Das Hohe Lied Salomos

In der Übertragung von Max Albert Klausner (1904)

 


Wassily Kandinsky (1866-1944)
Improvisation 209

 




Das Hohelied Salomonis

Das Hohelied

Sulamith
Komm, Geliebter, komm herein
Zur Erneurung unsres Bundes;
Köstlicher denn Feuerwein
Sind die Küsse deines Mundes.

Deines Atems süsser Duft,
Er berauschet und berücket;
Deiner Nähe Balsamluft
Aller Mädchen Sinn entzücket.

Drang und Zwang treibt mich dir nach,
Eilends folg ich deinem Rufen
Wie in königlich Gemach,
Wie auf eines Thrones Stufen.

Wonnetrunken harr ich dein,
Ob du meiner auch gedenkest;
Köstlicher denn Feuerwein
Ist die Liebe, die du schenkest.

Willst du nur, mein Hort und Held,
Huld und Gnade mir erweisen,
Muss die ganze grosse Welt
Mich vor allen selig preisen.

Wie Kedarenzelte dunkel
Bin ich, Hals und Antlitz braun,
Wie des Königs Krongefunkel
Bin ich lieblich anzuschaun.

Sonnenglut, die mich verbrannte,
Hat mich nicht so arg verseht,
Wie der Zorn, der mich verbannte
Von dem mütterlichen Herd.

Zürnt ihr, meiner Mutter Söhne,
Weil bei eures Weinbergs Hut
Ich vergass die eigne Schöne
Und des eignen Weinbergs Gut?

Den meine Seele liebt, ich frage:
Wo weilest du?
Und in des Mittags Glut, o sage:
Wo hältst du Ruh?

Bei deinen Gefährten
Mag ich nicht sein;
Ich schmachte nach dir nur,
Nach dir allein.

Der Hirt
Du schönste der Frauen,
Du kennst nicht die Flur?
So folg mit Vertrauen
Der Herden Spur.

So führ deine Lämmer
Durchs knospige Feld,
Durch waldigen Dämmer
Zum Hirtengezelt.

Wie bist du so schmuck; nichts kann dich erreichen!
Dem Prunkgespann Pharos möcht ich dich vergleichen:
Die Kettlein und Schnüre an Wange und Brust,
Sie erhöhn deinen Reiz, meinen Augen zur Lust.
Und güldene Spangen verfertige ich
Mit silbernen Buckeln als Zierrat für dich!

Sulamith
Geliebter und Herr, ich bin deine Blume,
Ich dufte nur deinem Gefallen und Ruhme.
Du bist meine Seele, mein Traum, meine Lust,
Ein Myrrhenstrauss bist du an meiner Brust,
Balsamische Traube, die mich beglückt,
Für mich im Weinberg Engedi gepflückt!

Der Hirt
Meine Schäferin, du schönste der Frauen,
Wie bist du so lieblich anzuschauen!
An deinen Blicken will ich saugen,
Du Schäferin mit den Taubenaugen.

Sulamith
Du Holder, du Schöner, das grünende Feld,
Zu unserem Lager ist es bestellt;
Die Cedern sind Balken unsres Gemachs,
Zypressen, sie bilden die Sparren des Dachs.

Sulamith
Ich bin die Lilie von Saron,
Ich bin die Rose im Tal -

Der Hirt
Was unter Dornen die Rose,
Bist du in der Frauen Zahl.

Sulamith
Wie unter Gebüsch und Gestrüppe
Der tragend Apfelbaum lacht,
So lacht unter allen Männern
Meines trauten Geliebten Pracht.

Sein schattiges Gezweige bildet
Mir kühle, verborgne Bucht,
Und meinen Gaumen letzt er
Mit seiner süssen Frucht.

Mein Trauter labt mich mit Weine,
Er schenkt mir feurigen Trank,
Mich schützt als Panier seine Liebe
- Und ich bin liebeskrank.

Seine Linke stützt das Haupt mir,
Seine Rechte mich fest umschlingt;
Mein liebedurstiges Auge
Den Geliebten selber trinkt.

Ihr Schwestern, ich beschwör euch:
Weckt nicht die Liebe auf!
O wartet, bis sie selber
Nimmt ihren Siegeslauf!

Horch, horch, des Liebsten Stimme
Dringt kosend an mein Ohr!
Er hüpfet über Hügel,
Dringt über Berge vor.

Mein Liebster gleicht dem Hirsche,
Ist schneller als das Reh;
Er lauscht schon hinter der Matte,
Durchs Gitter ich ihn seh!

Horch, horch, der Liebste ruft mich:
Komm, holde Schäferin!
Der Winter ist vergangen,
Die Regenzeit dahin,

Dem Boden entspriessen Blumen,
Der Feigenbaum spendet Duft,
Es girrt die Turteltaube,
Und würzig weht die Luft.

