Liebessonette ausländischer Dichter und Dichterinnen
(in deutscher Übersetzung)

 



Neroccio de'Landi (1445-1500)
Porträt einer Dame (1480)





 




Philipp Sidney (1554-1586)

(In der Übersetzung von Johann Gottlob Regis und Otto Ludwig Heubner)


Sonette

I.
Wie mit so schwerem Tritt, o Mond, seh' ich dich tauchen
Am Firmament herauf, wie stumm, wie bleich!
Wie! könnt es sein, dass selbst im Himmelreich
Der flinke Schütz den scharfen Pfeil darf brauchen?

Traun, wenn mit Liebe lang vertraute Augen
Sich d'rauf verstehn, dann macht die Liebe weich!
Ich les' es dir im Blick; dem Träumer gleich
Fühlst du wie ich. Dir kann kein Fürwand taugen.

So sag', o Mond, mein Leidgefährte, mir:
Gilt dort auch für ein Wahnsinn treues Lieben?
Sind dort die Schönen auch so stolz wie hier,

Dass sie wohl Liebe mögen, doch betrüben
Mit Hohn den, der dies Lieben ihnen weiht?
Nennt man dort Tugend auch Undankbarkeit?


II.
O Kuss, du Spender röthlicher Juwelen,
Wie? oder neuer Paradiesesfrüchte?
Der du mit Süssigkeit durchströmst die Seelen,
Den stummen Mund lehrst edlere Gedichte:

O Kuss, in dess Natur-Bann, zauberdichte,
Mit Geistern Geister selber sich vermählen,
Wie gern liess ich dich schau'n im hellsten Lichte,
Könnt' ich auch nur ein Theil von dir erzählen!

Doch Sie verbeut's; erröthend spricht ihr Mund,
Sie bau' ihr Lob auf ehrenwerthern Grund,
Doch mein Herz brennt, ich kann das Wort nicht missen.

Drum liebes Leben, wenn ich still sein soll,
Und doch nicht ruhn kann, vor Entzücken toll,
Musst du mich stillend, immer, immer küssen.
(S. 83-84)

Übersetzt von Johann Gottlob Regis (1791-1854)

Aus: England und Amerika Fünf Bücher englischer
und amerikanischer Gedichte
von den Anfängen bis auf die Gegenwart
In deutschen Übersetzungen
Chronologisch geordnet mit litterarhistorisch-kritischen
Notizen und einer Einleitung
von Julius Hart
Minden i. W. J. C. C. Brun's Verlag 1885
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Sonett

Komm, Schlaf, o Schlaf, du sichre Friedensblüthe,
Du Einkehr für den Geist, du Trost in Pein,
Im Elend Glücks-, im Kerker Freiheits-Mythe,
Du gleicher Richter zwischen Groß und Klein;

Mit deinem Schirm und Schild halt' ab und hüte,
Laß der Verzweiflung Pfeile nicht herein;
Den Streit im Herzen schlichte mir dein Friede;
Mit Hab und Gut will ich dir pflichtig sein.

Das weichste Kissen nimm, das weichste Bett;
Ein Stübchen taub für Lärm und blind für Licht;
Ein müdes Haupt und Rosenkränze nett.

Rührt deine träge Gunst dies Alles nicht,
Weil dir's zu Recht gebührt, so zeig' ich dir
Treuer wie nirgends Stella's Bild in mir.
(S. 23)

Übersetzt von Otto Ludwig Heubner (1856)

Aus: Englische Dichter Eine Auswahl englischer Dichtungen
mit deutscher Übersetzung
von O. L. H ...r [Otto Ludwig Heubner]
Leipzig Verlag von Georg Wigand 1856

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Landstraße, heil'ger mir als Tempe's Gründe,
Wo ich zum Lied, dem doch zwei Herzen glühn -
Nach Rosseshufschlag Wortguirlanden winde,
Weit lieber, als nach Kammer-Melodien -

Zu Ihr, wo ich mein Herz gern ließ und finde,
Glückvolle, trage mich Beglückten hin,
Und Gruß und Dank und Wunsch, zum Angebinde,
Sei dir von mir und meinem Lied verliehn.

Gemeine Sorge mag dein Lob dir wahren;
Nicht Zeit, noch böser Wille schade dir,
Nicht Blut, noch Missethat magst du befahren.

O, laß dir sagen, sieh! nicht neid' ich dir
Das Höchste, will dich so gesegnet wissen:
Sollst Hundert Jahr' noch Stella's Füße küssen.
(S. 23)

Übersetzt von Otto Ludwig Heubner (1856)

Aus: Englische Dichter Eine Auswahl englischer Dichtungen
mit deutscher Übersetzung
von O. L. H ...r [Otto Ludwig Heubner]
Leipzig Verlag von Georg Wigand 1856

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