Das Hohe Lied Salomos

In der Übertragung von Otto Zöckler (1833-1906)

 


Wassily Kandinsky (1866-1944)
Improvisation 209



Das Hohelied Salomonis

I, 1. Lied der Lieder, von Salomo


Erster Gesang

Der Liebenden erstes Zusammensein
am königlichen Hoflager in (oder bei) Jerusalem
(Kap. 1, 2. - 2, 7.)

Erster Auftritt
Sulamith und Töchter Jerusalems
(Kap. 1, 2. - 8.)

Sulamith

2. Er küsse mich mit Küssen seines Mundes,
Denn lieblicher ist deine Minne als Wein.

3. An Geruch sind deine Salben köstlich;
Salbe, die ausgegossen wird, ist dein Name,
Darum lieben Jungfrauen dich:
 

Sulamith und Töchter Jerusalems (im Wechselgesang)

4. Zieh' mich dir nach! - wir wollen laufen! -
Eingeführt hat mich der König in seine Gemächer! -
Wir wollen frohlocken und uns freuen deiner,
wollen preisen deine Minne mehr als Wein! -
Mit Recht ja lieben sie dich!
 

Sulamith

5. Schwarz bin ich, aber doch lieblich, ihr Töchter Jerusalems,
wie Kedars Gezelte, wie Zelttücher Salomo's.

6. Seht mich nicht an, daß ich schwärzlich bin,
Daß die Sonne mich verbrannt hat!
Meiner Mutter Söhne haben mir gezürnt,
mich gesetzt zur Hüterin der Weinberge; -
meinen eignen Weinberg hab ich nicht gehütet!

(sich nach Salomo umschauend:)

7. O sage mir, den meine Seele liebt, wo weidest du?
wo lagerst du am Mittag?
Warum soll ich sein wie eine Umherschweifende
Bei den Heerden deiner Genossen?
 

Töchter Jerusalems

8. Wenn du's nicht weißt, du Schönste der Frauen,
So gehe doch den Spuren der Heerde nach,
und weide deine Zicklein bei den Hütten der Hirten!
 

Zweiter Auftritt:
Salomo und Sulamith
(Kap. 1, 9. - 2, 7.)

Salomo

9. Meinem Rosse am Pharao-Gespann
vergleich ich dich, meine Freundin.

10. Lieblich sind deine Wangen in den Kettchen,
dein Hals in den Schnüren.

11. Kettchen von Gold wollen wir dir schaffen
mit Pünktchen von Silber!
 

Sulamith

12. So lange der König an seiner Tafel,
gibt meine Narde ihren Duft.

13. Ein Myrrhenbündlein ist mein Geliebter mir,
das zwischen meinen Brüsten ruht;

14. Ein Cypernträublein ist mein Geliebter mir,
in den Weinbergen Engedi's.
 

Salomo

15. Sieh, du bist schön, meine Freundin,
sieh, du bist schön, deine Augen Tauben!
 

Sulamith

16. Sieh, du bist schön, mein Geliebter, ja holdselig;
ja unser Lager ist frisches Grün.

17. Die Balken unserer Häuser sind Cedern,
unser Getäfel Cypressen. -

II, 1. Ich bin [nur] eine Feldblume Sarons,
eine Lilie der Thäler!
 

Salomo

2. Wie eine Lilie mitten unter Dornen,
so [steht] meine Freundin inmitten der Töchter!
 

Sulamith

3. Wie ein Apfelbaum unter den Bäumen des Waldes,
so [steht] mein Geliebter inmitten der Söhne.
In seinem Schatten sitz' ich gerne,
und seine Frucht ist süß meinem Gaumen.

