Orientalische Liebeslyrik

(in deutscher Übersetzung)

 



Fariduddin Attar (um 1136-1221)


Aus den Vogelgesprächen (Mantiket-tair)

 

Sein ganzer Nahme ist Mohammed Ben Ibrahim Attar von Nischabur, sein Beynahme Geißel des beschaulichen Lebens. Der fruchtbarste Dichter der Sofi's, würde er auch der größte seyn, wenn ihn nicht später Mewlana Dschelaleddin übertroffen hätte. Diese beyden, sammt Senaji, sind das Kleeblatt der großen mystischen Dichter, bey denen Bild und Allegorie Nichts im buchstäblichen, Alles im mystischen Sinne zu verstehen ist; er erreichte ein hohes Alter, wie Saadi und Esssedi, und soll über hundert vierzehn Jahre alt geworden seyn. Unter der Regierung Sultan Sandschar des Sohns Melekschah's im Jahre 613 (1216) geboren zu Kerken, einem Dorfe bey Nischabur, brachte er 29 Jahre seines Lebens in dieser Stadt, und 85 in der Stadt Schadbach zu, die drey Jahre nach seinem Tode verwüstet ward.
   Nach dem Tode seines Vaters behielt er einige Zeit die Gewürzhandlung desselben, gab sie aber hernach auf, und zog sich in das Kloster des Scheich Rokneddin zu Akaf zurück, wo er sich ganz dem ascetischen Leben weihte, wiewohl Niemanden der Zugang zu seiner Zelle verwehrt war. Seine ganze Lebenszeit hindurch hatte er Alles, was er von mystischen Werken auftreiben konnte, gesammelt, und mit einer großen Anzahl von Scheichen und frommen Männern gelebt. Da er mehr als 400 ascetische Werke gelesen und benützt, und siebzig Jahre lang Stoff zu den Biographien heiliger und frommer Männer gesammelt, so wird der hohe mystische Werth seiner eigenen Werke, und das Verdienst seiner Biographien der Heiligen (das vollständigste Werk dieser Art) leicht begreiflich. Die Sammlung seiner Gedichte (die Mesnewi oder Doppelgereimten nicht gerechnet) beträgt 40000 Distichen, worunter 12000 vierzeilige Strophen. Außer den Biographien der Heiligen schrieb er in Prosa noch ascetische Werke, wie Aschwanes-safa, oder die Brüder der Lust, und andere. Die berühmtesten seiner poetischen Werke sind: Essrarname, das Buch der Geheimnisse; Ilahiname, das göttliche Buch; Moßibetname, das Buch der Drangsale; Dschewahiressat, die Essenzen der Substanz; Waßietname (sonst Pendname), das Buch des Raths; Mantiket-tair, die Vogelgespräche; Bülbülname, das Buch der Nachtigallen; Gul u Hormus, Gul und Hormus; Uschturname, das Buch der Kamele; Moschtarname, das auserwählte Buch; Haidername, das Buch Haider's. Dieses letzte schrieb er in seiner Jugend, und er ist der Verfasser desselben, wiewohl andere sagen, daß es die Jünger des Scheich Haider's (des Stifters einer besondern ascetischen Secte) verfaßt, und dann dem Scheich Attar zugeschrieben hätten, was aber ein Irrthum ist. Außer den von Dewletschah genannten zwölf Werken führt Hadschi Chalfa noch als Werke Attar's an: Pirname, das Buch der Greise; Chosruname, das Buch der Chosroen; Dschewabname, das Buch der Antworten; und Havaidsch, die Nöthen.
   Attar trat auf eine eben so sonderbare Veranlassung aus dem praktischen ins beschauliche, als aus diesem in das andre Leben. Ein frommer Derwisch ging an seinem Gewölbe vorbey, mit Seufzern und Thränen. Attar hieß ihn weiter gehen. Der Derwisch entgegnete: "Das kann ich leicht, ich habe nichts als meine Kutte; aber du mit so viel schweren Säcken, wie wirst du es machen, um fort zu kommen, wenn die Stunde der Abreise schlagen wird?" Diese Worte machten tiefen Eindruck auf Ferideddin, der von diesem Augenblicke seinen Handel aufgab, und sich ganz der Andacht weihte.
   Wie er hier aufgefordert worden war, der Welt abzusterben, so forderte er in seiner Todesstunde seinen Mörder gleichsam selbst auf, ihn der Bürde des Lebens zu entlassen, und seine Seele, die wie ein gefangener Vogel im Käfichte schmachtete, in Freyheit zu setzen. Bey dem Einfalle der Mongolen unter Dschengischan hatte einer seiner Soldaten schon das Schwert aufgehoben, ihn zu tödten, als ihm ein anderer sagte: "Tödte diesen Greis nicht, ich will dir tausend Silberstücke für sein Leben geben." – "Hüte dich", sprach Attar, "mich um diesen Preis herzugeben; du wirst Käufer finden, die mich theurer bezahlen". Einige Schritte weiter, als ihn der Mongole wieder umbringen wollte, sprach ein anderer: "Tödte ihn nicht, ich will dir einen Sack Stroh für sein Leben geben." – "Verkauf mich", sprach Attar, "denn mehr bin ich nicht werth." Da hieb ihn der Mongole zusammen. Dieß ereignete sich nach Einigen im Jahre 732 (1331), nach Anderen im Jahre 727 (1326), nach Anderen schon im Jahre 719 (1318).
   Attar hatte das Ordenskleid vom Scheich Medschid in Bagdad bekommen, und in seiner Kindheit den oben erwähnten Scheich Kotbeddin Haider gesehen, der zu Ende des sechsten Jahrhunderts der Hedschira zu Sawa starb. Kerkeni aber, der Geburtsort Attar's, liegt im Distrikte von Sawa, und Ibrahim Ben Jschak Attar, der Vater Ferideddin's, war ein Jünger Scheich Haider's.

Von den obgenannten Werken Attar's sind von allen drey allgemein im Morgenlande gelesen, nämlich das Buch des Rathes (Pendname), die Vogelgespräche (Mantiket-tair), und das Dschewahirname, d. i. die Essenzen der Substanz. Wir übergehen das erste, weil es aus der französischen Uebersetzung, die Freiherr de Sacy davon in den Fundgruben des Orients II. Band geliefert hat, hinlänglich bekannt ist; desto ausführlicher wollen wir aber von dem zweyten sprechen.

Mantiket-tair. Der Titel desselben ist bisher meistens unrichtig durch Vögel-Logik übersetzt worden, weil man sich an die im wissenschaftlichen Sprachgebrauche übliche Bedeutung des Worts Mantik hielt, womit die Araber das griechische
logikh übersetzten. Hier heißt es aber so viel als mündliche Unterhaltung, Vögelgespräche, indem die Vögel ordentliche Makamate oder Sitzungen halten, in denen sie über das gemeine Beste, und über die tauglichsten Mittel zur Erreichung des großen ihnen vorgesteckten Zweckes, den wir gleich näher kennen lernen werden, berathschlagen. Das Werk beginnt mit folgender Anrufung:

Den Seelenschöpfer Lob, dem Reinen,
Der Seel' und Glauben schenkt dem Staube,

Der auf die Wasser setzt' die Himmel,
Und auf die Luft das ird'sche Leben,

Deß Hand die Himmel hob empor,
Und niederdrückte tief die Erde,

Der jenen stetige Bewegung
Und dieser stete Ruh' verlieh.

Er spannt den Himmel ohne Säulen,
Als das Gezelt der Erde auf.

Schuf sieben Lichter in sechs Tagen
Und aus zwey Worten die neun Himmel.

Er schuf der Sterne goldne Kugel,
Womit der Himmel spielt bey Nacht.

Die Körper formend, streut dem Vogel
Der Seel' Er auf den Schweif den Staub.

Das Meer zerschmolz in Unterwerfung,
Der Berg erstarrt' aus Furcht und Schrecken,

Aus Fluthen macht' er Staub, aus Stein
Rubin, und aus dem Blute Moschus.

