Erich Mühsam (1878-1934) - Liebesgedichte

Erich Mühsam



Erich Mühsam
(1878-1934)

Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
 

 

 



Ich bin ein Pilger, der sein Ziel nicht kennt;
der Feuer sieht, und weiß nicht, wo es brennt;
vor dem die Welt in fremde Sonnen rennt.

Ich bin ein Träumer, den ein Lichtschein narrt;
der in dem Sonnenstrahl nach Golde scharrt;
der das Erwachen flieht, auf das er harrt.

Ich bin ein Stern, der seinen Gott erhellt;
der seinen Glanz in dunkle Seelen stellt;
der einst in fahle Ewigkeiten fällt.

Ich bin ein Wasser, das nie mündend fließt;
das tauentströmt in Wolken sich ergießt;
das küßt und fortschwemmt, - weint und froh genießt.

Wo ist, der meines Wesens Namen nennt?
Der meine Welt von meiner Sehnsucht trennt?
Ich bin ein Pilger, der sein Ziel nicht kennt.
(S. 5)
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Die Sonne lacht, und es lacht die Welt,
es lachen am Wege die Steine. -
Das Lachen mir barsch auf die Seele fällt. -
Ich denk' nur an eine - an eine. -
Vom Himmel lachend ein Klingeln schellt, -
wie mir das Lachen im Herzen gellt! -
Im lachenden Sonnenscheine
sitz' ich am Wege - und weine.
(S. 7)
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Manchmal fühl' ich ein Ahnen,
ein Sehnen, vor dem mir bangt,
und weiß nicht, woher es kommt,
und weiß nicht, wozu es frommt.
Das zieht und zerrt, und ich weiß nicht wohin,
weiß nicht, wonach meine Sehnsucht verlangt. -
Ich weiß nur dies: Es ist Liebe darin!
(S. 12)
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Das, was ich sehne, steht über den Lüften,
in denen der Menschen Atem sich mengt.
Das, was ich sehne, liegt unter den Grüften,
in die der Tod das Lebende drängt.
Und es weiß nichts von Tun und Beginnen
und weiß nichts von Welt und von Zeit.
Meine Sehnsüchte rauschen, rinnen
unerfüllt in die Ewigkeit.
(S. 13)
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Wir schwiegen nebeneinanderher, -
um uns erstarb die graue Nacht,
der Nächte eine - bleich und schwer,
die ich so oft mit dir durchwacht.
Mein Sinnen hing an deiner Qual. -
Du fühltest, wie ich um dich litt.
Lau ging ein Wind, und öd und fahl
klang unser leidgedämpfter Schritt.
Ich fühlte eine Angst in dir; -
du danktest meinem stillen Trost.
Wir sahen nichts. Doch wußten wir
das Schicksal nah, das um uns lost.
Vom Himmel hing es dumpf und schwer.
Im Morgendämmern ahnte ich dich.
Wir schwiegen nebeneinanderher, -
und unsre Seelen küßten sich.
(S. 17)
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Meine Augen trinken deine Blicke. -
Meine Seele weiß von deinem Fühlen.
Daß die schwere Nacht aus ihrem schwülen
Drücken kuppelnd einen Stern doch schicke! -
Meine Hände tasten nach deiner Sucht. -
Meine Lippen küssen deine Glut. -
Hörst du des heulenden Nachtsturms Flucht? -
Siehst du das Mondauge triefen von Blut? -
Lehne dich an mich. - So sind wir eins. -
Senke dein Schicksal in meins! -
Du! - wir zwei - - und die Welt so fern
- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -
Sieh doch! - Der Stern! Der Stern!
(S. 17)
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Willst du mich höhnen, daß in meiner Qual
ich zu dir floh?
O wüßt' ich doch, ob irgendwo
ich weinen - weinen könnt' einmal!
Nennst du es Liebe, daß in rohen Nächten
du deine Arme um mich schlangst?
Den Hals mir würgtest in den wilden Flechten -
und mir medusengeile Lieder sangst? -
Wenn du mich liebst, gib mir dein Herz
und nicht den weißen, satten Leib;
und laß mich meinen heiligen Schmerz
in deine Seele weinen, Weib!
(S. 23)
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Nun endlich stehst du weiß und nackt
vor süßen Sünden zitternd hier -
und meines Pulsschlags wilder Takt
schlägt rasend an die Sinne dir.
Und meine Augen halten dich
wie straffe Seile fest umspannt. -
