Liebespaare in der Literatur
 


Anselm Feuerbach (1829-1880)
Orpheus und Eurydike

 


Orpheus und Eurydike



Inhaltsverzeichnis:

Vergil - Bucolica 4. Gesang
Ovid - Metamorphosen 10. / 11. Buch
Julius Grosse (1828-1902) - Eurydice
Hans Böhm (1876-1946) - Orpheus
Gerrit Engelke (1890-1918) - Euridyke
Arno Nadel (1878-1943) - Orpheus
Arno Nadel (1878-1943) - Was fehlt noch meinem Leben?
Hedwig Hülle (1794-1861) - Orpheus und Euridice
Christine Westphalen (1758-1840) - Euridice
Carl Bernhard Trinius (1778-1844) - Orpheus und Euridice





Vergil - Bucolica 4. Gesang

(...) Dir wecket der der schuldlos leidende Orpheus
Solcherlei Qual, wenn anders sie nicht abwendet das Schicksal;
Denn noch tobt er gewaltig ob seiner entrissenen Gattin.
Als sie mit stürzender Eile vor dir an den Strömen dahinfloh,
Ward sie der gräßlichen Schlang' im ragenden Grase des Uders
Nicht vor den Füßen gewahr, die dem Tode geweihete Jungfrau.
Aber der Schwesternchor der Dryaden erfüllte der Berge
Gipfel mit lautem Geschrei; da weineten Rhodope's Burgen
Und des Pangäus Höh'n und die streitbaren Länder des Rhesus,
Geten und Hebrus' Fluth, sammt Attika's Orithyia.
Jener, der Sehnsucht Gram mit gewölbeter Leier zu stillen,
Sang dich, holdes Gemahl, einsam am verödeten Ufer,
Dich mit des Tages Aufgang, und dich, wann er wieder hinabsank,
Auch in des Tänarus Schlund, zu den thürmenden Pforten des Pluto,
Und in den Hain, umdunkelt von mitternächtlichen Schauern,
Stieg er hinab; er besuchte die Manen, den König des Schreckens,
Und die noch nie durch Flehen der Menschen gehrüreten Herzen.
Aber, von seinem Gesang aus Erebus' Tiefen erreget,
Schwebeten lustige Schatten daher und verblich'ne Gebilde:
Wie das Gevögel im Laub sich zu Tausenden birgt, wann der Abend,
Oder ein stürmischer Regen hinweg vom Gebirge sie scheuchet.
Mütter und Männer zugleich und verblichene Riesengestalten
Hocherhabener Helden, und Knaben und bräutliche Jungfraun,
Jünglinge auch, vor den Augen der Eltern gelegt, auf den Holzstoß:
Rings von dem schwarzen Morast und Cocytus' gräßlichem Schilfrohr
Und des abscheulichen Sumpfs trägschleichendem Wasser gebändigt,
Und umschlossen vom Styx, der neunfach hindurch strömt.
Selber des Tods Wohnsitze, der Tartarus selber im Innern;
Furien auch, durchringelt mit bläulichen Schlangen das Haupthaar;
Cerberus selbst ward stumm mit dem dreifach klaffenden Rachen;
Still stand selber im Winde das kreisende Rad des Ixion.
Und schon, wendend den Schritt, war aller Gefahr er entronnen;
Schon stieg, neu ihm geschenkt, Eurydice wieder zur Lichtwelt
Hinter ihm auf: dieß war der Proserpina göttliche Satzung,
Als nichts achtender Wahn urplötzlich den Liebenden hinriß,
Wohl der Verzeihung werth, wenn anders die Manen verzeih'ten.
Still jetzt stand er und blickte, besiegt von Gefühl und vergessen,
Schon ganz nahe dem Licht, nach seiner Eurydice rückwärts:
Hin war alles Bemühn und zerrissen des Wütherichs Bündniß,
Auch dreimaliges Krachen erscholl im avernischen Sumpfe.

