Das Hohe Lied Salomos

In der Übertragung von Johann Christian Döderlein (1784)

 


Wassily Kandinsky (1866-1944)
Improvisation 209

 




Das Hohelied Salomonis

Vornehmstes Lied
Salomo zugeschrieben

Sie
Küßt' er mit einem Kuß von seinem Munde mich!
denn deine Lieb' ist treflicher als Wein!
Bey deiner Salben kostbarsten Geruch
ist wie wie der feinste Balsamduft dein Name.
Drum lieben dich die Mädchen.

Du reisest mich hin: wir ziehn dir nach
als nähm der König in sein Harem mich.
Wir hüpfen frölich um dich her,
besingen deine Liebe mehr als Wein,
mehr als die Dichter, die dich lieben.

Schwarz bin ich, dennoch hübsch,
Jerusalems Schönen,
wie Kedarensche Zelte,
wie Salomons Tapeten.

Entsezt euch nicht, daß ich so schwarz-braun bin:
die Sonne schwärzte mich.
Feindseelig haben meiner Mutter Söhne mich
zur Weinbergshüterin gemacht.
Ich mag den Weinberg, den ich soll, nicht hüten.
Sag, Lieber, mir, wo deine Heerde zieht,
und wo du Mittagslager hältst,
damit ich nicht die Heerden deiner
Nebenhirten überfalle.

Er
Weist du es nicht, der Schönen Schönste,
so zieh der Spur der Heerde nach
und laß deine Ziegenheerden auf der Weide
bey den Hirtengezelten.
Ich gleiche, Freundin, dem Gespan
an Pharaos Wagen dich.
Schön blicken deine Wangen durch die Angehänge,
dein Hals durch Perlenschnüre durch.
Wir schaffen goldne Angehänge dir,
punktirt mit Silber.

Sie
Indeß der König in dem Speißsaal weilt
riech ich in den Duft von meiner Narde.
Ein Myrrhen Sträußgen ist mein Liebling
hingesenkt an meine Brust.
Ein Kopherträubgen ist mein Liebling
aus den Weinbergen Engeddi.

Er
Schön bist, Traute, du.
Schön deine Taubenaugen.

Sie
Schön bist, Trauter, du und reizend.
Unser Sopha ist grüner Mooß.
Unser Hausgebälke Cedern,
Terebinthen unsre Spaziergänge.
Ich bin eine Narcisse Sarons
eine Lilie im Thal.

Er
Wie unter Dornengesträuch die Lilie
so ist meine Traute unter den Mädchen.

Sie
Was unter den Bäumen der Heyde ein Apfelbaum
das ist mein Liebster unter den Jünglingen.
Ich liebe seinen Schatten, weile neben ihm
und seine Frucht ist meinem Munde süß.
Führt' er mich auch zurück
in meinen Weinberg,
Doch ist Liebe sein Trug.
Streut grünes Weinlaub um mich her:
erquickt mit Aepfeln mich.
Doch bin ich krank von Liebe.
Seine Linke unter mein Haupt!
Seine Rechte umfasse mich!

Er
Bey den Gazellen beschwör ich euch
Jerusalems Mädchen;
und bey den Reh'n der Flur;
wekt, stört sie nicht,
die Traute, bis sie will.

Sie
Der Ton von meinem Liebling! Da! er kommt!
Mein Liebling gleichet einem Reh,
gleicht einem jungen Hirsch.
Sieh! Sieh, schon steht er hinter unsern Höhen,
hüpft über die Berge her,
sezt über die Hügel
blikt durch das Fenster,
schimmert durch die Jalousien!
Mein Liebling spricht:
Auf Traute, sagt er zu mir,
Schönste, gehe mit!
Der Winter ist vorbey,
die Regenzeit vorüber, weg.
Die jungen Sprossen sieht man schon
auf den Gefilden.
Die Sangzeit nähert sich: in unsrer Flur
hört man der Turteltaube Girren schon.
Der Feigenbaum würzt seine Früchte,
des Weinstocks neue Blüten duften schon.
Auf, Traute, gehe mit!
Mein Täubgen in den Felsenöfnungen,
In stillen Höhn! Laß deinen Blick mich sehen.
Laß deine Stimm' mich hören!
Denn deine Stimm ist sanft und schön dein Blick.
Fangt mir die Füchse weg, die kleinen Füchse
die Weinbergs Verderber.
Denn unser Weinstock hat schon Blüte.
Mein Liebling ist für mich, und ich für ihn.
Er weidet in Lilienfluren
bis sich der Tag abkühlt, die Schatten fliehn.
Zurücke, schnell wie die Gazelle
gleich einem jungen Hirsch auf dem Gebürge Bether.

