Das Hohe Lied Salomos

In der Übertragung von Johann Gottlob Wilhelmi (1721-1796)

 


Wassily Kandinsky (1866-1944)
Improvisation 209




Das Lied aller Lieder Salomo


Erster Gesang

Sulamith

2 Er, meiner Wünsche Ziel, der Gott des Gnadenbundes,
Belebe meinen Geist durch Küsse seines Mundes.
Du bists, mein Salomon, dich meyn' ich ganz allein;
Die Liebe, die du schenkst, ist lieblicher denn Wein.

3 Der Salben Wohlgeruch kann jedermann erfreuen;
Dein Nam' erquickt noch mehr als alle Specereyen.
Ein Balsam trieft von Dir und stärkt die matte Brust.
Du bist jungfräulicher und keuscher Seelen Lust.

4 Du zeuchst; und deine Kraft erleichtert unsre Füße.
Durch dich, mein König, stark, trotz aller Hindernisse,
Dring ich in dein Gemach, wo wahre Freude lacht
Die jeden, der dich liebt, den Wein vergessend macht.

5 Fragt, Töchter Salems, nicht nach äußerlichen Zeichen.
Von außen seht ihr mich den Hütten Kedar gleichen;
Und doch wohnt Salomo in seiner Zimmer Pracht
Nicht so, wie mich mein Freund von innen herrlich macht.

6 Die Farb' ist äußerlich die Wirkung heißer Tage.
Die mit am nächsten sind, vermehren meine Plage;
Und wenn ich noch so treu in meinem Weinberg bin,
So lästern sie mich noch: welch eine Hüterinn!

7 Doch du, mein Bräutigam, wenn mich die Welt betrübet,
Bleibst unverändert der, den meine Seele liebet.
O! zeige mir doch an, wo deine Heerd', o Hirt!
Am heißen Mittag Ruh und Schatten haben wird.
Warum soll ich, von dir entfernt, bey andrer Heerden,
In Traurigkeit verhüllt, des Spottes Vorwurf werden.
 

Salomo

8 Verkenne dich nur nicht, o Schönste, wandle nur,
Dir zur Befestigung, auf meiner Schafe Spur.
Zugleich sey dir das Heil der Schwachen angelegen,
Wie Hirten in der Näh der zarten Lämmer pflegen.

9 Ich kenne dich zuwohl, dich, mein Freundinn, dich.
Die Rosse Pharao, den Feinden fürchterlich,
Schön, muthig, stark, geschickt zu jedem großen Werke,
Sind ein zu schwaches Bild von deiner Macht und Stärke.

10 In deiner Wangen Schmuck, in deinem Halsgeschmeid
Ist mir dein Anblick schön und voller Lieblichkeit.

11 Ja, fehlt dir noch etwas, so nimm von uns die Spangen
An Gold und Silber reich, um desto mehr zu prangen.
 

Sulamith

12 Mein König gönnet mir Umarmung und Besuch,
Und meine Narde giebt den lieblichsten Geruch,

13 Die Liebe meines Freunds, nach der ich stets gelüste,
Ist mir ein Myrrhenstraus, die Zierde meiner Brüste,

14 Engedi Garten preist der Cypertrauben Frucht,
Und mich vergnügt mein Freund, den meine Seele sucht.
 

Salomo

15 Schön, Freundin, bist du, schön; mir gleichet sich dein Glaube
Dem hellen Augenpaar der angenehmsten Taube.
 

Sulamith

16 Nein, Freund und Bräutigam, nein; du allein bist schön
Und weit holdseliger, als Menschen es verstehn.
In der Vereinigung mit dir, Ziel meiner Triebe,
Grünt unsre Lagerstatt und unsre keusche Liebe,

17 Und unsre Häuser sind von königlicher Pracht.
Die Balken dauerhaft von Cedern Holz gemacht,
Die Gallerien wohl geführt und ausgemessen,
Sind wunderseltner Kunst vom Holze der Cypressen.
 

Zweyter Gesang

Sulamith

1 Wie hoch erhebst du mich, so niedrig ich auch bin!
Wie plötzlich fällt der Schmuck der Blume Sarons hin!
Wie flüchtig ist die Pracht der Lilien im Thale!
Und dennoch wählst du mich zu deinem Brautgemahle.
 

Salomo

2 Den Lilien, die sich nur desto mehr erhöhn,
Wenn gleich um sie herum die Dornen häufig stehn,
Ist meine Freundinn gleich in ihrem Gnadenstande;
Ihr weichen in dem Schmuck die Töchter in dem Lande.
 

