe Glück!
Zur Asche brannten die geweihten Kerzen:
die Liebe wich; die Sehnsucht blieb zurück.

Und wiederum für neue Qual geboren,
die Freude hassend, mit mir selbst entzweit,
durchflog die Welt mein Wunsch - was ich verloren,
ersetzte keine Erdenseligkeit.

Du warst es, du, dem beym Genuss des Schönen,
im innigsten Zusammenklang,
bey jeder Kunst, gelehrt von Göttersöhnen,
sich meine Seele froh entgegen schwang.

Dem in des Mitgefühles leisen Wogen,
in Freundesblick voll zarter Sympathie,
die reinen Triebe frey entgegenflogen;
doch ganz befriedigt ward die Sehnsucht nie.

Und nimmer schweigt das liebende Verlangen,
dich wiederum in der Vollkommenheit
unwandelbarem Schimmer zu umfangen,
wie einst in jenem Traum voll Seligkeit.

Du, Himmlischer! den keine Worte nennen,
der Ahndung zarten Sinnen nur bekannt!
soll ewig ungestillt die Sehnsucht brennen?
bleibt stets von dir die Liebende verbannt?

Wer naht mir hier? von mildem Sternenglanze
- ein überirdisch Wesen - sanft erfüllt,
die Fackel still gesenkt, und im Zypressenkranze
die göttlich reine Stirn halb eingehüllt.

Es winkt mir hin nach jenen dunkeln Gründen,
ein wunderbarer Schauer fasst mich - ach!
ich folge - soll ich dort die Ruhe finden? -
vertrauungsvoll dem stillen Engel nach!

Doch leise regt er jetzt die düstern Schwingen,
und rings aus ihnen sprosst ein milder Glanz
wie Morgenroth, und Ätherrosen dringen
aus dem erheiterten Zypressenkranz.

Er ist es, Er, der Göttliche! auf immer
nun wieder mein! und neue Wonne füllt
das Herz! - So wird beym letzten Lebensschimmer
die Sehnsucht, die unendliche, gestillt?

Wir schweben auf in reinere Gefilde;
der Erd' entrückt, von keinem Wunsch getrübt,
umfängt mich jenes Äthers Frühlingsmilde,
und ich bin ewig liebend und geliebt!

Aus: Gedichte von Sophie Mereau
Erstes Bändchen Berlin 1800 (S. 125-129)
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Christine Westphalen (1758-1840)

Psyche

Ausgeschmückt mit allen Götterreizen,
Blieb auf Erden Psyche unerwählt;
Denn so tönte vormals das Orakel:
"Nur dem Licht sey sie vermählt!"

Und am Rand des gähen, wilden Abgrunds,
Eingehüllt in weißes Leichen-Tuch,
Sah sie von Geliebten sich verlassen. -
Doch ein sanfter Zephyr trug

Hin zu ewig reinen Aether-Lüften,
Zu dem schönsten lieblichsten Gefild',
Die erstaunte, froh bewegte Psyche,
Dieses Göttern gleiche Bild!

Im Genuß der reinsten Himmels-Wonnen
Schwanden selig ihre Tage hin:
Liebe nährte, frey von Sehnsuchts-Wünschen,
Ewig neu den lichten Sinn.

Und es warnt sie eine sanfte Stimme
Mit der Liebe Flehn, ihr Genius:
"Forsche nicht nach freudenloser Wahrheit -
Dir ward Hoffnung und Genuß."

Aber selbst bey Götterglück und Frieden
Lauert, tückischdrohend, die Gefahr:
Ach es keimten ihr im Herzen Wünsche -
Und sie bringt sie Zephyrn dar.

"Sieh! ich fühle schmerzend ein Verlangen:
Meine fernen Schwestern möcht' ich sehn."
Schneller, als der Lichtstrahl, eilen Lüfte -
Und sie sieht sie vor sich stehn.

Neidend gönnen sie der ewig Holden
Nicht ein selig, überirdisch Glück.
"Wie? du liebst? du liebst ein Ungeheuer?
Trauest blindlings dem Geschick?

Tödt' es muthig, Psyche! Auf, befreye
Dich, es wird dich dem Verderben weihn:
Der in dunklen Nächten tief Verhüllte
Muß ein Sohn des Unglücks seyn."

Sie verschwinden. Psyche schaudert, zittert -
Thörigt folget sie dem falschen Rath:
Und als sich der Stern der Liebe röthet,
Schreitet sie zur grausen That.

