Das Hohe Lied Salomos

In der Übertragung von Wilhelm Friedrich Hufnagel (1784)

 


Wassily Kandinsky (1866-1944)
Improvisation 209

 




Das Hohelied Salomonis

Salomo's schönster Gesang


I.
(Kapitel I. 2-11)
Wechselgesang

Sie
Küßte mich von seinen Lippen ein Kuß,
Denn was ist gegen deine Liebe Wein!
Wollust duften deine Salben,
Dein Name ist mir feiner Balsamduft,
Drum lieben dich die Mädchen!
Du reißt mich hin - wir eilen schnell,
als nähm mich in sein Harem auf der König,
und hüpfen, über dich frohlockend
Besingen deine Liebe mehr als Wein,
mehr deine Lieb' als Helden!
Schwarz bin ich, reizend doch,
hörts Mädchen von Jerusalem!
Wie Kedarenische Zelten schwarz
wie Salomo's Tapeten reizend.
Staunt über meine Schwärze nicht!
die Sonne schwärzte mich.
Da meiner Mutter Söhne zürnten über mich,
wurd' ich zur Weinbergshüterin gemacht.
Und meinen Weinberg hüte ich nicht gern.
Sag' Trauter mir, wo weidest du?
Wo lagerst du am Mittag dich?
damit ich nicht zu deiner Brüder Heerden irre.

Er
Weist du's der Mädchen Schönste nicht?
so zieh' der Heerde Spuren nach,
und weide deine Ziegen,
hin zu den Schäferhütten.
Dich, Traute, gleiche ich
dem Pferd am Königswagen.
Schön würden durch die Locken deine Wangen blicken,
Schön würde blicken
durch die Perlenschnur dein Hals.
Schon schaffen wir dir goldne Angehänge,
mit Silberstaub bestreut.


II.
(Kap. I. 12-17)
Ein Monolog

Was Nard- und Myrrhenkränzeduft
Dem Könige, wenn er in seinen Speisesaal tritt;
ist mir mein Liebling,
schmiegt er an meinen Busen sich.
Mein Trauter eine Cophertraube,
Engeddisches Gewächs.
Schön bist mein Liebchen du
schön deine Taubenaugen.
Nur du bist Trauter schön
und du nur reizend!
Im Grünen dort
sind wir in Zedernholzpalästen,
getäfelt mit Kupressen.

III.
(Kap. II, 1-17 / III, 1-5)
Trennung und Wiedersehn
Ein Traum

Eine Rose auf der Heide bin ich,
eine Lilie im Thal.
Wie unter Dornen die Rose
ist unter Mädchen die Meine!

Wie der Apfelbaum im Walde
ist unter Jünglingen mein Bester.
Traulich unter seinem Schatten weil ich,
seine Frucht ist süsse meinem Gaumen.
Führt' er mich bald ins Wonnehaus
und wäre seine Täuschung Liebe!
Erquickt mit Balsamkräutern mich,
mit frischem Obst!
denn ich bin liebekrank.
Wär' unter meinem Haupte seine Linke
umschlösse seine Rechte mich!
Euch Mädchen von Jerusalem
beschwör' ich bei den Gazellen
und bei den Reh'n der Flur!
Weckt, stört sie nicht die Liebe,
bis sie will!

Eine Stimme - Mein Liebling -
Er kömmt
hüpft über Berge,
setzt über Hügel.
Mein Liebling gleicht der Gazelle,
gleichet dem Hirsch.
Sieh doch da steht er hinter unsrer Hütte,
blickt schon durchs Fenster,
Blinzelt durchs Gitter,
ruft laut mir mein Bester:
Auf du, meine Traute, du Schöne,
folge du mir!
Siehe! nun ist vorüber der Winter,
der stürmische Regen vorüber dahin!
Nun sprossen aus der Erde die Blumen,
der Vögel Sangzeit beginnt.
Schon hört der Turteltaube Girren
unsre Flur.
Schon würzt seine Früchte der Feigenbaum
Schon duften der Träubchen Blüten.
Auf, Traute, Schönste, folge du mir!
Mein Täubchen du in Felsenklüften,
in stiller Höl',
Laß deinen Blick mich sehn,
mich hören deine Stimme!
Sanft ist deine Stimme,
dein Blick so hold.
Die Füchse! fangt sie weg
die kleinen Füchse!
verwüsten ihn den Weinberg,
der schon blüht.