Sulamith

3 Das, was ein Apfelbaum vor jeden wilden Stamm,
Das ist für allen mir mein Freund und Bräutigam.
So oft ich schmachtend mich in seinen Schatten setze,
Gewehrt er mir die Ruh, an der ich mich ergötze.
So bald mein lechzend Herz entkräftet Labung sucht,
So bald erquicket mich die Süßigkeit der Frucht.

4 Mir dient sein Ueberfluß, daß ich den Hunger stille.
Nie quälet mich ein Durst, er giebt mir Weins die Fülle,
Und naht der Feinde Schwarm mit seiner Wuth zu mir,
So ist mir seine Huld ein sichres Siegspanier.

5 Auf! helft mir jetzt, da ich der Schwachheit Anfall merke,
Reicht mir das Oelgefäß, daß sich die Seele stärke,
Labt mich mit Apfelsaft, ich sinke schon dahin,
Dieweil ich ganz betäubt und krank für Liebe bin.

6 Des Freundes linke Hand ist meines Hauptes Kissen,
Auf seiner Rechten läßt sichs gut der Ruh genießen.
 

Salomo

7 Ihr Töchter Salems hört, euch, euch beschwör ich jetzt
Beym Vieh im Wald und Feld und was euch sonst ergötzt,
Weckt meine Liebe nicht. Nichts soll sie rege machen,
Als bis es ihr gefällt von selbsten aufzuwachen.
 

Sulamith

8 Was hör ich? redet nicht mein hochgeliebter Freund?
Betrachte doch mein Geist, wie herzlich er es meynt.
Er kömmt, er eilt mit Muth die Berge zu ersteigen.
Vor seinem Lauf muß sich der Hügel Rücken beugen.

9 So hurtig springt kein Hirsch, kein jung und muntres Reh
Von Höhen in das Thal, aus Thälern auf die Höh.
Schon nähert sich mein Freund, und was ihn noch verstecket,
Ist eine dünne Wand, die mir mein Auge decket.
Indessen merk ich wohl, daß er durchs Fenster blickt
Und durch das Gitter mich mit Freundlichkeit erquickt.

10 Welch kleine Trennung nur! mein Freund ist mir doch nahe;
Und daß ich seine Lieb' in größerm Maaß empfahe,
Eröffnet mir sein Mund sein freundliches Begehr:
"Steh, meine Freundinn, auf; komm, meine Schöne, her;

11 "Der Winter ist vorbey, die Wolken sind zerrissen,
"Kein Sturm beschwemmt das Land mit kalten Wassergüssen.

12 "Die Blumen blühen auf und schmücken unser Feld,
"Der frohe Lenz erweckt die eingeschlafne Welt,
"Der Vögel muntres Heer erfüllt mit seinem Schwirren
"Den weiten Raum der Luft. Die Turteltauben girren.

13 "Der Feigenbaum empfängt des süssen Balsams Kraft,
"Den jeder Ast an ihm in seine Knospen schafft.
"Der Weinstock treibt erwärmt die Augen seiner Reben,
"Und haucht den Duft in uns, den seine Blüthen geben.
"Kein Garten, Wald und Feld ist jetzt an Anmuth leer.
"Steh, meine Freundinn auf, komm, meine Schöne, her.

14 "Wie? meine Taube, du erwählst zu deinem Sitze,
"Voll Schüchternheit und Furcht, der Felsen dunkle Ritze?
"Fleuch nicht, und sprich mit mir, denn das vergnüget mich;
"Sey deinem Freunde nah; warum entfernst du dich?

15 "So spricht mein Freund mit mir, so fährt er fort zu reden:
"Ihr, die ihr Wächter seyd, verhütet alle Schäden,
"Entdeckt der Feinde List, entlarvt den falschen Schein,
"Laßt meinen Weinberg nicht den Raub der Füchse seyn,
"Die Reben sind noch jung, noch zarte sind die Früchte,
"Gestattet nicht, daß sie ein räubrisch Thier vernichte.

16 So sorgsam ist mein Freund. Er will, ich soll allein
Ihm über alles lieb, und er soll mir es seyn.
Er gönnt mir den Genuß der allergrößten Freuden,
Und läßt mich neben sich auf frischen Rosen weiden.

17 Jetzt, da der Mittag schwült, die Erde gleichsam glüht,
Die Sonn am höchsten steht, der kühle Schatten flieht;
Kehr, wie ein junger Hirsch, von den gespaltnen Höhen,
Und eile, liebster Freund, mir Kühlung zuzuwehen.
 

