Das Hohe Lied Salomos

In der Übertragung von S. Horowitz (1863)

 


Wassily Kandinsky (1866-1944)
Improvisation 209

 




Das Hohelied Salomonis

Das Lied der Lieder des Salomo

Erste Scene
Das Liebesgeständniß

Sie
Mit deines Mundes Küssen küß'
O, Trauter, mich! Denn süßer ist
Mir deine Lieb' als Rebensaft.
Wie duften deine Salben fein!
Dein Name ist wie Oel so rein,
Drum lieben dich die Mädchen all'.
Auch ich eil', König, gern dir nach,
Wenn du mich führst in dein Gemach.
Wir jauchzen, wir erfreu'n uns dein.
Man liebet wahr und herzlich dich;
Denn denken nur an deine Lieb'
Ist süßer schon - denn Rebensaft!

Ich bin zwar schwarz, ihr Töchterlein
Jerusalems, doch niedlich auch;
Wol schwarz wie des Ked'renen Zelt,
Doch wie Salomo's Decken schön.
Was schaut ihr so, daß schwarz ich bin,
Und von der Sonne ganz verbrannt?
Der Mutter Söhne grollten mir,
Und setzten mich zur Hüterin
Der Weinberg' ein, weshalb ich ihn,
Den eig'nen Weinberg, nicht gewahrt.

O, sag' mir an, du liebster Mann:
Wo weidest deine Schäfchen du,
Wo hältst zur Mittagszeit du Ruh?
Damit ich hin und her nicht mehr
An fremder Hürd' zu schweifen brauch'.

Er
Wenn du's nicht weißt, o Frauenpreis,
So folge nach der Schafe Spur
Und weide deine Böcklein nur
Dort, wo der Hirten Zelte stehn, -
Dem Roß an Pharoh's Prachtgespann
Vergleich' ich, süßes Liebchen, dich.
In Kettlein schön prangt deine Wang'
Und im Korallenband dein Hals.
Geschmeid' von Gold, ganz hell und blank
Und Silberknöpfchen mach' ich dir.

Sie
Bis an des Königs Tafelkreis
Gab meine Narde ihren Duft.
Ein Myrrhenstrauß bist du, o Freund,
Der immer mir am Busen hängt;
Ein Palmenzweig bist, Freund, du aus
Den edlen Gärten Engadi's.

Er
Wie bist so schön, o Holde, du!
Dein Aug' schaut fromm wie das der Taub'.

Sie
O schön und hold bist, Liebster, du!

Er
Sieh, frisches Grün ist unser Bett,
Die Cedern bilden Wänd' um uns,
Und von Cypress' die Deck' besteht.

Sie
Der Tulpe gleich' ich auf der Flur,
Der Rose auch im stillen Thal. -

Er
Wie im Gestrüpp' ein Röslein fein,
Bist in der Zahl der Töchter du.

Sie
Wie im Gehölz' ein Apfelbaum,
Bist, Trauter, unter Söhnen du;
Und mir behagt dein Schatten dicht,
Dem Gaumen süß sind deine Frücht'!


Zweite Scene
Verlassenheit und Liebesgram

Sie
O, bringet hin ins Weinhaus mich,
Und tragt mir Lieb' als Fahn' voran!
O, reichet mir doch Rebensaft,
Erquicket mich mit Apfelmost,
Denn krank bin ich - ja, krank vor Lieb'.
O, läg' mir unterm Haupt die Link'
Und um den Leib die Rechte sein! -

Bei Hirsch und Reh der Flur beschwör'
Ich drum, Jerusalms Mägdlein, euch:
Nicht wecken sollt die Liebe ihr,
Nicht regen bis sie selbst entflammt! -


Dritte Scene
Zusammenkunft

Sie
Ich hör' des Freundes Tritt', wie er,
Ob Berg und Hügel springend, naht.
Mein Freund ist wie ein Hirsch so flink,
Und gleicht an Schnelligkeit dem Reh.