In meinen Willen hab' ich dich
nach langem Werben nun gebannt.
Dein Weinen schürt die Fibern mir -
dein keuscher Widerstand wird matt. - -
Ich packe dich - und meine Gier
frißt sich an deiner Reinheit satt.
(S. 23)
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Mein Blut ist heiß; mein Herz schlägt toll;
mein Hirn ist wogenden Weines voll. -
Auf der Brust der bohrende, schrille Druck;
auf der Zunge der letzte süße Schluck. -
Nun heim! - Im weichen Kissen vergessen,
was mir Wein und Rausch aus dem Herzen pressen. -
Vergessen - vergessen! Nur Liebe erstickt
das Grinsen, das mir ein Teufel schickt. -
Ein Weib - ein Weib muß zu mir ins Bett. - - -
Wenn ich doch einen Taler hätt'!
(S. 24)
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Ich küsse dich, die du dich mir ergibst -
und nur mein Kuß ist dein, die du mich liebst.
Ich darf dir deine Nacktheit nicht entweihn, -
sie ist zu schön. - Und nur mein Kuß ist dein.
Dich aber küss' ich nicht, die ich mir nehme.
Du bist nicht nackt genug. - Wie ich mich schäme!
Ich deck' um dein Gesicht ein dunkles Tuch
und küss' dich nicht. - Du bist nicht nackt genug!
(S. 24)
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Mir ist, als hätte ich Absinth gesoffen;
Süßbitteres Anisgewürz im Mund -
und aus dem Herzen trommelt Haß ...
Verdammte Unruh! - Ach, dem überlegnen,
dem Welthohngeist wird angst und schwül und blaß. -
Der fluchen will - er möchte lieben - segnen - - -
Ach Gott, ihn prickeln seine geilen Triebe.
Er nennt es Sehnsucht, nennt es Liebe,
wenn's seinem Leib nach wildem Tanz gelüstet - -
Das Leben ist nicht lieblich und bequem
und, wahrlich, wahres Weltglück lacht nur dem,
für den sich nachts ein heißes Weibchen rüstet!
(S. 25)
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Du, ich soll dich wiedersehn
und deine Hände mit Küssen netzen
und vor deinen Füßen mein Herz zerfetzen
und dir meine Sehnsucht gestehn.
Du, - ich will vor dir knien
und mein Haupt in deinem Schoß vergraben, -
und du sollst mich wie einen Knaben
zu dir ans Antlitz ziehn.
Du - dann will ich zu dir weinen
und will dich Braut und Mutter nennen, -
bis uns die Nachtstunden trennen -
wo nur Sehnsüchte uns vereinen.
(S. 25)
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Angst packt mich an.
Denn ich ahne, es nahen Tage
voll großer Klage.
Komm du, komm her zu mir! -
Wenn die Blätter im Herbst ersterben
und sich die Flüsse trüber färben
und sich die Wolken ineinander schieben -
dann komm, du, komm!
Schütze mich -
stütze mich -
faß meine Hand an.
Hilf mir lieben!
(S. 25)
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Drück' mir die Hand, daß mich dein Leid beglücke,
dein heiligreines Leid, das meinem gleicht.
O könnt ich doch, wenn deine Hand ich drücke,
das Glück dir lügen, das uns nie erreicht.
O könnt' mein Blick in deinen Hoffnung gießen,
daß endlich doch sich unser Traum erfüllt.
Laß' unsre Tränen ineinander fließen.
Ein Schleier sei, der beider Leid verhüllt.
So komm', mein Treuer, unsre Stunden rufen!
Komm', wo die dunkle Erdenscholle rollt!
Hin zu den Tiefen, die uns trügend schufen, -
fort von der Erde, die uns nicht gewollt!
(S. 26)
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An eine Lilie

Eine Lilie nickt von meinem Tisch,
beugt die blätterschweren hohen Stengel
über mein Papier -.
Geh' mit deinen vorgestreckten Zungen!
Nein, doch! Bleib' nur, frecher Bengel -
Du wirst wissen, wen ich angesungen:
bist ja selbst von ihr.
(S. 27)
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Nacht

Leis' verhallen ferne Geigenklänge,
und ein Köter bläfft gedämpft dazu.
Milde warnt der Vollmond durch die Scheiben -
sieht, wie wir uns lieben - ich und du.
Ach, er gönnt uns unser junges Treiben
und schickt alles, was uns stört, zur Ruh.
(S. 27)
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Hilde