Dritter Gesang

Sulamith

1 Wenn meine Lagerstatt die dunkle Nacht umgiebt,
Da such ich fleißig den, den meine Seele liebt.
Ich sucht' und fand ihn nicht. Welch trauriges Geschicke!
Wohlan, es bleibe Schlaf und Ruh und Rast zurücke.

2 Der Kummer nöthigt mich vom Lager aufzustehn,
Um ängstlich in der Stadt die Gassen durchzugehn.
Hier such ich überall, den meine Seele liebet,
Ich such' und find' ihn nicht; wie sehr bin ich betrübet!

3 Mich fand der Wächter Schaar, die in der finstern Nacht,
Bey andrer tiefen Schlaf, die stille Nacht bewacht.
Bekümmert und mit Furcht fieng ich sie an zu fragen,
Wo mein Geliebter sey; und keiner konnt es sagen.

4 Als ich ein wenig noch vor ihnen über kam,
Da fand ich meinen Freund und meinen Bräutigam.
Ich halt', ich lass' ihn nicht, ich bitt', ich fleh', ich ringe,
Bis ich ihn in das Haus zu meiner Mutter bringe.
 

Salomo

5 Ihr Töchter Salems hört, euch, euch beschwör ich jetzt
Beym Vieh im Wald und Feld, und was euch sonst ergötzt,
Weckt meine Liebe nicht, nichts soll sie rege machen,
Als bis es ihr gefällt von selbsten aufzuwachen.
 

Die Rede der Freunde des Bräutigams zu den Töchtern Jerusalem

6 Welch eine Herrlichkeit! die sich dem Auge zeigt.
Wer ist sie? die herauf aus jener Wüsten steigt
Und majestätisch sich zu jenen Höhen schwinget,
Wie ein gerader Rauch, der zu den Wolken dringet;
Ist wohl was lieblichers? der angenehme Duft
Der besten Specerey durchströmt die ganze Luft.

7 Es ist ihr Salomo, der sie so herrlich machet.
Von sechzig Starken wird sein Schlafgemach bewachet;

8 Mit Waffen wohl versehn, kühn und geschickt zum Streit
Stehn sie vor einen Mann auf jeden Wink bereit;
Ein jeder trägt sein Schwerdt gegürtet an den Lenden,
Um allen Ueberfall zur Nachtzeit abzuwenden.

9 Des Königs Salomo erhabner Phaeton
Ist prächtig aufgebaut vom Holz aus Libanon,

10 Die Säulen um und um sind Silber, fein poliret,
Die Deck' ist Gold, der Sitz mit Purpur ausstaffiret,
Der innere Raum vom ihm vor seine Braut bestimmt,
Die dieser König sich aus Salems Töchtern nimmt.

11 Kommt, Töchter Zions, schaut den König in der Krone,
Die Mutter schenkt sie ihm, und setzt sie ihrem Sohne
Auf das gesalbte Haupt, daß sein Verlobungs-Tag
Ein Tag der größten Lust des Herzens heißen mag.
 

Vierter Gesang

Salomo

1 Sieh! Freundin, du bist schön, schön bist du zum Ergötzen,
Womit soll dich mein Mund wohl in Vergleichung setzen?
Der Tauben Augen gleicht sich deiner Augen Licht,
Das von der Stirn heraus durch deinen Haarschmuck bricht.
So wölkigt sieht man nicht der Ziegen blonde Heerden,
Wenn sie von Gilead hinabgetrieben werden,
Als wie dein lockigt Haar blond von dem Haupte fleust.

2 Wenn lächelnd mir dein Mund der Zähne Schönheit weist
In dichtgeschlossenen und zwiefach gleichen Runden;
So hab ich nirgendswo was ähnlichers gefunden,
Als wenn an ihrer Woll' aufs reinlichste geschwemmt,
Recht ordnungsvoll zurück die Heerde Schaafe kömmt,
Mit ihren Zwillingen, die sie aus sich geboren,
Wo keins von allen sich aus ihrer Zahl verloren.

3 Um deinem Ansehn noch mehr Schönheit zu verleihn,
Faßt sie die Scharlachschnur der rothen Lippen ein;
Dein Mund spricht angenehm, die Röthe deiner Wangen
Strömt an den Locken hin, die von den Schläfen hangen,
So, wie man an der Frucht, die den Granatbaum schmückt,
Gemischtes Weiß' und Roth, wenn man sie theilt, erblickt.

4 Es prange Davids Thurm mit Waffen und mit Schilden,
Die Hoheit und den Ruhm der Helden vorzubilden.
Dein Hals, und dessen Schmuck stellt noch weit mehr an dir
Die Größe deines Ruhms und deiner Hoheit für.

