Liebespaare in der Literatur
 


Andrea Appiani (1754-1817)
Philemon und Baucis

 


Philemon und Baucis
 


Inhaltsverzeichnis:

Ovid - Metamorphosen 8. Buch
Friedrich von Hagedorn (1708-1754) - Fabel: Philemon und Baucis
Johann Heinrich Voß (1751-1826) - Idylle: Philemon und Baucis
Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832) - Aus Faust Teil 2 Fünfter Akt





Ovid - Metamorphosen 8. Buch

(...) Da sprach, nach dem Meere,
Das vor Augen ihm lag, hinschauend, der treffliche Heros:
"Was für ein Ort liegt dort? - und er wies drauf hin - von dem Eiland
Sage den Namen mir an, obwohl nicht eines es scheinet."

Drauf antwortet der Strom: "Nicht eins ist, was wir erblicken;
Fünf Eilande sind dort. In der Weite verschwindet die Trennung.
Daß dich minder das Thun der versäumten Diana verwundre:
Nymphen waren sie sonst, die einst, da sie Farren geschlachtet
Zweimal fünf und die Götter der Flur zu der Feier geladen,
Unser mit nichten gedenk aufführten die festlichen Reigen.
Hoch aufschwoll ich und war so groß, wie wenn ich am vollsten
Walle daher, und gleich unbändig in Zorn und in Wassern
Riß ich vom Walde den Wald, vom Gefilde hinweg das Gefilde,
Und mit der Stätte die nun erst unser gedenkenden Nymphen
Wälzt' ich hinab in das Meer. Mein Strömen und jenes der Meerflut
Riß das verbundene Land von einander und schied es in Stücke
Soviel, wie du gewahrst Echinaden in Mitten der Wogen.

Doch, wie selber du siehst, weit, weit liegt eine der Inseln,
Mir gar teuer, entfernt: Perimele nennt sie der Schiffer.
Liebe vereinigte uns, und ich nahm ihr den Namen der Jungfrau.
Zürnend erkannt' es der Vater Hippodamas, und in die Tiefe
Stieß er zum Tode den Leib der Tochter hinab von der Klippe.
Doch ich fing sie und trug die Schwimmende: "Dreizackträger,
Welchem das zweite der Welt, das Reich der Gewässer geworden, -
Betet' ich - hilf, und ihr, die der Vater versenkte gefühllos,
Gib du Stätte, Neptun, laß wenigstens selber sie Statt sein!"
Während ich sprach, umfing schon Erde die schwimmenden Glieder,
Und dem gewandelten Leib wuchs an ein gewichtiges Eiland."

Still schwieg jetzo der Strom. Tief hatte das Wunderbegebniß
Alle bewegt. Der Gläubigen lacht' Ixions Erzeugter,
Trotzigen Sinns, wie er war, und Verächter der Götter, und sagte:
"Mährchen erzählest du da, Achelous, und leihest den Göttern
Allzu große Gewalt, wenn Formen sie geben und nehmen."
Alle entsetzten sich drob und verwarfen die frevlige Rede;
Lelex allen zuvor, an Geiste gereift und an Alter,
Redete so: "Endlos ist des Himmels Gewalt und von Grenzen
Nimmer beengt; stets ward vollführt, was Himmlische wollten.
Daß du dem Zweifel entsagst: Fern stehen auf phrygischem Hügel
Eiche und Linde vereint, umgeben von mäßiger Mauer.
Ich sah selber den Ort, denn nach den pelopischen Fluren,
Die sein Vater beherrscht vor Zeiten, entsandte mich Pittheus.
Nahe dabei ist ein See, ehdem ein bewohntes Gefilde,
Jetzt nur Wasser, ein Sitz sumpfliebender Hühner und Enten.

Dorthin, Sterblichen gleich, kam Jupiter; ledig der Flügel
Kam auch Atlas' Sproß mit dem Vater, der göttliche Herold.
Hunderten nahten sie schon von Häusern und baten um Obdach;
Hunderte schlossen sich zu. Doch eines gewährete Einlaß:
War's auch niedrig und klein und gedeckt mit Stoppeln und Schilfrohr,
Baucis, das biedere Weib, und gleich ihr an Alter Philemon
Waren alldort in der Hütte vereint in den Jahren der Jugend,
Waren gealtert in ihr, und die Armuth offen bekennend
Machten sie diese sich leicht und erträglich mit heiterem Gleichmuth.
Eins ist es auch, ob Herrn, ob Diener du suchst in der Hütte:
Zwei nur machen das Haus, und dieselben befehlen und folgen.

Als nunmehr die Bewohner der Höh' dem bescheidenen Wohnsitz
Waren genaht und gebückt durch die niedrigen Pfosten getreten,
Hieß sie der Greis ausruhen vom Weg auf gebotenem Sessel,
Darob rohes Geweb' erst warf die geschäftige Baucis.
Eifrig zerwühlte sie dann auf dem Herde die lauliche Asche,
Weckete gestrige Glut, mit Blättern sie nährend und dürren
Rinden und fachte sie an zur Flamme mit keuchendem Athem,
Holte gespaltenes Holz und trockenes Reisig vom Boden,
Brach es entzwei und legt' es zurecht um den niedrigen Kessel.
Kohl dann, welchen der Mann im gewässerten Garten gesammelt,
Streifte sie ab. Er nimmt mit der doppelzinkigen Gabel
Oben vom schwarzen Gebälk den rußigen Rücken des Schweines,
Schneidet ein mäßiges Stück alsdann von dem lange bewahrten
Vorrath ab und erweicht das Stück in den kochenden Wellen.
Beide bemühen sich auch mit Gesprächen die Weile zu kürzen,
Daß der Verzug nicht werde gemerkt. Ein buchener Kübel
Hing an der Wand, vom Pflock am verlässigen Öhre gehalten.
Lau mit Wasser gefüllt gibt der den ermüdeten Gliedern
Stärkung im Bad. Von fügsamem Ried hat mitten ein Polster
Inne das Lager, daran das Gestell und die Füße von Weiden.
Darob decken sie jetzt ein Tuch, das über die Ruhbank
Nur zu festlicher Zeit sie breiteten; aber die Decke
War auch ärmlich und alt und würdig des Weidengeflechtes.
Platz nun haben die Zwei. Hier stellt die gegürtete Alte
Zitternd den Tisch; ungleich war aber das dritte der Beine;
Scherben erhöhen das Bein. Als diese die Schiefe beseitigt
Untergelegt, wischt rein den geebneten grünende Minze.