4. Er hat mich eingeführt in's Weinhaus,
und sein Panier über mir ist Liebe.

5. Stärket mich mit Weinbeeren,
labet mich mit Äpfeln:
denn ich bin krank vor Liebe!

6. Seine Linke ist unter meinem Haupte
und seine Rechte herzet mich. -

7. Ich beschwöre euch, ihr Töchter Jerusalems,
bei den Gazellen oder den Hindinnen des Feldes:
daß ihr nicht wecket und daß ihr nicht aufweckt
die Liebe, bis es ihr gefällt!

 

Zweiter Gesang

Der Liebenden erster Anschluß aneinander,
erzählt von der in ihre Heimat
zurückgekehrten Sulamith
(Kap. 2, 8. - 3, 5.)

Erster (einziger) Auftritt

Sulamith allein

8. Horch - mein Geliebter! Siehe, da kommt er,
daherspringend über die Berge,
daherhüpfend über die Hügel.

9. Es gleicht mein Geliebter einer Gazelle,
oder einem Jungen der Hirsche. -
Siehe, da steht er hinter unserer Mauer,
schaut durch die Fenster,
blinket durch die Gitter.

10. Es hob an mein Geliebter und sprach zu mir:
"Auf doch, meine Freundin, meine Schöne, und geh' hervor!

11. Denn siehe, der Winter ist vergangen;
der Regen ist vorüber, ist dahin.

12. Die Blümlein werden sichtbar im Lande,
die Zeit des Sanges ist herangekommen
und die Stimme der Turteltaube läßt sich hören in unserem Lande.

13. Der Feigenbaum würzt seine Früchte,
und die Weinstöcke stehen in Blüthe, spenden Duft.
Auf doch, meine Freundin, meine Schöne, und geh' hervor!

14. Meine Taube in den Felsritzen,
im Winkel der steilen Höhen:
laß mich schauen deine Gestalt, laß mich hören deine Stimme!
Denn deine Stimme ist süß und deine Gestalt lieblich!" -

15. Fanget uns die Füchse,
die kleinen Füchse, die Weinbergsverderber!
Denn unsere Weinberge stehn in Blüthe! -

16. Mein Freund ist mein und ich bin sein,
der unter den Lilien weidet.

17. Bis der Tag sich kühlt und die Schatten fliehen,
wende dich und gleiche, mein Freund,
der Gazelle oder dem Jungen der Hirsche
auf zerklüfteten Bergen!

[Sie entschlummert und erwacht nach einiger Zeit wieder:]

III, 1. Auf meinem Lager in den Nächten
suchte ich, den meine Seele liebt,
ich suchte ihn und fand ihn nicht.

2. "So will ich denn aufstehen und die Stadt durchwandern,
die Märkte und die Straßen;
will suchen, den meine Seele liebt!" -
Ich suchte ihn und fand ihn nicht.

3. Es fanden mich die Wächter, die in der Stadt umgehen:
"Habt ihr, den meine Seele liebt, gesehen?" -

4. Kaum daß ich an ihnen war vorbeigeeilt,
da fand ich, den meine Seele liebt.
Ich erfaßte ihn und ließ ihn nicht los,
bis daß ich ihn gebracht in's Haus meiner Mutter
und in die Kammer meiner Gebärerin. -

5. Ich beschwöre euch, ihr Töchter Jerusalems,
bei den Gazellen oder den Hindinnen des Feldes:
daß ihr nicht wecket und daß ihr nicht aufweckt
die Liebe, bis es ihr gefällt!

 

Dritter Gesang

Die feierliche Einholung der Braut
und die Hochzeit zu Jerusalem
(Kap. 3, 6. - 5, 1.)

Erster Auftritt
Der Einzug des Brautpaares in Jerusalem
(Kap. 3, 6. - 11.)

