Orientalische Liebeslyrik

(in deutscher Übersetzung)

 


Altägyptische Liebeslieder
(ca. 1300-1000 v. Chr.)



Anmerkung: eckige Klammern [] werden für Ergänzungen des zerstörten Textes gebraucht,
runde Klammern () für erklärende Zusätze.
[Bruder / Schwester steht für Geliebter / Geliebte]


Die Londoner Handschrift


I. Kosespiel

. . . . . . .
[giebt es Schöneres als diese Stunde],? Ich bin (ja) mit [dir],
(und) du machst mein Herz gehoben.
Ist nicht Umfangen [und] Betasten,
(jedes)mal, wenn [du] besuchst [mein Haus],
(was uns gewährt?) das Vergnügen?
Wenn du suchst zu betasten meine Hüfte,
(und an meiner Brust . . . ,
[nicht schüttelt] sie dich [ab].

Gehst du (je) fort, weil du gedächtest des Essens?
Bist du (solch) ein Bauchsklave?
Bist du ein [Sklave des Durstes?]
[Entfernst] du [dich] wegen der Kleidung?

Ich bin eine Besitzerin von Leinwand(schätzen).
Gehst du fort hungernd [oder dürstend?].
(Eher) empfingst du meine Brust.
Für dich überflösse (dann) ihr Inhalt.

Herrlich ist der Tag [unseres] Umfangens!
[ich schätze] als Bruchteil (dagegen) Hunderttausende samt Millionen.
Pause zu machen.
(S. 14-15)
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II. Gewalt der Liebe

Deine Liebe hat durchdrungen mein Inneres
wie [Honig?] eingetaucht in Wasser,
wie ein (Räucher)mittel, das durchdrang Spezerei
wie wenn man mischt Saft in . . .

[Doch auch] du rennst, zu besuchen deine Schwester,
wie die Rosse auf dem Kampfgefild
wie der [Kämpfer dahinrollt auf (?) se]inen Radspeichen (?).
(Weil) der Himmel ihre Liebe macht
wie das Kommen der [Flamme? in Stroh?]
(und) sein (?) [Begehren] wie das Niederstossen (?) des Habichts.
Pause.
(S. 15-16)
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III. Die Falle

Verwirrt ist der Zustand (?) [meines] Tümpels (?).
[Der Mund] meiner Schwester ist eine Blumenknospe.
Ihre Brust ist von Parfum.
[Ihr] Arm [ist ein . . . Zweig?]
[der bietet?] einen täuschenden (?) Sitz (?).
Ihre Stirne ist der Sprenkel von meryu-Holz.

Ich bin eine Wildgans, eine jagdbare (?).
Meine [Blicke] (sind) in dem Haar,
an einem Köder unter dem Sprenkel,
um mich zu fangen (?).
Pause.
(S. 16)
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IV. Der Liebestrank

Ist mein Herz nicht mild mit deinem Liebes(sehnen) nach mir?
Meine "Hundspfoten(frucht)", die erhitzt deinen Rausch,
nicht werde ich sie lassen,
mich zu trennen,

(wenngleich) geprügelt bis zur "Wache des Schwellenlassens",
zum Syrerland mit schebod-Stöcken und Knütteln dazu,
zum Äthiopenland mit Palmruten,
zum Hochland mit Gerten,
zum Niederland mit Zweigen (?).

Nicht werde ich höre ihren Rat,
das Verlangen aufzugeben.
(S. 16)
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V. Auf der Pilgerfahrt

Ich bin auf der Abwärtsfahrt unter der Rudermannschaft,
beim (Ruder)schlag nach dem Kommando(ruf),
mein Bund von Myrthen auf meiner Schulter.
(Da) bin ich im 'Anch-toue(- Viertel).

Ich will sagen zu Ptah, dem Herrn der Wahrheit:
gieb mir meine Schwester heute Nacht [in] die Laube.
Voll ist sie von (allerlei) Wein.

Ptah [spendet] ihre (d. h. der Laube) Myrthe,
Sochmet ihre Blüte,
die Aubewohnerin ihre (Lotus)knospe,
Nefer Atum ihren (Lotus)kelch.

(Dann) ist [meine Schwester] voll Entzücken,
die Erde scheint (wieder) ein Fläsch(chen) von Wohlgerüchen,
(wie sie werden) niedergelegt vor dem "Schöngesichtigen".
(S. 18)
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VI. Liebeskrankheit

Ich will mich niederlegen drinnen,
da bin ich krank von Unbill.
Da kommen meine Nachbarn herein, [mich] zu besuchen.

