Eine zigeunerische Dichterin
      
      Biographie von Heinrich von Wlislocki (1856-1907)
      
      
      
      
      
      Ein wildes, ein gar wildes Herz hörte am 17. Mai 1891 für immer auf zu 
      schlagen. Endlich hatte es Ruhe gefunden dies wilde Herz jener Zigeunerin 
      und Dichterin, deren irdische Überreste ihre Wanderzigeunergefährten ohne 
      Sang und Klang, still und heimlich auf dem Grenzgebiete der slavonischen 
      Ortschaft Biskupec der Erde übergaben. Welche Flut schmerzlicher 
      Erinnerungen weckt der Anblick dieser verlassenen Stätte, wo Gina Ranjicic, 
      die zigeunerische Dichterin, ihren "ewigen Traum träumt"! Ein verfehltes, 
      nicht ohne eigene Schuld, aber doch zumeist durch die Mißgunst äusserer 
      Verhältnisse verfehltes Leben, das in Not und Elend erlosch, wie das Leben 
      jeder Zigeunerin und so mancher anderer Dichterin, während es in seinen 
      Liedern der Nachwelt ein unzerstörbares Denkmal seines Genius hinterliess. 
      Wäre Gina Ranjicic das Kind eines anderen Volkes gewesen, hätte sie unter 
      anderen Verhältnissen gelebt und wäre nicht gerade ihre Schönheit und 
      Bildung der Fluch ihres Lebens gewesen, so könnten wir heute in ihr eine 
      der größten Dichterinnen aller Zeiten betrauern. Wer ihre 250 
      zigeunerischen Gedichte liest, kann sich den kurzen Abriß ihres Lebens, 
      wie wir ihn geben, zu einer langen Leidensgeschichte voll verzweifelten 
      Kämpfens und Ringens, voll trüber Tage und peinvoll durchwachter Nächte, 
      voll bitterer Enttäuschungen und gescheiterter Hoffnungen weiter 
      ausspinnen. In den Fesseln wilder, unzähmbarer Leidenschaft schmachtete 
      die Dichterin, eine echte Zigeunerin, wie eine Gefangene ohne Licht und 
      Luft, inmitten ihr von wilder Leidenschaft aufgezwungener 
      Lebensverhältnisse. Sie war zur Dichterin geboren und bestimmt, ein 
      gottbegnadetes Weib, das vergass, was es drückte und quälte, wenn es 
      dichtete. Müde und abgespannt von dem Glanze und der Pracht, mit der sie 
      von ihren Anbetern oft umgeben ward, oder von mühseliger Zigeunerfahrt, 
      sang sie ihre Lieder, voll Duft und Frische, die jenen Blumen gleichen, 
      die "am Tage den Kelch ängstlich verschlossen halten, und nur in die 
      stille, verschwiegene Nacht hinaus ihre köstlichen Wohlgerüche hauchen." -
      
      Voriges Jahr, am 20. November, kam zu mir nach Zombor (Südungarn) Herr Dr. 
      Svetosar Jakobcic, serbischer Consularbeamte, und teilte mir mit, dass 
      sich zur Zeit in Essek, in Slavonien, eine zigeunerische Dichterin 
      aufhalte, die er von ihrer gemeinsamen Heimat, von Serbien aus schon seit 
      Jahren kenne, und deren zigeunerische Gedichte er abkaufen wolle. Ich 
      reiste mit ihm nach Essek, wo wir bald Gina Ranjicic antrafen, eine 
      runzelige, alte Wanderzigeunerin. Beim ersten Anblick hätte wohl Niemand 
      gesagt, dass dies Weib einmal eine gefeierte Schönheit gewesen; noch 
      weniger hätte es Jemand geglaubt, dass diese in Lumpen gehüllte Zigeunerin 
      mehr als 250 Gedichte verfaßt und – niedergeschrieben habe. Aber gar bald 
      bekam man eine ganz andere Meinung von dieser Zigeunerin, sobald man mit 
      ihr ein Gespräch anknüpfte. Stolz richtete sich die dürre, in sich 
      zusammengesunkene Gestalt auf; mit ihren dunklen, großen, noch immer in 
      unheimlichem Feuer glänzenden Augen suchte sie gleichsam in die innerste 
      Tiefe des Herzens zu dringen. In gewählten Worten, die sofort ihre Bildung 
      verrieten, mit einer vornehmen Zuvorkommenheit begrüßte sie uns.
      
      Tatsachen, Episoden aus ihrem wechselvollen Leben, die Herrn Dr. Jacobcic 
      schon längst bekannt waren und von deren Richtigkeit er sich auf seinen 
      jahrelang andauernden Reisen in den Balkanländern überzeugt hatte, 
      erzählte uns Gina Ranjicic teils in serbischer, teils in zigeunerischer, 
      zumeist aber in gewählter, fliessender deutscher Sprache. 
      Wann sie das Licht der Welt erblickt habe, dass konnte sie uns nicht 
      sagen. Als ungefähr zehnjähriges Mädchen sah sie zur Zeit ungarischer 
      Revolution den Führer der kroatischen Truppen, Jellacic in Verasdin, woher 
      sie mit ihren Stammgenossen nach Serbien floh, "weil die Croaten auch die 
      Zigeuner zwingen wollten, die Waffen zu ergreifen und gegen die Ungarn zu 
      Felde zu ziehen". Sie gehörte zum serbischen Wanderzigeunerstamme der 
      Nevelja und kam als ungefähr zwölfjähriges Mädchen in das Haus eines 
      armenischen Kaufmanns nach Belgrad, nachdem sie sich von ihrem Stamme und 
      ihrer Familie verirrt hatte, die wegen Diebstahl von türkischen Soldaten 
      verfolgt und über die Donau nach Ungarn getrieben worden war. Joachim 
      Dalenes hiess dieser armenische Kaufmann, der nach kurzem Aufenthalt in 
      Belgrad mit Gina in seine Heimat, nach Konstantinopel übersiedelte. 
      Dalenes mag die Zigeunermaid gar lieb gewonnen haben. Er liess sie die 
      armenische Schule in Konstantinopel besuchen und hielt ihr auch drei Jahre 
      hindurch einen deutschen Hauslehrer, namens Karl Berik. "Von diesem 
      Manne," sagte uns Gina, "lernte ich schreiben und lesen; lernte ich Alles, 
      was ich kann". Ihr Ziehvater hatte keine Familie und führte mit seinem 
      gleichfalls ledigen jüngeren Bruder, Gabriel, gemeinschaftlichen Haushalt. 
      Eines Tages trat Gabriel vor Gina hin und sprach: "Willst du meine Frau 
      werden? Wenn du meine Gattin sein willst, so ziehen wir in jenes Zimmer 
      hinüber und werden dort Beide wohnen". Gina – zog in jenes Zimmer hinüber; 
      Berik, der Hauslehrer, wurde entlassen und sie begann nun die Rolle der 
      Hausfrau zu spielen, sich – wie sie es uns eingestand – fabelhaften Luxus 
      gönnend. Ihr "Gatte", wie sie den Gabriel Dalenes stets nannte, war die 
      Güte und Sanftmut selbst, und Gina "fühlte sich so glücklich an der Seite 
      dieses bejahrten Mannes, dass sie armenische, türkische und zigeunerische 
      Gedichte zu schreiben begann". Sie sagte uns deutsch Wort für Wort: "Ich 
      hatte schon damals zwei grosse Bücher mit Versen voll geschrieben. Ich 
      habe die Bücher in Konstantinopel gelassen, als ich mit meinem Kipetaren 
      nach Albanien reiste". Als ich meine erste Begegnung mit ihr hatte, besass 
      sie drei geschriebene Hefte, in die sie im Laufe der letzten 40 Jahre mehr 
      als 250 zigeunerische Gedichte eingetragen hatte, welche nach ihrem Tode 
      Dr. Jakobcic für 200 österr. Gulden ihren Verwandten abkaufte.
      
      Gina's "Eheglück" zerstörte ein junger Albanier, dem die schöne, mit 
      orientalischer Pracht gekleidete Zigeunerin gar wohl gefiel. Gregor 
      Korachon war der Name dieses Albanesen, der eines Tages, als sich Niemand 
      im Hause der Gebrüder Dalenes befand, vor Gina hintrat und also zu ihr 
      sprach: "Dein Gatte ist so alt, dass er dein Grossvater sein könnte. Wenn 
      du am Leben bleiben willst, so komm' sogleich mit mir, denn der Sultan 
      lässt heute alle Armenier niedermetzeln". So erzählten uns Gina und ihre 
      Verwandten den Anfang des für die Dichterin so verhängnissvolen 
      Verhältnisses zu Korachon. Ohne die Sache zu überlegen, ging sie mit dem "Kipetaren" 
      – wie sie Korachon zu nennen pflegte – von dannen, verliess ihr glänzendes 
      Heim in Konstantinopel und knüpfte ihr Los an das eines ihr "unbekannten" 
      Mannes. Möglich, dass sie vielleicht schon früher in einem galanten 
      Verhältniss zum Albanesen gestanden, - uns gegenüber aber leugnete sie 
      dies stets, wie sie denn überhaupt nicht gerne über dies Verhältniss zu 
      sprechen schien. Soviel teilte sie uns mit, dass am zweiten Tage nach 
      ihrer Entfernung aus Konstantinopel der Albanese ihr gesagt habe, dass – 
      wenn sie in das Haus ihres "Gatten" zurückkehre, sie von der Behörde 
      eingezogen werde, denn man habe die beiden armenischen Brüder in einer 
      abseits gelegenen Kammer ihres Hauses, wo sie ihre Schätze aufbewahrten, 
      ermordet gefunden und man verdächtigte eben Gina, dass sie den Mord 
      vollbracht habe. Licht in diesen Sachverhalt zu bringen gelang Herrn Dr. 
      Jakobcic selbst nach anderthalb Jahre hindurch gepflogenen, eifrigen 
      Erhebungen nicht. So viel ist gewiss, dass 1851 ein armenischer Kaufmann, 
      namens Gabriel Dalenes, in Konstantinopel von unbekannten Tätern ermordet 
      und beraubt worden ist und dass man dieses Raubmordes einen flüchtigen 
      Albanesen verdächtigte. Einiges Licht in diese Sache bringen die aus 
      dieser Zeitperiode stammenden Gedichte Gina's. Eines dieser Gedichte 
      lautet also:
 
      
      Trin coraka 
      beshdo pro ruk,
      Yekto beshdyas upro cipo, -
      Duyto beshhyas pro sano kasht,
      Andro kuyba beshdyas trito.
      
      Pendychas yecto coriko,
      Pendychas yov nayportayes:
      "Upro pro phuv, pro bare phuv
      N'avel mandar sar sorales!"
      
      Pendyas duyto pro sano kasht:
      "Romniye, ashun tu gule,
      Pendychas ada cavoro:
      "Sar yov na isi kasave!"
      