Roh wird jetzo gebracht zweifarbige Frucht der Minerva,
Herbstcornellen sodann, in flüssiger Brühe geborgen,
Rettig, Endivien auch und Milch in verdichteter Masse,
Eier dazu, nur leicht in glimmender Asche gewendet,
Alles in ird'nem Geschirr. Drauf kommt von dem nämlichen Silber
Künstlich bebildert ein Krug auf den Tisch und aus Buchen geschnitzte
Becher, mit gelblichem Wachs in der inneren Höhlung bezogen.
Kurz ist die Frist und es sendet der Herd die dampfenden Speisen.
Dann wird wieder der Wein nicht hoch von Alter geboten
Und, an die Seite gesetzt ein Weilchen, verdrängt von dem Nachtisch.
Nüsse und Feigen gemengt zu runzligen Datteln und Pflaumen,
Duftende Äpfel dazu stehn da in gespreiteten Körbchen,
Auch vom purpurnen Stocke der Reben gesammelte Trauben.
Glänzende Wab' hat mitten die Statt. Noch kommen zu allem
Freundliche Mienen hinzu und ein gern hergebender Wille.

Beide gewahren indes, wie der Krug, so oft er geleert ist,
Wieder allein sich füllt und von selber der Wein sich ergänzet.
Starr da steh'n sie, vom Wunder geschreckt, und die Hände gehoben
Sprechen sie frommes Gebet, der verzagte Philemon und Baucis
Bitten um Nachsicht auch für das Mahl und die schlechte Bewirthung.
Und die alleinige Gans, die dem kleinen Gehöfte zur Hut war,
Schickten die Eigner sich an den göttlichen Gästen zu opfern.
Sie, mit den Flügeln behend, müht lang die vom Alter Gehemmten
Ab und vereitelt ihr Thun; dann schien sie sich endlich zu flüchten
Zu den Unsterblichen selbst. Sie zu tödten verboten die Götter.
"Himmlische - huben sie an - sind wir, und gebührende Strafe
Stehet bevor den Frevlern umher. Euch wird, von dem Unheil
Frei zu bleiben gewährt. Nur geht aus euerer Wohnung;
Unserem Schritt folgt nach, und hinauf zu der Höhe des Berges
Wandert mit uns". Folgsam ist das Paar, und am stützenden Stabe
Sind sie bemüht zu erklimmen den lang ansteigenden Hügel.
So weit, wie ein geschossener Pfeil kann gehen auf einmal,
Waren vom Gipfel sie noch: sie wandten die Augen und sahen
Alles versunken in Sumpf und nur ihr Häuschen geblieben.
Während sie staunen darob und beweinen das Los der Bekannten,
Wandelt die alte sogar für zwei Inwohner zu kleine
Hütte zum Tempel sich um. Als Säulen erscheinen die Stützen;
Gelb erglänzet das Stroh, und das Dach ist prangend von Golde,
Künstlich gemeißelt die Thür und gedeckt mit Marmor das Estrich.
Da sprach also der Sohn des Saturnus mit gütigem Munde:
"Redlicher Greis und Weib, so würdig des redlichen Gatten,
Sagt nun, was ihr euch wünscht." Wie er kurz sich besprochen mit Baucis,
Machte der Greis den Göttern bekannt den gemeinsamen Ratschluß:
"Euere Priester zu sein und eueren Tempel zu hüten
Wünschten wir uns, und weil wir die Jahre verlebten in Eintracht,
Nehme dieselbige Stund' uns fort, und möchte ich niemals
Schauen der Gattin Grab, noch sie mich selber bestatten!"
Was ihr Begehr, traf ein. Sie hatten, so lange sie lebten,
Über den Tempel die Hut. Wie sie einst vor den heiligen Stufen
Standen, von Jahren gebeugt und von Alter, und eben erzählten,
Was mit der Stätte gescheh'n, sah Baucis, wie plötzlich Philemon,
Sah Philemon, der Greis, wie Baucis mit Laub sich bedeckte.
Während um Beider Gesicht schon wuchs in die Höhe der Wipfel,
Wechselten Worte sie noch, so lange sie konnten, und sprachen
Beide zugleich: "Leb wohl, o Gemahl!" und verdeckt vom Gezweige
Ward gleichzeitig ihr Mund. Jetzt noch zeigt Diniäs Bürger
Dort aus Leibern gesproßt die zwei nahstehenden Stämme.
Greise, verlässig im Wort - warum auch sollten sie lügen? -
Haben mir solches erzählt. Ich habe die hangenden Kränze
Selbst an den Ästen geseh'n, und ich weihete frische und sagte:
Fromme sind Himmlischen lieb, und geehrt wird, wer sie geehrt hat."