"Wer stürzt Aermeste mich, wer dich, Orpheus, ins Verderben?"
Sprach sie, "woher solch Wüthen? zurück, ach! rufet mich wieder
Grauses Geschick und Schlummer bedeckt mein schwimmendes Auge!
Lebe du wohl! ich entschweb', umhüllt von unendlichem Dunkel,
Kraftlos streck' ich die Hände nach dir, ach, nimmer die Deine!"
Sprach's und, dem Blick urplötzlich entschwindend, wie Rauch, in die dünnen
Lüfte gemischt, ergriff sie die Flucht, und jenen, obgleich er
Fruchtlos hascht nach den Schatten und viel noch begehrte zu sprechen,
Schauet sie doch nicht mehr; auch ließ ihn nimmer des Orkus
Fährmann über den Pfuhl, der den Pfad abschneidet, zurückgehn.
Was nun beginnen? wohin, zweimal von der Gattin gerissen?
Wie durch Thränen die Manen, die Götter mit Flehen bewegen?
Schon schwamm jene verkaltet dahin im stygischen Kahne!
Sieben der Mond' hindurch - so meldet man - weint' er beständig
Unter dem luftigen Fels, am verödeten Wasser des Strymon,
Und sein Jammergeschick wehklagt' er in eisigen Klüften,
Tiger bezähmend und Eichen bewegend mit seinem Gesange:
Wie voll Trauer im Schatten des Pappelbaums Philomela
Klaget der Kinder Verlust, die, sonder Erbarmen, ein Landmann
Ausgespäht und dem Nest noch ohne Gefieder entrissen;
Sie nun weint in die Nacht und erneut, auf Zweigen sich wiegend,
Mitleidweckende Kläng' und erfüllt wehklagend die Ferne.

Nicht mehr rührete Venus das Herz ihm, nicht Hymenäus:
Einsam durch hyperborisches Eis und des Tanais Schneefeld
Und von rhipäischem Reif niemals entblößete Felder
Wandelt er hin, Eurydice's Raub anklagend und Pluto's
Eitle Geschenk'. Allein die ciconischen Mütter, gekränket
Durch die Treue, zerstreuten am Feste der Götter, bei Bacchus'
Nächtlichem Dienst, im Gefild umher den zerfleicheten Jüngling.
Ja, wie das Haupt ihm eben, vom Marmornacken gerissen,
Mitten im wirbelnden Strom der öagrische Hebrus dahintrug,
Rief "Eurydice!" noch er mit Mund und erkaltender Zunge,
"Ach, Eurydice, Aermste!" mit schon entfliehendem Hauche,
Und "Eurydice!" scholl's ringsum an des Stromes Gestaden.
(S. 121-123)

Aus: Publius Virgilius Maro's Werke
Deutsch in der Versweise der Urschrift
von Dr. Wilhelm Binder [1810-1876]
Erstes Bändchen: Idyllen. Landbau. Jugendgedichte.
Stuttgart Hoffmann'sche Verlags-Buchhandlung 1856
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Ovid - Metamorphosen

