Christian Ludwig Neuffer (1769-1839) - Liebesgedichte

Christian Ludwig Neuffer



Christian Ludwig Neuffer
(1769-1839)


Inhaltsverzeichnis der Gedichte:

 






Sonnettenkranz an Ida

1.
Süßer Friede, meiner Kindheit Loos,
Der, als ich der Unschuld, sanft umschlungen,
Lag im Mutterarm, den Peinigungen
Heißer Leidenschaft mein Herz verschloß!

Der mir lachte, wenn ich kummerlos,
Von den Nachtigallen eingesungen,
Unter Myrten träumte, ach, verschlungen
Hat die Zeit dich in den finstern Schooß!

Seit die Lieb' in diesem Herzen waltet,
Schwanden meine heitern Phantasie'n,
Meines Frühlings Erstlinge verblüh'n.

Anders hat die Welt sich mir gestaltet,
Alles scheint verödet und veraltet,
Während Höllenflammen mich durchglüh'n.
(S. 87)


2.
Könnt' ich Hoffnung aus den Sternen lesen,
Dürft' ich Ihr des Herzens Glut gesteh'n,
Hocherhaben zu des Himmels Höh'n,
Dünkt' ich mich verwandt mit Götterwesen.

Zwar ich möchte lieber ganz genesen,
Denn mir sagen diese bangen Weh'n,
Nie wirst du vom Schicksal Sie erfleh'n!
Aber wer soll diesen Zauber lösen?

Die Natur? - doch Idas Namen ruft
Mir den Wald, die Flur, die Frühlingsluft,
Jede Quelle rauscht mir ihn entgegen.

Eine andr're Liebe? - Aber wie
Kann ein fremder Wunsch dieß Herz erregen?
Ach, es hat ja kein Gefühl, als Sie!
(S. 88)


3.
Oft erquickt ein Strahl von Hoffnung mich,
Doch das schöne Morgenroth umdüstern
Wolken bald, und kurzer Lust verschwistern
Langen Kummers Nachtgedanken sich.

Dann, dann räth die Klugheit mütterlich,
Und der Warnung Stimmen hör' ich flüstern:
Sey du nicht nach fremdem Gute lüstern,
Diese Rose blühet nicht für dich!

Wohl, ich will der Warnung mich bequemen,
Will versuchen, was mich Klugheit heißt,
Ob ich diese Flamme möge zähmen,

Die mein tiefstes Leben heiß durchfleußt.
Doch ich weiß, ich werde meinem Geist,
Sieg' ich je, die kühnste Schwinge nehmen.
(S. 88-89)


4.
Wirst du nie ein off'nes Ohr mir gönnen?
Wird mein Urtheil nie in Gunst gestillt?
Wirst du mich, der dir nur Treue hält,
Als den Deinen liebend nie erkennen?

Ach umsonst soll diese Flamme brennen?
Nie von Freude wird mein Aug' erhellt?
Einsam soll ich pilgern durch die Welt?
Ewig mich von dir, o Ida, trennen?

Lange hab' ich, lang' umsonst gekämpft,
Dieser Liebe Bande zu zerreißen.
Sprich, wer kann Gewitter schweigen heißen,

Wer hat je des Sturmes Wuth gedämpft?
Soll ich mich von ihr, o Ida, trennen,
O, so gieb auch Kraft mir, dieß zu können!
(S. 89-90)


5.
Du gehst hinweg, und ahnest nicht einmal,
Welch tiefer Gram in meinem Herzen brütet,
Du kennest nicht, die schrecklich in mir wüthet,
Die schaudernde, verschmähter Liebe Qual.

Hinweg von mir, mich afft dein falscher Strahl,
O Hoffnung, die nur Elend mir gebietet!
Weg Träume beß'rer Zeiten, ihr verblühtet
Den Pflanzen gleich im abgestorb'nen Thal!

Mein ganzes Leben scheidet hin mit dir!
O, wenn im Jubel bräutlicher Gesänge
Ein Andrer vom Verhängniß dich erränge,

Dann laß die thränenwerthe Sorge mir,
Ob sich im finstern Winkel unsrer Erde
Mein wundes Herz einmal verbluten werde.
(S. 90)


6.
Es ist gescheh'n, die Anker sind gelichtet,
Ich stoße frei von dieser Circe Strand;
Den langen Zauber, der an Sie mich band,
Hat meines Lebens Genius vernichtet.

In euer Heiligthum, ihr Musen, flüchtet
Ein anderer Odysseus, der, verbannt
Durch Götterzorn vom heimathlichen Land,
Nach euerm Port die vollen Segel richtet!

Wie nach des Aethers segensvollem Licht
Der Flora Kinder ihre Häupter heben,
So weidet sehnend sich nach euch mein Leben.

Wenn jeder Anker meiner Hoffnung bricht,
Mit euch allein ist alles mir gegeben;
Verschmähet nur des Dulders Opfer nicht!
(S. 91)


7.
Oft schon hab' ich Ida's Dienst verschworen,
Wenn ich sah, wie mich ihr Blick vermied,
Oft, wenn ich aus ihrem Hause schied,
Nannt' ich unmuthsvoll mich einen Thoren.

Aber schnell ist Kraft und Muth verloren,
Wenn mit Huld auf mich ihr Auge sieht,
Und in süßer Wehmuth Flammen glüht
Mir das Herz, durch Hoffnung neu geboren.

Wenn des Morgens Purpur mich begrüßt,
Wähn' ich oft von Liebe mich entbunden;
Doch die kurze Freiheit ist verschwunden,

Eh' des Abends Gold in Westen fließt
Flög' ich selbst bis zu den goldnen Sternen,
Würd' ich diese Liebe nicht verlernen.
(S. 91-92)


8.
Wie wohl ist mir, wenn sie mir freundlich nickt
Dann könnt' ich Felsen-Bahnen, Berge tragen,
Durch Flammen geh'n, Alcidens Werke sagen,
Ein anderer Mensch, zu Himmlischen entzückt.

Wie weh' ist mir, wenn sie mir feindlich blickt!
Dann will alsbald ich an mir selbst verzagen,
Die Kraft ist fort, der Jugendmuth erschlagen,
Die Freude stirbt, mein Eden ist entrückt.

Was bist du, Liebe, für ein Ungeheuer,
Gleichst der Natur, die stets sich selbst entblättert,
Dem Phönix, der verbrennt in eignem Feuer!

Dein Schmerz ist Wollust, deine Wollust Schmerz,
Ein Blick von dir vernichtet und vergöttert,
Mit Tod und Leben spielt dein falsches Herz.
(S. 92-93)


9.
Welkend hing des Lebens Blume nieder,
Unter des Geschickes Sturm und Müh',
Und die nachtumhüllte Phantasie
Wagte kaum zu klagen ihr Gefieder.

Nun auf's neu belebt der Geist der Lieder
Mich durch allgewaltige Magie,
Und in meines Herzens Melodie
Tönen laut der Freud' Akkorde wieder.

Ist es Wahrheit, daß die Nacht entwich,
Die mit Rabenschatten mich umfangen?
Ist der Sehnsucht banger Schmerz vergangen?