5 Wie reizend angenehm sind deine beyden Brüste!
Ist wo ein Bild, das ich davon zu schildern wüßte,
So würden Zwillinge von jungen Rehen seyn,
Die an den Brüsten gleich, gleich lieblich, zart und fein,
Nicht minder gleich gepaart, gleich nützlich alle beyde,
Mit gleicher Kraft genährt auf ihrer Rosenweide.

6 Jetzt da der Mittag schwült, die Erde gleichsam glüht,
Die Sonn am höchsten steht, der kühle Schatten flieht,
Schwing ich mich höchst erfreut mit schnell bewegten Flügeln
Zu jenem Myrrhenberg, zu jenen Weyrauchhügeln.

7 Ich weiß, ich find auch dich, dich, meine Freundinn, hier,
Du bist vollkommen schön, kein Mangel ist an dir.

8 Komm, meine liebe Braut, von Libanon hernieder,
Komm, zaudre nicht, verlaß' Amanens Höhen wieder,
Fleuch Hermon, fleuch Senier, fleuch eilend und geschwind,
Weil Löwen an dem Ort und Leoparden sind.

9 Nichts wünsch ich außer dir und dein bin ich vollkommen.
Du, Schwester, liebe Braut, hast mir das Herz genommen;
Dein Auge blickt mich an, die Liebe wird erweckt,
Mich reizt der schöne Schmuck, der deinen Hals bedeckt.

10 Wie unvergleichlich sind die Proben deiner Liebe!
O Schwester, liebe Braut, du Vorwurf meiner Triebe;
Kein Wein, so gut er ist, kommt deiner Liebe bey,
Und deiner Salben Kraft weicht alle Specerey.

11 Dein Mund scheint, wenn er spricht, von Honigseim durchdrungen,
Ja, Milch und Honig fließt, o Braut, von deiner Zungen,
Dein ganz Gewand vertheilt des Salböls Lieblichkeit,
Wie sie am Libanon der Blumen Menge streut.

12 Du, Schwester, liebe Braut, gleichst einem wohlverwahrten
Und dabey fruchtbaren und wasserreichen Garten,
Wo nach Gefallen der, des Eigenthum er ist,
Den Brunnen sammt dem Quell versiegelt und verschließt.

13 Man sieht ein Paradies, wenn sich an deinen Zweigen
In guter Hoffnung schon die schönsten Aepfel zeigen.
Hier ist ein Sammelplatz von Früchten edler Art,
Hier blüht der Cyperbaum, und dort sind Spicanard

14 Und Saffran neben ihm, und Zimmt- und Calmus-Rinden,
Und Weyrauchbäume viel von jeder Art zu finden.
Hier kann man Myrrhen gnung, und dorten Aloen
Nebst aller Specerey und Hauptgewürzen sehn.

15 Um andre Gärten mehr in Wachsthum zu verbessern,
Ist jener Brunnen gnung sie alle zu bewässern,
Aus dem in solcher Meng lebendig Wasser fließt,
Wie es von Libanon in seine Thäler schießt.
 

Sulamith

16 Erhebe, Nordwind, dich, die Wolken zu zerstreuen,
Komm, Südwind, die Natur erwärmend zu verneuen.
Weht meinen Garten durch, so trieft durch eure Kraft
Der Pflanzen lieblicher und stärkungsvoller Saft;
Und also komme denn mein Freund in seinen Garten,
Wo seine Früchte schon auf ihn verlangend warten.
 

Fünfter Gesang

Salomo

1 Ich komm' auf deinen Wink, o Schwester! liebe Braut!
Dir offenbar' ich mich und dir bin ich vertraut;
Mein ist der Myrrhen Frucht, mein sind die Specereyen,
Ich breche sie, und mich soll ihr Geruch erfreuen;
Der Honig ist für mich, und sein Genuß ist mein,
Wie süß' ist meine Milch! wie lieblich ist mein Wein!
Kommt, esset, meine Freunde, und trinket, meine Lieben,
Zur Füll' ist hier vor euch so Speis' als Trank geblieben.
 

Sulamith

2 Einst schlief ich sicher ein, doch wachte noch in mir
Mein Herze. Was geschah? mein Freund klopft an die Thür:
O Freundin! rief er mich: O Schwester! Taube! Fromme!
Ermuntre dich! thu auf! und siehe! wie ich komme;
Mein Haupthaar trieft von Thau, weil ich die ganze Nacht
Aus Liebe gegen dich mit Reisen zugebracht.