10. Buch

Dortweg schreitet, umhüllt von dem Safrankleid, Hymenäus
Durch die unendliche Luft und wendet sich nach der Cikonen
Küsten und wird nutzlos von des Orpheus Stimme gerufen.
Zwar willfahrt er und kam, doch nicht hochzeitlichen Jubel
Brachte er mit, noch frohes Gesicht, noch günstige Zeichen.
Thränenerregender Rauch ließ stets auch zischen die Fackel,
Die in der Rechten er trug, und sie fing kein Feuer im Schwunge.
Schrecklicher war der Erfolg als der Anfang. Während im Grünen
Wandelte unter der Schar der Najaden die kürzlich Vermählte,
Fand sie den Tod, an der Ferse verletzt vom Zahne  der Schlange.
Als zum Himmel um sie nun Rhodopes Sänger genugsam
Hatte geklagt, da wagt' er zum letzten Versuch bei den Schatten
Durch das tänarische Thor zur Styx in die Tiefe zu steigen,
Und durch luftiges Volk und Gebilde bestatteter Toten
Tritt er Persephone nah' und dem Könige, der bei den Schatten
Waltet im freudlosen Reich; und zum Sang abschlagend die Saiten
Redet er: »Mächte der Welt, die steht im Schoße der Erde,
Der wir verfallen gesamt, soviele wir sterblich erwachsen,
Darf ich mit eurer Vergunst ohn' Umschweif trügenden Mundes
Wahrheit sprechen vor euch: nicht kam ich des Tartarus Dunkel
Mir zu beschauen herab, noch auch den schlangenbehaarten
Dreifach dräuenden Hals des Medusischen Tieres zu fesseln.
Mich führt her mein Weib, der eine getretene Viper
Gift in die Wunde geströmt und gekürzet die blühenden Jahre.
Stark zu ertragen den Schmerz, nicht will ich es leugnen, versucht' ich;
Amor behielt den Sieg. Der Gott ist bekannt in der Höhe;
Ob er es hier auch sei, nicht weiß ich es, aber ich glaube.
Amor, wofern nicht lügt das Gerücht von dem früheren Raube,
Hat ja vereint auch euch. Bei diesem unendlichen Chaos,
Hier bei den Stätten des Grau'ns und der Öde des weiten Gebietes
Fleh' ich zu euch: knüpft neu Eurydices schleuniges Schicksal!
Alle gehören wir euch, und wir eilen nach kurzem Verweilen
Früher und später hinab zu dem einen gemeinsamen Wohnsitz;
Hierher müssen wir all', und dies ist die letzte Behausung.
Über das Menschengeschlecht übt ihr die dauerndste Herrschaft.
Sie auch fällt, wenn reif sie verlebt die gebührenden Jahre,
Euerem Recht anheim. Gönnt uns nur noch die Gemeinschaft!
Weigert der Gattin die Gunst das Geschick, so bin ich entschlossen
Nimmer von hinnen zu geh'n. Dann freu' euch zweier Vernichtung.«
Während er also sprach und zum Sang eingriff in die Saiten,
Weinte die blutlose Schar der Gestorbenen. Tantalus haschte
Nicht nach der weichenden Flut, und es stockte das Rad des Ixion;
Nicht mehr ward von den Geiern die Leber zerhackt; die Beliden
Ließen die Urnen in Ruh', und Sisyphus saß auf dem Steine.
Damals netzten zuerst nach der Sage die drei Eumeniden
Weinend die Wangen, gerührt von dem Lied. Abschlagen die Bitte
Kann ihm die Königin nicht, noch auch der Beherrscher der Tiefe,
Und Eurydice ruft ihr Geheiß. Die war bei den neuen
Schatten und ging mit verzögertem Schritt, von der Wunde gehindert.
Sie und die Weisung zugleich empfängt nun Rhodopes Heros,
Daß er zurück nicht wende den Blick, bis daß er gelangt sei
Aus dem Avernischen Thal; sonst wär' er der Gabe verlustig.
Aufwärts steigen sie jetzt durch schweigende Öde den Fußpfad,
Schroff, voll düsteren Grauns und umstarrt von finsterem Dunkel.
Nicht mehr waren sie fern vom Rande der oberen Erde,
Da, sie verlangend zu seh'n und besorgt, daß Kraft ihr gebreche,
Schaut er liebend sich um, und zurück gleich ist sie gesunken.
Sehnlich die Arme gestreckt, auf daß er sie fasse und selber
Werde gefaßt, hascht nichts denn weichende Lüfte der Arme.
Ob sie wiederum stirbt, sie klagt nicht über den Gatten:
Was auch war zu beklagen für sie, als daß sie geliebt war?
Scheidenden Gruß, den kaum sein Ohr noch konnte vernehmen,
Rief sie ihm zu und wurde gerafft zu der vorigen Stätte.
O'rpheus aber ist starr von dem zwiefachen Tode der Gattin,
Ähnlich dem Mann, den schrecken des Hunds drei Hälse, von welchen
Bande der mittlere trug, und den mit dem früheren Wesen
Erst das Entsetzen verließ, als Stein durchdrungen den Körper,
Oder wie Olenus einst, der Frevler, zu scheinen verlangte,
Auf sich nehmend die Schuld, und du, unsel'ge Lethäa,
Die zu dreist auf Schöne vertraut, treu liebende Herzen
Vormals, Steine zur Zeit, die trägt die bewässerte I'da.
Als er mit eitelem Fleh'n nochmals hinüber verlangte,
Wies ihn der Ferge zurück. Doch pflegevergessen am Ufer
Saß er sieben der Tag' und verschmähte die Gabe der Ceres;
Zähren und Gram und Schmerz des Gemüts nur waren ihm Nahrung.
Grausam schalt er und hart des Erebos Götter und kehrte
Wieder zu Rhodopes Höh'n und zum nordumsauseten Hämus.

