Christian Morgenstern (1871-1914) - Liebesgedichte

Christian Morgenstern

 


Christian Morgenstern
(1871-1914)
 

Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
 

 

Als die Münster-Uhr
sieben Uhr morgens schlug,
hab ich »Du« gesagt bei jedem Schlag.

Und so sei denn mein
alle, alle Zeit,
und dann komme, was da kommen mag.
(Band 2 S. 177)
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An solch einem Vorabend der Liebe -
du weißt noch nicht, was da werden wird,
aber dein Herz ist so süß bewegt,
in den reinen Abend so aufgelöst...
großer Sonne, die rot
hinter die blauen Berge sinkt,
trinkst du träumend dein Glas nach...
und die gedämpfte Musik,
die du von fröhlichem Volk
fernher hörst,
spinnt dich nur tiefer ein...
und du fühlst,
wie ein anderes Haupt
leis deiner Schläfe sich schmiegt
und mit dir hinausträumt
aus braunen geliebten Augen...
und du schließest die deinen
und sitzest so lange,
ganz still und vergessen;
und dann stehst du auf
und küssest ein paar
geschenkte Blumen
und vergräbst dein Gesicht ganz
in schmeichelnde Blüten...
An solch einem Vorabend der Liebe...
(Band 1 S. 317)
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O traure nicht!

Aus roten Morgenwolken blüht,
der blaue Tag in blasser Seligkeit ...
Und über Raum und Zeit
erhebt sich mein Gemüt
zu dir.

O traure nicht!
Und bist du nicht bei mir -:
Ein Licht sind wir
und ist von mir zu dir.

Aus roten Morgenwolken blüht
der blaue Tag in blasser Seligkeit ...
Und über Raum und Zeit
erhebt sich dein Gemüt
zu mir.
(Band 1 S. 632)
_____

 

Den langen Tag bin ich dir fern gewesen,
bis nun beim abendlichen Licht
dir wiederum mein ganzes Wesen
wie eine Knospe auseinanderbricht

und Dir erduftet, Dir erblühet,
als seiner Sonne, die ihm frommt.
Des Tags Gestirn hat mir umsonst geglühet;
nun kommt die Nacht, und meine Sonne kommt.
(Band 1 S. 381)
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Der Duft des Lebens hing in diesem Tuche.
Wie liebt' ich seine dichten Seidenmaschen,
die deinen Hals am Abend einst umfingen.

Da - als ich heute spät mein Lager suche -
hängt es am Stuhl, gebügelt und gewaschen,
ein Totes mehr nun unter toten Dingen!
(Band 2 S. 177)
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Der Morgen war von dir erfüllt...
Dein Bild, von Tränen oft verhüllt,
umfloß mich wie ein lichter Schein;
du warst mein Morgenlicht allein.
Die Sonne schien mir ins Gesicht,
ich sah vor dir die Sonne nicht,
erblindet lag der Augen Au
von dir, als meinem Himmelstau.
(Band 2 S. 159)
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Die Bank

Die Nacht ist lind und lockt mich auf die Warte
auf halber Höhe über meinem Flecken;
ich schau ihn sich den Bach hinauf erstrecken,
und diesen selber durch der Mauer Scharte.

Durchs Laubwerk mir zu Häupten spielt das harte
Geblink der Sternenschar mit mir Verstecken;
indes von unten mich Laternen necken,
wie Blitzer einer transparenten Karte.

Vor allem aber ist die Bank da droben
mir wert. Denn meine Freundin kommt, die ferne,
sooft ich dort, mein nächtlich Säumen teilen.

Gemeinsam hören wir die Wasser toben.
Gemeinsam schaun wir Häuser, Lichter, Sterne ...
Und wünschen nichts als ewig so zu weilen.
(Band 2 S. 145)
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Diese Rose von heimlichen Küssen schwer:
Sieh, das ist unsre Liebe.
Unsre Hände reichen sie hin und her,
unsre Lippen bedecken sie mehr und mehr
mit Worten und Küssen sehnsuchtsschwer,
unsre Seelen grüßen sich hin und her -
wie über ein Meer - - wie über ein Meer - - -
Diese Rose vom Duft unsrer Seelen schwer:
sieh, das ist unsre Liebe.
(Band 1 S. 359)
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Sehnsucht

Dort unten tief im Dämmer-Grunde,
wo nun so wach die Wasser gehn,
und hier verstreut und da im Bunde
die mondumwobnen Villen stehn,

dort hast du nun mit all den andern
zur sanften Ruhe dich gelegt,
indes dem Freund allein im Wandern
das Blut sich minder ruhlos regt...

Schlaf' süß in deinem Silbertale,
mein Dunkelauge, Rätselkind,
gegrüßt von jedem reinen Strahle,
der selig in die Tiefe rinnt!

Schlaf' süß! und sieh den Freund im Traume
sich nächtlicher Natur vertraun
und von des Bergwalds dunklem Saume
verzückt und schmerzlich niederschaun!
(Band 1 S. 188)
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Du bist mein Land,
ich deine Flut,
die sehnend dich ummeeret;
Du bist der Strand,
dazu mein Blut
ohn' Ende wiederkehret.

