Liebessonette ausländischer Dichter und Dichterinnen
(in deutscher Übersetzung)

 



Neroccio de'Landi (1445-1500)
Porträt einer Dame (1480)





 




Dante Alighieri (1256-1321)

(In der Übersetzung von Karl Ludwig Kannegießer und Karl Witte)


Aus der Vita Nuova

Erstes Sonett

All' edle Herzen, die von Lieb' entglommen,
Vor deren Blick erscheinet dies Gedicht,
Sich zu erbitten Antwort und Bericht,
Heiß' ich in Amor, ihrem Herrn, willkommen.

Des Bogens Drittel hatte schon erklommen
Die Zeit, in der erglänzt der Sterne Licht,
Plötzlich von Amor sah ich ein Gesicht,
Woran zu denken noch mich macht beklommen.

Froh schien er mir, mein Herz in seiner Hand,
Und die Gebieterin von ihm getragen,
Schlafend im Arm, gehüllt in ein Gewand.

Er weckte Sie; das Herz dann, das entbrannt,
Gab er zur Speise der Demüthigzagen;
Und alsbald sah ich, wie er weinend schwand.
(S. 3)
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Guido Cavalcanti an Dante Alighieri
Antwort

Dein Auge hat das Hehreste vernommen,
Das Best' und Lieblichste, geb' ich Bericht,
Wenn dir erschien der Herrscher im Gesicht,
Der aller Ehren Herrschaft überkommen.

Dort, wo kein Leid, hat Wohnung er genommen,
Und hält in einer frommen Brust Gericht,
Die er bei Schlaf und Schlummer süß umflicht,
Und ihr das Herz raubt, eh' sie's wahrgenommen.

Er raubte dir das Herz, als er erkannt,
Daß deinen Tod die Herrin anbefohlen,
Und gab Ihr dieses Herz, das Furcht umwand.

Als du bemerktest, daß er trauernd schwand,
Da floh der Schlummer auf beschwingten Sohlen,
Weil itzt sein Gegentheil ihn überwand.
(S. 4)
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Meister Cino von Pistoja an Dante Alighieri
Antwort

Naturgemäß gibt gern wer Lieb' entglommen
Von seinem Herzen seiner Frau Bericht;
Hiervon durch gegenwärtiges Gesicht
Ist Deutung dir durch Amor zugekommen:

Sofern dein flammend Herz zu sich genommen
Die Herrin mit demüthigem Gesicht,
Sie, die verschleiert lang' im Schlaf dem Licht
Ihr Auge schloß, von keiner Noth beklommen.

Froh schien dir Amor, weil er vor dir stand,
Dir gebend, was dem Herzen schuf Behagen,
Indem in Eins er zween Herzen band;

Und als die Liebesschmerzen er erkannt,
Die der Gebieterin er gab zu tragen,
Da weint' er, sie bedauernd, als er schwand.
(S. 5)
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Dante von Majano an Dante Alighieri
Antwort

Worüber du in Frage mich genommen,
Geb' ich bemerkend kürzlich dir Bericht,
Mein Freund, weil Dunkel dich umgibt statt Licht,
Und lasse gern zu dir die Wahrheit kommen.

So sei gekündet denn zu deinem Frommen,
Wenn deinem Geist nicht Muth und Kraft gebricht,
Du mögest waschen Hals dir und Gesicht,
Den Dunst zu scheuchen, der dich übernommen,

Und der dich reden heißt dergleichen Tand;
Und bist mit böser Krankheit du geschlagen,
So wiss', es leidet, glaub' ich, dein Verstand.

So hab' ich meine Meinung dir bekannt,
Und nimmer hab' ich Andres drauf zu sagen,
Bis ich dem Arzt dein Wasser zugesandt.
(S. 6)
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Zweites Sonett

Die ihr auf Amors Pilgerpfaden seid,
O schaut mit Achtsamkeit,
Ob's etwas Härtres gibt, als ich muß leiden?
Ich bitte nur, daß ihr Gehör mir leiht;
Und dann gebt mir Bescheid,
Ob ich nicht Haus und Schlüssel aller Leiden.