Fühl' ich wieder froh und jugendlich?
Ist der Himmel meinen Wünschen offen?
Darf ich endlich Lieb' um Liebe hoffen?
(S. 93-94)


10.
Es ist kein Traum, der mich zum Gotte log,
Nie war der Sinne leichter Dienst mir treuer,
Noch schwebt um mich des Tages frohe Feier,
Wie ich mit ihr zum Reihentanze flog.

Es war kein Feenspiel, das mich betrog,
Ich fühle selig mich und athme freier,
Mir zeugt es noch dieß süße Zauberfeuer,
Das ich in's Herz, von ihr umschlungen, sog.

Die Welt hätt' unter mir versinken können,
Der Himmel über mir in Flammen brennen,
Ich wär' aus meiner Wonne nicht erwacht.

Nun schließe sich mein Aug' in Grabesnacht,
Nun mag der Tod des Lebens Bande trennen,
Bevor mich neuer Kummer elend macht.
(S. 94)


11.
"Des Lebens Fessel nimm, o Tod, mir ab,
Laß dieser Welt voll Thränen mich enteilen!
Was soll ich in dem falschen Leben weilen?
Wie wenig ist's, was mir das Schicksal gab?

Der Tugend bricht der ungetreue Stab,
Das Laster baut sich stolze Ehrensäulen,
Und Wunden bluten, welche niemals heilen,
Zur Freude führt der Weg nur durch das Grab."

So sank ich oft vor Schmerz in Unmuth nieder,
So hab' ich oft mein Schicksal angeklagt,
Doch seit der Hoffnung Morgen wieder tagt,

Erwacht die Lust in mir zum Leben wieder,
Ach, nur ein Blick, ein Händedruck von ihr
Schafft um zum Paradies die Erde mir.
(S. 95)


12.
Könnt' ich Lieder, wie Petrarka singen,
Werth des Kranzes der Unsterblichkeit,
Würd' ich alle, deinem Preis geweiht,
In des Ruhmes Sonnentempel bringen.

Und, wie Lauras Name, sollte dringen
Deines Lob's Gedächtniß weit und breit
Zu den Völkern, zu der fernsten Zeit,
Und im Enkelmunde sich verjüngen.

Zwar zu keiner solchen Höhe trug
Meinen Geist des Liedes kühnen Flug,
Dennoch hab' ein Denkmahl ich gegründet,

Dauernder als Marmor oder Erz,
Das dem Sturm der Zeiten trotzt, mein Herz,
Von der Liebe Götterflamm' entzündet.
(S. 95-96)

Aus: Gedichte von Neuffer
Erstes Bändchen Cabinets-Ausgabe
Hildburghausen u. New York
Druck und Verlag vom Bibliographischen Institut 1829
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Der abwesenden Gattin

Ich denke dein, sobald der erste Schimmer
Des jungen Tages Wald und Flur erhellt,
Und in mein einsam stilles Zimmer,
Und in mein waches Auge fällt,
Wenn Andacht mir im Herzen glühet,
Und meines Morgenopfers Flamm'
Empor zum Himmel ziehet.

Ich denke dein mit frommer Herzensfeier,
Vor deinem Bild, in süßem Selbstbetrug,
Und geb' in schöpferischem Feuer
Ihm Geist und Leben Zug vor Zug,
Ich wähne freudig dich mir näher,
Und ganz vertieft im Schauen schlägt
Die heiße Brust mir höher.

Ich denke dein, wenn mich in muntern Chören
Das Häuflein uns'rer Kinder froh umringt,
Ich wähne dich zu schau'n, zu hören,
Wo vielfach sich dein Bild verjüngt,
Doch wenn sie nach der Mutter fragen,
Laß ich des Wiedersehens Trost
In uns're Herzen tagen.

Ich denke dein, wohin mein Blick sich wendet,
Ich sehe deiner Hände süße Spur,
Was du geordnet und vollendet
Im Haus, wie in der Gartenflur,
An Zeichen, die mich rings umgeben,
Seh' ich, stets mahnend, deinen Geist
Mir nah und näher schweben.

Ich denke dein auf buntem Wiesenpfade,
Und auf des Eichenhügels freiem Haupt,
Am Steg, am schroffen Bachgestade,
Am Tisch, von Luxusgrün umlaubt,
An jedem Ort, auf allen Wegen,
Die wir getheilt mit frohem Sinn,
Schwebt mir dein Bild entgegen.

Ich denke dein, wenn sich die Sonne neiget,
Wenn mählig sich des Tages Auge schließt,
Wenn Dunkel aus den Thälern steiget,
Und Schlummer stärkend mich umfließt;
Wenn alle Sinnen mir vergehen,
Darf im Verklärungsschimmer dich,
Mein Seelenauge sehen.


Aus: Gedichte von Neuffer
Erstes Bändchen Cabinets-Ausgabe
Hildburghausen u. New York
Druck und Verlag vom Bibliographischen Institut 1829 (S. 116-118)

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Der Gattin zum Geburtstage

Das schönste Glück im rauhen Menschenleben,
Es ist das selt'ne Glück der Häuslichkeit,
Von allem, was der Himmel je verleiht,
Kann er uns nichts Verlangenswerthers geben.

Wenn rings sich auch des Schicksals Stürme heben,
Lebt man in froher Selbstgenügsamkeit,
Und, steht die ganze Welt in Krieg und Streit,
So kann man sich des Friedens Kränze weben.

Drum leg' ich an dem Tag, der Dich gebar,
Der heute freudevoll uns wiederkehrte,
Mein Opfer auf den häuslichen Altar.

Das Glück, das uns der Vorsicht Huld gewährte,
Ist mehr als Kronen und Provinzen werth.
Wohl dem, der's hat, und nach Verdienst es ehrt!


Aus: Gedichte von Neuffer
Erstes Bändchen Cabinets-Ausgabe
Hildburghausen u. New York
Druck und Verlag vom Bibliographischen Institut 1829 (S. 118)

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Schwanengesang

Der Frühling naht in heitern Lüften wieder,
Ihm jauchzt entzückt die bräutliche Natur,
Er streuet Blüthen auf die Bäume nieder,
Und Blumen auf die Flur.

Die Lämmer hüpfen fröhlich auf der Weide,
Im Erlenschatten singt die Nachtigall;
Von Thal und Hügel tönt der lauten Freude
Beseelter Wiederhall.

Doch dieses Herz, in trübem Gram versunken,
Ist abgestorben jeder Freud' und Lust,
Denn sterbend glimmt der letzte Lebensfunken
In meiner bangen Brust.

Mich faßt der furchtbar drohende Gedanke,
Wenn diese Blüthe welkt, bist du nicht mehr,
Entstellt und müde, wie ein Schatten, wanke
Ich in der Welt umher.

Mich überfällt des nahen Todes Grauen,
Mich schreckt die Luft, die schmeichelnd mich umfließt;
Schon ist der Baum zu meinem Sarg' gehauen,
Der meinen Staub verschließt.