Dreimal hatte das Jahr, das schließen die schwimmenden Fische,
Schon vollbracht der Titan, und es hatte der weiblichen Liebe
Orpheus gänzlich entsagt, sei's, weil sein Leid sie gewesen,
Sei's, weil Treu' er gelobt. Doch sich zu ergeben dem Sänger
War gar manche bereit; gar manche beklagte Verschmähung. (...)
(Band 2 S. 143-146)

11. Buch

Während mit solchem Gedicht Waldstämme der thrakische Sänger
Lockte herzu und Gemüter des Wilds und folgende Steine,
Sieh', da werden gewahr cikonische Frauen, den vollen
Busen mit Fellen bedeckt, von der Spitze des Hügels den Orpheus,
Wie wohltönenden Sang er gesellte geschlagenen Saiten.
Eine davon, die das Haar ließ treiben in wehenden Lüften,
Rief: »Seht, sehet ihn dort, den Verächter der Frau'n!« Und der Thyrsus
Flog nach dem tönenden Mund des Apoll entsprossenen Sängers.
Laubumhüllt ließ jener ein Mal nur ohne Verletzung.
Waffe darauf ist der andern ein Stein: der aber, im Fluge
Von dem vereinigten Klange der Stimm' und der Leier bezwungen,
Legt, als bät' er in Reu' zu verzeih'n so wütendes Wagnis,
Jenem zu Füßen sich hin. Doch nunmehr wächst die verweg'ne
Fehde, das Maß ist fern, und es waltet die tolle Erinnys.
All die Geschosse gesamt wohl wären erweicht von dem Sange;
Aber gewaltig Geschrei und Geklatsch, berecyntische Flöten
Mit abstehendem Horn und Trommeln und bacchisches Heulen
Dröhnten dem Saitengetön zu laut. Da wurden gerötet
Endlich die Steine vom Blut des nimmer vernommenen Sängers.
Die noch waren gebannt von des Lichtes bestrickendem Wohllaut,
Vögel in zahllosem Schwarm und Schlangen und Scharen des Wildes,
Orpheus' seltnen Triumph, zerfleischten zuerst die Mänaden.
Drauf mit blutiger Hand eindringen sie all' auf den Orpheus,
Gleich wie Vögel geschart, die sehen im Lichte des Tages
Flattern den Vogel der Nacht. Wie wenn in dem runden Theater,
Beute des Todes, ein Hirsch auf dem sandigen Platz in der Frühe
Hunden verfällt, so stürmen sie ein auf den Sänger und schleudern,
Dazu nimmer bestimmt, die mit Laub umwundenen Stäbe.
Schollen erheben sie teils, teils Bäumen entrissene Zweige,
Teils auch Steine zum Wurf. Daß der Wut nicht fehlen die Waffen:
Stiere zerwühlten das Land zur Zeit mit gestemmeter Pflugschar;
Nah' auch, nährende Frucht mit sauerem Schweiß zu bereiten,
Hackten im harten Gefild Landleute mit rüstigen Armen.
Diese gewahren den Zug und flieh'n; die Geräte der Arbeit
Bleiben zurück, und es liegen zerstreut auf verlassenen Äckern
Karste mit drückender Wucht, langstielige Hacken und Spaten.
Als die waren gerafft und die Stiere zerrissen in Tollheit
Trotz dem Gehörn, kehrt wieder der Schwarm zu des Sängers Verderben.
Ihn, der flehend die Händ' ausstreckt' und vergebliche Worte
Damals sagte zuerst und nichts mit der Stimme bewegte,
Morden sie ruchlos hin, und hinweg aus dem tönenden Munde,
Welchen die Felsen gehört und die lauschenden Tiere verstanden, -
O du Jupiter! - wich in den Wind die verhauchete Seele.
Dir weiht Trauer das Wild, dir, Orpheus, klagende Vögel,
Dir das starre Gestein und der Wald, den deine Gesänge
Oftmals hatten gelockt; um dich mit geschorenem Haupthaar
Härmt sich entblättert der Baum; durch eigene Zähren - erzählt man -
Wurden die Flüsse gemehrt, und in dunkele Farbe gekleidet
Gingen, die Haare gelöst, Najaden einher und Dryaden.
Hier und dort sind die Glieder verstreut. Haupt aber und Leier
Fängst du, Hebrus, im Strom, und während sie mitten dahintreibt,
Da - o Wunder - erbebt wie klagend die Leier, und klagend
Lallt die entseelete Zung', und klagend erwidern die Ufer.
Fern von dem heimischen Fluß schon schwimmen sie weg in die Meerflut,
Und sie gewinnen den Strand der methymnäischen Le'sbos.
Dort schoß los voll Grimm auf das Haupt, das lag an die fremde
Küste gespült, und das Haar, das naß noch tropfte, ein Drache.
Endlich ist Phöbus genaht, und wie er zum Bisse sich anschickt,
Hält er ihn ab und läßt den geöffneten Rachen der Schlange
Frieren zu Stein und den Schlund, wie er war, weit gähnend erharten.
Sitz nimmt drunten der Geist und erkennt noch alle die Räume,
Die vormals er geseh'n, und, der Seligen Auen durchsuchend,
Sieht er Eurydice bald und umfängt sie mit brünstigen Armen.
Dort nun wandeln umher mit vereinigten Schritten die beiden,
Oder er folgt ihr nach; oft auch geht wieder als Erster
Orpheus, der sich getrost nun darf nach Eurydice umseh'n. (...)
(Band 3 S. 1-3)