Mir gab trotz eigener Werthlosigkeit
Aus reiner Mildigkeit
Amor ein Leben voll von süßen Freuden.
Oft hört' ich hinter mir zu jener Zeit:
"Gott, welche Würdigkeit
Mocht' ihm das Herz mit solcher Anmuth kleiden?"

O wie der frohe Muth mir nun entwich,
Sonst aus dem Schatz der Liebe mich beseelend!
Drum bin ich arm und elend,
Und selbst zu sprechen scheut die Lippe sich
Drum zeig' ich, jene zum Muster wählend,
Die ihre Noth aus Scham verbergen, mich
Zwar heiter äußerlich,
Jedoch im Herzen weinend und mich quälend.
(S. 7)
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Drittes Sonett

Weint, Liebende, denn Amor weint, und höret,
Warum sein Antlitz Thränen reich bethaun.
Amor vernimmt den Weheruf von Fraun,
Ihr schwimmend Aug', die bittrer Gram verzehret.

Hat doch verruchter Tod anitzt verheeret
Ein edles Herz mit seinem Werk voll Graun,
Vernichtend, was lobwürdig nur zu schaun,
An einer Frau, die nie genug man ehret.

Vernehmt, was Amor that zu ihrem Preise:
Ich sah ihn laut und unverholen klagen
Beim todten Bilde, das so hold und schön.

Dann hob er oft den Blick zu Himmels Höhn,
Wohin Ihr Geist schon war emporgetragen,
Die hier geblüht in lieblichheitrer Weise.
(S. 8)
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Viertes Sonett

Verruchter Tod, dem Mitleid nie darf nahn,
Des Schmerzes alter Ahn,
Du Urtheilsspruch, schwer und nicht zu entfliehen,
Du hast dem wehen Herzen Stoff geliehen;
Drum will ich mich bemühen
Zu schmähen dich auf trüber Lebensbahn.

Und daß du nie magst ein'ge Huld empfahn,
Sei von mir kund gethan,
Wie trug und Lug und Frevel dich durchglühen;
Nicht weil die Welt verkennt dein arg Bemühen,
Nein, denen, die noch ziehen
Auf Amors Pfad, zur Warnung vor dem Wahn.

Du hast die Anmuth dieser Welt entrissen
Und was allein den Frauen Preis verleiht:
In holder Jugendzeit
Die Tugend und den Liebreiz soll'n wir missen.

Wer Jene sei, wollt es nicht anders wissen,
Als durch den Ausdruck ihrer Wesenheit.
Wer fern der Seligkeit,
Wird ewig Ihrer auch entbehren müssen.
(S. 9)
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Fünftes Sonett

Nachdenklich reitend vor nicht langer Zeit,
Weil ich die Fahrt nur ungern unternommen,
Gewahrt' ich Amor mir entgegenkommen,
Den Leib umhüllt mit leichtem Pilgerkleid.

Sein Aeußeres bezeugte Dürftigkeit,
Als ob man seine Herrschaft ihm genommen,
Und seufzend schritt er weiter und beklommen,
Gebückt, als wär' ihm jeder Aufblick leid.

Als er mich sah, rief er mich namentlich,
Und sprach: "Aus weiter Ferne komm' ich her,
Wo sich dein Herz befand auf mein Verfügen.

Nimm's, daß es dir gewähre neu Vergnügen!" -
Darauf ward ich von ihm erfüllt so sehr,
Daß er, ich weiß nicht wie, von hinnen wich.
(S. 10)
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Sechstes Sonett

Meine Gedanken sprechen insgesammt
Von Amor, doch ist ungleich, was sie meinen.
Ihm zu gehorchen, mahnen mich die einen,
Von andern wird als Thorheit dies verdammt.

Indeß mit Hoffnung dieser mich entflammt,
Macht jener wiederholentlich mich weinen,
So daß im Mitleidflehn sie nur sich einen,
Von Furcht durchbebt, die aus dem Herzen stammt.

So weiß ich denn nicht, welcher Stoff mir nütze,
Ich möcht', und weiß doch nicht wovon zu sprechen:
Solch Irrsal in der Lieb' ist mir beschieden.

