Das Hohe Lied Salomos

In der Übertragung von Martin Opitz (1597-1639)

 


Wassily Kandinsky (1866-1944)
Improvisation 209


 

SALOMONS Hohes Lied


[.1]
Das Erste Liedt

Die Sulamithinn
LIebster (sagt in süssen schmertzen
Deine Sulamithinn dir)
Komm doch / saget sie von Hertzen /
Küsse mich / O meine Ziehr:
Deine Huldt ist zu erheben
Für des schönsten Weines Reben.
Dein Geruch der ist viel besser
Als der feist' Olivensafft
An dem Syrischen Gewässer /
Als des Balsams edle Krafft.
Darumb müssen auff dich schawen
Vnd dich lieben die Jungfrawen.
Zeuch mich hinter dir; wir kommen /
Folgen deinen Händen nach:
Nun er hat mich eingenommen
In sein heilges Schlaffgemach /
Wil mich wissen an den enden
Wo sich meine Brunst kan wenden.
Wem darff ich am Glücke weichen /
Weil mich der so sehnlich liebt
Dem kein Wein ist zu vergleichen
Den die beste Traube giebt?
Alle Leute welche leben
Müssen meinen Freundt erheben.
Meint jhr das ich minder gelte /
O jhr Töchter Solyme /
Weil ich schwartz bin wie die Zelte
An der heissen Morensee?
Köndt' ich schönheit doch noch leihen
Salomons tapezereyen.
Daß ich braune haut gewonnen
Seht mich darumb nicht so an:
Ich bin schwartzbraun von der Sonnen /
Ihre Brunst hat diß gethan /
Seit das mich in Zorn vnd hassen
Meiner Mutter Kinder fassen.
Ich müst' jhnen stets verwachen
Ihre Berg' vnd jhren Wein;
Ihre Berge welche machen
Das ich jetzund schwartz soll sein.
Aber mein Berg blieb nur liegen
Weil ich müste sie vergnügen.
Sag' / O Sonne meiner Seele/
Sage doch / wo weidest du?
Welchem Thale / welcher Höle
Gönnst du deine Mittagsrhue?
Wo doch pflegst du jetzt zu schlaffen /
Mein gantz Ich / mitt deinen Schaffen?
Soll ich dann in frembden Stellen
Irrig gehen aus vnd ein
Weit von deinen Mitgesellen
So dir pflegen huldt zu sein?
Soll ich vngebührlich lauffen
Von der guten Freunde hauffen?


Salomon
O du schönest' aller Frawen /
Weissest du nicht wo ich bin /
Den du wündschest anzuschawen /
So verfüge bald dich hin
In den Fußpfadt meiner Herde /
Da ich mich befinden werde.
Treib du deine junge Ziegen
Wo die schönen Wiesen stehn /
Wo die andern Hirten liegen /
Oder in dem Grase gehn;
Wo sie jhre dicke scharen
Lustig weiden vnd bewahren.
Wie für andern Wagenpferden
König Pharons seine Schlacht
Billich soll gelobet werden;
So muß ich auch deine pracht /
Deinen güldnen Glantz erheben /
O mein Liecht / mein Trost vnd Leben.
Deine bräunlichrote Wangen /
Welche meine machen bleich /
Stehen lieblich in den Spangen /
Sind durch grossen Zierath reich;
Vnd dein Halß tregt Edle Steine /
Die er vbertrifft am scheine.
Nun wir wollen noch mehr sachen
Bringen lassen dir zur Ziehr /
Vnd ein newes Halßbandt machen
Das für allen leuchte für;
Spangen sollen dir gefallen
Von den köstlichsten Metallen.