      Bare rukeskro e kashta
      Siges, siges yon pagaren,
      Ratvala isan praitina; -
      Ko romeskro is' kamaben!
      
      Merdyas m'ro bikeido gadso,
      Kipetaro mange penel:
      "Isi, isi m're luludyi,
      Nikana tut savo kamel!" …
      
      Phuv te cero tay pabuven
      Peskre bare kamabensa;
      Mire godyi na pabuvel,
      Isi taisa tamipensa.
      
      Barvaleske dukhal godyi,
      Mange, mange taisa penel:
      "Tiro yekto rom is' kirno?
      Ko pirano tute ovel?"
      
      Bibaçtales, naycoreder
      Acav taisa me raciye,
      Angalidav m're piranes
      Barvaleha but rovilye!
      
      
      
      Drei Raben sassen auf dem Baume,
      Der eine auf dem Wipfel hoch, -
      Der andre sass auf dürrem Aste,
      Allein ins Nest der dritte kroch.
      
      Der erste stolz im Wipfel krächzte:
      "Ein Bursch so schön, wie ich, so fein,
      Gibt's auf dem weiten Erdenrunde
      Wohl keinen; kann auch keiner sein!"
      
      Vom dürrem Aste rief der Zweite:
      "O Gattin mein, o Süße hör',
      Solch' Bursch, wie jener dort im Wipfel,
      Bin ich wohl auch, darauf ich schwör'!"
      
      Des hohen Baumes hoher Wipfel
      Neigt schwankend jetzt sich hin und her,
      Und blutig wird sein Laub, das grüne; -
      Des Gatten Lieb' hab' ich nicht mehr!
      
      Ach, unbetrauert starb mein Gatte,
      Mein Kipetar wünscht nun von mir,
      "Nur mir allein blüh' du als Blume,
      Sei mir allein die schönste Zier!" …
      
      Am Himmel hoch, und hier auf Erden
      Strahlt hell nun seiner Liebe Licht;
      Nur meines Herzens Nacht, die dunkle,
      Der Liebe Strahl wohl nie durchbricht!
      
      Es seufzt der Wind, als ob ein Herz er
      Hätt' auch voll tiefem Weh und Leid:
      "Verfault im Grab liegt schon dein Gatte?
      Und Andrem Lieb' dein Herz schon beut?"
      
      Verlassen steh' ich hier und einsam
      In stiller, dunkler Mitternacht,
      Und halt bei meinem jetzigen Liebsten
      Nur mit dem Wind allein die Wacht!
       
      
      
      
      
      Obgleich die 
      Dichterin ihren sogenannten "Gatten", den Armenier Gabriel Dalenes, nicht 
      geliebt haben mag, so folgte ihr doch die Erinnerung an ihn auch in das 
      Land der Albanesen, wohin sie ihr "Kipetare" hingeführt hatte und ihre 
      allereigensinnigsten Wünsche zu erfüllen sich bestrebte. In albanischer 
      Nationaltracht, mit einer teueren Halskette geschmückt, ritt sie einmal 
      auf reichverziertem Rosse durch die Strassen Adrianopels, als sie einen 
      Armenier erblickte, in dem sie ihren Ziehvater Joachim Dalenes erkannte. 
      Ohnmächtig sank sie von ihrem Rosse herab; zu ihrem Glück hatte sie der 
      Armenier nicht bemerkt. Als sie zu sich kam, machte ihr der "Kipetare" 
      Vorwürfe, worüber sie sich so sehr ärgerte, dass sie in der folgenden 
      Nacht sich heimlich aus Adrianopel entfernte. Aber schon nach drei Tagen 
      kehrte sie zu ihrem Liebsten zurück, "dessen Augen wie die Schlange 
      stachen" (keske yakha pushavena, sar sapuno). 
      Damals schrieb sie vielleicht das Gedicht, darunter das Wort "Adrikoforos" 
      = Adrianopel steht:
       
      
      
      
      Penel gulo: 
      M'ro pirani,
      Tiro gray iszan shukares;
      Strafinel pro tut angruskri!
      Pen tu mange: szo tu kames?!
      
      Angalidav m'ro piranes
      Tay leske penav me caces:
      "Bibaçtalo, na çuna tu
      Pal handako cira;
      Avriaven yon raciye
      Tay baros rovilya!
      Dikh o ruk tu pal o vreme
      Shukur luludyensa,
      Acel yeke praitin
      Jeldes luludyensa!"
      
      
      Spricht der Liebste: "Du mein Liebchen,
      Sieh, dein Rösslein ist ein schönes Tier;
      An dir strahlen Edelsteine!
      Sprich: wünscht du noch was und welche Zier?"
      
      Ihn umarmend ich dann weine,
      Sag' ihm stets dann nur dies eine:
      "Unglückseliger, sperrst vergeblich
      Die Erinn'rung in den Sarg du;
      Weinend kehrt sie mitternächtlich
      Heim zu dir, stört deine Ruh'!
      Sieh den Baum in Lenzensprangen,
      Wenn er Blüt' an Blüte hat, -
      Zwischen Blüten bleib vom Herbst ihm
      Wenn auch nur ein welkes Blatt!"
 
       
      
      
      In einem 
      anderen, aus dieser Zeit stammenden Gedichte vergleicht sie ihre Freuden 
      mit den Schmetterlingen auf dem Hämusgebirge und lässt uns ahnen, dass sie 
      von der Ermordung ihres "Gatten" wohl gewusst habe. Dies Gedicht lautet 
      also:
 
       
      
      Isan Yemese 
      blaçrida
      Mire voyipena;
      Andro m'ro ratvalo gadso
      Taisa yon tovena.
      
      Isan voyipena mange,
      Dures isan nani!
      Na voypeskro m'ro asaben,
      Isi yov brigakri.
      
      Isan Yemese blaçrida
      Mire voyipena;
      Andro m'ro ratvalo gadso
      Taisa yon tovena.
      
      Tai kirmora andre godyi
      Mange avriaven,
      Tai nikana andre jiben
      Mange avrijinen.
      
      
      
      Meines Herzens Freuden gleichen
      Hämus-Schmetterlingen;
      Flattern, schweben und ich kann sie
      Nie zur Ruhe bringen.
      
      Gleich dem Kinde hab' ich Freuden,
      Doch von kurzer Dauer!
      Nicht aus Freude lächle ich manchmal,
      Nein, aus Schmerz und Trauer.
      
      Meines Herzens Freuden gleichen
      Hämus-Schmetterlingen;
      Flatternd oft in meines Gatten
      Blut'ge Brust sie dringen.
      
      Kehren dann zurück als Raupen,
      Trag' sie dann im Herzen,
      Und mir kann wohl hier auf Erden
      Niemand sie ausmerzen.
 
       
      
      
      Auf ihren 
      oben erwähnten, ersten Zwist mit dem "Kipetaren", demzufolge sie ihn auf 
      drei Tage verliess, bezieht sich das folgende Gedicht, dem sie die 
      Überschrift: "Kana rushvales avlas" ("Als er zornig war") gegeben hat:
       
       
      
      Penehas tu: 
      "tut na kamav!"
      Oh hoske pendyal tu vorba!
      Tai hoske raciyo trades
      Tai cores mange e jives?
      
      Tai raciye man tu trades,
      Tu mange jives sik cores,
      Ko avilyas man' akana,
      Tai but na avel, nikana.
      
      Me divles tai sik the jiav,
      Na kathe hin e manusha, -
      Oh mange nani jevasel,
      M're vodyi andro cik tradel!
      
      
      
      "Ich mag dich nicht!" – o wehe mir!
      Warum sprachst du dies bange Wort!
      Warum stiesst du in ew'ge Nacht
      Mich jetzt von meinem Morgen fort?
      
      Als ich zum ersten Mal dich sah,
      Da glaubt' ich meinem Morgen nah,
      Ich hofft': es wird bald Mittag sein,
      Wenn du, o Liebster, ewig mein!
      
      Nun stürzst du mich in ew'ge Nacht,
      Hast mich um meinen Tag gebracht,
      Der noch als Morgen im Entstehn,
      Entschwand auf Nimmerwiedersehn.
      
      Nun zög' ich wohl in wilder Hast,
      Wohin kein Mensch noch je geriet, -
      Doch ohne Licht mein armes Herz
      Mich in den Kot stets niederzieht!
       
      
      
      
      
      Der "Kipetare" 
      trat in Adrianopel gar bald in den Dienst eines "Handelsvereines", deren 
      Mitglieder er als "Bedeckung" nach Serbien, Bosnien und an die ungarische 
      Grenze zu begleiten hatte. Gina war ihm auf diesen mühseligen und 
      gefahrvollen Fahrten stets eine treue Gefährtin, obwohl sie wohl wusste, 
      dass ihr Geliebter mit einigen albanesischen Räuberbanden in enger 
      Verbindung stehe, was sie auch im folgenden Gedichte erwähnt:
       
      
      
      
      Me na 
      pendyom tut' me isi,
      Sar o kam upro ceroros;
      Na kamav tut, na kamav tut,
      Janav, isi tu phabundos.
      
      Pen man': so isi e curi,
      Dikhlyal savo tu ratvales?
      Laces janes, t're kamaben
      Isi taisa savo cores!
      
      Na kamaben is' pal godyi,
      Ada na tut' pabol, dukhal;
      M'ro romeskro lole rata
      Jial bibaçtales tuhal!
      
      Kana rikkerel pal shero
      Miro gulo rom ratvales:
      Ashunav me, tai ashunav, -
      Jal t're godyi tut' ucales.
      
      Yekvar ulas tyimako,
      Akana mudarimako,
      Cigne ratvale curaha
      Me astardsi tai keradyo!
      
      
      
      Nimmer war ich ja dein eigen,
      Wie dem Himmelszelt die Sonne;
      Lieb' dich nicht, ich liebt' dich nimmer,
      Wenn ich ja auch deine Wonne.
      
      Sprich: sahst jemals du ein Messer,
      Hast ein blut'ges du gesehen?
      Wie denn sollst du es nicht kennen!
      Musst ja stets mit Räubern gehen!
      
      Nicht die Liebe quält dein Herze,
      Füllt es dir mit Schmerz und Leide;
      Meines Gatten Blut, das machte
      Uns so unglückselig Beide!
      
      Wenn ich an den Gatten denke,
      Ach! an ihn mit bitt'rem Schmerze:
      Wähn' ich, wie wenn schnell und schneller
      Pocht' und pocht' dein falsches Herze.
      
      Früher warst du ein Betrüger,
      Bist ein Mörder nun geworden,
      Und ich Sclavin durch ein Messer
      Solchen Leuten, die da morden!
       