Und will mit Allen ich nun schließen Frieden,
Muß meine Feindin ich um Hülf' ansprechen,
Die Herrin Mitleid, daß sie mich beschütze.
(S. 13)
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Siebentes Sonett

Wenn Ihr mit andern Frauen mich verlacht,
Bedenkt Ihr nicht, o Frau, wie es gekommen,
Daß ich so neues Wesen angenommen,
Hab' ich auf Eure Huld und Anmuth Acht.

Das Mitleid gäb' Euch gegen mich nicht Macht
Zu solcher Grausamkeit, wenn Ihr's vernommen;
Denn, sieht mich Amor Euch so nah, entglommen
Ist dann sein Muth, und sein Vertraun erwacht.

Er schlägt auf meine Geister, die verzagten,
Und tödtet die, und treibt von dannen jene,
Und bleibt, Euch anzuschaun, allein zurück.

Verwandelt fliehet dann mich Euer Blick,
Jedoch nicht so, daß ich nicht das Gestöhne
Vernähme jener jammernden Verjagten.
(S. 14)
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Achtes Sonett

Was in den Sinn mir komm', es ist dahin,
Wann Euer Aug', o holder Stern, mir blinket,
Und Amorn fühl' ich, wenn ich nah Euch bin,
Der: Fleuch! scheust du den Tod, zuruft und winket.

Das Herz erstarret, wo es träumt Gewinn,
Des Herzens Farb' ist's, die das Antlitz schminket,
Indeß in meiner Furcht wahntrunknem Sinn:
Stirb, stirb! der Stein zu rufen selbst mich dünket.

Verrath begehet, wer alsdann mich hört,
Scheut er's die matte Seele zu erquicken;
Zeigt' er auch nur, mitfühl' er meine Noth,

Durch das Erbarmen, das nur Spott zerstört,
Und das wehklaget in den todten Blicken
Der Augen, die sich sehnen nach dem Tod.
(S. 15)
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Neuntes Sonett

Oftmals wird Sinn und Geist mir eingenommen
Von jenen Wehn, die Amor mir ersieht;
Dann sprech' ich wol, weil Mitleid mich beklommen:
Weh mir, daß so Betrübendes geschieht!

Denn Amor hat so schnell mich übernommen,
Daß Athem mir und Leben fast entflieht.
Ein Lebensgeist nur wird mir nicht genommen,
Der, weil von Euch er Kunde gibt, nicht schied.

Dann zwing' ich mich und möchte gern erstehen;
Und aller Kraft entblößt, fast ohne Leben,
Komm' ich, Genesung zu erschaun an Euch.

Doch heb' ich nun den Blick Euch anzusehen,
Beginnt mein Herz zu zittern und zu beben,
Und aus den Pulsen flieht die Seele gleich.
(S. 16)
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Zehntes Sonett

Amor und edles Herz sind streng verbunden,
Sowie der Weis' in seinem Lied es lehrt,
Und dies wird ohne jenen nicht gefunden,
Wie die Vernunft Vernünft'ges nicht entbehrt.

Natur schuf Amorn in der Liebe Stunden
Zum Herrn, und das Herz ward ihm beschert
Zur Wohnung, wo er ruht von Schlaf umwunden,
Der manchmal kurz, bisweilen lange währt.

Schönheit erscheint als edle Frau sodann,
Und reizt das Auge, daß im Herzensraume
Sehnsucht entsteht nach dem, was hold zu schauen.

Und dieses hält so lang' in jenem an,
Bis Amorn es erweckt aus seinem Traume.
Und Gleiches wirkt der wackre Mann bei Frauen.
(S. 20)
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Elftes Sonett

Amor bewohnt Madonna's Augenlicht,
Da Alles, was Sie anschaut, sich verkläret,
Und, wo Sie geht, sich jeder zu Ihr kehret,
Und jedes Herz erbebt, zu dem Sie spricht,

Daß All' erblassen neigend das Gesicht,
Und seufzen ob dem Fehl, der sie beschweret;
Es flieht vor Ihr, was zorn- und stolzbethöret.
Helft mir, Sie preisen, Fraun, ich kann es nicht.

All' Huld und alle Demuthsfüll' erquillt
Im Herzen dessen, dem Sie Rede schenket;
Drum, wer Sie sahe, dem hat Heil begonnen.