Riesengroße Rosengrüße
sandte ich zum Wiegenfeste
ihr, der einzig Heißgeliebten,
einen Brief dabei erhielt sie,
darin stand: ich liebe Dich,
Hilde, meine holde Hilde!
Hilf mir, Hilde, und erhöre
meine Schwüre, die ich schwöre
Dir, die ich so heiß Dich liebe.
Andern Tages lag die holde
Hilde huldvoll mir im Arme,
und wir kosteten mit Rosen
Stunden süßen Liebesglückes.
Aber tags danach hielt Hilde,
ach, ein andrer in den Armen,
Schwüre schwörend, schwülbeglückt,
ihr, der ich, der Heißgeliebten,
sandte doch zum Wiegenfeste
riesengroße Rosengrüße.
(S. 60)
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Cleo und Theo

Ewig gleich ging Cleos Leben
eheloser Einsamkeit.
Theo wohnte gleich daneben
mit der Seele, sehnsuchtsweit.
Cleo Theo sehn -
Theo Cleo sehn -
und um beide war's sogleich geschehn.
Weh, o Cleo!
Weh, o Theo!

Beider Herzen bebten bange,
beide träumten heiß und schwer,
beide quälten sie sich lange,
beide liebten sie sich sehr.
Cleo Theo segnet -
Theo Cleo segnet,
wenn sie täglich ihm, er ihr begegnet.
Weh, o Cleo!
Weh, o Theo!

Theo hätt' ihr gern gebeichtet,
daß sein Herz nach ihr begehrt;
Cleos Blick hätt' gern geleuchtet,
gerne hätt' sie ihm gehört.
Cleo Theo sehnt -
Theo Cleo sehnt -
heiße Sehnsucht beider Los verschönt.
Weh, o Cleo!
Weh, o Theo!

Aber Theo zögert schüchtern,
ihr zu geben den Bescheid,
und auf beider Angesichtern
nagte der Entsagung Leid.
Cleo Theo scheut -
Theo Cleo scheut,
bis es beide ihrer Lieb' gereut.
Weh, o Cleo!
Weh, o Theo!

Theo wagte nichts zu sagen,
und so blieb er unvermählt.
Cleo wagte nichts zu fragen,
ob ihr Theo noch so fehlt'.
Cleo Theo mied -
Theo Cleo mied,
und von beiden alle Freude schied.
Weh, o Cleo!
Weh, o Theo!

Theo ward des Sehnens müde,
Cleo ward des Wartens satt.
Still floß eines Wassers Friede
eine Stunde vor der Stadt.
Cleo Theo floh -
Theo Cleo floh,
und im Wasser fanden sie sich so.
Weh, o Cleo!
Weh, o Theo!

Auf des Wassers dunklem Grunde
war's zur Einigung zu spät.
Ihrer Leichen bleichem Bunde
sprachen Wellen das Gebet.
Cleo Theo küßt -
Theo Cleo küßt,
doch sie haben nichts davon gewüßt.
Weh, o Cleo!
Weh, o Theo!
(S. 60-61)
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Auf den Knien bin ich hierhergekrochen
und suchte mein Herz, ob's nicht zerbrochen
am Fuße eines Baums verdorrt,
zerspalten von eines Blitzes Wucht. -
Ich find' es nicht, das arme Herz.
Es liegt wahrscheinlich anderwärts,
an einem dunkeln, kalten Ort,
wo's keiner sucht - wo's keiner sucht. - -
(S. 98)
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Alle Lippen, die ich küßte;
die mich betteten, alle Brüste;
jeder Leib, den ich betastete;
jeder Arm, in dem ich rastete;
jeder Blick, der mich verleitete;
jede Lust, die ich bereitete, -
sollen, will ich in den Himmel hinein,
einst meiner Würdigkeit Zeugnisse sein.

