Das Hohe Lied Salomos

In der Nachdichtung von Heinrich Bürmann (1806)

 


Wassily Kandinsky (1866-1944)
Improvisation 209

 




Das Hohelied Salomonis


Erste Handlung
Sie geht vor in Asien, in den ältesten Zeiten,
wo Körperschönheit, Muth und Geistesgaben
das höchste Verdienst waren. Die Gegend ist
ein reizendes Thal mit amphitheatralischen
wolligen Hügeln. Am Rand eines Baches,
von Erlen beschattet, schläft der Geliebte.
Die Braut Sulmis kommt heran, umgeben
von ihren Gespielinnen, welche Blumenkränze
winden, und sich anschicken, den Schlafenden
mit Rosen zu werfen.

Chor der Jungfrauen
Schönste der Weiber, des Edelsten werth,
Dir ist der Liebenden Erster bescheert!

Eine Jungfrau
Morgen er dein und du morgen die Seinige!
Sulmis, des Tapfern gekrönet mit Lob!
Der deine Schönheit in Liedern erhob!
O welch ein Glück ist, Erhabne, das Deinige!

Chor der Jungfrauen
Stören wir scherzend des Reizenden Schlaf,
Dass er nicht wisse die Hand die ihn traf.

Sulmis
Ich beschwör' euch, lasst ihn ruh'n!
Zu dem Scherzen bin ich nun
Viel zu glücklich, viel zu fühlend.
Alles theile mein Gefühl:
Sonne, stral' ihm nicht so schwül,
Lüfte, weht ihm leis' und kühlend.
Da der milde Schlaf ihn stärkt,
Schwestern, lasst uns unbemerkt
Uns an seinem Anblick weiden.
Die ihr Gegenliebe gönnt,
Theilt mein Glück, wenn ihr es könnt;
Spröde, lernet es beneiden.

Chor der Jungfrauen
Schönste der Weiber, des Edelsten werth,
Dir ist der Liebenden Erster bescheert.

Sulmis
Schwester, denkt euch noch mein Glück.
Hehr kam er vom Sieg zurück,
Wie die Sonn' aus den Gewittern:
Liebend fiel sein Blick auf mich,
Ueberwunden war auch ich;
Doch nicht, wie der Feind, mit Zittern.

Schrecklich in dem Schlachtgewühl,
Ist er Sanftmuth und Gefühl,
Wenn kein Panzer ihn bekleidet;
Unsern Feinden löwenwild
Ist im Freundeskreis er mild
Wie die Lämmer, die er weidet.

Chor der Jungfrauen
Schönste der Weiber, des Tapfersten werth,
Dir ist der Beste der Helden bescheert.

Sulmis
Seht die Stirne, wo der Ruhm
In der Künste Heiligthum,
Hold den Stempel aufgedrücket;
Seht das Auge, schön umkränzt,
Das geöffnet Wonne glänzt
Und geschlossen noch entzücket.

Als ich meinen Sieger sah,
Stand er allen Blicken da,
Wie des Bergs umstralter Gipfel:
Um der Wangen Rosenpaar
Wallte sein gelocktes Haar
Wie der Palme stolzer Wipfel.

Chor der Jungfrauen
Schönste der Weiber, des Edelsten werth,
Dir ist der Liebenden Schönster bescheert.

Sulmis
Seht die Brust, die sanft sich hebt,
Wo das beste Herz mir bebt;
Seht die Glieder kühn geründet,
Schlank in Mannesmajestät,
Und . . . doch euer Herz erräth,
Was mein Liebesblick ergründet.

Halt! er träumet! . . . Lauscht und schweigt!
Seiner Lippen Purpur zeigt,
Lächelnd schon verborgne Perlen . . .
Holde Weste, lispelt schwach,
Murmle leiser, Silberbach,
Ruht, ihr Vögel in den Erlen!

Der Geliebte im Traume
Deines Purpurmundes Kuss,
Sulmis, komme mich beglücken,
O er füll' im Segensguss
Meine Lippen mit Entzücken
Und mein Herz mit Allgenuss.

Edoms Wohlgerüche sind
Deinem Athem nicht zu gleichen.
Ihm, des reinsten Balsams Kind,
Muss der Ambranektar weichen,
Der nur Königsgaumen rinnt.

