Ludwig von Löhner (1812-1852) - Liebesgedichte

 


Ludwig von Löhner
(Ps. L. v. Morajn)
(1812-1852)


Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
 

 




An Sie

1.
Wohl taugen trüb und heiter nicht
Und Glanz und Dunkel zum Vereine;
Doch zeig' dich milde, sei mein Licht
Und mich laß deinen Schatten sein.


2.
Sei nicht so lieblich - mir wird weh,
Gram schafft mir deine sel'ge Näh'.
Wahn ist mein Lieben - Wonne? nein!
Denn fremde wirst du bald mir sein:
Ein Wunsch der nächtlich fernhin geht,
Ein Stern der überm Weltmeer steht.
Doch solches Weh', solch Dunkel mag
Wohl schöner sein als Luft und Tag.
Und solche Lieb ersehnen heißt
Wohl mehr als was ihr Liebe preist.
Bleib du mein Traum der fernhin geht,
Mein Stern der überm Weltmeer steht.


3.
Nimm hin mein Leben! nimm es hin -
Und was ich träum' und denk' und bin,
Die Sehnsucht die nach Wonne flammt,
Die Hoffnung himmelwärts entstammt.

Und keinen Lohn, mein süßes Lieb,
Und keinen Dank dafür mir gieb -
Nicht einen Blick, draus Wehmuth taucht,
Nicht einen Seufzer still gehaucht.

Dich seh'n! - hat sonst noch etwas Raum
In dieses Lebens Morgentraum?
Ist das die Perle Thaues nicht
Drin Erd' und Himmelglanz sich bricht?


4.
O diese Stimme, wie so oft hat sie
Mein Herz bewegt mit Zaubermelodie! -
So zieht ein Engel übers öde Meer
Durch graue Dämmerung still leuchtend her -
So bebt das Meer ihm dunkelselig nach,
Ihm nach mit langsam großem Fluthenschlag.


5.
Wie wäre deine Stimme doch Gesang
Und weckte nicht in mir schwermüth'gen Klang?
Weiß ich doch nicht, ist sie der Engelchor,
Der Glück verkündet in des Schläfers Ohr -
Ist sie der Klang, der Sterbende beglückt,
Die höchste Wonne gibt - und auch entrückt?
(S. 147-149)
_____



Ständchen

1.
Es gibt ein Märchen wunderbar
Von der versunknen Waldkapelle;
Da tönen Orgeltöne klar
Manchmal empor aus Busch und Quelle.

Man höret dann auch Chorgesang,
Dazwischen helle Glocken läuten -
's ist Alles nur ein leerer Klang
Aus alten längst entschwundnen Zeiten.

So zürne nicht - folgt deiner Spur
Mein Lied von Lieb' und Sehnsucht helle;
Es ist ja doch der Nachklang nur
Der längst versunknen Waldkapelle.


2.
O zürne nicht, wenn du auch siehst
Daß ich so gänzlich ohne Treue,
Daß ich dir folge wenn du fliehst,
Und winkst du, flieh aufs neue.

Ich bin das Irrlicht auf dem Moor
Das eine flücht'ge Stunde gaukelt;
Ich bin der leichte Nebelflor
Drauf sich ein Lichtstrahl schaukelt.

Ich bin der Klang des Zeitgewichts
Das flüchtig schlägt an euer Leben,
Ich bin ein Traum, ein eilend Nichts,
Wie's eure Träume weben.


3.
Einst liebt' ich jung eine Liebe -
Morgenröthenhauch.
Noch einmal will ich nun lieben,
Abend flammet auch.

Viel Thränen hab' ich vergossen -
Trübe Regenfluth
Die letzte sei, mich zu trösten,
Thau auf Rosengluth.

Man lernt am Ende lieben
Langgetragnen Schmerz;
So bist du Meister im Lieben,
Liebe denn! mein Herz.


4.
O Rose, mein Alles, sollt' ich denn sein
Um den Lohn betrogen!
Wie wärst du mir erst Alles allein,
Wärst du mir gewogen.

Doch weiß ich, es hat das Geschick
Andern Rath gepflogen,
Gesehn hab' ich, was mein vom Glück,
Als ich hergezogen. -

Als Nachtigall sang, schlug überall
Echo Wohllautwogen;
Als Sonne schien, blühte der Wasserfall
Auf im Regenbogen.

Dich selber schönste Dichtung hast du dem Licht
Und dem Ruhm entzogen.
Nimm mich zum Echo, bis mein Gedicht
Alle Welt durchflogen.