An dich geschmiegt,
mein Spiegel wiegt
das Licht der tausend Sterne;
und leise rollt
dein Muschelgold
in meine Meergrundferne.
(Band 1 S. 381)
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Dichters Rückkehr

Ein feiner Duft erfüllt den Raum,
als wär ein Weib zu Gast gewesen
und hätte meinen letzten Traum
vom Rosenkönigreich gelesen

und mir zum duftberedten Danke
von zarter Flamme Glut erregt
des Gürtels holde Rosenranke
auf meinen stillen Tisch gelegt.
(Band 1 S. 199)
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Es ist Nacht,
und mein Herz kommt zu dir,
hält's nicht aus,
hält's nicht aus mehr bei mir.

Legt sich dir auf die Brust,
wie ein Stein,
sinkt hinein,
zu dem deinen hinein.

Dort erst,
dort erst kommt es zur Ruh,
liegt am Grund
seines ewigen Du.
(Band 2 S. 160)
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Hochsommernacht

Es ist schon etwas, so zu liegen,
im Aug der Allnacht bunten Plan,
so durch den Weltraum hinzufliegen
auf seiner Erde dunklem Kahn!

Die Grillen eifern mit den Quellen,
die murmelnd durch die Matten ziehn;
und droben wandern die Gesellen
in unerhörten Harmonien.

Und neben sich ein Kind zu spüren,
das sich an deine Schulter drängt,
und ihr im Kuß das Haar zu rühren,
das über hundert Sterne hängt ...

Es ist schon etwas, so zu reisen
im Angesicht der Ewigkeit,
auf seinem Wandler hinzukreisen,
so unaussprechlich eins zu zweit ...
(Band 2 S. 161)
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Abschied

»Es ist vielleicht das letzte Mal,
daß deine Hand in meiner ruht ...
So nah dein Blut an meinem Blut ...
O wüßtest du von meiner Qual!

Du aber lächelst hell und gut
mit deiner Augen stillem Strahl ...
Du Wandrer weißt nicht, wie es tut:
Es ist vielleicht das letzte Mal!«
(Band 1 S. 633)
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Der Traum

Es war ein süßer Traum
von Dir, -
was, weiß ich kaum.
Doch seine Süßigkeit
blieb mir
den ganzen Tag, -
daß, als mein Schlittengleis
zur Abendzeit
die Straße lief,
da deine Wohnung lag,
der Heide, ich,
ein leis
>Gott segne dich<
als jenes süßen
Traumes letztes Grüßen
rief.
(Band 1 S. 343)
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Winternacht

Flockendichte Winternacht ...
Heimkehr von der Schenke ...
Stilles Einsamwandern macht,
daß ich deiner denke.

Schau dich fern im dunklen Raum
ruhn in bleichen Linnen...
Leb ich wohl in deinem Traum
ganz geheim tiefinnen? ...

Stilles Einsamwandern macht,
daß ich nach dir leide...
Eine weiße Flockennacht
flüstert um uns beide...
(Band 1 S. 217)
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Lied

Gib auf alle Rosen acht,
die am Wege stehn:
Denn sie sollen heute Nacht
unsre Liebe sehn!

Sollen schwülen Neides voll
uns umglühn, umwehn -
und von unsren Gluten soll
ihre Glut vergehn!
(Band 1 S. 609)
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Gebet an die ferne Geliebte

Gib mir deine Kraft.
Laß die Leidenschaft
alles andre in mir töten.
Selbst die Schlacke, die
grausige, zerglüh
durch dein tiefes ganz für mich Erröten.

Gib mir deine Kraft,
laß die Leidenschaft
jenes letzte große Leid mir schaffen,
daß ich fühle: ich
würde ohne dich
nie des Gottes Saum vor mir erraffen.
(Band 2 S. 189)
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Gleich einer versunkenen Melodie ...

Gleich einer versunkenen Melodie
hör ich vergangene Tage
mich umklingen.
Heiß von Tränen
wird mir die Wange,
und von wehmütigen Seufzern
schluchzt mir die Brust,
an der du -
ach Du!
einst dein blondes,
erglühendes Köpfchen bargst,
o Geliebte!
(Band 1 S. 260)
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Glück ist wie Blütenduft,
der dir vorüberfliegt...
Du ahnest dunkel Ungeheures,
dem keine Worte dienen -
schließest die Augen,
wirfst das Haupt zurück - -
und, ach!
vorüber ist's.
(Band 1 S. 413)
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Zwiegesang

Glühend zwischen dir und mir
Julinächte brüten;
gleiche Sterne dort und hier
unsern Schlaf behüten.

Wähl das schönste Sternelein,
will das gleiche tuen; -
morgen droben Stelldichein
auf geheimen Schuhen.

