Das Hohe Lied Salomos

In der Übersetzung von Holda (1876)

 


Wassily Kandinsky (1866-1944)
Improvisation 209

 




Das Hohelied Salomonis

Das Hohelied

Küsse mich, Lieber! Mit feurigen Küssen
Erquicke die Arme, die schmachtet nach dir!
Wie köstlicher Wein ist der Kuss deines Mundes
Mit wonnigem Glühen erfüllend das Herz.
Süss klingt dein Name, dem Ohre wie Wohllaut,
Wie duftende Salbe so lieblich und weich.
Hold ist dein Antlitz, und freundlich dein Wesen,
Auf deinem Pfade ist Fröhlichkeit.
___


Wohl bin ich schlank und schön,
Obgleich die Mittagsonne
Mit ihrer heissen Gluth
Gebräunt mir hat die Wangen.
Den Weinberg sollt' ich hüten,
Ich hütete ihn nicht;

Ich ging zur Ruhestunde
Zu suchen den Geliebten.
Von Heerd' zu Heerde eilt' ich;
Da hat mir Hals und Wangen
Mit ihren Feuerstrahlen
So braun geküsst die Sonne.
Drum schmäht mich nicht, Mädchen,
dass schwarz mir die Haut,
Denn den Liebsten zu suchen ertrug ich die Gluth.
___


Weisst du, Geliebte, mich nicht zu finden?
Suchst du mich, Schönste, von Heerd' zu Heerd'?
Folge den Lämmern, zur Hütte des Freundes
Führet dich sicher die weidende Heerd'.
___


O Freundin meiner Seele!
O Braut, so schön, so hold!
Es hat dich angehauchet
Die Sonne, mit ihrem Gold.

Mit deinen Taubenaugen
Siehst du mich an, so weich,
Und deine Wangen, Liebste,
Sind saftigen Trauben gleich.

Um deinen Hals, so lieblich
Winden die Ketten sich;
Mit goldenen Spangen und Ringen
Möchte ich schmücken dich. -
___


Leg hin dein Haupt, mein Lieber!
Hier, an den Busen mein,
Wo Nachts die Myrrhe ruhet
Der süsse Bote dein!
___


Wie schön bist du, Geliebte!
Wie schön, mein Freund, bist du!
Wie glänzt dein schwarzes Auge
Und strahlt mir Liebe zu.
___


Mit grünenden Zweigen
Vom Thaue erquickt,
Mit Rosen und Myrrhen
So festlich geschmückt,
So kühl ist die Kammer,
O komm, Traute mein!
Zum duftenden Brautgemach
Führ ich dich ein. -

Töchter Jerusalems!
Schauet die Liebste mein.
Wie Saron's Rose frisch
Blüht sie in dunkler Pracht.

Lasset sie ruhen sanft
Störet den Schlummer nicht
Der ihre Augen deckt,
Weckt sie nicht auf!
___


Mein Herz ist krank vor Liebe
Wo weilst du, süsser Freund?
O komm! mit deiner Linke
Umschlinge meinen Hals,
Und deine Rechte halt' mich
Gepresst an deiner Brust.
Mit Blumen und mit Früchten
Hast du gelabet mich,
Nun stille auch die Sehnsucht
Nach deinem Liebeskuss.
Denn lieblich bist du, holder Jüngling!
Wie ein blühender Apfelbaum,
Und der Kuss deiner Lippen, Geliebter,
Ist mir süss wie die labende Frucht.

Dort kommt er! - das ist seine Stimme!
Er hüpfet dahin wie ein Reh,
Wie ein Hirsch stolz hebt er das Haupt,
Und es sucht mich sein liebendes Auge,
Und herein dringt spähend sein Blick
Ich hör ihn! Er ruft meinen Namen!
___


Steh auf! steh auf, mein Liebchen!
Steh auf, und komm doch her!
Der Winter ist vergangen,
Nicht strömet der Regen mehr.

Es blühen die Blumen im Felde,
Es girret die Turtel im Wald,
Es knospet und duftet der Weinstock,
Und Lerchenwirbel erschallt.
___


O komm, meine Schöne!
Du Taube, so mild,
Lass schaun mich dein Antlitz,
Die schlanke Gestalt,
Lass hören die Stimme
So süss und so weich,
Komm bald meine Freundin,
Der Frühling ist da.
___


Mein Freund ist mein
Und ich bin sein!
Lasst unter den Rosen uns weiden,
Bis die Sonne sich neigt
Und die Lerche schweigt
Und die Schatten vom Berge scheiden.