       
      
      
      Noch in 
      sechs aus dieser Zeit stammenden Gedichten äussert sich das verbitterte 
      Gemüt der Dichterin in solch' scharfschneidigen Sarkasmen, die uns ahnen 
      lassen, dass der Bruder ihres armenischen Ziehvaters – ihr "Gatte" Gabriel 
      Dalenes – keines natürlichen Todes gestorben, sondern vielleicht gar mit 
      ihrem Wissen, vom Albanesen ermordet worden ist, der dann mit einem Teil 
      der Schätze des Armeniers in Ginas Begleitung in die albanischen Berge 
      floh. So viel ist gewiss, dass der "Kipetare", seit er Konstantinopel mit 
      der Dichterin verlassen, keine "reinen Hände" hatte. Gina selbst erzählte 
      uns, dass im Laufe der vier Jahre, die sie an der Seite des "Kipetaren" 
      zugebracht, dieser die teuere Waaren mit sich führenden Kaufleute, die er 
      eben als "Bedeckung" schützen und verteidigen sollte, albanischen 
      Räuberbanden verriet. Die Kaufleute wurden dann niedergemetzelt oder 
      gefesselt zurückgelassen und die geraubten Waaren hinauf auf die 
      Albanerberge in Sicherheit gebracht. Nach solchen Gelegenheiten überhäufte 
      der "Kipetare" seine Geliebte stets mit kostbaren Geschenken, und es 
      scheint, dass er die schöne Zigeunerin mit der ganzen Glut seines Herzens 
      geliebt hat. Aber die Liebe war nicht im Stande seiner Raublust Zügel 
      anzulegen. Gina gefiel zwar, als Zigeunerin und obendrein excentrischem 
      Weibe, dies abenteuerliche Leben; aber die fortwährenden Gefahren und 
      häufigen Kämpfe sagten ihrer zigeunerischen Natur nicht zu, und sie bat 
      daher häufig genug ihren Geliebten, er möge mit ihr nach Konstantinopel 
      zurückkehren. Diesen ihren Wunsch wollte aber der "Kipetare" nicht 
      erfüllen; aus welchem Grunde nicht, mag er, und wohl auch Gina, recht gut 
      gewusst haben. Später forderte Gina eigensinnig die Rückkehr nach 
      Konstantinopel und nach zweijährigem Beisammensein wollte sie einmal den "Kipetaren" 
      heimlich und für immer verlassen; aber seine Verwandten entdeckten ihm 
      Ginas Absicht, worüber erzürnt er mit dem Handschar die linke Unterwange 
      der Geliebten schwer verwundete. Die Narbe dieser Wunde trug Gina ihr 
      Leben lang an sich. Der "Kipetare" konnte nach diesem Vorfall seine 
      Geliebte nur dadurch versöhnen, dass er sich auf den Weg nach Serbien 
      aufmachte, um ihre Verwandten abzuholen. Gina verkaufte er auf drei Monate 
      einem Ungarn in Adrianopel, namens Andreas Kovacs, der sich nach der 
      ungarischen Revolution in dieser Stadt niedergelassen hatte. Was für eine 
      Rolle dieser Mann in Adrianopel gespielt hat, darüber konnte oder wollte 
      uns Gina keine Aufklärung geben.
      Im Hause dieses Ungarn knüpfte die Dichterin ein neues Liebesverhältniss 
      an. Wer dieser Liebhaber gewesen ist, konnten wir nicht erfahren. So viel 
      teilte sie uns mit, dass es ein "serbischer" Landsmann" war, den sie in 
      ihren aus dieser Zeit stammenden Liedern, "weissen Mann" nennt. Diese 
      Lieder werfen ein besonderes Licht auf ihr Verhältniss zum "Kipetaren" und 
      auch auf ihren wankelmütigen Charakter. In einem an den "weissen Mann" 
      gerichteten Gedichte nennt sie sich geradezu Sclavin des "Kipetaren":
       
       
      
      Siges nashel, 
      siges jipen,
      Ta jivesa nani kusen;
      Nashen, nashen sar o pana,
      Adyes nashel ta tehara!
      
      Dikh tu rukreskro ucalyin
      Tai luludyi den tut' praitin;
      Amen pirana the jamas, -
      Ka jidas, amen kamas!
      
      Siges Kipetaro avel,
      Nilaye yov avriavel,
      Tai bituhal isom cori,
      Leske isom panderoyi!
      
      
      
      Flüchtig rauscht dahin das Leben,
      Nichts wert ist's, kann's uns nichts geben;
      Weiter eilt in Lust und Sorgen
      So das Heute, wie das Morgen!
      
      Kühler Schatten unter'm Baume,
      Blumenduft in stillem Raume;
      Liebster, unter Lenzestrieben
      Lass uns eilig leben, lieben!
      
      Mein Kipetar kommt gar balde,
      Wenn noch sommergrün die Halde, -
      Dann verlassen sink' ich nieder,
      Bin dann seine Sclavin wieder!
       
       
      
      
      Und in einem 
      anderen Gedichte sagt sie es rund heraus, dass sie den Reichtum, nicht 
      aber die Person des Kipetaren geliebt habe:
       
       
      
      Siges avel 
      Kipetaro,
      M're yak les na dikhes!
      Ta me kathe les lulervav
      Naycoreder, blindes!
      
      Nikana me les kamilyom, -
      Na isas m're baçta;
      Uripena. poskre lova
      Isan m're bibaçta.
      
      Avri romni tut cumindel,
      Na des man lacipen,
      Parno, kamilo romeya,
      Godyako lecipen!
      
      Avel mango duro ciro
      Naybibaçtaleder, -
      Yeke divle macka cuclyom
      Dures, naydureder!
      
      
      
      Bald erscheint mein Kipetare,
      Gleich, als würd' ich ihn schon sehen!
      Dennoch kann ich, feig und elend,
      Von hier nimmer weiter gehen!
      
      Nie konnt' ihn mein Herze lieben, -
      Nicht die Liebe, die Schmucksachen,
      Und sein Geld, sein grosser Reichtum
      Mussten mich unglücklich machen.
      
      Andre werden bald dich küssen,
      Trösten wird dein Wort mich nimmer,
      Weisser Mann, du teurer, süsser,
      Meiner Liebe letzter Schimmer!
      
      Trüber Zukunft Bilder geben
      Bald mir Armen das Geleite,
      Wenn ich gleich der wilden Katze
      Schleiche in der fernen Weite!
       
       
      
      
      Bevor noch 
      der "Kipetare" mit den zigeunerischen Verwandten zurückkehrte, verliess 
      die unglückliche Dichterin der "weisse Mann", dem sie dann nur noch zwei 
      Gedichte widmet; in dem einen schreibt sie:
       
       
      
      Dromengro 
      ciriklo avel,
      Kai selene isi besha;
      Me kamavibneskro baçt
      Kathe adala me dikhav?
      
      Loke panori tovel
      Sik upre selene mala,
      Na darel yoy nilaye
      Nayshilaleder yevenda.
      
      Tai manushongro vodyi
      Andre dara te kamaben,
      Na merel andre vreme,
      Ada yon nikana jianem?
      
      Kamabensa nikana
      Th'aves cores tu manushoes,
      Feder Sultaneske ker
      Upres praha tu sik keres!
      
      
      
      Wandervöglein kehrt zurück,
      Wenn schon grün die Auen;
      Ob der Liebe Wonneglück
      Ich werd' wieder schauen?
      
      Munt'res Sommerbächlein fliesst
      Durch die grünen Auen,
      Fürchtet sich zur Sommerzeit
      Nicht vor Wintergrauen.
      
      Aber ach, das Menschenherz,
      Voller Lieb' und Zagen,
      Ob's nicht schon im Lenzesschmuck
      Bricht, wer könnt' es sagen?
      
      Einem Manne sollst du nie
      Deine Lieb' vertrauen,
      Eher sollst des Sultans Haus
      Hin auf Sand du bauen!
       
       
      
      
      In einem 
      anderen Gedichte dieser Zeitperiode, das ebenfalls den Titel: "Dem 
      Treulosen" (Bicaceske) hat, heisst es:
       
       
      
      O hoske upre 
      ada phuv
      Savenge hin agora!
      Tai kothe-kathe me dikhav
      Pal naybareder voya:
      Me dikhav, kai o luludyi
      Pal cicale phuv perel,
      Tai ruk ceresrobareha -
      Yov sik tai siges merel.
      
      Oh nayshukar'der luludya
      Isas mire vodyake!
      Tai akana? me na janav!
      Ko pçuro penel mange:
      Kai save, save luludya,
      Ke isas andre vodyi,
      Isi upro pro pçuro kast
      Inke save luludyi!
      
      
      
      Warum nimmt hier auf dieser Welt
      Ach, Alles rasch ein Ende!
      Wohin ich auch den trüben Blick
      Erwartungsvoll hinwende:
      Seh' ich, wie selbst die schönste Frucht
      Muss fallen von dem Baume,
      Den bald zerschellt ein Blitzesstrahl
      In süssem Frühlingstraume.
      
      Wie schöne Liebesblüten trug
      Mein Herz in frühen Tagen!
      Wo sind sie hin? ich weiss es nicht!
      Gealtert, wer kann's sagen:
      Dass von dem Flor, den einstens hat
      Getrieben seine Seele,
      Kein einz'ger schwanke Blütenzweig
      Am knorr'gen Stamme fehle?
       
       
      
      
      Diesen "weissen 
      Mann", dessen Namen sie uns nie verriet, mag Gina mit der ganzen Glut 
      ihres Herzens geliebt haben. "Ich hoffte durch ihn," sagte sie uns 
      deutsch, "mir wieder auf den grünen Zweig hinauf zu helfen, von welchem 
      mich die Stürme des Lebens so schnell herabgeschüttelt hatten. Und nun war 
      auch diese Hoffnung hin! Tagelang starrte ich gedanken- und gefühllos in 
      die Nacht meines ungeheueren Elends; ich sah alle meine Wünsche und 
      Hoffnungen zerschmettert liegen, wie ein Saatfeld, das der Hagel 
      vernichtet hat. Was blieb mir übrig? Ich musste mich mit dem Gedanken 
      befreunden, bald wieder ganz und allein dem Kipetaren anzugehören!" So 
      sprach die Zigeunerin!
      Und wie es scheint, hat sie sich gar bald mit diesem Gedanken befreundet, 
      denn in einem Gedichte "An ihn", den sie in ihren vorhergehenden 
      Dichtungen stets voll Abscheu und Verachtung erwähnt, verleiht sie ihrer 
      tiefen Sehnsucht nach dem Kipetaren in schönen Worten innigen Ausdruck:
       
       
      
      Kathe beshav 
      me cori,
      Upro duro drom;
      Th'oval kiya tut kamav
      Miro gulo rom!
      
      Kana prekale çaisin
      Tuhal avilyi,
      Kames Kipetarya man,
      Kames luludyi?
      
      Ko janel, pro savo drom
      Lurdes jas tu say,
      Ta kamilyi beshel
      Pal dure koybay.
      