Aber die Liebe, die mir versagt ward;
die Wüste des Elends, in die ich gejagt ward;
die Verzweiflung, die mich verzichten hieß;
das Grauen, das mich angstvoll dichten ließ;
das Blut, das dem Hasse entträufelte,
und die Sehnsucht - o die verteufelte! -
die werden, soll ich der Hölle mich beugen,
den Mächten der Qualen und Schmerzen bezeugen,
daß ich mehr auf Erden ausgehalten,
als mich lehren könnten die schwarzen Gewalten.
(S. 110)
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Durch nahe Bäume wehen Grabesschauer;
so fern dem Lebenslärm wie jene Grüfte,
ruht unser Schritt am Fuß der Kirchhofsmauer, -
trinkt meine Hand den Atem deiner Hüfte.
Mein Mund versinkt im Dufte deiner Haare,
die gleich der Nacht sich auf mein Sehnen neigen.
Ja, lausch nur meiner Liebe, Wunderbare! - -
Die Gräber singen, - und die Menschen schweigen ...
(S. 114)
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Doch manchmal weiß ich meine Augen schön,
weiß einen weichen Klang in meiner Stimme.
Dann seh' ich dicht vor meinem Blick die Höh'n,
zu denen ich in seltenen Träumen klimme.
Dann tasten meine Hände, weiß und schlank,
zu Quellen, die aus Schaum und Silber steigen,
und meine Lippen neigen
in heiligem Kusse sich dem reinsten Trank.
(S. 115)
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Nur was Dein ist, kann ich lieben. -
Bleibe Dein! So bist du mein! ...
Wär' ich immer mein geblieben,
wär' ich wohl auch ewig Dein.
(S. 115)
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Ich wollt' dein Bett mit einer Rose schmücken,
Ich fand sie nicht.
In ihr sollt meine Reinheit dich beglücken.
Du fandst sie nicht.
Wie oft schon schenkte ich dir Herzensgaben!
Du fandst sie nicht.
Ich hofft', mein Herz sollt' endlich Ruhe haben.
Ich fand sie nicht.
(S. 115)
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Was geht's dich an, ob sich dein Leid in mir
zu tausendfacher, wilder Qual vermehrt?
Genug, daß meine Liebe sich in dir
zu banger Flucht vor zuviel Treu' verkehrt!

Es ist so dumm von mir, du hast ja recht,
dich einzuziehen in meinen Liebesschmerz.
Jedoch mein Wille ist ein fauler Knecht. - -
Gott schütze dich vor mir, geliebtes Herz!
(S. 115)
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Ich möchte dich so vieles fragen, -
ich möchte dir so vieles sagen, -
und find doch nie das rechte Wort;
möcht' hoch aus allem Leid dich heben, -
möcht' Heimat dir und Himmel geben, -
und weiß mir selbst doch keinen Hort;
und weiß mir keinen Platz zu weinen
als nur den engverschlossenen einen
an deinem Herzen, deiner Brust. -
Oh, sperrt' dein Herz mir keine Kette,
Dein Leiden fände seine Stätte, -
und ich - ich hätt' mein Wort gewußt.
(S. 116)
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Ach, ich weiß es wohl, daß deine Seele
tausendfach wie meine glüht. -
Eh' ich meinem armen Angstgemüt
einen kümmerlichen Ton entquäle,
ist dein Geist längst in die fernsten Fernen,
in den Himmel eingeschwebt,
und zu leuchtend wundersamen Sternen
hast du dein Gedicht gewebt.
Deine Qualen fügen sich zu Tränen,
die verklärend alles Leid verwischen. -
Könnte doch mein Tasten und mein Sehnen
sich mit deiner Glut vermischen! ...
Überwunden wären alle Qualen,
träf' mein Herz ein bleiches, leises Licht
aus den Garben Feuers, die so dicht
dir aus deinen tausend Seelen strahlen.
(S. 116)
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Wie ich dich liebe!
Denn ich liebe alle dunkeln Fragen,
die die Wahrheit hinterm Auge tragen, -
und die Worte lieb' ich, die verschwiegen
auf dem Grunde einer Lüge liegen. -
Sag' mir nichts! - Ich will aus deinem Wesen
tief heraus mir jedes Goldkorn lesen; -
aus dem Schimmer der Verschwiegenheiten
will ich deiner Seele Bild bereiten; -
und es soll in meinem Herzen stehn,
hauchlos rein - und nur für dich zu sehn.
(S. 116)
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Ich bin dir treu. - Treu wie der Tod das Leben
bewacht, beweint, zu neuem Sein erweckt,
will ich mit meiner Liebe dich umgeben,
bis mich die Treue selbst zu Boden streckt.

Ich will dir fern sein. - Wie das Sonnenfeuer
aus fremden Welten uns erwärmt, erhellt,
will ich dich leiten; fern und um so treuer,
bis deine Seele selbst sich mir gesellt.