Lieblicher als Blumenpracht,
Sanfter als des Schwanes Flaume,
Ist dein Leib zur Lust gemacht;
Wie die reife Frucht am Baume,
Lockend, reif zur Liebesnacht.

Welche Blum' ist auf der Flur,
Die dir, schönste Blume, gleichet?
Lieblingstochter der Natur,
Deines Körpers Huld erreichet
Deine schöne Seele nur.

Deine Seel' ist rein und hold
Wie die junge Felsenquelle,
Die auf Silberkieseln rollt,
Die der niedlichen Gazelle
Kühlung, Trank und Spiegel zollt.

Freundinn, sieh! im Frühlingsgrün
Opfert was da lebt, der Liebe;
Sieh den Fisch im Bache glüh'n,
Sieh der Vögel gleiche Triebe,
Sieh die Pflanzen Liebe blüh'n.

Komm, da uns ihr Beyspiel winkt,
Kosten wir die Himmelsspeise,
Uns bereitet vom Instinct;
Folgen wir der Väter Weise,
Eh' der Tag der Jugend sinkt.

Lass der Küsse Honigschwarm
Zwischen unsern Lippen schweben,
Um dein Herz für mich so warm:
Wie die Ranke schlanker Reben
Schling' um mich den weichen Arm.

Gönne heisser Liebesgier,
Dass sie Myrtenkränze flechte
Deinem, meinem Haupt zur Zier.
Dich umfange meine Rechte,
Meine Linke kose dir!

Aufgelöst in Wonnelust,
Lass mich ihnen taumelnd kosen
Allen Lilien deiner Brust
Und dem Keime zarter Rosen,
Ihrer Schönheit unbewusst.

Sulmis, Liebe fodert viel;
Gieb der Lust den vollen Zügel:
Steigen wir im Freudenspiel,
Auf der Liebe kühnem Flügel,
Näher zu dem Segenziel.

Wirf ihn ab, der Sprödheit Schild,
Lasse mich das Höchste dürfen:
Lass, o Schönheitsebendbild,
Trunken mich den Honig schlürfen.
Der von deinem Liebreiz quillt.

Brust an Brust und Mund auf Mund
Seelen einen! Götter werden! . . .
Geister in dem Schöpfungsrund,
Macht den Himmeln und den Erden
Meine Flammenliebe kund!

Das Gefühl des Lesers bestimme,
bey welcher Strophe des Geliebten,
der schon glaubte vor dem Traualtare
gewesen zu seyn, die Braut sich mit den
Jungfrauen unter folgendem Gespräche
entfernt hat.

Chor der Jungfrauen
Lasst uns den Holden mit Blumen bedecken,
Mit einem Regen von Rosen ihn wecken.

Sulmis
Kommt, nun ich euch drum beschwöre,
Kommt, damit mein Ohr nicht höre,
Was die Zucht nicht hören darf;
Dass mein Herz mich nicht bethöre,
Meiner Seele Reinheit störe,
Die die Zucht nie von sich warf.

Chor der Jungfrauen
Eilen wir, Edelste! - Kühn und verführend
Kost er im Traum dir, - doch liebend und rührend.

Sulmis
Kommt, entfliehen wir den Gränzen,
Wo der Wollust Flammen glänzen;
Denn ich bin vor Liebe krank:
O zerstreuet mich mit Tänzen,
Bindet mich mit Blumenkränzen,
Kühlet mich mit Palmentrank.

Die Braut und die Jungfrauen sind
abgegangen. Die einfallende Nacht heeret Wolken.
Donnern und Blitzen, das den Träumenden
aufweckt. Zuvoll seiner Empfindungen
taumelt er noch. Die letzten Strophen
kommen lange nach den ersten.

Der Geliebte
Wie! mein Glück war nur ein Traum?
Wahn nur war's was ich empfunden?
Ich umarmte nur den Baum?
Wie der bunte Seifenschaum,
Ist die Herrlichkeit verschwunden
Und mich denket ihrer kaum.

Einsam unterm Erlenstamm,
Bracht' ein Knall mich zum Erwachen . . .
Regen strömet Frost und Schlamm
Auf den sel'gen Bräutigam . . .
Mich entsetzt des Donners Krachen
Und das grause Blitzgeflamm.