Des Weinstocks junge Triebe
Verbreiten Balsamhauch,
Und neue Lieder erklingen
In Feld und Hain und Strauch.

Auf, auf, meine süsse Taube,
Du schöne Schäferin!
Hinauf ins Felsgeklüfte,
Dort führe ich dich hin.

Dort will ich ins Auge dir schauen
Und hören der Stimme Laut.
Wie süss sind deine Augen!
Wie ist deine Stimme traut!

Du knospest, meine Geliebte,
- Wie schön ist dein Angesicht! -
Mein Weinberg treibt und spriesset
Und bringt die Frucht ans Licht!

Fangt mir die jungen Füchse,
Die rebenverderbliche Brut!
Denn unser Weinberg knospet
Und will jetzt sichre Hut!

Du Trauter meiner Seele,
Dein bin ich, du bist mein -
Du weidest unter Rosen,
O kehre bei mir ein!

Bis sich er Tag gekühlet,
Der Schatten sich gedehnt,
Bleib hier bei deiner Trauten,
Die nur nach dir sich sehnt!

Du gleichst dem jungen Hirsche,
Bist schneller als das Reh -
Spring über die trennenden Berge,
Mein stolzer Hirsch, mein Reh!

Sulamith
Auf nächtger Ruhestätte
Lag ich. Der Schlummer floh.
Geliebter meiner Seele,
Sag an, wo bist du? wo?

Ich hob mich von dem Lager
Und zog strassauf, strassab.
Wo bist du, mein Geliebter?
- Niemand, der Antwort gab.

Ich fragte alle Wächter,
Wo mein Geliebter weilt;
Nicht Einer der Gefragten
Hat Antwort mir erteilt.

Doch als sie kaum vorüber,
Ich den Gesuchten fand.
Ich griff nach dem Geliebten
Und faste seine Hand.

Ich hielt ihn fest und fester,
Ich zog ihn liebend nach
Zu meiner Mutter Wohnstatt,
In Mütterleins Gemach.

Ihr Schwestern, ich beschwör euch,
Weckt nicht die Liebe auf!
O wartet, bis sie selber
Nimmt ihren Siegeslauf!

Wer tritt am Wüstensaume
Rauchsäulengleich hervor?
Wer wirbelt duftigen Weihrauch
Und Myrrhenhauch empor?

Seht dort des grossen Königs
Prunkvolle Lagerstatt,
Die er mit sechzig Helden
Zum Schutz umgeben hat!

Die kriegsgeübte Rechte
Ruht auf des Schwertes Knauf,
Die nächtigen Sorgegeister,
Sie kommen hier nicht auf.

Es ist des Königs Sänfte
Aus Holz vom Libanon,
Aus Silber sind die Säulen,
Und golden glänzt der Thron.

Mit Purpur ist beschlagen
Des Königs Traggezelt,
Der Boden köstlich bedecket,
Wies Judas Töchtern gefällt.

Schaut an, ihr Töchter Zion,
Des Königs Krone und Zier!
So schmückte ihn seine Mutter,
So schmückte sie ihn mir!

Zu deinem Hochzeitsfeste,
Herr König, Glück und Heil!
Mir aber wird Hochzeitsfreude
Nur mit dem Geliebten zu teil!

Der Hirt
Meine Schäferin, du schönste der Frauen,
Wie bist du lieblich anzuschauen!
An deinen Blicken will ich saugen,
Meine Schäferin mit den Taubenaugen!

Schwarzblau und üppig der Zöpfe Prangen,
Wie die Ziegen, die am Gilead hangen.
Deine Zähne weiss, wie der Lämmer Vliess,
Wie purpurne Schnüre der Lippen Verliess.
So leuchten Granaten in sanftem Feuer,
Wie deine Wangen unter dem Schleier.
Stolz trägst du den Hals wie Davids Turm,
Ihm naht kein Angriff, ihn zwingt kein Sturm.
Die Brüste wie Zwillingsrehe zart,
In einer Weide von Rosen gepaart.

Wenn sich der Tag gekühlet,
Der Schatten sich gedehnt,
Eil ich zu ihrem Dufte,
Nach dem mein Herz sich sehnt.

Du Schönste sonder Tadel,
Du wonnigliche Braut,
Komm hin zum Bergesgipfel,
Der dort herniederschaut.

Ich fürchte nicht Löwenhöhlen,
Noch Leopardenbrut;
Ein Blick aus deinen Augen
Erfüllt mich mit Heldenmut.

Glühender denn Feuerwein
Ist die Liebe unsres Bundes,
Köstlicher als Balsamhauch
Ist der Atem deines Mundes.

