Liebespaare in der Literatur
 


Johann Heinrich Wilhelm Tischbein (1751-1829)
Odysseus und Penelope

 


Odysseus und Penelope



Inhaltsverzeichnis:

Homer Odyssee 23. Gesang
Ovid - Heroiden - Penelope an Ulysses
Eugenie Engelhardt (1852-1927) - Penelope
Rudolf Marggraff (1805-1880) - Klagen des Ulysses
Karl Ludwig Kannegießer (1781-1861) - Penelope




Homer Odyssee 23. Gesang

Aber das Mütterchen stieg frohlockend empor in den Söller,
Um der Fürstin zu melden, ihr lieber Gemahl sei zu Hause;
Jugendlich strebten die Knie und hurtiger eilten die Schenkel.
Und sie trat zu dem Haupte der schlafenden Fürstin und sagte:
Wach auf, Penelopeia, geliebte Tochter, und schau es
Selber mit Augen, worauf du so lange geharret: Odysseus
Ist gekommen, Odysseus! Und wieder zu Hause, nun endlich!
Und hat alle Freier getötet, die hier im Palaste
Trotzten, sein Gut verschlangen und seinen Telemachos höhnten!
Ihr antwortete drauf die kluge Penelopeia:
Liebe Mutter, dich haben die Götter betöret, die oftmal
Selbst die verständigsten Menschen in unverständige wandeln
Und einfältige oft mit hoher Weisheit erleuchten!
Diese verrückten gewiß auch deine richtigen Sinne.
Warum spottest du meiner, die so schon herzlich betrübt ist,
Und verkündest mir Lügen und weckst mich vom lieblichen Schlummer,
Welcher mir, ach so sanft, die lieben Wimpern bedeckte?
Denn ich schlief noch nimmer so fest, seit Odysseus hinwegfuhr,
Troja zu sehn, die verwünschte, die keiner nennet ohn Abscheu!
Aber nun steige hinab und geh in die untere Wohnung!
Hätte mir eine der andern, so viel auch Weiber mir dienen,
Solch ein Märchen verkündet und mich vom Schlummer erwecket,
Fürchterlich hätt ich sie gleich, die unwillkommene Botin,
Heimgesandt in den Saal! Dich rettet diesmal dein Alter!
Ihr antwortete drauf die Pflegerin Eurykleia:
Liebe Tochter, ich spotte ja nicht! Wahrhaftig, Odysseus
Ist gekommen und wieder zu Hause, wie ich dir sage!
Jener Fremdling, den alle so schändlich im Saale verhöhnten!
Und Telemachos wußte schon lange, daß er daheim sei;
Aber mit weisem Bedacht verschwieg er des Vaters Geheimnis,
Bis er den Übermut der stolzen Männer bestrafet.
Also sprach sie, und freudig entsprang die Fürstin dem Lager
Und umarmte die Alte, und Tränen umströmten ihr Antlitz.
Weinend begann sie jetzo und sprach die geflügelten Worte:
Liebes Mütterchen, sage mir doch die lautere Wahrheit!
Ist er denn wirklich zu Hause gekommen, wie du erzählest?
O wie hat er den Kampf mit den schamlosen Freiern vollendet,
Er allein mit so vielen, die hier sich täglich ergötzten?
Ihr antwortete drauf die Pflegerin Eurykleia:
Weder gesehn hab ich's, noch sonst erfahren, ich hörte
Bloß der Erschlagnen Geächz. Denn hinten in unserer Wohnung
Saßen wir alle voll Angst, bei festverriegelten Türen,
Bis mich endlich dein Sohn Telemachos aus dem Gemache
Rief; denn diesen hatte sein Vater gesandt, mich zu rufen.
Und nun fand ich Odysseus umringt von erschlagenen Leichen
Stehn, die hochgehäuft das schöngepflasterte Estrich
Weit bedeckten. O hättest du selbst die Freude gesehen,
Als er mit Blut und Staube besudelt stand wie ein Löwe!
Jetzo liegen sie alle gehäuft an der Pforte des Hofes;
Und er reinigt mit Schwefel bei angezündetem Feuer
Seinen prächtigen Saal und sendet mich her, dich zu rufen.
Folge mir denn, damit ihr die lieben Herzen einander
Wieder mit Freuden erfüllt, nachdem ihr so vieles erduldet.
Nun ist ja endlich geschehn, was ihr so lange gewünscht habt:
Lebend kehret er heim zum Vaterherde und findet
Dich und den Sohn im Palast; und alle, die ihn beleidigt,
Alle Freier vertilgt' die schreckliche Rache des Königs.
Ihr antwortete drauf die kluge Penelopeia:
Liebe Mutter, du mußt nicht so frohlocken und jauchzen!
Ach du weißt ja, wie herzlich erwünscht er allen im Hause
Käme, vor allem mir und unserm einzigen Sohne!
Aber es ist unmöglich geschehen, wie du erzählest!
Einer der Himmlischen hat die stolzen Freier getötet,
Durch die Greuel gereizt und die seelenkränkende Bosheit!
Denn sie ehrten ja keinen von allen Erdebewohnern,
Vornehm oder geringe, wer auch um Erbarmen sie ansprach.
Darum strafte sie Gott, die Freveler! Aber Odysseus,
Fern von Achaia verlor er die Heimkehr, ach! und sein Leben!
Ihr antwortete drauf die Pflegerin Eurykleia:
Welche Rede, mein Kind, ist deinen Lippen entflohen!
Dein Gemahl, der schon unten am Herde sitzt, der kehret
Nimmer nach Hause zurück? O wie gar ungläubig dein Herz ist!
Nun, so sag ich dir jetzt ein entscheidendes Merkmal, die Narbe,
Die ein Eber ihm einst mit weißem Zahne gehauen.
Beim Fußwaschen nahm ich sie wahr und wollt' es dir selber
Sagen; allein er faßte mir schnell mit der Hand an die Gurgel
Und verhinderte mich mit weisem Bedachte zu reden.
Komm denn und folge mir jetzt. Denn ich verbürge mich selber,
Hab ich dir Lügen gesagt, des kläglichsten Todes zu sterben.
Ihr antwortete drauf die kluge Penelopeia:
Liebe Mutter, den Rat der ewiglebenden Götter
Strebst du umsonst zu erforschen, obgleich du vieles verstehest.
Aber wir wollen doch zu meinem Sohne hinabgehn,
Daß ich die Leichname sehe der Freier, und wer sie getötet.
Also sprach sie und stieg hinab. Der Gehenden Herz schlug
Zweifelnd, ob sie den lieben Gemahl von ferne befragte
Oder entgegen ihm flög und Händ' und Antlitz ihm küßte.
Als sie nun über die Schwelle von glattem Marmor hineintrat,
Setzte sie fern an der Wand im Glanze des Feuers, Odysseus
Gegenüber, sich hin. An einer ragenden Säule
Saß er, die Augen gesenkt, und wartete, was sie ihm sagen
Würde, die edle Gemahlin, da sie ihn selber erblickte.
Lange saß sie schweigend; ihr Herz war voller Erstaunens.
Jetzo glaubte sie schon sein Angesicht zu erkennen,
Jetzo verkannte sie ihn in seiner häßlichen Kleidung.
Aber Telemachos sprach unwillig zu Penelopeia:
Mutter, du böse Mutter von unempfindlicher Seele!
Warum sonderst du dich von meinem Vater und setzest
Dich nicht neben ihn hin und fragst und forschest nach allem?
Keine andere Frau wird sich von ihrem Gemahle
So halsstarrig entfernen, der nach unendlicher Trübsal
Endlich im zwanzigsten Jahre zum Vaterlande zurückkehrt!
Aber du trägst im Busen ein Herz, das härter als Stein ist!
Ihm antwortete drauf die kluge Penelopeia:
Lieber Sohn, mein Geist ist ganz in Erstaunen verloren,
Und ich vermag kein Wort zu reden oder zu fragen,
Noch ihm gerad ins Antlitz zu schaun! Doch ist er es wirklich,
Mein Odysseus, der wiederkam, so werden wir beide
Uns einander gewiß noch besser erkennen: wir haben
Unsre geheimen Zeichen, die keinem andern bekannt sind.
Sprach's, da lächelte sanft der herrliche Dulder Odysseus,
Wandte sich drauf zum Sohn und sprach die geflügelten Worte:
O Telemachos, laß die Mutter, so lange sie Lust hat,
Mich im Hause versuchen; sie wird bald freundlicher werden.
Weil ich so häßlich bin und mit schlechten Lumpen bekleidet,
Darum verachtet sie mich und glaubt, ich sei es nicht selber.
Aber wir müssen bedenken, was nun der sicherste Rat sei.
Denn hat jemand im Volk nur einen Menschen getötet,
Welcher, arm und geringe, nicht viele Rächer zurückläßt,
Flüchtet er doch und verläßt die Heimat und seine Verwandten;
Und wir erschlugen die Stütze der Stadt, der edelsten Männer
Söhne in Ithakas Reich. Dies überlege nun selber.
Und der verständige Jüngling Telemachos sagte dagegen:
Lieber Vater, da mußt du allein zusehen; du bist ja
Unter den Menschen berühmt durch deine Weisheit, und niemand
Wagt es, sich dir zu vergleichen von allen Erdebewohnern!
Aber wir sind zu folgen bereit; und ich hoffe, du werdest
Mut in keinem vermissen, so viel die Kräfte gewähren.
Ihm antwortete drauf der erfindungsreiche Odysseus:
Nun, so will ich denn sagen, was mir das beste zu sein dünkt.
Geht nun erstlich ins Bad und schmückt euch mit festlichem Leibrock;
Laßt dann die Weiber im Hause mit schönen Gewanden sich schmücken;
Aber der göttliche Sänger entlocke der klingenden Harfe
Melodien und beflügle den fröhlichhüpfenden Reigen:
Daß die Nachbarn umher und die auf der Gasse vorbeigehn
Sagen, wann sie es hören, man feire der Königin Hochzeit;
Und damit nicht eher der Ruf von dem Morde der Freier
Durch die Stadt sich verbreite, bevor wir das schattige Lustgut
Fern auf dem Land erreicht. Dort wollen wir ferner bedenken,
Welchen nützlichen Rat uns Zeus der Olympier eingibt.
Also sprach er. Sie hörten ihm alle mit Fleiß und gehorchten,
Gingen ins Bad und schmückten sich dann mit festlichem Leibrock.
Auch die Weiber kamen geschmückt. Der göttliche Sänger
Nahm die gewölbete Harf und reizte mit lieblichen Tönen
Alle zum süßen Gesang und schönnachahmenden Tanze,