3 Entkleidet hab ich mich, sprach ich: der Ruhe wegen,
Ists nicht zuviel, mein Kleid schon wieder anzulegen?
Jetzt sind die Füsse nur vom Schweiß und Staube rein,
Wie? sollen sie denn schon aufs neu besudelt seyn?

4 Doch wie erzitterte aus Scham und Herzeleide,
Aus Lieb' und auch aus Furcht mein ganzes Eingeweide!
Als mein Freund seine Hand durch eine Oeffnung stieß,
Und meine Schlafsucht mir mit holdem Ernst verwies.

5 Nun stund ich eilends auf um meines Freundes halben;
Ihm angenehm zu seyn, fieng ich mich an zu salben,
Die Hände träuffelten, und von den Fingern floß
Der Myrrhen köstlich Oel auf Riegel und auf Schloß.

6 Ich öffne meinem Freund die Thüre mit Verlangen;
Doch siehe! welch ein Schreck! er war hinweggegangen.
Nun denk' ich an sein Wort, mein Herze klopft und bricht,
Ich sucht; und fand ihn nicht, ich rief; er hörte nicht.

7 Ich irrte durch die Stadt, als mich die Hüter funden,
An statt mich zu belehrn, so schlugen sie mir Wunden,
Mich Aermste schonten auch der Mauren Wächter nicht,
Sie rissen mir mit Wuth den Schleyer vom Gesicht,

8 Kommt, Töchter Salems, her mir eidlich zuzusagen,
Ist irgendwo mein Freund von euch noch zu erfragen,
So meldet ihm mein Leid, sagt und entdeckt ihm frey;
Daß ich um ihn betrübt und krank für Liebe sey.
 

Frage der Töchter Jerusalem

9 Was ist, (erzähl es uns, o Schönste derer Frauen!)
Vor andern Freunden doch an deinem Freund zu schauen?
Sag uns, was ist dein Freund, dem du als Braut gehörst,
Vor andern Freunden mehr, daß du uns so beschwörst?
 

Antwort der Sulamith

10 Mein Freund ist weiß und roth; ja alles, was Vergnügen
Und mächtig reizen kann, zeigt sich in seinen Zügen.
Ihn zieret ein Panier, mit Sieg hebt er den Streit,
Und Myriaden stehn zu seinem Dienst bereit.

11 Sein königliches Haupt, erhöhet über alles,
Verklärt sich durch den Glanz des feinsten Goldmetalles.
Die Locken sind gekraust, gedrungen, voll und reich,
Und ihrer Farbe nach der Raben Schwärze gleich.

12 Sein' Augen, die sich stets mit Freundlichkeit erhellen,
Den Taubenaugen gleich, an reinen Wasserquellen,
Sind wie in Milch getaucht und stehen in der Füll'
An ihrem Platze so, wie es die Schönheit will.

13 Die Anmuth selber blüht und lacht auf seinen Wangen,
Sie sind den Feldern gleich, die mit Gewürzen prangen,
Wo man die Specerey, die auf den Beeten blüht,
Nach Pyramiden-Art schön in die Höhe zieht.
Den Rosen gleichen sich die Lippen, wenn sie küssen,
Und bittern Myrrhensaft, wenn sie mich strafen müssen.

14 An seinen Händen strömt das Blut durch jedes Glied,
Als wie man Türkissen in goldnen Ringen sieht;
Sein Leib, den durch und durch Gelenk' und Adern zieren,
Ist wie rein Elfenbein geschmücket mit Sapphiren.

15 Und seine Beine stehn fest, standhaft und gesund,
Den Marmorsäulen gleich, auf goldner Füsse Grund.
Sein Anblick kann weit mehr als Libanon ergötzen;
Weit höher ist er noch als Cedern selbst zu schätzen.

16 Kurz, seine Kehl' ist ganz von Süßigkeit erfüllt,
Er ists, und niemand sonst, der mein Verlangen stillt.
Ihr Töchter Salems, wißt, um ihn mit mir zu lieben,
Ein solcher ist mein Freund, wie ich ihn hier beschrieben.
 

Sechster Gesang

Die Frage der Töchter Jerusalem

17 O Schönste des Geschlechts! das unsern Namen führt,
Wir fühlen uns durch das, was du gesagt, gerührt.
Ey, Liebe! sag es uns, wir brennen für Verlangen,
Wohin ist doch dein Freund, dein liebster Freund, gegangen?
Geh suchend uns voran, begierig folgen wir
Der uns gezeigten Spur, und suchen ihn mit dir.
 