Schon steht hint' uns'rer Wand er da,
Und lugt herein durch's Fensterlein,
Und winkt mir durch das Gitter zu.
Es fleht und ruft mein Liebster mich:
Auf! schönes Trautchen, komm' zu mir!
Der Winter ist vergangen schon,
Der Regen auch verschwand bereits,
Schon prangt voll Blumen bunt die Flur -
Die Liederzeit - sie kam heran!
Des Turteltäubchens süß Gegirr
Wird weit und breit im Land gehört.
Schon bilden an dem Feigenbaum
Sich Früchtlein, und die Traubenstöck'
Verbreiten Duft und Wolgeruch;
Auf! schönes Trautchen, komm' zu mir!


Vierte Scene
Der Abschied

Er
Mein Täubchen in dem Felsenriß,
Mein Täubchen in der dunkeln Schlucht,
Noch ein Mal zeig mir dein Gesicht,
Dein Angesicht so schön, so klar!
Laß hören mich noch deine Stimm',
Der Stimme Laut - so süß, so traut!

Laßt uns die Füchslein
Haschen, die kleinen
Weinbergsverderber;
Denn unser Weinberg
Prangt schon in Blüthe. - -

Sie
Freund! dein bin ich und mein bist du,
Der du in Rosen weiden gehst. -
Bevor der Tag sich kühlt und weicht,
Und eh die Schatten ganz verflieh'n,
Kehr, Liebster, schon zu mir zurück,
Gleich munt'rem Reh und Hirschlein flink,
Gesprungen über Bergeshöh'n! -


Fünfte Scene
Die Erzählung

Sie
Auf meinem Bett in stiller Nacht
Sucht' ich den Mann, den ich so lieb' -
Ich suchte, doch ich fand ihn nicht.
Da stand ich auf, durchzog die Stadt,
In Straß' und Gass' schweift' ich umher;
Ich suchte ihn, den ich so lieb' -
Ich suchte, doch ich fand ihn nicht.
Da stieß auf mich die Wächterschaar,
Die Runde machend durch die Stadt:
Ach, habt, den meine Seele liebt,
Ach, sagt, habt ihr ihn nicht gesehn? -
Doch kaum zog ich von ihnen weg,
Da fand den Herzgeliebten ich;
Ich hielt ihn fest, ließ ihn nicht fort
Und zog ins Mutterhaus ihn mit,
Ins Zimmerlein, der Mutter mein.

Bei Hirsch und Reh der Flur beschwör'
Ich drum, Jerusalm's Mägdlein, euch:
Nicht wecken sollt die Liebe ihr,
Nicht regen bis sie selbst entflammt.


Sechste Scene
Zusammenkunft und Begrüßung

Er
Wer ist, die aus der Wüst' hervor
Wie eine g'rade Rauchsäul' steigt,
Gesalbt mit Myrrh' und Weihrauch fein,
Und Würzekrämers Spezerei'n?

Sie
O seht Salomo's Tragesänft'
Wie sechzig Krieger sie umsteh'n,
Die Stärksten aus Israels Volk.
Ein Jeder hält die Hand am Schwert,
Und alle sind sie kriegsgelehrt,
Jedweder an der Hüft' sein Schwert,
Zu Schutz und Wehr im Graus der Nacht.

Er
Im Tragstuhl, den Salomo sich
Aus des Libanons Holz gemacht,
Deß Füß' von Silber blank, von Gold
Die Deck', der Sitz von Purpurstoff,
Soll's allerliebste Mägdelein
Jerusalems gar zierlich ruh'n. -

Sie
Nun kommt heraus und schaut ihn an,
Den König, Zions Töchterlein!
Schaut in dem Diadem ihn an,
Womit an dem Verlobungstag,
An jenem Tag der Herzensfreud',
Die Mutter ihn geschmückt hat schön.


Siebente Scene
Unterhaltung in der Zurückgezogenheit

Er
Sieh', schön bist, Liebchen, schön bist du,
Und deine Aeuglein schauen fromm,
Gleich Täubchen, aus den Locken drein.
Dein Haar wie das der Gemsenheerd',
Die auf dem Berge Gil'ad schweift,
Die Zähne - wie die Lämmerheerd',
So aus dem Quell in Ordnung steigt:
Eng reih't sich Eins ans And're an,
Sind mangelfrei und sonder Fehl.
Ein Purpurstreif ist deine Lippe,
Der Stimme Laut - so süß, so traut!
Wie aufgeritzter Apfel prangt
Aus deinem Lockenhaar die Wang'.
Dein Hals wie David's Thurm, erbaut
Zur Waffenburg, daran im Kreis
Ein Tausend blanker Schilde hängt -
Der Heldenschilde allzumal. -
Dein Brüstepaar - zwei Zwillingsreh',
Die unter Rosen traulich weiden.

