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      Fariduddin Attar (um 1136-1221) 
       
       
      Aus den Vogelgesprächen (Mantiket-tair) 
       
  
      Sein ganzer Nahme ist 
      Mohammed Ben Ibrahim Attar von Nischabur, sein Beynahme Geißel des 
      beschaulichen Lebens. Der fruchtbarste Dichter der Sofi's, würde er 
      auch der größte seyn, wenn ihn nicht später Mewlana 
      Dschelaleddin übertroffen hätte. Diese beyden, sammt Senaji, 
      sind das Kleeblatt der großen mystischen Dichter, bey denen Bild und 
      Allegorie Nichts im buchstäblichen, Alles im mystischen Sinne zu verstehen 
      ist; er erreichte ein hohes Alter, wie Saadi und Esssedi, 
      und soll über hundert vierzehn Jahre alt geworden seyn. Unter der 
      Regierung Sultan Sandschar des Sohns Melekschah's im Jahre 613 (1216) 
      geboren zu Kerken, einem Dorfe bey Nischabur, brachte er 29 Jahre 
      seines Lebens in dieser Stadt, und 85 in der Stadt Schadbach zu, 
      die drey Jahre nach seinem Tode verwüstet ward. 
   Nach dem Tode seines Vaters behielt er einige Zeit die 
      Gewürzhandlung desselben, gab sie aber hernach auf, und zog sich in das 
      Kloster des Scheich Rokneddin zu Akaf zurück, wo er sich ganz dem 
      ascetischen Leben weihte, wiewohl Niemanden der Zugang zu seiner Zelle 
      verwehrt war. Seine ganze Lebenszeit hindurch hatte er Alles, was er von 
      mystischen Werken auftreiben konnte, gesammelt, und mit einer großen 
      Anzahl von Scheichen und frommen Männern gelebt. Da er mehr als 400 
      ascetische Werke gelesen und benützt, und siebzig Jahre lang Stoff zu den 
      Biographien heiliger und frommer Männer gesammelt, so wird der hohe 
      mystische Werth seiner eigenen Werke, und das Verdienst seiner Biographien 
      der Heiligen (das vollständigste Werk dieser Art) leicht begreiflich. Die 
      Sammlung seiner Gedichte (die Mesnewi oder Doppelgereimten nicht 
      gerechnet) beträgt 40000 Distichen, worunter 12000 vierzeilige Strophen. 
      Außer den Biographien der Heiligen schrieb er in Prosa noch 
      ascetische Werke, wie Aschwanes-safa, oder die Brüder der Lust, 
      und andere. Die berühmtesten seiner poetischen Werke sind: Essrarname, 
      das Buch der Geheimnisse; Ilahiname, das göttliche Buch;
      Moßibetname, das Buch der Drangsale; Dschewahiressat, 
      die Essenzen der Substanz; Waßietname (sonst Pendname), 
      das Buch des Raths; Mantiket-tair, die Vogelgespräche;
      Bülbülname, das Buch der Nachtigallen; Gul u Hormus,
      Gul und Hormus; Uschturname, das Buch der Kamele; 
      Moschtarname, das auserwählte Buch; Haidername, das 
      Buch Haider's. Dieses letzte schrieb er in seiner Jugend, und er ist 
      der Verfasser desselben, wiewohl andere sagen, daß es die Jünger des 
      Scheich Haider's (des Stifters einer besondern ascetischen Secte) verfaßt, 
      und dann dem Scheich Attar zugeschrieben hätten, was aber ein Irrthum ist. 
      Außer den von Dewletschah genannten zwölf Werken führt Hadschi Chalfa noch 
      als Werke Attar's an: Pirname, das Buch der Greise; 
      Chosruname, das Buch der Chosroen; Dschewabname, das 
      Buch der Antworten; und Havaidsch, die Nöthen. 
   Attar trat auf eine eben so sonderbare Veranlassung aus dem 
      praktischen ins beschauliche, als aus diesem in das andre Leben. Ein 
      frommer Derwisch ging an seinem Gewölbe vorbey, mit Seufzern und Thränen. 
      Attar hieß ihn weiter gehen. Der Derwisch entgegnete: "Das kann ich 
      leicht, ich habe nichts als meine Kutte; aber du mit so viel schweren 
      Säcken, wie wirst du es machen, um fort zu kommen, wenn die Stunde der 
      Abreise schlagen wird?" Diese Worte machten tiefen Eindruck auf 
      Ferideddin, der von diesem Augenblicke seinen Handel aufgab, und sich 
      ganz der Andacht weihte. 
   Wie er hier aufgefordert worden war, der Welt abzusterben, so 
      forderte er in seiner Todesstunde seinen Mörder gleichsam selbst auf, ihn 
      der Bürde des Lebens zu entlassen, und seine Seele, die wie ein gefangener 
      Vogel im Käfichte schmachtete, in Freyheit zu setzen. Bey dem Einfalle der 
      Mongolen unter Dschengischan hatte einer seiner Soldaten schon das Schwert 
      aufgehoben, ihn zu tödten, als ihm ein anderer sagte: "Tödte diesen Greis 
      nicht, ich will dir tausend Silberstücke für sein Leben geben." – "Hüte 
      dich", sprach Attar, "mich um diesen Preis herzugeben; du wirst Käufer 
      finden, die mich theurer bezahlen". Einige Schritte weiter, als ihn der 
      Mongole wieder umbringen wollte, sprach ein anderer: "Tödte ihn nicht, ich 
      will dir einen Sack Stroh für sein Leben geben." – "Verkauf mich", sprach 
      Attar, "denn mehr bin ich nicht werth." Da hieb ihn der Mongole zusammen. 
      Dieß ereignete sich nach Einigen im Jahre 732 (1331), nach Anderen im 
      Jahre 727 (1326), nach Anderen schon im Jahre 719 (1318). 
   Attar hatte das Ordenskleid vom Scheich Medschid in Bagdad 
      bekommen, und in seiner Kindheit den oben erwähnten Scheich Kotbeddin 
      Haider gesehen, der zu Ende des sechsten Jahrhunderts der Hedschira zu 
      Sawa starb. Kerkeni aber, der Geburtsort Attar's, liegt im Distrikte von 
      Sawa, und Ibrahim Ben Jschak Attar, der Vater Ferideddin's, war ein Jünger 
      Scheich Haider's. 
       
      Von den obgenannten Werken Attar's sind von allen drey allgemein im 
      Morgenlande gelesen, nämlich das Buch des Rathes (Pendname), 
      die Vogelgespräche (Mantiket-tair), und das 
      Dschewahirname, d. i. die Essenzen der Substanz. Wir übergehen 
      das erste, weil es aus der französischen Uebersetzung, die Freiherr de 
      Sacy davon in den Fundgruben des Orients II. Band geliefert hat, 
      hinlänglich bekannt ist; desto ausführlicher wollen wir aber von dem 
      zweyten sprechen. 
       
      Mantiket-tair. Der Titel desselben ist bisher meistens unrichtig 
      durch Vögel-Logik übersetzt worden, weil man sich an die im 
      wissenschaftlichen Sprachgebrauche übliche Bedeutung des Worts Mantik 
      hielt, womit die Araber das griechische 
      logikh 
      übersetzten. Hier heißt es aber so viel als mündliche Unterhaltung, 
      Vögelgespräche, indem die Vögel ordentliche Makamate oder 
      Sitzungen halten, in denen sie über das gemeine Beste, und über die 
      tauglichsten Mittel zur Erreichung des großen ihnen vorgesteckten Zweckes, 
      den wir gleich näher kennen lernen werden, berathschlagen. Das Werk 
      beginnt mit folgender Anrufung:  
      
      Den Seelenschöpfer Lob, dem 
      Reinen, 
      Der Seel' und Glauben schenkt dem Staube, 
       
      Der auf die Wasser setzt' die Himmel, 
      Und auf die Luft das ird'sche Leben, 
       
      Deß Hand die Himmel hob empor, 
      Und niederdrückte tief die Erde, 
       
      Der jenen stetige Bewegung 
      Und dieser stete Ruh' verlieh. 
       
      Er spannt den Himmel ohne Säulen, 
      Als das Gezelt der Erde auf. 
       
      Schuf sieben Lichter in sechs Tagen 
      Und aus zwey Worten die neun Himmel. 
       
      Er schuf der Sterne goldne Kugel, 
      Womit der Himmel spielt bey Nacht. 
       
      Die Körper formend, streut dem Vogel 
      Der Seel' Er auf den Schweif den Staub. 
       
      Das Meer zerschmolz in Unterwerfung, 
      Der Berg erstarrt' aus Furcht und Schrecken, 
       
      Aus Fluthen macht' er Staub, aus Stein 
      Rubin, und aus dem Blute Moschus. 
       
      Dem Berg verlieh' er Dolch und Gürtel,1 
      Darum erhebt er stolz das Haupt. 
       
      Er wandelt Gluth in Rosenbüsche2 
      Und überbrückt das Meer mir Eis. 
       
      Die Mücke straft des Feindes Haupt3 
      Mit Raserey vierhundert Jahre. 
       