Mich peinigt selbst der Schlaf mit neuen Qualen,
Mir zeigt der Traum das furchtbar off'ne Grab.
In jene Nacht, wo keine Sterne strahlen,
Reißt mich der Tod hinab.

Nun fahret wohl, ihr grünbelaubten Hügel,
Wo ich so oft in stillem Schatten saß,
Noch nicht umrauscht vom schwarzen Todesflügel,
Der falschen Welt vergaß.

Nun fahret wohl, ihr freundlichen Gewalten,
O Lieb' und Hoffnung, die mit sanfter Macht
So lange meinen Geist empor gehalten
In trüber Kummernacht.

Leb' wohl, du treues Weib! Die Götter wollen,
Mein sinkend Haupt, des Orkus Stimme ruft,
So früh muß ich die Schuld des Staubes zollen,
Dem strengen Bann der Gruft.

Gedenke mein, wenn lange schon vergessen
Mein Nam' erlischt am kalten Leichenstein!
O du, die ganz mein liebend Herz besessen,
Iduna, denke mein!

Vielleicht, daß auch noch unten bei den Todten
Erinn'rung lebt, und mein verlaß'ner Geist,
Bis über dich das Schicksal auch geboten,
Der strenge Styx umkreist.

Und ängstlich harret an dem öden Strande,
Bis wieder ihm dein holdes Bild erscheint,
Und uns'rer Liebe früh zerriß'ne Bande
Elysium vereint.

Aus: Gedichte von Neuffer
Erstes Bändchen Cabinets-Ausgabe
Hildburghausen u. New York
Druck und Verlag vom Bibliographischen Institut 1829 (S. 121-123)

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Der Abschied
Aus dem Arabischen des Abu Mohammed

Welch ungewohnte Flammen schossen
In meinen Blick, als ich am Strand,
Gerufen von den Schiffsgenossen,
Noch bang und zögernd bey Ihr stand!

Zum Abschied hub Sie sich, die Holde,
Es war gestammelt, was Sie sprach;
Sie wankte matt im Morgengolde,
Sie taumelte mir schluchzend nach.

Von naher Trennung tief erschüttert,
Versagten Wort' und Reden Ihr,
Und wie der Wind am Zweige zittert,
So bebte weinend Sie an mir.

Sie küßte mich mit bangem Stöhnen,
Und rief, den trüben Blick gewandt,
Und händeringend, unter Thränen:
"Ach, hätt' ich dich doch nie gekannt!"

Aus: Gedichte von Neuffer
Zweites Bändchen Cabinets-Ausgabe
Hildburghausen u. New York
Druck und Verlag vom Bibliographischen Institut 1829 (S. 40)

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Emma an Hilmar

Stets, o Hilmar, fließen meine Thränen,
Um die schnell entschwund'ne Rosenzeit.
Ach, mein Herz, es kann sich nicht gewöhnen
An die stille, leere Einsamkeit.
Du, nur du bist ewig mein Gedanke,
Dich nur seh' ich wachend und im Traum,
Dich umfaß' ich, wie den Stab die Ranke,
Ohne dich empfind' und leb' ich kaum.

O, vermöcht' ich's, stündlich dir zu sagen,
Wie du Alles deiner Emma bist!
Könnten's diese Winde zu dir tragen,
Dieser West, der mir die Lippen küßt!
Könnten alle Blätter dir es rauschen,
Jedes Bächleins Well' auf deiner Flur,
Könntest du es fühlen und erlauschen
In den Stimmen allen der Natur.

Meiner Freude Stunden sind vorüber,
Nur am Schatten weidet sich mein Herz,
Meiner Hoffnung Sterne werden trüber,
Furcht verbittert noch der Trennung Schmerz.
Keinen Brautkranz hab' ich mir erworben,
Kein Altar noch heiligt unsern Schwur,
Oed' ist mir die Welt und ausgestorben,
Und verweht ist jedes Frohsinns Spur.

Kehre bald, Geliebter, denn es ziehen
Wetterwolken auf in schwüler Luft!
Komm, bevor die Myrten uns verblühen,
Komm, und schütze, deine Emma ruft!
Neid und Haß ist gegen uns verschworen,
Deine Feinde stehen wider dich.
Komm, zur Hülf' und Rettung mir erkoren,
Hilmar komm, entreiß dem Grabe mich!

Aus: Gedichte von Neuffer
Zweites Bändchen Cabinets-Ausgabe
Hildburghausen u. New York
Druck und Verlag vom Bibliographischen Institut 1829 (S. 48-49)

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Das Wiedersehen
Hilmar an Emma

Ja, ich hab' es gefühlt in allen Tiefen der Seele,
Daß die Freude noch nicht ganz von der Erde verschwand,
Daß in Empfindungen sie der wieder vereinigten Liebe
Strömend noch in die Brust ihrer Erwählten sich gießt!
Ja, ich hab' es gefühlt in der überseligen Stunde,
Als ich nach Trennung und Schmerz, Emma, am Halse dir hing!
Zitternd, als hätten wir uns Jahrhunderte lang nicht gesehen,
Und als trennten uns Jahrhunderte wieder, so flog,
Emma, so flog ich dir in süßer Verwirrung entgegen,
Und wie ein Göttertraum fiel es vom Himmel auf mich.
Emma, wie war mir, als jetzt, in sel'ger Wiederumarmung
Sympathetisch mein Herz nahe dem deinigen schlug!
Sturm durchfuhr mein Gemüth, ich taumelte wie ein Betrunkner,
Jede Besinnung entschwand, ringsum verging mir die Welt,
Bis mir aus langer Betäubung besonnene Freude zurückkam,
Und ich, meiner bewußt, ruhiger fühlte mein Glück.
Was empfanden wir nicht, wie besprachen sich unsere Herzen,
Trotz dem verstummenden Mund, durch den beredteren Blick!
Unsre Gedanken erklärten sich nicht in langsamen Worten,
Unsern Empfindungen war jegliche Sprache zu arm;
Dennoch verstanden wir uns. Das sagte die innige Freude,
Die wie des Morgenlichts purpurner Glanz uns umfloß,
Das die eilende Zeit, die unbemerkt mit der Schnelle
Eines zuckenden Strahls, eines Gedanken entfloh.
Selig waren wir, selig! Die Schmerzen der Liebe versanken
In den verschlingenden Schooß tiefer Vergessenheit uns.
Nicht des Vergangenen mehr und nicht des Künftigen denkend,
Schlürften des Augenblicks schäumenden Becher wir ganz,
Bis die neidische Sonn' am Abendhimmel hinabsank,
Und dich die kommende Nacht meiner Umarmung entriß.

Aus: Gedichte von Neuffer
Zweites Bändchen Cabinets-Ausgabe
Hildburghausen u. New York
Druck und Verlag vom Bibliographischen Institut 1829 (S. 50-51)

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An Iduna

Laß mir den Trost, von dir geliebt zu seyn,
Du wirst mir neuen Lebensmuth gewähren,
Wirst mir des Kummers lange Nacht verklären
Durch deines Auges heitern Sonnenschein.