Auf meinem Lager Nachts sucht ich ihn auf
den Liebling meines Herzens.
Ich sucht ihn auf und fand ihn nicht.
Ich stund vom Bette auf, durchstrich die Stadt,
sucht auf den Strassen, in den Gassen ihn,
den Liebling meines Herzens:
Ich sucht ihn auf und fand ihn nicht.
Die Wächter, die die Stadt durchstreifen,
traf ich an:

Habt ihr den Liebling meines Herzens nicht gesehn?
Kaum war ich weg, so fand ich ihn
den Liebling meines Herzens.
Ich hielt ihn fest und ließ ihn nicht,
bis ich in meiner Mutter Haus ihn brachte,
in meine mütterliche Kammer.

Er
Bey den Gazellen, Jerusalems Schönen!
und bey den Rehn der Flur!
wekt, stört sie nicht
die Traute, bis sie will.

Wer steigt dort aus der Wüste herauf
wie wallender Rauch,
in Myrrhenduft und Weihrauchduft
mit aller Kunst von Wohlgerüchen?
Sieh dort, das Ruhebett Salomons!
sechzig Helden herum, aus Israels Helden,
jeder die Hand am Schwerd,
jeder im Krieg geübt,
Jeder sein Schwerd an der Hüfte
gegen die Schreken der Nacht.
Ein Prachtbett machte sich der König Salomo
von Cedernholz vom Libanon,
von Silber waren seine Säulen,
von Gold der Fuß, der Siz von Purpur,
Die Liebste unter allen Schönen in Jerusalem
schmükt seine Mitte aus.

Heraus! Schaut, Sions Töchter, froh
den König Salomo im Blumenkranz
womit ihn seine Mutter krönte
am Vermählungstag
an seinem Freudenfest.

Schön bist, Traute, du!
Schön hinter deinem Schleyer deine Taubenaugen.
Dein Haar gleich einer Ziegenheerde,
die längst des Gileads sich lagert,
Die Zähne einer Heerde von ungeschornen Schafen
die aus dem Bade steigen,
alle mit Zwillingspaaren, keines kinderloß.
Wie eine Purpurschnur sind deine Lippen
und deine Sprache reizend.
Wie ein zerschnittner Granatapfel deine Wangen
durch den Schleyer hindurch.

Dein Hals wie Davids Thurm,
gebaut zum Zeugenhaus,
behängt mit tausend Schilden,
lauter Rüstung für Helden.
Zwey Rehen gleichen deine Brüste,
Zwillingsgazellen, die zwischen Lilien
auf der Weide sind.
Bis sich der Tag abkühlt, die Schatten fliehn,
zieh ich zum Myrrhenhügel hin,
zum Weihrauchberg.
Ganz schön bist, Traute, du, und tadelloß.
Du kamst vom Libanon,
Vertraute, kamst mit mir vom Libanon
und bliktest von Amanas Spitze
von Senirs und von Hermons Spize
her aus den Löwenwohnungen,
her aus den Tigergebürgen.
Da raubtest du, mein trautstes
Schwesterchen, mein Herz
raubst mir das Herz durch Eines deiner Augen
durch eine Kette deines Halses.
Wie treflich ists, dich lieben,
trautes Schwesterchen!
O! deine Lieb ist treflicher als Wein,
und deiner Salben Duft als jeder Balsam!
Von deinen Lippen, Trautste,
träufelt Honigseim:
Milch ist und Honig unter deiner Zungen;
Dem Duft vom Libanon gleicht
deiner Kleider Duft.
Der Garte ist verschlossen, bestes Schwesterchen!
Der Garte ist verschlossen.

Die Quelle ist verwahrt.
Deine Gewächse sind Granatwälder
der kostbarsten Früchte voll,
Kopher und Narden, Narde und Safran,
Rohr und Zimmt mit mancherley
Weihrauchstauden,
Myrrhen, Agallochum mit dem edelsten Balsam.

Die Gartenquell' ein Born lebendiges Wassers
das von dem Libanon entspringt.

Sie
Auf Nord, komm Süd! durchhauche meinen Garten!
Schon ist sein Balsam fliesend!
Mein Trauter komme doch zu seinem Garten!
und seiner besten Frucht.