Doch der Dolch entfällt den zarten Händen. -
Bey der Lampe blassen Zitterschein
Sieht sie ihn, den ewig himmlisch Holden,
Sieht - mit Amor sich allein.

Und ein Tropfen heißen Öls, entzittert,
Weckt ihn aus dem schönsten Göttertraum.
Zürnend - seufzend - flieht der Gott der Liebe,
Birgt sich in Aurorens Saum.

Psyche fühlet sich allein - verlassen -
Tief die Wunden in der weichen Brust.
Und sie flehet - flehet um Vernichtung: -
Und sie fleht um Götterlust!

Alle frischen Blüthenkränze welken,
Und die zarte Myrtenkrone fällt:
Dunkel blühn ihr einzig nur Cypressen,
Die kein Morgenroth erhellt. -

Und vergebens sucht, umirrend, Psyche
Auf der weiten, kalten Erde Raum,
Was ihr Busen mächtig sich ersehnte. -
Ach, es blieb ihr schönster Traum! -

Sie durchforschte tausend Erdenräume,
Luft und Himmel, Tiefen auf und ab.
Doch war keins von allen stummen Wesen,
Das von Ihm ihr Kunde gab.

Und sie weint und klagt um den Geliebten. -
Liebend, sehnend, heftet sie den Blick
Auf die öden seligen Gefilde - -
Doch die Hoffnung blickt zurück.

Und sie sieht in ihrem heilen Auge
Ihres Gottes sanfte Fackel glühn:
Sinnender läßt sie verlohrne Freuden
Ihren Blick vorüber ziehn;

Lauschet horchend jedem Laut der Lüfte,
Ob das Schicksal endlich ausgesöhnt -
Und erträgt es, daß die falsche Natter
Unter Blumen sie verhöhnt.

Dulden mußte sie, ach! lange tragen,
Schwer, des harten Schicksals Felsensinn;
Doch ein sanfter, mitleidsvoller Dämon
Tröstete die Büßerin.

Ihr zum Schutz umschwebte still die Holde
Unsichtbar ihr treuer Genius:
Leise fühlte sie sein nahes Wehen,
Fühlte seinen Geisterkuß.

Zu den Schatten muß sie niedersteigen,
Wo kein Strahl des Orkus Dunkel bricht -
Doch nicht lange währt ihr schwerer Schlummer,
Amor weckte sie zum Licht,

Sich mit ihr, unsterblich, zu vermählen.
Eingeweiht, gereift zur Götter-Zahl,
Huldigt sie dem einzig göttlich Schönen,
Ewig in Kronions Saal.

Aus: Gedichte von Christine Westphalen geb. von Axen
Erster Band Hamburg 1809 (S. 170-175)
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Christine Westphalen (1758-1840)

Amor und Psyche am Bach

Psyche saß an dem Bach, und Amor friedlich zur Seit' ihr.
Beyde beugten sie sich: jedem erschien nun sein Bild.
"Amor! siehst du die Psych' in dem Grund' hier?" rief sie verwundert.
Ja, du Geliebte! und du, siehst du den Amor im Bach?
Zephyr lauscht' auf den Zweigen. Der Tändelnde regte die Fläche;
Sieh, da küßte geschwind Amor die Psyche des Bachs.

Aus: Gedichte von Christine Westphalen geb. von Axen
Dritter Band Hamburg 1811 (S. 146-147)


Amor und Psyche als Gruppe

Wollte die geistige Lieb' uns der Künstler bilden im Bilde?
Dieser Ätherischen Kuß däucht mir von ihr das Symbol:
Heiliger Amor! und du, jungfraulich liebende Psyche!
Schmelzt ihr, im geistigen Kuß, hier nicht die Seelen in eins?

Aus: Gedichte von Christine Westphalen geb. von Axen
Dritter Band Hamburg 1811 (S. 148)
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Johann Gottfried Herder (1744-1803)

Amor und Psyche

Ein Seufzer, der von Mund zu Munde fliegt,
Wenn Seele sich an Seele innig schmiegt;
Der Herzen Uebergang, da leis' und still
Das süße Wort zum Wort nicht werden will;
Das süße Wort zum Wort nicht werden kann:
Verloren schauen sich die Seelen an,
Und schöpfen in der Gottheit reinstem Quell
Gedanken, Wünsche, Blicke zart und hell;
Der Hauch, der dann das Leben süß verlängt,
Der Athem, der den Busen aus sich drängt,
Der Augenblick, der Ewigkeit Genuß,
Der Wesen reinste Wollust ist - ein Kuß.