Doch, lächelt Sie ein wenig, diese Wonnen
Wer ist, der sie ansagt, der sie nur denket?
Solch Wunder ist es, neu und hulderfüllt.
(S. 21)
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Zwölftes Sonett

Ihr mit dem Demuthsblick, die ihr vor Wehen
Des Herzens niedersenkt der Augen Licht,
Woher? Dem Mitleid scheint unähnlich nicht
Mir eure Farbe! Was ist euch geschehen?

Habt unsre holde Herrin ihr gesehen
Mit Liebesthränen baden ihr Gesicht?
Sprecht, Frauen, was zu mir mein Herz schon spricht,
Da ich euch sehe sonder Tadel gehen.

Und wenn ihr kommt von solchem Wehgeschicke,
O so verweilt bei mir ein wenig hier,
Und, was es sei, o haltet's nicht zurücke!

Mit Thränen, seh ich, tränkt die Augen ihr,
Und seh, ihr kehret mit entstelltem Blicke:
Es bebt das Herz bei solchem Anblick mir.
(S. 22)
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Dreizehntes Sonett

"Bist du es, der so häufig hat erzählet,
Und uns allein, von Ihr, der Holden, Schönen?
Die Stimme zwar erinnert uns an jenen,
Doch die Gestalt, die ehemal'ge, fehlet.

Was weinest du, vom Grame so gequälet,
Daß du auch Andre stimmst zu Trauertönen?
Sahst du Sie weinen, daß dein kläglich Stöhnen
Dein Geist, zu kraftlos, nun nicht länger hehlet?

Laß weinen uns und traurig gehn und kommen!
Der sündigt, der uns will mit Trost begrüßen,
Die Ihr Gespräch, Ihr Weinen wir vernommen.

Da Ihre Mienen solch ein Leid verschließen,
Daß, wer Sie zu betrachten unternommen,
Hinsinken würde todt zu Ihren Füßen."
(S. 23)
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Vierzehntes Sonett

Ich fühlte, wie in meiner Brust erstand
Ein Geist der Lieb' und aus dem Schlaf erwachte,
Sah Amorn dann fernher zu mir gewandt,
So fröhlich, daß nicht ihn zu sehn ich dachte.

Er sprach: "Jetzt mich zu ehren sei zur Hand!"
Und jedes Wort aus seinem Munde lachte.
Indem ich so mit meinem Herren stand
Den Weg betrachtend, der ihn zu uns brachte,

Ließ sich Frau Vanna und Frau Bice schauen.
Ich sahe wandeln sie heran zu mir,
Voran die ein', und drauf die andre Schöne,

Und wenn ich dem Gedächtniß darf vertrauen,
Sprach Amor: "Dies ist Primavera hier,
Und Amor, als mir ähnlich, heißet Jene."
(S. 28)
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Fünfzehntes Sonett

Mit solcher Huld und Anmuth ist geschmücket
Madonna, daß, wem Sie sich grüßend neigt,
Deß Zunge plötzlich stockt und zitternd schweigt,
Und kaum empor zu Ihr sein Auge blicket.

Vernimmt Sie Lobeswort' Ihr nachgeschicket,
So flieht Sie, der an Demuth keine gleicht.
Wol scheint's, daß Sie vom Himmel niedersteigt
Ein Wunder, das die Seligen entzücket.

So zauberisch ist Ihrer Augen Licht,
Daß in das Herz draus eine Süße quillet,
Die nicht begreifet, wer sie nicht erlebet.

Herab von Ihrem Antlitz, scheint es, schwebet
Ein milder Geist, von Amors Huld erfüllet,
Der: Seufze! zu der Seel' im Weggehn spricht.
(S. 29)
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Sechzehntes Sonett

Vollkommne höchste Wonne siehet walten,
Der in der Frauen Schar die meine sieht;
Und die da mit Ihr wandeln, sind gehalten
Zu preisen Gottes Gnade dankerglüht,

Es hat Ihr Reiz so seltene Gewalten,
Daß aus der Frauen Brust der Neid entflieht,
Daß jede deren, die zu Ihr sich halten,
Der Treue, Lieb' und Anmuth Schmuck umblüht.

Ihr Anblick läßt demüthig Alles werden,
Nicht auf Sie selbst blos Ruhm und Ehre lenkend,
Nein, nur durch Sie scheint jedes Ding geweiht.