5.
Ich armer Sangesvogel, wie bin
Ich schmählich ins Netz gegangen
Von braunen Locken der Zauberin!
Doch mußt' ich wohl mich fangen,
Sah ja, wie süße Kirschen drin
Die rothen Lippen prangen;
Nun wird mir nicht einmal der Gewinn
Den Vögel sonst empfangen,
Die, stürzen sie auf Schlingen hin,
Doch auch Kirschen erlangen.
Doch wahrlich nicht länger trägt mein Sinn
Dies zehrende Verlangen,
Zerreiße, tödte mich immerhin,
Nur stille mein Verlangen.
(S. 150-154)
_____



Abends

Wohl kann ich den Tag verbringen
Still in selbstgebauten Schranken,
Was ich fühle, niederringen,
Grenzen setzen den Gedanken.

Aber frei und mächtig werden
Alle Sehnsucht, alles Ahnen,
Kommt der Abend, von der Erden
Fort den heitern Tag zu mahnen.

Wolken glühen, Glocken schlagen,
Schatten wandeln hin und wieder,
Und ich bin in alten Tagen
Und in alten Fesseln wieder.

Jene Nebel, Veilchengolden,
Sah ich oft ihr Haus umschimmern,
Ja! im Fenster meiner Holden
Muß dies Abendfeuer flimmern.

Ihr zur Seite sitz ich - ferne
Her lugt Nacht aus grünen Thalen;
Scherzend zählt ihr Aug' die Sterne,
Und ich zähle seine Strahlen.

Flüstr' in leisen, leisen Lauten,
Hör' noch leisre Antwort schallen -
Was wir zagend uns vertrauten,
Schlagen unten Nachtigallen.
(S. 155-156)
_____



Nordlicht

Wär noch Lenz in meinem Innern,
Blauer Himmel, grünes Leben,
Schöner sollt' es dir erblühen
Und dich meine Sonne preisen.

Strand des Eismeers ward mein Innres,
Ew'ger Schnee verschließt den Boden,
Ew'ge Nacht liegt auf dem Schneefeld:
Eines nur bringt heitern Wechsel.

Durch die Nacht hin zuckt es - Garben
Bunten Feuers rieseln nieder,
Und so strahlest du mein Nordlicht
Ob dem weiten weißen Grabe.
(S. 157)
_____



Boussole

Ernst und still durch alle Fluthen
Zum geliebten Norden schaut,
Nach dem Norden weist die Nadel
Der sich der Pilot vertraut.

Kömmt sie jemals wo sie hinweist,
Also klingt ein altes Wort,
Wird sie ruhn mit ihrer Sehnsucht,
Stille stehn am heil'gen Ort.

Herz, mein Herz das ohne Wanken
Treu nach seinem Pole zeigt,
Wie auf schwanken Lebensfluthen
Auch das Schifflein fällt und steigt!

Wenn dich Sehnsucht heimgetragen,
Wenn du deinen Pol gesehn,
Wirst du nicht auch allzuglücklich
Freudezitternd stille stehn?
(S. 158)
_____



Reise

1.
So zieh ich denn entgegen dir,
Ich segne jeden Schritt;
Und wie ein Pilger seinen Zweig
Trag ich mein Hoffen mit.

Die Erde sprießt - die Wolken glühn
So weit der Himmel blaut,
Und mit dem ersten Vogel wird
Die Hoffnung in mir laut.

Du stille Blume! holde Maid
Die einst kaum aufgesehn,
Ob du wohl meiner auch gedenkst
In diesem Frühlingswehn?


2.
Ich bin's - ich steh vor deinem Haus
Ich küsse seine Schwelle,
In Nacht und Gram zog ich hinaus,
Jetzt ist die Erde helle.

Ich soll dich wiedersehn! vielleicht
Nur um vorbeizuschreiten,
Ein Pilger dem man Gaben reicht,
Ihn weiter zu geleiten.

Doch wie es sei: 's ist immer gut!
Wohin ein Irrstern gehe,
Unlöschbar hin trägt er die Gluth
Aus seiner Sonne Nähe.


3.
Wir sind zusammen weit gezogen
O Mandelzweiglein ich und du,
Die Wolken glühn, die Vögel singen,
Wir aber haben keine Ruh.

Wir sind von unserm Glück gerissen,
Von unserm Heile weit entrückt,
Du von der Kron' die dich getragen,
Ich von der Hand, die dich gepflückt.

Der grüne Wipfel stand im Winde,
Im Blüthenregen stand die Maid,
Nun sind wir lang im fremden Lande
Und bis zur Heimat ist's noch weit.