Ich will nicht werben, nicht um Blicke bitten, -
ich will dich lieben mit der heiligen Scheu
der Abendsterne, - und mit leisen Schritten
will ich dir Rosen streun. - Ich bin dir treu.
(S. 117)
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Ich bin der Menschheit nicht mehr gram,
seit ihr der eine Mensch gelang,
der tief in meine Seele drang,
der all mein Eignes an sich nahm.
Wie sich sein Blick ins Herz mir schrieb!
Mein Schicksal glitt in seine Hand.
Er nahm den Groll von mir. Es schwand
mein Selbst, und nur die Sehnsucht blieb.
Die Sehnsucht blieb und bleibt und schwillt,
und in ihr treibt die heiße Scham,
die meiner einstigen Seele gilt. -
Ich bin der Menschheit nicht mehr gram.
(S. 117)
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Dein Auge sollst du senken
in meins, als wär' ich Christ
und könnte Gnaden schenken.
Und ich will gläubig denken,
daß du der Heiland bist.
(S. 118)
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Wenn ich dereinst in fernen Ewigkeiten,
in einem andern, fremden, neuen Leben,
wo ich von mir und Menschheit nichts mehr weiß
und nichts von fernen, längst vergangnen Zeiten, - -
wenn dann aus dunkler, schwerer Sehnsucht leis
die Schatten dieses Daseins mich umschweben; - -
dann soll wie eine Ahnung diese Stunde
in meine Träume steigen, wo zur Nacht
ich Ewigkeit erfuhr aus Gottes Munde, - -
wo ich gedichtet, was ich nie gedacht.
(S. 118)
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Uli, Kaschka, Margarete,
Eva, Gerta, Bianca, Kete!
Ihr verschmähtet, mich zu lieben.
Gut. So will ich sanfte Rhythmen,
mildbewegte, euch, ihr Sieben,
traurig, doch in Treuen widmen ...
An der Liebe Niederlagen
läßt der Dichter Lieder nagen.
(S. 118)
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Liebesweh

Zähre rieselt mir um Zähre
in des Betts zerwühltes Laken.
Bange Angstgedanken haken
sich an meiner Seele Schwere.
Schmerzgekrümmt sind meine Beine;
traurig triefend hängt der Bart
von den Tränen, die ich weine, -
und die Nase trieft apart ...
Ach, es ist der Traum der Liebe,
den ich durch die Seele siebe.
Ach, es ist der Liebe Weh,
das mich zwickt vom Kopf zum Zeh. -
Armes Herz! Die Träume wittern
fernen Trost. Ich spann' die Ohren, -
und durch meiner Seele Zittern,
fernherflüsternd, traumverloren,
murmelt ein geliebter Mund:
Schlapper Hund!
(S. 119-120)
_____



Rendezvous

Ich bin verdammt zu warten
in einem Bürgergarten
auf das geliebte Weib.
Nun sitz' ich hier als Beute
gewissenloser Leute
mit breitem Unterleib.
Sie sind so froh beim Biere,
bald zwei, bald drei, bald viere - -
und reden vom Geschäft.
Die Gattin spricht vom Hause,
die Töchter trinken Brause,
und Flock, das Hündchen, kläfft.
Die Kellnerinnen schwirren.
Die Tischgeschirre klirren.
Der Himmel scheint so blau.
Wie süß ists doch, zu warten
in einem Bürgergarten
auf die geliebte Frau. 
(S. 123)
_____



Liebesweisheit

Jeden packt einmal die dicke Liebe,
packt einmal die feiste Leidenschaft;
und sie dauert, bis zu dem Betriebe
eines Tags der heilige Fleiß erschlafft.
Mit der Tatkraft schwindet die Begeistrung,
Schwer- und Weh- und Übermut entschwebt,
trotz der schämigen Gefühlsverkleistrung,
welcher die Gewohnheit sich bestrebt.
Kritisiert wird, wo man sonst geschmachtet;
die Figur, der Zuschnitt des Gewands
wird mit nörgelndem Verdruß betrachtet -
des bislang geliebten Gegenstands.
Auch der Spendeneifer ist geschwunden:
Früher war ein liebreiches Geschenk
mit entzücktem Opferstolz verbunden;
heute schmerzt es nur im Handgelenk.
Und die Hand, die sonst in weichen Wellen
glättend hinfuhr, wo sich zeigt ein Weh,
legt sich neuerdings in solchen Fällen
schwer und wuchtig auf das Portemonnaie.
Freund, hat dich gepackt die dicke Liebe,
und erfüllt dich feiste Leidenschaft, - -
prüfe wohl, wann dir zu dem Betriebe
eines Tags der heilige Fleiß erschlafft.
Denn das ist die gottgewollte Stunde,
abzuschließen mit entschlossenem Schnitt,
wo als neuer Mensch zum ewigen Bunde
mit der Frau man zum Altare tritt.
(S. 128)
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Frühling