Antwort der Sulamith

1 In seinen Garten ist mein Freund gewiß gegangen,
Die Beete zu besehn, die mit Gewürzen prangen.
Hier weidet er gewiß und sammlet Rosen ein.

2 Noch läßt mein Freund mich nicht, sein bin ich, er ist mein,
Er gönnt mir den Genuß der allergrößten Freuden
Und läßt mich neben sich auf frischen Rosen weiden.
 

Salomo

3 Ja, Freundinn, du bist schön, du bist so angenehm,
Als Tirza nimmer ist, auch nicht Jerusalem.
Mit Heereskraft vermag dein Arm den Feind zu schlagen,
Und ihm Verzweiflung, Furcht und Schrecken einzujagen.

4 Dich rühm' ich, schönste Braut! ich hab es schon gethan,
Und fange doch dein Lob von neuem wieder an.
Aus deinen Augen strahlt ein Feuer reiner Liebe,
O wende sie von mir, sie reizen meine Triebe,
Und deine Schönheit zwingt den Ruhm mir wieder ab,
Den dir mein Mund zuvor voll süsser Regung gab.
So wölkigt sieht man nicht die Ziegen blonde Heerden,
Wenn sie von Gilead hinab getrieben werden,
Als wie dein lockigt Haar blond von dem Haupte fleust.

5 Wenn lächelnd mir dein Mund der Zähne Schönheit weist
In dichtgeschlossenen und zwiefach gleichen Runden,
So hab ich nirgendwo was ähnlichers gefunden,
Als wenn an ihrer Woll', aufs reinlichste geschwemmt,
Recht ordnungsvoll, zurück die Heerde Schaafe kömmt,
Mit ihren Zwillingen, die sie aus sich gebohren,
Wo keins von allen sich aus ihrer Zahl verlohren.

6 So, wie man an der Frucht, die den Granatbaum schmückt,
Gemischtes Weiß und Roth, wenn man sie theilt, erblickt;
So schön vertheilt sich auch die Röthe deiner Wangen,
An deinen Locken her, die von den Schläfen hangen.

7 Ob etwann irgendwo ein Herrscher dieser Welt
Sich viel Gemahlinnen, noch mehr Maitressen hält,
Und Dirnen ohne Zahl, die seinen Staat vermehren;

8 So halt ich eine nur als Königinn in Ehren.
Vor dir allein mein Herz in reiner Liebe brennt,
Und die es seine Taub' und seine Fromme nennt;
Die rein' und einzige der, die sie hat gebohren,
Die ists, die hab ich mir zu meiner Braut erkohren.
Der Dirnen Achtsamkeit, der Königinnen Mund,
Der Concubinen Lob macht ihren Vorzug kund.

9 Wer ist die, fragen sie: wer ist die Hocherhöhte?
Jetzt schimmert sie hervor als wie die Morgenröthe;
Ihr Licht verklärt sich schon als wie des Mondes Schein;
O seht! nun ist ihr Glanz, als wie die Sonne, rein.
So viel sie Feinde hat, wer darf sich an sie wagen?
Sie weiß mit Heeres-Macht ihm Schrecken einzujagen.

10 Als ich mich jüngst von dir, o Freundinn, wegbegab:
So gieng ich sehnsuchtsvoll zum Nußgesträuch hinab,
Zu schauen, wie im Thal die grüne Frucht geriethe,
Wie der Granatenbaum, und wie der Weinstock blühte;

11 Doch eh' ich mich versah, versetzte mich mein Geist
Zu Wägen meines Volks, das frey und edel heißt
Und mir gehorsam dient, dem mußt' ich helfen kämpfen,
Und den entbrannten Grimm der stolzen Feinde dämpfen.

12 Kehr wiederum zurück, komm wieder, Sulamith,
Verbann die Traurigkeit, verdopple deinen Schritt
Und eile, mir dein Heil ganz sicher zu vertrauen.
Kehr wieder, daß wir dich in deiner Schönheit schauen.
Wie seht ihr Sulamith? sagt, Freunde sagt: ach ja!
Es ist um sie ein Chor von Mahanaim da.
 

Siebenter Gesang

Salomo

1 Du folgst. Ich sehe dich, du Fürsten-Tochter, kommen,
Du nahst dich mir, da du mein freundlich Wort vernommen.
Je öftrer ich dich seh', je mehr gefällst du mir.
Wie schön kommt mir dein Gang in deinen Schuhen für!
Zwo Spangen, als das Werk von eines Meisters Händen
Mit größter Kunst gemacht, begürten deine Lenden.