Gibst du nur nichts anderm Raum,
als mich dort zu finden,
wird ein gleicher süßer Traum
dich und mich verbinden.
(Band 1 S. 448)
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Hier im Wald mit dir zu liegen,
moosgebettet, windumatmet,
in das Flüstern, in das Rauschen
leise liebe Worte mischend,
öfter aber noch dem Schweigen
lange Küsse zugesellend,
unerschöpflich - unersättlich,
hingegebne, hingenommne,
ineinander aufgelöste,
zeitvergeßne, weltvergeßne.
Hier im Wald mit dir zu liegen,
moosgebettet, windumatmet...
(Band 1 S. 358)
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Sehnsucht

Hier in Bergeseinsamkeiten
brennt mein Wesen, dich zu halten,
Zu entrückten Wirklichkeiten
unsre Träume zu gestalten;
unter diesen Tannen möcht ich
mit dir wandern, Mund an Munde,
und mit deinem Braunhaar flöcht ich
uns in eins zu zartem Bunde...

Bis den allzutraut Verschlungnen
sich die Schritte bang verwirrten
und der Leidenschaft-Bezwungnen
Blicke heiß die Runde irrten:
Daß auf sanften Mattenlehnen
eine treu umbuschte Stelle
ihrer Jugend starkem Sehnen
heimlich hold entgegenschwelle.

O wie wollten wir hier oben,
Liebste, Tag und Nacht verküssen,
allem Sittenwahn enthoben,
aller Vorsicht trocknen Schlüssen!
Komm, o komm durch alle Weiten!
Laß uns hier im Bergesgrunde
feiern unsrer Hohen Zeiten
unaussprechlich süße Stunde!
(Band 1 S. 601)
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Wenn du nur wolltest

Ich bin eine Harfe
mit goldenen Saiten,
auf einsamem Gipfel
über die Fluren
erhöht.

Du laß die Finger leise
und sanft darüber gleiten,
und Melodien werden
aufraunen
und aufrauschen,
wie nie noch Menschen hörten;
das wird ein heilig Klingen
über den Landen sein...

Ich bin eine Harfe
mit goldenen Saiten,
auf einsamem Gipfel
über die Fluren
erhöht -

und harre Deiner,
oh Priesterin!
daß meine Geheimnisse
aus mir brechen
und meine Tiefen
zu reden beginnen
und, wie ein Mantel,
meine Töne
um dich fallen,
ein Purpurmantel
der Unsterblichkeit.
(Band 1 S. 236-237)
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Bezauberung

Ich ging einmal des Abends, den du kennst, den Weg,
mit einem Freund, der mir von seinen Plänen sprach.
Da ward mir seltsam: Wie ich schweigend neben ihm
und halb ihm lauschend ging im Dämmerlicht, geschah's,
daß ich mich selbst als Dich empfand, als gingest Du
in mir und lauschtest, wie ich seinem, meinem Wort ...
Und leise nickt' und murmelt' ich ihm zu,
mein Augenaufschlag war der Deine, Dein mein Leib
in jeglicher Bewegung bis ins Innerste...
Und deine scheue Jungfraunseele liebte mich aus mir...
(Band 2 S. 16)
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An Margareta

Ich habe nicht gewußt, daß so viel Liebe
in einem Menschen sein kann - und zu mir.
Zwar - ich bin ungerecht. Und doch - es hat
mich nimmermehr zuvor so überwältigt.

So will ich sagen: Wissen um die Liebe,
das tat ich stets, und war auch wohl ihr Gast,
so wie ein Gast von Heim und Herdglut weiß.
Durch dich erst aber glaub' ich an die Liebe.

Selbst (und das ist das schwerste) an die meine;
an meine Fähigkeit zu jener letzten
Ver-einigung des ewig sonst Ent-zweiten.

Nun nicht mehr Gast nur wandl' ich durch die Zeiten, -
nun sitz ich selbst am Herd und atme Frieden,
und glaub an alle Liebe - durch die deine.
(Band 2 S. 174)
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Ich küsse dich auf deine Lebenslinie,
da wo der Handschuh mir die Lücke läßt...
Ich küsse dich auf deine Lebenslinie ...

So zierlich ruht sie im gewählten Nest!
Und wie mein Mund sich zärtlich auf sie preßt,
da segnet er fromm mit ihr gleich auch den Rest, -
dein ganzes Leben mit der lieben Linie ...
(Band 2 S. 177)
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Ich küsse dich, zitternde Mädchenseele,
mit all der Inbrunst meiner Wünsche.
Ich segne dich, ringende Weibesseele,
aus allen Tiefen meines Wesens.
Ich weine mit dir, o Menschenseele,
über das Schicksal, das in uns waltet.
(Band 1 S. 199)
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Ich möchte, Lieb, mich deinem Leib
unendlich einverleiben,
doch ach, wie können Mann und Weib
es mit einander treiben?

Sie kommen nicht zusammen, ach,
wie sehr sie sich bestreben,
sie sind wie Städte hundertfach
mit Wall und Turm umgeben.

O gäb's nicht englisches Gebild
nach irgendwelcher Pforte, -
es müßte sein: Daß ungestillt
die Liebe nicht verdorrte.