Dem Berg verlieh' er Dolch und Gürtel,1
Darum erhebt er stolz das Haupt.

Er wandelt Gluth in Rosenbüsche2
Und überbrückt das Meer mir Eis.

Die Mücke straft des Feindes Haupt3
Mit Raserey vierhundert Jahre.

Den Spinnen gab er Kunst zu netzen
Für ihre Ruhe einen Thron.

Mit Haar umgürtet er die Ameis
Und schmückt damit den Salomon.4

Gibt ihr das schwarze Flügelkleid,5
Dem Pfau den goldnen Federprunk.

Und weil die Lilie Jesus hält,6
So wölbt er sie mit luft'gem Bau.

Der Tulpe gibt er blut'ge Schwerter,
Umwölkt das Aug' des Nenufar.

Er taucht in Blut der Erde Schollen,
Rubin und Onyx zu bereiten;

Die Sonn', der Mond, so Tag und Nacht
Anbethend um die Erde gehn,

Anbethung ist ihr Zauberkreis,
Denn ohne Kreise ist kein Zauber;

Er breitet silbern aus den Tag
Und rollet schwarz die Nacht zusammen.

Er gab dem Widhopf7 Straßenkunde,
Dem Papagey ein golden Halsband.

Der Welten Vogel schlägt die Flügel
Und legt zu seinem Thron das Haupt.

Den Himmel schwingt er um, daß Nacht
Auf Tag, und Tag auf Nacht erfolgt.

Sein Hauch formt Menschen aus dem Lehmen,
Aus einer Handvoll Rauch die Welten.

Er gab dem Hunde Forschungskraft
Den Weg der Katze aufzuspüren,

Und gab ihm Löwentapferkeit,
Wenn er uns dienet zum Geleit.

Er gab dem Salomon die Herrschaft,8
Der Ameis die Beredsamkeit.

Den Stab verwandelt er in Schlangen,9
Den Feuerheerd in Sündfluthquell.10

Beginnt des Himmels Gaul den Lauf,
Beschlägt der Neumond ihm den Huf.11

Aus Felsen schuf er ein Kameel,12
Das gold'ne Kalb fing an zu brüllen.13

Im Winter streut er Silber aus,
Im Herbste von den Bäumen Gold.

Die Dornen färben sonst mit Blut,
Die Rosenknospe färbt die Dornen.

Jasminen gibt er den Turban,
Den Tulpen eine blut'ge Haube.

Narcissen gibt er goldne Kronen
Und setzt darauf des Thaues Perlen.

Verstand steht still, die Seele fliegt,
Der Himmel kreis't, die Erde fällt.

Wo Sonnen sich an Sonnen schlingen
Bezeugt ihn jedes Sonnenstäubchen.

Der Erde Tief', des Himmels Höhe,
Sie geben gegenseitig Zeugniß.

Der Wind, der Staub, die Gluth, das Blut,
Verkünden sein Geheimniß laut.

Er knetet Staub durch vierzig Morgen,
Worauf die Seele ihn bewohnt.

Als nun die Seel' belebt' den Leib,
Gab er Verstand ihr um zu sehen,

Und dem Verstand die Wissenschaft,
Um durch dieselbe zu erkennen.

Und als er fühlt' der Kenntniß Mängel
Ward in den Leib er eingesperrt.

Es sind die Freunde wie die Feinde
In seinem Joche eingespannt.

Des Menschen Weisheit schlafet ein,
Indessen Er, o Wunder! wacht.

Die Berge sind der Erde Nägel,
Er wusch ihr mit dem Meer die Stirn.

Die Erde trägt des Stieres Rücken,
Den Stier der Fisch, den Fisch die Luft.

Was trägt die Luft? es trägt sie Nichts
Und Nichts, auf Nichts und lauter Nichts.

Betrachte des Monarchen Macht,
Deß Reich gegründet ist auf Nichts.

Da Er der Einzige besteht,
Ist außer ihm wohl Alles Nichts.

Die Luft, die Wasser, sind sein Thron,
Und außer selben ist nur Gott!

Sein Thron, die Welt sind Talismane,
Sie wirken nur durch seinen Nahmen.

O weh! was ist des Menschen Kraft,
Die Sonne scheint, das Aug ist blind;

Wenn du es sähst, verschwändest du,
Versänkest in dein eignes Nichts.

Wir legen all' die Hand an Saum
Und bitten um Entschuldigung.

Versteckt, indem du kund dich gibst,
Bist du die Welt, erscheinest nicht;

Die Seel' im Leib, du in der Seele,
Bist im Verborgnen du verborgen;

Du gehst der ganzen Welt voraus
Und alle Augen folgen dir,

Dein Weg ist angesät mit Wächtern,
Drum findet Keiner zu dir hin.

Vernunft und Seel' gelangen nicht
Zum Wesen, zu den Eigenschaften.

Du liegst als Schatz zwar in der Seele,
Doch offenbarst du dich im Leib;

Die Seelen sind nach dir gezeichnet,
Propheten streu'n sie vor dir aus.

Du gabst zwar der Vernunft das Daseyn,
Doch findet sie zu dir nicht hin,
u.s.w.

 

1 Dolch und Gürtel heißt der Rücken und Bauch des Berges.
2 Die Gluth im Ofen, worein Abraham geworfen ward, auf Befehl Nimrod's.
3 Diesen stach nach der orientalischen Legende eine Mücke, so daß er 400 Jahre lang wahnsinnig herumirrte und Gras fraß.
4 Anspielung auf die Legende, daß Salomon den Ameisenkönig auf die Hand hob.
5 Im Original: Er gibt ihr das Kleid der Söhne Abbas, welche, wie aus der Geschichte bekannt, die schwarze Farbe als die Farbe des Throns einsetzten.
Die arabischen Emire, besonders auf Libanon, tragen heute noch solche schwarze Kleider.
6 Die Lilie, als das Sinnbild der Reinigkeit, wird von den Morgenländern außer dem ägyptischen Joseph auch dem Herrn Jesus beygelegt, wie von uns seinem Nährvater. Die Lilie ist zugleich die Blume der Philologen, weil dem Morgenländer ihre Blätter, als eben so viele Zungen erscheinen. Daher der Dichter irgendwo sagt: Daß selbst die Lilie mit zehn Zungen verstumme.
7 Der Widhopf, der nach der Meinung der Morgenländer ein vorzügliches Ortsgedächtniß besitzt, war Salomon's Wegweiser auf der Reise zur Königin von Saba.
8 Im Persischen den Stab, das Zeichen der Herrschaft.
9 Das Wunderwerk Moses.
10 Nach dem Koran kam das Wasser der Sündfluth aus einem Kohlenherde.
11 Der Neumond ist das Hufeisen des himmlischen Gauls.
12 Das Wunderwerk des Propheten Saleh, der aus dem Felsen ein Kameel hervorgehen ließ.
13 Das goldene Kalb der Israeliten in der Wüste.
 

Nach diesem Eingange, dessen einzelne Gedanken sich mit manchen der Psalmen an Erhabenheit messen können, folgt der Lobpreis des Propheten und der vier ersten Chalifen, sammt einigen Ueberlieferungen derselben; unmittelbar nach dem Lobe Mohammed's ist der folgende mystische Apolog eingeschaltet:
 

Erzählung

Ein Knabe der Mutter ins Wasser fiel,
Die Mutter die ängstlichste Sorge befiel;

Der Knabe bemüht sich mit Füßen und Händen,
Sich dorthin und dahin wie Mühlen zu wenden.

Es folget das Wasser ihm nach auf dem Fuß
Und weiter und weiter entführt ihn der Fluß.

Zum Glück begegnet er ein Ankertau,
Das bringt ans Land ihn zur weinenden Frau;

Die Mutter ergreift ihn alsobald
Und drückt ihn an Busen mit Gewalt.

Du hast die Liebe der Mutter gethan,
So redet das Ankertau sie an.