Zur schwersten Pflicht wirst du mir Kräfte leih'n,
Mich wandeln auf dem Pfad des Ruhmes lehren,
Dem Schönen und dem Guten Treue schwören,
Mich freudig jeder großen Tugend weih'n.

Vereint mit dir eil' ich auf Rosenwegen
Dem höchsten Ziel der Menschenwürd' entgegen,
Geleitet von der Liebe sanftem Ruf.

Vereint mit dir werd' ich in's Geisterleben
Einst über Zeit und Grab zu dem entschweben,
Der unsre Herzen für einander schuf.

Aus: Gedichte von Neuffer
Zweites Bändchen Cabinets-Ausgabe
Hildburghausen u. New York
Druck und Verlag vom Bibliographischen Institut 1829 (S. 55)

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Beim Jahreswechsel

Welch Opfer kann ich dir, Iduna, weih'n,
Und welch Gelübde soll zur Leier tönen?
Mit welchem Kranz kann ich das Haupt dir krönen,
Mit welcher Gabe dein Gemüth erfreu'n?

Ich möchte selbst des Schicksals Lenker seyn,
Dann sollte mir die ganze Erde fröhnen,
Das Leben dir elysisch zu verschönen,
Und jeden Glanz des Glückes zu verleih'n.

Was ich besitze, hab' ich längst gegeben,
Mein ganzes Herz, getreu und ungetheilt,
Mit meiner Liebe schenk' ich dir mein Leben.

Die Stunden flieh'n, die rasche Zeit enteilt,
Und jedes Glück der Welt stürzt in Ruinen,
Der Liebe Palmen sieht man ewig grünen.

Aus: Gedichte von Neuffer
Zweites Bändchen Cabinets-Ausgabe
Hildburghausen u. New York
Druck und Verlag vom Bibliographischen Institut 1829 (S. 56)

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An die Unbekannte

Wo such' ich dich, o du, die meinem Herzen
Ein Gott erkor?
Wo finden meine Klagen, meine Schmerzen
Dein lauschend Ohr?

Wann wird der Lieb' unendliches Verlangen
Durch dich gestillt?
Wann wird mein Auge freudeweinend hangen
An deinem Bild?

In welchem Thal, auf welchen schönen Pfaden
Blühst du heran?
Ihr Nymphen! sagt, ihr gütigen Dryaden!
Den Ort mir an.

Und hielten wilde Ströhm' und Felsenhügel
Sie fern von mir;
Die Liebe trüg' auf raschgeschwung'nem Flügel
Mich schnell zu ihr.

Und rauscht' um sie mit hochgeschwellten Wogen
Der Ocean;
Ich dräng' hindurch, von Sehnsucht fortgezogen,
Auf leckem Kahn.

Auf ihrer Zauberinsel müßt' ich landen;
Und drohte dort
Mir Syrt' und Sturm, und müßt' ich hilflos stranden
Am nahen Port.

Und kämpften Minotauren mir entgegen
Mit Schwerdt und Speer;
Siegprangend in der Liebe Allvermögen
Zög' ich einher,

Und fände sie, von Staunen hingerissen,
Im Myrtenhain,
Und schlürft' in langen, seelenvollen Küssen
Den Himmel ein. -

Doch, armes Herz! vergessen, ach, vergessen
Mußt du vielleicht
Ein Glück, das dir kein Gott noch zugemessen,
Von Fleh'n erweicht.

Ich muß der Sehnsucht heiße Flammen nähren
Mit stummem Schmerz;
Noch immer muß sein schönstes Loos entbehren
Mein darbend Herz.

Ich muß beglückter Liebe Freuden sehen,
Nur ich allein
Soll unter Menschen, die mich nicht verstehen,
Ein Fremdling seyn.

Der Liebe Seufzer ziehen einsam wieder
In mich zurück;
Und lastend beugt mein Haupt zur Erde nieder
Das Mißgeschick.

Hinunter zu den Todten will ich fahren;
Was soll ich hier?
Vielleicht schlägt bey den Schatten, die einst waren,
Ein Herz noch mir!

Vielleicht daß einst mir erst am Lethestrande
Das Bild erscheint,
Nach dem umsonst im heitern Lebenslande
Mein Auge weint.

Aus: Gedichte von Christian Ludwig Neuffer
Stuttgart bei J. F. Steinkopf 1805 (S. 183-185)

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An Ida

Wo nehm' ich, dir zu danken,
Die kühne Sprache her?
Im Ungestüm der Wonne
Find' ich mich selbst nicht mehr.
Der Sturm hat ausgewittert,
Der mir von fern gedroht;
Am heitern Himmel fluthet
Der Liebe Morgenroth.

Der schönste meiner Wünsche
War Sehnsucht nach dem Grab,
Bevor zu Lieb' und Treue
Dein Herz sich mir ergab.
Ach, jede Freud' auf Erden
Trug meiner Wehmuth Flor.
Nun hebt sich aus dem Staube
Mein mattes Haupt empor.

Dein Blick, der unter Thränen
Verhalt'ner Liebe brach,
Macht' alle Lustgefühle
In meinem Herzen wach.
Ich drückt' auf deine Lippen
Den ersten, langen Kuß,
Und wähnte zu vergehen
In schweigendem Genuß.

Mein Dank, in Lust verlohren,
Fand nicht ein leises Wort,
So heftig rieß die Wonne
Mit stolzer Kraft mich fort.
Wann Herz und Seele reden,
Verstummt der trunkne Mund;
Das Feldgeschrey der Liebe
Wird nur durch Seufzer kund.

Ich ruhte, wie versunken
In eines Sehers Traum,
Dann schwebt' ich, wie entkörpert,
Hoch über Zeit und Raum.
Unendlichkeit umstrahlte
Im lichten Aether mich.
Mein Wesen war zerstoßen
In Ein Gefühl für dich.

Das war kein Spiel der Sinne,
Kein Bild der Phantasie,
Das mächtig uns bezaubert
Mit täuschender Magie.
Ich fühle mich ins Leben,
Wie Helden zu der Schlacht,
Ins stürmevolle Leben
Mit neuem Muth erwacht.

Aus: Gedichte von Christian Ludwig Neuffer
Stuttgart bei J. F. Steinkopf 1805 (S. 192-194)

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Trauer um die Entfernte

Sie ist entfloh'n; mein weinend Auge findet
Sie rings nicht mehr, des Herzens Königinn.
Ich bin nicht mehr ich selbst; mein Leben schwindet
In banger Trauer hin.

Als wär' ein Theil von meinem Geist geschieden,
So treib' ich rastlossehnend mich umher;
In stummem Harme lechzt mein Herz nach Frieden,
Und findet ihn nicht mehr.

An jenem Baum, der auf die Quelle schattet,
Wo ich im Abendglanz mit Ida stand,
Dort werf' ich oft, von Klagen abgemattet,
Mich auf den Blumenrand.

Im Eichenhain, wo jene Thränenweide,
Bey der sie saß, auf freyem Plane steht,
Dort sinn' ich oft, warum des Menschen Freude
Wie fallend Laub vergeht.