Und so voll holdem Reiz sind die Geberden,
Daß Jeglicher, der holden Frau gedenkend,
Erseufzen muß durch Amors Süßigkeit.
(S. 30)
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Siebzehntes Sonett

Kommt, höret, wie sich meine Seufzer jagen
(Mitleid gebeut es euch, ihr liebevollen
Gemüther), wenn sie auch nicht Trost mir zollen,
So tödtete mich ohne sie mein Zagen;

Denn meine Augen würden mir versagen
Den Dienst viel öfter, als ich würde wollen,
Ermattet von der Thränen stetem Rollen,
Um weinend zu erleichtern meine Plagen.

Vernehmet, wie sie rufen manchesmal
Die holde Frau, die sie gesehn entschweben
Zu einem Reich, das Ihrer Tugend werth,

Und wie sie nun verschmähen dieses Leben
Im Namen meiner Seele, die voll Qual
All ihres Heiles trauernd nun entbehrt.
(S. 35)
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Achtzehntes Sonett

Im Angedenken war mir aufgegangen
Madonna, deren Hulderhabenheit,
Also gebot's der Herr der Herrlichkeit,
Marias Demuthshimmel hat empfangen.


Im Angedenken war mir aufgegangen
Die holde Frau, der Amor Thränen weiht
Im Augenblick', als seine Mächtigkeit
Euch trieb zu schauen, was ich angefangen.

Amor, bemerkend, daß ich Sie empfangen,
Erwacht' im Herzen, wo nichts wohnt als Leid,
Und sagte zu den Seufzern: "Fliehet weit!"
Und sie erfüllten klagend sein Verlangen.

Sie weinten, als sie sich hinwegbegaben,
Mit einem Ton, bei dem schon oft die Thräne
Des Schmerzes meinem bangen Aug' entbebet.

Die aber, die mit kläglichstem Gestöhne
Davonflohn, riefen: "Geist, hoch und erhaben,
Heut' ist's ein Jahr, da du emporgeschwebet."
(S. 37)
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Neunzehntes Sonett

Es sah mein Auge, welch mitfühlend Leid
In eurem ganzen Wesen sich ausdrückte,
Als euer Aug' auf meine Mienen blickte,
Wozu der Schmerz mich zwingt seit langer Zeit.

Dann ahnt' ich, daß ihr der Beschaffenheit
Des Lebens denket, das so schwer mich drückte,
Also daß bange Furcht mein Herz durchzückte,
Mein Blick verrathe meine Mattigkeit.

Und ich entzog mich euch, bewußt im Geist,
Daß aus dem Herzen schon aufstieg der Thau,
Das, euch erblickend, ruhig nicht geblieben.

Ich sprach darauf von Traurigkeit getrieben:
"Traun, jener Amor ist bei jener Frau,
Der mich mit solchen Thränen gehen heißt."
(S. 38)
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Zwanzigstes Sonett

Der Liebe Farbe wie des Mitleids Wehe
Hat nie ein Frauenangesicht umhüllt
So wunderbar, daß man so oft ein mild
Antlitz und schmerzenvolle Mienen sähe,

Sowie das eure, wenn ich vor euch stehe,
Und ihr gewahret mein betrübtes Bild,
Sodaß durch euch mich der Gedank' erfüllt
Mit großer Furcht, daß nicht mein Herz vergehe.

Ich kann nicht weg die müden Augen kehren,
Daß sie euch nicht anschauten vielemal,
Weil sie zu weinen sich zu innig sehnen,

Und ihr vermehrt so dieser Sehnsucht Qual,
Daß im Verlangen sie sich ganz verzehren,
Doch euer Anblick hemmet ihre Thränen.
(S. 39)
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Einundzwanzigstes Sonett

"Das bittre Weinen, das ihr offenbartet
So manchen langen Tag, ihr Augen mein,
Es flößte oft des Mitleids Thränen ein
Auch fremden Menschen, wie ihr es gewahrtet.

Jetzt scheinet mir's, daß ihr nicht Treu bewahrtet,
Könnt' ich so ruchlos und so schändlich sein,
Und nicht an Die euch mahnen mit Bedräun,
Für Die ihr eure Thränen sonst nicht spartet.