      Den Spinnen gab er Kunst zu netzen 
      Für ihre Ruhe einen Thron. 
       
      Mit Haar umgürtet er die Ameis 
      Und schmückt damit den Salomon.4 
       
      Gibt ihr das schwarze Flügelkleid,5 
      Dem Pfau den goldnen Federprunk. 
       
      Und weil die Lilie Jesus hält,6 
      So wölbt er sie mit luft'gem Bau. 
       
      Der Tulpe gibt er blut'ge Schwerter, 
      Umwölkt das Aug' des Nenufar. 
       
      Er taucht in Blut der Erde Schollen, 
      Rubin und Onyx zu bereiten; 
       
      Die Sonn', der Mond, so Tag und Nacht 
      Anbethend um die Erde gehn, 
       
      Anbethung ist ihr Zauberkreis, 
      Denn ohne Kreise ist kein Zauber; 
       
      Er breitet silbern aus den Tag 
      Und rollet schwarz die Nacht zusammen. 
       
      Er gab dem Widhopf7 Straßenkunde, 
      Dem Papagey ein golden Halsband. 
       
      Der Welten Vogel schlägt die Flügel 
      Und legt zu seinem Thron das Haupt. 
       
      Den Himmel schwingt er um, daß Nacht 
      Auf Tag, und Tag auf Nacht erfolgt. 
       
      Sein Hauch formt Menschen aus dem Lehmen, 
      Aus einer Handvoll Rauch die Welten. 
       
      Er gab dem Hunde Forschungskraft 
      Den Weg der Katze aufzuspüren, 
       
      Und gab ihm Löwentapferkeit,  
      Wenn er uns dienet zum Geleit. 
       
      Er gab dem Salomon die Herrschaft,8 
      Der Ameis die Beredsamkeit. 
       
      Den Stab verwandelt er in Schlangen,9 
      Den Feuerheerd in Sündfluthquell.10 
       
      Beginnt des Himmels Gaul den Lauf, 
      Beschlägt der Neumond ihm den Huf.11 
       
      Aus Felsen schuf er ein Kameel,12 
      Das gold'ne Kalb fing an zu brüllen.13 
       
      Im Winter streut er Silber aus, 
      Im Herbste von den Bäumen Gold. 
       
      Die Dornen färben sonst mit Blut, 
      Die Rosenknospe färbt die Dornen. 
       
      Jasminen gibt er den Turban, 
      Den Tulpen eine blut'ge Haube. 
       
      Narcissen gibt er goldne Kronen 
      Und setzt darauf des Thaues Perlen. 
       
      Verstand steht still, die Seele fliegt, 
      Der Himmel kreis't, die Erde fällt. 
       
      Wo Sonnen sich an Sonnen schlingen 
      Bezeugt ihn jedes Sonnenstäubchen. 
       
      Der Erde Tief', des Himmels Höhe, 
      Sie geben gegenseitig Zeugniß. 
       
      Der Wind, der Staub, die Gluth, das Blut, 
      Verkünden sein Geheimniß laut. 
       
      Er knetet Staub durch vierzig Morgen, 
      Worauf die Seele ihn bewohnt. 
       
      Als nun die Seel' belebt' den Leib, 
      Gab er Verstand ihr um zu sehen, 
       
      Und dem Verstand die Wissenschaft, 
      Um durch dieselbe zu erkennen. 
       
      Und als er fühlt' der Kenntniß Mängel 
      Ward in den Leib er eingesperrt. 
       
      Es sind die Freunde wie die Feinde 
      In seinem Joche eingespannt. 
       
      Des Menschen Weisheit schlafet ein, 
      Indessen Er, o Wunder! wacht. 
       
      Die Berge sind der Erde Nägel, 
      Er wusch ihr mit dem Meer die Stirn. 
       
      Die Erde trägt des Stieres Rücken, 
      Den Stier der Fisch, den Fisch die Luft. 
       
      Was trägt die Luft? es trägt sie Nichts 
      Und Nichts, auf Nichts und lauter Nichts. 
       
      Betrachte des Monarchen Macht, 
      Deß Reich gegründet ist auf Nichts. 
       
      Da Er der Einzige besteht, 
      Ist außer ihm wohl Alles Nichts. 
       
      Die Luft, die Wasser, sind sein Thron, 
      Und außer selben ist nur Gott! 
       
      Sein Thron, die Welt sind Talismane, 
      Sie wirken nur durch seinen Nahmen. 
       
      O weh! was ist des Menschen Kraft, 
      Die Sonne scheint, das Aug ist blind; 
       
      Wenn du es sähst, verschwändest du, 
      Versänkest in dein eignes Nichts. 
       
      Wir legen all' die Hand an Saum 
      Und bitten um Entschuldigung. 
       
      Versteckt, indem du kund dich gibst, 
      Bist du die Welt, erscheinest nicht; 
       
      Die Seel' im Leib, du in der Seele, 
      Bist im Verborgnen du verborgen; 
       
      Du gehst der ganzen Welt voraus 
      Und alle Augen folgen dir, 
       
      Dein Weg ist angesät mit Wächtern, 
      Drum findet Keiner zu dir hin. 
       
      Vernunft und Seel' gelangen nicht 
      Zum Wesen, zu den Eigenschaften. 
       
      Du liegst als Schatz zwar in der Seele, 
      Doch offenbarst du dich im Leib; 
       
      Die Seelen sind nach dir gezeichnet, 
      Propheten streu'n sie vor dir aus. 
       
      Du gabst zwar der Vernunft das Daseyn, 
      Doch findet sie zu dir nicht hin, 
      u.s.w. 
        
        
          
      1 Dolch und Gürtel heißt der 
      Rücken und Bauch des Berges. 
      2 Die Gluth im Ofen, worein Abraham geworfen ward, auf Befehl Nimrod's. 
      3 Diesen stach nach der orientalischen Legende eine Mücke, so daß er 400 
      Jahre lang wahnsinnig herumirrte und Gras fraß. 
      4 Anspielung auf die Legende, daß Salomon den Ameisenkönig auf die Hand 
      hob. 
      5 Im Original: Er gibt ihr das Kleid der Söhne Abbas, welche, wie aus der 
      Geschichte bekannt, die schwarze Farbe als die Farbe des Throns 
      einsetzten. 
      Die arabischen Emire, besonders auf Libanon, tragen heute noch solche 
      schwarze Kleider. 
      6 Die Lilie, als das Sinnbild der Reinigkeit, wird von den Morgenländern 
      außer dem ägyptischen Joseph auch dem Herrn Jesus beygelegt, wie von uns 
      seinem Nährvater. Die Lilie ist zugleich die Blume der Philologen, weil 
      dem Morgenländer ihre Blätter, als eben so viele Zungen erscheinen. Daher 
      der Dichter irgendwo sagt: Daß selbst die Lilie mit zehn Zungen verstumme. 
      7 Der Widhopf, der nach der Meinung der Morgenländer ein vorzügliches 
      Ortsgedächtniß besitzt, war Salomon's Wegweiser auf der Reise zur Königin 
      von Saba. 
      8 Im Persischen den Stab, das Zeichen der Herrschaft.  
      9 Das Wunderwerk Moses. 
      10 Nach dem Koran kam das Wasser der Sündfluth aus einem Kohlenherde. 
      11 Der Neumond ist das Hufeisen des himmlischen Gauls. 
      12 Das Wunderwerk des Propheten Saleh, der aus dem Felsen ein Kameel 
      hervorgehen ließ. 
      13 Das goldene Kalb der Israeliten in der Wüste. 
   
        
      Nach diesem Eingange, dessen 
      einzelne Gedanken sich mit manchen der Psalmen an Erhabenheit messen 
      können, folgt der Lobpreis des Propheten und der vier ersten Chalifen, 
      sammt einigen Ueberlieferungen derselben; unmittelbar nach dem Lobe 
      Mohammed's ist der folgende mystische Apolog eingeschaltet: 
   
      
      Erzählung 
      
       
      Ein Knabe der Mutter ins Wasser fiel, 
      Die Mutter die ängstlichste Sorge befiel; 
       
      Der Knabe bemüht sich mit Füßen und Händen, 
      Sich dorthin und dahin wie Mühlen zu wenden. 
       
      Es folget das Wasser ihm nach auf dem Fuß 
      Und weiter und weiter entführt ihn der Fluß. 
       
      Zum Glück begegnet er ein Ankertau, 
      Das bringt ans Land ihn zur weinenden Frau; 
       
      Die Mutter ergreift ihn alsobald 
      Und drückt ihn an Busen mit Gewalt. 
       
      Du hast die Liebe der Mutter gethan, 
      So redet das Ankertau sie an. 
       
      Gerade so bin ich ins Wasser gefallen, 
      Und bin vor die Taue des Ankers gefallen. 
       
      Ich tracht', wie der Knabe, mit Füßen und Händen, 
      Mich aus dem verschlingenden Wirbel zu wenden. 
       