Die Sulamithinn
Weil der König vnd sein Leben
Sich gebrauchten jhrer Zeit /
Muste meine Narden geben
Den Geruch der Liebligkeit /
Muste lufft vnd ort erfüllen
Weil sie jhre Liebe stillen.
Köndte mein Gemüt' auch jrren?
Mein Hertzliebster kömpt mir für
Alß ein Püschlein frißcher Myrrhen
Zwischen meiner Brüste ziehr /
Als die Tauben welche stehen
Auff des Flecken Engadts höhen.


Salomon
Meine schönste / meine Wonne /
Deines gleichen lebet nicht;
Du bißt aller schönheit Sonne;
Deinen Augen / O mein Liecht /
Müssen Taubenaugen weichen /
Ihrem Glantz' ist nichts zu gleichen.


Die Sulamithinn
Du bist schön vnd außerlesen;
Vnser Bette grünet wol;
Vnser Cedern Zimmerwesen
Vnd der Baw ist schönheit voll;
Zu den Decken sind Cypressen;
Nichts ist an der lust vergessen.


[2]
Das Andere Liedt

Die Sulamithinn
WIe die Rose pflegt zu stehn
In den hohen Saronswäldern /
Wie die Lilie auff zu gehn
In denselben grünen Feldern
Wann die Sonne zeiget sich /
Also bin ingleichen ich.


Salomon
Wie der güldnen Rosen Ziehr
Vnter scharffen Dörnern blühet /
Vnd für jhnen ragt herfür;
Wie jhr schöner Glantz außsiehet /
So muß meiner Liebsten schein
Vnter andern Töchtern sein.


Die Sulamithinn
Wie ein Oepfelbawm der Frucht
In dem reichen Herbste treget
Für den Bäwmen wird gesucht
Die man ohne nutzen heget;
So weit blickt der Liebsten Ziehr
Für den andern Söhnen für.
Was ist besser als daß ich
Wann mich brennt die Sommerhitze
Seiner Frucht gebrauche mich /
Vnter seinem Schatten sitze?
Dann zu meiner Kehlen lust
Ist mir süssers nichts bewust.
In die Keller vnterhin
Wil er mich zum Weine führen;
Daß ich frey vnd sicher bin
Deckt er mich mit Liebspanieren:
Seine trewe Liebe macht
Daß mein Sinn deß Glückes lacht.
Wo der Wein darinnen steht
Stützet mir die Legel vnter
Dann mein Hertze das vergeht;
Machet mich mit Oepffeln munter;
Liebeskranckheit kömpt mich an
Daß ich nicht mein selbst sein kan.
Er hat seine lincke Handt
Vnter meinem Häupte liegen /
Als der wahren Liebe Pfandt
Vnd mein eusserstes genügen;
Vnd vmb meinem Leib vnd mich
Schlegt er mit der Rechten sich.


Salomon
O jhr Töchter Solyme /
Ich beschwer' euch bey den Rehen
Die zu Feld' vnd auff der Höh'
In der feisten Weide gehen /
Weckt mein Lieb nicht auff mit macht
Biß sie von sich selbst erwacht.


Die Sulamithinn
Hör' ich meinen Liebsten nicht?
Seh' ich jhn nicht zu mir dringen?
Schawe doch mein werthes Liecht
Auff den weissen Hügeln springen/
Wie ein Rehbock sich erzeigt /
Vnd die wilde Gemse steigt.
Hat er sich doch schon allhier
Hinter vnsre Wandt begeben /
Sieht durchs Fensterliedt herfür /
Durch das Gitter schawt mein Leben /
Singt auffs lieblichst' als er kan /
Vnd hebt also zu mir an.