Da kommt (auch) die Schwester mit ihnen.
Die wird die Ärzte zum Spott (?) machen.
Sie kennt (ja) mein Leiden.
(S. 18)
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VII. Der glückliche Thorhüter

Das Landhaus meiner Schwester -
ihre Thür' (ist) inmitten des Gutes.
(So oft) ihre Flügel thun sich auf,
(so oft) der Riegel fährt heraus,
ist meine Schwester zornig.

O setzt' man mich doch zum Pförtner ein!
Ich machte sie ärgerlich auf mich.
(Dann) hörte ich ihre Stimme, (wenn) sie zornig (wäre).
ein Kind in Schreck vor ihr.
Pause.
(S. 19)
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VIII. Stelldichein im Grünen

Ich gehe hinab (an) dem "Fürstenflusss",
(und) du trittst ein in den "(Weg) der Sonne".
Mein Herz (treibt mich) zu gehen,
beschämend die Barken - auf dem Ende der mertiw-Mündung.

Ich werde mich aufmachen, zu rennen ohne Unterlass,
(weil) mein Herz gedenkt (des "Weges) der Sonne",
so erblicke ich (noch) den Eintritt meines Bruders,
(wenn) er ist am "Platz des Grünpflückens."

Ich stehe bei dir - an der Mündung des Mertiw-Kanales,
(aber) du ziehst mein Herz (mit dir) nach dem "On der Sonne",
ich wandle zurück mit dir
nach den Bäumen der "Plätze des Grünpflückens".

Ich nehme [von] den Bäumen der "Plätze des Grünpflückens",
(und) meine Hand (dient) als mein Fächer.
[Ich werde sehen, (wie) er gemacht wird,]
Mein Antlitz (ist) auf die . . . (geheftet).

Mein Schoss ist voll von Persea(zweigen),
mein Haar ist schwer von (Parfum)harz,
(und) ich bin [gleichwie] der Herr beider Länder,
ich bin [wie einer von den Göttern?]
(S. 19-20)
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IX. Einladung der Vogelstellerin
(Anfang des unterhaltenden Gesanges)

Die Reize deiner Schwester,
Der Geliebten deines Herzens,
kommen (daher) in dem Gebüsch,
mein Bruder, Liebenswerter.

Mein Herz folgt dem, was du begehrst,
[ich] vollende dir alles (?),
ich sage zu dir:
schau' (her), (es ist) gethan (?).

Ich bin gekommen vogelstellend.
Meine Falle in meiner Hand,
in meiner Hand mein Käfig - (und) mein Fangschirm.

Alles Geflügel Arabiens,
es flattert über Ägypten,
gesalbt mit Myrrhen.

Was da kommt als Bester,
es hat (schon) genommen meinen Köder,
bringend seinen Duft von Arabien,
seine Klauen voll (Balsam)harz.

Mein Wunsch kommt dir entgegen,
wir lösen es zusammen,
[da ich bin mit dir allein.]
Ich lasse dich hören den gellenden Schrei
meines schönen Myrrhengesalbten,

(wenn) du bist dort mit mir,
(wenn) ich aufstelle die Falle,
du Holder, der du gehst,
zu dem Gebüsch der, welche ihn liebt.
(S. 20-21)
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X. Missglückte Vogelstellerei

Die Stimme der Wildgans klagt,
(da) sie erfasst hat ihren Köder,
(aber) deine Liebe hält mich zurück,
nicht vermag ich sie zu lösen.

(So) werd' ich meine Netze (heim)nehmen (müssen)!
Was (soll ich) da meiner Mutter (sagen),
zu der ich (sonst) komme alltäglich,
beladen mit Geflügel?

Nicht stell' ich den Sprenkel heute auf,
(denn) ergriffen hat mich deine Liebe.
Pause.
(S. 22)
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XI. Schlechter Vogelfang

Die Wildgans fliegt auf und schwebt,
sie sinkt herab [auf] das Netz.

Die Vögel in Menge kreisen,
ich (aber) eile mich, [heimzugehen],
indem ich mich sorge unter meiner Liebe, (ganz) allein.

Mein Herz sehnt sich nach deiner Brust,
nicht (kann) ich mich von deinen Reizen trennen.
Pause.
(S. 22)
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XII. Klage der Verstossenen

Herausgegangen bin ich von [meinem Bruder?]
. . . . . . . . . . .
[aufgegeben hast du] dein Sehnen nach mir,
mein Herz steht in mir stille.

Ich blicke süsse Kuchen an,
[wie (wenn ich bl]ickte (auf) Salz.
Most, der süsse,
in meinem Mund ist er wie Vogelgalle.

Atem (aus) deiner Nase allein
(ist) das, was Leben spendet meinem Herzen.
(Nachdem) ich habe [dich] gefunden, möge Amon dich mir schenken
auf immer und ewiglich.
Pause
(S. 23)
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XIII. Wunsch nach festerem Bund

Du Schöner! Mein Herzen(swunsch) ist,
die Speise zu bereiten für dich als deine Hausherrin,
mein Arm ruhend auf deinem Arm.