      Erbarmer der Seelen, den Knaben hab Acht! 
      Ihm mitten im Wirbel des Wassers betracht', 
       
      Erbarme dich meines gefolterten Herzen 
      Und reich' mir die Hand in dem Wirbel der Schmerzen, 
       
      O reiche die Nahrung der Liebe herab 
      Und decke die Tafel des Mitleids nicht ab, 
      u.s.w. 
  
        
      Hierauf beginnt der 
      Reichstag der Vögel, die sich versammeln, um über die Wahl eines Königs zu 
      berathschlagen. Hudhud, der Widhopf, den die Natur schon mit einer 
      Krone versehen, und der daher darauf das erste Recht zu haben scheint, 
      tritt als der Erste auf, nicht aber um seine Ansprüche für sich selbst zu 
      behaupten, sondern um dieselben für Simurg, den Einzigen seiner 
      Art, der abgeschieden von der Welt im Gebirge Kaf wohnt, geltend zu 
      machen. Nach ihm sprechen die berühmtesten der andern Vögel mit 
      Einwendungen, die Hudhud nach Kräften widerlegt, indem er den 
      Egoismus der Einzelnen zu beschränken sich bemühet. Endlich wird die Reise 
      beschlossen und angetreten, und während derselben halten die Vögel die 
      Gespräche, welche der Hauptinhalt des Buches sind. Sie machen nämlich 
      Einwürfe über die Schwierigkeiten des Weges, und die Hindernisse die sich 
      ihrem Vorhaben entgegensetzen. Alles dieß ist Allegorie und bezieht sich 
      aufs beschauliche Leben, indem unter Simurg hier (wie sonst unter 
      dem Quell des Lebens) das höchste Gut verstanden wird, das Alle suchen und 
      Keiner findet. So geschieht es denn auch, daß unter lauter Reden und 
      Gegenreden, unter Geschichterzählen und Moralisiren, die Zeit und der Weg 
      verloren geht, und die Vögel (drey ausgenommen) eben so wenig zur Residenz 
      Simurg's gelangen, als die Pilger des Weges der Vollkommenheit zum 
      erwünschten Ziele. Einen Begriff von der Behandlung des Ganzen geben die 
      folgenden gleich vom Anfang hergenommenen Proben: 
   
      
      Der Widhopf trat verstörten 
      Herzens 
      Zuerst im Vögelreichstag auf, 
       
      Die Brust geschmückt mit Federgürtel 
      Und auf dem Haupt der Federkrone; 
       
      Ein feiner Kopf, des Wegs erfahren, 
      Bekannt mit Gutem und mit Bösem. 
       
      Er sprach: Ihr Vögel, ohne Zweifel, 
      Ich bin des Herrn der Schöpfung Bothe, 
       
      Das Aeußere ist uns bekannt, 
      Ich kenn' des Inneren Geheimniß. 
       
      Wer Gottes Nahmen führt im Schnabel, 
      Muß viel Geheimnisse ergründen. 
       
      In Gram verleb' ich meine Tage 
      Und Niemand klaget über mich; 
       
      Wenn ich der Krone mich annehme, 
      Hat man die Reiter nicht zu fürchten. 
       
      Ich zeig' das Wasser an, und kenne 
      Viel anderes Geheimniß noch. 
       
      Da Salomon mit mir gesprochen, 
      Zeigt' seinem Heere ich den Weg. 
       
      Er fragte nie, wenn Jemand fehlte 
      Von seines Hofes Dienerschaft, 
       
      Doch als ich mich auf kurz entfernt, 
      Ließ er mich suchen aller Orten; 
       
      Er konnte ohne mich nicht seyn, 
      Das kündet meinen hohen Werth. 
       
      Ich trug ihm Briefe, kam zurück, 
      Ich sah ihn in dem Zelt geheim. 
       
      Wer sich ausweiset als Propheten 
      Trägt auf dem Scheitel eine Krone, 
       
      Mich, den Propheten rühmlich nennen, 
      Wie sollten Vögel mich erkennen! 
       
      Ich habe Meer und Land durchwandert, 
      Bin Jahre lang herumgereiset, 
       
      Durch Wüsten, Thäler und Gebirg 
      Schon von der Zeit der Sündfluth her, 
       
      Begleitete den Salomon 
      Auf allen seinen weiten Reisen. 
       
      Ich kenne Euern wahren König, 
      Doch kann ich nicht allein hingeh'n, 
       
      Doch, wenn ihr euch mir wollt vertrauen, 
      So mach ich euch dem Schah bekannt. 
       
      Befrey' euch von dem Eigendünkel, 
      Und von ungläubiger Verwirrung. 
       
      Wer sich hingibt ist über alle 
      Beschwerden dieses Wegs hinaus, 
       
      Er setzt den Fuß auf diesen Weg, 
      Er legt den Kopf auf diese Schwelle. 
       
      Wir haben sicher einen Kaiser, 
      Er thronet im Gebirge Kaf, 
       
      Er heißt Simurg, ist Vögelherrscher, 
      Er ist uns nah, wir sind ihm fern. 
       
      Er thront auf einem hohen Baume, 
      Nicht jeder nennet seinen Nahmen, 
       
      Verhüllet in zehntausend Schleyer 
      Von Finsterniß und hellem Licht. 
       
      In beyden Welten hat Niemand 
      Den Muth mit ihm es aufzunehmen. 
       
      Er ist der unumschränkte Fürst, 
      Versenket in sein eignes Wesen. 
       
      Er trat noch nie aus sich heraus, 
      Wie soll ihn die Vernunft ergründen; 
       
      Viel Tausende verlangen ihn, 
      Doch findet Keiner zu ihm hin. 
       
      Die Seele kann ihn nicht beschreiben, 
      Und die Vernunft ihn nicht begreifen. 
       
      Kein Weiser sah noch seine Tugend, 
      Kein Seher sah noch seine Schönheit. 
       
      Geschöpfe schwingen sich nicht auf 
      Bis zu der Höhe seines Wissens. 
  
        
       
      Diese Beschreibung kündet nicht den Simurg der persischen Fabellehre, 
      sondern einen mystischen an, nämlich das höchste Wesen selbst. Nachdem der 
      Widhopf eine Weile in diesem Tone fortgefahren: 
   
      
      Das kam die Nachtigall 
      betrunken 
      Und außer sich von Schönheitsliebe; 
       
      In jedem Tone liegt ein Sinn, 
      In jedem Sinne eine Welt. 
       
      Sie sang von dem verborgnen Sinn 
      Und gab den Vögelschaaren Rath. 
       
      Sie sprach: Ich kenn' geheime Liebe, 
      Ich sing' die ganze Nacht von Liebe. 
       
      Gefallnen steht kein Helfer auf, 
      Wenn ich nicht Liebespsalmen singe. 
       
      Die Flöte weint nach meinem Wort, 
      Die Laute klagt nach meinem Ton, 
       
      Ich bring' das Rosenbeet in Aufruhr, 
      Empör' das Herz der Liebenden. 
       
      Zu jeder Zeit erklär' ich anders 
      In neuen Tönen das Verborgne. 
       
      Wenn mir Gewalt anthut die Liebe, 
      Braus't wie ein Meer die Seele auf. 
       
      Wer mich vernimmt verliert Verstand, 
      Und wenn er noch so vielen hätte. 
       
      Seh' ich im Jahr nicht die Geliebte, 
      Verschließ ich meinen Laut in mir; 
       
      Doch wenn sie Moschusduft im Frühling 
      Hin über Fluren weit verstreut, 
       
      So schließe ich mein Herz ihr auf, 
      Laß schweren Klagen leichten Lauf. 
       
      Wenn keine Bien' um Rosen summt, 
      Die Nachtigall zugleich verstummt, 
       
      Drum bin ich nicht gekannt von Allen, 
      Nur Rosen kennen Nachtigallen. 
       
      In ihre Liebe ganz versenkt, 
      Gedenk ich meines Daseyns nicht, 
       
      Ich denke nur der Rose Liebe, 
      Begehre mir Nichts als die Rose. 
       
      Simurg ist über meine Kräfte, 
      Die Nachtigall genügt der Rose, 
       
      Sie blühet hundertblättrig mir, 
      Wie soll mein Leben mir nicht blühen! 
       
      Die Rose blüht mir nach Verlangen 
      Und lächelt mir mit süßer Lust. 
       
      Wenn sie mir unterm Flore lacht 
      Auf meiner Stirn die Lust erwacht. 
       
      Was wäre eine einz'ge Nacht, 
      Von der Geliebten fern, durchwacht! 
       
       
  
        
      Der Widhopf sucht die 
      Nachtigall ihrem blinden Liebestaumel zu entreissen, und auf das, was dem 
      Geschöpfe noch mehr Noth sey als die Liebe des Geschöpfes, nähmlich auf 
      die ewige Liebe und den Quell derselben, den göttlichen Simurg, 
      hinzulenken. Da kömmt 
      Der Papagey, den Mund 
      voll Zucker, 
      Pistaziengrün mit goldnem Halsband, 
       
      In seinem Glanze tanzen Mücken, 
      Der Fittig spiegelt Alles grün, 
       
      Statt Worten streut er nichts als Zucker 
      Und athmet lauter Zucker ein. 
       