Die Liebe, die sich nicht genügt
an hartem Fleisch und Beine,
die erst erfüllt ist, eingefügt
all Mein und Dein zum Eine.
(Band 2 S. 192-193)
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Schicksale der Liebe

I.
Ich stand, ein Berg,
still und einsam.
Da kamst du
und zerschmolzest
das Erz meiner Adern!

Nun bricht es vulkanisch heraus,
ein Schrecken dem Wandrer,
ein Schrecken mir selber.
Verdorrt steht
mein blühender Schmuck,
stumm
meiner Quellen Gespräch,
und langsam
verrinnt
mein Blut
um dich...


II.
Wir sind zwei Rosen,
darüber der Sturm fuhr
und sie abriß.

Gemeinsam
wirbeln sie nun
den Weg entlang,
und ihre Blätter wehn
durcheinander.

Heimatlose,
tanzen und fliehn sie,
nur für einander
duftend und leuchtend,
den Weg der Liebe -:

Bis sie am Abend
der große Feger
lächelnd
auf seine Schaufel nimmt.
(Band 1 S. 232-233)
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Ich wache noch in später Nacht und sinne,
wie ich dir etwas Liebes sagen möchte,
daß ich dir einen Kranz von Worten flöchte,
daraus du würdest meiner Sehnsucht inne,

die mich nach deiner Gegenwart erfüllet,
als wär' ich nur bei Dir gewahrt vor Sorgen,
als lebt' ich nur in Deinem Blick geborgen,
dem teuren Blick, der mich in Liebe hüllet.
(Band 1 S. 381)
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»In meinen Tränen halt ich dich gefangen,
als wie in einem Spiegel, der zu Perlen
zerrann - doch jede Perle Spiegel noch.

Im Spiegel meines Auges wohntest du.
Der Spiegel brach. Doch jede seiner Perlen,
als die er hintropft, - spiegelt noch dein Bild.«
(Band 2 S. 153)
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In stillster Nacht
in tief geheimnisvoller Stunde
kam es zu mir auf leisen Engelsfüßen.
Aus allen Tiefen, allen Höhn
umschwoll es mich wie klagendes Getön,
wie einer tiefen Sehnsucht Grüßen.

In stillster Nacht
in tief geheimnisvoller Stunde
da hab ich mich für alle Zeit
aus heilig heitrem Herzensgrunde
der Schönheit Sonnenreligion geweiht.
(Band 1 S. 567)
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Ist dies kein Grund, die ganze Welt zu lieben,
daß sie dich werden machte, wie du bist
und Gut und Böses dir zum Wohle wandte?

Aus ihrer Wurzel seh ich dich getrieben
und danke allem, was da ist,
die zarte Frucht.
(Band 2 S. 177)
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Schauder

Jetzt bist du da, dann bist du dort.
Jetzt bist du nah, dann bist du fort.
Kannst du's fassen? Und über eine Zeit
gehen wir beide die Ewigkeit
dahin - dorthin. Und was blieb? ...
Komm, schließ die Augen, und hab mich lieb!
(Band 2 S. 17)
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Getrennter Liebender Gebet zueinander

Komm auch heute zu mir
bleibe auch heute bei mir.
Begleite jeden meiner Schritte
heilige mir jeden Schritt.
Hilf mir, daß ich nicht in Stricke
falle noch strauchle.
Hilf mir stark und schön bleiben,
bis ich dich nächsten Morgen
so wieder bitte.
Durchdringe mich ganz mit dem Licht,
das du bist.
Wohne in mir wie das Licht in der Luft.
Auf daß ich ganz dein sei -
Auf daß du ganz mein seist
auch diesen Tag.
(Band 2 S. 188)
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Das Wörtlein

Kürzlich kam ein Wort zu mir,
staubig wie ein Wedel,
wirr das Haar, das Auge stier,
doch von Bildung edel.

Als ich, wie es hieße, frug,
sprach es leise: »Herzlich.«,
Und aus seinem Munde schlug
eine Lache schmerzlich.

Wertlos ward ich ganz und gar,
riefs, ein Spiel der Spiele,
Modewort mit Haut und Haar,
Kaviar für zu viele.

Doch ich wusch's und bot ihm Wein,
gab ihm wieder Würde,
und belud ein Brieflein fein
mit der leichten Bürde.

Schlafend hats die ganze Nacht
weit weg reisen müssen.
Als es morgens aufgewacht,
kam ein Mund - es - küssen.
(Band 1 S. 662)
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Leise Lieder...

Leise Lieder sing ich dir bei Nacht,
Lieder, die kein sterblich Ohr vernimmt,
noch ein Stern, der etwa spähend wacht,
noch der Mond, der still im Äther schwimmt;

denen niemand als das eigne Herz,
das sie träumt, in tiefer Wehmut lauscht,
und an denen niemand als der Schmerz,
der sie zeugt, sich kummervoll berauscht.

Leise Lieder sing ich dir bei Nacht,
dir, in deren Aug mein Sinn versank,
und aus dessen tiefem, dunklen Schacht
meine Seele ewige Sehnsucht trank.
(Band 1 S. 214)
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Liebe, Liebste, in der Ferne,
wie so sehr entbehr' ich Dich!
Leuchteten mir milde Sterne,
ach, wie bald ihr Glanz erblich!