Sie
Bevor der Tag sich kühlt und weicht
Und eh' die Schatten ganz verflieh'n,
Will ich zum Myrrhenberge dort,
Will hin zum Weihrauchshügel geh'n.

Er
Ganz schön bist du, o trautes Lieb!
Ganz mangelfrei und sonder Fehl.
Mit mir vom Libanon komm', Braut,
Vom Libanon, o komm' mit mir,
Und sieh' von dem Amana dich,
Von Senir's, Hermons Gipfel um,
Vom Aufenthalt der Löwen schau,
Vom Leopardenberg umher!
Du raubst mein Herz mir, holde Braut,
Du raubst mein Herz mit einem Blick,
Mit einer Kett' an deinem Hals. -
Wie süß ist deine Liebe, Braut,
Wie süßer deine Lieb' als Wein,
Dein Salbenduft als alle Würze!
Von deiner Lipp' träuft Seim, o Braut,
Aus deiner Zunge Milch und Honig,
Und deiner Kleider Wolgeruch
Ist des Libanons Balsamduft.
Ein heil'ger Garten, bist du, Braut,
Verwahrter Brunn', verschloss'ner Quell;
Ein Quell im Apfelparadies,
Drin edle Frücht' und Cyperblum',
Nard', Safran, Zimmt und Kalmus wol,
Auch Weihrauchstauden allerhand,
Aloe, Myrrh' und edle Würze;
Ein Quell, der von dem Libanon
Durch Gärten klar lebendig fließt. -
Erheb' dich Nord und Südwind, komm,
Durchweh' den Garten mein, auf daß
Weit strömen soll sein Balsamduft. -

Sie
So komm' in deinen Garten, Freund,
Und iß die edlen Früchte fein.

Er
Ich kam in meinen Garten, Braut,
O Schwester mein, o liebste Braut!
Ich brach mir Würze, Myrrhen ab,
Und aß den Honig, aß den Seim,
Trank Wein und trank auch Milch dabei.
Nun esset, Freunde, trinkt nur zu.
Trinkt, Freunde, bis ihr euch berauscht!


Achte Scene
Die Erzählung

Ich schlief, allein mein Herz war wach,
Da hört' den Liebsten klopfen ich,
Und rufen: Schwester, thu' mir auf!
Thu', Freundin, frommes Täubchen auf!
Mir ist das Haupt des Thaues voll,
Vom Reif der Nacht die Locken naß!

- Hab' abgelegt schon mein Gewand,
Wie soll ich's ziehen wieder an?
Gewaschen hab' die Füß' ich rein,
Nun soll ich sie besudeln neu!

Durch's Thürloch als mein Liebster jetzt
Die Hand hereingestreckt, da brach
Mir's Herz; (wollt' doch die Seele mich
Verlassen schon, als er nur sprach!)
Ich stand nun auf, zu öffnen ihm,
Dem Liebsten. (Ha! noch troff die Myrrh'
Von Hand und Finger frisch herab,
Hinfließend auf des Schlosses Griff. -)
Ich that nun auf dem Liebsten mein;
Doch fort gewandt hat er sich schon.
Nun sucht' ich ihn und fand ihn nicht;
Ich rief ihn - er gab Antwort nicht.
Da stieß auf mich die Wächterschaar,
Die Runde machend in der Stadt.
Sie schlugen, sie verletzten mich,
Und rissen mir den Schleier ab,
Die Mauerwächter allzumal!

Euch, Freundinnen, beschwör' ich nun,
Wenn ihr ihn find't, den liebsten Mann,
Was wollt ihr ihm denn sagen an?
Sagt, daß ich krank vor Liebe bin!

Mädchenchor
Was ist vor andern Liebsten denn
Dein Liebster, o du schönste Frau?
Was ist vor andern Liebsten er,
Daß so du uns beschworen hast?