Aus: Ovids Metamorphosen
übersetzt und erläutert von Reinhart Suchier
Stuttgart Krais & Hoffmann 1862
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Julius Grosse (1828-1902)

Eurydice

Manchmal sinket dein Bild zurück in die Fluten der Lethe,
Und die Wellen der Zeit führen mich selber hinweg.
Tiefer gähnt die verschlingende Kluft der geschiedenen Bahnen,
Kaum noch dämmert dein Bild, wie ein verwehender Traum.
Ach, es beschleicht mich die Furcht, als könnten die Strahlen verschwinden
In der Erinnerung Nacht, wie ein erlöschender Stern.
Selbst dein Name verklingt wie Götternamen der Vorzeit,
Und kein Echo der Brust hallt den geliebten zurück.
Aber ein einziger Tag - ein Wiedersehen nach Jahren
Ruft die Stürme zurück, wühlet die Tiefen empor.
Aber ein einziger Blick aus deinen Augen, wie wogt da
Neue Zaubergewalt himmlischer über mich her!
Gleichwie ein seltenes Edelgestein, das im Lichte gebleicht war,
Wieder an Feuer gewinnt, wenn es verschlossen im Schrein,
Also gewannst du an Zauber und Reiz im Strome der Lethe,
Und was Andre geheilt, hat mich nur tiefer versehrt.
Holder verklärt in der schauernden Nacht der lethäischen Wogen,
Steigt die Göttergestalt heiliger Liebe herauf,
Steiget herauf wie ein Schatten zuerst blutlos von dem Hades,
Doch an des Liebenden Blut trinkst du dich blühend und warm,
An dem Blute der Lieder, sie quellen aus Wunden der Seele,
Gleichwie es Orpheus geschah, als die Geliebte ihm starb.
Aber wie Orpheus singend erlöst die Beweinte vom Orcus,
Also trägt dich mein Lied rosig zum Lichte zurück.

Aus: Gedichte von Julius Grosse
In neuer, durchgesehener und vermehrter Auswahl
mit einer Zuschrift von Paul Heyse
Berlin G. Grote'sche Verlagsbuchhandlung 1882 (S. 106)
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Hans Böhm (1876-1946)

Orpheus

Ist nun die gestorbne Liebe
Ist sie wieder aufgewacht?
Wohl bestürmt ich sie mit Tönen,
Flehn und Jubel Klag und Stöhnen
Klang in ihre Todesnacht.
Ist nun die gestorbne Liebe
Ist sie wieder aufgewacht?

Folgt sie mir nicht scheuen Auges
Folgt sie nicht mit leisem Schritt?
Sieht und fühlt mich nun aufs Neue,
Alte Seligkeit und Reue
Ziehn sie zweifelnd hoffend mit.
Folgt sie mir nicht scheuen Auges
Folgt sie nicht mit leisem Schritt?

Bleibt die süße Schlafbefangne
Bleibt sie mir am lichten Tag?
Nicht zurücksehn! nicht erschrecken!
Nicht aus Traumeswandel wecken
Eh sie selbst erwachen mag.
Bleibt die süße Schlafbefangne
Bleibt sie mir am lichten Tag?