Gerade so bin ich ins Wasser gefallen,
Und bin vor die Taue des Ankers gefallen.

Ich tracht', wie der Knabe, mit Füßen und Händen,
Mich aus dem verschlingenden Wirbel zu wenden.

Erbarmer der Seelen, den Knaben hab Acht!
Ihm mitten im Wirbel des Wassers betracht',

Erbarme dich meines gefolterten Herzen
Und reich' mir die Hand in dem Wirbel der Schmerzen,

O reiche die Nahrung der Liebe herab
Und decke die Tafel des Mitleids nicht ab,
u.s.w.
 

Hierauf beginnt der Reichstag der Vögel, die sich versammeln, um über die Wahl eines Königs zu berathschlagen. Hudhud, der Widhopf, den die Natur schon mit einer Krone versehen, und der daher darauf das erste Recht zu haben scheint, tritt als der Erste auf, nicht aber um seine Ansprüche für sich selbst zu behaupten, sondern um dieselben für Simurg, den Einzigen seiner Art, der abgeschieden von der Welt im Gebirge Kaf wohnt, geltend zu machen. Nach ihm sprechen die berühmtesten der andern Vögel mit Einwendungen, die Hudhud nach Kräften widerlegt, indem er den Egoismus der Einzelnen zu beschränken sich bemühet. Endlich wird die Reise beschlossen und angetreten, und während derselben halten die Vögel die Gespräche, welche der Hauptinhalt des Buches sind. Sie machen nämlich Einwürfe über die Schwierigkeiten des Weges, und die Hindernisse die sich ihrem Vorhaben entgegensetzen. Alles dieß ist Allegorie und bezieht sich aufs beschauliche Leben, indem unter Simurg hier (wie sonst unter dem Quell des Lebens) das höchste Gut verstanden wird, das Alle suchen und Keiner findet. So geschieht es denn auch, daß unter lauter Reden und Gegenreden, unter Geschichterzählen und Moralisiren, die Zeit und der Weg verloren geht, und die Vögel (drey ausgenommen) eben so wenig zur Residenz Simurg's gelangen, als die Pilger des Weges der Vollkommenheit zum erwünschten Ziele. Einen Begriff von der Behandlung des Ganzen geben die folgenden gleich vom Anfang hergenommenen Proben:
 

Der Widhopf trat verstörten Herzens
Zuerst im Vögelreichstag auf,

Die Brust geschmückt mit Federgürtel
Und auf dem Haupt der Federkrone;

Ein feiner Kopf, des Wegs erfahren,
Bekannt mit Gutem und mit Bösem.

Er sprach: Ihr Vögel, ohne Zweifel,
Ich bin des Herrn der Schöpfung Bothe,

Das Aeußere ist uns bekannt,
Ich kenn' des Inneren Geheimniß.

Wer Gottes Nahmen führt im Schnabel,
Muß viel Geheimnisse ergründen.

In Gram verleb' ich meine Tage
Und Niemand klaget über mich;

Wenn ich der Krone mich annehme,
Hat man die Reiter nicht zu fürchten.

Ich zeig' das Wasser an, und kenne
Viel anderes Geheimniß noch.

Da Salomon mit mir gesprochen,
Zeigt' seinem Heere ich den Weg.

Er fragte nie, wenn Jemand fehlte
Von seines Hofes Dienerschaft,

Doch als ich mich auf kurz entfernt,
Ließ er mich suchen aller Orten;

Er konnte ohne mich nicht seyn,
Das kündet meinen hohen Werth.

Ich trug ihm Briefe, kam zurück,
Ich sah ihn in dem Zelt geheim.

Wer sich ausweiset als Propheten
Trägt auf dem Scheitel eine Krone,

Mich, den Propheten rühmlich nennen,
Wie sollten Vögel mich erkennen!

Ich habe Meer und Land durchwandert,
Bin Jahre lang herumgereiset,

Durch Wüsten, Thäler und Gebirg
Schon von der Zeit der Sündfluth her,

Begleitete den Salomon
Auf allen seinen weiten Reisen.

Ich kenne Euern wahren König,
Doch kann ich nicht allein hingeh'n,

Doch, wenn ihr euch mir wollt vertrauen,
So mach ich euch dem Schah bekannt.

Befrey' euch von dem Eigendünkel,
Und von ungläubiger Verwirrung.

Wer sich hingibt ist über alle
Beschwerden dieses Wegs hinaus,

Er setzt den Fuß auf diesen Weg,
Er legt den Kopf auf diese Schwelle.

Wir haben sicher einen Kaiser,
Er thronet im Gebirge Kaf,

Er heißt Simurg, ist Vögelherrscher,
Er ist uns nah, wir sind ihm fern.

Er thront auf einem hohen Baume,
Nicht jeder nennet seinen Nahmen,

Verhüllet in zehntausend Schleyer
Von Finsterniß und hellem Licht.

In beyden Welten hat Niemand
Den Muth mit ihm es aufzunehmen.

Er ist der unumschränkte Fürst,
Versenket in sein eignes Wesen.

Er trat noch nie aus sich heraus,
Wie soll ihn die Vernunft ergründen;

Viel Tausende verlangen ihn,
Doch findet Keiner zu ihm hin.

Die Seele kann ihn nicht beschreiben,
Und die Vernunft ihn nicht begreifen.

Kein Weiser sah noch seine Tugend,
Kein Seher sah noch seine Schönheit.

Geschöpfe schwingen sich nicht auf
Bis zu der Höhe seines Wissens.
 


Diese Beschreibung kündet nicht den Simurg der persischen Fabellehre, sondern einen mystischen an, nämlich das höchste Wesen selbst. Nachdem der Widhopf eine Weile in diesem Tone fortgefahren:
 

Das kam die Nachtigall betrunken
Und außer sich von Schönheitsliebe;

In jedem Tone liegt ein Sinn,
In jedem Sinne eine Welt.

Sie sang von dem verborgnen Sinn
Und gab den Vögelschaaren Rath.

Sie sprach: Ich kenn' geheime Liebe,
Ich sing' die ganze Nacht von Liebe.

Gefallnen steht kein Helfer auf,
Wenn ich nicht Liebespsalmen singe.

Die Flöte weint nach meinem Wort,
Die Laute klagt nach meinem Ton,

Ich bring' das Rosenbeet in Aufruhr,
Empör' das Herz der Liebenden.

Zu jeder Zeit erklär' ich anders
In neuen Tönen das Verborgne.

Wenn mir Gewalt anthut die Liebe,
Braus't wie ein Meer die Seele auf.

Wer mich vernimmt verliert Verstand,
Und wenn er noch so vielen hätte.

Seh' ich im Jahr nicht die Geliebte,
Verschließ ich meinen Laut in mir;

Doch wenn sie Moschusduft im Frühling
Hin über Fluren weit verstreut,

So schließe ich mein Herz ihr auf,
Laß schweren Klagen leichten Lauf.

Wenn keine Bien' um Rosen summt,
Die Nachtigall zugleich verstummt,

Drum bin ich nicht gekannt von Allen,
Nur Rosen kennen Nachtigallen.

In ihre Liebe ganz versenkt,
Gedenk ich meines Daseyns nicht,

Ich denke nur der Rose Liebe,
Begehre mir Nichts als die Rose.

Simurg ist über meine Kräfte,
Die Nachtigall genügt der Rose,

Sie blühet hundertblättrig mir,
Wie soll mein Leben mir nicht blühen!

Die Rose blüht mir nach Verlangen
Und lächelt mir mit süßer Lust.

Wenn sie mir unterm Flore lacht
Auf meiner Stirn die Lust erwacht.

Was wäre eine einz'ge Nacht,
Von der Geliebten fern, durchwacht!