      Er sprach: Stahlherzen sperrten mich 
      In einem eisern Käficht ein; 
       
      In diesem Kerker schmacht' ich nun 
      Nach Chiser's ew'gen Lebensquelle, 
       
      Ich selber grün, der Vögel Chiser, 
      Umkreise Chisers Lebenstrank; 
       
      Ich kümmre mich nicht um Simurg, 
      Mir ist des Lebens Quell genug. 
       
  
      Der Widhopf belehrt ihn, wie 
      die Nachtigall, über die Einseitigkeit seiner Ansichten und Wünsche, und 
      schließt seine Rede damit, daß, wenn alle Vögel so egoistisch dächten, er 
      es für besser hielte, sie ihrem Schicksale zu überlassen und ihnen 
      Lebewohl zu sagen. 
      Der Pfau stolzirte 
      nun heran, 
      Mit tausend Farben angethan, 
       
      Sein Hals strahlt wie ein Brautschmuck ganz 
      Und jede Feder streuet Glanz. 
       
      Er sprach: Ich bin so schön gemahlt, 
      Daß Genien der Pinsel fallt. 
       
      Ich bin der Vögel Gabriel, 
      Allein mein Loos ist minder hell; 
       
      Weil ich die Schlange konnte lieben, 
      Ward ich vom Paradies vertrieben. 
       
      Die Einsamkeit ward mein Genuß 
      Und mich demüthiget mein Fuß. 
       
      Nun denk' ich immerfort daran 
      Mich aufzuschwingen himmelan; 
       
      Ich trage Nichts nach dem Sultan, 
      Ich bin mir selbst genug als Mann. 
       
      Was gehet der Simurg mich an, 
      Mein Thron ist dort in Edens Plan. 
       
      Hienieden hab ich Nichts zu thun, 
      Bis ich im Paradies kann ruh'n. 
       
       
      Der Widhopf sprach:  Verlorner Mann! 
      Wer sich hinsehnet zum Sultan, 
       
      Der nahet sich dem Paradies, 
      Er ist der Herr der Paradiese. 
       
      Er ist der Seele wahres Eden, 
      Des Herzens Sitz; was brauchts noch Reden! 
       
      Der höchste Gott! - in diesem Meer 
      Ist Eden nur ein Tröpfchen schwer. 
       
      Wer zu dem Meere kann gelangen, 
      Wie kann das Tröpfchen er verlangen! 
       
      Wenn sich das Meer darbeut zur Schau, 
      Was frägt er nach dem Tröpfchen Thau; 
       
      Wer mit der Sonne sich bespricht, 
      Den kümmern Sonnenstäubchen nicht. 
       
      Wer Rosen hat nicht Gräser flicht, 
      Die Seele braucht der Glieder nicht. 
       
      Bist du ein Mann, halt dich ans Ganze; 
      Das Ganze such', erwähl' das Ganze. 
       
  
      Der Widhopf gibt dieser 
      Lehre durch die Anwendung einer kleinen Geschichte Adam's aus dem 
      Paradiese noch größeren Nachdruck, worauf die Gans erscheint. 
  
      Die Gans stieg 
      plätschernd aus dem Wasser 
      Und kam zum Reichstag rein gewaschen. 
       
      Sie sprach: In beyden Welten gibts 
      Kein reineres Geschöpf als mich. 
       
      Ich wasche mich zu jeder Stunde 
      Und bethe auf des Wassers Teppich; 
       
      Wenn man, wie ich, auf Fluthen geht, 
      Wer kann die Wunderkraft bezweifeln? 
       
      Ich bin der Vögel Eremite, 
      Von reinem Kleid und reinem Sitz, 
       
      Ich kann nicht ohne Wasser leben, 
      Mein ganzes Daseyn ist im Wasser, 
       
      Trag' ich im Herzen Gram der Welt, 
      Mit Wasser wasch' ich ihn gleich ab, 
       
      Ich kann im Wasser nur gedeihen 
      Und mich im Trocknen nimmer freuen. 
       
      Im Wasser ist mein Thun und Lassen, 
      Wie soll das Wasser ich verlassen! 
       
      Was immer lebt, das lebt durchs Wasser, 
      Unmöglich geb' ich auf das Wasser. 
       
      Der Weg zu Land kann mich nicht freuen, 
      Ich kann nicht zu Simurgen kommen. 
       
      Ich sitz in meiner Wasserburg 
      Und kümmre mich nicht um Simurg. 
       
      Der Widhopf sprach: O Wasservogel! 
      Dein Wasser kann als Gluth dich brennen, 
       
      Du schlafest auf dem Wasser ein, 
      Ein Tropfen führt dasselbe weg. 
       
      Das Wasser taugt den Ungewaschnen, 
      Bist du davon, so such' das Wasser, 
       
      Du kannst wie selbes dann genug 
      Der Ungewaschnen Antlitz schauen. 
       
       
      Erzählung 
       
      Ein Mann frug einmahl einen Narren, 
      Was sind die beyden Welten wohl? 
       
      Sie sind, so sprach er, auf der Hand 
      Zwey Tropfen Wasser und nicht mehr. 
       
      Das Wasser formte sich zuerst 
      In mannigfaltige Gestalten. 
       
      Was sich im Wasser mahlt, wär's Eisen, 
      Vergeht zuletzt in seinen Kreisen. 
       
      Es gibt nichts Härtres als das Eisen, 
      Und dieses selbst vergeht im Wasser. 
       
      Wer sich dem Wasser anvertraut, 
      Der hat auf flüß'gem Grund gebaut: 
       
      Noch hielt das Wasser niemahls Stand, 
      Wie hätte drauf ein Bau Bestand! 
       
  
      Mit ähnlichen Anekdoten 
      unterstützt Hudhud, der den Missionär der Vögel vorstellt, seine 
      Bekehrungspredigten, die keinen andern Zweck haben, als die Vögel auf den 
      wahren Weg zu Simurg zu leiten. 
  
      Das Rephuhn schwankte 
      nun heran; 
      Ganz störrig und betrunken kam's; 
       
      Den Schnabel ganz in Roth getaucht, 
      Es sott das Blut ihm in den Augen, 
       
      Bald flog es auf mit Dolch und Gürtel, 
      Bald wackelt es am Boden her. 
       
      In Minen, sprachs, ward ich erzogen, 
      Mit Edelsteinen dort bekannt, 
       
      Mir sitzt Juwelenlieb' im Herzen, 
      Und diese Gluth genüget mir. 
       
      Wenn diese Flamme mich ergreift, 
      Verwandelt Steine sie in Blut, 
       
      Ein Feuer, das, so bald es wirkt, 
      Das Blut in mächt'gen Kreisen treibt; 
       
      So bin ich zwischen Stein und Gluth 
      Unthätig und verwirrt zugleich. 
       
      Ich fresse Steinchen in der Hitze, 
      Und fülle so mein Herz mit Gluth. 
       
      O, meine Freunde, schauet auf, 
      Schaut was ich fresse, wie ich schlafe. 
       
      Wer Steine frißt, auf Steinen schläft, 
      Was wollet ihr den Krieg ihm machen? 
       
      Mein Herz ist hundertfältig krank, 
      Weil meine Lieb' der Berg verschließt. 
       
      Wer nicht allein liebt die Juwelen 
      Dem wird der Glanz der Herrschaft fehlen. 
       
      Der Edelsteine Reich ist ewig, 
      Sie haften mit der Seel' am Berge. 
       
      Ich bin der Edelsteine kundig, 
      Mit Gürtel und mit Dolch versehn, 
       
      Und weil stets edel ist der Dolch, 
      So setz' ich stets demselben nach; 
       
      Noch fand ich keinen Edelstein 
      Deß Adel diesen überträfe. 
       
      Der Pfad zu dem Simurg ist schwer, 
      Es weilt mein Fuß auf Edelsteinen. 
       
      Wie Flammen halte ich ihn fest, 
      Ich sterbe, oder find' Juwelen. 
       
      Nur durch den Edelstein ward klar 
      Das Werthlos ist wer keinen hat. 
       
       
      Der Widhopf sprach: Juwelensucher, 
      Ich finde die Entschuld'gung kahl. 
       
      Das Herzblut färbt dir Fuß und Schnabel, 
      Juwelen halber wirst du Stein. 
       
      Was sind sie als gefärbte Steine; 
      Die wandeln dir das Herz in Stahl. 
       
      Sie wären ohne Farbe Kiesel, 
      Wer Farbe hat, verlangt nicht Stein. 
       
      Auch der nicht, der Geruch besitzt; 
      Juwelenkund'gen frommt kein Stein. 
       
       
      Der Kaisergeyer trat nun auf, 
      Deß Schatten Thron und Glück verheißt. 
       
      Humai, heißt er, Humajun 
      Nach ihm die Mehrer hohen Muths. 
       
      Er sprach: O Land und Seegeflügel, 
      Ich bin kein Vogel wie die andern; 
       
      Mich trägt mein hoher Geist empor, 
      Ich lebe in der Einsamkeit. 
       