Wenn ich deine weichen Wangen
leis in meine Hände nahm,
und voll zärtlichem Verlangen
Mund zu Mund zum Kusse kam;

wenn ich deine Schläfen rührte
durch der Haare duftig Netz,
o, wie war, was uns verführte,
beiden uns so süß Gesetz!

Und nun gehst du fern und einsam.
Ach, wie achtlos spielt das Glück!
Bringt, was einmal uns gemeinsam,
noch einmal sein Strom zurück?

Liebe, Liebste, in der Ferne,
wie so sehr entbehr' ich dich!
Leuchteten uns milde Sterne,
ach, wie schnell ihr Glanz erblich!
(Band 1 S. 407)
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Casa Bianca

Man sagte mir, ein Dichter habe hier
seiner Geliebten einst, die zu ihm kam,
den ganzen Pfad vom Ufer bis zum Hügel
in weiße Blüten betten lassen - und
nie wohl verstand ich einen Dichter mehr.
(Band 2 S. 317)
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Mein Herz ist leer,
ich liebe dich
nicht mehr.

Erfülle mich!
Ich rufe bitterlich
nach dir.

Im Traume zeig
dich mir
und neig
dich zu mir her!

Erfülle mich
mit dir
auf ewiglich!

Ich trag's nicht mehr, -
ich liebe dich
zu sehr.
(Band 1 S. 366)
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Eins und alles

Meine Liebe ist groß
wie die weite Welt,
und nichts ist außer ihr,
wie die Sonne alles
erwärmt, erhellt,
so tut sie der Welt von mir!

Da ist kein Gras,
da ist kein Stein,
darin meine Liebe nicht wär,
da ist kein Lüftlein
noch Wässerlein,
darin sie nicht zög einher!

Da ist kein Tier
vom Mücklein an
bis zu uns Menschen empor,
darin mein Herze
nicht wohnen kann,
daran ich es nicht verlor!

Meine Liebe ist weit
wie die Seele mein,
alle Dinge ruhen in ihr,
sie alle, alle,
bin ich allein,
und nichts ist außer mir!
(Band 1 S. 268-269)
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Mit diesem langen Kuß
auf deine Lippen laß uns scheiden.
O warum muß
ich solcher Trennung Schmerzen leiden.

Und hätte jederstund
nur einzig dies Verlangen,
an Deinem süßen Mund
auf Ewigkeit zu hangen.
(Band 1 S. 407)
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Heimat

Nach all dem Menschenlärm und -dust
in dir, geliebtes Herz, zu ruhn,
so meine Brust an deiner Brust,
du meine Heimat nun!

Stillherrlich glänzt das Firmament
in unsrer Augen dunklen Seen,
des Lebens reine Flamme kennt
kein Werden und Vergehn.
(Band 1 S. 326)
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Nein, dies kann nicht so verbleiben!
Diese Traurigkeit muß enden,
dieses abendliche Wissen

von unsäglich lieben Händen,
die den Herzgeliebten missen,
und statt ihn zu lieben - schreiben.
(Band 2 S. 180)
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Nimm an, es gäbe einen Himmelsherrn;
so wollen wir von ihm für einst erflehn:
er lasse uns auf irgendeinem Stern
als einen Strauch voll Rosen auferstehn.
Ich will die Wurzel sein, du sei der Strauch,
ich will die Zweige sein, du sei das Blatt,
ich sei die Rose, du sei ihr Arom.
So ineinander unaufhörlich satt,
so eins in jeder Faser, jedem Hauch,
sei unser Leben dann ein Dankesstrom.
(Band 2 S. 160)
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Nun wollen wir uns still die Hände geben
und vorwärts gehen, fromm, fast ohne Zagen,
und dieses größte Lebenswagnis wagen:
Zwei miteinander ganz verschlungne Leben.

Und wollen unermüdlich weiterweben
an den für uns nun völlig neuen Tagen
und jeden Abend, jeden Morgen fragen,
ob wir auch ganz ein Ringen und ein Streben.

Auch ganz ein unersättlich Langen, Dürsten,
im Maß des Körperlichen, das uns eigen,
uns immer geistiger emporzufürsten:

Daß wir wie eines Pfeiles Schaft am Schlusse,
ineinsverflochten und in einem Schusse,
ein neues Reich höhrer Geburt ersteigen.
(Band 2 S. 170)
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Süsse Überredung

O wie so lieb, als ich, mein zartes Vöglein,
dein leise widerstehndes Köpfchen nahm
und deinen Schelmenmund herzinnig küßte!
In Anmut löstest du mein Wesen auf.
Dein Liebreiz übersonnte den Geliebten,
daß er sich gab glückselig-weichen Worts
und seines Ernstes kindlich-froh vergaß.