In der Elemente Kampf
Schwärmen um mich Schreckenbilder,
Seh' ich wie der Schlachten Dampf,
Halbgewürgter Schmerzenskrampf,
Hör' ich klirren Schwert und Schilder
In der Krieger Zorngestampf.

Doch mein Herz nur kümmerst du . . .
O ich muss zu dir hinüber . . .
Heule, Sturm, wüth' immerzu!
Fern von ihr ist keine Ruh!
Durch den Tod, durch Höll' und drüber,
Eil' ich Sulmens Armen zu.

Der Geliebte verirrt sich in der Dunkelheit.
Nach langem vergeblichem Rennen
und Kämpfen mit dem Sturme,
bleibt er stehen.

Meine Kräfte sind entfloh'n . . .
Nacht und Wetter ohn' Erbarmen
Fesseln mich, des Unglücks Sohn! . . .
Trost! es schweigt der Schreckenton:
Aus des Morgens Rosenarmen
Steigt die Sonn' auf ihren Thron.

Doch wie öd' um mich herum
Nirgend eines Pfades Spuren?
Keine Triften um und um?
Keines Herdenstiers Gebrumm?
Unbekannt sind mir die Fluren,
Die Natur um mich ist stumm.

Hoffnung! jenseits ist der Ort,
Wo die Holde täglich weidet:
Nach dem Myrtenbusche dort,
Wo die Lilie nie verdorrt,
Quelle, von mir oft beneiden,
Rausche meine Wünsche fort.

Wann das Sonnenantlitz sich
Ganz vom Horizont gehoben,
Dann betritt sie diesen Strich . . .
Wie! seit es der Erd' entwich,
Hab' ich tausendmal geschnoben,
Und kein Blick erfreuet mich?

Ach! mein banger Busen bricht . . .
Eile, trautes Weib, versäume
Doch des Trostes Stunde nicht.
Hundertfacher Kummer spricht
Sieh, mich schrecken wilde Träume,
Thränen netzen mein Gesicht.

Eil! ich fühle Todesschmerz
Meine Wangen ganz entfärben:
Liebe, zu dir himmelwärts
Fleht mein kummervolles Herz:
Sie noch einmal seh'n, und sterben
Will ich drum in meinem März!

Vor Müdigkeit und Kummer sinkt
der Geliebte hin. Nach einer Weile
springt er rasch auf mit verwirrten Blicken.

Schon seit ewig langem Gestern
Flieht sie mich im Chor der Schwestern . . .
Sulmis, ach, du liebst mich nicht!
Stärker als der Tod ist Liebe:
Auch kein Meer hemmt ihre Triebe
Und kein Himmel ihre Pflicht.

Engel ganz von Seel' und Leib,
Sulmis, wärst auch du ein Weib,
Das den Treuen scherzend quälet?
Nein! verzeihe, Götterkind:
Nein! in deinem Busen sind
Ewig Treu' und Huld vermählet.

Pause

Hold und sanft! wer kann sie sehen
Und ihr Liebe nicht gestehen?
Hold und sanft! Weib bleibt sie, ach!
Hundert stolze Fürstensöhne
Buhlen um die Allzuschöne:
Weib ist sie, vielleicht auch schwach.

Wer bin ich, den sie gewählt?
Wer, wenn Gröss' und Reichthum zählt?
Diesen sinkt die Wage nieder.
Treue Lieb' und Redlichkeit
Ueberwiegt die Hoheit weit,
Und der Fürst den Sohn der Lieder.

Pause

Tigerargwohn, stirb! dich säugen
Will ich nicht . . . doch überzeugen
Muss ich sein bedrängtes Herz;
Sulmis, ganz dich Engel finden,
Heil an deiner Brust empfinden,
Oder sterben da vor Schmerz.

Pause

Träf' ein schwarzes Ahnen ein . . .
Sulmis untreu . . . o so seyn
Er und Sie des Todes Beute!
Strafen eine Natternbrut,
Rächen mich in ihrem Blut,
Sterben dann, sey Pflicht mir heute!

Fliehet, scheussliche Gedanken!
Eh' wird Erd' und Himmel wanken
Als dass Sulmens Treue bricht.
Sulmis! o sieh meine Reue,
Dass ein Zweifel dich Getreue . . .
Doch noch immer kommst du nicht?