Daß der hohe Palast ringsum von dem stampfenden Fußtritt
Fröhlicher Männer erscholl und schöngegürteter Weiber.
Und wer vorüberging, blieb horchend stehen und sagte:
Wahrlich, ein Freier macht mit der schönen Königin Hochzeit!
Konnte die böse Frau nicht ihres ersten Gemahles
Hohen Palast bewahren, bis er aus der Fremde zurückkehrt?
Also sprachen die Leute und wußten nicht, was geschehn war.
Aber den edelgesinnten Odysseus in seinem Palaste
Badet' Eurynome jetzt, die Schaffnerin, salbte mit Öl ihn
Und umhüllt' ihm darauf den prächtigen Mantel und Leibrock.
Siehe, sein Haupt umstrahlt' Athene mit göttlicher Anmut,
Schuf ihn höher und stärker an Wuchs und goß von dem Scheitel
Ringelnde Locken herab, wie der Purpurlilien Blüte.
Also umgießt ein Mann mit feinem Golde das Silber,
Welchen Hephaistos selbst und Pallas Athene die Weisheit
Vieler Künste gelehrt, und bildet reizende Werke:
Also umgoß die Göttin ihm Haupt und Schultern mit Anmut.
Und er stieg aus dem Bad, an Gestalt den Unsterblichen ähnlich,
Kam und setzte sich wieder auf seinen verlassenen Sessel
Gegenüber dem Sitz der edlen Gemahlin und sagte:
Wunderliche, gewiß vor allen Weibern der Erde
Schufen die Himmlischen dir ein Herz so starr und gefühllos!
Keine andere Frau wird sich von ihrem Gemahle
So halsstarrig entfernen, der nach unendlicher Trübsal
Endlich im zwanzigsten Jahre zum Vaterlande zurückkehrt!
Aber bereite mein Bett, o Mütterchen, daß ich allein mich
Niederlege: denn diese hat wahrlich ein Herz von Eisen!
Ihm antwortete drauf die kluge Penelopeia:
Wunderlicher, mich hält so wenig Stolz wie Verachtung
Oder Befremden zurück; ich weiß recht gut, wie du aussahst,
Als du von Ithaka fuhrst im langberuderten Schiffe.
Aber wohlan, bereite sein Lager ihm, Eurykleia,
Außerhalb des schönen Gemachs, das er selber gebauet.
Setzt das zierliche Bette hinaus und leget zum Ruhen
Wollichte Felle hinein und prächtige Decken und Mäntel.
Also sprach sie zum Schein, den Gemahl zu versuchen. Doch zürnend
Wandte sich jetzt Odysseus zu seiner edlen Gemahlin:
Wahrlich, o Frau, dies Wort hat meine Seele verwundet!
Wer hat mein Bette denn anders gesetzt? Das könnte ja schwerlich
Selbst der erfahrenste Mann, wo nicht der Unsterblichen einer
Durch sein allmächtiges Wort es leicht von der Stelle versetzte;
Doch kein sterblicher Mensch, und trotzt' er in Kräften der Jugend,
Könnt es hinwegarbeiten! Ein wunderbares Geheimnis
War an dem künstlichen Bett, und ich selber baut es, kein andrer!
Innerhalb des Gehegs war ein weitumschattender Ölbaum,
Stark und blühenden Wuchses; der Stamm glich Säulen an Dicke.
Rings um diesen erbaut ich von dichtgeordneten Steinen
Unser Ehegemach und wölbte die obere Decke,
Und verschloß die Pforte mit festeinfugenden Flügeln.
Hierauf kappt ich die Äste des weitumschattenden Ölbaums
Und behaute den Stamm an der Wurzel, glättet ihn ringsum
Künstlich und schön mit dem Erz und nach dem Maße der Richtschnur,
Schnitzt ihn zum Fuße des Bettes und bohrt ihn rings mit dem Bohrer,
Fügete Bohlen daran und baute das zierliche Bette,
Welches mit Gold und Silber und Elfenbeine geschmückt war,
Und durchzog es mit Riemen von purpurfarbener Stierhaut.
Dies Wahrzeichen sag ich dir also. Aber ich weiß nicht,
Frau, ob es noch so ist wie vormals, oder ob jemand
Schon den Fuß von der Wurzel gehaun und das Bette versetzt hat.
Also sprach er. Der Fürstin erzitterten Herz und Kniee,
Als sie die Zeichen erkannte, die ihr Odysseus verkündet.
Weinend lief sie hinzu und fiel mit offenen Armen
Ihrem Gemahl um den Hals und küßte sein Antlitz und sagte:
Sei mir nicht bös, Odysseus! Du warst ja immer ein guter
Und verständiger Mann! Die Götter gaben uns Elend;
Denn zu groß war das Glück, daß wir beisammen in Eintracht
Unserer Jugend genössen und sanft dem Alter uns nahten!
Aber du mußt mir jetzo nicht darum zürnen noch gram sein,
Daß ich, Geliebter, dich nicht beim ersten Blicke bewillkommt!
Siehe, mein armes Herz war immer in Sorgen, es möchte
Irgendein Sterblicher kommen und mich mit täuschenden Worten
Hintergehn; es gibt ja so viele schlaue Betrüger!
Nimmer hätte der Fremdling die schöne argeiische Fürstin
Helena, Tochter von Zeus, zur heimlichen Liebe verleitet,
Hätte sie vorbedacht, daß die kriegrischen Söhne Achaias