      Mit Dornen nähr' ich mich, und schenke 
      Den größten Herrschern Glück und Ruhm. 
       
      Die Kaiser suchen meinen Schatten, 
      Sie sind die Bettler meines Hofs, 
       
      Ich leb' zufrieden mit Gebein, 
      Und speise so die Seele ab, 
       
      Weil sie mit Beinen sich begnügt 
      Erflieget sie die höchste Höh'. 
       
      Der, dessen Schatten Kaiser schafft, 
      Wie kann er dessen sich entwöhnen? 
       
      Es suchet Alles meinen Fittig, 
      Um meinen Schatten zu erhaschen. 
       
      Wie kann Simurg mein Freund je seyn, 
      Da ich gezeichnet bin mit Herrschaft? 
       
  
      Der Widhopf ermahnt ihn 
      nicht so groß damit zu thun, daß er, wie andere Raubvögel, nicht von 
      Fleisch, sondern bloß von Beinen sich nähre, das thäten auch die Hunde. 
  
      Der Falk trug hoch 
      das Haupt empor, 
      Und hielt ein mystisches Gespräch. 
       
      Er prahlt' mit seinem Ritterthum 
      Und mit der Haube auf dem Kopf. 
       
      Er sprach: Auf Königshänden sitzend, 
      Verschließe ich mein Aug' der Welt, 
       
      Versteck' es deßhalb mit der Haube, 
      Damit auf Königshand ich sitze. 
       
      Wie oft nähr' ich mich blos von Wasser, 
      Ein Beyspiel von Enthaltsamkeit; 
       
      Damit, wenn ich zum Kaiser komme, 
      Ich dort genau den Dienst versehe. 
       
      Was soll ich bey Simurg? der schläft, 
      Indeß ich wachend zu ihm eile! 
       
      Von Königsband genügt mir Nahrung, 
      Ich suche keinen andren Thron. 
       
      Weil ich bezähme das Gesicht, 
      Beglücket mich des Schahes Hand, 
       
      Wer beym Sultan in Gunsten steht, 
      Von ihm sich was er wünscht erfleht. 
       
      Damit ich seiner würdig sey 
      Ist's besser, daß ich bin in Wüsten. 
       
  
      Der Widhopf belehrt hierauf 
      den Falken über die Würde der wahren Herrschaft, die nicht im Königstitel 
      und im großen Reichthume bestehe; sondern in dem unsterblichen Vorrange 
      der Geister, dem er bey Simurg finden werde. 
  
      Nun kam der Reiger 
      allgemach, 
      Und also zu den Vögeln sprach: 
       
      Mein Aufenthalt ist an dem Meer, 
      Dort wohne ich, mein eigner Herr, 
       
      Und über mich in dieser Welt 
      Gewiß sich keine Seel' aufhält. 
       
      Ich sitz' am Meere voll von Wehen, 
      Voll Sorgen, die um Mitleid flehen. 
       
      Nach Wasser gräm' ich mich zu Tod, 
      Fehlts mir, wer hilft in solcher Noth? 
       
      Wohl hundert Wellen schlägt das Meer, 
      Doch keine bringt ein Tröpfchen her. 
       
      Die Luft am Meere ist mir genug 
      Für meinen Kopf, ist mir genug. 
       
      Das Meer allein bekennet mich, 
      Verloren ist Simurg für mich; 
       
      Wenn tropfenweis die Wasser fließen, 
      Wie kann da der Simurg genießen! 
       
  
      Der Widhopf redet hier um so 
      mehr über das Wasser, als er selbst ein gutes Spürtalent zur Auffindung 
      desselben besitzt, und auf der Reise des Königs Salomon zur Königinn von 
      Saba, die Brunnen und Quellen für das Heer aufsuchen mußte. 
  
      Die Eule kam als wie 
      von Sinnen, 
      Ich lebe, sprach sie, in Ruinen, 
       
      Nur in Ruinen ist mein Seyn; 
      Gepreßt wird dort mein Freudenwein. 
       
      Vor allen Orten die bebaut 
      Es mir wie vor der Wüste graut. 
       
      Wer sich Gesellschaft will verdienen, 
      Er wandle sicher in Ruinen. 
       
      In Schutt und Trümmern ist mein Platz, 
      Im Schutt verborgen liegt der Schatz. 
       
      Der Schatz der Liebe liegt im Moder, 
      Der Weg dazu führt durch den Moder. 
       
      Verborgen ist mein Gram der Welt, 
      Der Schatz mir ohne Zauber fällt. 
       
      Es findet, wer nach Schätzen wühlt, 
      Mein Herz, das sich wahnsinnig fühlt. 
       
      Die Liebe hält Simurg für Fabel, 
      Nicht jedem Narren ziemts zu lieben; 
       
      Ich halte männlich darin aus, 
      Ich lieb' den Schatz im wüsten Haus. 
  
      Endlich kam auch der Staar. 
       
      Er kam ganz schwach und 
      zarter Seele, 
      Vom Kopf zum Fuße ohne Halt. 
       
      Er sprach: Ich bin erstaunt, entnervt, 
      Hab keine Nahrung, keine Kraft. 
       
      Fein wie ein Haar vom Angesicht, 
      Hab' ich die Kraft der Ameis' nicht. 
       
      Wie, ohne Flügel, ohne Fuß, 
      Gelang ich zu Simurg's Genuß? 
       
      Wie soll ich Schwächling dahin kommen? 
      Wie kann der Staar Simurgen frommen? 
  
      Er vegleicht sich zuletzt 
      mit dem in den Brunnen gefallenen Jussuf, und der Widhopf nimmt diese 
      Vergleichung in seine Antwort auf, um dieselbe wider ihn geltend zu 
      machen. 
      Nachdem die genannten Wortführer der Vögel einzeln vom Widhopf eines 
      Besseren belehrt worden, erheben sie noch einmahl ihre Stimmen, um sich 
      bey ihm Raths zu erhohlen: 
  
      Die Vögel, als sie dieß 
      gehört, 
      Befragten noch einmahl Hudhud: 
       
      Du, der uns auf dem Wege führst, 
      Der Größre und der Beßre bist, 
       
      Wir sind so schwach, so lendenlos, 
      Am Leib, an Flügeln fehlt es uns. 
       
      Wie sollen zu Simurg wir kommen? 
      Kommt Einer hin so ist's ein Wunder! 
       
      Sag', wie verhält sich er zu uns? 
      Wie setzen Blinde übern Fluß? 
       
      Wenn er für uns geeignet wäre, 
      So sehnte Jeder sich nach ihm. 
       
      Er Salomon, und wir die Ameis', 
      Betrachte diesen Abstand nur! 
       
      Die Ameis in dem Haufen grabend, 
      Wie schwingt sie zu Simurg sich auf? 
       
      Wo ist der winz'ge Bettler, wo? 
      Und wo der mächt'ge Herrscher, wo? 
       
      Hudhud sprach: O ihr armen Wichte! 
      Ein böses Herz kann nicht gut lieben. 
       
      Ihr Bettler, die ihr nichts erwerbt, 
      Kein böser Herz schickt sich zur Liebe. 
       
      Wer offnen Auges lieben will 
      Setzt vor den Fuß, und setzt die Seele. 
       
      Wenn aus dem Schleyer, wie die Sonne, 
      Simurg sein Antlitz offenbart, 
       
      So wirft er tausendfält'ge Schatten, 
      Wirft einen reinen Blick darauf; 
       
      Sein Schatten kreiset um die Welt, 
      Und er erscheinet dann als Vogel, 
       
      Die Vögel sind nichts als sein Schatten, 
      Dieß lernet, o Unkundige! 
       
      Und wißt, eh' ihr was anders wißt, 
      Daß Alles sich auf ihn bezieht. 
       
      Wenn ihr dieß wißt, so seht was ist, 
      Entheiligt das Geheimniß nicht, 
       
      Und jenen der darin versinkt 
      Den haltet deßhalb nicht für Gott. 
       
      Bist du es selbst, du bist nicht Gott, 
      Allein versenkt bist du in Gott. 
       
      Wie weit steht solch ein Gottesmann 
      Vom übermüth'gen Sprecher ab! - 
       
      Weißt du weß Schatten du nun bist? 
      Verzicht' auf Menschheit und auf Leben! 
       
      Hätt' sich Simurg nie offenbart, 
      So hätt' er Schatten nie geworfen, 
       
      Und wär Simurg verborgen blieben, 
      So gäb es in der Welt nicht Schatten. 
       
      Wo immer Schatten jetzt entsteht, 
      Dort hat er sich geoffenbart; 
       
      Und sähe nicht das Aug Simurg's, 
      So glänzte nicht dein Herz wie Spiegel. 
       
      Kein Auge gibts für diese Schönheit, 
      Unmöglich wird bey ihr Geduld. 
       
      Die Liebe kann damit nicht spielen, 
      Sie spiegelt sich aus Huld in sich. 
       
      Der Spiegel ist das Herz, du schau 
      In's Herz, sein Antlitz drin zu sehn. 
       