Salomon
Komm / O schöne / wo ich bin /
Auff / Lieb / stille mein verlangen:
Schnee vnd Eiß ist vberhin /
Sturm vnd Regen sind vergangen:
Das vorhin bereiffte Landt
Wird in Blumen vmbgewandt.
Nichts ist trawrig was man sieht /
Frewde steckt in allen dingen /
Waldt / Feldt / Berg vnd Wiese blüht /
Die verliebten Vögel singen /
Vnd die Turteltaube rufft
Ihrem Buhlen aus der Lufft.
Der fast blawe Feigenbawn
Hat viel Knotten schon gewonnen /
Vnd der Weinstock helt sich kaum /
Krieget Augen von der Sonnen /
Sein Geruch macht sich herfür;
Komm / Lieb; schöne / komm zu mir.
Meine Taube die du dich
Setzest in Gebirg' vnd Klippen /
Laß die schönheit schawen mich /
Laß mich hören deine Lippen;
Nichts ist das der Stimme gleicht /
Der gestalt ein jeder weicht.
Leidet nicht die Füchse mehr /
Schlaget jhre jungen nieder
Die den Weinberg also sehr
Vns verwüsten hin vnd wieder /
Dann er jetzt kaum wird gehegt /
Vnd noch wenig Beeren tregt.


Die Sulamithinn
Der mich mehr noch liebt als sich /
Der nur mich liebt vnd sonst keine /
Der ist mein' vnd sein' auch ich /
Seine bin ich vnd er meine;
Liljen sind jhm eine lust /
Vnd Violen seine kost.
Wann der rote Tag anbricht /
Wann der Schatten ist vergangen /
Komm alßdann vnd säume nicht /
Komm herwieder / mein Verlangen /
Wie ein Rehe sich erhebt
Das auff Bethers Alpen lebt.



[.3]
Das Dritte Liedt

Die Sulamithinn
NAchdem ich lag in meinem Oeden Bette
Sucht' ich mein edles Liecht /
Ich sucht' ob ich den Liebsten bey mir hette /
Ich fandt jhn aber nicht.
Mich zwang die Brunst das Lager zu verlassen:
Ich lauffe was ich kan
Hin durch die Stadt / such' vmb auff allen Gassen /
Vnd treff' jhn doch nicht an.
Ich fragte drauff die Wächter aus verlangen:
Wißt jhr mein Leben nicht?
Vnd als ich war ein wenig fortgegangen
Da fandt ich erst mein Liecht.
Ich grieff jhn an / begierig jhn zu zwingen
Zu meiner Mutter hin;
Ich must' jhn doch biß in jhr Hauß heimbringen
Vnd in die Kammer ziehn.
So grosse lust jhr habt zun Reheböcken /
Ihr Töchter Solyme /
So wenig solt jhr meinen Liebsten wecken /
Biß das er selbst auffsteh.


Salomon
Wer ist sie doch die jhre schönheit zeiget /
Kömpt aus der Wüsteney /
Wie Rauch empor von thewren Myrrhen steiget /
Vnd vieler Specerey?


Die Sulamithinn
Lest Salomon sein Bette nicht vmbgeben?
Stehn sechtzig nicht allhier
Auß Israell die stärcksten so da leben /
Vnd wachen stets darfür?
Sie allesampt sind ritterlich geübet /
Sind jhres Königs macht /
Vnd schützen jhn in dem er liegt verliebet /
Behüten jhm die Nacht.
Der Salamon ließ schönes Holtz abhawen
Vom grünen Libanon /
Von Silber ließ er edle Säulen bawen
An seinen Bettethron.
Die Deck' ist Goldt / vnd Purpur ist sein Küssen;
Der Grundt ist Lieb' vnd Gunst /
Aus Solyma von Töchtern die wol wissen
Zu sticken nach der Kunst.
Kompt doch heraus / kompt her doch / jhr Jungfrawen /
Ihr Töchter von Zion.
Ach säumet nicht / kompt eilendts anzuschawen
Den König Salomon.
Seht auff sein Haupt / seht an die schöne Krone
Auff seine Heyrathzeit /
Die jetzund giebt die Mutter jhrem Sohne
Zu rechter Fröligkeit.