Aus: Johann Gottfried von Herder's Gedichte
Herausgegeben durch Johann Georg Müller
Stuttgart und Tübingen
in der J. G. Cotta'schen Buchhandlung 1836 (S. 243)

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Heinrich Heine (1797-1856)

Psyche

In der Hand die kleine Lampe,
In der Brust die große Glut,
Schleichet Psyche zu dem Lager,
Wo der holde Schläfer ruht.

Sie errötet und sie zittert,
Wie sie seine Schönheit sieht -
Der enthüllte Gott der Liebe,
Er erwacht und er entflieht.

Achtzehnhundertjährge Buße!
Und die Ärmste stirbt beinah!
Psyche fastet und kasteit sich,
Weil sie Amorn nackend sah.

Aus: Heinrich Heine. Sämtliche Gedichte in zeitlicher Folge
Hrsg. von Klaus Briegleb. Insel Taschenbuch Verlag 1997 (S. 417)

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Conrad Ferdinand Meyer (1825-1898)

Die gegeißelte Psyche

Wo von alter Schönheit Trümmern
Marmorhell die Säle schimmern,
Windet blaß und lieblich eine
Psyche sich im Marmelsteine.

Unsichtbarem Geißelhiebe
Beugt sie sich in Qual und Liebe,
Auf den zarten Knieen liegend,
Enge sich zusammenschmiegend.

Flehend halb, und halb geduldig,
Trägt sie Schmach und weiß sich schuldig,
Ihre Schmerzensblicke fragen:
Liebst du mich? und kannst mich schlagen?

Soll dich der Olymp begrüßen,
Arme Psyche, mußt du büßen!
Eros, der dich sucht und peinigt,
Will dich selig und gereinigt.

Aus: Meyer, Conrad Ferdinand, Sämtliche Werke in zwei Bänden.
Vollständiger Text nach den Ausgaben letzter Hand.
Mit einem Nachwort von Erwin Laaths, München (Winkler) 1968 (S. 90)
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Frida Bettingen (1865-1924)

Psyche

Immer zarter denk ich an Dich
Rosenhaus.

Wo jetzt vielleicht schon
die Küsse der Erde,
sanfter bewegt,
wie im brausenden Frühling
erwachen.

Über Schmelz und Ahnen
der ruhig atmenden Gärten
schwebe ich.

Braun und entblättert
schwanken die Nester
der Zaunkönige.

Und im gläsernen Sarge
des Rauhreifs,
der Mandelbaum schläft.

Ruhevoll schwebe ich.

Sieh, alle Anmut
zärtlich verhaltener Liebe
schenkte ich Dir.

Ich entschwebe.

Aber ich weiß mit süßer
Gewißheit,
daß mein Name lauteren Goldes
geschrieben steht,
im Herzen des Freundes.

Alles war nur ein Traum,
Rosenhaus!

Liebes, liebes Rosenhaus.

Aus: Frida Bettingen Gedichte
Bei Georg Müller München 1922 (S. 122-123)
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Hermione von Preuschen (1854-1918)

Psyche

Und scheinst du auch eine dunkle Raupe,
bist du doch ein heimlicher Schmetterling,
im Irisglanz deiner Wunderflügel
sich rettungslos meine Seele fing.

Sie alle zerstücken die häßliche Raupe,
dich Liebe, die du von anderer Art,
sehen in dir nicht das Flügelwesen,
märchenduftig und zauberzart.

Dich Liebe mit den gleißenden Schwingen,
meine Psyche, mein heimlicher Schmetterling,
nach dessen Glanz meine Seele flattert,
in dessen Schmelz sich mein Herz verfing.

Aus: Flammenmal von Hermione von Preuschen
Zweite Auflage Verlag Continent Theo Gutmann
Berlin-Charlottenburg [1903] (S. 52)
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Albert Möser (1835-1900)

Amor und Psyche
Relief von Thorwaldsen

Sie kniet vor ihm, umfaßt ihn heiß und bang,
Mir ist's, als hört ich trüb die Arme klagen:
"O rette mich, sonst muß ich schier verzagen,
Verschmachten ganz im wirren Lebensgang.

Nach goldnen Glück empfind' ich heißen Drang,
Und kann doch nie der Sehnsucht Ziel erjagen,
Verlassen bin ich, elend und zerschlagen,
Gieb du das Heil, darnach umsonst ich rang!"