Honigseim sind deine Worte;
Dein Gewand, getränkt von Duft,
Trägt zu mir, du Heissgeliebte,
Des Gebirges würzige Luft.

Du selbst bist wie ein Garten,
Der die herrlichsten Blumen hegt,
Du selbst bist wie ein Palmenbaum,
Der die edelsten Früchte trägt.

In deinem Garten sprudelt
So mancher lebendige Born;
Meine Braut, du meine Wonne,
Du Duft, du Wein, du Korn!

Sulamith
Du laulicher Südwind,
Komm, stelle dich ein!
Du kühlender Norwind,
Auf, wirble darein!

Dass würzig und lieblich
Der Wohlgeruch geht
Von Blume zu Blume,
Vom Busche zum Beet.

Du Freund meiner Seele,
O lass mich nicht warten,
Erscheine, Geliebter,
In deinem Garten!

Wo bist du, den
Meine Seele sucht?
Komm in deinen Garten
Und brich deine Frucht!

Der Hirt
Ich kam in den Garten
Zu meiner Braut,
Sie labte und pflegte
Mich sorglich und traut.

Sie hat mich geletzet
Mit Honig und Wein,
Sie hüllte in Myrrhen
Und Ambra mich ein.

Herbei, meine Freunde,
Der Rebensaft blinkt,
Gefüllt sind die Becher,
Erhebt sie und trinkt!

Sulamith
Ich lag in wachem Traume
Und habe den Freund gehört:
Mach auf, meine holde Taube,
Geliebte, die mich betört!

Mach auf, meine süsse Freundin,
Du Reine, du meine Braut!
Mir hat die dunklen Locken
Die finstre Nacht betaut.

Ach, Liebster, wie kann ich öffnen,
Im Nachtgewand vor dir stehn?
Wie kann auf nackten Füssen
Ich zu der Türe gehn?

Da streckte er die Arme
Zum Fenster mir herein;
Ich musste ihn erhören
Und konnte nicht grausam sein.

Ich sprach kein Sterbenswörtchen,
Indess ich mich erhob
Und von dem engen Pförtchen
Hinweg den Riegel schob.

Er aber war verschwunden;
Vergeblich rief ich laut,
Vergeblich in den Gassen
Hab ich nach ihm geschaut.

Es haben mich die Wächter
Geschlagen und geschmäht:
Seht an, die freche Dirne,
Die nächtens sich ergeht!

Ihr Schwestern, ich beschwör euch:
Wenn ihr meinen Liebsten seht,
Sagt ihm, dass meine Seele
Vor Sehnen nach ihm vergeht.

Ihr kennt nicht meinen Liebsten?
Er ist wie Milch und Blut,
Nicht Einer ist unter Allen
Wie er so schön, so gut!

Der schwarzen Locken Fülle
Wallt von dem stolzesten Haupt;
Sein grosses strahlendes Auge
Dem Himmel die Blitze raubt.

Die Wangen: balsamische Beete,
Der Mund: der Lilien Neid,
Sein Leib ist elfenbeinen,
Der Arm ist kriegsbereit.

Es schreiten die Marmorschenkel
Auf goldnen Sandalen hin,
Er ragt wie des Libanon Zeder,
Und liebevoll ist sein Sinn.

Jetzt wisst ihr, liebe Schwestern,
Wer mein Geliebter ist;
Nun schaut euch um und saget:
Wo weilt er zu dieser Frist?

Ihr fragt, wohin er gewandelt?
Er ging in den Garten hinaus,
Dort sammelt er Rosen und Lilien
Und bindet sie mir zum Strauss.

Der Traute meiner Seele,
Mein ist er, ich bin sein,
Er weidet unter Rosen
Und kehret bei mir ein.

Ihm bin ich treu ergeben,
Ich bin sein Eigentum,
Mich kann kein Held ihm rauben
Und keines Königs Ruhm.

Und wollte der König werben,
So wiese ich ihn fort;
Mich locket nicht Geschmeide,
Noch Gunst und Schmeichelwort.
Und spräch der König: Deines Haares Prangen,
Wie die Ziegen ists, die am Gilead hangen;
Deine Zähne so weiss wie der Lämmer Vliess,
Wie purpurne Schnüre der Lippen Verliess;
So leuchten Granaten in sanftem Feuer,
Wie deine Wangen unter dem Schleier;
Ich habe der Frauen und Mägde gar viel
Und Königinnen auf meinem Pfühl;
Du aber bist schöner als Alle zumal,
Dich liebe ich einzig; nach deiner Wahl
Sollst Herrin du sein im ganzen Land,
Du selbst vor allen Frauen genannt -

Ich riefe doch immer und immer: Nein, nein!
Ich bin meines Freundes Herzliebste allein!

Nichts gilt mir dein Werben;
Die höfische Gunst
Ist Schaum mir und Lüge
Und nichtiger Dunst.