Sie
Mein Liebster, der ist weiß und roth,
Ein Banner aus Zehntausenden! -
Sein Haupt - das reinste, feinste Gold,
Sein Lockenhaar - kraus, rabenschwarz.
Den Täubchen an dem Wasserquell
Sind seine Augen ähnlich wol,
Sie baden sich in klarer Milch
Und sitzen in der Fassung voll.
Wie Blumenbeet' die Wangen sein,
Wie Balsambüchschen zart und fein,
Die Lippen sind wie Rosen roth
Und hauchen reinen Myrrhenduft.
Die Hände - Walzen rund von Gold
Mit Chrysoliten voll besetzt.
Der Leib wie reines Elfenbein,
Mit Sapphirsteinen reich verziert.
Die Schenkel - Marmorsäulen, fest
Gestützt auf ein Gestell von Gold.
Sein Ansehn - wie der Libanon,
Erhaben wie ein Zederbaum.
Der Gaumen sein ist Süßigkeit
Und Lieblichkeit sein Wesen ganz. -
So ist mein Freund, ihr Töchterlein
Jerusalems, mein Liebster so!

Mädchenchor
Wo ging er denn, du Frauenpreis,
Wo ging denn dein Geliebter hin?
Wir wollen suchen ihn mit dir.

Sie
Mein Liebster in den Garten ging
Zu seinen Balsambeeten hin,
Zu weiden in des Gartens Grün
Und Rosen sich zu pflücken dort.


Neunte Scene
Zusammenkunft

Er
Wer ist sie, die wie Morgenroth
Hervorstralt? Wie der Mond so schön,
So blendend wie die Sonne ist,
Und furchtbar wie ein Kriegesheer? -

Ich ging zu meinem Nußwald hin,
Des Thales Früchte anzuschau'n;
Zu sehen, ob der Weinstock knospt,
Und die Granaten - ob sie blüh'n;
Doch blieb ich dessen mir bewußt,
Daß du, mein Herz, zur Wagenburg
Des edlen Volks mich hast gemacht.

Sie
Freund! mein bist du und dein bin ich,
Auch wenn du unter Rosen weidest. -

Er
Wie Thirza schön bist, Holdchen, du,
Und wie Jerusalem so lieb,
Wenn furchtbar auch wie'n Kriegesheer,
Die Augen wend' hinweg von mir,
Sie blenden sonst mich ganz und gar.
Dein Haar - wie das der Gemsenheerd',
Die auf dem Berge Gil'ad schweift.
Die Zähne - wie die Lämmerheerd',
So aus dem Quell in Ordnung steigt:
Eng reiht sich Eins ans And're an,
Sind makellos und fehlerfrei.
Wie aufgeritzter Apfel prangt
Aus deinem Lockenhaar die Wange.

Der Königinnen sechzig sind,
Der Nebenfrauen achtzig gar,
Und Mägdlein eine Unzahl mein;
Doch Eine ist mein Täubchen hold,
Sie, ihrer Mutter einzig Kind,
Ihr einzig und ihr reines Kind.
Die Mädchen seh'n und preisen sie,
Sie loben Fürstinnen und Frauen! -


Zehnte Scene
Gespräch beim Tanz

Männerchor
Kehr' um, o kehr' Sulamith, um!
Kehr' um, kehr' um, daß wir dich sehn!

Sie
Was wollt ihr an Sulamith sehn?

Männerchor
Den Reigentanz der Engelschaar!

Er
Wie sind, o Fürstentochter! schön
In den Sandalen deine Tritte!
Die Schwingungen der Hüften dein -
Wie Kettenwerk von Meisterhand.
Dein Muttermund - ein Becher rund,
Dem nimmer es an Maß gebricht.
Dein Bauch - ein Weizenhäuflein weiß,
Mit Rosen um und um bepflanzt.
Dein Brüstenpaar - zwei Zwillingsreh'.
Dein Hals - ein Thurm von Elfenbein.
Die Augen - Bäche licht und klar
Zu Hesbon am Bathrabbim-Thor.
Die Nas' - das Schloß auf Libanon,
Das gen Damaskus ragt hervor.
Dein Haupt auf dir dem Karmel gleicht.
Die Zöpfe sind geschlungen wie
Die Purpurschneck' am Königsbund.
Wie schön bist du und wie so lieb,
Du aller Lüste Inbegriff! -
Dem Palmenbaum gleicht deine Höh';
Die Brüste dein - den Trauben dran:
O, laß den Palmenbaum hinan
Mich klimmen, - fassen sein Gezweig;
Die Brüste laß mir Trauben sein.
Dein Athemhauch - wie Apfelduft,
Dein Gaumen - süßer, edler Wein - -