Er
Ich komm zu meinem Garten, trautes Schwesterchen!
und pflücke meine Myrrhen ab mit meinem Balsam:
ich esse meinen Honigseim mit meinem Honig,
ich trinke meinen Wein mit meiner Milch.
Eßt, Freunde, trinkt euch satt, Geliebte!

Sie
Ich schlummere! Doch wacht mein Herz.
Die Stimme meines Lieblings! - Ach! er klopft!
Mach mir auf, geliebtes Schwesterchen!
Mein Täubchen! meine Beste!
Mein Kopf ist voll von Thau:
Meine Loken vom Rieseln der Nacht.

Schon bin ich entkleidet von meinem Gewand,
wie kan ichs anziehn?
Schon hab' ich meine Füsse gewaschen,
wie kan ich sie wieder bestauben?
Mein Liebling stekte durch die Oeffnung seine Hand
daß sich mein ganzes Herz für ihn erschütterte.
Da stund ich auf, zu öfnen meinem Liebling.
Von meinen Händen trofen Myrrhen
von meinen Fingern die edelsten Myrrhen
über den Riegel.
Ich öfnet' meinem Liebling:
Mein Liebling war verschwunden, weg.
Mein Herz verfolgte ihn - hin, wo er sprach.
Ich sucht ihn auf und fand ihn nicht.
Ich rief ihm, aber er antwortete mir nicht.
Die Wächter, die die Stadt durchstreifen,
trafen auf mich hin
und schlugen mich blutig und wund,
die Mauerwächter rissen mir den Schleyer ab.
Euch, Schönen von Jerusalem, beschwöre ich,
treft ihr meinen Liebling an
daß ihrs ihm sagt, ich bin von Liebe krank.

Was hat dein Liebling voraus,
Schönste der Frauen!
Was hat dein Liebling voraus
daß du uns so beschwörst?
Mein Liebling ist glänzend und rot
vor Myriaden ausgezeichnet.
Sein Haupt das feinste Gold
und seine Loken aufgethürmt, und rabenschwarz.
Die Augen, wie Täubchen an Wasserleitungen
gebadet in Milch,
Ihr Siz ein volles Gesicht.
Gleich einem Blumenfeld, Würzbeeten gleich
sind seine Wangen.
Die Lippen Lilien, von denen flüchtige Myrrhe trieft.
Die Hände güldene Cylinder, besät mit
Hyacinthen.
Sein Leib ein helfenbeinern Meisterstük,
bedeket mit Saphiren.
Die Schenkel Marmorsäulen,
gebaut auf goldnen Füssen.
Wie Libanon seine Gestalt,
ausnehmend wie Cedern.
Sein Mund ein Honigfluß,
und alles, alles an ihm wonniglich.
Dieß ist mein Liebling, dieß mein Freund!
Jerusalems Schönen!

Wo gieng dein Liebling hin.
Schönste der Frauen?
Wo zog dein Liebling hin?
Wir suchen ihn mit dir.

Mein Liebling gieng in seinen Garten hin,
zum Blumenfeld
und wird in seinen Gärten weiden,
Blumen pflüken.
Mein Liebling ist für mich und ich für ihn
Er weidet unter Lilien.

Er
Schön bist, Traute, du, wie Tirza,
herrlich wie Jerusalem.
Furchtbar bist du, wie ein Kriegerheer.
Wend deine Augen weg von mir
denn sie verwirren mich.
Dein Haar gleicht einer Ziegenheerde
die längst des Gileads sich lagert.
Die Zähne einer Heerde Schafe,
die aus dem Bade steigen
alle mit Zwillingspaaren, keines kinderloß.
Wie ein getheilter Granatapfel
sind deine Wangen
durch den Schleyer hindurch.

Dort sind sechzig Königinnen
achtzig Concubinen, und Mädchen ohne Zahl.
Mein Täubchen, meine Beste, Eine hier
Ein Muttertöchtergen.
Sie sahn die Mädchen, preisen sie,
die Königinnen und die Concubinen, loben sie.
Wie blikt sie gleich der Morgenröthe her!
Schön wie der Mond, hell wie die Sonne
und furchtbar, wie Kriegerheer!

In den Nußgarten gieng ich,
das grüne Thal zu überschaun;
zu sehn, ob schon der Weinstock sproßt
ob schon der Granatapfel treibt.
Mich ahndet' nichts: Da ängstet ich mich furchtsam
beym Anblick eines edlen Wagenzugs.

Zurük, zurüke, Sulamith, zurük,
zurük, daß wir dich schaun,

Wie schaun sie Sulamith, wie im Heeresjubel!