Aus: Hans Böhm Neue Gedichte
München 1921
Georg D. W. Callwey Verlagsbuchhandlung (S. 201)
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Gerrit Engelke (1890-1918)

Euridyke

Orpheus! Orpheus! zerstrahle die Schatten,
Brich leuchtend zu mir!
Orpheus! mein Herz will ermatten -
Mein Herz schreit nach dir!
Orpheus!

Geliebter! Strahlender! die Nacht, die Nacht
Droht; finsteres Wehen!
Geliebter, ich sinke! ich sinke in Nacht,
Ich kann dich nicht sehen -
Orpheus?

Geliebter - hörst Du mich rufen?
Die Nacht wühlt mich zu -
O, ich kann nicht - mehr rufen -
Orpheus, wo - bist - du?
Wo - bist - -?

Aus: Gerrit Engelke Das Gesamtwerk
Rhythmus des neuen Europa
Herausgegeben von Dr. Hermann Blome
Paul List Verlag München 1960 (S. 85)
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Arno Nadel (1878-1943)

Orpheus

Zerrissen werden
Von der Liebe,
Das Auge
Im geheimen Wunder, -
Das war dein Los.
Und warst doch
So lebendig,
Daß die Gestalt,
Die du hinieden ließest,
Umherging
Und in goldenen Worten
Tönte.

Aus: Arno Nadel Das Leben des Dichters
Nummerierter Privatdruck 1935
Gedruckt bei Victor Otto Stomps Berlin (S. 146)

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Arno Nadel (1878-1943)


Was fehlt noch meinem Leben?
Mädchen, wie Schwärme meine Augen kühlend,
Mich süß und kühn vernichtend.
Und daß ich, neu erwachend,
Es neu und neu erlebe.
Orpheus, mein Bruder,
Gib mir deine Seele,
Daß ich mit allem Tod der Welt mich löse
Und in das Herz des Lebens wachse!

Aus: Arno Nadel Das Leben des Dichters
Nummerierter Privatdruck 1935
Gedruckt bei Victor Otto Stomps Berlin (S. 156)

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Hedwig Hülle (1794-1861)

Orpheus und Euridice

Phöbus Sohn, Orpheus, versank in Klagen;
Seiner Lyra reiner Silberton,
Die einst in entschwundnen Liebes-Tagen
Opfer reinen Danks zum Strahlen-Thron
Der Unsterblichen emporgetragen
War verhallt; hinab zum Acheron
War sein Weib, Euridice entschwunden
Und nichts heilte seiner Seele Wunden.

Uebermannt von nie empfundnen Schmerzen
Richtet er der bangen Seele Flehn
Zu der styg'schen Göttin kaltem Herzen;
Ceres Tochter kann nicht widerstehn
Und ihm lodern neu der Hoffnung Kerzen:
Selbst hinab soll er zum Orkus gehn;
Charon rudert auf der schwarzen Welle
Hin ihn zu des Schattenlandes Schwelle.

Und er weiht auf's neue sich dem Schönen;
Ihn umstrickt der Hoffnung grünes Band
Und der Lyra goldne Saiten tönen
Schöner, reiner in des Sängers Hand,
Seinen Ruhm muß dieser Hymnus krönen
Leitend ihn in das verborgne Land;
Cerberus bey dessen Zauberseegen
Konnte schmeichelnd nur die Glieder regen.

Ohne Zagen schritt er durch die Pforte
In der Geister mitternächtig Land,
Seines Mundes sieggewohnte Worte
An den Herrscher Pluton selbst gewandt:
"Laß von diesem schauervollen Orte,
Ernster Gott, an ihres Gatten Hand
Mein geliebtes theures Weib entschweben
Wiederum mit mir im Licht zu leben."

Und es hört des Sängers kühne Bitte
Ungerührt nicht des Saturnus Sohn;
Er erhebt sich in der Geister Mitte,
Also sprechend vom erhabnen Thron:
"Wohl, sie folge Dir zur ird'schen Hütte,
Ihr Geschenk sey Deiner Lieder Lohn,
Doch - versuchst Du nach ihr umzuschauen,
Kehrt sie nimmer zu des Lichtes Auen!"