(Denn) hast du mir entzogen deine Liebe,
(so) sage ich zu meinem Herzen,
in meinem Inneren, in den Gebeten:
[mir fehlt] mein Gebieter heute Nacht,
(drum) bin ich, wie der im Grabe (weilt).

Bist du denn nicht Gesundheit (und) Leben
(und) das Nahen [deines Antlitzes]
[verleiht] Wonne über dein Wohlsein
dem Herzen, (das dich schon sorgend) suchte.
Pause.
(S. 23)
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XIV. Unerwünschter Weckruf

Die Stimme der Taube ruft,
sie sagt: "die Erde ist hell".
Was hab' ich (draussen) zu thun?
Nicht doch, du Vögel(ein)! Du schiltst mich!

Ich habe (ja) meinen Bruder in seinem Bett gefunden!
Mein Herz ist glücklich über alle Massen.
Wir (beide) sprechen:
"nicht werde ich mich trennen".

[Meine Hand ist an [seiner] Hand.
Ich wandle dort zusammen
an jedem schönen Ort.
Er macht mich zur ersten der Mädchen,
nicht kränkt er (mir) mein Herz.]
Pause!
(S. 24)
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XV. Verdacht der Enttäuschten

Ich richte mein Angesicht auf die Aussenpforte,
siehe, mein Bruder kommt zu mir.
Meine Augen (haften) auf dem Weg
Mein Ohr lauscht auf ein Tasten an dem Riemen.

Ich machte die Liebe meines Bruders
zu meiner einzigen (?) Aufgabe
und [ich wache?] über dem, was ihm gehört,
nicht ruht mein Herz.

(Da) schickt er [mir] einen Boten,
flinken Fusses,
der draussen ist, kaum dass er eingetreten,
um mir zu sagen: Unrecht hast du mir gethan.

Eher (sollte das heissen): er hat eine andere gefunden!
Er treibt Täuschung (?) mit seinem Angesicht.
Was hat er davon, das Herz einer anderen zu kränken.
Pause.
(S. 25)
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XVI. Verliebte Hast

Mein Herz dachte (nur) an deine Liebe,
(und so) [fielen mir herab] die halben Scheitelflechten,
(da) ich kam, rennend, dich zu suchen.

Der Nacken(teil) meiner Locken [sank herunter].
(Und doch) hatte ich vollendet (?) mein Gewand,
(und) mein Flechtewerk war fertig
jeden Augenblick.
(S. 25-26)
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Gartenlieder


XVIII. Liebesglück

Portulakpflanzen! Es sehnt sich nach dir (mein) Herz,
(und) ich thue dir, das was [du] suchst.
Ich bin in deiner Umarmung.

Dein Bitten (ist es) das (bildet) die Schminke meines Auges.
Mein Blick auf dich (bedeutet) das Leuchten meiner Augen.

Ich nahe dir beim Schauen deiner Liebe(ssehnsucht),
(als dem) Gebieter (über) mein Herz.

Schön gar sehr ist diese Stunde!
Es fliesse mir (dahin) eine Stunde als Ewigkeit!

Wenn ich ruhe bei dir,
so erhebst du mein Herz,
ich bin traurig,
Bist [du] ferne von mir.
Pause.
(S. 26-27)
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XIX. Gartenlust

Sa'am-Pflanzen (sind) in ihm,
vor denen man sich gehoben (fühlt)!

Ich bin deine Lieblingsschwester,
Ich bin bei dir wie das Grundstück,
mit jedem Strauch von süssem Duft.

[Lieblich ist] ein Wassergraben in ihm,
den deine Hand gegraben hat,
uns kühlend beim (?) Nordwind.
Ein schöner Platz zum Wandeln,

deine Hand auf meiner Hand,
mein Inneres beseeligt,
mein Herz in Wonne,
bei unserem Gehen zusammen.

Most ist es, höre ich deine Stimme.
Ich lebe von ihrem Hören.
Dich zu erblicken bei jedem Blick,
besser ist das mir als Essen und Trinken!
Pause.
(S. 27)
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XX. Übermut

ta-'a-ti-Pflanzen (sind) in ihm!
Ich nehme deine Kränze (weg),
wenn du (heim) kommst trunken,
(und) wenn du in deinem Bett gelagert bist,

(wenn?) ich betaste deine Füsse,
(und) Kinder (sind?) [in?] deinen . . .
. . . . . . . . . .
[ich stehe auf?] jubelnd am Morgen. . . . . .
[es bedeutet mir] Gesundheit (und) Leben dein Nahen.
. . . . . . . . . . . . . . 
(S. 28)
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Die Scherbe von Gizeh


II. Das Bad

Mein Gott, mein (Herr?) . . . .
du machst (?) (es) süss, zu gehen hinter (?) [dir drein].
[zu den] Lotusknospen (?) . . .
ich . . ., indem ich bin . . .
[Ich komme, du bist?] hinter mir (?), hinabzusteigen,
um mich zu baden vor dir.