[.4]
Das Vierdte Liedt

Salomon
MEin Lieb / wie schöne bist doch du!
Wie zeucht mich die gestalt herzu!
Als Taubenaugen sind die deinen /
Wann zwischen deiner Haare ziehr
Ihr heller Glantz sich giebt herfür /
Vnd sie gleich als zwo Sonnen scheinen.
Wie ferren jenseit dem Eufrat
Hoch an den Klippen Galaad
Sich lustig macht das Heer der Ziegen /
Vnd wie sie springt die geile Schar /
So sehn wir auch das güldne Haar
Vmb deine zarte Stirne fliegen.
Die Zähne geben gantz nicht nach
Den Schaffen die erst aus der Bach
Ganz rein vnd weiß gewaschen kommen /
So Zwilling' haben allzumal /
Vnd bringen richtig jhre Zahl /
Auch nur nicht eines außgenommen.
Noch röter ist der Lippen schein
Als eine Rose pflegt zu sein;
An reden lebt nicht deines gleichen;
Ein Granatapffel ob er wol
Ist Ziehrligkeit vnd röte voll
Muß deinen weichen Backen weichen.
Als wie der Thurn den David hat
Mit einer Brustwehr' in die Stadt
Jerusalem hoch auffgebawet /
Dran Tausend Schilde sind gemacht
Vnd vieler starcken Waffen pracht /
So wird dein Hals auch angeschawet.
Als wie zur newen Frülingszeit
Wann alles blühet weit vnd breit
Zwey junge Reh' in Rosen gehen
Die Zwilling' einer Mutter sind /
So sieht man gleichfals auch / mein Kind /
An dir die weissen Brüste stehen.
Ich wil / biß das die Hitze weicht /
Vnd jhre Brunst vns nicht erreicht /
Mich zu dem Myrrenberge lenden;
Zum Weyrauchhügel wil ich mich
Begehen biß die Sonne sich
Wird vnter vns zu Nachte wenden.
Gantz schöne / meine Lust / bist du /
Du bist gantz schöne / meine Rhue;
Wer ist es der dich recht beschreibe?
Du bist die Liebe selbst / mein Liecht /
Du hast gar keine mackel nicht /
Kein Flecken ist an deinem Leibe.
Komm mit mir von dem Libanon /
Vom Amansberge / vom Hermon /
Vnd von des hohen Senirs wüsten /
Da wo man Tigerthiere findt /
Wo starcker Löwen Hölen sind /
Vnd grimme Leoparden nisten.
Du nimpst / O Braut / mir meine Rhue /
Du reissest dir mein Hertz' herzue
Mit deiner scharffen Augen scheine /
Vnd deines Halses edle Bandt
Hat mir bestricket Sinn vnd Handt;
Ich bin nun selber nicht mehr meine.
Wie gut pflegt deine Huldt zu sein!
Die Brüste lieb' ich für den Wein
Der gleich am besten ist auff Erden:
Dem was Arabien vns schickt
Muß der Geruch noch vorgezückt
Von deiner thewren Salbe werden.
O Braut / die Lippen trieffen dir
Von Honigseime für vnd für /
Die Zung' ist Milch vnd Honigsüsse:
Die Kleider haben den geschmack
Den Libanus nicht geben mag
Auch wenn er alle Krafft außliesse.
Du kömpst mir / Schwester / liebste Ziehr /
Als ein verschlossner Garten für /
Als eine zugedeckte Quelle;
Du bist ein Brunnen dessen Fluß /
Man zugesiegelt halten muß /
Der nicht rinnt ausser seiner stelle.
Es ist / du Spiegel aller Zucht /
Von Granatöpffeln deine Frucht /
Man kan bei dir viel Cypern finden /
Vnd Narden / Saffran / Kalmes auch /
Gewürtze / Myrrhen / Weyherauch /
Vnd Aloes / vnd Zimmetrinden.
Gleich wie ein kühler Brunnen fleust /
Vnd in ein dürstigs Thal sich geust /
So pflegst du / O mein Quell / zu fliessen.
Du bist die vnerschöpffte Bach
So reichlich wächset nach vnd nach
An Libanons begrünten Flüssen.


