Liebessonette ausländischer Dichter und Dichterinnen
(in deutscher Übersetzung)

 



Neroccio de'Landi (1445-1500)
Porträt einer Dame (1480)





 




Charles Baudelaire (1821-1867)

(In der Übersetzung von Stefan George)



XXIII.
FREMDLÄNDISCHER DUFT

Wenn sich mein auge schliesst am sommerabend
Und deines heissen busens duft mich lezt
Dann bin ich in ein selig reich versezt.
An immer gleicher sonnenglut sich labend

Ein träges eiland das Natur beglückt
Mit seltnen bäumen früchten süsser säfte
Mit männern schlanken leibes voller kräfte
Und frauen deren auge freimut schmückt.

An wunderbarem strand bin ich zu gast ·
Im weiten hafen drängt sich mast an mast
Noch von der reise müh ein wenig düster ·

Indes vom grünen tarnarindengang
Entschwebt ein duft und dringt mir in die nüster
Vermischt im geiste mit der schiffer sang.

aus: Baudelaire: Die Blumen des Bösen
Umdichtungen von Stefan George
Sechste Auflage Georg Bondi Berlin 1922 (S. 43)

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XXXIX.
EINE ERSCHEINUNG

2. DER DUFT

Mein leser · hast du einmal eingesogen
Mit wollust nach des feinen schwelgers brauch
Das weihrauchkorn in eines domes bogen
Und eines kissens matten amberhauch?

O tiefer reiz wenn das vergangne wieder
Zum leben auferwacht und uns berückt
Und wenn der freund um der geliebten glieder
Die zarte blume der erinnrung pflückt!

Aus ihren biegsamen und schweren haaren
(Die weihrauch-rost und ambra-kissen waren)
Entschwebte wilder trotziger geruch ·

Aus ihrer kleider sammt- und seidentuch
Ganz überhaucht von reinem jugendschmelze
Befreite sich ein duft wie duft der pelze.

aus: Baudelaire: Die Blumen des Bösen
Umdichtungen von Stefan George
Sechste Auflage Georg Bondi Berlin 1922 (S. 55)

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LXVI.
HERBST-SONETT

Dein auge klar kristallen birgt die frage:
Weshalb · seltsamer freund · bin ich dir lieb?
Sei schön und schweig! in meinem gram ertrage
Ich nur des tieres unumhüllten trieb.

Die du in lange schlummer senkst · ich sage
Vom höllischen geheimnis nichts das blieb ·
Von unheilsworten die die flamme schrieb:
Gift ist mir leidenschaft und geist mir plage.

Liebe mich sanft! aus dunklem heiligtume
Spannt Amor listig des verderbens stahl ·
Ich kenne seiner marterkammern qual:

Schreck wahn und schmach.. o bleiche wiesenblume!
Bist du wie ich nicht auch ein herbstes-strahl ·
O meine weisse meine kalte Blume?


aus: Baudelaire: Die Blumen des Bösen
Umdichtungen von Stefan George
Sechste Auflage Georg Bondi Berlin 1922 (S. 86)

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LXVII.
TRAUER DER MONDGÖTTIN

Heut strahlt der abendgöttin licht geringer.
Wie eine schönheit auf der kissen wust
Die vor dem schlafe mit zerstreutem finger
Leis überspielt die linien ihrer brust

So ruht sie auf den flaumigen lawinen
Im sterben langen schwächen hingegeben ·
Das auge richtend auf die weissen mienen
Die blütengüssen gleich im azur schweben.

Wenn müd und schmachtend sie auf unsre sfäre
Verstohlen manchmal träufelt eine zähre
So naht ein dichter der den schlummer flieht.

Er fängt die zähre auf · die hand als schale ·
Dies stück von farbenspiegelndem opale
Verbirgt er dass die sonne nicht es sieht.

aus: Baudelaire: Die Blumen des Bösen
Umdichtungen von Stefan George
Sechste Auflage Georg Bondi Berlin 1922 (S. 87)

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CXVII.
EINER VORÜBERGEHENDEN

Es tost betäubend in der strassen raum.
Gross schmal in tiefer trauer majestätisch
Erschien ein weib · ihr finger gravitätisch
Erhob und wiegte kleidbesatz und saum ·

Beschwingt und hehr mit einer statue knie.
Ich las · die hände ballend wie im wahne ·
Aus ihrem auge (heimat der orkane):
Mit anmut bannt mit liebe tötet sie.

Ein strahl ... dann nacht! o schöne wesenheit
Die mich mit EINEM blicke neu geboren ·
Kommst du erst wieder in der ewigkeit?

Verändert · fern · zu spät · auf stets verloren!
Du bist mir fremd · ich ward dir nie genannt ·
Dich hätte ich geliebt · dich die's erkannt.

aus: Baudelaire: Die Blumen des Bösen
Umdichtungen von Stefan George
Sechste Auflage Georg Bondi Berlin 1922 (S. 137)

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CXXXII.
DER WEIN DER LIEBENDEN

Prächtig ist heute die weite ·
Stränge und sporen beiseite ·
Reiten wir auf dem wein
In den feenhimmei hinein!

Engel für ewige dauer
Leidend im fieberschauer ·
Durch des morgens blauen kristall
Fort in das leuchtende all!

Wir lehnen uns weich auf den flügel
Des windes der eilt ohne zügel.
Beide voll gleicher lust

Lass schwester uns brust an brust
Fliehn ohne rast und stand
In meiner träume land!

aus: Baudelaire: Die Blumen des Bösen
Umdichtungen von Stefan George
Sechste Auflage Georg Bondi Berlin 1922 (S. 151)
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