      Andro suno tut dikhav:
      Lurdes tu kures,
      Ta avreskro andro vast
      Çaro ratvales!
      
      
      
      Einsam sitz' ich hier, allein,
      In der weiten Ferne;
      Liebster, bei dir möcht' ich sein,
      Ach, bei dir so gerne!
      
      Wenn ich durch die Wüsten zieh'
      Und zu dir gelange,
      Küsst du dann. o Kipetar,
      Deines Blümchens Wange?
      
      In der Ferne, Gott weiss wo,
      Magst du jetzt wohl wandern,
      Während die Gefährtin dein
      Dient jetzt einem Andern.
      
      Nachts im Traume seh' ich dich
      Blutend niedersinken,
      Weh! in fremder Hand dein Schwert
      Seh' gezückt ich blinken!
       
       
      
      
      Mit einigen 
      kleinen, vierzeiligen Gedichten, in denen sie die Liebe nicht gerade in 
      gewählten, schmeichelhaften Ausdrücken besingt, unter anderem die 
      Verliebten Narren nennt, "die in jedem Schweinekot das Bild der geliebten 
      Person erblicken" und nach Befriedigung tierischer Gelüste in der Tat nur 
      "Schweinekot vorfinden", schliesst das erste Heft der Handschrift. Nun 
      schrieb sie lange Zeit keine Gedichte, denn gar trübe Tage hatte sie zu 
      erleben. Misshelligkeiten sonderbarer Art veranlassten den Ungarn, welchem 
      der "Kipetare" seine Geliebte "verkauft" hatte, nach Ablauf der erwähnten 
      drei Monate, sie aus seinem Hause zu treiben. Grund dazu gab, wie Gina uns 
      erzählte, ein "Herr" – der, wie ich ahne, eben der "weisse Mann" gewesen 
      ist, welcher tagtäglich das Haus des Ungarn besuchte und bei einer 
      Gelegenheit Ginas Kleider und Geld gestohlen hatte. Auf unsere Frage: 
      woher sie Geld gehabt habe, antwortete sie einfach: "Vom Kipetaren!" Und 
      als sie Dr. Jakobicic fragte, warum habe sie also der "Kipetare" dem 
      Ungarn verkauft, wenn sie ja Geld besessen habe, antwortete sie lächelnd: 
      "Das war damals bei den Albanesen so Brauch. Wenn sie weit und auf lange 
      Zeit verreisten, gaben sie für Geld ihr Weib einem anderen hin und reisten 
      mit einem Knaben fort!" Nun verstanden wir auch ihre Gedichte, in denen 
      sie die bei den Albanesen übliche "Knabenliebe" geisselt. Ein an den "Kipetaren" 
      gerichtetes Gedicht beginnt also:
       
       
      
      Terneçares 
      kames tu,
      Ta na kames raklya tu!
      
      Knaben liebst du,
      Und nicht liebst du die Maid du!
 
       
      
      
      Und grade 
      diese Knabenliebe, der auch der "Kipetare" huldigte, mag die Dichterin in 
      ihrem Liebesverhätniss am meisten gekränkt haben. So manche Stelle in 
      ihren Gedichten ist gegen diese Unsitte und Unzucht gerichtet, die sie 
      bewog sogar ein 150 Zeilen langes Gedicht darüber zu schreiben, das also 
      beginnt:
       
       
      
      Balo avlas 
      tiro dad,
      Bar'der baleci dayori;
      Naybaderer baleci
      Me hum, tire romnori!
      
      
      Schwein war dein Vater,
      Grösseres Schwein deine Mutter,
      Das grösste Schwein
      Ich bin, deine Gattin!
       
       
      
      
      Dies 
      Gedicht, an den "Kipetaren" gerichtet, steht nicht nur in der 
      zigeunerischen Porkologie, sondern selbst in der gesamten Weltliteratur 
      ohne Gleichen da. Was nur Schändliches, Obscönes ein Weib dem Manne 
      nachsagen kann, das Alles findet sich in diesem Poem vor. -
      
      Kinder hatte die Dichterin nie, und was bei den Zigeunerinnen ein seltener 
      Fall ist, sie liebte auch die Kinder nicht. So lange sie bei ihrem 
      armenischen Ziehvater weilte, war sie noch immer ein ehrenvolles, 
      tugendhaftes Weib; aber als sie mit ihrem "Gatten", dem Bruder ihres 
      Ziehvaters, die Verbindung einging, begann sie immer mehr zu sinken, wozu 
      ihr eben der "Kipetare" verhalf.
      In zerfetzten Kleidern, mittellos, elend und verlassen, kam Gina aus dem 
      Hause des "Ungarn" heraus. Wochenlang irrte sie von Hunger und Durst 
      geplagt in Adrianopels Strassen herum, bis sie endlich, des vergeblichen 
      Wartens müde, sich auf den Weg machte, um ihren "Kipetaren" – sei es wo 
      immer, aufzusuchen. Zu ihrem Glücke begegnete sie ihm schon einige Stunden 
      von der Stadt entfernt. Das Wiedersehen mag nicht gerade sehr herzlich 
      gewesen sein. Der "Kipetare" hatte seine "lieben zigeunerischen 
      Verwandten", die er aus Serbien mitgebracht, bereits satt bekommen, und 
      machte Gina darüber Vorwürfe. Desto herzlicher war Gina's und ihrer 
      Verwandten Wiedersehen, die sogleich ihre Zelte aufschlugen und auf den 
      Beutel des "Kipetaren" hin grosse Gastereien veranstalteten. Gina bemerkte 
      des "Kipetaren" Unwillen und gab sich, wie es scheint, alle Mühe, ihren 
      Geliebten dazu zu bewegen, dass sie mit den Verwandten zusammen hinauf in 
      das albanische Bergland ziehen sollten. Aber der "Kipetare" wollte – wie 
      Gina uns mitteilte – auf keinen Fall in diesen Plan einwilligen, ja er 
      drohte sogar seiner Geliebten, dass, im Falle sie ihre Verwandten nicht 
      zurück nach Serbien schicke, er sie verlasse und nach Russland auswandere. 
      Nach wochenlangen Zwistigkeiten bewog endlich Gina den "Kipetaren" doch so 
      weit, dass er in einen Abzug nach Albanien einwilligte, woher dann die 
      zigeunerischen Verwandten in ihre Heimat, nach Serbien zurückkehren 
      sollten; der "Kipetare" hingegen setzte es bei Gina durch, dass er voraus 
      nach Albanien reiste, um "die Geschenke für die Verwandten 
      herbeizuschaffen". Auch die Zeit, welche er im Kreise seiner 
      zigeunerischen Verwandten unter den Zelten vor der Stadt Adrianopel 
      zubrachte, vergeudete er nicht untätig, denn Gina schmückte er wieder – 
      wie es in einem ihrer Gedichte heisst, "mit Ringen, Prachtgewändern, Gold 
      und Edelsteinen", worauf er sich dann in Begleitung von dreissig Albanesen 
      auf den Weg in seine Heimat machte. Auf diese stürmische Zeit, voll 
      Lustbarkeit, aber auch voll Zwist und Hader, bezieht sich das Gedicht:
       
       
      
      Upro pro 
      phuv acadyom tuha
      Manglyom lacipena,
      So me kerdyom t're godyake
      Bute bunipena!
      
      Nastyi janes, som dukhedyi
      Tuha, oh guleya!
      Pacolyom taisa t're luludyi
      Inke tu mukela!
      
      Upro cero pal jivesa
      Kere uren conglya,
      Ta kityivar me cingardyom,
      Th'isas mange pora.
      
      Th'urav kiya Kipetaro,
      Upro leskre muysa,
      Akana me th'urav laces
      Prekal bare thema!
      
      Kathe isan tu cash mange
      Ta mire romensa;
      Pen guleya, sik tu mange,
      Briga jal tumensa?
      
      
      
      Hier im Staube liegend, darf ich
      Auf Verzeihung hoffen,
      Für das grosse Leid, die Qualen,
      Die dein Herz betroffen!
      
      Nicht weisst du, was ich gelitten,
      Leiden unermessen!
      Denn ich glaubte, dass dein Röslein
      Du schon längst vergessen!
      
      Wenn am Himmel hoch die Störche
      Abends heimwärts zogen,
      Wär' ich gern auf raschen Schwingen
      Hin zu dir geflogen.
      
      Wünscht' mit dir, mein Kipetare,
      Lustig stets zu wandern,
      Arm in Arm von einem Orte
      Ziehen zu dem andern!
      
      Doch jetzt bist du endlich bei mir
      Mit den Anverwandten;
      O, doch sprich: welch' Schmerzen schlagen
      Jetzt dein Herz in Banden?
       
       
      
      
      Gina zog – 
      wie sie sich erinnern konnte, ungefähr zwei Monate lang mit ihren 
      zigeunerischen Verwandten auf der Balkanhalbinsel von Ort zu Ort, bis es 
      ihr endlich gelang ihren Liebsten "am Meeresufer" anzutreffen. Der "Kipetare" 
      und zwei seiner Freunde begleiteten mit Gina zusammen die Zigeunerbande 
      bis an die serbische Grenze. Die noch lebenden Zigeuner, die an dieser 
      Fahrt Teil genommen haben, können auch noch heutigen Tages nicht genug 
      loben die Geschenke, welche sie vom "Kipetaren" bei dieser Gelegenheit 
      erhalten hatten. "Ich habe", sagte uns Gina's Vetter, Milivoj Ranjicic, 
      "des Königs Milan Rosse gesehen, aber unsere waren viel schöner, die wir 
      damals von Gina zum Geschenk erhielten. Wir hatten damals so viel Geld, 
      dass wir uns 600 Schweine kaufen konnten und doch noch lange Zeit ohne 
      Sorgen lustig lebten". Schon hieraus ist ersichtlich, dass Gina's Kipetare 
      ein einfacher Wegelagerer gewesen ist, wie solche in den damaligen Zeiten 
      die meisten Albanesen gewesen.
      