Töchter Jerusalems (als Zuschauerinnen des Brautzugs):

6. Wer ist die, die heraufkommt aus der Wüste,
gleich Säulen Rauchs,
durchduftet von Myrrhe und Weihrauch,
von allem Würzstaub der Krämer? -

7. Siehe, es ist Salomo's eigene Sänfte;
sechzig Helden rings um sie her
von Israels Helden;

8. allesammt vertraut mit dem Schwert, kriegsgeübt;
ein Jeder mit dem Schwert an seiner Hüfte,
gegen Schrecken in den Nächten. -

9. Ein Prachtbette hat sich gemacht der König Salomo
aus Holz vom Libanon.

10. Seine Säulen ließ er machen von Silber,
seine Lehne von Gold, seinen Sitz von Purpur;
sein Inwendiges ist ausgestickt, durch Liebe
von Töchtern Jerusalems. -

11. Kommt heraus und sehet, ihr Töchter Zions,
den König Salomo in dem Kranze,
damit ihn bekränzte seine Mutter am Tage seiner Vermählung,
und am Tage der Freude seines Herzens.
 

Zweiter Auftritt:
Salomo und Sulamith beim Hochzeitsmahle
im königlichen Palaste
(Kap. 4, 1. - 5, 1.)

Salomo

IV, 1. Sieh, du bist schön, meine Freundin; sieh, du bist schön,
deine Augen (sind) Tauben hinter deinem Schleier hervor;
dein Haar wie eine Heerde Ziegen,
die da lagern am Berge Gilead.

2. Deine Zähne wie eine Heerde Schurschafe,
die aufsteigen aus der Schwemme,
die alle zwillingsträchtig sind
und ein kinderberaubtes nicht darunter.

3. Wie ein Karmesinband deine Lippen,
und dein Mund lieblich;
wie ein Granatapfelschnitt deine Wange
hinter deinem Schleier hervor.

4. Wie ein Thurm Davids dein Hals,
gebaut für Schwertergehänge;
der Schilde tausend sind daran aufgehängt,
alles Waffen von Helden.

5. Deine Brüste gleich zwei Rehlein,
Zwillingen einer Gazelle,
die da weiden unter Lilien.
 

Sulamith

6. Bis der Tag sich kühlt und die Schatten fliehen,
will ich hingehen zum Myrrhenberge
und zum Weihrauchhügel.
 

Salomo

7. Ganz schön bist du, meine Freundin,
und kein Fehl ist an dir! -

8. Mit mir vom Libanon, Braut,
mit mir vom Libanon sollst du kommen;
sollst wandern vom Gipfel Amana's,
vom Gipfel Schenirs und Hermons,
von Wohnungen der Löwen,
von Bergen der Pardel.

9. Du hast mir das Herz genommen, meine Schwester Braut,
hast mir das Herz genommen mit einem deiner Blicke,
mit einem Kettchen von deinem Halsgeschmeide.

10. Wie schön ist deine Minne, du meine Schwester Braut,
wie (viel) lieblicher deine Minne als Wein,
und der Duft deiner Salben als alle Spezereien!

11. Honigseim träufeln deine Lippen, o Braut;
Honig und Milch ist unter deiner Zunge,
und deiner Kleider Duft wie der Duft Libanons. -

12. Ein verschlossener Garten ist meine Schwester Braut,
ein verschlossener Born, eine versiegelte Quelle.

13. Deine Pflanzen sind ein Park von Granaten,
mit den köstlichsten Früchten;
Cyperblumen mit Narden;

14. Narde und Krokus, Würzrohr und Zimmt,
nebst allerlei Weihrauchhölzern;
Myrrhen und Aloe,
nebst allem Trefflichsten der Würzpflanzen!

15. Ein Gartenquell (bist du), ein Brunn lebendigen Wassers,
und Rieselbäche vom Libanon. -
 

Sulamith

16. Erwache Nordwind, und komm', o Südwind,
durchwehe meinen Garten, daß träufen seine Würze!
Es komme mein Geliebter her zu seinem Garten
und esse seine edlen Früchte!
 

Salomo

V, 1. Ich komme in meinen Garten, meine Schwester Braut,
ich pflücke meine Myrrhe samt meinem Balsam,
ich esse meines Seims samt meinem Honig,
ich trinke meines Weins samt meiner Milch. - -

(zu den Hochzeitsgästen gewendet):

Eßt, Freunde, trinkt und berauscht euch, Geliebte!