Die Eitelkeit, von der ihr seid besessen,
Flößt mir Besorgniß ein und Furcht und Beben
Vor einer Jungfrau Blick, die euch beschaut.

Ihr solltet nie, so lang' ihr seid im Leben,
Madonna, die gestorben ist, vergessen."
So spricht mein Herz in mir; dann seufzt es laut.
(S. 40)
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Zweiundzwanzigstes Sonett

Ein lieblicher Gedanke tritt oft ein
Bei mir, um mich von euch zu unterhalten,
Und süß Gespräch von Amor zu entfalten,
Daß gern mit ihm das Herz stimmt überein.

Die Seele spricht: "O Herz, wer mag es sein,
Der unsern Schmerz durch Trost will umgestalten,
Und stehn ihm zu so mächtige Gewalten,
Daß kein Gedank' uns naht als er allein?"

Es gibt ihr Antwort: ""Seele, gramdurchdrungen,
Vernimm, dies ist ein neuer Geist der Liebe,
Der seine Neigungen mir nicht verhehlt.

Sein Leben ist und seine starken Triebe
Den Augen jener milden Frau entsprungen,
Die über unsre Leiden selbst sich quält.""
(S. 41)
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Dreiundzwanzigstes Sonett

Weh mir! Solch eine Schar von Seufzern schicket
Das Herz hervor aus der Gedanken Heer,
Daß meine Augen matt sind und nicht mehr
Den anschaun können, welcher sie anblicket,

Und nur ein Doppelwunsch sich drinn ausdrücket,
Zu weinen und zu äußern die Beschwer;
Und gar nicht selten weinen sie so sehr,
Daß Amor mit dem Marterkranz sie schmücket.

Und die Gedanken dann und Seufzer üben
So quälende Gewalt in meinem Herzen,
Daß Amor dort erstarrt von Qualgefühl;

Denn in sich tragen jene, voller Schmerzen,
Madonna's süßen Namenszug geschrieben,
Und Jammerwort' um Ihr Verscheiden viel.
(S. 42)
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Vierundzwanzigstes Sonett

O Pilger, die ihr geht in euch versenket,
Um das wol, was dem Blick nicht mehr erscheint,
Kommt ihr aus solcher Ferne, wie man meint,
Wenn eurem Aeußern man Betrachtung schenket?

Denn ohne Thränen eure Schritte lenket
Ihr mitten durch die Stadt, die klagt und weint,
Wie Leute, denen fremd geblieben scheint,
Welch eine schwere Schickung uns gekränket.

Wenn ihr verweilt und mich vernehmen wollt,
So gibt mein seufzend Herz mir Sicherheit,
Daß ihr mit Thränen wieder geht von hinnen.

Um ihre Beatrice trägt sie Leid,
Und wer dem nach Vermögen Worte zollt,
Macht Thränen einem Jeglichen entrinnen.
(S. 43)
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Fünfundzwanzigstes Sonett

Jenseit der Sphäre, die am weitsten kreist,
Dringt mancher Seufzer, der der Brust entwehet,
Indem die neue Einsicht, ausgesäet
Von thränenvoller Lieb', ihn aufwärts reißt.

Kommt er dort an, wohin die Sehnsucht weist,
So schaut die Herrin er, die Ehr' empfähet,
Und die so große Helligkeit umfähet,
Daß durch den Glanz sie schaut der fremde Geist.

Solch Anschaun ist's, daß, gibt er mir Bericht,
Ich's nicht versteh', so spricht er unvernehmlich
Zum wehen Herzen, das ihn reden hieß.

Von Ihr, der wonniglichen, spricht er nämlich,
Denn, weil er häufig: "Beatrice!" spricht,
Ist dies mir, theure Fraun, nicht ungewiß.
(S. 44)
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übersetzt von Karl Ludwig Kannegießer (1781-1861)
und Karl Witte (1800-1883)

Aus: Dante Alighier's lyrische Gedichte
Übersetzt und erläutert von
Karl Ludwig Kannegießer und Karl Witte
Zweite, vermehrte und verbesserte Auflage
Erster Theil: Text
Leipzig F. A. Brockhaus 1842


 

 

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