Mein ist mein Trauter,
die Seinige ich!
Willst weiden du auf Rosenfluren,
bis kühle wird der Tag,
die Schatten fliehn?
Zurück zu mir, mein Trauter,
wie die Gazelle rennt,
der junge Hirsch auf fruchtbarem Gebirge!
Wieder sucht' ich ihn,
hingestreckt auf meinem Lager,
den Inniggeliebten.
Sucht' ihn und fand ihn nicht.
Auf! in die Stadt,
in jeder Gass' in jeder Strass',
Will ich ihn suchen, den ich liebe.
Ich such' und find ihn nicht.
Da fanden mich die Wächter,
(die Stadt umlaufen sie -)
Sah't ihr den Liebling meines Herzens nicht?
Kaum wand' ich mich von ihnen, fand ich schon
den Liebling meines Herzens,
und faßt ihn fest und lies ihn nicht,
bis ich ihn bracht'
in meiner Mutter Haus,
in meiner Mutter Kammer.
Euch, Mädchen Jerusalems,
beschwör ich bei den Gazellen,
und bei den Rehen der Flur,
Weckt! stört sie nicht die Liebe,
bis sie will.


IV.
(Kap. II, 6-11)
Der König und die Königin

Wer ist die Kommende aus jener Ebene,
im Wolkenrauch,
im Myrrhenduft und Weihrauch Dampf,
mit aller Wohlgerüche Duft?
Sieh da die Senfte Salomo's,
umringt von sechzig Helden,
von Helden Israels,
umgürtet mit dem Schwerd,
im Streit geübt.
Das Schwerd an jedes Hüfte,
trotzt nächtlicher Gefahr.
Die Königs Salomo's,
gebaut von Cedern Libanons
auf silbernem Gestell.
Die Lehne Gold,
Purpur der Sitz.
Die Mitte ausgeschmückt mit Liebebildern,
von Mädchen Jerusalems.
Heraus staunt Zions Schönen froh,
ob Salomo dem Könige!
Bekränzt ist er von seiner Mutter Hand,
um Trauungsfest,
am Wonnetag.


V.
(Kap. IV, 1-7)
Mädchenlob

Wie schön du, Traute, bist!
Wie schön die Taubenaugen hinter
deinem Schleier!
Das Haar wie eine Ziegenheerde,
am Gilead gelagert.
Der Zähne Reih'n wie Heerden
neu geschorner Schafe,
im Zuge aus der Quell.
Sie alle Zwillingspaare
und keines Kinderlos.
Deine Lippen eine Purpurschnur,
und Anmuth deine Stimme.
Die Wangen unter deinem Schleier,
ein aufgeschnittner Apfel.
Dein Hals wie Davids Thurm,
erbaut zum Waffenort,
behängt mit tausend Schilden,
Alle Schilde der Helden.
Zwo Gazellen deiner Brüste,
Gazellenzwillinge,
auf Lilien weidend.
Wenn kühle wird der Tag,
die Schatten fliehen;
weid' ich zum Myrrhenberge hin,
zum Weihrauchhügel.
Ganz Schön bist Traute du,
ganz ohne Tadel!


VI.
(Kap. IV, 8 - V, 1)
Die Hirtin am Hofe

Mit mir herab vom Libanon, mein Bräutchen,
Herab vom Libanon mit mir!
Blickst von Amanas Spitze,
von Senirs und Hermons Höhe herab,
wo Löwen lauren und Tiger.
Du raubtest Liebchen mein Herz,
mein Herz raubte dein Blick,
eine Locke an deinem Halse!

Dich lieben, welche Wonne!
trautes Schwesterchen,
und gegen deine Liebe was ist Wein?
Was Balsam gegen deiner Salben Duft?
Ein Honigfluß sind deine Lippen, Beste,
und Honig ist und Milch unter deiner Zunge.
Wie Libanon so duftet dein Gewand.
Mein Schwesterchen, du ein verschlossener Garte,
Du ein verschlossener Garte
Du ein verschloss'ner Born
Granatbäume voll herrlicher Früchte
sind deines Gartens Gewächse.
Copher und Narde,
Narde und Safran,
Würzrohr und Zimmt,
Balsamstauden in Menge,
Myrrhen, Agallochum, die edelsten Würze.
Der Gartenbronn quillt frisches Wasser,
und rauscht vom Libanon herab.
Auf Nord und Süd!
durchwehe meinen Garten,
so fließt sein Balsam,
so eilt in seinen Garten mein Lieber
und kostet seine süsse Frucht.