Zweite Handlung

Die Braut irrt herum und
sucht ängstlich den Geliebten

Ach! dass ich ihn konnte lassen!
Dass ich mich so musste hassen!
O! was zwang mich ihn zu flieh'n?
Um von seiner Liebe Ketten
Meine Tugend zu erretten,
Floh ich unbesonnen ihn!

Ohne Kundschaft seines Lebens
Such' ich schon so lang vergebens,
Ihn, den meine Seele liebt.
Lebt er noch? . . . der Sturm war grausend;
Myrten liegen hier zu tausend
Von der Donnerwuth zerstiebt.

Auf den Triften, in den Feldern,
Auf den Bergen, in den Wäldern
Ruf' ich ihm, doch ach, umsonst!
Komm, Geliebter meiner Seele!
Sahst nicht du ihn, Philomele,
Die du dich am Bache sonnst?

Niemand horcht auf meine Fragen . . .
Es verhallen meine Klagen,
Die nur Echo wiedertönt . . .
Still! ein Ton . . . Sein Ton . . . hallt schaurig . . .
Ja, er ist es selbst, der traurig
Dort im Palmenwalde stöhnt.

Der Geliebte im Palmenwalde
erblickt die Braut zwischen den Myrten.
Gram und Eifersucht weichen der Freude.

Der Geliebte
Wer ist die ich kommen seh'
Aus dem heil'gen Myrtenhaine,
Leichter als das junge Reh,
Wie die Wolk' im Mondesscheine,
Wie die Rosenknosp' im Schnee?

Sulmis ist es! Jubelfest!
Sie, die Freundin meines Herzens!
Mein Gebet bracht ihr der West:
Sie erbarmte sich des Schmerzens,
Der mein banges Herz gepresst.

Mein entzücktes Auge sieht
Sulmis, meine Treue, kommen,
Sieht im nassen Augenlied,
In dem schnellen Schritt der Frommen,
Wie sie meine Liebe zieht.

O der matte Lebenssaft,
Der in meinen Adern stockte,
Strömet auf in voller Kraft,
Und auf meine Wangen lockte
Ihn der Freude Leidenschaft!

Sie fliegen einander zu. Hier ist eine Lücke
im Gedichte, die jeder liebender Leser,
doch nur der Liebende, leicht ausfüllen wird.
Er weiss die Erklärungen, die wie die
Mittagssonne, den letzten Nebel zerstäuben;
die heisse Thräne zärtlicher Reue,
dem geliebten Gegenstand Unrecht
gethan zu haben; den Kuss der Vergebung,
der manchmal süsser als der erste Kuss ist;
die Seufzer seliger Wehmuth,
wann zwey Herzen, die sich getrennt glaubten,
an einander beben, und im Uebergusse der
Wonne Raum und Zeit vergessen. -
Das ungewöhnliche Wallen ihres Blutes
bringt endlich die Braut zu sich.
Die zarte Furcht sanfter schamhafter
Weiblichkeit wird rege bey ihr.

Sulmis
Allgeliebter, o vergieb
Nun der Tugend stärkerm Trieb,
Der mich deinem Kuss entreisset
Und die Schwestern suchen heisset.

Wenn die Losen, die gern späh'n,
Mich im Arm des Schönsten säh'n,
O, sie könnten, müssten denken,
Was mich tödlich würde kränken.

Deiner würdig sey dein Weib:
Rein vor Gott an Seel' und Leib,
Nie befleck' an ihr ein Tadel,
Kein Verdacht des Weibes Adel.

Sie entfernt sich, und die Blicke
des glücklichen Geliebten begleiten sie.
Die hohe begeisterte Liebe
singt aus seinem Munde.

Wie die Sonne schöner stralt!
Wie die Flur auf Sulmens Wegen
Sich mit neuen Blumen malt!
Wie die Schöpfung ihr entgegen
Der Bewund'rung Zoll bezahlt!

Ehrfurchtsvoll schweigt jedes Chor;
Winde hören auf zu wehen;
Jedes Wesen drängt sich vor;
Aug' ist alles, sie zu sehen,
Sie zu hören, alles Ohr.

Sulmin schliesst der Wald sich auf,
Neigen sich die Palmenzapfen,
Hemmt der Sprudelbach den Lauf,
Und auf ihrer Füsse Stapfen
Keimen zarte Narden auf.

