Liebessonette ausländischer Dichter und Dichterinnen
(in deutscher Übersetzung)

 



Neroccio de'Landi (1445-1500)
Porträt einer Dame (1480)





 




Hélène Swarth (1859-1941)

(In der Übersetzung von Otto Hauser)



An der Amstel

Die Läufer gleiten übers glatte Feld
Wie über Schnee ein breiter Dohlenflug,
Am Wasser hin zeichnet der Bäume Zug
Schwarz Arabeskenwerk aufs lila Zelt.

Die Amstel wandre ich entlang; mich trug
Selten so leicht mein Fuß, so froh geschwellt.
Was heute mich so ansieht alle Welt?
Um sein Geheimnis bangt mein Herz mit Fug.

O Flammen, schlagt aus meinem Angesicht
In Rosenglut, aus meinen Augen mir
In blauen Funken! Länger berg ich's nicht.

Mein Atem weckt mir einen Lenz ringsum,
Mein Schritt verrät mich, bleibt mein Mund auch stumm,
Nun all mein Sein nicht "Ich" mehr sagt, nein "Wir".

Aus: Helene Swarth Sonette
Aus dem Niederländischen von Otto Hauser [1876-1944]
Alexander Duncker Verlag Weimar MCMXIV (1914) (S. 5)

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Liebe

I.
Ich schritt auf mond- und sonnenlosem Pfad
Längs einer Felswand hin; nach kurzem Stücke
Sah ich, wie plötzlich sich ein Schlund auftat,
Daß ich nicht vorwärts konnte noch zurücke.

Und Todesangst befiel mich, ohne Rat
Stand ich und rief: "Wer baut mir eine Brücke?"
Und zur Verzweiflung mir, voll Hohn und Tücke,
Scholl wider nur der Ruf vom fernen Grat.

Da sah ich mir ein marmorn Antlitz nah
Mit dunkeln Augen, leuchtend in der Nacht,
Und eine Stimme, leise, doch voll Macht,

Sprach: "Schlingst vertrauend du den Arm um mich,
Trag' ich dich übern Abgrund!" - Schweigend da
Schlang wie ein Kind um ihn die Arme ich.


II.
Ich hörte rauschen nur den Flügelschlag,
Sonst nichts. Ich frug: "Wer bist du? Denn bei dir
Fühl' ich so froh mich und so sicher hier,
Als hätt' ich nicht gelebt vor diesem Tag."

Er schwieg, und übern Abgrund schwebten wir.
Da weint' ich, denn, der ihm im Auge lag,
Der Wehmutborn floß über. "Engel, sag,"
Frug ich aufs neu, "gilt diese Träne mir?"

Nach einer Weile sprach er: "Ja, ich weine
Um das, was du schon littst in meinem Namen
Und leiden wirst. Sieh, hier bleibst du alleine."

Und als wir dann zu einem Walde kamen,
Küßt' er mir noch die Augen zu . . . Und schwer
Sank ich zur Erde, hört' und sah nicht mehr.

Aus: Helene Swarth Sonette
Aus dem Niederländischen von Otto Hauser [1876-1944]
Alexander Duncker Verlag Weimar MCMXIV (1914) (S. 12-13)

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Liebe und Sünde

Liebe und Sünde sah ich Hand in Hand
Mit roten Rosen in dem goldnen Haar.
Sie winkten freundlich: "Ins Gelobte Land
Komm mit uns mit!" Vor Lust und süßer Fahr

Bebt' ich, und Liebe reichte mir zum Pfand
Still eine große Passiflore dar,
Sünde flocht um mein Haar ein Rosenband.
Ich folgt' und wußte nimmer, wo ich war.

Doch da ich nach dem Weg mich umsah, der
Fern hinter mir im Dunkel sich verlor,
Da sah ich Scham und Reue Hand in Hand.

Und Scham wich hin in einem weißen Flor,
Traurig, und bleich - die Toten sind's nicht mehr -
Zog Reue mit nach dem Gelobten Land.

Aus: Helene Swarth Sonette
Aus dem Niederländischen von Otto Hauser [1876-1944]
Alexander Duncker Verlag Weimar MCMXIV (1914) (S. 24)

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Liebe und Muse

Mich führte Liebe, wo ein Rosenregen
Aufs Haupt mir floß, mit Kuß und Minnesang.
In Wonne schmolz ich; doch mit hartem Klang,
Wie seinen Hund ein Mann forttreibt mit Schlägen,

Sprach sie: "Geh nun; wir scheiden!" Welk da sank
Aus dem Gelock, noch warm von ihrem Segen,
Blume auf Blume mir. Und ich umschlang
Ihr Kleid: "Verlaß mich nicht auf diesen Wegen!"

Doch streng entzog sie sich den Schmeichelbanden
Und ging . . . Lang stund ich wie ein Bild von Stein,
Da aber rauschten Worte auf mich ein.

Die Muse sprach: Folg mir zu schönern Landen!
Da tröst' ich dich mit Saitenspiel und Sang.
Ich fiel zu Füßen ihr und weinte lang.

Aus: Helene Swarth Sonette
Aus dem Niederländischen von Otto Hauser [1876-1944]
Alexander Duncker Verlag Weimar MCMXIV (1914) (S. 26)

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Liebe und Leid

Dann hört' ich an mein Herz voll Heftigkeit
Pochen, und da ich auftat, sah ich zween
Besucher, statt nur eines, vor mir stehn;
In weißem der, jener in schwarzem Kleid.

Ich frug: "Sagt, was ihr bringt und wer ihr seid."
Der weiße sprach: "Weh, die mir widerstehn!
Liebe heiß' ich." Der andre drauf: "Ich Leid."
"Willkommen, Liebe, denn; du, Leid, magst gehn."

Ich wartete, daß ihrer eines scheide,
Doch Liebe wies mir beider Gürtel fest
Verknüpft durch eine Schnur von Diamant.

"Versteinte Tränen bilden dieses Band.
Wähl' Einsamkeit und Haß, wenn nicht uns beide!"
Da wählt' ich Leid, das mich nun nie verläßt.


Aus: Helene Swarth Sonette
Aus dem Niederländischen von Otto Hauser [1876-1944]
Alexander Duncker Verlag Weimar MCMXIV (1914) (S. 28)

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Grausame Liebe

Einst stahl ich einen Funken von der Glut
Des Altars, kühn; an eine Säule mich
Band da der Gott, wählte aus Rosen sich
Ein Dorngebind und kam in stummer Wut.

Ich trug die Gottesschläge mutiglich,
Schrie, klagte nicht, kein Lamm hielt sich so gut,
Vergoß der Opferstahl sein wehrlos Blut.
- In heil'gen Hainen barg sich und verblich

Die Sonne. Vor mir stand der blonde Gott
Funkelnden Augs und sah das Blut, wie's sprang,
Den Altar färbte, mit wollüst'gem Spott.

Doch als die Geißel mich zum Sprechen zwang,
Schleudert' ich ihm ins marmorne Gesicht
Dies wahre Wort: "Haß bist du, Liebe nicht!"

Aus: Helene Swarth Sonette
Aus dem Niederländischen von Otto Hauser [1876-1944]
Alexander Duncker Verlag Weimar MCMXIV (1914) (S. 29)

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