Oft seh' ich dort der Wolken hohem Zuge
Bekümmert nach, die ihr entgegen zieh'n,
Und wünsche mit der Vögel raschem Fluge
Zur Holden hinzuflieh'n.

Dann seufz' ich laut, und helle Tropfen beben
Im Auge mir, umhüllt vom Thränenflor,
Und aus der Zukunft dunkler Halle schweben
Mir Nachtgestalten vor.

Aus: Gedichte von Christian Ludwig Neuffer
Stuttgart bei J. F. Steinkopf 1805 (S. 195-196)

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Liebeswonne

Mit Frohlocken will ich wallen
Durch das Leben bis ins Grab.
Meiner Freude Blüthen fallen
Nicht in wilden Stürmen ab.
Selig schwelg' ich in den Träumen,
Die mein Geist so warm umschlang;
Ida führt zu lichten Räumen
Mich vom nahen Untergang.

Jeder alte Kummer schwindet,
Wie ein trübes Meteor;
Idas Mund hat mir verkündet,
Daß ich nie ihr Herz verlor.
Keine Sorge soll verbittern
Diese göttergleiche Lust,
Denn, gleich Felsen in Gewittern,
Stehet ihre treue Brust.

Mir verlieh Natur, was vielen
Sie versagt, ein zartes Herz,
Gleichempfänglich den Gefühlen
Des Entzückens, wie dem Schmerz:
Doch nun hat sie mich erlesen,
Ohne Harm und Seelenpein,
Vor so vielen tausend Wesen
Glücklich durch mein Herz zu seyn.

Still und ruhig darf ich wähnen,
Daß, von jeder Kränkung frey,
Ich am Ziele meiner Thränen
Und der langen Sehnsucht sey.
Wonnestrahlender und milder,
Als des ersten Kusses Glück,
Kehren neue Freudenbilder
Durch Versöhnung mir zurück.

Wenn die Herzen sich verstehen,
Ruht der Argwohnsvolle Wahn,
Und es facht mit leisem Wehen
Sich zur Glut der Funken an.
Schimmernd in erhöhtem Lichte
Kennt die Treue ihren Lohn,
Und erblickt die goldnen Früchte
Ihrer schönen Hoffnung schon.

Froh das Haupt empor gerichtet
In der Liebe mildem Strahl,
Hab' ich jeden Zwist vernichtet,
Idas Mißtrau'ns bittre Qual.
Obgesiegt hab' ich dem Neide,
Der, von schnöder Wuth entbrannt,
Aus dem Himmel meiner Freude
Mich durch Schmähung weggebannt.

Ohne Vorwurf, ohne Sünde
Theilen wir die reinste Lust.
Gegen alle Höllenschlünde
Stählen wir die veste Brust.
Was der Jahre Lauf zertrümmert,
Was der Flug der Zeiten raubt,
Ist nicht Liebe, denn es schimmert
Ewigjung ihr göttlich Haupt.

Was der Tod auch trenn' und löse,
Wahre Liebe stirbt nicht ab;
Sie, durch die ich jetzt genese,
Sie besieget Zeit und Grab.
Rein ist, wo sie wohnt, der Aether,
Keiner Lästrung Schlange zischt;
Abscheu lohnet dem Verräther,
Der in unsern Bund sich mischt.


Aus: Gedichte von Christian Ludwig Neuffer
Stuttgart bei J. F. Steinkopf 1805 (S. 212-214)

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An Idas Krankenbette

Dieß ist heiliges Land! Hier ring' ich nach Trost und Ergebung,
Und mein kämpfendes Herz fleht um Erbarmung zu Gott.
Ida schlummert! das sterbende Licht der verglimmenden Lampe
Wirft gebrochenen Schein ihr auf das blaße Gesicht.
Ida schlummert! Ein Traum vom seligen Leben der Engel
Schwebt in verklärter Gestalt ihr vor dem ahnenden Geist.
Ida schlummert! Sie wird bald schlummern im Schooße der Erde,
Und ich bleibe zurück über dem trennenden Grab.
Ida schlummert! Sie wird zum ewigen Leben erwachen,
Wenn noch lange mein Fuß unter Cypressen verweilt.

Ida schlummert! Sie hat gelebt, ist würdig des bessern
Lebens! Die Täuschung sinkt! Ewiger Frühling entblüht!
Ida schlummert! Sie athmet kaum! Hier schweigt, wie der Eintritt
In die geistige Welt, feierlich alles um mich.
Dieß ist heiliges Land! Hier bring' ich als Opfer der Gottheit
Meine Hoffnung zurück, die sie in Ida mir gab.

Aus: Gedichte von Christian Ludwig Neuffer
Stuttgart bei J. F. Steinkopf 1805 (S. 215-216)

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Lindamor an Cölinen

Wo ist die Macht, Cöline, die gebieten
Des Herzens stiller Neigung kann?
Die Flammen, die in meinem Busen wüthen,
Sind sie Verboten unterthan?

Wer kann des Strohmes stolze Fluthen hemmen,
Wenn sie mit wildem Sturz daher
Sich wälzen und die Felder überschwemmen,
Gleich einem ausgetret'nen Meer?

Wer hält den Sturm, wenn er auf schwarzen Flügeln
Durch bebende Gefilde fährt?
Wer kann den Lauf des schnellen Blitzes zügeln,
Wenn sich die Wetterwolk' entleert?

Die Sonne leuchtet, Wasserwogen rauschen,
Des Himmels Ring ist vielgestirnt,
Und Herzen wird die Lieb' um Herzen tauschen,
Ob ihr deß froh seyd oder zürnt.

Ob deine Wächter dich in Bande schlagen,
Ob dich ein Thurm von Erz umschleußt;
Der Wind wird meine Seufzer zu dir tragen,
Und dich umschweben wird mein Geist.

Ob sie in öde Wüsten dich verbannen;
Dich feßle schwerer Eide Pflicht;
Vor mir verbergen können die Tyrannen
Im fernsten Theil der Welt dich nicht.

Ich hohlte dich aus Cretas Irrgewinde,
Auf Schlangen wandelte mein Fuß;
Ich dräng' ein andrer Orpheus in die Schlünde
Des nachtbedeckten Erebus.

Ja, wenn ein Dolch sich in das Herz mir grübe,
Mein Leben rauben könnt' er nur,
Doch nie vertilgen diese Flammenliebe,
Die ich so treu dir hielt als schwur.

Laß, o Cöline, dein Vertrau'n nicht wanken,
Der Sieg begleitet meinen Pfad.
Ich trete muthig in des Kampfes Schranken,
Und deiner Rettung Stunde naht.

Doch wenn du selbst von mir dich loszuwinden,
Zu meinen Feinden übergehst;
Wenn dich die Bande meines Schwurs nicht binden,
Den keine Ewigkeit mehr löst;

Wenn ich mein hartes Schicksal nie ermüde,
Und dir nicht heilig ist dein Wort:
So treibe mich die wilde Eumenide
Durch Land und Meer verfolgend fort;

Dann mag verströhmen mein gehaßtes Leben,
Dann sinke mir die Sonn' in Nacht,
Dann mag mich neunfach mit dem Styx umweben
Des Orkus grauenvolle Macht,

Dort, wo umsonst die bodenlosen Fässer
Der Danaiden Strafe füllt,
Und Tantalus im fliehenden Gewässer
Den brennendheißen Durst nicht stillt.