Die Sulamithinn
Komm Nortwindt; Du / O Sudt / steh' auff /
Nim durch den Garten deinen lauff /
Laß seine Wurtzel wol durchnässen;
Mein Liebster komm' jetzt ohn beschwer
In diesen werthen Garten her
Von seiner edlen Frucht zu essen.


[.5]
Das Fünffte Liedt

Salomon
ICh bin schon in den Garten kommen /
Ich habe Myrrhen abgenommen
Vnd Würtze / Schwester / meine Rhue;
Ich esse Honig / O mein Leben /
Ich trincke Safft von truncknen Reben /
Vnd meine süsse Milch darzue.
Nun kompt / jhr Freunde / kompt zum essen /
Des Leides sey jetzt gantz vergessen /
Thut weg die bleiche Trawrigkeit:
Wir wollen nur auff Frewde dencken /
Vnd nicht nachlassen einzuschencken
Biß das jhr truncken worden seyd.
Die Sulamithinn.
Ich hatte mich zwar eingerieben /
Doch war mein Hertze wachend blieben /
Ob gleich der müde Cörper schlieff;
Das Hertze wachte mit verlangen
Da als mein Buhle kam gegangen /
Vnd mir mit lieber Stimme rieff.


Salomon
Mach' auff / mein Leben / meine frewde /
Mein Trost / vnd meiner Augen weide /
Mach' auff doch / allerliebste Braut;
Mir sind bereiffet Haar vnd Wangen
Weil ich zu Nacht' hieher gegangen;
Das Haupt ist gantz vnd gar betawt.


Die Sulamithinn
Ich liege nackend schon darnieder /
Soll ich mich anziehn? soll ich wieder
Die Füß' hernach erst waschen mir?
Ich Arme! weil ich jhn ließ stehen
Ließ er die Thür vnd wollte gehen;
Mein Hertz' entsatzte sich darfür.
Da stundt ich auff jhn nicht zu jrren;
Die Hände troffen mir mit Myrrhen
Als ich sie leget' an das Schloß.
Was hatt' ich mich doch vnterfangen?
Er war mir schon hinweg gegangen /
Vnd ich war seines beyseins loß.
Folg' ich? wo ist er hin mein Leben?
Ruff' ich? wird er auch Antwort geben?
Mir zittert meines Hertzens grundt.
Die auff der Mawren wachen stehen /
Vnd in den Gassen hüten gehen /
Beraubten mich / vnd ich ward wundt.
Wo ferrn euch Ehrbarkeit behaget /
Ihr Töchter Solyme / so saget /
Wann euch mein Trost für Augen kömpt /
Sagt / bitt' ich / jhm das ich auß Liebe
Mein waises Hertze kranck betrübe
So stets mit heißem Fewer glimmt.


Die Jugfrawen
Wer ist er den du denckst zu schawen /
Du schönest' vnter allen Frawen?
Wer ist dein Liebster / sag' es an /
Den so dein Hertze muß begehren
Daß es dermassen vns beschweren
Vnd sich selbselbsten martern kan?


Die Sulamithinn
Mein Trost auff den ich alles richte
Ist weiß vnd roth in dem Gesichte /
Viel Tausendt weichen jhm an Ziehr:
Sein Haupt ist Goldt / sein Haar erhaben
Vnd auffgekräust / das auch den Raben
An schwärtze selber gehet für.
Wie Taubenaugen sind die seinen /
So gleich als zweene Sternen scheinen /
Milchweiß gewaschen an der Bach.
Den Bethen die in Gärten stehen
Da Blumen vnd Gewürtz' auffgehen
Giebt seiner Wangen Glantz nicht nach.
Wie Rosen so mit Myrrhen fliessen
Sind seine Lippen die nichts wissen
Zu reden als von Huldt vnd Gunst;
Die Hände sind so zart vnd reine
Als Ring' in welche thewre Steine
Gesetzet stehn durch schöne Kunst.
Sein Leib (was kan man besser ziehren?)
Ist Helffenbein das mit Saffiren
Wird eingeleget vnd erhöht;
Vnd die geraden weissen Beine
Sind eine Säul' aus Marmorsteine
So auff gantz güldnen Füssen steht.
Der Libanon kan jhm nicht gleichen /
Die edlen Cedern müssen weichen
So tragen kan sein reicher Waldt.
Ihr Töchter / süß ist seine Kehle.
Der ists von dem ich euch erzehle;
Er ists / mein Hort vnd Auffenthalt.