Das Sorgen hilft nichts - laß uns schlafen,
Mit Säuseln kömmt vielleicht ein Traum,
Von einer Blüthenkron im Winde,
Von einer Maid gelehnt am Baum.
(S. 159-161)
_____



Fräulein Nachtviole

1.
O wenn der Tag doch bald sein Ende,
Die Sonne ihre Ruhstatt fände
Dort in der grünen Waldeskluft!
Wenn ich so spät mich erst erhole,
Wann soll ich arme Nachtviole
Ausathmen allen meinen Lebensduft?

Die Sonnenblume lang und hager,
Die Eidechs, kälter als ihr Lager,
Die mögen sich im Mittag bläh'n:
Bei denen ist die Wärme theuer,
Die brauchen stärkend Sonnenfeuer
Um sich mit Leben zu versehn.

Ich aber hab mein eignes Leben:
Mich in geheimen Düfteweben
Verstört der blendend helle Tag;
Die Nacht die haucht so fluthig kühle,
Die löscht das brennende Gewühle,
Daß man sich lebend fühlen mag.

Und schön ist sie! nicht öd' und traurig,
Nein, wie ein Märchen süß und schaurig
Ist diese traumverzogne Welt.
Da sind nur Lüfte, Schatten, Träume,
Ein Schlummerhauch sind alle Räume,
Und jedes Blatt ein Elfenzelt.

Oft lach' ich auch für mich im Düstern:
Die Rosen hör ich Liebe flüstern,
Die Lilie seufzen aus dem Traum,
Glühwürmchen scheucht mit grünem Strahle
Nachtfalter oft vom besten Mahle,
Den Laubfrosch von dem liebsten Baum.

Ich aber steh und löse stille
All meine Lebensfeuerfülle
Befreit in eine Düftefluth.
Und wenn die Nacht nicht will gefallen,
Für den, statt meinen Düften allen,
Ist auch mein Anblick schon zu gut!


2.
Nachtviole war krank.
Sie kamen und gingen und rannten,
Sie mischten kühlenden Trank
Die Mutter, Schwestern und Tanten.

Leuchtkäfer eilten im Grau
Die Lampen aufzustecken,
Die Lüfte gossen den Thau
Zum Bad in Blumenbecken.

Sie aber senkt trüb und schwer
Das kranke Köpfchen nieder,
Kaum offen erhält sie mehr
Die müden Augenlieder.

Es pflegt sie zärtlich gesinnt
Die lange braune Cicade,
Sie tröstet das arme Kind
Mit monotoner Suade.

Doktor Carabus geht umher,
Ein Jüngling lang und hager;
Der Casus bedünket schwer
Den unbeholfnen Frager.

Bei Blumen bleibt eine Kur
Ein schwierig Unterfangen;
Oft weiß Allmutter Natur
Allein was sie verlangen.

Zum Glück entscheidet die Nacht:
"Entfernt euch ohne Weilen,
Was übel der Tag gemacht,
Werd' ich ganz stille heilen."


3.
Die Rosen in purpurner Pracht
Überglühn des Tages Schwüle,
Die Nachtviole ersehnt die Nacht
Die schöne, dunkle, kühle.

Die Rosen in heißem Muth
Beginnen sie zu befehden.
Viole betäubt von Gluth
Ist stumm bei ihren Reden.

Wenn's Abend dunkel und kühl,
Beginnt sie frei zu hauchen,
Da eilt der Lüfte Gewühl
In ihren Athem zu tauchen.

Nachtigall wundert sich bald,
Daß sie nicht länger lauschen,
Und läßt der Ströme Gewalt
Erst recht entfesselt rauschen.

Nun drängen sich Well' auf Well'
Die Nachtviolen-Düfte,
Die Töne ziehn goldig hell
Darüber durch die Lüfte.

Bis Nacht wie ein brauner Dom,
Von schwerem Duft durchzogen,
Bis ein mächtiger Orgelstrom
Die Töne vom Baume wogen.

Die Rosen haben Morgens danach
Kopfweh von Duft und Schmettern;
Nachtviole lugt ganz gemach
Aus ihren grünen Blättern.
(S. 162-166)
_____



Schweigen

In meinem Grame hab' ich viel gedichtet,
Ergossen mich in tausend Liebesklagen
Als Dichter, der zur Liedgestalt verdichtet
Jedweden Traum, den er in sich getragen.

