Orientalische Liebeslyrik

(in deutscher Übersetzung)

 


Omar Ibn Abi Rabia

(644-712/719)


I.

1. Kamst du von Nu'ms Stamme heute Morgen, brichst also morgen in der Frühe wieder auf, oder langtest du bereits am Abend an und gehst nun in des Mittags Hitze fort,

2. um eines Mannes Wünsche zu bestellen, über deren Erfüllung sie nicht verlauten liess, so dass sie mir [wenigstens] eine Entschuldigung hätte zukommen lassen, ein einfaches Wort genügt ja als Entschuldigung!

3. Leidenschaftliche Liebe erfüllt dich für Nu'm, obwohl euch kein Beisammen vergönnt ist, nicht ist das Liebesband zusammengeschlungen, aber das Herz mag doch nicht entsagen.

4. Wenn Nu'm dir naht, bringt ihre Nähe dir keinen Nutzen und wenn sie sich entfernt, so giebt dir das die Ruhe nicht zurück, noch kannst du Fassung finden.

5. Und eine andere als Nu'm ist schon dagewesen, doch eine wie sie hat auch den verständigen Mann zurückgewiesen; wenn du dich nur zurückhalten und nachdenken wolltest!

6. Wenn ich Nu'm aufsuche, ist ein Verwandter von ihr stets grimmig, so oft ich sie treffe,

7. dem es furchtbar ist, dass ich ihrem Hause nahe, der mir seine Feindschaft zu bergen sucht und doch den Hass zu Tage treten lässt.

8. Bring' du ihr meinen Gruss, denn meine Annäherungen bieten nur Anlass für schlimmes Gerede und Entstellungen.

9. Wie damals, als ich sie am Morgen zu Madfa-aknan traf und als sie fragte: Ist das der Vielgeschmähte?

10. Bleib' stehen, Asma, schau' doch einmal hin, ist er nicht der Enkel des Mugira, von dem so viel die Rede ist?

11. Ist er's, an dem du so viel zu rühmen wustest, als du mir ihn beschriebst, und den ich nun wahrhaftig nie und nimmer vergessen kann bis zu dem Tage, da man mich zu Grabe trägt?

12. Die erwiederte drauf: Ja zweifellos [ist er's], das Reisen in voll durchwachten Nächten und in des Mittags Glut hat sein Aussehen gewandelt.

13. Wenn er's ist, so hat er sich zur Unkenntlichkeit verändert, seitdem wir ihn gesehen haben - Menschen können sich ja verändern.

14. Sie erblickte einen Mann, der gar oft Schweisstropfen vergiesst, wenn ihm die Sonne ins Gesicht scheint und der gewöhnlich am Abend vor Kälte erstarrt,

15. einen Wanderer, der das Land durchstreift, den eine wasserlose Steppe nach der anderen aufnimmt und dem nun das Haar wirr und der Leib mit Staub bedeckt ist,

16. der auf dem Rücken seines Tieres keinen Schatten findet ausser dem Schutze, welchen ihm der gestreifte Mantel gewährt.

17. Ihr dagegen gefällt gar wohl an ihrem Leben der Schatten in einem Obergemache und ein wasserreicher üppig bestandener grüner Baumgarten

18. und ein Beschützer, der sie vor jeder Sorge bewahrt, so dass ihr nichts den Schlaf bis in die Morgenstunden raubt.

19. Aber mir hast du in der Nacht von Du Dauran die nächtlichen Reisen aufgebürdet - der waghalsige Liebende lässt sich ja das Furchtbare aufbürden.

20. Damals brachte ich die Nacht zu scharf die Gefährten musternd, solang der Neumond noch am Himmel stand, in Furcht vor denen, die noch umhergingen und beobachtend,

21. wann der Schlaf sie übermannte und ich hätte doch eine gesellige Unterhaltung [mit ihnen] haben können, wenn nicht das Ziel meiner Wünsche so hoch gewesen wäre;

22. und mein junges Kamel brachte die Nacht zu [schutzlos] auf freiem Felde, während sein Sattel als Beute preisgegeben war dem nächtlichen Wanderer oder wer sonst daher kam.

23. Und ich hielt Zwiesprache mit mir in nächtlicher Stunde [und fragte mich]: Wo wird ihr Zelt sein und wie wird der Ausgang der Unternehmung sein, an die ich mich begebe?

24. Da wies ein süsser Duft - ich wusste, dass er von ihr war - und meine Leidenschaft, die beinah sich verraten hätte, das Herz zu ihr.