Die Jungfrawen
Wo ist er dann nun hingegangen
Auf den du stellest dein verlangen /
Du aller Weibesbilder Ziehr?
In welchen ort ist er wol kommen?
Wohin hat er den Weg genommen /
Das wir jhn suchen neben dir?


[.6]
Das Sechste Liedt

Die Sulamithinn
IM Garten wird mein Trost zu finden sein /
Da samlet er die zarten Rosen ein /
Da weidet er / da pflegt er einzubinden
Das Nardenkraut / Gewürtz' vnd Zimmetrinden.
Er ist der mein' / er ists / mein Hertz' vnd Sinn /
Vnd ich weiß auch das ich die seine bin /
Von dem mich nichts auff dieser Erden scheidet /
Der jetzundt geht vnd in den Liljen weidet.


Salomon
Ist Thirza gleich die allerschönste Stadt
Von derer Schar so stehen am Eufrat /
So bist doch du / mein Augentrost vnd Leben /
Für jhrer Ziehr gar weit noch zu erheben.
Wie Solyma in jhren Thürnen steht
Mit denen sie fast an die Wolcken geht /
So bist du auch: doch kanst du gleichfals schrecken /
Wie Kriegesvolck pflegt furchte zu erwecken.
Ach wende doch mit deinen Augen dich
Von meinen weg / dann sie entzünden mich;
Sie martern mich mit Tausent harten Qualen
Vnd Tausent noch der Augen heisse Stralen.
Nicht anders als der feisten Ziegen Schar
In Galaad / ist auch dein schönes Haar:
Die Zähne sind wie Schaffe / recht zu sagen /
So reine sind / vnd Zwilling' allzeit tragen.
Granatenfarb' ist sie gleich trefflich hoch /
So vbertrifft sie doch am Glantze noch
Die grosse Ziehr vnd Schönheit deiner Wangen /
Vmb welche hier die güldnen Haare hangen.
Zwar sechzig sind der Königinn allhier /
Vnd achtzig halt' ich Kebesweiber mir /
Die Mägdlein sind nicht alle fast zu zehlen /
Doch muß ich dich mir sonderlich erwehlen.
O meine Taub' / O Hertz' / O werthes Liecht /
Der Mutter lust / dir gleicht sich keine nicht.
Es müssen ja die Töchter dich erheben /
Vnd dir dein Lob die Königsweiber geben.
Sie fangen an: Wer muß doch diese sein /
Die lieblich ist als wie der Morgenschein /
Wie Mond' vnd Sonn'; vnd die vns mehr kan schrecken
Als wann man sieht ein Heer die Fahn auffstecken?


Die Sulamithinn
Ich gieng hinab in einen Nüssewaldt /
Vnd sahe zu ob nicht der Weinstock bald
Hett' Augen kriegt / vnd ob nicht auch zu grünen
Mitt Blüte schon die Granatöpffel schienen.
Ich aber hab' es nie bey mir bedacht
Wie jch doch wol zurücke ward gebracht
Aminadab auff deinem schnellen Wagen
An welchem sie vier frische Rosse jagen.