 

Der Widhopf sucht die Nachtigall ihrem blinden Liebestaumel zu entreissen, und auf das, was dem Geschöpfe noch mehr Noth sey als die Liebe des Geschöpfes, nähmlich auf die ewige Liebe und den Quell derselben, den göttlichen Simurg, hinzulenken. Da kömmt

Der Papagey, den Mund voll Zucker,
Pistaziengrün mit goldnem Halsband,

In seinem Glanze tanzen Mücken,
Der Fittig spiegelt Alles grün,

Statt Worten streut er nichts als Zucker
Und athmet lauter Zucker ein.

Er sprach: Stahlherzen sperrten mich
In einem eisern Käficht ein;

In diesem Kerker schmacht' ich nun
Nach Chiser's ew'gen Lebensquelle,

Ich selber grün, der Vögel Chiser,
Umkreise Chisers Lebenstrank;

Ich kümmre mich nicht um Simurg,
Mir ist des Lebens Quell genug.

 

Der Widhopf belehrt ihn, wie die Nachtigall, über die Einseitigkeit seiner Ansichten und Wünsche, und schließt seine Rede damit, daß, wenn alle Vögel so egoistisch dächten, er es für besser hielte, sie ihrem Schicksale zu überlassen und ihnen Lebewohl zu sagen.

Der Pfau stolzirte nun heran,
Mit tausend Farben angethan,

Sein Hals strahlt wie ein Brautschmuck ganz
Und jede Feder streuet Glanz.

Er sprach: Ich bin so schön gemahlt,
Daß Genien der Pinsel fallt.

Ich bin der Vögel Gabriel,
Allein mein Loos ist minder hell;

Weil ich die Schlange konnte lieben,
Ward ich vom Paradies vertrieben.

Die Einsamkeit ward mein Genuß
Und mich demüthiget mein Fuß.

Nun denk' ich immerfort daran
Mich aufzuschwingen himmelan;

Ich trage Nichts nach dem Sultan,
Ich bin mir selbst genug als Mann.

Was gehet der Simurg mich an,
Mein Thron ist dort in Edens Plan.

Hienieden hab ich Nichts zu thun,
Bis ich im Paradies kann ruh'n.


Der Widhopf sprach:  Verlorner Mann!
Wer sich hinsehnet zum Sultan,

Der nahet sich dem Paradies,
Er ist der Herr der Paradiese.

Er ist der Seele wahres Eden,
Des Herzens Sitz; was brauchts noch Reden!

Der höchste Gott! - in diesem Meer
Ist Eden nur ein Tröpfchen schwer.

Wer zu dem Meere kann gelangen,
Wie kann das Tröpfchen er verlangen!

Wenn sich das Meer darbeut zur Schau,
Was frägt er nach dem Tröpfchen Thau;

Wer mit der Sonne sich bespricht,
Den kümmern Sonnenstäubchen nicht.

Wer Rosen hat nicht Gräser flicht,
Die Seele braucht der Glieder nicht.

Bist du ein Mann, halt dich ans Ganze;
Das Ganze such', erwähl' das Ganze.

 

Der Widhopf gibt dieser Lehre durch die Anwendung einer kleinen Geschichte Adam's aus dem Paradiese noch größeren Nachdruck, worauf die Gans erscheint.
 

Die Gans stieg plätschernd aus dem Wasser
Und kam zum Reichstag rein gewaschen.

Sie sprach: In beyden Welten gibts
Kein reineres Geschöpf als mich.

Ich wasche mich zu jeder Stunde
Und bethe auf des Wassers Teppich;

Wenn man, wie ich, auf Fluthen geht,
Wer kann die Wunderkraft bezweifeln?

Ich bin der Vögel Eremite,
Von reinem Kleid und reinem Sitz,

Ich kann nicht ohne Wasser leben,
Mein ganzes Daseyn ist im Wasser,

Trag' ich im Herzen Gram der Welt,
Mit Wasser wasch' ich ihn gleich ab,

Ich kann im Wasser nur gedeihen
Und mich im Trocknen nimmer freuen.

Im Wasser ist mein Thun und Lassen,
Wie soll das Wasser ich verlassen!

Was immer lebt, das lebt durchs Wasser,
Unmöglich geb' ich auf das Wasser.

Der Weg zu Land kann mich nicht freuen,
Ich kann nicht zu Simurgen kommen.

Ich sitz in meiner Wasserburg
Und kümmre mich nicht um Simurg.

Der Widhopf sprach: O Wasservogel!
Dein Wasser kann als Gluth dich brennen,

Du schlafest auf dem Wasser ein,
Ein Tropfen führt dasselbe weg.

Das Wasser taugt den Ungewaschnen,
Bist du davon, so such' das Wasser,

Du kannst wie selbes dann genug
Der Ungewaschnen Antlitz schauen.


Erzählung

Ein Mann frug einmahl einen Narren,
Was sind die beyden Welten wohl?

Sie sind, so sprach er, auf der Hand
Zwey Tropfen Wasser und nicht mehr.

Das Wasser formte sich zuerst
In mannigfaltige Gestalten.

Was sich im Wasser mahlt, wär's Eisen,
Vergeht zuletzt in seinen Kreisen.

Es gibt nichts Härtres als das Eisen,
Und dieses selbst vergeht im Wasser.

Wer sich dem Wasser anvertraut,
Der hat auf flüß'gem Grund gebaut:

Noch hielt das Wasser niemahls Stand,
Wie hätte drauf ein Bau Bestand!

 

Mit ähnlichen Anekdoten unterstützt Hudhud, der den Missionär der Vögel vorstellt, seine Bekehrungspredigten, die keinen andern Zweck haben, als die Vögel auf den wahren Weg zu Simurg zu leiten.
 

Das Rephuhn schwankte nun heran;
Ganz störrig und betrunken kam's;

Den Schnabel ganz in Roth getaucht,
Es sott das Blut ihm in den Augen,

Bald flog es auf mit Dolch und Gürtel,
Bald wackelt es am Boden her.

In Minen, sprachs, ward ich erzogen,
Mit Edelsteinen dort bekannt,

Mir sitzt Juwelenlieb' im Herzen,
Und diese Gluth genüget mir.

Wenn diese Flamme mich ergreift,
Verwandelt Steine sie in Blut,

Ein Feuer, das, so bald es wirkt,
Das Blut in mächt'gen Kreisen treibt;

So bin ich zwischen Stein und Gluth
Unthätig und verwirrt zugleich.

Ich fresse Steinchen in der Hitze,
Und fülle so mein Herz mit Gluth.

O, meine Freunde, schauet auf,
Schaut was ich fresse, wie ich schlafe.

Wer Steine frißt, auf Steinen schläft,
Was wollet ihr den Krieg ihm machen?

Mein Herz ist hundertfältig krank,
Weil meine Lieb' der Berg verschließt.

Wer nicht allein liebt die Juwelen
Dem wird der Glanz der Herrschaft fehlen.

Der Edelsteine Reich ist ewig,
Sie haften mit der Seel' am Berge.

Ich bin der Edelsteine kundig,
Mit Gürtel und mit Dolch versehn,

Und weil stets edel ist der Dolch,
So setz' ich stets demselben nach;

Noch fand ich keinen Edelstein
Deß Adel diesen überträfe.

Der Pfad zu dem Simurg ist schwer,
Es weilt mein Fuß auf Edelsteinen.

Wie Flammen halte ich ihn fest,
Ich sterbe, oder find' Juwelen.

Nur durch den Edelstein ward klar
Das Werthlos ist wer keinen hat.


Der Widhopf sprach: Juwelensucher,
Ich finde die Entschuld'gung kahl.

Das Herzblut färbt dir Fuß und Schnabel,
Juwelen halber wirst du Stein.

Was sind sie als gefärbte Steine;
Die wandeln dir das Herz in Stahl.

Sie wären ohne Farbe Kiesel,
Wer Farbe hat, verlangt nicht Stein.

Auch der nicht, der Geruch besitzt;
Juwelenkund'gen frommt kein Stein.


Der Kaisergeyer trat nun auf,
Deß Schatten Thron und Glück verheißt.

Humai, heißt er, Humajun
Nach ihm die Mehrer hohen Muths.