Wie der Lüfte weiches Blau
Morgens vor entfernten Bergen,
Zeichnet ihr Gewand genau,
Durch ein wechselndes Verbergen,
Jedes Gliedes Götterbau.

Wie der goldne Sonnenstral
In des Schnees Silberflocken,
Wie die Reh' im Lilienthal
Spielen ihre Seidenlocken
Auf dem Busen ohne Zahl.

Wer da wellen sah den Rauch
Und den schlanken Halm gebogen
Von der Lenze sanftem Hauch,
Sah des Busens milde Wogen
Und des Wuchses Schlankheit auch.

Einet Perlen und Korall,
Eint der Balsamweste Fächeln
Mit dem weichsten Flötenhall -
Alles weicht vor Sulmens Lächeln,
Vor der Silberstimme Schall!

Labender als Edens Frucht,
Süsser als nach Sturm und Klippen
Matten Seglern Sonn' und Bucht,
War der Kuss von ihren Lippen,
Voller Liebe, voller Zucht.

Vögel, Herden, machet laut
In dem Thal die Freude hallen,
Meines Glückes Morgen graut:
Zwitschert Liebe, Nachtigallen;
Mich umarmte meine Braut.


Dritte Handlung

Die Braut steht im Kreise der
Jungfrauen, die geschäftig sind sie mit der
Myrtenkrone zu schmücken.
In der Ferne das Volk um einen Altar
unter freyem Himmel, von dem schon der
Weihrauch in Silberwolken emporsteigt.

Sulmis
Hingeschwunden ist des Kummers
Und der Nacht des Sturmes Drang!
Beym Getreu'n zehn Küsse lang,
Lohnte mich; der Rest bezwang
Leicht der Balsam süssen Schlummers.

Holdes duften meine Narden;
O der Vielgeliebte naht!
Sagt, die ihr den Edeln saht,
Kommt er nicht den Rosenpfad
Dort am Berg der Leoparden?

Eine Jungfrau
Ja, er füttert des Himmels Geflügel,
Füttert die Thiere des Feldes am Hügel.
 

Sulmis
Mein Geliebter, du bist gütig,
Du beglückest was da lebt:
Was auf unsern Fluren webt,
Was in Luft und Wasser schwebt,
Alles nennt dich edelmüthig.

Bald wird mich dein Kuss erquicken;
Dann zum Traualtare hin! . . .
Selige die ich doch bin!
Selbst die grösste Königin
Würde neidig auf mich blicken.

Chor der Jungfrauen
Lerne dich kennen, du Preis der Huldinnen,
Würdiger seiner als Erdengöttinnen.

Sulmis
Mich mit schwachem Reiz zu spreissen
Vor euch, Schönen, bin ich scheu:
Durch mein Herz im Lieben neu,
Ihm bis in den Tod getreu,
Bin ich werth nur, Sein zu heissen.

Könntet ihr mein Glück doch theilen!
Allentzückt wie ich doch seyn!
Ganz euch dem Gefühle weih'n:
"Ich bin sein und er ist mein!"
Und darin ein Leben weilen!

Chor der Jungfrauen
Beste der Weiber, geniesse in Frieden
Lange die Wonne, von Gott dir beschieden.

Sulmis
Sein! Wie glorreich ist der Schöne,
Dem mein Herz auf ewig brennt!
Wie die Sonn' am Firmament,
Stralt an Muth er und Talent
Ueber alle Erdensöhne.

Sein! dem ersten aller Männer,
Der mein Glück mit mir geniesst! . . .
O vor Wonneschwermuth fliesst
Thrän' auf Thrän', und still ergiesst
Sich mein Dank dem Herzenskenner!

Chor der Jungfrauen
Thränen des Mitgefühls fliessen den deinen:
Süss ists in wonniger Schwermuth zu weinen.

Ziemlich lange Zwischenzeit,
wo die Trauung feierlich vor dem versammelten
Volke geschieht. Die Braut ist wieder
in Gesellschaft ihrer Gespielinnen,
und der Bräutigam, im Uebergusse
der Freude, ruft Bekannte und Unbekannte zu sich.

Der Geliebte
Jubel! ich hab' ausgeweint!
Juble Taube! juble Rabe!
Seyd willkommen, Freund und Feind!
Kommt, empfanget Kuss und Gabe:
Meines Glückes Mittag scheint,
Kommt und theilt in meine Habe!