Sie
- Der sanft dem Freund hinunter schleicht,
Daß wie im Schlaf sein Mund nun spricht. -

Ich bin des Liebsten, sein bin ich,
Und er trägt Sehnsucht auch nach mir. -
Komm', Liebster, auf das Land hinaus;
Laß wohnen in den Dörfern uns;
Dann wandeln wir zum Weinberg früh,
Wir schauen, ob der Weinstock knospt,
Ob seine Blüthe auf sich thut,
Und die Granaten - ob sie blüh'n:
Da geb' ich mich in Lieb' dir hin! -

Er
Sieh', Veilchen duften vor der Thür
Und edle Früchte alt und neu,
Allerlei . . . . . .

Sie
All' meine Lieb' bewahr' ich dir!!


Eilfte Scene
Verlassenheit

Sie
Wer gäb's, er wär' ein Bruder mir,
Genährt an meiner Mutter Brust!
Ich träf' ihn draußen, küßt' ihn dort,
Und mich verhöhnte Niemand drob.
Ja, führen möcht' und bringen ich
Ihn dann in meiner Mutter Haus;
Auf seinen Wink kredenzt' ich ihm
Gewürzten Wein und Apfelmost. -
O, läg' mir unterm Haupt die Link'
Und um den Leib die Rechte sein!

Jerusalms Mägdelein, darum
Beschwör' ich euch! warum denn weckt
Und reget unbedächtig ihr
Die Liebe eh' sie selbst entflammt?


Zwölfte und letzte Scene
Sie sind beisammen

Männer- und Frauenchor
Wer ist die aus der Wüst' entsteigt,
Gelehnt auf ihren Freund so traut?

Er
Im Schatten dieses Apfelbaums
Hab', Liebchen, ich dich aufgeweckt;
Hier hat mit Schmerz die Mutter dich
Geboren - hier zur Welt gebracht. -

Sie
Leg' an die Brust wie's Siegel mich,
Wie'n Siegel an die Arme dein; -
Denn wie der Tod ist stark die Lieb'
Und wie die Höll' ihr Eifer hart;
Ihr Glühen ist des Feuers Gluth -
Des Feuers, das vom Herrn kommt.
Des Wassers Meng' löscht Lieb' nicht aus,
Sie trotzet kühn der Stromgewalt.
Und gäb' ein Mann auch Haus und Gut
Um Liebe - Spott und Hohn würd' ihm!


Rhapsodischer Anhang

I.
Gespräch einer Schwester mit ihren Brüdern

Der erste Bruder
Noch klein ist uns're Schwester zwar,
Ihr Busen noch nicht reif genug;
Was wollen doch wir thun mit ihr,
Wenn je um sie geworben wird?

Der zweite Bruder
Wenn Mauer sie ist, so bauen auf ihr
Von Silber eine Burg wir auf;
Ist aber eine Pfort' sie nur,
Verwahren wir mit Tannen sie.

Die Schwester
Ja, eine Mauer ganz fest bin ich,
Und meine Brüste Thürmen gleich;
Ich bin drum in den Augen ihm
Wie Eine, die den Frieden fand. -

In Baal-Hamon ein Weinberg lag
Des S'lomo, den gab Wächtern er,
Daß für die Frücht' ein jeder ihm
Der Silberlinge tausend bringe. -

- Mein Weinberg ist vor Augen mir -
Denn dein sind S'lomo tausend zwar,
Zweihundert Silberlinge doch
Behielten auch die Wächter noch. -


II.

Geliebter
Laß, die du in den Gärten weilest,
Laß hören mich die holde Stimm'!
Dort lauschen die Gespielen dir.

Geliebte
Fleuch, einem Reh und Hirschen gleich,
Auf Würzgebirge, Trauter, fort! -

übersetzt von S. Horowitz

Aus: Das Hohe-Lied
Das älteste dramatische Gedicht
aus dem Morgenlande
nach einer neuen Eintheilung des Textes
metrisch übersetzt und mit erklärenden
Anmerkungen versehen
von S. Horowitz
Wien In Commission bei Carl Gerold's Sohn 1863



 

 

 

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