Jetzt aber, wo in meinem blöden Herzen
Das Glück mit lichtem Heere eingezogen,
Und ob dem Wracke alter Sehnsuchtsschmerzen
Die Liebe geht in stillen grünen Wogen:

Jetzt bin ich, was mein Herz auch Schönes brütet,
Stumm wie die Nachtigall in ihrem Neste;
Denn wenn ein Liebender die Zunge hütet,
Glaubt mir, verschweigt er euch das Beste.
(S. 168)
_____



Gute Nacht!

O spotte nicht! oft nach gewohntem Worte
Greift Liebe, statt nach schönern hinzutasten,
Und mehr empfind ich als je Worte faßten,
Sag' ich dir: Gute Nacht! an deiner Pforte.

's ist doch ein Abschied! - O wem volle Wonne
Ein jeder Herzschlag schäumt, der zählt Sekunden,
Und wünscht, das Abendroth das kaum verschwunden
Verschmölze mit dem neuen Strahl der Sonne.

Und ist die Nacht denn sicher? ist der Schauer
So nichtig, der uns beim Entschlafen rüttelt?
Der Thau, den aus dem Haar der Morgen schüttelt,
Mischt er sich nicht mit Thränen tiefer Trauer?

Und könnten eines Morgens Schlaf und Leben
Nicht auch ihr Zwillingsreich gewechselt haben,
Und wenn mich süße Träume Nachts umgaben,
Vergessen deines Bilds mich früh umgeben?

Du gehst zu eilig! - sag ich zu dem Tage;
Zum Schlummer: gib sie frei beim Morgenstrahle!
Zum Auge: sieh! - als wär's zum letzten Male! -
Du hörst nur wie ich gute Nacht! dir sage.
(S. 169-170)
_____



Ein Abschied

So fahr denn wohl du Stern, deß milde Helle
Kaum aufgeglänzt auf meiner Lebensschwelle.
Dein Schiffer kehrt zu Nordens Land zurück,
Im Süden strahlest du und fliehst den Blick.
So fahr denn ewig wohl und bleibe immer -
Dies ist mein höchstes Flehn - sich gleich dein Schimmer,
Die Stürme stets dir fern, und wo dein Schein
Da möge Klarheit, Ruh und Friede sein.
Mich aber zieht's zurück mit strenger Hand
Zu meiner Jugend einsam ödem Strand;
Zu jener Stille Kreis, wo mir das Leben
Wie eine Mumie zur Schau gegeben.
Ja einsam wie vor Zeiten muß ich sein,
Und fern der Welt, und nur mein Denken mein.
Ja, einsam, keinem Menschen mehr vertraut,
Sei der Natur mein Herz, sie meine Braut.

Ja du bist mein Natur! mit dieser Wunde,
Der ew'gen, weih' ich dich zum ew'gen Bunde.
Wer sich dir weiht, ist tiefem Schmerz vertraut:
So gib mir Lieb' und Wonne, süße Braut!
Laß deine Meere frisch und weich sich regen,
Ich will mein Haupt an deinen Busen legen.
Gib mir von Indiens Nacht wohllüst'gen Duft
Zum Kuß, und streichle mich mit Frühlingsluft.
Wo Menschen fern, wo Geister stille walten,
Laß uns geheime stille Zwiesprach halten:
Da öffne sich vor uns der Sehnsucht Land
Mit seinem abendrothen Gletscherrand;
Da sei der Liebe höchstes Fest begangen
Ein Rosenkelch erzitternd vor Verlangen;
Und unsre Kinder flüchtig, launisch, weich,
Sie sei'n Gedanken aus der Dichtung Reich.
Geboren kaum, den Eltern schon entwöhnt,
Kalt, ungeliebt und ewig doch ersehnt,
Wie ich ein wechselnd wesenloses Treiben,
Wie du ein Räthsel mir, so mög es bleiben.
(S. 171-172)
_____



An B.

Was fürchtest du meine Lieder
Ob ihrer wilden Gluth,
Und trägst doch auf deinem Busen
Korallen so roth wie Blut?

So glaubst du, daß die Korallen
Nicht auch gelebt einmal?
Die Lieder aus heißem Herzen
Fortglühen am Tagesstrahl? -

Es leben ja die Korallen
Gar herrlich in dunkler See,
Und strecken die Purpurzweige
Hinauf in die lichte Höh'.

Es frieret gar bald im Lichte
Zu Stein ihr leuchtendes Blut.
Ihr schmückt mit den starren Blüthen
Den Busen euch wohlgemuth.

So nimm denn auch meine Lieder
Wie eine Korallenschnur;
Sie glühten in meinem Innern,
Da draußen leuchten sie nur.
(S. 173-174)
_____



Änderung

Ja lieblich bist du - ich bin dir gut.
Wie Wandrer, die Blumen finden,
Sich damit schmücken Busen und Hut,
Möcht' ich mit dir mein Leben umwinden.