Chor der Jünglinge
Blühe dem Besten, zum Lohn seiner Güte,
Rose der Wollust, mit himmlischer Blüthe.

Der Geliebte
Seht sie dort im Mädchenkreis!
Gold, Schmaragden und Sapphiren
Schmücken Sulmens blendend Weiss:
Purpur, Gold und Schmuck verlieren
Auf der Huldinn ihren Preis;
Nichts kann ihre Schönheit zieren.

Von der Segenwolke Schoos
Stralt des Himmels Farbenzone
Majestätisch mild und gross:
So vom hehren Schönheitsthrone,
Lieblich durch sich selber bloss,
Meine Braut, der Mädchen Krone.

Gleich im Frühlingsblumenkranz,
Rosen unter Veilchen prangen,
Wallt sie her im Jungfrau'ntanz:
Die der Schönheit Palm' errangen,
Glänzen nicht vor ihrem Glanz,
Können keinen Blick erlangen.

Chor der Jünglinge
Glücklicher Jüngling, dem Sulmis beschieden
Du nur bist würdig der Ersten hiernieden.

Der Geliebte
umarmt die Braut, die so eben ankommt
Sulmis wiederhole doch
Vor der Erd'- und Himmelschören,
Deinen Schwur, dein Jawort noch!
Seligkeit ist mir's zu hören,
Und im frohen Brustgepoch
Soll mein Herz die Antwort schwören.

Balsam, Narden, Thymian,
Bettet euch zum Liebesbette;
Eilet, Blumen, eilt heran,
Schmückt es alle um die Wette;
Wölbet bunte Bogen an
Ueber unsre Lagerstätte.

Eng, wie wir, umschlinget euch,
Junge duftende Gestäude:
Eurer Zweige Prachtgesträuch
Bau' der Liebe ein Gebäude,
Sage zu der Sonne: "Fleuch!
Sanften Schatten will die Freude."

Chor der Jünglinge und der Jungfrauen
Zu wiederholten Malen, indem sie sich tanzend entfernen
Selige Beide, zerfliesset in Wonne,
Während der Schleier der Nacht euch bedeckt,
Bis euch der Nachtigall Grüssen der Sonne
Zärtlich melodisch zum Freudentag weckt.


Vierte Handlung

Die Laube ist fertig und der Geliebte
beschäftigt noch bloss aus weichem
Moos und Blumen eine Lagerstätte
zu bereiten. Die Braut sitzt vor dem Eingange
und bedeckt ihr glühendes Gesicht
mit beiden Händen: ihr klopfender Busen
macht sich durch Seufzer Luft.

Sulmis
O der Lohn der Liebe naht,
Den mein Herz oft still begehret!
Wie er mich mit Angst beschweret,
Nun sein Anblick näher trat!
Ihm, dem besten, schönsten Mann
Will die Liebe nichts versagen,
Will die Scham kein Jawort wagen:
Weiss ich, was ich will und kann?
Gott, Natur, die ihr mir gabt
Scham der Tugend und Begierde,
Lasst mir ganz des Weibes Zierde,
Wann der Wolluststrom mich labt.

Der Geliebte, freudeglänzend wie der Vollmond
in der Sommernacht, führt die Braut,
die sanft sträubend seinen Feuerkuss erwiedert,
in die wohlduftende Laube, wo die letzten
Stralen der Sonne sich in rosenfarbne
Halbschatten brechen. Und nun zieht der Dichter,
welcher auch geliebet, auch die
unnennbaren Qualen und noch unnennbaren
Freuden der Liebe empfunden hat,
einen Blumenvorhang über die Liebenden.
Kein Auge, es sey denn keusch und ernst,
wag' es durchzublicken!

Der Geliebte
Dankesthränen bet' ich hier,
Gott, dir Urquell aller Liebe.
Meine Sulmis gabst du mir,
Gabst mir Kraft und Flammentriebe;
Alles, Herr, verdank' ich dir.

Ganz nun, Sulmis, bist du mein!
In dem Tempel hier des Kusses
Dürfen wir Vermählte seyn:
Jetzt im Arme des Genusses
Bleibet deine Liebe rein.