Aus: Gedichte von Christian Ludwig Neuffer
Stuttgart bei J. F. Steinkopf 1805 (S. 217-219)

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Klagen des Getrennten
An Iduna

Der Freude Bilder lachen
Auf neubelebter Flur
Beym herrlichen Erwachen
Der schlummernden Natur;
Doch, nun dem schönsten Triebe
Sich alle Herzen weih'n,
Bin ich mit meiner Liebe
Verlassen und allein.

Ach, rings auf jeder Stelle,
Wo ich mit dir geweilt,
Dort, wo des Thälchens Quelle
Durch Blumenmatten eilt,
Und wo mich ernste Schauer
Umweh'n im Tannenhain,
Bin ich mit meiner Trauer
Verlassen und allein.

In jenen Abendstunden,
Wo ich die liebste Rast
In deinem Arm gefunden
Nach schwüler Tageslast,
Wo dir mein Herz geschlagen
Im seligsten Verein,
Bin ich mit meinen Klagen
Verlassen und allein.

Im fluthenden Gewimmel,
Wo rings nun früh und spät
Sich unter freyem Himmel
Das junge Volk ergeht,
Bey ihren muntern Scherzen,
In ihren frohen Reih'n,
Bin ich mit meinem Herzen
Verlassen und allein.

Wenn bey der Thoren Spiele,
Beym Glück der Hinterlist
In traurige Gefühle
Mein kämpfend Herz zerfließt,
Bey all den Wehmuthsscenen,
Die sich so oft erneu'n,
Bin ich mit meinen Thränen
Verlassen und allein.

Wie lange sucht vergebens
Dich noch mein düst'rer Blick?
Die Sonne meines Lebens
Kehrt erst mit dir zurück.
Auf allen meinen Pfaden
Erlischt der milde Schein.
Ich bin, mit Gram beladen,
Verlassen und allein.

Aus: Gedichte von Christian Ludwig Neuffer
Stuttgart bei J. F. Steinkopf 1805 (S. 221-223)

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An Iduna
Aus der Entfernung

Der Sehnsucht Fittig hebet
In meinem Busen sich,
Und meine Seele schwebet
Mit leisem Flug um dich.
Allmächtig fortgezogen
Vertausch' ich meinen Ort,
Und wie auf Zauberwogen
Führt mich die Liebe fort.

Ich seh am kleinen Tische
Dein Werk dich freundlich thun,
Und im Jasmingebüsche
Der Gartenlaube ruh'n;
Ich nahe freudetrunken,
Und, sanft an deine Brust,
In deinen Arm gesunken,
Empfind' ich Götterlust.

Wir gehen durch die Erlen
Der buntbelaubten Au,
Wenn Gras und Saaten perlen
Vom frischen Morgenthau.
Bey linder Weste Wehen
Geh'n wir durchs Wiesenthal,
Und auf die Tannenhöhen,
Im Abendsonnenstrahl.

Im dunkeln Lindengange
Ruh'n wir am Murmelbach,
Und keiner Lästrung Schlange
Schleicht meiner Freude nach,
Wenn hold und allvermögend
Auf mich dein Auge sieht;
Und rings die ganze Gegend
Durch dich verschönert blüht.

Den Nachtigallen lauschend
Mit liebevollem Sinn,
Und Herz und Seele tauschend,
Flieht schnell die Zeit uns hin,
Bis leis herabgeflogen
Nach Haus uns ruft die Nacht,
Und an dem Himmelsbogen
Das Sternenheer erwacht.

Doch wehe mir, es schwindet
Das süße Traumgesicht;
Mein Auge sucht und findet,
Mein Arm erreicht dich nicht.
Dich trennen ferne Hügel,
Und fern ist noch mein Glück.
Gib deiner Liebe Flügel,
Und kehre bald zurück.


Aus: Gedichte von Christian Ludwig Neuffer
Stuttgart bei J. F. Steinkopf 1805 (S. 224-226)

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An Iduna

Von jedem Harm der Zeit entbunden,
Froh, wie ein Gott, umarm' ich dich.
Seit ich, Iduna! dich gefunden,
Begrüßt ein schöner Leben mich.
Vorüber sind die wilden Stürme,
Beruhigt ist der Ocean;
In deiner Unschuld treuem Schirme
Kann kein Gewitter mir sich nahn.

Es leuchten mir geneigte Sterne,
Zerrissen ist der Wolkenflor,
Und in der Näh' und in der Ferne
Umspielt mich neuer Freuden Chor.
Dich liebt der Himmel; darum wehen
Nun gute Winde meinem Lauf,
Und in des Herzens Schooße gehen
Mir froher Hoffnung Blüthen auf.

Und nahe schon am Hafen gleitet
Auf glatten Wogen unser Kahn;
Der Gott, der freundlich uns geleitet,
Wird auch vollenden unsre Bahn.
Schon winkt das sichere Gestade,
Wo der Altar der Treue steht,
Und wo auf blumenvollem Pfade
Die Liebe mit der Freude geht.

Dort fließt der Aether leicht und helle,
Dort ist des Kummers Nacht zerstreut,
Dort trinkt man an geweihter Quelle
Des langen Grams Vergessenheit.
Umtönt von süssen Melodieen,
Umstrahlt von einem reinern Licht,
Empfinden wir der Erde Mühen,
Den raschen Flug der Jahre nicht.

Ein doppelt Leben wird uns Beyden
Im Umtausch unsrer Herzen blüh'n;
Ich werde dir, du mir die Freuden
Der reinsten, treusten Brust erzieh'n;
Ich Liebe nehmend, Liebe gebend,
Du meine Welt, mein Alles mir,
Und Jedes nur im Andern lebend,
Sind wir genug uns für und für.


Aus: Gedichte von Christian Ludwig Neuffer
Stuttgart bei J. F. Steinkopf 1805 (S. 227-228)

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Nachtphantasie an Iduna

Vom heitern Himmel sinket
Die stille Sommernacht,
Und Lunens Fackel blinket
In strahlenreicher Pracht;
Der Dämmrung Flor umschwebet
Die abgekühlte Flur,
Und tiefe Stille webet
Im Schooße der Natur.

Nun hebt der Geist sich freyer
In seiner eignen Welt,
Nun wird von höher'm Feuer
Der innre Sinn erhellt,
In schöner'm Reiz entfalten
Sich nun vor meinem Blick
Der Phantasie Gestalten,
Und meiner Hoffnung Glück.

Ich sehe nun die Eine,
Die sich mein Herz erwählt,
Im seligsten Vereine
Der Liebe mir vermählt;
Ich sehe nun entschleiert
Die Zukunft, sehe schon
Mit hoher Lust gefeiert
Der Treue süssen Lohn.