Er aber faßt voll Huld ihr schweres Haupt:
"Ich weiß: umsonst ist alles Erdenhoffen,
Ich bin's allein, der Ruh' und Trost verleiht.

Drum wohl dir, daß du treu an mich geglaubt
Getrost! Ich zeige dir den Himmel offen
Und schenke dir der Götter Seligkeit."


Aus: Gedichte von Albert Moeser
Erste Sammlung Dritte sehr veränderte und vermehrte Auflage
Hamburg Verlagsanstalt und Druckerei Actien-Gesellschaft 1890 (S. 3)

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John Keats (1795-1821)

Ode an Psyche

Göttin! lausche diesem armen Lied,
Das lieb Erinnern, süßer Zwang geboren,
Verzeih, daß dein Geheimnis es erriet
Und wiederkündet deinen eignen Ohren:
Ich träumte heut - denn sollte wacher Sinn
Wohl je die lichtbeschwingte Psyche schauen?
In lichtem Walde schritt ich für mich hin,
Da plötzlich faßte mich ehrfürchtig Grauen:
Eng Seit an Seit lag ein schönes Paar
Ins Gras gebettet, über ihnen spann
Das Laub ein flüsternd Dach, ein Bächlein rann
Durchs Grün, kaum wahrnehmbar.

Auf blumiger Au, die bunt und silberklar
Und kühl und duftend in die Stille sann,
Sanftatmend lagen sie, die Flügel bogen
Sich aneinander und die Arme auch,
Die Lippen trennte nur ein Atemhauch,
Als habe Schlummer Mund von Mund gezogen,
Als würden jungerwachte Liebeswogen
Zu neuem seligen Küssen sie beglücken.
Den Knaben kannte ich;
Du Taube doch, du lieblichstes Entzücken,
Warst Psyche sicherlich!

O letztgebornes lieblichstes Gesicht
Hoch über des Olymps verbleichter Pracht!
O schöner du als erstes Sternenlicht,
Das wie ein Glühwurm in den Abend wacht.
Ja schöner du! Obgleich nicht ein Altar
Noch Opfer dir geschichtet
Und nächtens keine süße Mädchenschar
Zu dir Gesänge richtet:
Kein Wort, kein Flötenspiel, kein frommer Rauch,
Der sanft aus schwingenden Gefäßen wellte,
Kein Schrein, kein Hain, nicht ein inbrünstiger Hauch,
Der eines bleichen Priesters Träumen schwellte.

O Strahlendste! Zu spät für jene Zeit,
Zu spät, zu spät auch für leichtgläubige Leier,
Die heilig sprach des Waldes Einsamkeit,
Heilig die Luft, das Wasser und das Feuer.
Doch selbst in unsern Tagen, die so ferne
Von froher Frömmigkeit, erglänzt dein Flug,
Der über stürzenden Olymp dich trug,
Nun meinen Augen, und ich bete gerne.
So laß mich sein die süße Mädchenschar,
Die betet am Altar,
Dein Wort, dein Flötenspiel, dein frommer Rauch,
Den dir ein schwingend Weihgefäß entsendet,
Dein Schrein, dein Hain und dein inbrünstiger Hauch,
Den eines bleichen Priesters Traum dir spendet.

Ich will, dein Priester, dir den Tempel richten
In meiner Seele unbegangnem Hain:
Verschlungene Gedanken sind die Fichten,
Die flüsternd schützen deinen heiligen Stein,
In dunklen Gruppen sollen all die Bäume
Die steilen Bergesklüfte dicht befiedern,
Und schlummernde Dryaden wiegt in Träume
Der Wind, der Strom, der Wald mit seinen Liedern.
Und in der Mitte dieser weiten Stille
Baut dir ein rosiges Heiligtum mein Wille
Mit allem, was inbrünstiges Hirn ersinnt,
Umrankten Gittern, seltnen Blütenglocken.
Im Blumenhain, den Phantasie dir spinnt,
Ist alle Blühen ewiges Frohlocken,
Und dort ist dein allsüße Seligkeit,
So weit wie Träume fassen,
Und Fackel nachts und Fenster, das bereit,
Die Liebe einzulassen.

Übersetzt von Gisela Etzel (1880-1917)

Aus: John Keats Gedichte übertragen von Gisela Etzel
Im Insel Verlag zu Leipzig 1910 (S. 18-20)

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