Ich hasse das Lob,
Das ein Anderer zollt;
Wenn er es mir spendet,
So klingt es wie Gold.

Mit ihm will ich pflegen
So Blume wie Baum;
Des Hofes Gepränge
Bleibt fern meinem Traum.

Die Wagen, die Rosse,
So prächtig geschirrt,
Ich habe zu ihnen
Mich nur verirrt.

Ihr rufet mich wieder -
Was wollt ihr von mir?
Es gibt viele Frauen
Von grösserer Zier!

Chor der Frauen
Sulamith, anmutreichste,
Du reizende Tänzerin,
Du schreitest wie eine Fürstin
So hoheitsvoll dahin.

Der schlanken Hütten Bewegung,
Sie ist dem Auge Gesang;
Die Formen deines Leibes,
Sie sind wie Harfenklang.

Den jungen Zwillingsrehen
Gleicht dein Brüstepaar;
Tiefgründig dunkle Teiche,
So stellen die Augen sich dar.

Dein Hals ist elfenbeinen,
Der Blick so hell und klar,
Es rieselt in üppiger Fülle
Schwarzblau das lockige Haar.

Dein Wuchs gleicht dem der Palme,
Der Traube deine Brust;
Glückselig, dem du gönnest,
Zu kosten ihre Lust!

Dein Atem - Duft der Äpfel -
Dein Gaumen - köstlicher Wein . . .

Sulamith
Den trinkt in Ewigkeiten
Meiner Seele Geliebter allein!

Du Trauter meiner Seele,
Dein bin ich, du bist mein,
O komm in unsern Garten,
Der Blumen dich zu freun!

Wir schaun, ob die Granate
In frischer Blüte prangt,
Und ob am Rebenhügel
Die Traube dicht sich rankt.

Gern will ich mit dir kosen
An still verschwiegnem Ort;
Komm zu den duftenden Rosen,
Herzliebster, mit mir fort!

Ach, wärest du mein Bruder,
Dass ich nicht warten müsst,
Ich hätte vor aller Augen
Von Herzen dich geküsst.

Ich hätte dich zur Mutter
Geführt und dich gekost,
Dir manchen vollen Becher
Gereicht mit Wein und Most.

O komm in den lauschigen Garten,
Wo Thymian duftend winkt,
Deine Linke stütze das Haupt mir,
Die Rechte mich fest umschlingt!

Ihr Schwestern, ich beschwör euch,
Weckt nicht die Liebe auf!
O wartet, bis sie selber
Nimmt ihren Siegeslauf!

Ich habe es erfahren
In hold berückendem Traum,
Da ich den Liebsten weckte
Unter dem Apfelbaum.

Als Siegelring, Geliebter,
Leg mich an Herz und Arm!
Dort will ich bei dir ruhen,
So friedlich und so warm.

Gewaltig ist die Liebe,
Gewaltig wie der Tod,
Und wie der Hölle Feuer
Der Liebe Eifer loht.

Von aller Himmel Herren
Entstammt der Liebe Glut;
Kein Strom kann sie ersticken,
Fortführen keine Flut.

Und bötet ihr Haus und Habe
Für Liebe - eitler Wahn:
Der Liebe Himmelsgabe
Kann man nur frei empfahn.

Wie haben meine Brüder
Sich einst um mich gebangt,
Bis erst der Freier käme,
Der meine Hand verlangt.

Gleicht unsre kleine Schwester
Dem festummauerten Platz,
Verdient sie hohe Ehre
Und reicher Mitgift Schatz.

Doch gleicht sie einer Pforte,
Die mancher Schlüssel schliesst,
So ist sie eine Quelle,
Daraus uns Sorge fliesst.

Stolz trag ich den Hals, wie Davids Turm,
Mir nahte Gefahr nicht, mich zwang kein Sturm!

Des Königs Weinberg verlanget Hüter,
Die stützen des Königs kostbare Güter.
Meinen Weinberg habe ich selbst zur Hand,
Zu seinem Hüter bin ich ernannt.
Ich gönne dem König das reichste Gut
Und spare den Preis für bestellte Hut.

O komm, mein Trautgeselle!
Bist schneller als das Reh;
Spring über die trennenden Berge,
Mein stolzer Hirsch, mein Reh!

übersetzt von Max Albert Klausner (1848-1910)

Aus: Die Gedichte der Bibel
in deutsche Sprache
von M. A. Klausner
Mit Buchschmuck von Judith Klausner
III. Teil: Das Hohelied / Das Klagelied /
Das Buch Ijob / Das Buch Esther /
Das Buch Ruth / Der Prediger
Zweite und dritte Auflage
Berlin N. W. Verlag von S. Calvary & Co 1904



 

 

 

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