Ich lasse dich [schau]en meine Reize
in dem Hemd von feinster Königsleinwand,
das benetzt ist mit [. . .  Öl],
[bekränzt?] mit Myrten.

Ich steige hinein ins Wasser mit dir.
Du tauchst heraus mit einem Uto-Fisch, einem roten.
Er ist artig auf meinen Fingern.
[Ich] lege [ihn nieder, als ein Fisch]er (?) meines Bruders.
Komm', dass du hersiehst!
Pause.
(S. 41)
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III. Liebe giebt Mut

Die Liebe meiner Schwester ist auf jener Seite (drüben),
ein Flussarm ist zwischen [mir und meiner Schwester]

Krokodilriese(n?) steh(en?) auf der Sandbank.
(Aber) ich steige hinein ins Wasser
(und) springe kopfüber (in) die Flut.
Mein Mut ist hoch auf dem Gewässer,
(und) die Wellen sind wie Land für meine Füsse.
ihre Liebe ist es, die mich stärkt,
so dass sie (in) mir Zauber wirkt.
(S. 42)
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IV. Freude des Wiedersehens

Wenn ich sehe meine Schwester kommend,
so ist mein Herz in Jubel.
Meine Arme sind ausgebreitet, sie zu umfangen,
mein Herz ist froh auf seinem Platz,
wie (bei einem, der?) . . . auf ewig,
da zu mir kommt meine Gebieterin (?).
Pause.
(S. 42)
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V. Ihre Umarmung

Umarme ich sie (und) sind ihre Arme ausgebreitet,
(so) bin ich wie einer in Arabien,
wie [einer mit?] Abira-Öl (bedeckt).
Pause.
(S. 42)
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VI. Ihr Kuss

Küsse ich sie (und) sind ihre Lippen offen,
(so) bin ich begeistert (auch) ohne Bier.
[. . . . . . ?]
(S. 42)
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VII. Vorbereitung

Da die Zeit herangekommen, zu rüsten das Lager,
du Diener da, (so) sage ich zu dir:
thue Byssus zwischen (!) ihre Glieder,

ein Lager für sie von Königsleinwand,
gieb Acht [mit] dem Weisszeug, dem verzierten,
besprengt mit Tischepse-Öl!
Pause.
(S. 43)
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VIII. Die glückliche Zofe

O wär' ich doch ihre schwarze (Zofe), - die in ihrem Leibdienst steht!
Da würde ich blicken [nach] den Formen aller ihrer Glieder!
Pause.
(S. 43)
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IX. Der Wäscher

O wär' ich doch der Wäscher meiner Schwester
- einen einzigen Monat!
indem ich [ihn brauchen würde] auswaschend die Bak-Öl(spuren),
- die in ihrem Kopftuch sind.
Ein Geschäft [ein liebliches, wäre es,]
[nicht nähme ich von?] ihr die Bezahlung (?).
(S. 43)
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X. Ihr Ring

O wär' ich doch ihr Ring(lein),
das an ihrem Finger sitzt!
[Da würde sie mich hüten,]
wie etwas was ihre Lebenszeit schön macht.
(S. 44)
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XI. Der Blumenkranz

[O wär ich doch der Schulterkranz] von Myrtehn meiner Schw[ester]!
[Wie wollte ich mich um ihren Hals schlingen u.s.w.]
(S. 44)
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Das Pariser Fragment

(Fragment aus einem alten Liebesgedicht, welches
im Epitaph einer Frau erhalten ist.)

Die Süsse, süss an Liebe, [N. N.],
die Süsse, süss an Liebe beim König N. N.
die Süsse, süss an Liebe bei den Männern,
Gebieterin der Liebe bei den Frauen,
eine Königstochter war sie, süss an Liebe.

Die Schön(st)e der Frauen,
ein Mädchen, dessen Gleichen man nie sah.
Schwärzer war ihr Haar - als das Dunkel der Nacht,
als die Beeren des Adeb(-Strauches?).
[Weisser waren?] ihre Zähne (?)
als der Splitter von Feuerstein an (?) der Säge (?)
Zwei Kränze waren ihre Brüste,
festgesetzt (?) an ihren Arm.
(S. 44)
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Übersetzt von Wilhelm Max Müller (1862-1919)

Aus: Die Liebespoesie der Alten Ägypter
von W. Max Müller
Zweite unveränderte Auflage
Leipzig J. C. Hinrich'sche Buchhandlung 1932



 

 


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