Würden mit Feuer und Schwert sie zurück aus Ilion fordern.
Aber gereizt von der Göttin, erlag sie der schnöden Verführung
Und erwog nicht vorher in ihrem Herzen das nahe
Schreckensgericht, das auch uns so vielen Jammer gebracht hat!
Jetzo, da du, Geliebter, mir so umständlich die Zeichen
Unserer Kammer nennst, die doch kein Sterblicher sahe,
Sondern nur du und ich und die einzige Kammerbediente
Aktoris, welche mein Vater mir mitgab, als ich hieher zog,
[Die uns beiden die Pforte bewahrt des festen Gemaches:]
Jetzo besiegst du mein Herz, und alle Zweifel verschwinden.
Also sprach sie. Da schwoll ihm sein Herz von inniger Wehmut.
Weinend hielt er sein treues geliebtes Weib in den Armen.
So erfreulich das Land den schwimmenden Männern erscheinet,
Deren rüstiges Schiff der Erdumgürter Poseidon
Mitten im Meere durch Sturm und geschwollene Fluten zerschmettert
(Wenige nur entflohn dem dunkelwogenden Abgrund,
Schwimmen ans Land, ringsum vom Schlamme des Meeres besudelt,
Und nun steigen sie freudig, dem Tod entronnen, ans Ufer):
So erfreulich war ihr der Anblick ihres Gemahles.
Und fest hielt sie den Hals mit weißen Armen umschlungen.
Und sie hätten vielleicht bis zur Morgenröte gejammert,
Aber ein andres beschloß die heilige Pallas Athene.
Denn sie hemmte die Nacht am Ende des Laufes und weilte
An des Ozeans Fluten, die goldenthronende Eos,
Und noch spannte sie nicht die schnellen leuchtenden Rosse
Lampos und Phaeton an, das Licht den Menschen zu  bringen.
Aber zu seiner Gemahlin begann der weise Odysseus:
Liebes Weib, noch haben wir nicht der furchtbaren Kämpfe
Ziel erreicht; es droht noch unermeßliche Arbeit,
Viel und gefahrenvoll, und alle muß ich vollenden!
Also verkündigte mir des großen Teiresias Seele
Jenes Tages, da ich in Ais' Wohnung hinabstieg,
Forschend nach der Gefährten und meiner eigenen Heimkehr.
Aber nun laß uns, Frau, zu Bette gehen, damit uns
Beide jetzo die Ruhe des süßen Schlafes erquicke.
Ihm antwortete drauf die kluge Penelopeia:
Jetzo wird dein Lager bereit sein, wann du es wünschest,
Da dir endlich die Götter verstatteten, wiederzukehren
In dein prächtiges Haus und deiner Väter Gefilde;
Aber weil dich ein Gott daran erinnert, mein Lieber,
Sage mir auch den Kampf! Ich muß ihn, denk ich, doch einmal
Hören; so ist es ja wohl nicht schlimmer, ihn gleich zu erfahren.
Ihr antwortete drauf der erfindungsreiche Odysseus:
Armes Weib, warum verlangst du, daß ich dir dieses
Sage? Ich will es dir denn verkünden und nichts dir verhehlen.
Freilich wird sich darob dein Herz nicht freuen; ich selber
Freue mich nicht. Denn mir gebeut der erleuchtete Seher,
Fort durch die Welt zu gehn, in der Hand ein geglättetes Ruder,
Immerfort, bis ich komme zu Menschen, welche das Meer nicht
Kennen und keine Speise gewürzt mit Salze genießen,
Welchen auch Kenntnis fehlt von rotgeschnäbelten Schiffen
Und von geglätteten Rudern, den Fittichen eilender Schiffe.
Deutlich hat er sie mir bezeichnet, daß ich nicht irre.
Wenn ein Wanderer einst, der mir in der Fremde begegnet,
Sagt, ich trag eine Schaufel auf meiner rüstigen Schulter,
Dann soll ich dort in die Erde das schöngeglättete Ruder
Stecken und Opfer bringen dem Meerbeherrscher Poseidon,
Einen Widder und Stier und einen mutigen Eber;
Drauf zur Heimat kehren und opfern heilige Gaben
Allen unsterblichen Göttern, des weiten Himmels Bewohnern,
Nach der Reihe herum. Zuletzt wird außer dem Meere
Kommen der Tod und mich, von hohem, behaglichem Alter
Aufgelöseten, sanft hinnehmen, wann ringsum die Völker
Froh und glücklich sind. Dies hat mir der Seher verkündet.
Ihm antwortete drauf die kluge Penelopeia:
Nun, wenn dir von den Göttern ein frohes Alter bestimmt ist,
Können wir hoffen, du wirst dein Leiden glücklich vollenden.
Also besprachen diese sich jetzo untereinander.
Eurykleia indes und Eurynome breiteten emsig
Weiche Gewande zum Lager beim Scheine leuchtender Fackeln.
Und nachdem sie in Eile das warme Lager gebettet,
Ging die Alte zurück in ihre Kammer, zu ruhen.
Aber Eurynome führte den König und seine Gemahlin
Zu dem bereiteten Lager und trug die leuchtende Fackel;
Als sie die Kammer erreicht, enteilte sie. Jene bestiegen
Freudig ihr altes Lager, der keuschen Liebe geheiligt.
Aber Telemachos, der Rinderhirt und der Sauhirt