  
      Nachdem Hudhud seine Lehren 
      noch mit ein paar Geschichtchen anschaulicher gemacht, faßen endlich die 
      Vögel den einstimmigen Entschluß, sich seiner Leitung zu überlassen, und 
      auf dem Wege zum Simurg sich zu begeben. Sie fragen ihn nun um Rath, den 
      er ihnen als Reisedirector auf der Straße der Vollkommenheit ertheilt. 
   Er beginnt zuerst das Wesen und die Eigenschaften wahrer Liebe 
      auseinander zu setzen, und erzählt ihnen zu diesem Ende sehr umständlich 
      die Geschichte des Scheich Sanaan, der, nachdem er bis in sein 
      hohes Alter Gott dem Herrn als ein frommer Mann gedient, endlich aus Liebe 
      zu einem Christenmädchen alle Andacht aufgab und seine Religion 
      verläugnete, dann die folgende Erzählung: 
  
      Es ging einst Bajasid der 
      Scheich 
      Des Nachts hinaus in tiefer Stille. 
       
      Der Mond erhellte rings die Welt, 
      Die Nacht war glänzend wie der Tag, 
       
      Der Himmel prangte voll von Sternen, 
      Gesäet einer an den andern. 
       
      Der Scheich ging lange durch die Felder 
      Und seine Seele fand er dort. 
       
      Da fings ihn heimlich an zu grauen, 
      Er sprach: Herr! mich befällt ein Zweifel, 
       
      An solchem Hof, so hoch erhaben, 
      Warum ist alles denn so öde! 
       
      Erstaunter! sprach die inn're Stimme, 
      Nicht Jedem ist der Weg gewährt. 
       
      Es heischt es unsre höchste Ehre, 
      Von uns die Bettler zu entfernen. 
       
      Wenn aufbricht der Harem des Lichts, 
      Entfernet man die Zögernden; 
       
      Es warten Jahre lang die Pilger, 
      Bis Einer kömmt aus Tausenden. 
  
      Die Vögel, die sich vor den 
      Beschwerlichkeiten des Weges und den Gefahren der Wüste zu fürchten 
      anfangen, theilen einer nach dem andern ihre Unruhe und Zweifel dem 
      Widhopf mit, der sie durch die Stimme höherer Weisheit beruhigt. So 
      spricht gleich der erste: 
  
      O du, der unsre Schaar 
      anführst, 
      Wie ward dir dieses Vorrecht denn? 
       
      Du bist wie wir, und wir wie du, 
      Woher nun zwischen uns der Abstand? 
       
      Was sündigte denn Seel' und Leib, 
      Daß du so rein und wir so trübe? 
       
       
      Antwort des Hudhud 
       
      Er sprach: O Vögel! Salomon 
      Erblickt' mich ungefähr vom Thron. 
       
      Nicht Gold und Silber, nur ein Blick 
      Verschaffte mir dieß höh're Glück. 
       
      Wer zum Gehorsam sich gewöhnt 
      Wird von dem Satan gleich verhöhnt. 
       
      Verflucht sey er, denn er spricht: 
      "Gehorsam ziemet Dienern nicht!" 
       
      Gehorsam werde nie veletzt, 
      Setz' nicht herab, was du geschätzt. 
       
      In dem Gehorsam such' dein Glück, 
      So wird dir Salomonis Blick. 
       
       
      Ein andrer sprach: O Schutz der Reiter, 
      Mir schwindelt vor dem weiten Weg, 
       
      Ich bin zu schwach und kräftelos, 
      Für mich ist dieser Weg zu lang. 
       
      Das Thal ist weit, und schwer der Pfad, 
      Ich sterbe auf der ersten Post. 
       
      Die Berge speyen Feuer aus, 
      Dieß ist nicht Jedermanns Beginnen. 
       
      Hier rollen tausend Köpf' als Ballen, 
      Entgegen fließt das Blut in Strömen. 
       
      Wahnsinnig wurden Tausende, 
      Und wer's nicht ward, verlor den Kopf 
       
      Auf diesem Weg, wo wack're Männer 
      Aus Schaam das Haupt verhüllet haben. 
       
      Was kommt bey mir heraus? nur Staub, 
      Und wenn ich fortgeh, sterb' ich weinend. 
       
  
      Hudhud beruhigt ihn, wie den 
      vorigen, mit Weisheitslehren und Nutzanwendungen. 
  
      Ein andrer sprach: Ich bin 
      voll Sünden, 
      Kann ich damit zurecht mich finden? 
       
      Wenn auf die Ameis fällt die Straf', 
      Wie kommt sie zu Simurg am Kaf? 
       
      Wer sich wegkehrt in Sünd befahn, 
      Wie kann er sich dem Herren nahn? 
       
       
      Der Widhopf sprach: Verzweifel nicht, 
      Vertrau' der ew'gen Gnade Licht! 
       
      Unkund'ger! wiss', ein jedes Ding, 
      Wird schwer was du nicht hältst gering. 
       
      Wenn Reue nicht wird angenommen, 
      Was sollten Sendungen dann frommen! 
       
      Hast du gesündigt, thue Buß, 
      So wird dir höherer Genuß; 
       
      Kommst du aufrichtig nur heran, 
      So wird Eröffnung dir gethan. 
       
       
      (Hier folgen kleine 
      Erzählungen wie oben) 
       
      Ein andrer sprach: Ich, ein Phantast, 
      Ich hüpfe stets von Ast zu Ast, 
       
      Bald fromm, bald gottlos von Gesicht, 
      Bald bin ich's, und bald bin ich's nicht. 
       
      Bald findet man mich in Bordellen, 
      Und bethend bald in Klausnerzellen, 
       
      Bald steht der Teufel mir zur Seite, 
      Bald geben Engel mir Geleite. 
       
      So unstet treibt mich das Verhängniß 
      Vom Lebensbrunnen ins Gefängniß. 
       
       
      Hudhud's Antwort 
       
      Er sprach: So geht es andren auch, 
      Denn keiner hat nur einen Brauch. 
       
      Wenn Alle rein geboren wären, 
      Was sollten denn Propheten lehren? 
       
      Das Herz, worin Gehorsam wach, 
      Kommt schon zu rechte nach und nach; 
       
      Wenn nicht als Berg das Leben steigt, 
      Der Leib sich nie zur Ruhe neigt. 
       
      Sitz' eine Weil' am faulen Herd, 
      Was du dir wünschest wird beschert. 
       
      Die Thränen sind des Herzens Trost, 
      Wohlleben ist des Herzens Rost. 
       
      Wenn du dich weich gepflogen hast, 
      Verlierst du deinen Werth, Phantast! 
       
      (Phantast: Das 
      Wort, das hier im ersten und letzten Verse des Reimswillen 
      mit Phantast übersetzt ist, heißt eigentlich Hermaphrodite, 
      der keines von Beyden, weder recht tugendhaft, noch recht lastehaft ist) 
       
       
      Ein andrer sprach: Ich hab' zum Feinde 
      Mein eignes Herz als Straßenräuber; 
       
      Es will sich mir nicht unterwerfen, 
      Ich weiß nicht meine Seel' zu retten, 
       
      Der Wolf des Feld's ist mir bekannt, 
      Bekannt wie dieser treue Hund, 
       
      So bin in Staunen ich verloren, 
      Wie ich zu der Bekanntschaft komme. 
       
  
      Wie dieser beklagt sich ein 
      andere über den Teufel des Hochmuths, der ihm auf der Straße der 
      Vollkommenheit in den Weg tritt, und ein anderer über den Teufel des 
      Geizes; dem dritten geht es im eigentlichsten Verstand zu gut. Er sagt: 
  
      In Gluthen ist mein Herz 
      befangen, 
      Weil Alles mir geht nach Verlangen. 
       
      Ich wohn' auf goldener Altan, 
      Wo mich die Leute staunen an. 
       
      Die Welt ist mir so hell und grün, 
      Wie soll ich ihr mein Herz entziehn! 
       
      Ich bin der Vögelfürst zu Haus', 
      Was soll ich in das Thal hinaus? 
       
      Verzicht auf meine Herrschaft thun 
      Und nicht in meinem Eden ruh'n! 
       
      Noch kein Vernünftiger verließ 
      Der Reise halb Paradies. 
       
       
      Hudhud's Antwort 
       
      Der Widhopf sprach: Du Optimist, 
      Bewachst als Hund stets deinen Mist. 
       
      Die Welt ist wahrlich Nichts als Mist, 
      Worauf dein Sitz erhaben ist; 
       
      Du bilde dir Nichts ewig ein, 
      Der Tod verlöscht den leeren Schein. 
       
      Wenn dich der Tod davon nicht triebe, 
      Wär's werth daß dieses Haus dir bliebe. 
  
       
      Den folgenden plagt die Liebe, und als ein Beyspiel des hohen Muths oder 
      Unternehmungsgeistes erzählt er die Anekdote von dem alten zahnlosen 
      ägyptischen Weibe, das bey der Versteigerung des ägyptischen Josephs, 
      hohen Muth genug hatte, denselben um einen Dreyer zu wollen. Einen Andern 
      peinigt die Furcht des Todes. Diesen erzählt Hudhud die folgende Parabel 
      vom Herrn Jesus: 
  
      Der Herr Jesus eine 
      Gerstensuppe aß, 
      Die war süßer als des Julep's Naß. 
       