Ich aber laß es, und such dein Herz
Vor Leidenschaft zu umhegen,
In deiner Seele zitterndes Erz
Einen Memnonsgesang zu legen.

Ein alter Waidmann, wie ward ich mild!
Sonst mocht' ich nach Liebe jagen,
Jetzt nährt' ich achtsam dich edles Wild
Statt selber dich heim zu tragen.
(S. 175)
_____



Nimm

Ich bin kein friedliches Gemüth,
Kein Quell an welchem du gesundest:
Ich bin der Stein der Feuer sprüht
Wenn du ihn harten Schlags verwundest.

Ich bin kein schattenreicher Baum,
An welchem milde Früchte hängen:
Ich bin die Woge mit dem Traum
Von Sonnenroth und Sturmesklängen.

Ob Lieb', ob Hassen meine Kraft?
Ob Himmel, Hölle mir geblieben?
Nimm meine wilde Leidenschaft
Und lasse mir dein stilles Lieben.
(S. 177)
_____



Zieh hin

Zieh deinen Weg! vergesse mich,
Mein Zauber hält dich doch umschlungen.
Dir selbst vergessen wohnt mein Ich
In deiner Seele Dämmerungen.

Wenn dich die vollste Freude krönt,
Wird Wehmuth dich mit einmal fassen,
Und während Lieb' dir schmeichelnd fröhnt,
Fühlst du tief innen dich verlassen.

Dann kühlt wie Abendlüfte mild
Ein Lächeln deine bleichen Wangen
Um den Vergessenen, mir gilt
Ich fühl's dein heimliches Verlangen.

Dann fühlen wir von einem Leid
Von einer Sehnsucht uns durchschauert,
Wie, wenn's am Gletscher droben schneit,
Die Alpe regnend unten trauert.
(S. 178)
_____



Ergebung

Von Lebenshöhen willig senkt
Der Fuß sich hin zum Todesthale,
Mein Aug' nur rückgewendet tränkt
Sich sehnsuchtsvoll an deinem Strahle.

Wie schön das Leben, wie viel Glück
Vom Paradies, das wir verloren,
Im Frauenherzen blieb zurück,
Du brachtest mir's vor Aug' und Ohren:

Ich hab's geschaut, wie der Prophet
Vom öden Berg in Morgenhelle
Hin ins verheißne Land gespäht
Um Staub zu werden an der Schwelle.
(S. 179)
_____



Einmal!

Könnt ich einmal dir zu Füßen
Schütten hin mein ganzes Wehe,
Weinend deine Sohle küssen,
Sagen möchtest du dann: Gehe! -

Stündst du meiner Flamme Qualen
Reglos, wie die Waldkapelle
Wenn sie Blitze roth umstrahlen,
Mein Gemüth doch würde helle.

Tröstung, karge, Schmerzverwandte,
Fänd ich noch in meinem Härmen,
Wie am Hause, das verbrannte,
Sich erfrorne Kinder wärmen.
(S. 180)
_____



Zu spät

Ich bin durchs Leben blind gerannt
An dir vorbei, du Heißgeliebte,
Und hab mein Glück zu spät erkannt
Als mir's Morgana-gleich zerstiebte.

Damals hat wohl ein leiser Klang
In deiner Brust für mich gesprochen,
Den  du nun überhöret lang
An eines andern Herzens Pochen.

Nun drängst du zürnend und erschreckt
Von dir weg meinen Liebeskummer,
Daß er dich Liebberauschte weckt
Zu früh nicht aus Betäubungsschlummer.

Einst wenn dein Aug' den Taumel zwang,
Wirst du dein Herz doch müssen hören,
Die Riesin Sehnsucht wird kein Sang
Von Pflicht ins Grab zurück beschwören.

So sind von Suchen irr und heiß
Wir sehnend uns vorbeigegangen,
Zwei Kinder die im Kinderkreis
Verbundnen Aug's sich wollen fangen.

Das Band das unsre Augen hielt
Kann doch die Seelen uns nicht trüben.
Wir haben Blindkuh hier gespielt,
Fahr wohl auf Wiedersehen drüben!
(S. 181)
_____


Aus: Gedichte von L. v. Morajn
[Ps. von Ludwig von Löhner]
Berlin Verlag von Alexander Duncker
Königl. Hofbuchhändler 1848
 


Biographie:

https://de.wikipedia.org/wiki/Ludwig_von_Löhner

 


 

 


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