2 Der Nabel hat an dir der runden Schaalen Bild
Mit wohlgemischten Saft zur Stärkung angefüllt;
Ihm soll es minder noch an Nahrungssafte fehlen.
Ich sehe schon vergnügt die Rosen sorgsam wählen,
Womit man deinen Leib, den zarten Leib bedeckt,
Wie man zur Erndte sie um Weizengarben steckt.

3 Der Brüste Reichthum mag der Rehe Brüsten gleichen,
Die jungen Zwillingen die beste Nahrung reichen.

4 Wie prächtig wär ein Thurm vom feinsten Elfenbein!
Dein Hals ist so, wie er, erhaben, weiß und rein.
Der Augen helles Paar ist Hesbons klaren Teichen
In fernem Blick am Thor nach Bathrabbim zu gleichen;
Und deine Nase ziert dein ganzes Angesicht;
Sie unterscheidet klug, ihr Urtheil trügt sie nicht,
So, wie den Libanon, die hohe Warte zieret,
Die bald bemerkt, wenn sich Damaskus feindlich rühret.

5 Zum Himmel hebt dein Haupt, wie Carmel, sich empor.
Dein Haar kommt mir im Schmuck, wie lauter Purpur, vor.
Der König geht heraus, erblicket dich im Gehen,
Bewundert dich und bleibt bey deiner Schönheit stehen.

6 Wie reizend, angenehm und lieblich ist dein Bild!
Du süsse Liebe du, mit lauter Lust erfüllt!

7 Des Palmbaums hohen Stamm preist der Bewundrer Menge,
Viel majestätischer ist deines Leibes Länge,
Und deine Brüste sind, den Trauben Escol gleich,
Mit süssen Saft versehn, und an Erquickung reich.

8 Ich sprach: mein Vorsatz sey den Palmbaum zu ersteigen,
Es greife meine Hand die Frucht auf seinen Zweigen.
Ey! stille meinen Wunsch, laß deine Brüste seyn
Wie Escols süssesten und allerbesten Wein,
Und athme den Geruch, der mich weit mehr vergnüget,
Als der, der in dem Mark der besten Aepfel lieget.

9 Laß deine Kehle seyn, wie guten Traubensaft;
Mein Freund (so nennst du mich) empfindet dessen Kraft,
Den Frommen ist er mild, und denen, die nicht wachen,
Wird er mit Munterkeit die Lippen redend machen.
 

Sulamith

10 Mein Freund bleibt mir getreu. Ich bin sein Eigenthum
Ihm unterthan zu seyn, dieß sey mein Wunsch und Ruhm.

11 Dich bitt ich, liebster Freund, mich willig zu begleiten;
Fern von der Lust der Welt, fern von den Eitelkeiten
Hass' ich der Stadt Geräusch'; komm mit hinaus aufs Feld,
Auf stillen Dörfern sey vor uns ein Nachtgezelt.

12 Früh wollen wir sodann die Weinberge besteigen
Und sehen, ob am Stock sich Blüth und Augen zeigen,
Ob der Granatbaum grünt und was vor Fruchtbarkeit
Der angebrachte Bau den Gärtnern prophezeyt.
Da, da sollst du, mein Freund, wie ich dich ewig heiße,
Recht sehn, wie sehr ich dich zu lieben mich befleiße.

13 Der Lilien Geruch ist draußen fein und zart;
Jedoch vor unsrer Thür sind Früchte schönrer Art:
Ich habe sie mit Fleiß, die neuen nebst den alten,
Vor dich, geliebter Freund, verwahrlich aufbehalten.

 

Achter Gesang

Sulamith

1 Vergönne, daß ich dich, mein Bruder! nennen mag,
Mein Bruder, der mit mir an gleichen Brüsten lag;
Ich mag dich, wo es sey, ich mag dich draußen sehen,
So küsset dich mein Mund, und niemand soll mich schmähen.

2 Mit Freuden führt' ich dich in meiner Mutter Haus,
Da fragt ich fernerhin dich lehrbegierig aus,
Da wollt' ich dich mit Wein reich an Gewürzen tränken,
Da wollt' ich dir den Most der süßten Aepfel schenken.

3 Wie sanfte schläft mein Haupt auf seiner Linken ein!
Gut! seine Rechte soll mein Ruhekissen seyn.
 

Salomo an die Töchter Jerusalem

4 Euch, Töchter Salems, muß ich abermals beschwören.
Was macht ihr! wollet ihr sie, meine Liebe stören?
Was weckt, was regt ihr sie? Laßt sie in Frieden ruhn,
Bis daß es ihr gefällt die Augen aufzuthun.
 