      Er füllt damit einen Topf, und ging, 
      Aß den Topf aus, und ging. 
       
      Nun ward ihm der Mund bitter wie Lehmen 
      Was ihn gar sehr thät Wunder nehmen. 
       
      Er sprach: Es ist dieselbe Suppe die dorten war; 
      O Herr! mir dieß Geheimniß offenbar'. 
       
      Die Suppe in diesem Topf ist bitter für gewiß 
      Und dorten war sie wie Honig süß. 
       
      Da fing der Topf zu sprechen an. 
      Er sprach: Herr Jesus ich bin ein alter Mann, 
       
      Ich ward auf dieser irdenen Welt 
      Als Schüssel, als Kanne, als Topf, schon mannigfaltig zerschellt. 
       
      Und käm' ich tausendmahl auf des Töpfers Flur, 
      So blieb' ich doch immer bitt'rer Natur. 
       
      In jeder Form bin ich ein herber Ritter, 
      Deßwegen mach' ich auch die Suppe bitter. 
  
       
      Hierauf gleich die folgende Erzählung: 
  
      Als in den letzten Zügen lag 
      Hippokrat, 
      Ein Schüler mit diesen Worten zu ihm trat: 
       
      Wenn ich dich Meister werde gewaschen haben, 
      Wohin soll ich dann den Leib begraben? 
       
      Er sprach: Wenn dir darum zu thun ist, Knabe, 
      Mich wohin du nur immer willst begrabe; 
       
      Ich habe gelebt viel Jahre lang, 
      Doch um mein Begräbniß ward mir niemahls bang. 
       
      Und wenn ich von hinnen gehe nun einmahl schon, 
      So weiß auch gewiß kein Haar am Leib' was davon. 
  
       
      Nachdem Hudhud wieder einige lehrreiche Geschichten dieser Art erzählt 
      hat, 
  
      Sprach einer: Das ist recht 
      und gut, 
      Hier kömmt es an auf hohen Muth. 
       
      Ich bin zwar schwächlich von Gestalt, 
      Doch hoher Muth empor mich halt. 
       
      Kann ich mich nicht Gehorsams rühmen, 
      Will hoher Muth mir besser ziemen. 
       
      Da sprach der ew'gen Lieb' Magnet: 
      Was ist, durch hohen Muth besteht; 
       
      Wer hohen Muth legt an den Tag, 
      Was er sich wünschet auch vermag. 
       
      Wer Muthes hat ein Sonnenstäubchen, 
      Dem dünkt die Sonne nur ein Stäubchen, 
       
      Den Weltenvogel trägt der Muth, 
      Der Seele Fittig ist der Muth. 
       
       
      Erzählung 
       
      Ein Kaiser sprach einst auf der Jagd 
      Zum Jäger: Schnell bring her den Hund. 
       
      Es war ein angelernter Hund, 
      Gekleidet in den feinsten Atlas. 
       
      Ein goldnes Halsband, voll von Steinen, 
      Verlieh dem Halse Glanz und Ruhm. 
       
      Am Fuße trug er goldne Ringe 
      Und hing an einer seidnen Schnur. 
       
      Der Schah wollt' selbst den Hund antreiben 
      Und nahm die Schnur in seine Hand. 
       
      Er selbst lief hinter ihm einher; 
      Da lag ein Bein ihm über quer. 
       
      Sobald er's sah fiel er darauf, 
      Der Schah sah, daß er hielt sich auf; 
       
      Der Schah entbrannt' sogleich in Eifer, 
      Und ließ am Hund denselben aus. 
       
      Ists möglich, sprach er, daß vor mir 
      Er Etwas andres sehen kann! 
       
      Zerriß die Schnur und sprach: Sofort 
      Laßt laufen diesen Unverschämten; 
       
      Die Brust mit Nadeln ihm zu stechen 
      Ziemt besser als ein solches Halsband. 
       
      Der Wärter sprach: Er ist geschmückt 
      Wie es für Kaisershand sich schickt. 
       
      Er ward, wiewohl vom Felde, wild, 
      In Gold und Seide eingehüllt. 
       
      Der Kaiser sprach: Entblöß' ihn ganz, 
      Nimm ihm des Golds und Silbers Glanz, 
       
      Damit, wenn er in sich gegangen, 
      Er einseh' was da vorgegangen, 
       
      Daß er begreife, wessen Thor 
      Und wessen Suppe er verlor. - 
       
      O du, der Freundschaft dir erwarbst, 
      Und durch Nachläßigkeit verlohrst, 
       
      Setz vor den Fuß wahrhafter Liebe, 
      Trink mit dem Drachen aus das Glas; 
       
      Nur sie bestehn im Kampfe heiß, 
      Wo der Verliebten Blut der Preis. 
       
      Es schauet dort der tapfre Mann 
      Die Drachen nur für Mücken an. 
       
      Verliebte, wenn auch noch so viel, 
      Gelangen nur durch Blut zum Ziel. 
  
       
      Auf diese Weise laufen die Vogelgespräche mit untermischten Geschichten, 
      durch die andere Hälfte des Buchs bis ans Ende fort; wo von dem ganzen 
      Heere der Vögel nur drey so glücklich sind, endlich zu Simurg zu kommen. 
      Nachdem das Heer nähmlich lange Zeit Wüsten und Berge mit tausend 
      Schwierigkeiten durchwandert ist, 
  
      Da spricht ei rein gesinnter 
      Vogel: 
      Der Weg dehnt sich von Mond zu Monden. 
       
      Wir haben, war die Antwort, sieben Meere 
      Von Licht und Feuer zu bestehen; 
       
      Und sind wir endlich durchgekommen 
      Verschlinget uns ein Fisch auf einmahl, 
       
      Ein Fisch, der durch ein Athemholen 
      Die Vor- und Nachzeit in sich schlingt. 
       
      Er hat nicht Kopf und hat nicht Fuß, 
      Und schwebet mitten auf dem Meer, 
       
      Verschlingt auf Einen Odemzug 
      Die beyden Welten und die Menschen. 
       
      Als dieses Wort die Vögel hörten 
      Stieg ihnen Herzensblut zum Kopf, 
       
      Sie hieltens alle für zu schwer 
      Und über ihrer Kräfte Maß. 
       
      Der Unbestand ergriff die Seele, 
      Und viele starben hier mit Fleh'n. 
       
      Die andren machten sich verwirrt 
      Nach allen Seiten auf den Weg, 
       
      Durch Jahre lang hinauf, hinab, 
      Versplitterten ihr Leben sie; 
       
      Unmöglich wär' es zu beschreiben 
      Was ihnen auf dem Weg begegnet. 
       
      Gehst selber du einmahl den Weg, 
      Dann wirst du die Gefahren schauen, 
       
      Dann wirst du wissen was sie thaten, 
      Und wie viel Blutes sie gefressen. 
       
      Zuletzt gelangt von so viel Rittern 
      Nur eine kleine Zahl ans Ziel; 
       
      Es kamen von so vielen Vögeln 
      Von Tausenden nur einige. 
       
      Den einen fraß des Meeres Schlund, 
      Die andern gingen so zu Grund, 
       
      Auf hohen Bergen gaben diese 
      Aus lauter Durst die Seele auf; 
       
      Und jene wurden von der Sonne 
      Verbrannt zu einem Herzensbraten. 
       
      Die einen wurden von den Löwen 
      Und Leoparden abgeschreckt, 
       
      Die andern blieben bloß aus Furcht 
      Vor den Gefahren unterwegs. 
       
      Es starben Ein'ge in der Wüste 
      Vor Müdigkeit mit trocknen Kehlen, 
       
      Und Einige verbrannten sich 
      Wie Schmetterlinge an dem Licht. 
       
      So blieben manche unterwegs, 
      Weil die Beschwerlichkeit zu hart, 
       
      Und manche gaben auf der Stelle 
      Beym ersten Blick den Vorsatz auf. 
       
      So kamen dann von so viel Tausend 
      Nur wen'ge zum gewünschten Ziel. 
       
      Die ganze Welt von Vögeln reiste 
      Und endlich kamen drey nur an, 
       
      Drey, ohne Fittig, ohne Flügel, 
      Gebrochnen Herzens, kranker Seele, 
       
      Sie sah'n die höchste Majestät 
      Erhaben über die Vernunft; 
       
      Durch einen Blitz verzehret sie 
      Mit einem Blicke hundert Welten. 
       
      Was sind wohl hunderttausend Sonnen 
      Und hunderttausend Monde noch. 
       
      Versenket steh'n sie in Erstaunen 
      Wie Sonnenstäubchen fußgeschlagen. 
       
      Sie sprachen: Seht die Sonne ist 
      Vor dieser Majestät ein Stäubchen. 
       
      Wie sollen wir zu ihr gelangen? 
      Ach, weh! umsonst ist unser Weg. 
       