Aus: Ovids Metamorphosen Band 1 (Buch I.-V.)
übersetzt und erläutert von Reinhart Suchier
Stuttgart Krais & Hoffmann 1862 (S. 94-100)
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Friedrich von Hagedorn (1708-1754)

Fabel: Philemon und Baucis

Poeten wissen tausend Sachen,
Die in dem groben Theil der Welt
Der Wahn und Aberwitz belachen,
Und Einfalt für unmöglich hält.
Wir singen: Boreas muss schweigen;
Der Wald erstaunt; es horcht das Meer;
Und wenn wir uns recht wild erzeigen,
So kömmt der Mond gehorsam her.

Wer untersteht sich, uns zu schimpfen,
Als der nicht Midas Strafe weiss?
Wer macht aus Schiffen schöne Nymphen,
Aus Daphnens Haar ein Lorbeerreis,
Aus Byblis Zähren eine Quelle,
Aus Jupiter Europens Stier?
Wer führt den Orpheus in die Hölle?
Wer hat es wohl gethan, als wir?

Dass Götter zu den Menschen kommen,
Wie Phrygien längst wahr befand,
Beschwuren sonst die alten Frommen,
Und ist nur Dichtern recht bekannt.
Wie zärtlich sie der Welt gewogen,
Lehrt aus Philemon güldner Zeit
Ovidius, der nie gelogen,
Und Swift, der Ruhm der Geistlichkeit.

Weil von der Unterwelt zu den gestirnten Höhen
Die Boten selten richtig gehen,
Als Wanderer, um nicht erkannt zu seyn,
Den Erdkreis selber zu befehlen.
Kurz: es gesellte sich, aus grosser Menschenliebe,
Zum Donnergott der Gott der Diebe.

Der schlaue Jupiter entgieng durch diese Flucht
Der alten Juno Eifersucht,
Die ihm den Nectar längst vergällte,
Und, was er als ein Stier und Schwan,
Und, in der Jugend sonst gethan,
Ihm täglich unter Augen stellte.
Dem Vater folgt Mercur mit kindlichfrohem Muth,
Doch ohne Federhut.

Sie hatten bald, was man die Welt genannt,
Das narrenvolle Rund bis dahin durchgerannt,
Wohin vielleicht nicht ich, noch du, mein Leser, kommen,
Bis an Mäanders fernen Strand.
Als Licht und Tag nun abgenommen,
Erblickten sie, zu ihrer linken Hand,
Ein hohes Schloss, das Üppigkeit und Pracht
Dem Übermuth zum Sitz gemacht.
Hier wohnt, und schweigt ein trotziger Dynast,
Des armen Landes reiche Last,
Der Liebling eines Herrn, dem oft geschätzte Horden
In treuer Blösse zinsbar worden.
Bey diesem suchten itzt die Götter kurze Rast,
Sie stellten sich, nach wahrer Pilger Weise,
Vom Mangel ausgezehrt, ermüdet von der Reise,
Und flehten sehr um Streu und Speise.
Vergebens flehten sie; man wies sie höhnisch ab;
Und als Mercur sich gar ins Schloss begab,
So fand auch er, je mehr er bat:
Nichts sey vermessner, stolzer, kühner,
Als kleiner Herren kleine Diener,
So oft man ihrer nöthig hat.

Sie eilen schnell in manches Reichen Haus,
Allein viel schneller noch heraus.
Noch etwas wird versucht: Sie klopfen an die Hütte,
Die einsam in dem Thale steht.
Hier wiederholt Mercur die Bitte,
Und hier nur wird er nicht verschmäht.

Hier lebet, ohne Missvergnügen,
Und durch die Heilungskraft der Zeit
Von allen Regungen der Eifersucht befreyt,
Ein unbeerbt, zugleich veraltend Paar,
Dem, durch des Schicksal seltnes Fügen,
Der langen Ehe Joch nicht unerträglich war.

Der Mann, Philemon, geht, und nöthigt sie herein,
Führt beyde vor den Herd, heisst beyde fröhlich seyn,
Ruft das geliebte Weib, und Baucis kömmt auf Krücken,
Sie grüsset jeden Gast mit treuem Händedrücken,
Das endlich Jupiter, der wohl zu leben wusste,
Durch einen Kuss vergelten musste.
So ist's, durch einen Kuss; jedoch nur auf die Wangen;
Nicht mit dem Nachdruck und Verlangen,
Womit er oft an Ledens Mund gehangen;
Und gleichwol flösst in ihre Brust
Der träge Kuss recht jugendliche Lust.
Sie stoppelt Scheit und Stroh schon hurtiger zusammen.
Ein Bündel Reiser wird auf dürren Kien gelegt,
Und, als sie Asch' und Kohlen aufgeregt,
Facht, bläst und hustet sie den ganzen Stoss zu Flammen.
Hierauf wird warme Milch, nebst Feld- und Gartenfrüchten,
In irdnen Schüsseln aufgetischt,
Bey ungleich grössrer Lust, als wo das Splitterrichten
Die theuren Bissen würzt, wo Fluch und Wein sich mischt,
Der Schelsucht Auge glüht, der Bosheit Zunge zischt.

Die Fremden besser zu erfreuen,
Umsteckt der milde Wirth den Tisch mit dichten Meyen,
Sucht seinen Witz hervor, der, nach der Landmanns Art,
Mit Worten spielt und kein Gelächter spart,
Und schwatzt vom Ackerbau, vom Wiesewachs, von Saaten;
Wie heuer recht nach Wunsch des Nachbars Korn gerathen.
Frau Baucis aber lehrt der Wittrung Eigenschaft,
Der Seuchen Art, der Kräuter Kraft,
Und sagt den neuen Tischgenossen,
Wie viele Jahr' in ihrer Eh' verflossen;
Wie dieses Dach von Schilf, und den geschwärzten Herd
Ihr langer Fleiss erbaut, und noch kein Fluch beschwert;
Was sie besitzen, was noch fehlt,
Das alles wird itzt her erzehlt;
Auch wie sie neulich erst was herrliches geerbet:
Und was? Ein Trinkgeschirr, das noch nicht abgenützt,
Woran Silen, der sich auf Keltern stützt,
Und mit Satyren zecht, aus Buchenhold geschnitzt:
Auf dessen Deckel sey: Philemon, eingekerbet.
Sie fodert's, und er bringt's, voll Most,
Zum süssen Schluss der Abendkost.