Er sprach: O Land und Seegeflügel,
Ich bin kein Vogel wie die andern;

Mich trägt mein hoher Geist empor,
Ich lebe in der Einsamkeit.

Mit Dornen nähr' ich mich, und schenke
Den größten Herrschern Glück und Ruhm.

Die Kaiser suchen meinen Schatten,
Sie sind die Bettler meines Hofs,

Ich leb' zufrieden mit Gebein,
Und speise so die Seele ab,

Weil sie mit Beinen sich begnügt
Erflieget sie die höchste Höh'.

Der, dessen Schatten Kaiser schafft,
Wie kann er dessen sich entwöhnen?

Es suchet Alles meinen Fittig,
Um meinen Schatten zu erhaschen.

Wie kann Simurg mein Freund je seyn,
Da ich gezeichnet bin mit Herrschaft?

 

Der Widhopf ermahnt ihn nicht so groß damit zu thun, daß er, wie andere Raubvögel, nicht von Fleisch, sondern bloß von Beinen sich nähre, das thäten auch die Hunde.
 

Der Falk trug hoch das Haupt empor,
Und hielt ein mystisches Gespräch.

Er prahlt' mit seinem Ritterthum
Und mit der Haube auf dem Kopf.

Er sprach: Auf Königshänden sitzend,
Verschließe ich mein Aug' der Welt,

Versteck' es deßhalb mit der Haube,
Damit auf Königshand ich sitze.

Wie oft nähr' ich mich blos von Wasser,
Ein Beyspiel von Enthaltsamkeit;

Damit, wenn ich zum Kaiser komme,
Ich dort genau den Dienst versehe.

Was soll ich bey Simurg? der schläft,
Indeß ich wachend zu ihm eile!

Von Königsband genügt mir Nahrung,
Ich suche keinen andren Thron.

Weil ich bezähme das Gesicht,
Beglücket mich des Schahes Hand,

Wer beym Sultan in Gunsten steht,
Von ihm sich was er wünscht erfleht.

Damit ich seiner würdig sey
Ist's besser, daß ich bin in Wüsten.

 

Der Widhopf belehrt hierauf den Falken über die Würde der wahren Herrschaft, die nicht im Königstitel und im großen Reichthume bestehe; sondern in dem unsterblichen Vorrange der Geister, dem er bey Simurg finden werde.
 

Nun kam der Reiger allgemach,
Und also zu den Vögeln sprach:

Mein Aufenthalt ist an dem Meer,
Dort wohne ich, mein eigner Herr,

Und über mich in dieser Welt
Gewiß sich keine Seel' aufhält.

Ich sitz' am Meere voll von Wehen,
Voll Sorgen, die um Mitleid flehen.

Nach Wasser gräm' ich mich zu Tod,
Fehlts mir, wer hilft in solcher Noth?

Wohl hundert Wellen schlägt das Meer,
Doch keine bringt ein Tröpfchen her.

Die Luft am Meere ist mir genug
Für meinen Kopf, ist mir genug.

Das Meer allein bekennet mich,
Verloren ist Simurg für mich;

Wenn tropfenweis die Wasser fließen,
Wie kann da der Simurg genießen!

 

Der Widhopf redet hier um so mehr über das Wasser, als er selbst ein gutes Spürtalent zur Auffindung desselben besitzt, und auf der Reise des Königs Salomon zur Königinn von Saba, die Brunnen und Quellen für das Heer aufsuchen mußte.
 

Die Eule kam als wie von Sinnen,
Ich lebe, sprach sie, in Ruinen,

Nur in Ruinen ist mein Seyn;
Gepreßt wird dort mein Freudenwein.

Vor allen Orten die bebaut
Es mir wie vor der Wüste graut.

Wer sich Gesellschaft will verdienen,
Er wandle sicher in Ruinen.

In Schutt und Trümmern ist mein Platz,
Im Schutt verborgen liegt der Schatz.

Der Schatz der Liebe liegt im Moder,
Der Weg dazu führt durch den Moder.

Verborgen ist mein Gram der Welt,
Der Schatz mir ohne Zauber fällt.

Es findet, wer nach Schätzen wühlt,
Mein Herz, das sich wahnsinnig fühlt.

Die Liebe hält Simurg für Fabel,
Nicht jedem Narren ziemts zu lieben;

Ich halte männlich darin aus,
Ich lieb' den Schatz im wüsten Haus.
 

Endlich kam auch der Staar.


Er kam ganz schwach und zarter Seele,
Vom Kopf zum Fuße ohne Halt.

Er sprach: Ich bin erstaunt, entnervt,
Hab keine Nahrung, keine Kraft.

Fein wie ein Haar vom Angesicht,
Hab' ich die Kraft der Ameis' nicht.

Wie, ohne Flügel, ohne Fuß,
Gelang ich zu Simurg's Genuß?

Wie soll ich Schwächling dahin kommen?
Wie kann der Staar Simurgen frommen?
 

Er vegleicht sich zuletzt mit dem in den Brunnen gefallenen Jussuf, und der Widhopf nimmt diese Vergleichung in seine Antwort auf, um dieselbe wider ihn geltend zu machen.
Nachdem die genannten Wortführer der Vögel einzeln vom Widhopf eines Besseren belehrt worden, erheben sie noch einmahl ihre Stimmen, um sich bey ihm Raths zu erhohlen:
 

Die Vögel, als sie dieß gehört,
Befragten noch einmahl Hudhud:

Du, der uns auf dem Wege führst,
Der Größre und der Beßre bist,

Wir sind so schwach, so lendenlos,
Am Leib, an Flügeln fehlt es uns.

Wie sollen zu Simurg wir kommen?
Kommt Einer hin so ist's ein Wunder!

Sag', wie verhält sich er zu uns?
Wie setzen Blinde übern Fluß?

Wenn er für uns geeignet wäre,
So sehnte Jeder sich nach ihm.

Er Salomon, und wir die Ameis',
Betrachte diesen Abstand nur!

Die Ameis in dem Haufen grabend,
Wie schwingt sie zu Simurg sich auf?

Wo ist der winz'ge Bettler, wo?
Und wo der mächt'ge Herrscher, wo?

Hudhud sprach: O ihr armen Wichte!
Ein böses Herz kann nicht gut lieben.

Ihr Bettler, die ihr nichts erwerbt,
Kein böser Herz schickt sich zur Liebe.

Wer offnen Auges lieben will
Setzt vor den Fuß, und setzt die Seele.

Wenn aus dem Schleyer, wie die Sonne,
Simurg sein Antlitz offenbart,

So wirft er tausendfält'ge Schatten,
Wirft einen reinen Blick darauf;

Sein Schatten kreiset um die Welt,
Und er erscheinet dann als Vogel,

Die Vögel sind nichts als sein Schatten,
Dieß lernet, o Unkundige!

Und wißt, eh' ihr was anders wißt,
Daß Alles sich auf ihn bezieht.

Wenn ihr dieß wißt, so seht was ist,
Entheiligt das Geheimniß nicht,

Und jenen der darin versinkt
Den haltet deßhalb nicht für Gott.

Bist du es selbst, du bist nicht Gott,
Allein versenkt bist du in Gott.

Wie weit steht solch ein Gottesmann
Vom übermüth'gen Sprecher ab! -

Weißt du weß Schatten du nun bist?
Verzicht' auf Menschheit und auf Leben!

Hätt' sich Simurg nie offenbart,
So hätt' er Schatten nie geworfen,

Und wär Simurg verborgen blieben,
So gäb es in der Welt nicht Schatten.

Wo immer Schatten jetzt entsteht,
Dort hat er sich geoffenbart;

Und sähe nicht das Aug Simurg's,
So glänzte nicht dein Herz wie Spiegel.

Kein Auge gibts für diese Schönheit,
Unmöglich wird bey ihr Geduld.

Die Liebe kann damit nicht spielen,
Sie spiegelt sich aus Huld in sich.