Sey, wer da will, geehret,
Und reichbegabt vom Glück;
Wird sie nur mir gewähret
Vom gütigen Geschick:
Dann will ich nichts mehr hoffen,
Nichts fleh'n und wünschen mir;
Mir ist der Himmel offen,
Die Welt ist mein mit ihr.

Aus: Gedichte von Christian Ludwig Neuffer
Stuttgart bei J. F. Steinkopf 1805 (S. 230-231)

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Abendgenuß im Frühling
An Iduna

In deiner Jugend herrlichen Blüthe, sey
In deiner Schönheit prächtigem Schmuck gegrüßt,
Mit fesselloser Brust und frohen,
Festlichen Liedern, du holder Frühling!

Du Lieblingskind der Mutter Natur! Zerstreut
Sind alle Wolken; lächelnd und heiter wallt
Der blaue Aether, und der Sonne
Flammendes Auge durchwärmt die Lüfte.

Ein grüner Teppich breitet im Felde sich
Mit bunten Farben lebend und schimmernd aus;
Die Bäume senken dichtbelaubte
Aeste zur Erde mit weißen Blüthen;

Vertraute Dämm'rung webt in dem Eichenwald;
Die Tanne düftet würzigen Wohlgeruch;
Die Rebe schlingt um die erhöhten
Stäbe den zärtlichen Arm mit Liebe;

Der muntre Hirt treibt singend die Heerden heim;
Die Schaafe blöcken weidend am Hügelsteg,
Das Lustgebrüll der muntern Stiere
Schallt in dem Thal und der Rosse Wiehern;

Die Lerche steigt süßtrillernd zum Himmel auf;
Im dunkeln Schatten flötet die Nachtigall.
Wohin mein Ohr, mein Auge reichet,
Lebet und webt die Natur in ihren

Erfreuten Kindern herrlich und neuverjüngt.
Von hoher Wonne schlägt mir das volle Herz;
Der Lebensströhme reges Rauschen
Weckt mir das tiefste Gefühl im Busen.

Hier will ich weilen unter dem Laubgewölb
Des zweigeschweren, schattenden Apfelbaums;
Auf diesem Hügel mein entzücktes
Aug' an der prächtigen Gegend weiden,

Die weitumher mit fruchtbarn Gefilden, mit
Volkreichen Dörfern, schimmernden Städten, mit
Dem schönen See, und fern im Grunde
Sich mit dem blauen Gebirg eröffnet.

Hier will ich noch die Abendbeleuchtung seh'n,
Der hohen Sonne freundlichen Scheideblick,
Bis stiller nun die Welt und stiller
Sinkt in den nächtlichen Arm des Schlummers,

Und, sanft umweht vom Flügel der Liebe, dein,
Iduna! dein du himmlische Seele, die
Mir ferne weilt und doch so nahe,
Süßer Erinnerung voll gedenken,

Und ahnend mich der festlichen Stunde freu'n,
Wo ich, von deinen Armen umschlungen, bald
Den Frühling schöner blühen sehe,
Prangend im Kranze beglückter Liebe.

Aus: Gedichte von Christian Ludwig Neuffer
Stuttgart bei J. F. Steinkopf 1805 (S. 232-234)

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Frauenlob

Wie selig, wer ein Weib gewann,
An Herz und Sitte rein!
Wie kann der hochbeglückte Mann
Sich seines Lebens freu'n!

Die Holde, die sich ihm ergab,
Theilt zärtlich Freud' und Schmerz,
Und weiht getreu ihm bis zum Grab
Ihr liebevolles Herz.

Wenn ihm des Amtes Ueberdruss
Die volle Brust empört,
So wird durch ihren Blick und Kuss
Dem innern Sturm gewehrt.

Wenn Noth und Drang der trüben Zeit
Mit Angst das Herz ihm füllt,
So wird durch ihre Freundlichkeit
Die Sorge bald gestillt.

Sie läßt ihm auf bedorntem Pfad
Des Trostes Blum' erblüh'n.
Ihr frommes Wort, ihr milder Rath
Macht jeden Unmuth flieh'n.

An ihrer Brust, in ihrem Arm
Versöhnt sie ihm die Welt.
Verschwunden ist des Lebens Harm,
Des Kummers Nacht erhellt.

Von ihr wird sein beglücktes Haus
Mit weisem Geist regiert.
Mit Freude geht man ein und aus,
Wo sie die Wirthschaft führt.

Durch Reinlichkeit und muntern Fleiss
Lacht alles um und um.
Des Gatten Wohlstand ist ihr Preis,
Sein guter Nam' ihr Ruhm.

Durch Lieb' und Huld wird sein Gefühl
Für jede Pflicht erweicht,
Und jedes Werk wird ihm ein Spiel,
Und jede Bürde leicht.

Und nicht im Taumel wilder Lust,
Nicht in bacchant'schen Reih'n,
In seinem Haus, in seiner Brust
Sucht er die Freud' allein.

Drum, wer ein edles Weib gewann,
An Herz und Sitte rein,
Wie kann der hochbeglückte Mann
Sich seines Lebens freu'n!

Aus: Auserlesene lyrische Gedichte von C. L. Neuffer
Tübingen gedruckt und verlegt bey Hopfer de l'Orme 1816 (S. 90-92)

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Frühe Liebe

Ergib zu früher Liebe nicht dein Herz,
Sie möchte dich durch losen Tand bethören,
Und, statt erharrter Freuden, langen Schmerz,
Statt junger Rosen, Dornen dir bescheeren.

Sie lässt in absichtloser Schwärmerey
Der bessern Triebe Feuergluth verrauchen,
Und stimmt zu kränkelnder Empfindeley
Den Muth, den wir zum ernsten Leben brauchen.

Sie überreizt des Jünglings Kraftgefühl,
Und füttert seinen Geist mit Feenträumen;
Sie rückt hinweg des edlern Strebens Ziel,
Und baut ihr Glück in hohlen Wolkenträumen.

Aus: Auserlesene lyrische Gedichte von C. L. Neuffer
Tübingen gedruckt und verlegt bey Hopfer de l'Orme 1816 (S. 159)

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Die Liebe

Muse, von des Pindus Höhen,
Wo die Dichtung sinnend ruht,
Lass in meine Seele wehen
Der Begeistrung heil'ge Gluth!
Zeig' in hohen Seherträumen
Jene allmachtvolle Hand,
Die in allen Weltenräumen
Leben schuf und Eintracht band.

Tief im Abgrund, leer und grauend,
Rollten Ewigkeiten hin.
Einsam, nur sich selbst beschauend,
Wohnte Gott im Urbeginn,
Bis aus seinem Glanz und Wesen
Wunderbar die Liebe ging,
Und, zur Schöpferinn erlesen,
Preis und Macht von ihm empfing.

Denn mit Jugendkraft verlassen
Hatte sie den Vater kaum,
Sieh, da regten sich die Massen
Schon im leblos finstern Raum.
Auf die öde Tiefe schwebte
Allbefruchtend sie hinab,
Und durch ihren Hauch belebte
Sich das ungeheure Grab.