Ruhten jetzo vom fröhlichen Tanz, es ruhten die Weiber;
Und sie legten sich schlafen umher im dunklen Palaste.
Jene, nachdem sie die Fülle der seligen Liebe gekostet,
Wachten noch lang, ihr Herz mit vielen Gesprächen erfreuend.
Erst erzählte das göttliche Weib, wie viel sie im Hause
Von dem verwüstenden Schwarme der bösen Freier erduldet,
Wie sie um ihretwillen die fetten Rinder und Schafe
Scharenweise geschlachtet und frech im Weine geschwelget.
Dann erzählte der Held, wie vielen Jammer er andern
Menschen gebracht und wie viel er selber vom Schicksal erduldet.
Und die Königin horchte mit inniger Wonne; kein Schlummer
Sank auf die Augenlider, bevor er alles erzählet.
Und er begann, wie er erst die Kikonen bezwungen und hierauf
An der fruchtbaren Küste der Lotophagen gelandet.
Was der Kyklope getan, und wie er der edlen Gefährten
Tod bestraft, die er fraß, der unbarmherzige Wütrich.
Und wie Aiolos ihn nach milder Bewirtung zur Heimfahrt
Ausgerüstet; allein die Stunde der fröhlichen Heimkehr
War noch nicht; denn er trieb, von dem wilden Orkane geschleudert,
Lautwehklagend zurück ins fischdurchwimmelte Weltmeer.
Wie er Telepylos dann und die Laistrygonen gesehen,
Wo er die rüstigen Schiffe und schön geharnischten Freunde
Alle verlor; nur er selber entrann mit dem schwärzlichen Schiffe.
Auch von Kirkes Betrug und Zauberkünsten erzählt' er,
Und wie er hingefahren in Aides' dumpfe Behausung,
Um des thebaiischen Greises Teiresias Seele zu fragen,
Im vielrudrigen Schiff, und alle Freunde gesehen,
Auch die Mutter, die ihn gebar und als Knaben ernährte.
Wie er dann den Gesang der holden Sirenen gehöret,
Dann die irrenden Klippen gesehn und die wilde Charybdis
Und die Skylla, die keiner noch unbeschädigt vorbeifuhr.
Dann, wie seine Gefährten die Sonnenrinder geschlachtet,
Und wie sein rüstiges Schiff der Gott hochrollender Donner,
Zeus, mit dem Blitze zerschmettert; es sanken die tapfern Genossen
Allzumal, nur er selber entfloh dem Schreckenverhängnis.
Wie er drauf gen Ogygia kam, zur Nymphe Kalypso,
Die ihn so lang aufhielt in ihrer gewölbeten Grotte
Und zum Gemahl ihn begehrte: sie reicht' ihm Nahrung und sagte
Ihm Unsterblichkeit zu und nimmerverblühende Jugend;
Dennoch vermochte sie nicht, sein standhaftes Herz zu bewegen.
Wie er endlich nach großer Gefahr die Phaiaken erreichet,
Welche von Herzen ihn hoch wie einen Unsterblichen ehrten
Und ihn sandten im Schiffe zur lieben heimischen Insel,
Reichlich mit Erz und Golde beschenkt und prächtigen Kleidern.
Und kaum hatt er das letzte gesagt, da beschlich ihn der süße
Sanftauflösende Schlummer, den Gram der Seele vertilgend.
Aber ein Neues ersann die heilige Pallas Athene:
Als sie glaubte, der Held Odysseus habe nun endlich
Seine Seele in Lieb und süßem Schlafe gesättigt,
Rief sie vom Ozean schnell die goldenthronende Frühe,
Daß sie die finstere Welt erleuchtete. Aber Odysseus
Sprang vom schwellenden Lager und sprach zu seiner Gemahlin:
Frau, wir haben bisher der Leiden volle Genüge
Beide geschmeckt, da du so herzlich um meine Zurückkunft
Weintest und mich der Kronid und die andern Götter durch Unglück
Stets, wie sehr ich auch strebte, von meiner Heimat entfernten.
Jetzo, nachdem wir die Nacht der seligen Liebe gefeiert,
Sorge du für die Güter, die mir im Palaste geblieben;
Aber die Rinder und Schafe, die mir die Freier verschwelget,
Werden mir teils die Achaier ersetzen und andere werd ich
Beuten von fremden Völkern, bis alle Höfe gefüllt sind.
Jetzo geh ich hinaus, den guten Vater Laertes
Auf dem Lande zu sehn, der mich so herzlich bejammert.
Dir befehl ich, o Frau, zwar bist du selber verständig:
Gleich wenn die Sonn aufgeht, wird sicher der Ruf von den Freiern
Durch die Stadt sich verbreiten, die ich im Hause getötet;
Darum steig in den Söller und sitze dort unter den Weibern
Ruhig; siehe nach keinem dich um und rede mit keinem!
Also sprach er und panzerte sich mit schimmernder Rüstung,
Weckte Telemachos dann und beide Hirten vom Schlummer
Und gebot, in die Hand die Waffen des Krieges zu nehmen.
Diese gehorchten ihm schnell und standen in eherner Rüstung,
Schlossen die Pforte dann auf und gingen, geführt von Odysseus.
Schon umschimmerte Licht die Erde. Doch Pallas Athene
Führte sie schnell aus der Stadt, mit dichtem Nebel umhüllet.