Der Spiegel ist das Herz, du schau
In's Herz, sein Antlitz drin zu sehn.

 

Nachdem Hudhud seine Lehren noch mit ein paar Geschichtchen anschaulicher gemacht, faßen endlich die Vögel den einstimmigen Entschluß, sich seiner Leitung zu überlassen, und auf dem Wege zum Simurg sich zu begeben. Sie fragen ihn nun um Rath, den er ihnen als Reisedirector auf der Straße der Vollkommenheit ertheilt.
   Er beginnt zuerst das Wesen und die Eigenschaften wahrer Liebe auseinander zu setzen, und erzählt ihnen zu diesem Ende sehr umständlich die Geschichte des Scheich Sanaan, der, nachdem er bis in sein hohes Alter Gott dem Herrn als ein frommer Mann gedient, endlich aus Liebe zu einem Christenmädchen alle Andacht aufgab und seine Religion verläugnete, dann die folgende Erzählung:
 

Es ging einst Bajasid der Scheich
Des Nachts hinaus in tiefer Stille.

Der Mond erhellte rings die Welt,
Die Nacht war glänzend wie der Tag,

Der Himmel prangte voll von Sternen,
Gesäet einer an den andern.

Der Scheich ging lange durch die Felder
Und seine Seele fand er dort.

Da fings ihn heimlich an zu grauen,
Er sprach: Herr! mich befällt ein Zweifel,

An solchem Hof, so hoch erhaben,
Warum ist alles denn so öde!

Erstaunter! sprach die inn're Stimme,
Nicht Jedem ist der Weg gewährt.

Es heischt es unsre höchste Ehre,
Von uns die Bettler zu entfernen.

Wenn aufbricht der Harem des Lichts,
Entfernet man die Zögernden;

Es warten Jahre lang die Pilger,
Bis Einer kömmt aus Tausenden.
 

Die Vögel, die sich vor den Beschwerlichkeiten des Weges und den Gefahren der Wüste zu fürchten anfangen, theilen einer nach dem andern ihre Unruhe und Zweifel dem Widhopf mit, der sie durch die Stimme höherer Weisheit beruhigt. So spricht gleich der erste:
 

O du, der unsre Schaar anführst,
Wie ward dir dieses Vorrecht denn?

Du bist wie wir, und wir wie du,
Woher nun zwischen uns der Abstand?

Was sündigte denn Seel' und Leib,
Daß du so rein und wir so trübe?


Antwort des Hudhud

Er sprach: O Vögel! Salomon
Erblickt' mich ungefähr vom Thron.

Nicht Gold und Silber, nur ein Blick
Verschaffte mir dieß höh're Glück.

Wer zum Gehorsam sich gewöhnt
Wird von dem Satan gleich verhöhnt.

Verflucht sey er, denn er spricht:
"Gehorsam ziemet Dienern nicht!"

Gehorsam werde nie veletzt,
Setz' nicht herab, was du geschätzt.

In dem Gehorsam such' dein Glück,
So wird dir Salomonis Blick.


Ein andrer sprach: O Schutz der Reiter,
Mir schwindelt vor dem weiten Weg,

Ich bin zu schwach und kräftelos,
Für mich ist dieser Weg zu lang.

Das Thal ist weit, und schwer der Pfad,
Ich sterbe auf der ersten Post.

Die Berge speyen Feuer aus,
Dieß ist nicht Jedermanns Beginnen.

Hier rollen tausend Köpf' als Ballen,
Entgegen fließt das Blut in Strömen.

Wahnsinnig wurden Tausende,
Und wer's nicht ward, verlor den Kopf

Auf diesem Weg, wo wack're Männer
Aus Schaam das Haupt verhüllet haben.

Was kommt bey mir heraus? nur Staub,
Und wenn ich fortgeh, sterb' ich weinend.

 

Hudhud beruhigt ihn, wie den vorigen, mit Weisheitslehren und Nutzanwendungen.
 

Ein andrer sprach: Ich bin voll Sünden,
Kann ich damit zurecht mich finden?

Wenn auf die Ameis fällt die Straf',
Wie kommt sie zu Simurg am Kaf?

Wer sich wegkehrt in Sünd befahn,
Wie kann er sich dem Herren nahn?


Der Widhopf sprach: Verzweifel nicht,
Vertrau' der ew'gen Gnade Licht!

Unkund'ger! wiss', ein jedes Ding,
Wird schwer was du nicht hältst gering.

Wenn Reue nicht wird angenommen,
Was sollten Sendungen dann frommen!

Hast du gesündigt, thue Buß,
So wird dir höherer Genuß;

Kommst du aufrichtig nur heran,
So wird Eröffnung dir gethan.


(Hier folgen kleine Erzählungen wie oben)

Ein andrer sprach: Ich, ein Phantast,
Ich hüpfe stets von Ast zu Ast,

Bald fromm, bald gottlos von Gesicht,
Bald bin ich's, und bald bin ich's nicht.

Bald findet man mich in Bordellen,
Und bethend bald in Klausnerzellen,

Bald steht der Teufel mir zur Seite,
Bald geben Engel mir Geleite.

So unstet treibt mich das Verhängniß
Vom Lebensbrunnen ins Gefängniß.


Hudhud's Antwort

Er sprach: So geht es andren auch,
Denn keiner hat nur einen Brauch.

Wenn Alle rein geboren wären,
Was sollten denn Propheten lehren?

Das Herz, worin Gehorsam wach,
Kommt schon zu rechte nach und nach;

Wenn nicht als Berg das Leben steigt,
Der Leib sich nie zur Ruhe neigt.

Sitz' eine Weil' am faulen Herd,
Was du dir wünschest wird beschert.

Die Thränen sind des Herzens Trost,
Wohlleben ist des Herzens Rost.

Wenn du dich weich gepflogen hast,
Verlierst du deinen Werth, Phantast!

(Phantast: Das Wort, das hier im ersten und letzten Verse des Reimswillen
mit Phantast übersetzt ist, heißt eigentlich Hermaphrodite,
der keines von Beyden, weder recht tugendhaft, noch recht lastehaft ist)


Ein andrer sprach: Ich hab' zum Feinde
Mein eignes Herz als Straßenräuber;

Es will sich mir nicht unterwerfen,
Ich weiß nicht meine Seel' zu retten,

Der Wolf des Feld's ist mir bekannt,
Bekannt wie dieser treue Hund,

So bin in Staunen ich verloren,
Wie ich zu der Bekanntschaft komme.

 

Wie dieser beklagt sich ein andere über den Teufel des Hochmuths, der ihm auf der Straße der Vollkommenheit in den Weg tritt, und ein anderer über den Teufel des Geizes; dem dritten geht es im eigentlichsten Verstand zu gut. Er sagt:
 

In Gluthen ist mein Herz befangen,
Weil Alles mir geht nach Verlangen.

Ich wohn' auf goldener Altan,
Wo mich die Leute staunen an.

Die Welt ist mir so hell und grün,
Wie soll ich ihr mein Herz entziehn!

Ich bin der Vögelfürst zu Haus',
Was soll ich in das Thal hinaus?

Verzicht auf meine Herrschaft thun
Und nicht in meinem Eden ruh'n!

Noch kein Vernünftiger verließ
Der Reise halb Paradies.


Hudhud's Antwort

Der Widhopf sprach: Du Optimist,
Bewachst als Hund stets deinen Mist.

Die Welt ist wahrlich Nichts als Mist,
Worauf dein Sitz erhaben ist;

Du bilde dir Nichts ewig ein,
Der Tod verlöscht den leeren Schein.

Wenn dich der Tod davon nicht triebe,
Wär's werth daß dieses Haus dir bliebe.
 