      Gina wurde auf dem Wege von ihren Verwandten gegen den "Kipetaren" 
      aufgehetzt, wohl in der Hoffnung, dass, wenn die Dichterin sich 
      entschlösse, mit ihnen nach Serbien zu kommen und bei ihnen zu bleiben, 
      auch der "Kipetare" bei ihnen weilen würde und die schönen Zeiten würden 
      dann noch fortdauern. In der Abschiedsstunde, wo sich Gina von ihren 
      Verwandten trennen sollte, kam es zwischen ihr und dem "Kipetaren" zu 
      offenem Bruch. Die Zigeuner, dreissig an der Zahl, von denen heute nur 
      noch neun leben, bestürmten ihn, er solle ihnen noch 100 Thaler geben, 
      sonst würden sie Gina mit sich nehmen. Der "Kipetare", der fortwährenden 
      Bettelei überdrüssig, schlug ihnen das Begehren rundweg ab, und Gina, die 
      das zigeunerische Wanderleben abermals gekostet und Gefallen daran 
      gefunden hatte, kehrte ihm voll Trotz und Hohn den Rücken und zog mit 
      ihren Zigeunern in ihre Heimat, nach Serbien, das sie seit mehr als zehn 
      Jahren nicht gesehen hatte. Zu dieser Zeit mag sie etwa dreiundzwanzig 
      Jahre alt gewesen sein, und hatte, wie sie sich uns gegenüber ausdrückte, 
      mehr gelebt, als manches Weib ein langes Leben hindurch. Wie uns ihr oben 
      erwähnter Vetter mitteilte, "war sie damals so schön, dass selbst die 
      grössten Herren sich gerne in ein Gespräch mit ihr einliessen". Dies aber 
      gefiel dem damaligen Wojvoden des Stammes nicht, denn, wie Gina uns 
      erklärte, er fürchtete sich, dass sie bei Gelegenheit heimlich ihren 
      Zigeunerstamm verlasse. In dieser Zeit begegnete sie "einem grossen Herrn 
      aus Wien, der viele Bücher hatte und von dem sie für ihre albanesischen 
      Gedichte viel Geld bekam". Wer dieser Herr gewesen, das konnte sie uns 
      nicht sagen, sie wusste nur so viel über ihn, dass er ein hoher Beamter 
      irgendwo in der Türkei gewesen ist, "der die Albanesen gar lieb hatte".
      
      Wenn nun bislang ihr Leben abenteuerlich gewesen, so ward es von nun eine 
      ununterbrochene Kette von Abenteuern. Von dem Augenblicke an, wo sie den "Kipetaren" 
      verliess, glich ihr ganzes Leben einer Flamme, die bald lichterloh 
      aufstrahlte, bald zu erlöschen drohte, und so lange hin- und herflackerte, 
      bis sie inmitten der grössten Not in sich selbst zusammenbrach. Durch ihre 
      Trennung vom "Kipetaren" war der Würfel für ihr ferneres Leben gefallen. 
      Es scheint, als hätte sie dies schon damals geahnt. Ein schweres Leben lag 
      hinter ihr. Nach einer freudlosen Kindheit, nach toll durchstürmtem 
      Jugendlenz war sie wieder in den Kreis zurückgekehrt, in dem sie geboren 
      ward, aus welchem sie hinaus ins Leben so zeitig gefahren. Was sie an 
      Schmerz und Bitterkeit darob empfunden, hat sie damals merkwürdigerweise 
      in Gedichten nicht ausgehaucht. Eine stille Dulderin hat sie damals ihr 
      hartes Loos schweigend ertragen; aber der Schmerz hatte sie noch lange 
      nicht geläutert. Auf unsere Frage, warum sie in dieser Zeit keine Gedichte 
      geschrieben habe, versetzte sie lächelnd: "Unter Schweinen konnte ich 
      nichts schreiben, und ich dachte auch an nichts anderes, als an das 
      Albanerland!" Es scheint, dass sie während ihres Aufenthaltes unter ihren 
      Verwandten unendlich litt; unsagbar zehrte und regte sie auch die 
      Sehnsucht nach dem "Kipetaren" und der – Freiheit, um so mehr, weil ihre 
      Verwandten sie gleichsam gefangen hielten und sie obendrein noch von 
      Krankheit geplagt wurde. Denn ihre Zigeuner waren des Glaubens, dass der "Kipetare" 
      früher oder später zu ihnen zurückkehre und bald wieder reiche Geschenke 
      bringe. Sie lebten also lustig, auf recht zigeunerische Art, in den Tag 
      hinein und hielten die Dichterin gefangen, damit sie ihnen nicht entweiche 
      und der zurückkehrende "Kipetare" seine Geliebte etwa nicht in ihrem 
      Kreise vorfinde. Aber ihre Hoffnung war eitel. Gina selbst war anfangs 
      voll der süssen Hoffnung, dass ihr Geliebter von Sehnsucht getrieben, gar 
      bald in ihre Arme zurückkehre. Ein Tag verging nach dem anderen, eine 
      Woche verrauschte nach der anderen und ein Jahr war schon ausgeklungen, 
      ohne dass Gina auch nur ein Lebenszeichen von "Kipetaren" erhalten hätte. 
      Die Zigeuner liessen die Dichterin in der ersten Zeit ihres Aufenthaltes 
      unter ihren Verwandten das Peinvolle ihrer Lage noch nicht so sehr fühlen; 
      als aber das Geld abnahm, die 600 Schweine verkauft wurden und später auch 
      die vom "Kipetaren" erhaltenen kostbaren Geschenke spottbillig 
      verschleudert waren, begann Gina's Lage ganz und gar unerträglich zu 
      werden, denn die Zigeuner traten nicht einmal, sondern unzähligemal ganz 
      offen und unverschämt mit ihren vermeintlichen Forderungen gegen sie auf. 
      Ihre Brüder beraubten sie ihrer teuren Kleider, ihrer Schmucksachen, ihres 
      Geldes. Und wie Monate vorher in Adrianopel, so befand sie sich jetzt 
      wieder zerlumpt und verlassen, krank und gebrochen im Kreise ihrer 
      Blutsverwandten. Die eigene Mutter scheint an die reizende Schönheit ihrer 
      Tochter grosse Hoffnungen geknüpft zu haben, denn zuletzt klagte sie 
      selbst bei den Stammgenossen Gina an, dass diese wohl wisse, wo der "Kipetare" 
      sich aufhalte, aber sie wolle es den Genossen nicht mitteilen, damit diese 
      von ihm keine Geschenke erpressen sollten. Darauf hin brach nun der offene 
      Aufstand aus und es kam zu blutiger Schlägerei. Gina's Partei ergriff ihre 
      beiden Vettern und deren engere Familien. Die erbosten Verwandten wurden 
      endlich dadurch beschwichtigt, dass ein Vetter Gina's, Peter Ranjicic, der 
      – wie es heisst – in die schöne Zigeunerin verliebt war, sich erbot, den 
      Aufenthalt des "Kipetaren" auszuforschen und ihn zur Rückkehr zu Gina zu 
      bewegen oder für sie eine Abfertigung in Geld zu erzwingen. Die Zigeuner 
      gaben sich hiermit vorläufig zufrieden und Peter Ranjicic machte sich also 
      auf den Weg nach Albanien, woher er nimmer wieder zurückkehrte. Was mit 
      ihm geschehen, hat Niemand erfahren. Wahrscheinlich hat ihm die Klinge des 
      Albanesen den Garaus gemacht.
      
      Gina ergab sich scheinbar in ihr Loos, obwohl sie das Misslingen der 
      Ausfahrt ihres Vetters vorauszuahnen schien. Sie heuchelte Hoffnung auf 
      die Rückkehr des "Kipetaren" und täuschte ihre Stammgenossen dadurch so 
      sehr, dass diese sie nun oft allein und ohne Bewachung bei den Zelten 
      zurückliessen, während sie in den Dörfern ihren Geschäften oblagen. Der 
      erwähnte Vetter Milivoj Ranjicic, der sich über das lange Ausbleiben 
      seines jüngeren Bruders Peter bekümmerte, war zu dieser Zeit Gina's bester 
      Freund, und verhalf ihr vier Wochen nach der Abreise Peters zur Flucht, 
      damit sie seinen Bruder aufsuche und wenn er etwa in Gefangenschaft 
      geraten, auslöse. Gina zog schleunigst nach Albanien hin.
      Gina's Flucht aus Serbien war vom Glück begünstigt, denn ihre nacheilenden 
      Gefährten konnten sie nicht einholen. Wie nach schwerem Traum atmete sie 
      erleichtert auf und nahm in einem Gedichte, das sie auf ihrer Flucht 
      geschrieben, für immer Abschied von ihrem Heimatlande:
       
       
      
      Upro muklo 
      thema
      Gelyom korkores;
      Kale coka urde
      Pal mange cores.
      
      Ferinel them devla,
      Tut armendavas,
      Kate na baçtales, -
      Cores is'nomas.
      
      Jungale cokengre
      Naykal'der stava,
      Mire, mire roma
      Kathar tradena!
      
      Kai m're kale roma
      Pro m'ro handako
      Nikana penena
      Lace prisero!
      
      
      
      In ödem, wüstem Lande
      Voll Leid ging ich allein;
      Der Raben schwarze Schaaren,
      Die waren meine Pein.
      
      Gott mag dich nun behüten,
      Verfluchtes, ödes Land,
      Wo Freude, ach! gar wenig,
      Doch Leid genug ich fand.
      
      Der Raben schwarze Schaaren
      Aus diesem Heimatort,
      Mein eignes Volk, das hat mich
      Getrieben von hier fort!
      
      Zigeunervolk, wohl niemals
      Kommst du zu meinem Grab,
      Es segnend, wo gefunden
      Die letzte Ruh' ich hab'!
       
       
      
      
      Auch in 
      ihren späteren Gedichten nennt sie gar oft ihre Verwandten und das 
      Zigeunervolk überhaupt "schwarze Raben", "krächzende Dohlen". Es scheint, 
      dass sich die Liebe zum "Kipetaren" jetzt stärker, denn je, ihrer 
      bemächtigt habe. Wenigstens lässt sich hierauf aus den folgenden zwanzig 
      Gedichten dieser Zeit schliessen, in denen sie mit verzehrender Sehnsucht 
      des Albanesen gedenkt. Beim Wiedersehen des Albanesen schwelgte sie in der 
      süssen Hoffnung, dass sie hier zwischen den "weissen Bergen" ihren "Kipetaren" 
      bald wiederfinde und ihr unglückseliges Liebesleben von Neuem beginne. In 
      einem Gedichte begrüsst sie also das Land der Albanesen:
       
       
      
      Upro parne 
      bara
      Mange isi laces,
      Alfanakri thema
      Mirp yak tu dikhes.
      
      Upro them me jiav,
      Kai m'ro Kipetaro!
      Siges me ashunav
      Shukares dumadlo!
      
      Hetyarav me ayga
      Gule kamabneskro;
      Hetyarav, m're vodyi
      Isi tu tradeskro.
      
      
      
      Hier zwischen weissen Felsen
      Ist mir so wohl zu Mut,
      Wenn auf Albaniens Landen
      Mein Blick sehnsüchtig ruht.
      
      Nun bin ich in dem Lande,
      Wo auch mein Kipetar,
      Bald hör' ich seine Stimme
      Die immer süss mir war!
      
      Ich fühl' die Flamme wieder,
      Die Flamme meiner Lieb',
      Die hin zu dir, o Liebster,
      Mich aus der Ferne trieb.
      
      In diesem schönen Lande,
      Das dich erzogen hat,
      Bin ich dir wieder eigen,
      Wie eine Blüt' dem Blatt!
       