Gönne, dass mein gier'ger Blick
Sich an deinen Reizen weide:
Nimm für einen Augenblick
Süsse Scham allein zum Kleide,
Schöner mir als Goldgestick.

Auch kein Poleis bliebe kalt
Bey der freyeren Ergründung
Deiner himmlischen Gestalt,
Deiner Glieder weichen Rundung,
Wo der Grazienumriss wallt.

Blumen, leiht mir eure Pracht,
Sulmens Engelreiz zu schildern.
Geister, die ihr uns bewacht,
Seht mein Glück in Blumenbildern,
Segnet meine Wonnenacht.

Von dem Thal, wo's Veilchen blüht,
Hat die Lust mich hingerissen,
Durch den Schnee, der lieblich glüht,
Auf die Hügel der Narcissen,
Wo die Rose Balsam sprüht.

Mitten im Jesminenbeet,
Wo der Kelch der Tulipane
Ueber Liebesernten steht,
Oeffnet sich die Marmorbahne,
Die durch Liliensaaten geht.

Seligkeit ist mir gewährt!
Ich betrat die Flur der Wonnen,
Die den Winter nicht erfährt,
Wo das Lamm am Nektarbronnen
Sich von Amaranthen nährt.

Sulmens letzte Sprödheit stritt,
Stritt zu schwach; von Blum' auf Blume
Weicht sie meinem Siegerschritt:
Nun vor ihrem Heiligthume
Hemmt sie schüchtern ihren Tritt.

Tretet, Geister, selbst zurück!
Ich begeh' der Liebe Feyer
Mit der Schönheit Meisterstück.
Auch kein Blick nah' sich dem Schleyer,
Kein Gedank' entweih' mein Glück!

Wie vereint in einer Fluth
Junge Felsenquellen scherzen,
Mischen Seufzer sich und Gluth;
Und im Einklang unsrer Herzen
Wallen wir zum höchsten Gut.

Wo der Liebe Allmachthand
Ihres Meisterstücks sich wundert,
Dort war's, wo im Engelstand,
Ich der Wonnetaumel hundert,
Himmel, Gottheit selbst empfand.

O das Glück, das ich genoss,
Muss das Glück weit überschreiten,
Das dem grossen Wesentross
Seit dem Anbeginn der Zeiten,
Aus dem Schooss der Wollust floss!

Herr! durch Liebe dank' ich nur:
Dir, der Seele der Natur,
Kann ich nicht mein Glück vergelten:
Liebend, folg' ich deiner Spur.

Weib, noch diesen Segnungskuss!
Und dann schlafe bis die Sonne
Ihren Thron besteigen muss:
Träume Liebe, träume Wonne,
Und erwache dem Genuss.

Unsichtbares Chor der Schutzgeister
in sanften verhallenden Tönen,
gleich dem Ausklange der Aeolsharfe
Ruhet bis des Himmels Sonne
Ihren Thron besteigen muss:
Träumet Liebe, träumet Wonne,
Und erwachet dem Genuss.


Fünfte Handlung

Aus der Laube, wo der Geliebte
noch schläft, tritt die Braut hervor,
lieblicher als die Morgenröthe,
welche eben der Welt den jungen Tag verkündigt.
Eine sanfte Mattigkeit erhebt noch
ihren Liebreiz. Stilles, feyerliches Gefühl
erfüllt die Blicke des holden Weibes.
Sie fällt auf die Knie nieder.

Sulmis
Dank, allmächt'ger Freudenspender,
Dank für deine Seligkeit!
O dafür seyn dir geweiht
Der empfangnen Freude Pfänder!

Gönn, o Gott der Lieb' und Milde,
Dass die Nacht, die mich entzückt,
Mich im zehnten Mond beglückt
Mit des Gatten Ebenbilde.

Liebe! Wollust! rein, erhaben
In der tugendhaften Brust;
Engel leben eurer Lust,
Welten steh'n durch eure Gaben.

Chor der Schutzgeister
in harmonischem Nachhalle
Liebe! Wollust! rein, erhaben
In der tugendhaften Brust;
Engel leben eurer Lust,
Welten steh'n durch eure Gaben.

Der Geliebte erwacht

ENDE

von Heinrich Bürmann (gest. 1817)

Aus: Sulmis, ein alt-orientalischer
Hochgesang der Liebe
Frankfurt und Leipzig 1806


 

 

 

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