Den folgenden plagt die Liebe, und als ein Beyspiel des hohen Muths oder Unternehmungsgeistes erzählt er die Anekdote von dem alten zahnlosen ägyptischen Weibe, das bey der Versteigerung des ägyptischen Josephs, hohen Muth genug hatte, denselben um einen Dreyer zu wollen. Einen Andern peinigt die Furcht des Todes. Diesen erzählt Hudhud die folgende Parabel vom Herrn Jesus:
 

Der Herr Jesus eine Gerstensuppe aß,
Die war süßer als des Julep's Naß.

Er füllt damit einen Topf, und ging,
Aß den Topf aus, und ging.

Nun ward ihm der Mund bitter wie Lehmen
Was ihn gar sehr thät Wunder nehmen.

Er sprach: Es ist dieselbe Suppe die dorten war;
O Herr! mir dieß Geheimniß offenbar'.

Die Suppe in diesem Topf ist bitter für gewiß
Und dorten war sie wie Honig süß.

Da fing der Topf zu sprechen an.
Er sprach: Herr Jesus ich bin ein alter Mann,

Ich ward auf dieser irdenen Welt
Als Schüssel, als Kanne, als Topf, schon mannigfaltig zerschellt.

Und käm' ich tausendmahl auf des Töpfers Flur,
So blieb' ich doch immer bitt'rer Natur.

In jeder Form bin ich ein herber Ritter,
Deßwegen mach' ich auch die Suppe bitter.
 


Hierauf gleich die folgende Erzählung:
 

Als in den letzten Zügen lag Hippokrat,
Ein Schüler mit diesen Worten zu ihm trat:

Wenn ich dich Meister werde gewaschen haben,
Wohin soll ich dann den Leib begraben?

Er sprach: Wenn dir darum zu thun ist, Knabe,
Mich wohin du nur immer willst begrabe;

Ich habe gelebt viel Jahre lang,
Doch um mein Begräbniß ward mir niemahls bang.

Und wenn ich von hinnen gehe nun einmahl schon,
So weiß auch gewiß kein Haar am Leib' was davon.
 


Nachdem Hudhud wieder einige lehrreiche Geschichten dieser Art erzählt hat,
 

Sprach einer: Das ist recht und gut,
Hier kömmt es an auf hohen Muth.

Ich bin zwar schwächlich von Gestalt,
Doch hoher Muth empor mich halt.

Kann ich mich nicht Gehorsams rühmen,
Will hoher Muth mir besser ziemen.

Da sprach der ew'gen Lieb' Magnet:
Was ist, durch hohen Muth besteht;

Wer hohen Muth legt an den Tag,
Was er sich wünschet auch vermag.

Wer Muthes hat ein Sonnenstäubchen,
Dem dünkt die Sonne nur ein Stäubchen,

Den Weltenvogel trägt der Muth,
Der Seele Fittig ist der Muth.


Erzählung

Ein Kaiser sprach einst auf der Jagd
Zum Jäger: Schnell bring her den Hund.

Es war ein angelernter Hund,
Gekleidet in den feinsten Atlas.

Ein goldnes Halsband, voll von Steinen,
Verlieh dem Halse Glanz und Ruhm.

Am Fuße trug er goldne Ringe
Und hing an einer seidnen Schnur.

Der Schah wollt' selbst den Hund antreiben
Und nahm die Schnur in seine Hand.

Er selbst lief hinter ihm einher;
Da lag ein Bein ihm über quer.

Sobald er's sah fiel er darauf,
Der Schah sah, daß er hielt sich auf;

Der Schah entbrannt' sogleich in Eifer,
Und ließ am Hund denselben aus.

Ists möglich, sprach er, daß vor mir
Er Etwas andres sehen kann!

Zerriß die Schnur und sprach: Sofort
Laßt laufen diesen Unverschämten;

Die Brust mit Nadeln ihm zu stechen
Ziemt besser als ein solches Halsband.

Der Wärter sprach: Er ist geschmückt
Wie es für Kaisershand sich schickt.

Er ward, wiewohl vom Felde, wild,
In Gold und Seide eingehüllt.

Der Kaiser sprach: Entblöß' ihn ganz,
Nimm ihm des Golds und Silbers Glanz,

Damit, wenn er in sich gegangen,
Er einseh' was da vorgegangen,

Daß er begreife, wessen Thor
Und wessen Suppe er verlor. -

O du, der Freundschaft dir erwarbst,
Und durch Nachläßigkeit verlohrst,

Setz vor den Fuß wahrhafter Liebe,
Trink mit dem Drachen aus das Glas;

Nur sie bestehn im Kampfe heiß,
Wo der Verliebten Blut der Preis.

Es schauet dort der tapfre Mann
Die Drachen nur für Mücken an.

Verliebte, wenn auch noch so viel,
Gelangen nur durch Blut zum Ziel.
 


Auf diese Weise laufen die Vogelgespräche mit untermischten Geschichten, durch die andere Hälfte des Buchs bis ans Ende fort; wo von dem ganzen Heere der Vögel nur drey so glücklich sind, endlich zu Simurg zu kommen. Nachdem das Heer nähmlich lange Zeit Wüsten und Berge mit tausend Schwierigkeiten durchwandert ist,
 

Da spricht ei rein gesinnter Vogel:
Der Weg dehnt sich von Mond zu Monden.

Wir haben, war die Antwort, sieben Meere
Von Licht und Feuer zu bestehen;

Und sind wir endlich durchgekommen
Verschlinget uns ein Fisch auf einmahl,

Ein Fisch, der durch ein Athemholen
Die Vor- und Nachzeit in sich schlingt.

Er hat nicht Kopf und hat nicht Fuß,
Und schwebet mitten auf dem Meer,

Verschlingt auf Einen Odemzug
Die beyden Welten und die Menschen.

Als dieses Wort die Vögel hörten
Stieg ihnen Herzensblut zum Kopf,

Sie hieltens alle für zu schwer
Und über ihrer Kräfte Maß.

Der Unbestand ergriff die Seele,
Und viele starben hier mit Fleh'n.

Die andren machten sich verwirrt
Nach allen Seiten auf den Weg,

Durch Jahre lang hinauf, hinab,
Versplitterten ihr Leben sie;

Unmöglich wär' es zu beschreiben
Was ihnen auf dem Weg begegnet.

Gehst selber du einmahl den Weg,
Dann wirst du die Gefahren schauen,

Dann wirst du wissen was sie thaten,
Und wie viel Blutes sie gefressen.

Zuletzt gelangt von so viel Rittern
Nur eine kleine Zahl ans Ziel;

Es kamen von so vielen Vögeln
Von Tausenden nur einige.

Den einen fraß des Meeres Schlund,
Die andern gingen so zu Grund,

Auf hohen Bergen gaben diese
Aus lauter Durst die Seele auf;

Und jene wurden von der Sonne
Verbrannt zu einem Herzensbraten.

Die einen wurden von den Löwen
Und Leoparden abgeschreckt,

Die andern blieben bloß aus Furcht
Vor den Gefahren unterwegs.

Es starben Ein'ge in der Wüste
Vor Müdigkeit mit trocknen Kehlen,

Und Einige verbrannten sich
Wie Schmetterlinge an dem Licht.

So blieben manche unterwegs,
Weil die Beschwerlichkeit zu hart,

Und manche gaben auf der Stelle
Beym ersten Blick den Vorsatz auf.

So kamen dann von so viel Tausend
Nur wen'ge zum gewünschten Ziel.

Die ganze Welt von Vögeln reiste
Und endlich kamen drey nur an,

Drey, ohne Fittig, ohne Flügel,
Gebrochnen Herzens, kranker Seele,

Sie sah'n die höchste Majestät
Erhaben über die Vernunft;

Durch einen Blitz verzehret sie
Mit einem Blicke hundert Welten.

Was sind wohl hunderttausend Sonnen
Und hunderttausend Monde noch.

Versenket steh'n sie in Erstaunen
Wie Sonnenstäubchen fußgeschlagen.

Sie sprachen: Seht die Sonne ist
Vor dieser Majestät ein Stäubchen.

Wie sollen wir zu ihr gelangen?
Ach, weh! umsonst ist unser Weg.