Das frische Nass wird treulich eingesogen;
Doch füllet sich von selbst der Becher wieder an.
Die Alte sieht's bestürzt, es stutzt der Bidermann,
der weder Freund noch Feind in seinem Trunk betrogen.
Nachdem er ihn von neuem ausgebracht,
Hat er auf jeden Gast nunmehr gedoppelt Acht,
Bis Jupiter sich kenntlich macht.

Er sagt: Wir sprechen nicht als Spötter;
Vernehmt die Wahrheit: Wir sind Götter.
Herr Wirth, Frau Wirthinn, glaubt es nur:
Ich bin der Zevs, er ist Mercur.
Ihr zweifelt? Können Götter lügen?
Wisst: Ich kann donnern, er kann fliegen.

Philemon schielt ihn an. Ein Strahl vom innern Licht
Erheitert seinen Blick: er glaubt, und klügelt nicht.
Ein heilger Schauer fährt durch Baucis kalte Glieder.
Sie sehn im Gast den Gott, und fallen vor ihm nieder.
Ihr Götter! sagt der Greis, wie gütig nahmt ihr an,
Was euch die Dürftigkeit wohlmeynend reichen kann.
Es ist kein Sterblicher an Glück uns gleich zu nennen:
O hätten wir nach Wunsch euch itzt bewirthen können!
Doch aller Überfluss im schönsten Speisesaal
Ist mangelhaft und schlecht zu einem Göttermahl.
Wo solche Gäste selbst die Tafel schmücken wollen,
Muss Erde, Meer und Luft die besten Schüsseln zollen.

Es tagt, und Majens Sohn führt das entzückte Paar
Den hohen Berg hinan, der in der Nähe war.
Hier spricht der Donnergott: Der Bosheit Lauf zu hemmen,
Soll der Mäanderfluss die Frevler überschwemmen.
Er winkt; der Strom gehorcht, Man sieht das Schloss, das Land,
Wo sich kein liebreich Aug' auf fremde Noth gewandt,
Von Wind und Fluth bestürmt, mit Schrecken untergehen.
Philemons Wohnung bleibt auf einer Insel stehen;
Doch nicht als Hütte mehr. Was Schilf, was irden war,
Wird Marmor oder Gold; ihr Tischchen zum Altar;
Die Kann' ein Opferkelch; die Pfosten werden Säulen;
Und, mehr Bequemlichkeit dem Tempel zu ertheilen,
Ihr Bett ein Kirchensitz, der noch, nach alter Kraft,
Die Hörer gähnen lehrt, und oft den Schlaf verschafft.

Diess grosse Wunderwerk erweckt den treuen Beyden
Verwirrung, stumme Lust und ehrfurchtreiche Freuden,
Erstaunen, Dankbarkeit und neue Zuversicht,
Bis unser Phrygier das Schweigen unterbricht:
Ach! mögte Jupiter mich Armen würdig finden,
In diesem neuen Bau die Opfer anzuzünden,
 Des Lebens Überrest, als Priester, ihm zu weihn!
O sollt' ihm diese Hand den ersten Weihrauch streun!

Der Gott erhöret ihn, und will ihm auch vergönnen,
Nebst ihr noch einen Wunsch ohn' Anstand thun zu können.
Falls, ruft Philemon aus, ein Flehen dir gefällt,
Das itzt die Liebe wagt, die uns zuerst gesellt;
Wird mir und Baucis einst der Tod zugleich erscheinen,
Und keines je von uns des andern Grab beweinen!
Der Wunsch der Zärtlichkeit, der Wünsche Widerspiel,
Die oft der Ehstand heckt, erreicht sein edles Ziel.
Der Götter Gunst verspricht's. Ein Donner lässt sich hören;
Der Blitz zertheilt die Luft; Zevs eilt durch alle Sphären.

Hievon verbreitet sich der bald erschollne Ruhm,
Und jedermann besucht das neue Heiligthum;
Zum Theil, Philemon selbst um alles zu befragen;
Zum Theil, aus frommer Pflicht ihm Gaben anzutragen,
Die er, voll Beruf, den ihm sein Glück bestimmt,
Mit priesterlicher Hand oft abweist, öfter nimmt.

An einem Feyertag', als er im Vorhof gehet,
Und Reisenden erzehlt, woher der Bau entstehet,
Verwandelt sich sein Haubt; zu Blättern wird das Haar;
Den Leib deckt Rind und Mooss, und Baucis wird's gewahr,
Und suchet, doch umsonst, ihm ihre Hand zu reichen.
Sie wird zum Lindenbaum, so wie ihr Mann zur Eichen.
Der wohlerfüllte Wunsch ist ihrer Treue Lohn,
Und jeder Vater zeigt die Bäume seinem Sohn.
Man siehet ihre Zweig' am allerschönsten grünen,
Und vielen Liebenden mit holdem Schatten dienen.
Der Ruf legt' ihnen bald die Zauberwürkung bey:
Hier reizte Laub und Gras zur süssen Buhlerey,
Man sagt gar, dass allhier auch spröde Schäferinnen
Das Schmeicheln, und zuletzt den Schmeichler liebgewinnen;
Dass manche, deren Stolz den Hirten widerstand,
Zum erstenmal ihr Herz hier voller Mitleid fand;
Dass einer Phyllis Kuss den Lycas hier beglücket,
Und er sie drauf gelehrt, was noch weit mehr entzücket.
Der nächste Lenz verrieth die ihm erzeigte Huld,
Der Baum, der arme Baum, nicht Phyllis, trug die Schuld.
Die Mutter hätte bald Philemon nebst der Frauen,
Wenn Zevs sie nicht beschützt, erbärmlich abgehauen.