Zwar in ungemess'nen Weiten,
Wo das Chaos harrend schwieg,
Schlug sich erst nach allen Seiten
Roher Kräfte wilder Krieg;
Doch sobald der Zwist geschlichtet
Durch ihr stilles Wirken war,
Stellte, göttlich aufgerichtet,
Schönheit sich und Ordnung dar.

Denn die Elemente theilten
Ihre strengbegrenzte Macht.
Durch des Lichtes Strahl enteilten
Alle Grau'n der alten Nacht.
Seine stolze Fluth bewegte
Frei und Fessellos das Meer.
Um den schweren Erdkreis legte
Sich die Luft zerfliessend her.

In des Himmels tiefsten Fernen
Zündeten sich Sonnen an,
Und ein Heer von Folgesternen
Flocht um sie die Strahlenbahn.
Wie sie rollen und entgleiten,
Ordnungsvoll doch wandelbar,
Kommen und vergehn die Zeiten,
Bildet sich der Tag, das Jahr.

Aber in die Sonnenkreise,
Die der Zwang bewegt und hält,
Schuf die Göttinn mild und weise
Eine freie Geisterwelt,
Wo sie, ewig, unvergänglich,
Sich dem innern Sinn enthüllt,
Und den Treuen überschwenglich
Jeden frommen Dienst vergilt.

Wo, verhöhnend jede Schranke,
Eignen Weg der Wille geht,
Und der waltende Gedanke
Auf umstrahlter Höhe steht,
Wo mit jedem Lustgefühle
Freundlich der Begriff sich paart,
Und zu einem höhern Ziele
Jede Kraft sich übt und spart.

Wo das Herz ihr huld'gend schläget,
Voll von ihrer Sympathie;
Wo der Geist erkennt und wäget
Ihrer Welten Harmonie;
Wo vor ihren Wundern trunken
Die Betrachtung sinnt und schweigt,
Und in Andacht hingesunken
Sich vor ihrer Grösse beugt;

Wo nach ihrem Strahlenmeere
Nie gestillte Sehnsucht schaut;
Wo die Ehrfurcht Hochaltäre,
Und der Dank ihr Tempel baut;
Wo in himmlischen Naturen
Tausendfach sie sich verjüngt,
Und auf überirdschen Fluren
Ihres Ruhmes Preis erklingt.

Aber auch den Kreis der Erde
Hat sie sich zum Lob erwählt,
Dass der Mensch entsteh' und werde,
Ihren Hauch dem Staub vermählt,
Hat nach einem Götterbilde
Hoch und hehr den Mann erbaut,
Und die reichen Erdgefilde
Seiner Herrschaft anvertraut.

Doch sich selber darzustellen
Schuf sie freudenvoll das Weib,
Und der Schönheit sanfte Wellen
Flossen um den zarten Leib;
Ihre Hoheit, ihre Milde,
Ihren reinen Himmelssinn
Gab sie mit dem eignen Bilde
Der geliebten Tochter hin.

Und dem wonnevollen Gatten
Brachte sie das theure Pfand;
Unter stillen Myrtenschatten
Knüpfte sie das erste Band.
Starke Söhne, zarte Töchter
Füllte bald das neue Haus,
Und es breiten Nachgeschlechter
Sich in tausend Zweigen aus.

Und noch immer wohnt und waltet
Unter ihren Kindern sie;
Ewig wirkt und unveraltet
Das Gesetz der Harmonie,
Wirkt in zarten Blüthenkeimen,
Im Gedüft der Frühlingsau,
Wie in fernen Weltenräumen,
Wirkt in Sonnen wie im Thau.

Sie belebt mit ihrem Hauche
Alle Reiche der Natur.
Rosen glüh'n am Dornenstrauche,
Palmen blüh'n auf sand'ger Flur.
Und durch reger Kräfte Weben
Stirbt kein Wurm, kein fallend Laub;
Neue Bildung, neues Leben
Schwingt sich aus dem Todtenstaub.

Sie durchdringt die flücht'gen Lüfte
Und den seelenlosen Stein,
Senkt sich in die Leichengrüfte,
Spielt im hellen Mittagsschein,
Fliesst im Saft der stolzen Zeder,
Deren Haupt in Wolken prunkt,
Zirkelt in des Laubs Geäder,
Wie im tiefsten Weltenpunkt.

Sie verknüpft in Eine Kette
Alle Wesen nah und fern,
Wolken mit des Strohmes Bette,
Mit dem Teich den Abendstern.
Und am grossen Aetherbogen
Werden gegenseits durch sie
Alle Welten angezogen
In allmächt'ger Sympathie.

Sie erhält mit weisem Walten,
Sie beschirmet, was sie schuf.
Saamen müssen sich entfalten,
Früchte reifen ihrem Ruf.
In verkerkernde Gestade
Bannet sie das wilde Meer,
Führt das Licht durch Aetherpfade
Ungeschwächt zum Auge her.

In der Winde leisem Säuseln,
Wie im Sturm, der Fichten beugt,
An dem Bach, den Weste kräuseln,
Wo am See, der drohend steigt,
In des Mondes sanftem Schimmer,
Auf des Morgens rother Bahn,
Rings und überall und immer
Weht ihr Lebensgeist uns an.

Ihrer Muttertreue Spuren
Zeigt die ganze Menschenwelt.
Sie bebaute wüste Fluren,
Sie vertheilte Land und Feld,
Legte zu der ersten Hüte
Selbst des Grundes vesten Stein,
Führte Recht und Volkessitte
Bey den dankbarn Kindern ein.

Auf die glatte Bahn der Wellen
Setzte sie den ersten Kahn,
Gründete geweihte Schwellen,
Flammte selbst das Opfer an,
Zündete das heil'ge Feuer
An dem gastlichtrauten Heerd,
Und erfand die süsse Leier,
Die des Lebens Wonne mehrt.

In dem lauten Freudensaale
Schmückt mit Rosen sie das Haar,
Beut des Trostes Labeschaale
Mitleidsvoll dem Dulder dar,
Winkt dem Pilger von der Irre
Auf den sichern Heimathpfad,
Und erscheint im Angstgewirre
Zagenden mit Rath und That.

Aber ihren Eingeweihten
Gibt sie Kraft in Sturm und Noth,
Gleichmuth bey der Flucht der Zeiten,
Freundestreu in Gram und Tod;
Helden stehen auf und fechten,
Freiheit ruft und Vaterland,
Und den Kranz des Ruhmes flechten
Enkel noch mit später Hand.

Endlich nimmt dem Lebenssatten
Sie der Erde Fesseln ab,
Bettet sanft im Fliederschatten,
Pflanzt ein frommes Kreuz aufs Grab,
Bringt aus Nacht zu reiner Helle,
Schenkt der Ruh' ersehntes Glück,
Leitet zu der Lebensquelle
Den entbundnen Geist zurück.

Aus: Auserlesene lyrische Gedichte von C. L. Neuffer
Tübingen gedruckt und verlegt bey Hopfer de l'Orme 1816 (S. 214-222)

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Biographie:

http://de.wikipedia.org/wiki/Christian_Ludwig_Neuffer

 



 

 


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