Zum Ganzen schwangen wir uns auf,
Erreichten nicht was wir verhofften.

Hier sind die Himmel nur ein Stäubchen,
Was liegt uns hier an Seyn und Nichtseyn!

So fiel den Vögeln aller Muth
Als wären sie schon halb erwürgt.

Sie waren schon in Nichts versunken
Und lagen so geraume Zeit.

Da kam ein hoher Himmelsbote
Zu ihnen, wie von ungefähr.

Er sah drey Vögel, ganz verwirrt,
An Flügeln und am Leib beschädigt,

Vom Fuß zum Kopf ganz in Erstaunen,
Der Schwingen und der Kraft beraubt.

Er sprach: O Volk, woher seyd ihr?
Und weßhalb seyd ihr hergekommen?

Unglückliche, wie heißet ihr?
Wie lange sucht ihr Ruhe schon?

Was ist euch in der Welt begegnet?
Und wie erlagen eure Kräfte?

Sie sprachen: Wir sind hergekommen
Daß unser König sey Simurg.

Wir sind Verirrte seines Hofs,
Verirrte Pilger seines Wegs;

Wir wandeln ihn schon Zeit,
Aus Tausenden sind wir nur drey.

Wir kamen in der Hoffnung her
Von Angesicht ihn anzuschauen.

Wenn unser Leiden ihm gefiel,
So würdigt er uns eines Blickes.

Der Bothe sprach: Verstörte Pilger,
Im Herzensblut wie Thon geknetet,

Mit Huld erbarmet er sich Euer,
Und eilt herbey zu Eurer Hülfe.


Ich wandle, Herr! auf deinen Wegen
Wie eine lahme Ameis her.

Ich weiß nicht wessen Kind ich bin?
Woher ich bin, und wer ich bin?

Mir fehlet Leib und Loos und Glück,
Beständigkeit und Muth und Herz.

Das Leben ward in Blut ersäuft,
So daß davon kein Theil mir ward,

Umsonst ist Alles was ich that,
Die Seele sitzt mir auf den Lippen.
 


So fährt der Dichter nun in eigener Person fort, in dem Geiste der drey müden Pilger zu sprechen, welche am Fuß des Zieles, dennoch an der Möglichkeit es zu erreichen, verzweifeln wollen.
   Endlich erscheinen sie vor dem Throne Simurg's selbst, und diese Stelle, die (ungeachtet einiger noch hinten folgenden Geschichtchen und Nutzanwendungen) den eigentlichen Schluß des Werkes ausmacht, ist durch ihren hohen Mysticismus von Vermenschung und Entgötterung, von Entmenschung und Vergötterung, und durch die dunklen Anspielungen auf die Dreyeinigkeit, in dem Munde eines mohammedanischen Dichters, gewiß äußerst merkwürdig.
 

Der Vögel Seele war beschämt,
Ihr Leib war ganz und gar vernichtet,

Sie hatten sich getrennt vom Staube,
Und waren von dem Licht beseelt.

Sie hatten eine neue Seele,
Und waren einer andern Gattung.

Was war, und nicht war, das Vergangne
War ausgelöscht in ihrer Brust,

Des Nahens Sonne strahlte ihnen
Den hellsten Schimmer in die Seele.

Der Abglanz des Simurges strahlt
Als Eins zurück von allen Dreyen.

Sie wissen nicht, erstaunt, ob sie
Nun dieser oder jener sind.

Sie schauen sich ganz als Simurg,
Sich selbst im ewigen Simurg.

Wenn zum Simurg hinauf sie blickten,
Erblickten sie Ihn unter sich,

Und wenn sie auf sich selber schauten,
So schauten sie sich im Simurg.

Ein einz'ger Blick vermengte Beyde,
Simurg entstand, Simurg verschwand,

In diesem jenes, dieß in jenem,
Was nie die Welt noch hat erhört.


So blieben sie versenkt in Staunen
Gedankenlos im tiefsten Denken,

Und ihrer selbst gar nicht bewußt.
Verstummend flehten sie den Höchsten,

Zu offenbaren dieß Geheimniß
Und aufzulösen Du und Wir.

Da kam die Antwort ohne Zungen:
Der Höchste ist ein Sonnenspiegel,

Wer zu ihm kommt schaut sich darinnen,
Schaut Leib und Seel', und Seel' und Leib.

Da ihr zu dem Simurg gekommen,
Seyd drey darinnen ihr erschienen.

Und wäret fünfzig ihr gekommen,
So hättet ihr euch so gesehen.

Denn Keiner hat uns noch geschaut,
Ameisen schau'n Pleiaden nicht!

Kann wohl die Mücke mit den Zähnen
Des Elephanten Leib ergreifen?

Was ihr gesehen, ist Er nicht;
Was ihr gehöret, ist Er nicht.

Die Thäler, die ihr durchgewandert,
Die Thaten, die ihr ausgeübt,

Sie liegen unter unserm Handeln,
Und unter unsern Eigenschaften.

Ihr, als drey Vögel, seyd erstaunt,
Geduldlos, herzlos und verwirrt.

Weit über euch bin ich erhaben,
Denn ich bin in der That Simurg.

Sie löschen aus mein höchstes Wesen
Um sich an meinem Thron zu finden,

Auf ewig löschen sie sich aus,
Wie Schatten in der Sonn'. Fahrt wohl!

Sie gingen fort. - Das Wort ist aus,
Hier hat es weiter keinen Grund,

Deßwegen breche ich es ab.
Geh zu dem Weg, er liegt dir offen.
 


Diese Stelle ist unserem Urtheile nach die erhabenste der uns bekannten mystischen Werke des Orients. Mit der höchsten Stetigkeit zeichnet Attar, als Sofi und Dichter, auf dem dunklen Grunde übersinnlicher Anschauung die Grenzlinie aller menschlichen Erkenntniß des höchsten Wesens mit den hellsten Farben der Poesie, und mit so festen Umrissen, als der schwebende Wolkengrund zwischen Himmel und Erde nur immer gestatten will. Der Schleyer vom Heiligthume der Sofi's ist gelüftet, und Blitze auf Blitze zücken dem irdischen Auge entgegen, vor dem sich der Ewige wieder in die Nacht des Wolkenzeltes hüllt. Nach jahrelangem Pilgern durch die Wüsten des beschaulichen Lebens, wo Karawanen von Reisenden, und ganze Menschenalter untergegangen, erreicht Keiner oder Einer den Grad der höchsten Vollkommenheit, wo er den Ewigen zu sehen vermeint von Angesicht zu Angesicht. Erschöpft, entnervt, entmenscht, gelangt er endlich zu dem Ziele der Seher, und da schaut er die Gottheit im offenen Himmel seines eigenen Gemüthes - Gott in sich, und sich selbst in Gott - wähnt er zu schauen. Täuschung! Alles ist Täuschung und Nichts als Täuschung! - Nicht das ewige Licht, dessen Abglanz der Geist und dessen Schatten die Materie ist, hat er mit seinen Maulwurfsaugen gesehen, sondern sich selbst im ewigen Weltenspiegel, der dem Sinnlichen, der sich für übersinnlich gehalten, nur Sinnliches zurückstrahlt. Indem er in sich das Irdische zu vernichten und das Sinnliche zu zerstören wähnte, hat er die göttliche Flamme ausgelöschet, um sich blind und finster an das Thor der Himmelsburg zu stellen, wo er als Schatten in der Sonne verschwindet.
   Zurück ihr Seher, in der Sinnenwelt befangen! zurück vom Heiligsten der Gottheit, das Euch ewig verschlossen bleibt! so ruft Euch Attar der Dichter und Sofi, und der Sofi der Dichter in göttlicher Begeisterung zu.

übersetzt von Joseph von Hammer-Purgstall (1774-1856)

Aus: Geschichte der schönen Redekünste Persiens
mit einer Blüthenlese aus zweyhundert persischen Dichtern
von Joseph von Hammer Wien 1818 (S. 140-154)



 

 


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