Das Fell der Erde schäumt in Wellen.
Aus Bäumen und aus Schollen quellen
des Frühlings Knospen auf wie Gischt. -
Dröhnt, Fluten, - zischt!
Schlagt an die Dünen meiner Brust!
Treibt Frühlingsgrün aus meinen dürren Hängen!
Macht Leid zu Lust
und meine Liebe zu Gesängen!
(S. 206)
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Meine Straße mir entgegen
ist heut eine Frau gegangen,
deren Tragen und Bewegen
all mein Sinnen hält umfangen.

Was ich liebend je gepriesen,
wenn ich kurzes Glück genossen,
alle Pracht schien mir in diesen
schlanken Körper eingegossen.

Sichrer Schritt auf graden Beinen,
hohe Schultern, schmaler Rücken.
In den Augen trocknes Weinen
und verhaltenes Entzücken.

Eh' sie meinem Blick entschwände,
folgt ich lange ihren Spuren,
und dann formten meine Hände
ihre herrlichen Konturen

aus der Luft, bis ich verloren
heimging, voll von allem Süßen,
ihren Duft in meinen Poren,
ihren Gang in meinen Füßen.

Daß sie doch noch einmal käme!
Dann will ich sie kniend fragen,
ob sie mich zum Gatten nähme, -
Und sie wird "Sie Esel!" sagen.
(S. 228-229)
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Als ich dich fragte: Darf ich Sie beschützen?
da sagtest du: Mein Herr, Sie sind trivial.
Als ich dich fragte: Kann ich Ihnen nützen?
da sagtest du: Vielleicht ein andres Mal.
Als ich dich bat: Ein Kuß, mein Kind, zum Lohne!
da sagtest du: Mein Gott, was ist ein Kuß?
Als ich befahl: Komm mit mir, wo ich wohne! -
da sagtest du: Na, endlich ein Entschluß!
(S. 229)
_____



Der Jüngling, den wir neulich trafen,
der so gefällig war und nett, -
heut geht der Jüngling mit dir schlafen,
und ich, ich geh allein zu Bett.

Er zeige sich gewandt und tüchtig.
Nur wackern Männern gönn' ich dich.
Du siehst, ich bin nicht eifersüchtig.
Sei lieb zu ihm - und denk an mich.
(S. 229)
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Geh nach Hause, armer Knabe,
leg dich nieder, weh verliebt.
Träume von der Himmelsgabe,
die der Himmel dir nicht gibt.
Träume von den blonden Flechten,
die du nur als Schnecken siehst.
Hadre mit dem ungerechten
Schicksal, dem kein Glück entsprießt.
Irgendwo ziehn weiche Glieder,
Lippen, süß zum Kuß und rund,
irgendwen in Liebe nieder. -
Träum den Leib und träum den Mund!
Träumend darfst du dich vergeuden.
Träum in üppiger Phantasie
deiner Liebe letzte Freuden. -
Träume, Freund, enttäuschen nie.
(S. 229-230)
_____



Mein Fräulein, oh, das Sie mich doch erhörten!
ich sterbe fast vor Sehnsucht und vor Gram,
seit rechnende Vernunft aus dem verstörten
Gemüt mir ganz und gar abhanden kam.
Als ich Sie neulich um die Taille faßte,
da schlugen Sie mich mitten ins Gefrieß,
mit einem Auge, das mich tödlich haßte,
mit einem, das noch Hoffnung übrig ließ.
Und diese Hoffnung füllt seither mein Dasein,
von dieser Hoffnung ist mein Träumen voll:
Dürft Ihnen ich, mein Fräulein, ständig nah sein
und Ihrer Hand, von der mein Zahnfleisch schwoll!
Verdrossen jüngst Sie meine Umgangsformen,
womit ich Ihnen an den Körper drang,
entschuldigen Sie dies mit der enormen
Erregung und dem Herzensüberschwang.
Denn greifen andre nicht gleich um die Taille
und hüten ängstlich sich vor meinem Pech, -
die sind nichts wert. Mit schimmernder Emaille
verkleidet man, mein Fräulein, stets nur Blech.
So fließe denn die Tinte dieses Schreibens
aus meiner Feder in Ihr Herz hinein, -
wo nicht, so kann auf Erden meines Bleibens
nicht eine Viertelstunde länger sein.
Ich küsse ehrerbietig Ihre Finger.
Sie wälzen jetzt mein Glück sowie mein Leid.
Tod oder Seligkeit? - Der Überbringer,
der Dienstmann Jaspe, wartet auf Bescheid.
(S. 230-231)
_____