Aus: Homer: Ilias / Odyssee. Übers. v. Johann Heinrich Voß, München: Winkler Verlag, 1976
(S. 750-760)
_____



Ovid - Heroiden

Penelope an Ulysses

Dies schickt deine Penelope dir, langsamer Ulysses.
Schreibe zurück mir Nichts, komme du selber jedoch.
Troja, den Danaerfrauen verhaßt, es ist ja gefallen:
Kaum soviel war werth Priamus, Troja soviel.
Wäre der Ehebrecher doch, als mit der Flotte er herfuhr
Nach Lacedämon, vom Zorn worden begraben des Meers!
Nicht dann wäre ich kalt im verödeten Bette gelegen,
Klagte verlassen nicht, daß träg mir die Tage vergeh.
Nicht ermüdete mir die verwittweten Hände der Webstuhl,
Während die lange Nacht ich zu vertreiben mich müh'.
Wann nicht hab' ich Gefahr, die schwerer als wahre, gefürchtet?
Liebe ist, ach, ein Ding voll von bekümmerter Furcht.
Auf dich, stellt' ich mir vor, eindrängen mit Macht die Trojaner;
Hectors Name ergoß Blässe mir übers Gesicht.
Wurde erzählt, daß Hector besiegt Antilochus habe,
War Antilochus' Tod Grund der Befürchtung für mich;
Oder Patroklus sei in erborgter Rüstung gefallen,
Weinte ich, daß des Erfolgs könne ermangeln die List.
Warm war worden des Lyciers Speer von Tlepolemus' Blute:
Durch Tlepolemus' Fall wurde mein Kummer erneut.
Kurz wer immer erlegt war worden im Danaerlager,
Eisige Kälte durchdrang immer der Liebenden Brust.
Doch wohl hat es gemeint mit der keuschen Liebe die Gottheit:
Troja liegt in Schutt, heil ist der Gatte und lebt.
Heim sind Argolis' Fürsten gekehrt; es dampfen die Opfer;
Das wird Göttern des Lands Beute der Fremde gebracht.
Für den erhaltenen Mann weiht Gaben des Dankes die Gattin;
Dieser den Seinen erzählt Trojas besiegtes Geschick.
Staunend lauscht der würdige Greis und das zitternde Mädchen,
Während die Gattin am Mund hängt des erzählenden Manns.
Mancher wohl zeigt beim Mahl auf dem Tische die schrecklichen Schlachten,
Und ganz Pergamus stellt dar er in wenigem Wein.
Hier ergoß sich des Simois Lauf, das ist das Sigeum,
Hier stieg stolz empor Priamus' Königspalast.
Dort des Äacus Sproß, dort hatte die Zelte Ulysses;
Hier erschreckte, zerfleischt, Hector die Rosse im Lauf.
Alles ja hatte genau Greis Nestor deinem Erzeugten,
Der zu suchen dich gieng, dieser mir wieder erzählt.
Auch von Rhesus erzählt und von Dolon, die du erlegtest;
Und wie jenen der Schlaf, diesen verrathen die List.
Kühn und nur allzusehr vergessend der Deinigen, hast du
Dich in das Lager gewagt, welches die Thracier barg;
Hast, nur Einen zur Seite, erlegt der Männer so viele.
War vorsichtig das auch? Hast du an mich auch gedacht?
Immer mir klopfte das Herz, bis in der Erzählung als Sieger
Du durch der Freunde Schaar fuhrst auf dem Thrakergespann.
Doch was hilft es mir, daß zerstört von eueren Armen
Ilion ward und der Grund, wo sich die Mauer erhob,
Wenn ich bleibe, wie erst, da Troja noch stand, ich gewesen,
Und ohn' Ende entfernt fehlen der Gatte mir muß
Nur für Andre zerstört, für mich ist Pergamus übrig,
Welches der Sieger bebaut, pflügt mit erbeutetem Stier.
Schon steht Saat, wo Pergamus stand; und zum Schnitt mit der Sichel
Wuchert der Boden, gedüngt reichlich mit Phrygischem Blut.
Halbbegrabens Menschengebein wird von dem gebognen
Pfluge gestürzt; es bedeckt Trümmer der Häuser das Gras.
Du, der Sieger, bist fern, und ich weiß nicht, was dich verweilet,
Oder in welchem Land, Eiserner, du dich verbirgst.
Wer nur mit fremdem Schiff anlandet an diesem Gestade,
Vielbefragt von mir über dich, fährt er hinweg;
Und von meiner Hand geschriebene Blätter empfängt er,
Wenn er dich irgendwo sähe, zu geben sie dir.
Nach der Neleischen Flur des alten Nestor, nach Pylos