 

Vierter Gesang

Die wiedererwachte Sehnsucht Sulamiths nach ihrer Heimat
(Kap. 5, 2. - 8, 4.)

Erster Auftritt:
Sulamith und Töchter Jerusalems
(Kap. 5, 2. - 6, 3.)

Sulamith (einen Traum erzählend)

2. Ich schlief, doch mein Herz wachte -
Horch! da klopft mein Geliebter:
"Thue mir auf, meine Schwester,
meine Freundin, meine Taube, meine Fromme;
denn das Haar ist mir voll Thau,
meine Locken voll Nachttropfen!" -

3. ""Ich habe ausgezogen mein Kleid,
wie sollt' ich's wieder anziehen?
habe gewaschen meine Füße,
wie sollt' ich sie wieder beschmutzen?"" -

4. Da streckt' durch's Fenster her seine Hand mein Geliebter,
und mein Innerstes ward über ihn bewegt.

5. Auf stand ich, zu öffnen meinem Geliebten,
und meine Hände troffen von Myrrhe
und meine Finger von fließender Myrrhe,
auf dem Griffe des Riegels.

6. Auf that ich meinem Geliebten,
und mein Geliebter war umgewendet, davongegangen.
Meine Seele entschwand, da er redete;
ich suchte ihn und fand ihn nicht,
ich rief ihn, aber er antwortete mir nicht.

7. Es fanden mich die Wächter, die in der Stadt umgehn;
sie schlugen mich, verwundeten mich,
nahmen mir weg mein Schleierkleid,
die Wächter der Mauern. -

8. Ich beschwöre euch, ihr Töchter Jerusalems,
findet ihr meinen Geliebten -
was sollt ihr ihm da sagen?
"daß ich krank bin vor Liebe!"
 

Töchter Jerusalems

9. Was ist dein Geliebter vor [irgendeinem] Geliebten,
du Schönste der Frauen?
Was ist dein Geliebter [irgendeinem] Geliebten,
daß du uns also beschwörest?
 

Sulamith

10. Mein Geliebter ist weiß und roth,
auserkoren unter Zehntausenden.

11. Sein Haupt ist köstliches Feingold,
seine Locken sind Hügel an Hügel,
schwarz wie der Rabe.

12. Seine Augen wie Tauben an Wasserbächen,
in Milch gebadet, in der Fülle sitzend.

13. Seine Wangen wie ein Beet von Würzkraut,
Anhöhen duftiger Pflanzen;
seine Lippen Lilien,
triefend von fließender Myrrhe.

14. Seine Hände goldene Walzen,
eingefaßt mit Türkisen;
sein Leib ein Bildwerk von Elfenbein,
eingehüllt in Sapphire.

15. Seine Schenkel Säulen weißen Marmors,
gegründet auf goldene Gestelle;
sein Anblick wie der Libanon,
auserlesen wie Cedern.

16. Sein Gaumen Süßigkeiten,
und sein ganzes Wesen Lieblichkeiten.
Das ist mein Geliebter und das mein Freund,
ihr Töchter Jerusalems.
 

Töchter Jerusalems

VI, 1. Wohin ist dein Geliebter gegangen,
Du Schönste der Frauen?
wohin hat dein Geliebter sich gewendet,
daß wir ihn mit dir suchen?
 

Sulamith

2. Mein Geliebter ging hinab in seinen Garten,
zu Beeten des Würzkrauts;
zu weiden in den Gärten
und Lilien zu sammeln.

3. Meines Geliebten bin ich, und mein Geliebter ist mein,
der unter den Lilien weidet.
 


Zweiter Auftritt:
Salomo zu den Vorigen
(Kap. 6, 4. - 7, 6.)