       
      
      
      Lange Zeit 
      schweifte sie in Albanien herum, ohne dass sie auch nur das geringste 
      Lebenszeichen vom "Kipetaren" erhalten hätte; ja "die Menschen gingen ihr, 
      wie einer räudigen Hündin, einer diebischen Zigeunerin, aus dem Wege" – 
      wie sie sich in einem Gedichte aus dieser Zeit ausdrückt, das sie "An die 
      Albanesen" betitelte. In diesem 46 Zeilen langen Gedichte schleudert sie 
      in ihrer Verzweiflung den Albanesen die denkbar grössten Gemeinheiten ins 
      Gesicht, woraus man eben schliessen kann, dass die Albanesen, besonders 
      die Weiber, die schöne Zigeunerin nicht besonders freundlich empfangen 
      haben mögen, sie, die die Geliebte "des schönsten Albanesen gewesen". 
      Endlich erhielt sie die niederschmetternde Nachricht, dass ihr "Kipetare", 
      vom türkischen Militär (wahrscheinlich wegen Wegelagerei) verfolgt, mit 
      einer jungen Albanierin nach Italien zu seinen Anverwandten und 
      Volksgenossen geflohen sei. Auf diese Nachricht hin benahm sie sich wie 
      wahnsinnig, verfluchte die Albanesen und griff in ihrer Raserei die Leute 
      auf offener Strasse an. Die Albanesen verstanden aber keine Spass und 
      prügelten die arme Dichterin gewaltig durch. In einer Rauferei, die sie 
      angezettelt hatte, wurde ihr auch der Daumenfinger der linken Hand mit 
      einem Schwerthieb abgeschnitten. Sie selbst gestand uns, dass sie damals 
      ganz und gar von Sinnen war. Erschöpft, verwundet und krank machte sie 
      sich auf den Weg an das Meer, um irgendwie nach Italien zu gelangen. Auf 
      dieser mühseligen Wanderfahrt schrieb sie das Gedicht, dem sie den Titel: 
      "Als ich weinend nach Italien zog" (Rovilyi jiav andro Talyanithem) gab:
       
       
      
      Sunav caces 
      bibaçtales,
      Tai o jives bisterav;
      Andro thema streyimases
      Penen tai me ashunav.
      
      Ke mucaren: isi suna, -
      Taisa dukhal man bares;
      Upro lime niko manush
      Ada man penel caces!
      
      Isom dare beseçasli?
      Keha averi kamel,
      Mange isi barvalori,
      Ke man cignes sovlyarel?
      
      Tai yon penen, the rinsipen
      Taisa baçtarel, taisa;
      Mange save den rinsipen,
      Tai nikana kamena!
      
      
      
      Elend und verlassen träum' ich,
      Und vergess' die trüben Tage;
      In der Fremde irr' ich einsam,
      Höre nur die fremde Klage.
      
      Was mich selber quält und plaget,
      Das gleicht einem halben Traume;
      Niemand könnt' es mir bestimmen,
      Niemand in dem Weltenraume!
      
      Ich allein begehe Sünden?
      Worin And're Freude finden,
      Sollte das bei mir nur Traum sein,
      Wie ein Windhauch sollt' es schwinden?
      
      Liebeslächeln, so erzählt man,
      Stets versüsst des Menschen Leben;
      Viele haben mir gelächelt, -
      Liebe wollt' mir Keiner geben!
       
       
      
      
      Ihre 
      unruhige Natur, ihr Hin- und Herhaschen, die nie gestillte Sehnsucht nach 
      einem unbekannten Etwas, nach einem Unerreichbaren, charakterisiert sie 
      selbst einfach, aber gar treffend in dem Gedichte, das sie gleich nach 
      ihrer Ankunft in Italien verfasste:
       
       
      
      Bibaçtales, 
      streyimasos
      Taisa isom, taisa;
      Nani devla mange dinas
      Gule pocipena.
      
      Duripena me rodavas,
      Taisa jiav cores;
      Nani ada me th'arakav,
      Isom bibaçtales.
      
      Kana isom upro bare,
      Dala malya kamav;
      Kana pashlyovav pro malya, -
      The sovav pro mara!
      
      Kay the jias, kay na jias!
      Me na janav: hoske?
      Me na janav, devleya, man!
      Ko janel man d'loske?
      
      Kana dures isan mandar,
      Mange tut lulervav;
      Kiya mange the tu penes,
      Tut me pergerevav!
      
      
      
      Elend, unglückselig war ich
      Stets in meinem Leben;
      Eine Ruhstatt, eine süsse,
      Wollt' mir Gott nie geben.
      
      Sehnt' mich immer in die Ferne,
      In die endlos Weiten;
      Was ich suchte, fand ich nimmer,
      Deshalb muss ich leiden.
      
      Bin ich oben auf dem Berge,
      Möcht' ich sein im Tale;
      Lieg' ich auf dem Rasen: möcht' ich
      Sein im Flutenschwalle!
      
      Wenn ich selbst ein Sternlein wäre
      In der Nächte Dunkel,
      Sehnt' ich mich dann immer, immer
      Nach dem Mondgefunkel.
      
      Wär' ich auch die schönste Rose
      Auf des Hämus Grate,
      Aergert' ich mich, weil des Goldes
      Dieser Berg entrate.
      
      Wegen deiner Ankunft Freude
      Mich und Schrecken quälen, -
      Ach, voll Sehnsucht muss ich immer
      Die Minuten zählen.
      
      Kämst du bald, o kämst du nimmer!
      Was mit mir geschehen?
      Ich versteh' mich selber nimmer!
      Wer wird mich verstehen?
      
      Bist du ferne, möcht' ich deiner
      Ankunft mich gar freuen;
      Sitzt du neben mir, so muss ich
      Dich stets verabscheuen!
       
       
      
      
      Auf welche 
      Weise Gina nach Italien gelangt war, wo überall sie den "Kipetaren" 
      gesucht haben mag, das wollte sie uns nicht mitteilen, oder war es ihrer 
      Erinnerung bereits entschwunden. So viel ist gewiss, dass sie von Syrakus 
      bis nach Neapel Italien durchpilgert hatte, ohne den "Kipetaren" gefunden 
      zu haben. Von Neapel kehrte sie nach Sicilien zurück, in der Hoffnung, 
      dass sie ihren Geliebten auf dieser Insel antreffen werde. Auf dieser 
      Wanderfahrt machte die schöne Zigeunerin die Bekanntschaft eines reichen 
      Juden aus Rumänien, namens Jakob Hornstein, und mit dieser Bekanntschaft 
      lösten sich für immer die Banden, die Gina an den "Kipetaren" fesselten. 
      Nur noch in zwei Gedichten erwähnt sie dies unglückselige Verhältniss, das 
      sie in so viele Leiden gestürzt, ihr so viele unverschuldete und aber auch 
      selbst verschuldete Schmerzen bereitet hatte.
      Das eine lautet:
       
       
      
      Soyes andro 
      suno gelyom
      Upro droma prepinsarde,
      Tai pale selene mala
      Avelas pirano mange.
      
      Cumidavas Kipetares,
      Dikhyam amen pal duripen,
      Andro bara, naybareda,
      Upro somnakune cerhen.
      
      Me patyavas: kiya mange
      Yeka duma sik the penel:
      "Pare moçlya, cigne cerha,
      Save th'avel, so yov beshel.
      
      Suro bar hisba kamel
      Somnakune cerhen, cigne,
      Core romniye hiaba
      Les tu kames, oh romniye!"
      
      
      
      Jüngst im Traume war's: ich schritt
      Auf den mir bekannten Stegen,
      Und am sommergrünen Rain
      Kam mein Liebster mir entgegen.
      
      Mich umschlang der Kipetar'
      Und wir blickten in die Ferne,
      Auf die nebelgrauen Höh'n,
      Auf die gold'nen schönen Sterne.
      
      Und mir war, als spräch' zu mir
      Eine Stimme klar und leise:
      "Berge hoch und Sterne licht,
      Jedes bleib' in seinem Kreise.
      
      Grauer Berg vergeblich strebt
      Nach dem Sterne licht und golden;
      Arme Frau, vergeblich strebst
      Du nach seiner Lieb', der holden!"
       
       
      
      
      Gar bald 
      also fand sich ein Mann, der zu Füssen der schönen und gebildeten 
      Zigeunerin sank und sie in der Tat bis zu seinem Tode treu und redlich 
      liebte. Hornstein war – wie aus Gina's Mitteilungen zu erschliessen ist – 
      nicht nur ein reicher Kaufherr, sondern auch ein fein gebildeter Mann, der 
      nicht ein alltägliches Wissen besass, sondern in manchem Zweige der 
      Wissenschaft und Kunst wohlbewandert war. Er versandte sicilische Weine 
      nach Deutschland, Frankreich und England und handelte obendrein auch mit 
      Schmucksachen, die er aus Paris bezog und in Afrika absetzte, wo sein 
      jüngerer Bruder ein Geschäft in Marokko besass. Während ihres 
      sechsjährigen Aufenthaltes in Sicilien führte er auch Gina gar häufig auf 
      seinen Handelsreisen mit sich nach verschiedenen Städten Nordafrika's. Mit 
      den afrikanischen Zigeunern scheint die Dichterin in enge Verbindung 
      getreten zu sein. Das Zigeunerblut verleugnete sich auch bei ihr nicht. Wo 
      immer sie in Afrika Zigeunern begegnete, beschenkte sie dieselben stets 
      reichlich. Ihr zu Liebe nahm Hornstein auch einen afrikanischen 
      Zigeunerknaben in seine Dienste. Peter Kandalidis war der Name dieses 
      jungen Zigeuners, dessen Grosseltern aus Griechenland nach Afrika 
      übersiedelt waren, und der in Gina's abenteuerlichem Leben auch eine Rolle 
      zu spielen berufen war.
      Hornstein besass eine reiche Bibliothek und las in seiner freien Zeit 
      deutsche Bücher. Besonders liebte er die modernen deutschen Dichter. Diese 
      Liebe zu den Dichterwerken der deutschen Literatur verpflanzte sich auch 
      auf Gina, die in der Tat in der neueren deutschen Literatur vielleicht 
      bewanderter war, als so mancher deutsche Student. Unter diesem Einfluss 
      auf Hornstein's Anregung verfasste sie auch einige Skizzen und Erzählungen 
      in zigeunerischer Sprache, von denen besonders drei bleibenden Wert haben. 
      In Syrakus schmückten Gina und Hornstein gar oft mit Kränzen das Grab des 
      deutschen Dichters Platen, der in sicilischer Erde die letzte Ruhestatt 
      gefunden. Auf Hornstein's Verlangen übersetzte Gina auch dessen 
      Lieblingsgedicht von Platen: "Lass tief in dir mich lesen", - ins 
      Zigeunerische. Das Manuscript dieser Übersetzung bewahrte Gina trotz ihres 
      wechselvollen Lebens, als Andenken an Hornstein treu bis zu ihrem Tode. 
      Durch Herrn Dr. Jakobcic Freundlichkeit ist es jetzt in meinem Besitze und 
      verdient aus Pietät gegen Platen und Gina hier mitgeteilt zu werden:
       
       
      
      Lass tief in 
      dir mich lesen,
      Verhehl' auch dies mir nicht,
      Was für ein Zauberwesen
      Aus deiner Stimme spricht?
      