Die Rede der Töchter Jerusalem

5 Wer ist die, die herauf aus dunkler Wüsten steiget,
Und unserm Auge sich im hellen Lichte zeiget?
Die in der Pilgrimschaft mit so getrostem Muth,
Von ihrem Freund geführt, auf seinen Achseln ruht.
 

Sulamith

Es war ein Apfelbaum, darunter ich dich weckte,
Mit meinem Ach und Weh, als Noth und Tod mich schreckte.
Daselbst fand ich den Grund des Heils auf immerdar,
Als deine Mutter dich empfieng und auch gebahr.

6 O schleuß mich in dein Herz, das voll ist von Erbarmen,
Nimm mich zu aller Zeit in deine Liebes-Armen,
Und drücke zum Beweis das Siegel kräftig bey,
Daß du mein Bräutigam, und ich dein eigen sey.
Die Liebe, deren Macht bis in die Seele dringet,
Ist stark, als wie der Tod, der alles zähmt und zwinget.
Der Eifer setzet durch, läßt nie, so wie das Grab,
Dem nichts entgehen kann, von seinem Vorsatz ab.
Wie, wenn der lichte Blick jetzt aus den Wolken fähret,
Und bald ein Feuer wird, das um sich wirft und zehret:
So wird der Liebe Kraft im innersten bemerkt,
Die, wie ein Feuer, sich je mehr und mehr verstärkt,

7 So gar, daß ihre Gluth auch Fluthen Trotz darf biethen,
Und Ströhme wider sie mit Macht vergeblich wüthen.
Ja, diese Liebe steht um alles Guth nicht feil;
Wer sie erkaufen will, dem wird sie nicht zu Theil.

8 O! daß von dieser Lieb' auch unsre Schwester wüßte!
Sie ist noch jung und klein, und hat noch keine Brüste.
Was sollen wir ihr thun? was meynst du? liebster Freund!
Wenn dein Verlobungstag mit ihr dereinst erscheint?
 

Salomo

9 Steht sie nach Mauren Art vorher auf festen Grunde,
Wohlan! so wird auf sie zu rechter Zeit und Stunde
Der prächtigste Pallast von Silber angelegt;
Wird sie, wie eine Thür in Angeln, leicht bewegt,
So wollen wir sie doch, trotz allerley Gefahren,
Mit Cederbohlen gut und stark genung bewahren.
 

Sulamith

10 Was ihr mein Freund verheißt, das bin ich schon jetzund.
Als Mauer steh ich hier, durch ihn, auf festen Grund,
Und meine Brüste sind, als seiner Gnade Zeichen,
Auf mir mit Pracht erhöht, den Thürmen zu vergleichen.
Ich finde Fried und Heil vor seinem Angesicht,
Und diesen theuren Schatz verliehr ich ewig nicht.

11 Es ist Baalhamon, die Gegend, voll Vergnügen,
Da sieht man Salomons berühmten Weinberg liegen.
Getreulich gab er ihn den Hütern in den Schutz,
Damit ein jeglicher, zu seines Herren Nutz,
An statt der Frucht, die er von Jahr zu Jahre brächte,
Ihm tausend Silberling an Zinns erlegen möchte.

12 Mein Weinberg ist vor mir. Ich wart' und pfleg' ihn so:
Dir, meinem liebsten Freund, dir, meinem Salomo,
Gebühren, wie du willst, nach diesem Ausgedünge,
Als Herrn des Eigenthums, die tausend Silberlinge;
Doch giebst du voller Huld den Hütern seiner Frucht
Zweyhundert vor die Treu, die deine Liebe sucht.
 

Salomo

13 Ja, du Bewohnerinn von mehr als einem Garten,
Durch deinen Fleiß gebaut! sieh! meine Freunde warten
Und merken auf dein Wort; ich stelle dir es frey,
Entdeck' und sage mir, was dein Verlangen sey.
 

Sulamith

14 Erhebe dich, mein Freund, sey gleich den jungen Rehen,
Und schwinge dich mit mir zu jenen sel'gen Höhen,
Dahin der süsse Rauch aus güldnen Schaalen steigt,
Wo lauter Jubel thönt, und aller Jammer schweigt.


Aus: Johann Gottlob Wilhelmi
Evangelischen Predigers zu Diehsa in der Oberlausitz,
Versuch einer poetischen Uebersetzung
des Hohenliedes Salomo, nebst einigen
hierzu dienlichen Anmerkungen.
Leipzig bey Bernhard Christoph Breitkopf und Sohn.
1764
 

 

 

zurück zum Inhaltsverzeichnis