Und kommt dann die Nacht, mein Geliebter, so geh'
Und kehre zurück wie ein eilendes Reh.
___


Einsam lag ich auf dem Lager
Tiefe Nacht rings um mich her.
Da erwacht' ich, und den Liebsten
Sucht' ich, aber fand ihn nicht!
Aufstehn will ich und hinausgehn
Auf die Gassen in der Stadt;
Suchen will ich in den Strassen
Ihn, den meine Seele liebt.
Ach vergebens! Nur die Wächter
Die umhergehn in der Nacht
Traf ich. Sagt mir an, ihr Wächter,
Saht ihr meinen Liebsten nicht?
Weiter irrt' ich, und da fand ich
Ihn, den meine Seele liebt.
Und ich halt' ihn, und ich führ ihn
Hin zu meiner Mutter Haus.
Nimmer will ich von ihm lassen
Niemals wieder einsam sein!
___


Wer irret allein in der Nacht,
Und schwebt wie aufsteigender Rauch?
Wie ein duftend Geräuch süsser Myrrhen,
Wie des Weihrauchs wohlriechender Hauch?
___


Sieh'! am Lager des Königs wachen
Der starken Helden viel,
Wohlbewaffnet mit Schwertern sind sie,
Und gross ist ihre Zahl.
Denn die Nacht ist voller Schrecken
Und Jeder fürchtet sich,
Nur die Eine kennt Furcht noch Schrecken,
Denn die Lieb' ihr Führer ist.
___


Töchter Jerusalems!
Das ist die Liebste mein!
Sie, wie die Rose zart
Scheut' nicht die dunkle Nacht.
Lasst nun sie ruhen sanft,
Störet den Schlummer nicht
Der ihre Augen deckt,
Weckt sie nicht auf.
___


Ruhe, meine Freundin,
Schlummre, Holde mein!
Deinen Schlaf ich hüte
Will dein Wächter sein.

Bist so schön, Geliebte,
Wie noch Keine war!
Ueppig sind die Flechten
Vom gewellten Haar.

Wie die Heerd' der Schafe
Die beschoren sind,
Also deine Zähne
Weiss und glänzend sind.

Und wie Purpurschnuren
Blühend, seidenweich,
Reden deine Lippen
Worte Honig gleich.

Allerdings bist du schön, meine Theure!
Kein Flecken ist an dir, o Braut!
Deine Brüste, sie wölben so zart sich
Wie schuldlose Rehlein im Schlaf.

Wie die reifende Frucht sind die Wangen,
Und glühen, wie sonnengeküsst;
Der Geruch deiner Salben und Kleider
Ist besser als alle Gewürz'.

Wie an Davids Thurm die Schilde,
So am Halse prangen dir,
Blinkend, klirrend wie die Waffen,
Goldner Ketten reiche Zier.

Fliehen will ich bis zum Tage,
Bis die Schatten sind verjagt,
Zu dem Hügel süssen Weihrauchs
Will zum Myrrhenberge gehn.

Du, Geliebte, bist mein Garten,
Würzig, voller edlen Frücht'.
Nordwind, komm! und Südwind eile!
Traget weit den Nardenduft.

Du hast mir das Herz genommen
Mit den Augen taubenmild,
In den Schlingen deiner Ketten
Hast du meinen Sinn verstrickt.
___


Komm, zu deinem Garten!
Komm, geliebter Freund!
Esse deiner Früchte,
Schweig' im Wohlgeruch.
___


Deine Liebe, holde Schwester,
Ist wie auserwählter Wein;
Süss berauschend, wonnebringend,
Liebste, sind die Küsse dein.
___


Freund, ich schlief, doch wacht' mein Herze,
Und ich hörte deine Stimm'
Weckend mich mit süssen Worten:
Mach mir auf, du Taube mein!
Meine Fromme, meine Schwester!
Sieh, mein Haupt ist thaubenetzt,
Meine Locken, schau, sie triefen -
Liebe Freundin, lass mich ein!

Deine Hand berührt' den Riegel,
Da entbrannt' mein Eingeweid',
Ich erhob mich, eilt' zur Thüre
Duft'ger Myrrhen voll die Hand.
Ach! mein Freund war hingegangen!
Nirgends war er mehr zu sehn;
Ihn zu finden, den Geliebten,
Ging ich aus und rief ihn laut.

Immer rief ich seinen Namen,
Spähend sucht' mein Auge ihn -
Meine Stimme sie verhallte,
Meinen Freund, ich fand ihn nicht!
Doch es schlugen mich die Wächter,
Die umher gehn in der Nacht,
Und die Hüter auf der Mauer
Nahmen meinen Schleier mir.