Aus: Sämmtliche Poetische Werke
des Herrn Friedrich von Hagedorn
II. Theil: Fabeln und Erzehlungen Erstes Buch
Wien Gedruckt für Franz Anton Schrämbl
bey Ignaz Alberti 1790 (S. 191-203)
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Johann Heinrich Voß (1751-1826)

Idylle: Philemon und Baucis

Wanderer, fern wohl kamst du in Phrygien, dass du des Tempels
Ruhm noch nimmer gehört, und die heilige Wundergeschichte.
Seze dich hier: denn du scheinst, kraftlos von der Hize des Weges,
Nicht viel weiter zu können, bevor einbreche der Abend:
Hier auf schwellendes Moos, und begnüge dich, dass dir ein Kuhhirt
Von einfältigem Sinn es verkündige. Jeglichen Neumond
Opfert der Priester im Hain, und erzählt dem Volke das Wunder.
Dieser See, wie er sagt, war einst die fruchtbarste Gegend
Phrygiens, reich an Heerden, und reich an mancherlei Feldfrucht,
Reich an Öl und Wein und Honige; jezt wie du schauest,
Treibt nur Kibiz und Taucher sein Werk, und der fischende Reiger,
Auf weitsumpfiger Flut, und der einsame Nachen des Anglers.
Woher, fragt dein Gesicht, die Verwandelung? Höre die Antwort.
Jupiter wandelte hier und Merkur in sterblicher Bildung,
Dass sie den Übermut und die Frömmigkeit jenes Geschlechtes
Prüfeten: denn nicht Opfer, nur Handlungen ehren die Gottheit.
Müden Fremdlingen gleich, begrüssten sie jeglichen Landhof,
Der die gesegnete Flur durchschimmerte, flehend um Brosam,
Oder um kühlende Milch, und ein Obdach gegen den Nachtsturm:
Aber bei allen umsonst. Hier hemmeten Schlösser und Riegel,
Dort ein geiziger Vogt; dort schmähte der Wirt aus dem Fenster,
Oder die Magd, und drohte den Hund von der Kette zu lösen.
Schon am Ende der Flur, im Beginn aufstarrender Hügel,
Sahn sie ein niedriges Häuschen, gedeckt mit Halmen und Schilfrohr;
Vorn von Bäumen umgrünt: wo der Greis Philemon und Baucis
Wohnte, sein redliches Weib, gleichalterig, gleicher Gesinnung.
Hier durchlebeten beide die blühenden Tage der Jugend,
Hier auch naheten beide dem sanft auflösenden Alter,
Weder mit Wunsch des Todes noch Furcht, nein ruhig erwartend
Ihr vollendendes Ziel: mit wenigem lebten sie sparsam,
Fleissig und immer vergnügt, in unverleugneter Armut.
Kinder fehlten allein den glücklichen; aber sie trugen
Demutsvoll, was der Rath allgütiger Götter verhänget.
Fragen durft' auch keiner nach Herrschaft oder Gesinde;
Zwei war das sämtliche Haus, und statt des Befehls und Gehorsams,
Galt nur liebender Wunsch, und nicht theillose Vollendung.