      So viele Worte dringen
      An's Ohr uns ohne Plan,
      Und während sie verklingen,
      Ist alles abgetan.
      
      Doch drängt auch nur von ferne
      Dein Ton zu mir sich her,
      Behorch' ich ihn so gerne,
      Vergess' ich ihn so schwer!
      
      Ich bebe dann, entglimme
      Von allzurascher Glut:
      Mein Herz und deine Stimme
      Verstehn sich gar zu gut!
      
      
      
      Muk andro tut the ginel,
      Na ada garaves,
      Szokave covalyipel
      T're dumaha caces?
      
      Naybute andre kana
      Jan bivoyiakre,
      Tai kana yon paljana,
      Yon isan keralye!
      
      Kay avel kiya mange
      T're duma dureval,
      La caces ashunav me
      La phares jaletar!
      
      Me pabuvav tail isdrav
      Pal naysigeder kam:
      M're vodyi tai t're duma
      Nayfeder çalyon man!
       
       
      
      
      Auffallend 
      ist es, dass Gina in dieser glücklichsten, sonnigsten Periode ihres Lebens 
      gar wenig schrieb. "Entweder waren wir auf weiter Reise begriffen," sagte 
      sie uns, "oder wir sassen, müde von den anstrengenden Fahrten, zu Hause; 
      und während Hornstein seinen Geschäften nachging, las ich Bücher und 
      wartete sehnsüchtig auf seine Heimkunft. Er hatte in Syrakus Tag und Nacht 
      zu tun! Und wenn ich mich glücklich fühlte, schrieb ich keine Gedichte. 
      Übrigens dachte ich oft bei mir, dass meine Lieder ohnehin Niemand lesen 
      wird. Ich schrieb sie eben nur für mich allein auf!" An der Seite dieses 
      Mannes fühlte sich die Dichterin in der Tat gar glücklich und die fünf 
      Jahre ihres Zusammenseins mit Hornstein bilden den einzigen Glanzpunkt 
      ihres stürmischen, abenteuerlichen Lebens. Das letzte, das sechste Jahr 
      ihres Zusammenlebens wurde durch Hornsteins langwierige Krankheit, die ihn 
      der Geliebten entraffte, getrübt. Nur einmal zeigten sich drohende Wolken 
      am Himmel ihres Liebeslebens. Peter Kandalidis, Gina's zigeunerischer 
      Bediente, war zu einem hübschen Burschen herangewachsen und lebte mit 
      seiner Herrin, in Hornsteins Abwesenheit, "ein rechtes Zigeunerleben". 
      Nach zigeunerischer Etiquette war an der Sache nichts Unmoralisches; aber 
      Hornstein war ganz anderer Meinung, beschenkte seinen Diener reichlich und 
      schickte ihn, ohne viele Worte zu machen, eines schönen Tages heim nach 
      Afrika. Als Gina die Abreise ihres Zigeunerkameraden erfuhr, forderte sie 
      halsstarrig seine Zurückberufung. Dies bestärkte Hornstein noch mehr in 
      seinem, ob nun begründeten oder unbegründeten Verdachte, er beschuldigte 
      Gina der Unzucht, und die Dichterin verliess ihn heimlich in der Nacht. Am 
      dritten Tage – wie sie uns erzählte – fingen Schiffer sie aus dem Meere 
      ohnmächtig heraus, wohin sie sich in selbstmörderischer Absicht gestürzt 
      hatte. Sie wurde heim zu Hornstein geführt. Ein hitziges Fieber warf sie auf's Krankenlager und als sie dasselbe nach Wochen verliess, war ihre 
      "gefährliche verfluchte Schönheit" (doshvalo, armendino shukaripen) 
      entschwunden; entschwunden "wie ein böser Traum" und "im Spiegel erblickte 
      sie eine ganz gewöhnliche Zigeunerin". Furcht und Bangen erfüllten nun der 
      Dichterin leidenschaftliches Herz, wenn sie daran dachte, dass sie als 
      hässliches Weib, verstossen und verachtet, keinen Anspruch auf Liebe 
      erheben könne. In dieser Zeit, voll Gram und Verzweiflung über die 
      entschwundene Schönheit schrieb sie das folgende Gedicht, darunter sie die 
      Worte setzte: "Die hässliche Gina!"
      (Jungale Gina).
       
       
      
      Tut na mukav, 
      me tut nani,
      Kamuvav tut bicaces;
      Th'isi amare jipena,
      Taisa th'isi bokhales.
      
      Th'amen jans soduysine,
      Bibaçtales kamuvas, -
      Andre brigoyori jipen
      Bibaçtales men kames!
      
      Cori isom, tu barvalo,
      E romnori jungeli, -
      Me na janav: hoske dovla
      Dinas man but brigoyi!
      
      Me na janav: hoske dovla
      Man tut' dinas, guleya;
      Uva janav: mire vodyi
      Kamel tut tai kamela!
      
      
      
      Dich verlass' ich nimmer, nimmer,
      Treulos werd' ich nimmer sein;
      Sollten wir auch hungernd leben,
      Mitten in der grössten Pein.
      
      O, wir wissen es ja Beide,
      Dass für uns das Glück entschwand;
      Lieben wir in Leid einander,
      Leidvoll gehn wir Hand in Hand!
      
      Du bist reich und ich bin elend,
      Und auch hässlich bin ich jetzt, -
      Ach, ich weiss nicht, warum Gott mir
      Leid auf Leid ins Herze setzt!
      
      Ach, ich weiss nicht, warum lenkte
      Gott zu dir hin meinen Fuss;
      Nur das weiss ich, dass ich immer
      Dich geliebt, und lieben muss!
       
       
      
      
      Aber gar 
      bald führte das Schicksal einen noch schwereren Schlag gegen Ginas Herz 
      aus. Ihr Geliebter, der gar schwächlichen Körpers war, erkrankte während 
      einer Reise in Nordafrika und musste auf ärztlichen Rat von Kairo nach 
      Konstantinopel übersiedeln. Sein Geschäft in Syrakus übergab er seinem 
      jüngeren Bruder, der ihn in Konstantinopel oft besuchte und ihn stets 
      überreden wollte, die "Zigeunerin" aus seiner Umgebung zu entfernen. 
      Hornstein wollte von dergleichen Ratschlägen gar nichts wissen. Bald aber 
      kamen aus Bukarest zwei seiner Schwestern nach Konstantinopel und 
      übernahmen die Pflege des kranken Bruders, der von Tag zu Tag immer mehr 
      an Kraft verlor, und es hilflos mitansehen musste, wie Gina von seinem 
      Krankenlager entfernt und im Hause eben nur geduldet wurde. Nur auf sein 
      ununterbrochenes Flehen hin liess man Gina täglich einige Minuten lang bei 
      ihm weilen. Ja, die Verwandten ihres Geliebten sprachen den Verdacht ganz 
      offen aus, dass Hornstein von Gina vergiftet worden sei, damit sie so bald 
      wie möglich zu einer ansehnlichen Erbschaft gelange. Man kann sich wohl 
      denken, von welch' niederschmetternder Wirkung dieser unbegründete 
      Verdacht auf Ginas leidenschaftdurchtostes Herz gewesen ist. Und hier im 
      Kreise ihrer Feinde, gebeugt von Kummer und Leid, schrieb sie das Gedicht, 
      dem sie den Titel "Konstantinopel" gab:
       
       
      
      M'ro 
      brigakri bare mara
      M're vodyi sharavel;
      Tai univar sar e lena
      Bares vatyiyavel.
      
      Kade isom, kode nani
      Andre jipen 'som kamalyi,
      Kode t'ro asapen m'ro kam,
      Tiro tuçco ushalyin man.
      Kade avavas cayori,
      Isomas yeka mukalyi;
      Pomenidav taisa caces:
      Manushem kamav tai devles.
      Kode kay mange pro vodyi
      Uprenevol mire pugni, -
      Tire tate cumidensa
      Devla ker yon sascarena! ...
      
      M're brigakri bare mara
      M're vodyi sharavel;
      Tai univar sar e lena
      Bares vatyiyavel.
      
      Andre mire vodyi isi
      Taisa patyipena:
      Oh, kay hetyarav tai janav,
      Save çasaivena!
      Upre tire cam kay isi
      Meribneskro sela,
      Tai lulerven, kana dikhen
      Uren t're jipena?
      Tai me acav naycoreder,
      Yeka bibaçtali!
      Tire gakka man paggaren,
      Hoske tut' kamalyi!
      Kana mores: t'ro avipen
      Andre vodyi isi;
      Maren man, me uva andral
      Baçta isom pivlyi?
      Paggaren man upro pro phuv,
      Kode cika isi:
      Save lime andre cika
      Isom me prasidi!
      
      M're brigakri bare mara
      M're vodyi sharavel;
      Tai univar sar o lena
      Bares vatyiyavel.
      
      
      
      Meines Herzens Leiden fluten
      Gleich dem endlos weiten Meer;
      Wie die Wogen aus der Ferne
      Ziehen jammernd sie einher.
      
      Hier bin ich, wohin ich nimmer
      Je zurückzuziehn gedacht,
      Wo dein Lächeln mir die Sonne
      Und dein Leid die dunkle Nacht.
      Eine Waise irrt' ich einst hier,
      Elend war ich und verlassen;
      Lernte hier zum ersten Male:
      Gott und Menschen lieben, hassen.
      Und hier brennt die alte Wunde
      Meines Herzens nun auf's Neue, -
      Gott! mit seinen heissen Küssen
      Lindrung auf die Wunde streue! …
      
      Meines Herzens Leiden fluten
      Gleich dem endlos weiten Meer;
      Wie die Wogen aus der Ferne
      Ziehen jammernd sie einher.
      
      Hab' in meinem Herzen immer
      Süsse Hoffnung doch genährt!
      Doch jetzt weiss ich: hin ist Alles,
      Und für mich Nichts lange währt!
      Dort von deinen Wangen seh' ich
      Schon des Todes Boten winken,
      Und die Menschen sich schon fragen:
      Wann wirst du denn niedersinken?
      Und ich steh' hier hilflos, feige,
      Elend und verlassen!
      In den Kot werd' ich getreten, -
      Will von dir nicht lassen!
      Wenn du stirbst, wird nur Erinn'rung
      Noch mein Sein versüssen;
      Trank ich aus der Liebe Becher,
      Nun, so mag ich büssen!
      In den Kot mag man mich treten,
      Mich zu Schanden machen;
      Selbst im Kote werd' die Welt ich
      Hämisch stets auslachen!
      