      Zum Ganzen schwangen wir uns auf, 
      Erreichten nicht was wir verhofften. 
       
      Hier sind die Himmel nur ein Stäubchen, 
      Was liegt uns hier an Seyn und Nichtseyn! 
       
      So fiel den Vögeln aller Muth 
      Als wären sie schon halb erwürgt. 
       
      Sie waren schon in Nichts versunken 
      Und lagen so geraume Zeit. 
       
      Da kam ein hoher Himmelsbote 
      Zu ihnen, wie von ungefähr. 
       
      Er sah drey Vögel, ganz verwirrt, 
      An Flügeln und am Leib beschädigt, 
       
      Vom Fuß zum Kopf ganz in Erstaunen, 
      Der Schwingen und der Kraft beraubt. 
       
      Er sprach: O Volk, woher seyd ihr? 
      Und weßhalb seyd ihr hergekommen? 
       
      Unglückliche, wie heißet ihr? 
      Wie lange sucht ihr Ruhe schon? 
       
      Was ist euch in der Welt begegnet? 
      Und wie erlagen eure Kräfte? 
       
      Sie sprachen: Wir sind hergekommen 
      Daß unser König sey Simurg. 
       
      Wir sind Verirrte seines Hofs, 
      Verirrte Pilger seines Wegs; 
       
      Wir wandeln ihn schon Zeit, 
      Aus Tausenden sind wir nur drey. 
       
      Wir kamen in der Hoffnung her 
      Von Angesicht ihn anzuschauen. 
       
      Wenn unser Leiden ihm gefiel, 
      So würdigt er uns eines Blickes. 
       
      Der Bothe sprach: Verstörte Pilger, 
      Im Herzensblut wie Thon geknetet, 
       
      Mit Huld erbarmet er sich Euer, 
      Und eilt herbey zu Eurer Hülfe. 
       
       
      Ich wandle, Herr! auf deinen Wegen 
      Wie eine lahme Ameis her. 
       
      Ich weiß nicht wessen Kind ich bin? 
      Woher ich bin, und wer ich bin? 
       
      Mir fehlet Leib und Loos und Glück, 
      Beständigkeit und Muth und Herz. 
       
      Das Leben ward in Blut ersäuft, 
      So daß davon kein Theil mir ward, 
       
      Umsonst ist Alles was ich that, 
      Die Seele sitzt mir auf den Lippen. 
  
       
      So fährt der Dichter nun in eigener Person fort, in dem Geiste der drey 
      müden Pilger zu sprechen, welche am Fuß des Zieles, dennoch an der 
      Möglichkeit es zu erreichen, verzweifeln wollen. 
   Endlich erscheinen sie vor dem Throne Simurg's selbst, und diese 
      Stelle, die (ungeachtet einiger noch hinten folgenden Geschichtchen und 
      Nutzanwendungen) den eigentlichen Schluß des Werkes ausmacht, ist durch 
      ihren hohen Mysticismus von Vermenschung und Entgötterung, von 
      Entmenschung und Vergötterung, und durch die dunklen Anspielungen auf die 
      Dreyeinigkeit, in dem Munde eines mohammedanischen Dichters, gewiß äußerst 
      merkwürdig. 
  
      Der Vögel Seele war 
      beschämt, 
      Ihr Leib war ganz und gar vernichtet, 
       
      Sie hatten sich getrennt vom Staube, 
      Und waren von dem Licht beseelt. 
       
      Sie hatten eine neue Seele, 
      Und waren einer andern Gattung. 
       
      Was war, und nicht war, das Vergangne 
      War ausgelöscht in ihrer Brust, 
       
      Des Nahens Sonne strahlte ihnen 
      Den hellsten Schimmer in die Seele. 
       
      Der Abglanz des Simurges strahlt 
      Als Eins zurück von allen Dreyen. 
       
      Sie wissen nicht, erstaunt, ob sie 
      Nun dieser oder jener sind. 
       
      Sie schauen sich ganz als Simurg, 
      Sich selbst im ewigen Simurg. 
       
      Wenn zum Simurg hinauf sie blickten, 
      Erblickten sie Ihn unter sich, 
       
      Und wenn sie auf sich selber schauten, 
      So schauten sie sich im Simurg. 
       
      Ein einz'ger Blick vermengte Beyde, 
      Simurg entstand, Simurg verschwand, 
       
      In diesem jenes, dieß in jenem, 
      Was nie die Welt noch hat erhört. 
       
      So blieben sie versenkt in Staunen 
      Gedankenlos im tiefsten Denken, 
       
      Und ihrer selbst gar nicht bewußt. 
      Verstummend flehten sie den Höchsten, 
       
      Zu offenbaren dieß Geheimniß 
      Und aufzulösen Du und Wir. 
       
      Da kam die Antwort ohne Zungen: 
      Der Höchste ist ein Sonnenspiegel, 
       
      Wer zu ihm kommt schaut sich darinnen, 
      Schaut Leib und Seel', und Seel' und Leib. 
       
      Da ihr zu dem Simurg gekommen, 
      Seyd drey darinnen ihr erschienen. 
       
      Und wäret fünfzig ihr gekommen, 
      So hättet ihr euch so gesehen. 
       
      Denn Keiner hat uns noch geschaut, 
      Ameisen schau'n Pleiaden nicht! 
       
      Kann wohl die Mücke mit den Zähnen 
      Des Elephanten Leib ergreifen? 
       
      Was ihr gesehen, ist Er nicht; 
      Was ihr gehöret, ist Er nicht. 
       
      Die Thäler, die ihr durchgewandert, 
      Die Thaten, die ihr ausgeübt, 
       
      Sie liegen unter unserm Handeln, 
      Und unter unsern Eigenschaften. 
       
      Ihr, als drey Vögel, seyd erstaunt, 
      Geduldlos, herzlos und verwirrt. 
       
      Weit über euch bin ich erhaben, 
      Denn ich bin in der That Simurg. 
       
      Sie löschen aus mein höchstes Wesen 
      Um sich an meinem Thron zu finden, 
       
      Auf ewig löschen sie sich aus, 
      Wie Schatten in der Sonn'. Fahrt wohl! 
       
      Sie gingen fort. - Das Wort ist aus, 
      Hier hat es weiter keinen Grund, 
       
      Deßwegen breche ich es ab. 
      Geh zu dem Weg, er liegt dir offen. 
  
       
      Diese Stelle ist unserem Urtheile nach die erhabenste der uns bekannten 
      mystischen Werke des Orients. Mit der höchsten Stetigkeit zeichnet Attar, 
      als Sofi und Dichter, auf dem dunklen Grunde übersinnlicher 
      Anschauung die Grenzlinie aller menschlichen Erkenntniß des höchsten 
      Wesens mit den hellsten Farben der Poesie, und mit so festen Umrissen, als 
      der schwebende Wolkengrund zwischen Himmel und Erde nur immer gestatten 
      will. Der Schleyer vom Heiligthume der Sofi's ist gelüftet, und 
      Blitze auf Blitze zücken dem irdischen Auge entgegen, vor dem sich der 
      Ewige wieder in die Nacht des Wolkenzeltes hüllt. Nach jahrelangem Pilgern 
      durch die Wüsten des beschaulichen Lebens, wo Karawanen von Reisenden, und 
      ganze Menschenalter untergegangen, erreicht Keiner oder Einer den Grad der 
      höchsten Vollkommenheit, wo er den Ewigen zu sehen vermeint von Angesicht 
      zu Angesicht. Erschöpft, entnervt, entmenscht, gelangt er endlich zu dem 
      Ziele der Seher, und da schaut er die Gottheit im offenen Himmel seines 
      eigenen Gemüthes - Gott in sich, und sich selbst in Gott - wähnt er zu 
      schauen. Täuschung! Alles ist Täuschung und Nichts als Täuschung! - Nicht 
      das ewige Licht, dessen Abglanz der Geist und dessen Schatten die Materie 
      ist, hat er mit seinen Maulwurfsaugen gesehen, sondern sich selbst im 
      ewigen Weltenspiegel, der dem Sinnlichen, der sich für übersinnlich 
      gehalten, nur Sinnliches zurückstrahlt. Indem er in sich das Irdische zu 
      vernichten und das Sinnliche zu zerstören wähnte, hat er die göttliche 
      Flamme ausgelöschet, um sich blind und finster an das Thor der Himmelsburg 
      zu stellen, wo er als Schatten in der Sonne verschwindet. 
   Zurück ihr Seher, in der Sinnenwelt befangen! zurück vom Heiligsten 
      der Gottheit, das Euch ewig verschlossen bleibt! so ruft Euch Attar 
      der Dichter und Sofi, und der Sofi der Dichter in göttlicher Begeisterung 
      zu. 
       
      übersetzt von Joseph 
      von Hammer-Purgstall (1774-1856) 
       
      Aus: Geschichte der schönen Redekünste Persiens 
      mit einer Blüthenlese aus zweyhundert persischen Dichtern 
      von Joseph von Hammer Wien 1818 (S. 140-154) 
       
      
       
       
         
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