Salomon
Komm / Liebste / komm; was fleuchst du dann für mir /
Der ich mich doch so gantz ergebe dir?
Komm jmmer komm / komm Sulamithinn / wieder.
Was schämst du dich? schlag nicht die Augen nieder.
Was seht jhr doch die Sulamithinn an /
Die mich so wol mit Liebe binden kan /
Die ähnlich sieht den Heeren so zum streiten
Zu offner Schlacht vnd kampffe sich bereiten?


[.7]
Das Siebende Liedt

WIe schöne Füß' vnd auch wie schöne Schue
Sind deine doch / du Fürstentochter du:
Wie Spangen stehn beysammen deine Lenden /
Sehr wol gemacht von guten Meisterhänden.
Dein Nabel wie ein runter Becher steht /
Dem niemals Tranck vnd süsser Wein abgeht;
Der Bauch gleicht sich dem Weitzenhauffen eben
Der rings vmbher mit Rosen ist vmgeben.
Gleich wie man sieht zwei junge Rehe sich
Mit geilem Spiel' ergetzen lustiglich /
Vnd frölich sein an einer grünen Wüste /
So stehn dir auch die rundterhabnen Brüste.
Dein weisser Hals giebt von sich solchen schein
Ale wie ein Thurn gemacht aus Helffenbein.
Die Wangen sind wie Hesbons schöne Teiche
Am Bathrabs Thor' in Armons seinem Reiche.
Die Nas' ist dir wie Libans Thurn erhöht
Hier wo der Weg hin nach Damascus geht:
Das Haupt sieht aus wie Karmel an dem Strande
Der Mittelsee im Palestiner Lande.
Das edle Haar mit dem du / Liebste blühst /
Hat einen Glantz wie Königspurpur ist.
Du hast doch nichts als lauter solche Gaben
Die manch' jhr wündscht vnd du kanst einig haben.
Was ist es nun das dir an lenge gleicht?
Ein Palmenbawm der keiner last nicht weicht.
Die Brüste stehn wie Trauben die noch reiffen /
Vnd harte sind zum ersten anzugreiffen.
Was geb' ich doch dem säumen weiter raum /
Vnd steige nicht auff meinen Palmenbawm?
Laß deine Brüst' als junge Trauben stehen /
Der Nasen ruch für schmeckend' Oepffel gehen
Dein zarter Schlund sey wie ein süsser Wein
Der vns erquickt vnd schläfft die Sinnen ein /
Vnd machet das dein Buhle sachen saget /
Wie einer der im Trawme nach was fraget.


Die Sulamithinn
Ich bleib' vnd bin des Liebsten für vnd für /
Dann seine lust beruhet gantz auff mir.
Komm / Hertze / komm; laß vns zu Felde bleiben
In feister Rhue / vnd da die zeit vertreiben.
Wir lassen nur der Stadt nicht-rechten-schein /
Ihr eitels thun vnd falsche Frewde sein;
Wir wolln mit dir / O Morgenröth' / auffstehen /
Vnd frölich hin in vnsern Weinberg gehen.
Wir wollen sehn ob nicht der Stock schier blüht /
Vnd ob er nicht mit newen Augen sieht;
Ob dieses Jahr wird Granatöpffel tragen /
Ob jhre Haut beginnet außzuschlagen.
Als dann will ich dir reichen meine Brust
Vnd einen Kuß; wil alle Feldeslust
Dich lassen sehn / dir alle Früchte geben
So ich für dich pfleg' heilig auffzuheben.


[.8]
Das Achte Liedt

Die Sulamithinn
ACh hettest du mit mir an einer Brust gesogen /
Daß meine Mutter dich wie mich hett' aufferzogen /
So würde mich kein Mensch / der jetzt vns neiden kan /
Verdencken / grieff' ich dich gleich offenbarlich an.
Ich wolte deinen Halß / mein Trost / auff freyer Gassen
Für aller Welt Gesicht' erwischen vnd vmbfassen;
Ich führte / Liebster / dich in meiner Mutter Hauß /
Vnd liesse dich hernach auch nimmer nicht herauß.
Daselbsten würdest du / mein Seelentrost / mich lehren;
Hergegen wolt' ich dir gemachten Wein verehren /
Vnd Granatöpffelmost. Die Lincke fügte sich
Vmb mein verliebtes Haupt / die Rechte küßte mich.