Salomo

4. Du bist schön, meine Freundin, wie Thirza,
lieblich wie Jerusalem, furchtbar wie Heerschaaren.

5. Wende deine Augen von mir ab,
sie, die mich bestürmen.
Dein Haar ist wie eine Heerde Ziegen,
die da lagern am Gilead.

6. Deine Zähne wie eine Heerde Lämmer,
die aufsteigen aus der Schwemme,
die alle zwillingsträchtig sind
und ein kinderberaubtes nicht darunter.

7. Wie ein Granatapfelschnitt deine Wange
hinter deinem Schleier hervor. -

8. Sechzig sind der Königinnen
und achtzig der Beifrauen
und Jungfrauen ohne Zahl.

9. Eine ist meine Taube, meine Fromme,
die Einzige ihrer Mutter,
die Erkorene ihrer Gebärerin.
Es sahen sie die Töchter und priesen sie glücklich,
Königinnen und Beifrauen, und priesen sie selig:

10. "Wer ist, die da hervorglänzt wie die Morgenröthe,
schön wie der Mond, lauter wie die Sonne,
furchtbar wie Heerschaaren?" -
 

Sulamith

11. In den Nußgarten ging ich hinab,
um zu sehen nach dem Gesträuche des Thalgrunds,
um zu sehen, ob aufgesproßt der Weinstock,
ob die Granaten blühen.

12. Ich wußte es nicht, daß mein Verlangen mich erhoben
zu Prachtwagen meines Volks, des edlen.
 

Töchter Jerusalems

VIII, 1. Kehr' zurück, kehr' zurück, o Sulamith,
kehre zurück, kehre zurück, daß wir dich schauen!
 

Sulamith

Was schauet ihr an Sulamith?
 

Töchter Jerusalems

Was gleich dem Reigen von Mahanaim.
 

Salomo

2. Wie schön sind deine Schritte in den Schuhen, o Fürstentochter!
Die Rundungen deiner Hüften sind wie Schmuckketten,
bereitet von Künstlerhänden.

3. Dein Schooß ist ein wohlgerundetes Becken -
nicht müsse ihm mangeln der Mischwein!
Dein Leib ist ein Weizenhaufen,
umsteckt mit Lilien.

4. Deine Brüste sind zwei Rehlein,
Zwillinge einer Gazelle.

5. Dein Hals ist ein Thurm von Elfenbein;
deine Augen Teiche in Hesbon
am Thore der Volkreichen;
deine Nase wie der Libanonthurm,
der nach Damaskus hinschaut.

6. Dein Haupt auf dir wie der Karmel,
und dein herabwallend Haupthaar wie Purpur -
ein König gefesselt durch Locken!
 

Dritter Auftritt
Salomo und Sulamith allein
(Kap. 7, 7. - 8, 4.)

Salomo

7. Wie bist du schön und wie lieblich,
o Liebe, unter den Wonnen!

8. Dieser dein Wuchs, er gleicht der Palme
und deine Brüste den Trauben.

9. Ich denke: ersteigen will ich die Palme,
will erfassen ihre Zweige,
und so sollen deine Brüste mir sein gleich Weintrauben,
und deiner Nase Hauch gleich Äpfeln,

10. und dein Gaumen gleich dem besten Wein, ...
 

Sulamith (ihn unterbrechend)

- der sanft hinuntergleitet meinem Geliebten,
der da beschleicht der Schlummernden Lippen!

11. Ich bin meines Geliebten
und nach mir sehnt er sich. - -

12. Wohlan, mein Geliebter, laß uns hinausziehn auf's Land,
laß uns übernachten in den Dörfern;

13. frühe aufbrechen nach den Weinbergen,
schauen, ob aufgesproßt der Weinstock,
ob sich geöffnet seine Blüthe,
ob die Granaten blühen ...
dort will ich dir meine Minne hingeben!