Als der Donnerer nun die winzige Hütte betrachtet,
Und sich gefreut, wie vom Anger die wiederkäuende Kuh ihn
Anschnob, ruhig gestreckt, und ein Zickelchen oben vom Felsen
Ihn neugierig erforscht', sie fodert' es laubiges Reisig;
Jezo trat er gebückt mit dem Sohn in das niedrige Pförtlein.
Freundlich erhob sich der Greis, und warf das Geflecht aus den Händen,
Welches der Bienenjugend er wölbete, und sie begrüssend
Bot er dem älteren Gaste den eigenen Sessel zum Ausruhn;
Während die Frau, mit der Spindel beschäftiget, gerne dem jüngern
Auswich, und ihr Stühlchen mit grobem Geweb' ihm bedeckte.
Sie nun trat an den Heerd, und die glimmende Asche zerwühlend,
Weckte sie gestriges Feuer, und legt' um den rauchenden Löschbrand
Säuberlich trockenes Laub, und harzigen Kien und gedörrte
Tannenrind', und blies es mit keichendem Athem in Flammen;
Stieg dann die Leiter empor, und nahm des gesammelten Reisigs,
Knickt' es entzwei, und umhäufte das Kesselchen über dem Dreifuss,
Samt dem irdenen Topfe, der hohl auf Ziegel gestellt war:
Reinlich beid', und gefüllt mit dem sprudelnden Borne des Felsens.
Ämsig rupfte sie jezo des Kohls braungrünliche Blätter,
Kraus' und zart, die der Mann im triebsamen Garten gesammelt,
Spülte sie aber und aber, und schüttete dann in den Kessel.
Jener indess hob schwer den geräucherten Rücken des Schweines
Mit zweizackiger Gaffel, herab von der russigen Latte;
Und nachdem er sein Messer auf sandiger Schwelle gewezet,
Schnitt er mit ärmlicher Mild' ein Stück vom langeschonten
Schulterspeck auswählend, und warfs in den brodelnden Kessel.
Bei dem Geschäfte verkürzten der freundliche Wirt und die Wirtin
Jenen die Zeit mit Gespräch und Erzählungen trauliches Inhalts,
Ohn' erst Wer? und Woher? die ermüdeten Gäste zu fragen:
Von des geerbeten Grundes Ertrag', und den üppigen Nachbarn;
Auch von der einzigen Kuh und den Zickelchen; auch wie der Maulwurf
Heuer im Garten gehaust, und die Raup' und der schädliche Erdfloh;
Dann wie die stechende Sonn' und die streifigen Wolken am Himmel
Sicherlich Regen und Sturm andeuteten nach der Erfahrung.
Hört ihr den Laubfrosch quacken, ihr Fremdlinge? sagete Baucis:
Seid ihr klug, so verweilt, wie ernst auch euer Geschäft ist,
Hier im Trocknen die Nacht, und nehmet vorlieb, was ihr findet!
Neben dem Heerd' auch hing mit dem Öhr' am hölzernen Nagel
Eine buchene Wanne, so blank von der Alten gescheuert,
Wie die Geräthe der Milch; denn Reinlichkeit lag ihr am Herzen.
Diese trägt sie nunmehr vor die Fremdlinge, giesset des Topfes
Siedendes Wasser hinein, auf Ehrenpreiss und Kamillen,
Mengt dann Kühlung der Quelle zum dampfenden, oft mit dem Finger
Prüfend das laue Gemsich; und die seligen Geber des Guten
Senken die Füss' entsohlt in des lieblichen Bades Erfrischung.
Drinnen im Kämmerlein hatte der Greiss zum Lager des Mittags
Weich ein Polster gestopft mit fedrichten Kolben des Teichschilfs,
Über dem weidnen Gestell, das er selbst im Winter geflochten.
Dieses umhüllen sie nun mit Teppichen, die sie gewöhnlich
Nur zum festlichen Mahl ausbreiteten, aber auch diese
Waren schlecht und veraltet, der weidenen Flechte nicht unwerth.
Hierauf ruhn die Götter, Philemons Bitte gewährend.
Zitternd trägt nun Baucis den Ahorntisch aus dem Winkel;
Aber der Tisch, wie sehr sie ihn stellt auf dem höckrichten Estrich,
Wackelte; unter den Fuss, der zu kurz war, steckt sie ein Scherblein.
Jezo schmückt sie die Tafel mit duftenden Blumen und Kräutern
Im vielfarbigen Korb, mit Herbstnarcissen und Krokus,
Aster und Nelk' und Viol', auch Majoran und Lavendel;
Sezt dann Oliven darauf, und eingemachte Kornellen,
Rettiche, und den Salat von Endivien, Reize des Hungers,
Weichen Käs' und Eier, in glühender Asche gewendet:
Alles auf irdnem Geschirr; und ein zierliches Körbchen voll Brotes,
Locker und frisch. Auch bringet der Greis den künstlich geformten
Alten Familienkrug, mit jährigem Moste gefüllet;
Und drei buchene Becher, zu festlichem Schmaus in der Kiste
Aufbewahrt, (denn er selbst und Baucis tranken gemeinsam,)
Bunt geschnitzt, und die Höhlung mit gelbem Wachse gefirnisst.
Aber die ämsige Baucis entfernte sich oft aus der Kammer,
Und besorgte den Heerd hausmütterlich, schürend das Feuer,
Oder den Kohl aufregend, dass nicht anbrennte die Speise,
Auch zur Würz' einmischend Kastanien. Als sie anjezo
Blasend aus heisser Kell' ihn kostete, fand sie ihn völlig
Gar, und hob ihn vom Feuer, und trug in dampfender Schüssel
Ihn zu den Gästen hinein, und nöthigte. Fröhlichen Mutes
Langten die Himmlischen zu, und rühmten das köstliche Gastmahl.
Als nun jene das Herz mit kräftiger Speise gesättigt;
Bringt die geschäftige Baucis den wohlgeordneten Nachtisch.
Lieblich prangt in Körben die Haselnuss und die Wallnuss,
Lieblich der Mandelkern, auch die süsse Feig' und Granate,
Purpurtrauben zu goldnen gesellt, auf geringeltem Weinlaub,
Eine Melon', und Pflaumen, mit zarter Bläue beduftet,
Birnen, lastig gelb, und rothgesprenkelte Äpfel,
Mitten steht ein Teller mit würzigem Scheibenhonig,
Der aus weissem Gewirk hervorquillt. Aber vor allem
Dienet das Mahl zu erfreuen des oft anmahnenden Paares
Heiteres Aug' und Herz, nicht karg mittheilend, noch ungern.
Jezo bemerkt der Greis, dass, wie oft er den Fremdlingen einschenkt,
Doch nicht schwindet der Wein, und der Krug sich immer von neuem
Selbst anfüllt; auch dünkt ihn, der Wein sei besser, denn anfangs.
Staunend sagt er das Wunder der neben ihm sizenden Gattin
Leis' ins Ohr; auch bemerkte sie selbst; mit erschrockenem Antlitz