Salomon
Die Allerliebste schläfft: ich bitt' euch / jhr Jungfrawen /
Als wie auch zuvorhin / jhr wollet fleissig schawen
Das jhr sie ruhen laßt; ach redet ja nicht viel /
Vnd ruffet jhr nicht auff / biß das sie selber wil.


Die Jungfrawen
Wer ist das werthe Bildt mit solchen schönen Brüsten /
Mit solcher grossen Zier / die auffsteigt aus der Wüsten /
Vnd lehnt so zierlich sich auff jhren Liebsten an?
Wer ist sie / welcher nichts an Gaben gleichen kan?


Salomon
Bey einem Apffelbawm' hab' ich dich / Lieb / gefunden /
Vnd aus der Rhue erwackt; hier wo zu guter stunden
Dich deine Mutter hat / mein Hertzensliecht / erzeugt /
Vnd mir zu dieser lust gebohren vnd geseugt.
Setz' als ein Siegel mich dir auff dein Hertz' vnd Armen;
Laß deine Liebe doch bey mir so sehr erwarmen
Das keine Wasserflut / ob gleich sie Nacht vnd Tag
Sich mehr vnd mehr ergeust / die Brunst verleschen mag.
Für rechter Liebe kan kein Silber nicht bestehen /
Das beste feine Goldt kan jhr nicht gleiche gehen
Die vber alles steigt: es ist kein edler Stein
Der jhr am minsten auch nur kan gemesse sein.
Was bringen wir hernach / was bringen wir für sachen
Der kleinen schwester für? was sol man mit jhr machen
Die noch nicht Brüste hat? was sagen wir nur wol /
Im fall man künfftig sich mit jhr bereden soll?
Nun / ist sie eine Wandt so wollen wir auch schawen
Daß wir darauff ein Schloß vnd silbern Bollwerck bawen.
Damit sie edler sey: ist sie dann eine Thür /
So soll schön Cedern Holtz vermehren jhre Ziehr.


Die Sulamithinn
Ich bin ein Mawerwerck das wol gegründet stehet /
Vnd meine Brüste sind als zweene Thürn' erhöhet:
Willkommen edle Rhue; jhr Waffen gute Nacht;
Ich bin nun franck vnd frey / der Fried' ist schon gemacht.
Es pfleget Salomon an Tausent Silberlingen
Für seinen grossen Berg der guten Wein kan bringen
Von einem jeglichen der diesen Wein verwacht
Die Zinsen einzuziehen; den Pact hat er gemacht.
Mein Weinberg ist für mich; Darauß solt du erheben
Auch Tausent Silberling' / vnd ich wil gleichfals geben /
O König Salomon / den Leuten allzumal
So drinnen Hüter sind zweyhundert an der Zahl.


Salomon
Mein Hertze / welche du die stillen Gärte liebest /
Vnd in denselben dich mit schönem singen übest /
Es stehen meine Freund' vnd Mitgesellen hier;
Laß hören / O mein Lieb / der güldnen Stimme ziehr.


Die Sulamithinn
Fleuch / mein geliebter / fleuch / fleuch fort mit freyem zügel/
Mein Alles vnd mein Ich / fleuch auff die Kräuterhügel /
Als wie ein junger Hirsch vnd Rehe seine Rhue
In öden Wüsten sucht / vnd läufft den Bergen zue.


 

Aus: Martin Opitz, Gesammelte Werke Kritische Ausgabe, Hrsg. George Schulz-Behrend, Anton Hiersemann Stuttgart 1989

 

 

zurück zum Inhaltsverzeichnis