Schon komm' ich Bräutchen
in meinen Garten,
und pflücke Balsam ab und Myrrhen,
esse meinen Honigseim und Honig,
trink' meinen Wein und meine Milch.
Schmaust, Freunde, trinkt,
Trinkt satt euch Lieblinge!


VII.
(Kap. V, 2-17 - VI, 1-4)
Träumst Liebchen oder wachst du?

Ich schlummere. Doch wacht mein Herz!
Eine Stimme! Mein Trauter! Er pocht.
Mach' auf mir, mein Liebchen meine Traute,
mein Täubchen, mein Alles!
Ganz ist mein Kopf bethaut,
bethauet sind vom nächtlichen
Thaue die Locken.

Ausgezogen hab ich mein Gewand,
wie kann ichs wieder binden?
Gewaschen meine Füsse,
soll ich sie wieder besudeln?

Da schob mein Trauter
durch die Oeffnung seine Hand.
Wie pochte für ihn mein Herz!
Auf fuhr ich zu öffnen meinem Lieblinge.
Myrrhen trofen von meinen Händen,
die feinste Myrrhe von meinen Füngern
über den Riegel,
da meinem Trauten ich öfnete,
Verschwunden war er, weg!
Die Seele wollte mir entgehen.
Wo ich ihn hörte, sucht' ich ihn
und fand ihn nicht,
und rief - kein Ruf zurück!
Da fanden mich die Wächter
(sie laufen durch die ganze Stadt)
und schlugen blutig mich und wund.
Die Maurenwächter rissen ab den Schleier mir.
Euch Mädchen Jerusalems beschwör' ich,
seht ihr ihn meinen Liebling,
daß ihr ihm sagt:
mich mache krank die Liebe.

Was hat dein Liebling vor andern
Du Schöne der Schönen!
Was hat vor andern dein Liebling,
Daß du uns beschwörst?

Weiß ist mein Trauter und roth
und einzig unter Myriaden.
Das feinste Gold sein Haupt.
Die Locken dicht und Rabenschwarz.
Seine Augen Täubchen an Quellen,
in Milch gebadet,
ihr Sitz ein voll Gesicht.
Seine Wangen Beete lieblicher Würze
und Balsam reicher Blumen,
die Lippen Lilien,
von feinster Myrrhe triefend.
Von Gold gedreht die Hände,
mit Hyazinthen dicht besetzt.
Sein Leib von Helfenbein,
bedecket mit Saphiren.
Die Schenkel Marmorsäulen,
mit goldenem Gestelle.
Wie Libanon sein Wuchs,
wie Zedern schlank.
Sein Mund ein Honigfluß
und alles an ihm wonniglich -
dies ist mein Liebling, dies mein Trauter,
Mädchen von Jerusalem!

Wo wandelte er hin dein Trauter,
Schöne der Schönen,
wo wand' er sich hin,
daß wir ihn suchen mit dir?

In seinen Garten gieng mein Lieber,
zu seinen Blumenbeeten.
Er wird in seinem Garten weiden,
und pflücken Lilien.
Dein bin ich, Lieber,
Mein Lieber ist mein,
Der Hirt' auf der Lilienweide!


VIII.
(Kap. VI, 3-8)
Liebe für Eine

Schön bist du, meine Traute, wie Thirza!
Wie Jerusalem prächtig!
Majestätisch wie Heeres Spitzen!
Blick ab von mir mit deinen Augen,
denn sie verwirren mich!
Deine Haare sind wie eine Ziegenheerde,
am Gilead gelagert.
Deine Zähne eine Heere Schaafe,
im Zuge aus der Quell,
in Zwillingspaaren und keines Kinderlos.
Deine Wangen durch den Schleier
ein aufgeritzter Apfel.
Dort jene sechzig Königsdamen
und achtzig Favoritinnen
und Mädchen ohne Zahl.
Eine meine Traute, mein Alles,
sie der Mutter Einzige,
einzig geliebt von ihr.
Sie sahen Mädchen und priesen sie,
des Königs Damen, Favoritinnen,
und lobten sie.


IX.
(Kap. VI, 9 - VII, 10)
Liebe und Treue

Wer ist, die wie das Morgenroth sich nähert,
schön wie der Mond
und wie die Sonne rein,
voll Majestät wie Heers Paniere?