Hab' ich geschickt; zurück kamen Gerüchte mir nur.
Habe nach Sparta geschickt; nicht weiß auch Sparta die Wahrheit.
Was bewohnst du für Flur? Oder wo weilest du träg?
Besser, es ständen annoch die Mauern des Phöbus - ich zürne
Da veränderlich, ach, meinen Gelübden ja selbst -:
Wüßt' ich doch, wo du kämpftest, und hätte nur Furcht vor dem Kriege;
Und mit Vielen vereint würde mein Klagen doch sein.
Weil ich nicht weiß, was fürchten ich soll, so fürchte ich Alles,
Bietet ein weites Feld meiner Bekümmerniß sich.
Alle Gefahren des Meers und alle Gefahren des Landes
Müssen, vermuthe ich, Schuld sein an dem langen Verzug.
Während ich thörichtes Weib dies denke, so bist du von fremder
Liebe - ihr Männer ja seid sinnlich - gefesselt vielleicht.
Und du erzählest vielleicht, welch ein einfältiges Weib du
Habest, die umzugehn nur mit der Wolle versteh'.
Mög' ich mich täuschen und solches Vergehn in die Lüfte entschwinden!
Magst du entfernt nicht sein wollen, so kommen du kannst?
Vater Icarius heißt das verwittwete Bett mich verlassen;
Und er schilt den Verzug, welcher ein Ende nicht nimmt.
Schelte er immer: ich bin doch dein, muß heißen die Deine;
Immer Ulysses' Weib' werd' ich Penelope sein.
Jener läßt sich jedoch durch Liebe und züchtige Bitten
Rühren, und Schranken setzt selber er seiner Gewalt.
Freier von Dulichium, von Samos, vom hohen Zakynthos,
Frech wollüstiges Volk, stürmen zu Hauf auf mich ein,
Spielen auf deinem Hof, von Keinem gehindert, die Herren,
Zehren an deinem Gut, unserem Mark und Gebein.
Was soll Polybus ich und Pisander und Medon, den Unhold,
Und Eurymachus dir und des Antinous Gier
Nennen und Andere noch, die alle du, weil du entfernt bist,
Schmählich ernährst mit dem Gut, das du dir blutig erwarbst?
Irus, der Bettler, Melanthius auch, der Treiber des Schlachtviehs,
Kommen, die äußerste Schmach, dir noch zu schaden, hinzu.
Drei nur sind wir an Zahl, wehrlos; die unkräftige Gattin
Und Laertes, der Greis, Knabe Telemachous dann. -
Letzteren hätte mir jüngst beinahe entrissen ein Anschlag,
Als er nach Pylos zu gehn, was sie nicht wollten, beschloß.
Mögen die Götter verleihn, daß er nach ordnungsgemäßem
Gang des Geschicks mir zudrücke die Augen und dir. -
Nicht Laertes jedoch, als der nicht taugt für die Waffen,
Kann handhaben des Reichs Zügel inmitten des Feinds.
Kommen ins Alter der Kraft wird Telemach, bleibt er am Leben;
Jetzt der Hülfe jedoch hätt' es des Vaters bedurft.
Nicht vermag es auch ich, aus dem Hause zu jagen die Feinde.
Eile denn du herbei, Hafen für uns und Altar.
Hast du doch einen Sohn - o mag er dir bleiben! - den zart noch
Du zu den Künsten erziehn hättest des Vaters gesollt.
Dies thun jetzt der Hüter des Viehs, und die Amme, die alte,
Und des schmuzigen Stalls Pfleger, der dritte im Bund.
Denk' an Laertes auch. Daß bald du ihm schließest die Augen,
Hält er den äußersten Tag seines Geschickes noch auf.
Ich, die, als du giengst, ein jugendlich Weib noch gewesen,
Werde, und kämest du gleich, scheinen ein Mütterchen dir.

Aus: Publii Ovidii Nasonis Opera
Ovids Werke
Berichtigt, übersetzt und erklärt von Heinrich Lindemann
Sechster Theil: Die Heroiden
Leipzig Verlag von Wilhelm Engelmann 1867 (S. 3-9)
_____



Eugenie Engelhardt (1852-1927)

Penelope

Und wieder senkt auf Ithakas Gestade
Sich leise Hypnos dunkeläugig nieder;
Der Vogel schweigt, und nur noch die Cikade
Eintönig singt die letzten Abendlieder.
Bei meiner Fackeln trügerischem Scheine,
Derweil die Hände sich geschäftig regen,
Wenn's still geworden und ich rings alleine -
Des Herrlichen zu denken, welch ein Segen!