O wie leicht scheint dem bethörten Gatten
Die Bedingung aus des Gottes Mund;
Bis zu seiner Heymath grünen Matten
Zu entsagen, schließet er den Bund
Mit dem strengen Könige der Schatten
Und verläßt entzückt das stille Rund,
Und ihm folgt, vom Hoffnungs-Glanz umgeben,
Aus der Nacht Euridice zum Leben.

Und versiegt sind nun des Sängers Thränen;
Seines Lebens Freudenspenderin
Folgt ihm unter süßem Liebessehnen
An des Lethe stillem Ufer hin. -
"Wäre all' mein Glück nur thörigt Wähnen?!"
Des Gedankens Blitz trübt seinen Sinn
Und - mißtrauend eines Gottes Worte
Blickt er rückwärts nach der düstern Pforte. -

Sieh - am Himmel thürmen schwarze Wetter
Strafend sich, es lischt der Sonne Licht.
So erfüllt sich rasch der Spruch der Götter
Denn die Unsichtbaren scherzen nicht,
Und es naht sich keiner dem als Retter
Der den heil'gen Bund mit ihnen bricht.
Es entweicht, mit einem Schmerzensblicke
Zum Kozyt Euridice zurücke. -

Und sie sieht den Gatten schnell erblassen
Dessen Flehn nur Echo wiederhallt;
Doch vergebens strebt sie zu umfassen
Der Geliebte, vor Entsetzen kalt.
Ach sie muß, sie muß ihn ja verlassen
Und sie hält nicht irdische Gewalt. -
Schnell, wie es das flücht'ge Glück gefunden,
War es nun auf ewig ihm entschwunden.

Aus: Erstlinge des Frühlings
von Hedwig Hülle geb. Hoffmeier
Bremen 1822 Gedruckt bei C. G. Westphal (S. 151-155)

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Christine Westphalen (1758-1840)

Euridice

War leis' ich dem Dunkel entklommen?
Und hab' ich die Dämm'rung gesehn?
Ich hatte die Töne vernommen,
Dem liebenden Herzen so schön!
Schon waren die Nebel entfaltet;
Schon folgte, Geliebter! ich dir. -
Allmächtige Götter! es schaltet
Zu grausam das Schicksal mit mir!

Du wandtest die sehnenden Blicke -
Ich sah in dein Auge voll Harm. -
Da faßte das strenge Geschicke
Mich wieder mit eisernem Arm.
Wird ewig hier einsam mir grauen?
Horcht Keiner dem Klagegetön?
Soll nimmer das Licht ich dort schauen?
Nie wieder ins Auge dir sehn?

Aus: Gedichte von Christine Westphalen
geb. von Axen
Zweiter Band Hamburg 1809 (S. 139)
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Carl Bernhard Trinius (1778-1844)

Orpheus und Euridice

Verfolgt von der Pelasger Gotte
Nimmt, athemlos von flücht'gem Lauf
Euridicen, die fernste Grotte
In sich'rer Nacht Geheimniß auf.
Vergebens späht auf irren Pfaden
Ihr nach des Gottes Racheschwur,
Denn tausend freundliche Dryaden
Verweben ihrer Tritte Spur.

Da läßt er ungeheure Stürme
Aus Thraciens Geklüften los,
Und füllt mit giftigem Gewürme
Umher der Wälder feuchtes Moos.
Vergebens wich die Rettungslose
Der Wuth, die tausendfältig droht;
Und in der Felsen dunklem Schooße
Giebt eine Natter ihr den Tod.

Da tritt der finst're Gott zum Sänger
Und zeigt ihm den erstarrten Leib.
Mit keinen Schmerzen quält nun länger
Mein Herz dies undankbare Weib:
Mir bot sie Schmach für meine Leiden,
Dich hat Euridice geliebt;
Versuche nun die Macht der Saiten!
Ob sie der Orcus wiedergiebt?

Hinstarrend auf die gift'ge Wunde
Steht Orpheus, stumm, von Schmerz verzehrt,
Bis spät dem liedereichen Munde
Die Kraft der Töne wiederkehrt.
Nein! ohne Dich will ich nicht leben!
Ich folge Dir in's Schattenreich.
Und kann es Dich nicht wiedergeben,
Behalt' es mich mit Dir zugleich.

Und sie, die auf den dunklen Pfaden
Der Tiefe nimmer mich verließt;
Die ihr den Fuß der Symplegaden
Am starren Felsen wurzeln hießt;
Die ihr Acetes Riesendrachen
Mit Todesschlafes Zauber schlugt;
Seid an dem rückkehrlosen Nachen
Zum letzten Mal mir jetzt versucht!