14. Es geben die Liebesäpfel ihren Duft,
und über unseren Thüren sind allerlei edle Früchte,
heurige, auch fernige;
[die] hab' ich, mein Geliebter, dir aufbewahrt. -

VIII, 1. O, wärest du gleich einem Bruder mir,
der meiner Mutter Brüste gesogen!
Fänd' ich dich draußen, küßt' ich dich;
und doch würden sie mich nicht schmähen!

2. Ich würde dich führen, bringen in meiner Mutter Haus;
du würdest mich unterweisen;
ich würde dich tränken mit Würzwein,
mit dem Moste meiner Granate.

3. Seine Linke ist unter meinem Haupte,
und seine Rechte herzet mich. -

4. Ich beschwöre euch, ihr Töchter Jerusalems,
daß ihr nicht weckt und daß ihr nicht aufweckt
die Liebe, bis es ihr gefällt!

 

Fünfter Gesang

Die Heimkehr und der Triumph der keuschen Liebe
der Gattin über den unkeuschen Sinn des königlichen Gemahls.
(Kap. 8, 5. - 14.)

Erster Auftritt
Die Ankunft in der Heimat
(Kap. 8, 5. - 7.)

Landleute (bei Sunem auf dem Felde)

5. Wer ist diese, die heraufkommt aus der Wüste,
sich stützend auf ihren Geliebten?
 

Salomo (mit Sulamith Arm in Arm auftretend)

Unter diesem Apfelbaume weckte ich dich;
dort kreißte mit dir deine Mutter,
dort kreißte, die dich hat geboren.
 

Sulamith (sich traulich an den Geliebten anschmiegend)

6. Setze mich wie einen Siegelring auf dein Herz,
wie einen Siegelring auf deinen Arm!
Denn gewaltig wie der Tod ist die Liebe,
fest wie die Hölle ihr Liebeseifer.
Ihre Gluten sind Feuersgluten,
eine Flamme Jehovah's.

7. Viele Wasser vermögen nicht
zu dämpfen die Liebe,
und Ströme werden sie nicht wegschwemmen.
Wenn Jemand hingäbe
alle Habe seines Hauses für die Liebe:
verachten würde man ihn tief!

 

Zweiter Auftritt
Sulamith mit dem Geliebten im Kreise der Ihren
(Kap. 8, 8. - 14.)

Sulamith

8. Wir haben eine Schwester, eine kleine,
und Brüste hat sie [noch] nicht.
Was sollen wir thun mit unserer Schwester,
am Tage, wo man um sie werben wird?
 

Sulamiths Brüder

9. Ist sie eine Mauer,
so bauen wir auf sie eine Burg von Silber.
Ist sie aber eine Thür,
so versperren wir sie mit einer Cedernbohle.
 

Sulamith

10. Ich war eine Mauer,
und meine Brüste gleich Thürmen.
Da war ich denn in seinen Augen
als eine, die Frieden findet. -

11. Einen Weinberg hatte Salomo in Baal-Hamon.
Er übergab den Weinberg den Hütern,
daß ein jeder brächte für seine Frucht
Tausende in Silber.

12. Mein Weinberg, meiner, steht vor mir:
die Tausende sind dein, o Salomo,
und zweihundert den Hütern seiner Frucht.
 

Salomo

13. Die du weilest in den Gärten,
Gefährten horchen auf deine Stimme;
laß mich sie hören.
 

Sulamith (singend)

14. Fleuch, mein Geliebter,
und sei gleich der Gazelle,
oder dem Jungen der Hindinnen,
auf Würzkrautbergen.



Aus: Theologisch-homiletisches Bibelwerk
Die Heilige Schrift
Alten und Neuen Testaments
bearbeitet und herausgegeben von J. P. Lange
Des Alten Testamentes
Dreizehnter Theil:
Das Hohelied und der Prediger
von Dr. Otto Zöckler
Professor der Theologie zu Greifswald
Bielefeld und Leipzig
Verlag von Belhagen und Klasing 1868
 

 

 

 

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