Odysseus! Wie bei diesem Klang erbebet
Und jauchzt das Herz, im Innersten getroffen,
Frohlockend jeder Puls sich rascher hebet,
Und neu beginnt ein jugendkräftig Hoffen!
Der Name ist's, der Iliums Helden schrecket,
Dem der Achäer sich mit Ehrfurcht neiget,
In dieser Brust er einen Frieden wecket,
Vor dem der Schmerz und selbst die Sehnsucht schweiget.

Denn nicht dem Weib gehört des Helden Streben,
Ihn nennt das große Hellas stolz den seinen:
Doch leb ich ihm mit jedem Atemheben,
Mit jeder Regung wechselndem Erscheinen.
Doch leb ich ihm seit meiner Jugend Tagen,
Da erst mein trunkner Blick an ihm gehangen;
Und all mein Denken, all mein Singen, Sagen,
Ist nur nach ihm ein mächtiges Verlangen!

Es will die stolze Seele nicht verzagen
Und mutig hebt der Hoffnung starke Schwingen:
Ich weiß, es wird einmal der Morgen tagen,
Der wird auch ihrer Opfer Ende bringen.
Er kehrt zurück! Es müßten Sterne lügen,
Und Wahres würd es nicht im Weltall geben,
Des Herzens Stimme - alles müßte trügen,
Und steuerlos der Geist im Dunkel schweben!

Er kehrt zurück! Mag ihm die Fremde schenken,
Was sich das ehrbegier'ge Herz ersehnet,
In diese Brust wird sich kein Friede senken,
Bis sich vor seinem Aug dies Eiland dehnet.
Er kehrt zurück! Hielt ihn in Zauberketten
Die Liebesgöttin sieghaft selbst gefangen:
Es wird ihn seines Weibes Liebe retten,
Und heim nach Ithaka wird er verlangen!

O selig Weib! Hast Jahre hingegeben
Und schlummerlose Nächte still getragen,
Um dieser Stunde Wonne zu erleben,
Um rein zu ihm das Auge aufzuschlagen!
Wird er um Dich die starken Arme schlingen,
An Deiner Brust vergessend Kampf und Sorgen,
Wie magst Du segnen all Dein tapfres Ringen,
Denn süßer ruht kein irdisch Weib geborgen.


Aus: Deutsche Dichterin[n]en und Schriftstelerin[n]en in Wort und Bild
Herausgegeben von Heinrich Groß
III. Band Berlin 1885 (S. 393)
_______



Rudolf Marggraff (1805-1880)

Klagen des Ulysses

Schöne Göttinn, deine Thränen
Wecken meiner Liebe Schmerz,
Wecken meiner Liebe Sehnen
Nach der Gattinn heimathwärts.

Deine Zauberblicke schmieden
Mich an dieses Eiland an,
Deiner Worte süßer Frieden
Hält mich im verhaßten Bann.

Weg mit deinen Zauberblicken,
Mit dem holden Zauberwort,
Weg mit deinen Liebestücken,
Ach! laß mich zur Gattinn fort!

Seufz' ich schmerzenvoll hinüber
Nach dem fernen Heimathland,
Immer dumpfer, immer trüber,
Schlägt die Woge an den Strand.

Dort, wo lichte Rosen blühen
In Aurorens Purpurschein,
Dort, wohin die Wogen ziehen,
Muß die schöne Heimath sein.

Säh' ich einmal noch von Ferne
Heimathlicher Berge Blau,
Wie des Lebens Thau so gerne
Tränk' ich dann des Todes Thau.

Säh' ich einmal noch der Hütten
Heimathlichen Heerderauch,
Dann, was liebend ich gelitten,
Schwände wie Erinn'rungshauch.

Aus: Gedichte von Rudolf und Hermann Marggraff
Zerbst 1830 Gedruckt und in Commission
bei Gustav Adolph Kummer (S. 61-62)

_____



Karl Ludwig Kannegießer (1781-1861)

Penelope

Du, reich an Mißgeschick und reich an Glücke,
Du zagtest oft, doch ohne zu verzagen,
Dem Gatten gleich beharrlich und verschlagen,
Gewachsen deiner Freier Drang und Tücke.

Fast zwanzig Jahre zwar! Welch eine Lücke
Zwischen den frühern und den spätern Tagen!
Du wußtest Ungewitter zu ertragen,
Dir kehrte Sonnenschein zuletzt zurücke.

Standhaftes, wackres Weib, dir ward der Lohn
Für all' auf deiner Lagerstatt mit Sehnen
Im Oberstübchen still vergoßnen Thränen!

Nicht immer folgen Freuden hier auf Leiden.
Drum heiße glücklich, du empfingst die beiden
Geliebten wieder, Gatten gleichwie Sohn.

Aus: Frauenlob Sonette von
Karl Ludwig Kannegießer
Berlin 1853
Verlag von Constantin Breuer Unter den Linden 13 (S. 33)
_____


 

 

 


zurück Verzeichnis

zurück zur Startseite