Heben sie bleich und zitternd die Händ', und flehn zu den Gästen:
Seid uns gnädig, ihr Götter! verzeiht der armen Bewirtung!
Flehns, und springen empor, die einzige Gans, die das Häuschen
Nächtlich vor Dieben bewacht, den himmlischen Gästen zu opfern.
Aber es flattert die schreiende Gans mit erhobenem Fittig
Weit vor den Alten voraus, die schwer arbeitend und langsam
Wanken, die Arme gestreckt; und scheu in die Winkel entflieht sie.
Endlich ereilt sie den Siz der Unsterblichen; jene verbieten
Ihren Tod; und der Vater beginnt mit freundlicher Hoheit:
Wir sind Götter, und kommen, Gericht zu halten des Todes
Über die schwelgende Rotte der Freveler. Aber damit nicht
Ihr unschuldige sterbt mit den schuldigen; rettet euch eilend
Dort auf das hohe Gebirg, und entflieht aus dem Thal des Verderbens!
Rufts, und geht mit dem Sohne voran; ihm folgen die Alten,
Zitternd das Knie', auf Stäbe gestüzt den wankenden Fusstritt.
So die Hügel hinan, und des Bergs pfadlose Verwildrung,
Klimmen sie bang' aufseufzend. Doch jezt nicht weiter vom Gipfel
Mehr entfernt, als flieget der Pfeil von des Jünglinges Bogen,
Hören sie Sturm und Geheul und den Hall dumpfkrachender Donner
Unten im Thal, und ein Brausen, wie hoch aufbrandender Wasser.
Angstvoll wenden die Alten den Blick, und schaun voll Entsezens
Ringsum Flur und Häuser versenkt in die steigende Sündflut,
Die am Gebirg' aufschäumt, und dort mit zerfallenden Trümmern
Strudelte, dort wehklagendes Vieh, dort Menschen umhertrug,
Mütter und Greif' und Mädchen, um Bäume geschmiegt, in Verzweiflung.
Ihre Hütte nur steht auf grün hinschlängelndem Vorland',
Einsam, von Wogen umrauscht, mit friedlich dampfendem Strohdach.
Aber indem sie erstaunt, und der Nachbarn Schicksal bejammernd,
Hinschaun; wandelt die Hütte zum Tempel sich: Seulen von Marmor
Tragen das goldene Dach, und ruhn auf marmornen Stufen.
Betend streckt Philemon die Händ', und die zitternde Baucis
Aber Jupiter spricht mit huldreich lächelndem Antlitz:
Fasse dich, redlicher Greis, und du des redlichen Mannes
Würdiges Weib; wir sind, auch züchtigend, Geber des Guten.
Sagt, wie lohnen wir euchs, dass ihr so freundlich uns aufnahmt?
Also der Donnergott, und athmete selber dem Alten
Mut ins Herz und Vertraun. Mit Baucis redet Philemon
Weniges; und er enthüllt den gemeinsamen Rath voll Demut:
Würdigt uns, Priester zu sein in eurem heiligen Tempel,
Ihr allgüttigen Götter, und weil wir in friedlicher Eintracht
Stets mit einander gelebt, so flehen wir, nehmt uns in Einer
Stund' hinweg, und keiner begrab' einst weinend den andern!
Also beteten sie; und Jupiter winkte Gewährung,
Führte sie dann zum Tempel hinab, und verschwand mit dem Sohne,
Schnell wie ein Wetterstral, in die fernhin donnernden Wolken.
Lange noch lebten sie beid' in des vielgefeierten Tempels
Schattenhain, und pflegten des Heiligthums und des Altars,
Priesterlich; dass in Lieb' und Frömmigkeit wuchsen die Menschen.
Endlich schwach und gedrückt von hohem Alter und schneeweiss,
Sassen sie einst am Abend auf mosigem Steine des Bornes,
Hand in Hand, und redeten viel von den Tagen der Jugend,
Und von der nahen Verjüngung des sanftumwandelnden Todes.
Abendlich ruhte der See, und spiegelte Felsen und Bäume,
Leichtes Gewöls Goldsaum, und die duftige Sichel des Neumonds.
Jezt mit feierlich stiller Bewunderung sahn sie der Sonne
Stralenden Untergang, des heiteren Tages Verkünder,
Über dem schauernden See. Da erfüllte sie herzliche Sehnsucht,
Unterzugehn, wie die Sonne, zu jenem verklärten Aufgang.
Ihnen däucht', als sänken sie um in sanften Schlummer,
Wie er in schwüler Stunde den Wanderer unter des Bächleins
Duftender Erle beschleicht. Doch schnell, in der süssen Betäubung,
Sahn sie bestürzt, wie sie beid' als sprossende Bäum' in den Boden
Wurzelten, Baucis als Linde, bei ihr als Eiche Philemon.
Als nun beid', in dem ängstlichen Traum, die belaubeten Arme
Gegen einander gestreckt, sich mit Inbrunst: Theuerste Baucis,
Lebe wohl! zuriefen, und: Lebe wohl, mein Philemon!
Wars als erwachten sie schnell; und sie wandelten, Jüngling und Jungfrau,
Schöner denn Sterbliche sind, durch blühende Schattengefilde.
Aber Merkur, ein Retter aus Noth abscheidenden Frommen,
Liebevoll in Gestalt des bewirteten Gastes erscheinend,
Führte sie, Hand in Hand, zu der seligen Geister Versammlung.
Dort, o Fremdling, grünen die heiligen Bäum' an dem Ufer
Seit Jahrhunderten schon, hochalterig, nimmer veraltend.
Ländliche Weihegeschenk' umhangen sie: Kränze Verlobter,
Und hochzeitliche Schleier der Bräut', und Locken der Jugend,
Auch Schalmeien der Hirten, die Menschlichkeit sangen und Schönheit.
Hieher trägt die Mutter ihr Kind, und säugt in dem Schatten;
Hier wird der Knabe geweiht zum Jünglinge! hier, wer den Haushalt
Neu beginnt; hier schwört man Gesez und Ordnung und Gleichheit.
Wer dem Schatten sich naht, dem bebt die entzückende Sehnsucht
Wohlzuthun in das Herz, und heisses Vertraun zu den Göttern.
Pflücke dir Blumen des Thals, o Wanderer; dass du in Ehrfurcht
Deinen Kranz aufhängest der Menschlichkeit, und dich belohne
Fröhlicher Mut und Gedeihn; ob du wallfahrst, oder daheim seist!
Rufe das Vieh mit dem Horn, Endymion, aus dem Gebüsche,
Dass wir zur Hürd' eingehn; schon dunkelt es. Aber, du Fremdling,
Hebe die Bürd' auf die Achsel, und folge mir unter mein Strohdach
Dort an der waldigen Bucht, wo des Heerdes Flamm' in der Dämmrung
Lieblich glänzt, und der Rauch am funkelnden Himmel emporwallt.