Zum Nusgarten gieng ich,
mich zu laben am grünenden Thale,
zu sehen, ob schon der Weinstock knospet,
ob der Granatbaum treibt?
Wie staun' ich, nichts ahnend,
Vor dieser Krieger Wagen
Zurück Sulamith, laß uns dich schaun!
Zurück! Zurück!
Was ist an Sulamith zu schauen?
Heereswonne!
Wie herrlich Fürstentochter ist
der Schritt in deinen Schuhen!
Der Hüfte Wölbung Purpurgepräng
von Künstlerhand.
Eine runde Schaale dein Schoss,
mit Würzwein angefüllt.
Dein Leib ein Waizenhaufen,
mit Lilien umsteckt.
Zwo Gazellen deine Brüste,
ein Zwillingspaar Gazellen.
Dein Hals ein Thurm von Elfenbein,
Deine Augen Hesbons Teiche
am Bathrabbimthore.
Die Nase wie der Thurm auf Libanon,
der nach Damaskus sieht.
Dein Kopf auf dir wie Karmel,
und seine Locken wie Purpurschneck
an Purpurschneck.
in Königes Kanälen.
Wie schön bist du und reizend Traute!
Du Liebchen, wie wonnig!
Sieh eine Palme dieser Wuchs
und deine Brüste Palmenträubchen.
Könnt' ich auf diese Palme klimmen,
und fassen seine Zweige!
Wären Traubenblüthen deine Brüste,
der Duft aus deiner Nase Aepfelduft
und deine Zunge edler Wein,
der süsse einschleicht meinen Brüdern,
der Greisen Lippen labt!

Eigen bin ich meinem Trauten,
eigen seine Liebe mir!


X.
(Kap. VII, 11 - VIII, 3)
Die Liebe im Frühling

Auf Trauter! eilen lass' uns auf die Fluren,
in Dörfern übernachten
und früh erwachen wir und sehen,
ob nicht der Weinstock knospet,
der Blüten Knopf sich öffnet,
Granatenbäume treiben?
Da geb' ich all mein Liebstes dir.
Süß duften dir beim Eingang
Dudaim entgegen.
Alles Obst, Lieber, neues und altes
hab' ich dir aufgespart.
O! wärst du mir Bruder,
gesäugt an meiner Mutter Brust,
würd' ich frei dich küssen,
von Niemand gehöhnt.
Dann führt ich dich
in meiner Mutter Haus,
du machtest zur Vertrauten mich,
ich labte dich mit süssem Weine
und mit Granatenmost.
Seine Rechte wäre unter meinem Haupte,
umschliessen würde seine Linke mich!


XI.
(Kap. VIII, 4-7)
Liebe oder Tod

Euch Mädchen Jerusalems
beschwör' ich bei den Gazellen
und bei den Rehn der Flur,
weckt, weckt sie nicht die Liebe,
bis sie will!
Wer kömmt von jener Ebene,
auf ihres Lieblings Arm gestützt?
Dort unter jenem Baum weckt' ich dich
Dort wo die Mutter um dich litte,
dort wo sie dich gebahr!
Präge wie ein Siegel mich in deine Brust,
und wie ein Siegel mich in deine Arme!
Denn stark ist die Liebe wie der Tod
und unerbittlich wie die Hölle.
Meere löschen die Liebe nicht,
Meere ersäufen sie nicht.
Ihre Glut ist Feuer,
Blitze sind ihre Flammen.
Wer biethet Gut und Haus um Liebe?
Hohn ihm dem Mann!


XII.
(Kap. VIII, 8-12)

Klein ist noch unser Schwesterchen,
sie ohne Brüste noch;
doch spricht man einst von ihr,
wie sorgen wir für sie?
Bleibt eine Mauer sie,
so bau'n wir einen Silberthurm darauf,
und wird sie eine Pforte,
so schliest sie Zedernholz.

Ich eine Mauer,
Thürme meine Brüste,
So werd' ich doch gefallen?
Zu Baal Hammon hatte einen Weinberg Salomo.
Den Weinberg übergab er Hütern
und jeder muste bringen
für die Frucht tausend Silberling.
Für meinen Weinberg -
Salomo dir tausend Silberling,
zweihundert für die Hütte.

Die du weidest in Gärten,
deiner Stimme lauschen Freundinnen,
laß hören sie!

Flieh wie die Gazelle, mein Lieber,
flieh wie der junge Hirsch,
auf fruchtbarem Gebirge.

übersetzt von Wilhelm Friedrich Hufnagel (1754-1830)

Aus: Salomo's Hohes Lied
geprüft, übersetzt, erläutert
Erlangen bei Johann Jacob Palm 1784



 

 

 

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