Und lange noch, nachdem ich dich verlassen,
sah ich in tiefer Güte auf die Welt
und segnete um deiner blauen Augen
mit einem großen Segen alles Sein.
(Band 1 S. 198)
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Allein im Gebirg

Oh du! daß du an meiner Seite wärst!
Mit dir auf diese stillen, grünen Seen,
auf diese edlen, blauen Berge träumen;
aus all der Schönheit noch zu einer höhren
zurückzuwissen, wenn die Seele dürstet;
an deiner Augen Spiegel dann zu hängen,
die klarer als das klarste Bergseebecken
nur mich - wie meine dein Bild - widerschimmern;
im warmen Steinsitz dann zurückzulehnen,
bis einer Sehnsucht unsre Lippen folgen
und, ohne Wunsch, nur wie in himmelsholder
Gelöstheit, unsre Seelen sich berühren;
und wieder dann so Kopf an Kopf den Weiten
der ungeheuren Landschaft hingegeben,
mit Augen, die vor Glück in Schleiern liegen,
mit sanftern Atem zarter, junger Liebe -
oh du, daß du an meiner Seite ruhtest!
Was ist mir all die Schönheit ohne dich.
(Band 1 S. 281-282)
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Oh, um ein Leuchten deiner Augen alles!
Hör mich! Ein Märchen -. Als der alte Gott
noch jung in seinen Gärten wandelte,
da fand er einst auf einer Wiese sie
in leichtem Schlummer reizend hingestreckt.
Und wie er überwältigt steht, die Arme
noch zum zerteilten Busch zurückgebreitet,
erwacht sie von dem Brechen eines Zweigs
und hebt der Wimpern seidnen Silberwurf
und träumt den ersten großen Blick ihm zu.
Und wie der Herrliche nun näher eilt
und vor ihr kniet, da geht ein Rätselleuchten
aus ihrem Aug, wie wenn in Wogenschleiern
sich das Geheimnis einer Meergrundsonne
verhüllen wollte und sich doch verriete ...
Und sieh, um dieses Leuchten schuf Gott alles,
was ist, - der Sterne schimmernde Girlanden -
der Vögel Legion, den Tag der Liebe
durch ewige Äonen wiederholend -
und dich und mich - und alles Glück und Elend
von Ewigkeit zu Ewigkeit -! - Du lächelst
Oh, um dies Leuchten deines Lächelns alles!
(Band 1 S. 317-318)
_____

 

Sei du der große Zeiger,
ich will der kleine sein;
so, weiß ich, bleib ich niemals
ein Stündlein ganz allein.

Du mußt urewig währen,
solang die Unruh schwingt,
zu ihm, der mit dir treulich
den Kranz der Tage schlingt.

Und macht dein rastlos Sputen
mir oft die Seele wund -
es rollen doch alle Minuten
zuletzt in meinen Grund.
(Band 2 S. 186)
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So drängt sich uns ein Vogel
ins warme Nest der Hand
und läßt sich fest umschließen,
voll Glauben und Verstand,

wie du, wenn dir in einem
wird schwach und stark der Mut
und du mir schreibst: ich bin dir
so ganz von Herzen gut.
(Band 2 S. 187)
_____

 

Schneefall

So still zu liegen und an dich zu denken,
indessen Legionen weißer Blumen
mein dunkles Ich in ihren Schnee versenken!

Warum nicht also sterben! einst, wenn alles
beschlossen lieget in uns, um uns her,
das Haupt im Schoß des weißen Wolkenfalles.
(Band 1 S. 378)
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So ziehn zwei Flammen, inniglich verschwistert,
die eine silberlicht, die andre dunkelgolden,
dem Himmel zu vom marmornen Altare.

Umschlingen sich, durchdringen sich im holden
Verbund, und wie sie glühn und glühn, verknistert
in ihnen Erdrest langer unerlöster Jahre.
(Band 2 S. 156)
_____

 

An die Geliebte

Sternengold entreiß ich dem nächtlichen All,
schmiede draus ein leuchtendes Diadem,
und um deine züchtige Stirne
flecht ich mit zitternder Hand es, Geliebte!

Sonnengold entwend ich dem Tagesgestirn,
winde draus einen siebenfach strahlenden Ring,
und an deine Hand, die reine,
füg ich in sprachlosem Glück ihn, Geliebte!

Blütenduft erhasch ich und Mondenglanz,
webe draus einen schimmernden Schleier dir,
und um deine Gestalt, die keusche,
lege ich zärtlich und leis ihn, Geliebte!

Was mir etwa entfiel beim wonnigen Werk,
raff ich auf und spinne mir Saiten draus,
süße, selige Weisen tönend -
alle für dich nur, für dich nur, Geliebte!
(Band 1 S. 539)
_____

 

Stör' nicht den Schlaf der liebsten Frau, mein Licht!
Stör' ihren zarten, zarten Schlummer nicht.
Wie ist sie ferne jetzt. Und doch so nah.
Ein Flüstern - und sie wäre wieder da.
Sei still, mein Herz, sei stiller noch, mein Mund,
mit Engeln redet wohl ihr Geist zur Stund.
(Band 2 S. 211)
_____

 

Und soll ich dich auch nie besitzen,
so will ich deinen Namen doch
ins Holz der Weltenesche schnitzen,
ein Zeugnis fernstem Volke noch.