Aus: Sämtliche Gedichte von Johann Heinrich Voss
Zweiter Theil: Idyllen
Königsberg, MDCCCII [1802]
Bei Friedrich Nicolovius (S. 308-332)
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Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832)

Aus Faust Teil 2 Fünfter Akt

Fünfter Akt
Offene Gegend

WANDRER.
Ja! sie sind's, die dunkeln Linden,
Dort, in ihres Alters Kraft.
Und ich soll sie wiederfinden,
Nach so langer Wanderschaft!
Ist es doch die alte Stelle,
Jene Hütte, die mich barg,
Als die sturmerregte Welle
Mich an jene Dünen warf!
Meine Wirte möcht' ich segnen,
Hilfsbereit, ein wackres Paar,
Das, um heut mir zu begegnen,
Alt schon jener Tage war.
Ach! das waren fromme Leute!
Poch' ich? ruf' ich? - Seid gegrüßt,
Wenn gastfreundlich auch noch heute
Ihr des Wohltuns Glück genießt!

BAUCIS. Mütterchen, sehr alt.
Lieber Kömmling! Leise! Leise!
Ruhe! laß den Gatten ruhn!
Langer Schlaf verleiht dem Greise
Kurzen Wachens rasches Tun.

WANDRER. Sage, Mutter: bist du's eben,
Meinen Dank noch zu empfahn,
Was du für des Jünglings Leben
Mit dem Gatten einst getan?
Bist du Baucis, die geschäftig
Halberstorbnen Mund erquickt?
Der Gatte tritt auf.
Du Philemon, der so kräftig
Meinen Schatz der Flut entrückt?
Eure Flammen raschen Feuers,
Eures Glöckchens Silberlaut,
Jenes grausen Abenteuers
Lösung war euch anvertraut.

Und nun laßt hervor mich treten,
Schaun das grenzenlose Meer;
Laßt mich knieen, laßt mich beten,
Mich bedrängt die Brust so sehr.
Er schreitet vorwärts auf der Düne.

PHILEMON zu Baucis.
Eile nur, den Tisch zu decken,
Wo's im Gärtchen munter blüht.
Laß ihn rennen, ihn erschrecken,
Denn er glaubt nicht, was er sieht.
Neben dem Wandrer stehend.
Das Euch grimmig mißgehandelt,
Wog' auf Woge, schäumend wild,
 Seht als Garten Ihr behandelt,
Seht ein paradiesisch Bild.
Älter, war ich nicht zuhanden,
Hülfreich nicht wie sonst bereit;
Und wie meine Kräfte schwanden,
War auch schon die Woge weit.
Kluger Herren kühne Knechte
Gruben Gräben, dämmten ein,
Schmälerten des Meeres Rechte,
Herrn an seiner Statt zu sein.
Schaue grünend Wies' an Wiese,
Anger, Garten, Dorf und Wald. -
Komm nun aber und genieße,
Denn die Sonne scheidet bald. -
Dort im Fernsten ziehen Segel,
Suchen nächtlich sichern Port.
Kennen doch ihr Nest die Vögel;
Denn jetzt ist der Hafen dort.
So erblickst du in der Weite
Erst des Meeres blauen Saum,
Rechts und links, in aller Breite,
Dichtgedrängt bewohnten Raum.
Am Tische zu drei, im Gärtchen.

BAUCIS. Bleibst du stumm? und keinen Bissen
Bringst du zum verlechzten Mund?

PHILEMON. Möcht' er doch vom Wunder wissen;
Sprichst so gerne, tu's ihm kund.
BAUCIS. Wohl! ein Wunder ist's gewesen!
Läßt mich heut noch nicht in Ruh;
Denn es ging das ganze Wesen
Nicht mit rechten Dingen zu.

PHILEMON. Kann der Kaiser sich versünd'gen,
Der das Ufer ihm verliehn?
Tät's ein Herold nicht verkünd'gen
Schmetternd im Vorüberziehn?
Nicht entfernt von unsern Dünen
Ward der erste Fuß gefaßt,
Zelte, Hütten! - Doch im Grünen
Richtet bald sich ein Palast.

BAUCIS. Tags umsonst die Knechte lärmten,
Hack' und Schaufel, Schlag um Schlag;
Wo die Flämmchen nächtig schwärmten,
Stand ein Damm den andern Tag.
Menschenopfer mußten bluten,
Nachts erscholl des Jammers Qual;
Meerab flossen Feuergluten,
Morgens war es ein Kanal.
Gottlos ist er, ihn gelüstet
Unsre Hütte, unser Hain;
Wie er sich als Nachbar brüstet,
Soll man untertänig sein.

PHILEMON. Hat er uns doch angeboten
Schönes Gut im neuen Land!
BAUCIS. Traue nicht dem Wasserboden,
 Halt auf deiner Höhe stand!

PHILEMON. Laßt uns zur Kapelle treten,
Letzten Sonnenblick zu schaun!
Laßt uns läuten, knieen, beten
Und dem alten Gott vertraun!

Aus: Goethe Faust Der Tragödie erster und zweiter Teil Urfaust
Herausgegeben  und kommentiert von Erich Trunz
Verlag C. H. Beck München 1999 (S. 333-335)
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