Wie schön sind deine Schritte in den Schuhen,
Fürstentochter!
Die Wölbung deiner Hüften wie
Kettenwerk von Künstlerhand gemacht.
Dein Schooß wie eine runde Phiale,
reichlich mit Würzwein gefüllt.
Die Brust wie aufgehäufte Weizengarben
umstekt mit Lilien.
Der Brüstepaar wie junge Zwillingsgazellen:
Dein Hals gleich einem Thurm von Elfenbein.
Deine Augen gleich den Teichen
zu Hesbon am Thore Bathrabbim.
Die Nase wie der Thurm auf Libanon
der nach Damaskus schaut.
Dein Haupt auf dir wie Carmel.
Die Loken an dem Haupte
wie des Königs Purpur
in Falten aufgeschürzt.

Wie schön, wie reizend bist du, Traute!
Kind der Wonne!
Dein Wuchs ist einem Palmbaum gleich
und deine Brüste seinen Träubchen.
Ich wünschte: Könnt ich auf den Palmbaum klimmen!
und seine Zweige fassen!
und wären deine Brüste wie die Weinstocks Blüten!
und deiner Nase Duft wie Apfelduft!
und deine Zunge, wie der beste Wein
der sanft zum Liebessang den Dichtern
hinunterschleicht und Greise selbst
zum Sang begeistert.

Sie
Ich bin für meinen Liebling
und eigen seine Liebe mir.
Geh, Trauter, mit aufs Land.
Wir wollen auf den Dörfern wohnen,
mit Tagesanbruch da in Weinberg gehn
und sehn, ob schon der Weinstock Knospen treibt,
die Traubenblüte ausgebrochen ist
und die Granatenbäume blühn.
Da bringe ich dir meine Lieblinge, süß
duftende Dudaim,
bey unserm Eingang lauter Würze - junge, alte:
denn, was ich liebe, hab ich dir gespart.
O! wärest du mein Bruder!
an meiner Mutter Brust gesäugt!
Fänd ich dich auf der Strasse dann,
so küßt' ich dich
und niemand würde drob mich spotten.
Dann führt ich dich in meiner Mutter Hauß,
Sie wieß mich an, mit Würzwein dich
und mit Granaten Most zu tränken.

Seine Linke unter mein Haupt!
Seine Rechte umfasse mich!

Er
Bey den Gazellen, Jerusalems Schönen!
und bey den Rehn der Flur!
Wekt, stört sie nicht,
die Traute, bis sie will.

Wer ist sie, die dort aus der Wüste kommt
und ihren Arm nach ihrem Liebling strekt?

Sie
Ich rufe dich dort hin zum Apfelbaum;
Da brachte deine Mutter dich zur Welt!
Leg wie ein Siegel mich an deine Brust
wie einen Siegelring an deinen Arm.
Denn Liebe ist unüberwindlich, wie der Tod,
und Liebestreu so unerbittlich, als das Todenreich:
und ihre Glut ist Feuerglut
und ihre Flammen Feuer.
Die stärkste Flut löscht nicht die Liebe aus
und Ströme schwemmen sie nicht weg.
Wollt jemand alles, was er hat,
für Liebe geben,
man spottet' sein.

Die Brüder
Gering, nicht mannbar noch ist unsre Schwester.
Was machen wir mit unsrer Schwester,
wenn jemand um sie freyt?
Wird sie wie eine Mauer, so bauen wir
auf sie ein silbern Bollwerk.
Wird sie wie eine Pforte,
so legen wir sie ein mit Cedernholz.

Sie
Ich bin wie eine Mauer: und meine Brust
ist Bollwerk.
Schon, schon gefall ich ihm.
Zu Baal Hamon hatte ein Weinberg Salomo
den Weinberg übergab er Hütern;
für seine Frucht sollt jeder tausend Silberlinge liefern.
Für meinen Weinberg - Die tausend, Salomo!
Zweyhundert den Hütern der Frucht!

Er
O Garten Bewohnerin! Die Nachbarn horchen zu!
Laß deine Stimm' mich hören.

Sie
Flieh, Liebling, wie eine Gazelle
und wie ein junger Hirsch auf den
balsamischen Bergen.

übersetzt von Johann Christoph Döderlein (1745-1792)

Aus: Salomons Prediger und hohes Lied
Neu übersetzt mit kurzen erläuternden Anmerkungen
von Johann Christoph Döderlein
Jena verlegens Christ. Heinr. Cuno's Erben 1784




 

 

 

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