Horch, von der Frauenkirche schallt es dumpf.
Sechs Uhr: die Stunde, da der Tag verblaßt.
Ich aber halte deinen Fuß umfaßt,
um deine Fessel schließt mein Daumen sich.
Ich küsse deinen violetten Strumpf:
Drei Finger in mein Herz - ich liebe dich!

Dein Lackschuh wippt. Kind, dir ist's einerlei,
wie mir der Abend in das Hirn sich krampft.
Du fühlst den Kuß, der ans Knie dir dampft.
Dem Schatten nach, dem letzten Sonnenstrich
siehst du mit heißem Blick an mir vorbei.
Drei Finger in mein Herz - ich liebe dich!

Dein Mund steht offen und dein wirres Haar
hüllt wie ein Vorhang deine Träume ein.
Doch wehrhaft steht dein hochgestelltes Bein
der Welt entgegen, schlank und jüngferlich.
Ich aber flüstre in der Strümpfe Paar:
Drei Finger in mein Herz - ich liebe dich!

Ich liebe dich. Ich sprech ihn aus, den Schwur.
Du siehst mich an, und irgend etwas lacht,
indem du ernsthaft sagst: Nun, gute Nacht.
Doch mit dem Knie stößt du beim Aufstehn mich,
daß ich mit blutgem Zahnfleisch lisple nur:
Drei Finger in mein Herz - ich liebe dich!
(S. 232-233)
_____



Bekleide jetzt die langen weißen Beine
mit deinen neuen grünen Seidenhöschen
und laß dich anschaun in graziösen Pöschen,
du Pantherkatze, zart und schlank wie keine.

Du Glitzerlicht von funkelnden Gestirnen,
du aus dem Paradies der Fabeltiere,
mit Brüsten wie hellschimmernd am Spaliere
die quellend frischen, essenreifen Birnen!

Wie deine grünen Seidenhöschen glänzen,
daß drunter deine Nacktheit rötlich flimmert,
als ob das Milchglas, darin Rotwein schimmert,
zur höhern Weihe Rebenblätter kränzen.

Wenn ich nur wüßte: war das Höschen teuer?
Was gabst du ihm, der mit dem Schmuck dich zierte?
War's einer, der nach deinen Gnaden gierte?
War's deiner Anmut selbstlos ein Betreuer?

Wie immer: deine neuen Seidenhöschen
sind süß wie Wiesengrün im Sonnenscheine.
Schnell, zieh sie dir an deine schlanken Beine
und laß dich anschaun in graziösem Pöschen.
(S. 234-235)
_____



Es stand ein Mann am Siegestor,
der an ein Weib sein Herz verlor.
Schaut sich nach ihr die Augen aus,
in Händen einen Blumenstrauß.
Zwar ist dies nichts Besunderes.
Ich aber - ich bewunder es.
(S. 235)
_____



Du liebtest mich mit deiner ganzen Glut.
Ich liebte dich mit Seele und mit Geist.
Das ist vorbei. Du bist mir nur noch gut.
Ich steck in Liebe über Hals und Ohr, -
und denk ich, daß du mir verloren seist,
so weiß ich, daß ich mich an dich verlor.
(S. 243)
_____



Es ging von mir zu dir ein stilles Staunen.
Das strich dir zart den goldenhellen Scheitel.
Das rastete auf deiner weichen Haut.
Das glitt um deinen Mund auf deine Hände,
das war so anders als verliebte Launen,
so gar nicht heftig und so gar nicht eitel.
Das kannte keinen Anfang und kein Ende.
Ein stilles Staunen nur, das ohne Laut
das Herz mir in den heißen Blick getrieben. -
Da sagtest du zu mir: Ich will dich lieben.

Es ging von mir zu dir ein starkes Glühn,
ein wilder Strom, der siedete und rauschte,
ein Auf und Nieder, das die Ufer tauschte,
ein rotes Glühn von Feuer und von Blut.
Nie war ich noch so frei und groß und kühn
und nie so jung und schön und stolz und gut,
so von Erfülltheit stark und feierlich. -
Da sagtest du zu mir: Ich liebe dich.