So steigt er kühn in seinen Qualen
Hinunter in das ew'ge Grab,
Und auf der Leyer goldnen Strahlen
Rinnt süßer Zauberklang hinab.
Still rollt die wollustvollen Wogen
Der Styx, vom Ufer schwimmt der Kahn,
Und von entzückter Luft umflogen
Langt er am Thron der Göttin an.

Er greift in's Saitenspiel, und Klagen
Entlockt er ihm, und Liebesklang -
Doch wer vermöcht' es nachzusagen
Was dort der hohe Sänger sang?
Ein heit'rer niegenoss'ner Friede
Sinkt auf des Orcus finst'res Haus,
Und jede Qual bei seinem Liede
Ruht von der langen Marter aus.

Jetzt heilt des Rachegeiers Wunde;
Jetzt steigt der Danaiden Fluth;
Dir schwillt der Quell zum durst'gen Munde;
Dein Flügelrad, Ixion, ruht.
An schroffer Felsen Ueberhange
Hält Sisyphus den schweren Stein;
Und einer Thräne darf die Wange
Der Eumeniden sich erfreu'n.

Sie aber an des Thrones Schwellen
Liegt da, voll Schmerz- und Lust-Gefühls,
Und höher stets, und süßer quellen
Die Töne seines Saitenspiels.
Die Göttin denkt vergang'ner Tage,
Wo selbst sie fühlt' der Liebe Glück,
Und giebt gerührt von seiner Klage,
Die holde Gattin ihm zurück. -

""Empfange sie, wenn Kraft zum Schweigen,
Dich zu beherrschen Muth du hast.
Denn diesen freudelosen Reichen
Ist jeder Glückliche verhaßt.
D'rum wehre, selbst sie anzuschauen,
Dir, bis zum Strahl der Oberwelt, -
Daß nicht in ew'ger Nacht und Grauen
Des Hades Rache sie behält.""

Und zitternd nur folgt sie dem Gatten,
Noch schüchtern, seiner sich zu freu'n.
Und traurig blicken nach die Schatten,
Wie Eine darf so glücklich sein!
Er aber hemmt der Freude Töne,
Und eilt, bezwingend Blick und Mund,
Ihn selber gern, doch murrend jene,
Entläßt am Thor der Höllenhund.

Die Höh'n, wo still die Kindlein spielen,
Dem Mutterherzen früh geraubt;
Das Thal, wo ach! noch immer fühlen,
Die sichern Trost im Tod geglaubt;
Den Myrthenhain, wo unter Klagen
Verlass'ne Liebe einsam schleicht;
Er sieht sie nicht, das Herz voll Zagen,
Ob nicht die Gattin von ihm weicht.

Das Feld, wo waffenlos, verdrossen,
Gefall'ne Helden schweigend geh'n,
Wo ihn der schweren Fahrt Genossen
Mit Geistes Gruß und Kuß umweh'n;
Er strebt hindurch, den Lauf zu enden,
Den schrecklichen, das Auge fest,
Das tausendmal sich möchte wenden:
Ob ihn die Gattin nicht verläßt?

Jetzt in den neunmal dunklen Bogen
Des Styx, versinkt die grause Bahn,
Und auf des Strom's empörten Wogen
Schwankt fürchterlich der morsche Kahn.
Hier muß ein Sprung hinüber tragen!
Hier gilt's des Helden kühnsten Muth!
Ach! aber sie? wie soll sie's wagen
Allein, auf der erzürnten Fluth?

Er wagt's, er muß, und springt hinüber;
Hoch sprüht der dunklen Wasser Strahl;
Und bebt . . . und streckt den Arm herüber
Und schaut sie . . . ach! zum letzten Mal. -
Die Hölle sieht's mit höhn'schem Lachen.
Wie weit er Stimme schickt und Blick,
Fort wallt der rückkehrlose Nachen;
Sie sinkt in ew'ge Nacht zurück.


Aus: Gedichte von Dr. Carl Bernhard Trinius
Mit der Biographie des Verfassers
nach seinem Tode herausgegeben von
zweien seiner Freunde
Berlin 1848 Verlag von G. Reimer (S. 91-96)

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