So sollen tausend Herzen lesen,
die gern ein kleines Lied beglückt,
was du mir Einsamem gewesen,
wie du mich innerlichst entzückt.
(Band 1 S. 359)
_____
 


Und wir werden zusammen schweigen -
und ich werde mein Haupt an dich legen -
und du wirst dein Haupt auf mich neigen -
und ich werde den Nacken bewegen
und deinen Lippen entgegenstreben
und Leben
von ihnen trinken
und ihnen spenden -
und wieder zurück dann sinken
und Brust nur und Wimper noch regen -
dann werden wir wieder zusammen schweigen -
um dann aber das Schweigen zu enden -
und aber zu enden in Schweigen -
in ewigen Wenden.
(Band 1 S. 383)
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Ein Gedicht Walthers von der Vogelweide

Unter der Linden,
an der Heide,
da unser zweier Bette was,
da möget ihr finden
hold sie beide
gebrochen Blumen so wie Gras.
Vor dem Walde in einem Tal
tandaradei!
lieblich sang die Nachtigall.

Ich kam gegangen
zu der Aue,
da schon mein Trauter kommen hin.
Da ward ich empfangen,
hehre Fraue,
daß ich noch immer selig bin.
Küßt er mich? Wohl tausend Stund.
tandaradei!
Seht, wie rot mir ist der Mund!

Da hat er gemachet
mir und sich
von Blumen eine Bettestatt.
Des wird noch gelachet
inniglich,
kommt jemand an den selben Pfad.
Bei den Rosen er wohl mag
tandaradei!
merken, wo das Haupt mir lag.

Daß er bei mir lag,
wüßt es einer,
(nun, behüte Gott!) so schämt ich mich.
Was er mit mir pflag -
keiner, keiner
befinde das, als er und ich,
und ein kleines Vogelein:
tandaradei!
Das mag wohl getreue sein.
(Band 2 S. 30-31)
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Unter der linken Brust
band ich dein Brieflein fest,
da mag es wohnen nun
bis morgen früh.

Unter der linken Brust
ist mir so wohl, so weh
und beide Hände noch
preß ich darauf.

Unter der linken Brust
drückt sich ein Engel ab,
drückt sich dein Engel rot
in weißen Schnee.

Und unterm weißen Schnee
liegt mein rotrotes Herz,
küßt durch den weißen Schnee
dein Siegel rot.

Unter der linken Brust
band ich dein Brieflein fest
mit meinem blonden Haar
wie als wärst du's!
(Band 2 S. 185)
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Vielleicht, o wer das wüßte,
vielleicht wird alles gut -
O ferne Zukunftsküste,
wie steht nach dir mein Mut,
wie möcht ich dich erschiffen
und baun auf dir ein Haus -
nach all den Meeresriffen
nach all dem Sturmgebraus
nach all den Wogenschlünden
nach all der Haifischgier -
und Meine Welt dort gründen
mit ihr - mit ihr - mit ihr.
(Band 2 S. 186)
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Liebesbrief

Vor deiner Kammer singt und singt
- so schreibst du, Kind - die Nachtigall,
und, daß der Sehnsucht bangen Schall,
dein Herz so wehvoll widerklingt!

Gedenkst du noch des Glückes all,
das uns tiefheimlich einst umringt? ...
Vor deiner Kammer singt und singt
- so schreibst du, Kind - die Nachtigall.

Wenn heut ihr wiederum gelingt
ihr nächtlich süßer Überfall -:
Oh denk', ich sei's, der leichtbeschwingt
von seiner Sehnsucht Überschwall
vor deiner Kammer singt und singt!
(Band 1 S. 608)
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Vor dir schein ich aufgewacht,
und ich küsse dich am Halse,
und du, ohne Lid zu heben,

legst den Arm um mich, und sacht,
wie nach einer Chopin-Valse,
meinst du mit mir hinzuschweben ...
(Band 2 S. 156)
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War das die Liebe ...

War das die Liebe, die mich gestern streifte,
wie eines seidenen Gewandes Atem
im Dunkel, wie ein windvertragner Duft,
wie Harmonien aus der blauen Nacht,
woher, du weißt es nicht, doch stockt dein Blut
und horcht in die Geheimnisse der Dinge...
und all dein Wesen flutet zögernd aus,
du fühlst dich wie ein Strom die Welt durchrinnen
und ahnst doch noch ein Mehr-als-diese-Welt,
wie hinter feiner Schleier Wehr noch wartend,
ein Himmelreich voll Blüten, Früchten, Sonnen,
und lächelnd winkt, die dich so sehr gerührt.
(Band 1 S. 198)
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Was kannst du, Süße, wider dies, daß du so schön!
In deiner eigenen Schönheit wehrlos wandelst du,
und ob du lächelst, ob du ernst wirst, bist du schön;
und weintest du, dich ließe deine Schönheit nicht,
nur rührender aus Tränen leuchtete sie vor;
und zürntest du, so wär' es ihres Zürnens Macht,
nicht die des Deinen, die ein jedes Herz besiegt.
Doch welch unmöglich Scheiden zwischen ihr und Dir,
die du sie selbst, die du die Schönheit selber bist!
(Band 1 S. 390)
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Was sind wir, wenn wir uns zurücke nehmen
aus jenem süßgewohnten Vordergrund,
in dem, zum Glück uns, unsre Wiege stund
und unser Krug einst steht mit unserm Staube!
Wer sind wir denn noch, wenn nicht krause Schemen,
Traumschatten über bodenlosem Grund,
und namenloser Traurigkeit zum Raube.