Es ging von dir zu mir ein süßes Wehn.
Aus deinen Augen floß ein gütiges Licht.
Von deinen Händen glänzte alles Schöne.
Nie hatte ich dich herrlicher gesehn,
so wunderbar, so fern. Nur Duft und Töne.
So ging ein Wehn. - Doch ach, du sahst mich nicht.
Mir war ums Herz so schwer, wie, wenn du weinst. -
Da sagtest du zu mir: Dich liebt' ich einst.
(S. 244-245)
_____



Die Sterne am Himmel will ich befragen,
warum meine Seele so dumpf ist und schwer.
Die Sterne sollen mir Antwort sagen.
Doch ach, der Himmel ist sternenleer.

So will ich Gott meinen Kummer klagen
und will ihm beichten mein heißes Begehr.
Gott soll mir helfen, mein Leid zu tragen.
Doch ach, ich find' meinen Gott nicht mehr.

Wohin? Wo kann ich mein Heil noch wagen?
Auf Knien ruf ich die Liebste her.
Die Liebste soll mir die Grillen verjagen. -
Ich hab' keine Liebste. Ich weine sehr.
(S. 246)
_____



Warum ist dieser einen Bild
vor meine Seele hingehängt,
daß keiner neuen Liebe Schild
es je aus meinen Träumen drängt?

Warum ward ich von ihr erlost
zu dulden mit umfangenem Sinn,
daß ich bei jedem neuen Trost
nur immer mehr ihr Opfer bin?

Warum erfuhr ich ihren Kuß
und ihres Leibes Süßigkeit? ...
Ich weiß nur, daß ich trauern muß
und daß mein Blut nach ihrem schreit.

Mein trunkenes Blut kann lange schrein.
Nie kehrt die eine wieder - nie!
Ich sarge meine Wünsche ein
und liebe noch das Leid um sie.
(S. 247)
_____



Laß uns die süßen,
festlichen Stunden,
laß sie uns grüßen,
sorgenentbunden!
Gehn wir Umfangene
selig ins Glück,
weicht das Vergangene
schweigend zurück.
Dir dieses Leben!
Mir nun das deine!
Kränz' dich mit Reben,
lab' mich mit Weine!
Niemals Vernünftige,
Ahnende kaum,
zieht uns das Künftige
in seinen Traum.
(S. 260)
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Aus aller Trübnis sollst du mich retten,
sollst mir die Ketten
und Fesseln lösen
und mich vom Bösen
und Kranken befrein.
Sieh! meine schönsten Gedanken sind dein.
Dich zu empfangen,
mach ich mich klar.
Weißt du noch, wie im vergangenen Jahr
uns Lerchen sangen?
So soll es wieder und immer sein.
(S. 261)
_____



Fleischeslust

Küsse mich! Gib mir die lüsternen Lippen,
himmlische, wilde Hetäre!
Glaubst du, daß sich an unsern Gerippen
Gottes Liebe bewähre?
Glaubst du, es könnte zu ewiger Gnade
jemals die Seele schreiten,
stählt sich der Leib nicht im zeitlichen Bade
ewiger Seligkeiten?
Liebet einander! der Herr hat's geboten.
Tu seinen Willen, du Fromme!
Liebe für Liebende! Tod für die Toten!
Wirf ab deine Hüllen - und komme!
Küsse mich! Eine Nacht soll uns schaffen
ewigen Himmels Beglücktsein.
In meine Arme! - Laß' Nonnen und Pfaffen
Gott lästernd keusch und verrückt sein!
(S. 284)
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Gefährtin

Stille Glut nach wilden Bränden.
Stetig du nach hundert Frauen.
Laß mich deinen guten Händen
meine Tage anvertrauen.
Will von Kämpfen und von Plagen
unter deiner Pflege rasten,
und ich will getreulich tragen
auch die Hälfte deiner Lasten.
Hunderttausend sterben, leiden;
Menschen töten und vernichten. -
Pflicht und Liebe helf uns beiden,
Glück und Frieden aufzurichten.
(S. 298)
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Aus: Erich Mühsam Gesamtausgabe
Band 1 Gedichte
Herausgegeben von Günther Emig
Verlag europäische ideen Berlin 1983
 


Biographie:

http://de.wikipedia.org/wiki/Erich_Mühsam

 

 


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