Da beschwört' ich die Töchter Jerusalems:
Ihr Mädchen, o sagt meinem Liebsten,
Wenn ihr findet den Freund, den vergebens ich ruf',
Dass krank ich vor schmachtender Liebe!
___


Warum hast du uns so beschworen?
Sag' an, was ist dein Freund denn mehr
Als andrer Weiber Vielgeliebten?
Du schönste aller Frauen, sprech!
___


Mein Freund ist weiss und roth,
Und unter Tausend wohl
Ist auserkoren er.
Wie feinstes Gold, so werth
Ist mir sein edel Haupt;
Sein Haar ist rabenschwarz
Und kraus die Locken sein.
Die Augen wunderhell,
Die Backen blühend, wie
Ein würzig Blumenbeet.
Die Lippen Rosen gleich,
Und seine Hände fein
Wie Edelsteine. Weiss
Und glänzend ist der Leib,
Wie reines Elfenbein.
Schlank, kräftig, auserwählt
Wie Cedern Libanons,
Ist die Gestalt, und süss
Die Stimme seines Munds.
Vollkommen ist er ganz!
Ein solcher ist mein Freund, mein Vielgeliebter,
Ihr Mädchen, hört! das ist der Liebste mein!
___


Schönste der Weiber, wo eilte er hin?
Wohin hatt die Füss' er gewendet?
Sag es, so wollen wir suchen mit dir
Den Freund, deiner Seele Geliebten.
___


Mir Blumen zu sammlen ging er hinab
In den Garten voll duftiger Beeten,
Zu brechen die Rosen, getränket vom Thu,
Hat sein Würzgärtlein er betreten.

Mein Freund ist mein
Und ich bin sein
Lasst unter den Rosen uns weiden,
Bis die Sonne sich neigt
Und die Lerche schweigt
Und die Schatten vom Berge scheiden.
___


O schön bist du, Liebste, wie Thirza,
Jerusalems Reize sind dein;
Wie Heeresgewalt bist du schrecklich,
Du Blume, zart und fein!

O wende die Augen, die Schwarzen
Von meinem Antlitz weg -
Zu brennender Gluth wird die Liebe
Die ich im Busen heg'.
___


Sagt wer ist sie diese Fremde,
Rosig wie die Morgenröth',
Wie die Sonne rein und glänzend,
Lieblich wie der bleiche Mond?
___


Sechzig sind der Königinen
Zahllos ist der Jungfrau'n Heer,
Doch die Eine ist mein Täubchen
Meine Fromme, Aller Zierd'.
Sie, die Schönste, sie die Liebste,
Von der Mutter auserwählt!
Selig preisen sie die Weiber,
Königinnen loben sie.

Wie schön ist dein Gang in den Schuhen,
Du Fürstentochter, Sulamith!
Wie Spangen vom Meister gefertigt
Die Biegung deiner Lenden ist.

Die Wendungen deiner Hüfte
Sind kunstreichen Ketten gleich,
Und schlank wie die Cocospalme
Ist der golddurchglühte Leib.

Auf deinem weichen Halse,
Ein Thurm von Elfenbein,
Steht fest und hoch wie Carmel
Das schöne, stolze Haupt.

Wie Purpurschmuck des Königs
Gewunden faltenreich,
Sind deines Haares Wellen
In ihrer Ueppigkeit.
___


Komm, mein Freund, und lass uns gehen
Auf das morgenfrische Feld,
Lass uns wandern in die Dörfer,
Weilen dort den ganzen Tag.
___


Zu schauen die Sträuchlein am rieselnden Bach,
Des Weinstocks reichschwellende Knospen,
Die Sprossen zu sehn der Granatäpfel, komm,
Lass zeitig uns aufstehn, Geliebte.
___


Die Lilien sie geben den süssen Geruch,
Vor unserer Thüre da liegen
Die edelsten Früchte, o Bräutigam mein!
Die schenk ich dir, mit meiner Liebe.

Ach wärst du wie mein Bruder,
Wie meiner Mutter Sohn,
Ich wollt' vor allen Augen,
Mein Lieber, küssen dich.

Und Niemand würd' mich höhnen,
Und freudig führt' ich dich
In meiner Mutter Kammer,
Da solltest lehren mich.

Ich gäbe dir zu trinken
Den feurig süssen Wein,
Mit Most würd' ich dich laben
Und frischem Aepfelsaft.

O Freund, mit deiner Linke
Umschlinge meinen Hals,
Und deine Rechte halt' mich
Gepresst an deiner Brust.
___


Schaut, wer ist sie die herauf fährt
Aus der Wüste Einsamkeit?
Seht, auf ihren Freund gelehnet
Nähert sich die holde Maid.
___


Töchter Jerusalems!
Kommt, ich beschwöre Euch,
Kommt her, und horcht!
Drück' wie ein Siegel fest
Mich auf dein treues Herz,
Du meine Braut!

Setz' wie ein Zeichen mich
Von unserm Liebesbund
Auf deinen Arm.
Fest wie die Hölle ist
Eifer; doch Liebe ist
Stark wie der Tod.
___


Gäbe Jemand alle Schätze
Seines Hauses - ach, was gilt
Alle Habe gegen Liebe,
Wo nur sie das Herz erfüllt?

Liebe ist des Herren Flamme
Feurig ihre Wonnegluth,
Sie zu löschen nicht genüget
Vieler Ströme Wasserfluth.

übersetzt von Holda (1842-1923)
(Ps. von J. Clant van der Mijll-Piepers)

Aus: Das Hohelied und andere Gedichte
(deutsche und holländische)
von Holda
Leiden Verlag von A. W. Sijthoff 1876



 

 

 

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