      Meines Herzens Leiden fluten
      Gleich dem endlos weiten Meer;
      Wie die Wogen aus der Ferne
      Ziehen jammernd sie einher.
       
       
      
      
      Still und 
      geduldig trug die unglückliche Dichterin ihr tiefes Weh und Leid, bis am 
      23. März 1866 Jakob Hornstein für immer die Augen schloss. Noch an 
      demselben Tage, an welchem Gina ihre letzte Stütze, ihren letzten Halt 
      verlor, wurde sie von der Behörde in Gefangenschaft gesetzt und der 
      Giftmischerei angeklagt. Nach ärztlicher Sezirung der Leiche wurde zwar 
      ihre Unschuld klar gelegt, sie wurde aber dennoch im Kerker 
      zurückbehalten, weil Hornsteins Verwandte sie des Diebstahls und der 
      Erbschleicherei anklagten. Länger als drei Monate schmachtete sie im 
      Kerker, als man sie endlich frei liess und ihr zehntausend österreichische 
      Golddukaten amtlich einhändigte, welche Summe ihr von Hornstein 
      testamentarisch ausgesetzt war. Dies bedeutende Vermögen deponirte sie bei 
      einem armenischen Banquier.
      Nun stand sie reich, aber wieder einsam und verlassen in Konstantinopel, 
      wo sie einst ihre Laufbahn begonnen hatte. Unzähligemal wollte sie die 
      Stadt verlassen, wo sie schon zweimal am Wendepunkt ihres Lebens 
      gestanden, aber sie war nicht im Stande von der Stelle zu scheiden, wo ihr 
      Geliebter begraben lag. In einem Gedichte aus dieser Zeit sagt sie:
       
       
      
      Kay kamuvel 
      mange yek baçtale kora,
      Kay kamuven mange luludya sungola?
      Pucav, uva mange niko rakkeravel;
      Kas me bute kamdyom, merdyas tai na avel.
      Kamav me the jial! dolmut me gelyomas,
      Andre bare cika mire rosa perdyas!
      Pal handako mukav, kas me bute kamdyom?
      Andre phuv tai cero pocipen na th'rakyom.
      Kana me gindinav, isom but rovilyi:
      Voyakri kamaben nani me avilei!
      Ke, so man nay traden? ke, so man nay silen?
      So kerel man' brigs, so kerel asapen? -
      Sakofeles kerdyas oh, romano jipen!
      
      
      
      Ob ich in der Zukunft wohl noch Liebe finde,
      Ob noch Blumen spriessen, mir zuduftend linde?
      Niemand auf die Frage wird mir Antwort geben,
      Denn mit meinem Liebsten starb auch hin mein Leben.
      Gehen möcht' ich, wohin nie ein Mensch geriet;
      Kann nicht, denn mein Herz zum Liebsten hin mich zieht!
      Hier liegt ja begraben, was ich je besessen,
      Und ich kann dies nie im Leben, nie vergessen!
      Weinen muss ich immer, wenn daran ich denke,
      Dass ich meine Lieb' stets in das Nichts versenke!
      Wer treibt mich von hinnen? was lockt mich ins Ferne?
      Was kann mir mehr Leiden, was mehr Freude geben?
      O daran bist du schuld, du Zigeunerleben!
       
       
      
      
      Sie selbst 
      erwähnt gar oft in ihren späteren Gedichten, dass Schuld an ihrem 
      ruhelosen, leidvollen Leben das "Zigeunerblut", das "Zigeunerleben" sei, 
      d.h. die ungezügelte Wandersehnsucht, der Drang in unbekannten Fernen 
      zweck- und ziellos herumzuschweifen, dem Vogel gleich, der keine Grenze 
      zwischen diesem und jenem Lande kennt. -
      Die "reiche" Gina gehörte nun zu den "interessanten" Damen Konstantinopels 
      und viele Abenteurer suchten ihre Gunst sich zu erobern. Aber sie lebte 
      anfangs zurückgezogen und – wie sie sagte, den ganzen Tag über schlief 
      oder weinte sie. Dies einsame Leben dauerte jedoch nicht lange und 
      anderthalb Jahre nach Hornsteins Tode nahm sie ihr Vermögen vom 
      armenischen Banquier zurück und reiste zu ihren Verwandten nach Serbien. 
      Doch die "in Samt und Seide gekleidete Dame" hielt sich nur zwei Tage lang 
      im Kreise ihrer zigeunerischen Verwandten auf und reiste dann, nachdem sie 
      vorher tausend Dukaten unter die Ihrigen verteilt hatte, nach Paris. 
      Charakteristisch für die Dichterin ist es, dass sie so reichlich ihre 
      Stammgenossen beschenkte, die sie vor Jahren so unmenschlich behandelt 
      hatten.
      Über das Pariser Leben hatte ihr Hornstein so viel Wunderdinge erzählt, 
      dass sie nun ihren Reichtum so am besten anzuwenden glaubte, wenn sie auch 
      einige Jahre in Paris zubringe. Achttausend Dukaten besass sie noch, als 
      sie in Frankreichs Hauptstadt anlangte. Die ihren Verwandten geschenkten 
      tausend Dukaten in Abzug gebracht, hatte sie in anderthalb Jahren während 
      ihres Aufenthaltes in Konstantinopel verhältnissmässig wenig von ihrem 
      Vermögen verausgabt, wenn wir in Betracht ziehen, dass sie in Paris im 
      Laufe zweier Jahre ihr ganzes Hab und Gut verschleudert hatte.
      Das geräusch- und wechselvolle Leben zu Paris war ganz nach dem Geschmack 
      der excentrischen Dichterin und bald sah sie sich von Höflingen 
      zweifelhafter Existenz und dunkler Vergangenheit umringt, - ohne dass sie 
      aber mit irgend einem dieser Leute in ein galantes Verhältniss getreten 
      wäre. Es genügte ihr, dass sie von ihnen – wie sie sich ausdrückte: auf 
      Kosten ihres Vermögens gelehrt wurde, das Leben zu geniessen. Nur einem 
      dieser Dunkelmänner gelang es vor dem "Krach" sich in Gina's Haus 
      festzusetzen und vielleicht auch in ihrem – Herzen. Es war dies ein 
      Siebenbürger, namens Lengyel, der mit ihr "die letzten tausend Dukaten 
      verzehrte". Was nun hierauf folgte, lässt sich gar leicht denken. Einige 
      Zeit lang "lebte sie auf Borg", häufte Schulden auf Schulden, bis endlich 
      ihre Gläubiger sie einklagten und die "erste" zigeunerische Dichterin, die 
      einst gefeierte Schönheit, amtlich in ihre Heimat, nach Serbien, 
      abgeschoben wurde. Dr. Jakobcic besitzt Copien von beinahe sämtlichen, auf 
      diesen amtlichen Vorgang bezüglichen Dokumente.
      Dies war das Ende von Gina Ranjicic's glänzender Laufbahn. "Ich war 
      fertig; ich hatte meine Rolle ausgespielt und musste dahin zurückkehren, 
      woher ich ausgegangen war", sagte sie uns und zwei grosse Tränen rollten 
      ihre gramdurchfurchten Wangen herab.
 
      
      
      ***
      
      
      
      Saiten des Frohsinns stimmte Gina Ranjicic in ihren Gedichten nie an. 
      Weltschmerz und Zwiespalt mit sich und mit der Welt, ewiges Hoffen und 
      ewige Täuschung; leidenschaftliche verzehrende Glut in allen Nuancen und 
      immer Erwachen in rauher Wirklichkeit, das Alles tönt uns aus ihren 
      Dichtungen entgegen. Fast in allen ihren Liedern tönt uns der 
      Schmerzensschrei ihres wilden, leidenschaftlichen Herzens entgegen, das 
      die Sehnsucht nach dem erlösenden Tode zurückdrängt, das noch weiter 
      dulden und leiden will, um noch weiter – zu lieben!
      In manchen ihren Gedichten verleiht sie der zigeunerischen Sprache eine 
      nie geahnte Kraft und Anmut, obwohl sie einen Mischdialekt schreibt, indem 
      sie bald das Idiom der türkischen, bald das der serbischen Zigeuner in 
      ihren Dichtungen anwendet. Ihre Reime sind – so weit man dies von der 
      zigeunerischen Sprache fordern kann, rein und unerzwungen; ihre Ausdrücke, 
      Figuren und Wendungen zeigen nichts Manirirtes. Überall zeigt sich der 
      Einfluss deutscher Lectüre, der Einfluss der deutschen Dichtung, in die 
      sie frühzeitig durch Karl Berik eingeführt und später durch Hornstein mit 
      derselben noch genauer bekannt gemacht wurde. -
      Gebrochen an Seel' und Leib hat sie endlich der Tod vom Leben erlöst, 
      nachdem sie die letzten zwanzig Jahre im Kreise ihrer zigeunerischen 
      Stammgenossen, inmitten der grössten Not und des grössten Elends durchlebt 
      hatte. Ein stilles Weib hat man sie hinausgetragen zu der schmerzlos 
      friedlichen, ewigen Ruhstatt, die schon Niemand kennt ausser den 
      Feldblumen, die da blühen und vergehen werden und der Wind, der über den 
      eingesunkenen Grabhügel hinwegweht. So ruht sie denn endlich, die erste 
      bekannte Dichterin des Zigeunervolkes, auch eine jener gegeisselten 
      Königinnen des Gesanges, "deren Purpurmantel mit dem eigenen Herzblut 
      getränkt ist, deren Lorbeerkranz die Dornenkrone nicht verdecken kann, die 
      ihre Stacheln tiefschmerzend in die bleiche, gramgefurchte Stirne 
      drückte".
      Kein Denkmal wird man ihr setzen, höchstens wird sie irgend ein 
      Papierspeculant zur Heldin eines "Zigeunerromans" machen, wir aber müssen 
      den Druck der Verhältnisse beklagen, die mit roher Faust in die Saiten auch 
      dieses Dichtergemütes hineingegriffen haben. Ihr letztes Gedicht schrieb 
      sie in das Stammbuch meiner Gattin, der sie eine Rose schenkte und in 
      welchem sie ihren baldigen Tod vorausahnt:
       
       
      
      Paskirven 
      tai bisteren man,
      Bistrel uniyi;
      M're vodyi andrai handako
      Tradel luludyi.
      Parne romniye, kay tute
      Brigoya isi:
      Dikh luludyi, buter isas
      Mire brigoyi!
      
      
      
      Bald begraben und vergessen
      Werd' ich Arme sein;
      Doch mein Herz treibt dann auch immer
      Blumen auf den Rain.
      Weisse Frau, ist einst dein Herze
      Voll von Leid und Pein:
      Blick' auf diese Rose, - grösser
      War das Leiden mein!