Drum laß uns dicht uns aneinander drängen,
es trägt sich leichter solch ein Graun zu zweit,
ich will mein All auch um den Hals dir hängen,
die ganze Sternschnur meiner Zeitlichkeit:
dafür: daß du mich, Weib, betreust und tröstest,
daß du dich als mein Du aus mir befreit,
daß du mich liebend von mir selbst - erlöstest...
(Band 2 S. 189)
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Weiße Tauben

Weiße Tauben
fliegen durch blaue Morgenluft...
grüßet, weiße Tauben,
mein Mädchen von mir!

Fliegt meinen Namen
vor ihrem Fenster
ins Morgenblau -
wie wird sie sich freuen! -:
»Oh ihr süßen, weißen Tauben
im blauen Morgen,
grüßt ihn,
grüßt ihn mir wieder!«

Ihr weißen Tauben!
(Band 1 S. 281)
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Ein Wunsch

Weißt, was ich möchte, Mädchen?
Ich wollt, ich wär ein Maurer
und stürzte vom Gerüst,
und kurze Frist nur gäbe
man meinem Leben noch...
Sie trügen in dein Haus mich,
du pflegtest mich voll Mitleid,
voll frauenhafter Güte,
voll leiser Traurigkeit...
Und deine Hände lägen
auf meiner Fieberstirn,
und unter deinen Händen
schliefe mein Herzblut ein.
(Band 1 S. 217)
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Abschied

Weißt, was mir träumte?
Wir nahmen Abschied
fürs Leben.
Deine Arme
umschlangen mich
und deine Lippen brannten
und bebten...
Brannten und bebten Verheißung
Einer Nacht,
einer chaotischen Nacht...
Irgendwo ...
Irgendwann ...
Vielleicht nicht einmal
auf dieser Erde ...
Auf einem Stern vielleicht,
da Unschuld noch
in innerster Freiheit
nimmt und gibt
wie es sie drängt.

Und ich zog dich
enger an mich
und küßte dich inniger.
Dann endlich
löstest du langsam
die lieben Arme
und schürztest dein Haar
in den strengen Knoten zurück
Ich legte den Mantel dir
um die Schultern.
Die Tür fiel zu.
Und drunten im Schnee
lief eine schmale Spur
magdlicher Stapfen
hinaus,
weit, weit
in die mondhelle,
einsame Nacht.
(Band 1 S. 567-568)
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Wenn Cyrano des Kusses Süße singt,
so war es nur, weil ihn ein Kuß beglückte;
vergeblich glaubst du, daß es dem gelingt,
den liebe Lippe nicht zuvor entzückte;
erst wessen Herz dies süße Gift durchdringt,
er redet, ein Entrückter für Entrückte,
erst wer die roten Lebensrosen pflückte,
schlingt Kränze, wie man sie für ewig schlingt.
(Band 1 S. 300)

Anmerkung: Cyrano:
Cyrano de Bergerac, Komödie von Egmond Rostand (1868-1918);
Uraufführung 28.12.1897, Paris:
Morgenstern hat die Komödie am 30.9.1899 gesehen
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Morgenstimmung

Wenn so die Nacht die treugewölbten Hände
von ihrer Erde stillem Antlitz hebt,
und in die kühlen, duftenden Gelände
der erste Hauch des jungen Morgens bebt -

da laß uns Arm in Arm nach Osten gehen
bis vor das Tor der großen, stummen Stadt,
und Schläf' an Schläf' die junge Sonne sehen,
die uns so süßem Sein erschaffen hat.
(Band 1 S. 280)
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Wo bist du...

Wo bist du, süße Blume meiner Tage?
Ich strecke müde, glückverlangende Hände
nach deinem holden Kelche aus?
Wo bist du -
daß ich das keusche, sammetweiche Haupt
dir küsse?
Wo bist du -
daß der Falter meiner Seele
an deiner Blüte Staub
sich neu vergolde?
Ich dürste, hungere nach deinem Duft!
Wo birgst du deine Schönheit?
Welcher Garten des Paradieses
umfriedet deine Pracht?
Wo bist du - bist du -
süße Blume meiner Tage?
(Band 1 S. 260)
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Alle Gedichte aus: Christian Morgenstern Werke und Briefe
Kommentierte Ausgabe, Band I (Lyrik 1887-1905) und Band II (Lyrik 1906-1914). Hrsg. von Martin Kießig Verlag Urachhaus Johannes M. Mayer GmbH, Stuttgart Band I 1988, Band II 1992

 

Biographie:

http://de.wikipedia.org/wiki/Christian_Morgenstern


 

 


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