25. Als ich dann keinen Laut mehr von ihnen vernahm und die am Abend entzündeten Leuchten und Feuer verloschen waren,

26. als der Neumond, auf dessen Verschwinden ich sehnlichst wartete, verschwunden war, [die] Hirten eingetrieben hatten und die, welche am Abend mit einander plauderten, fest entschlummert waren

27. und nur noch leises Geräusch an mein Ohr traf, da bewegte ich mich vorwärts wie eine Hubab-Schlange den Leib vorüber gebeugt in Furcht vor ihren Stammesgenossen.

28. Als ich dann plötzlich ihr nahe gekommen war, sprach ich den Gruss, da stutzte sie und hätte fast laut aufgeschrieen statt leisen Grusses.

29. Und sie sprach sich auf die Finger beissend: Du bringst mich in Schande und du bist ein Mann, dem sein Vorhaben gelingt, der aber [anderen] Unglück bringt.

30. Sag' mir, wenn meine Ehre dir auch wenig gilt, hast du denn nicht für dich gefürchtet - Gott schütze dich - da rund um mich Feinde von dir auf der Lauer liegen?

31. Bei Gott, ich weiss nicht, ob allein die Dringlichkeit eines Wunsches dich in der Nacht zu mir trieb, oder ob [du darum kamst, weil] die Männer gerade jetzt schlafen, vor denen du stets dich hüten musst.

32. Da erwiederte ich ihr: Nein, mich hat Sehnsucht und Liebe zu dir geführt und keine Menschenseele weiss darum.

33. Drauf sprach sie zärtlich, nicht mehr furchtbefangen: Gott der Erhabene schütze gnädig dich!

34. Du, mein Abul-Hattab, bist mein Gebieter mit unumschränkter Herrschgewalt, so lange ich hier weile.

35. Wie brachtest du's nur fertig, dass die Nacht in ihrer Länge mir noch zu kurz erschien, obgleich mir vordem keine zu kurz war.

36. Wie klug hast du es angestellt, dass Liebeskosen und Geselligkeit uns hier vergönnt war ohne jede Störung.

37. Entströmen liess gar starken Moschusduft ihr Mund, dess Vorderzähne schmuck, hellglänzend, scharfgezackt.

38. Man meint, so oft sie sich beim Lächeln zeigen, es seien Hagelkörner, ein Chamolillenflor.

39. Sie blickte unverwandt mich an mit ihrem Augenpaar, wie ein Gazellenjunges nach seiner Mutter schaut im Sandrevier.

40. Als nun die Nacht beinahe ganz zu Ende war und die Hayden fast zum Untergang sich neigten,

41. da wies sie mich drauf hin, dass die Stammesgenossen vom Schlaf sich bald erheben würden [indem sie sprach]: Indess zum nächsten Stelldichein sollst du am Azwar sein.

42. Mich brachte nur ein Mann in Schrecken, der da rief: Zum Aufbruch! als schon ganz deutlich war entglommen die Morgenröthe purpurrot.

43. Als sie dann sah, wer schon von ihnen aufgestanden und wach war, da sagte sie: Gieb an, wozu du rätst.

44. Ganz offen, sprach ich, will ich mich doch ihnen zeigen, entweder kann ich ihnen dann entwischen, oder das Schwert darf seinen Rachdurst kühlen; dann mag es Rache üben.

45. Drauf sagte sie: Willst du des Hassers schlimme Rede wider uns bestätigen, willst den Gerüchten sicheren Boden geben?

46. Wenn wirklich etwas Unvermeidliches vorliegt, so ist ein andres Mittel um verborgen zu bleiben näher liegend und bietet grössren Schutz.

47. Erzählen will ich meinen Schwestern den Anfang unsrer Liebe und alles, dessen Kenntnis ich ihnen vorenthielt.

48. Vielleicht, dass sie dir einen Ausweg suchen und dass ihr Blick noch frei ist, wo ich ratlos bin.

49. Verstört erhob sie sich, blutlos war ihr Gesicht, vor Trauer liess sie eine Thräne fliessen, die langsam niederrann.

50. Dann traten zu ihr zwei edle Frauen angethan mit Gewändern von weisser und grüner Seide.

51. Sie sprach zu ihren Schwestern: Helft einen jungen Mann in Sicherheit zu bringen, der zu Besuch gekommen war und - wie das Schicksal will, folgt eins aufs andre.

52. Da traten sie näher und erschraken, endlich sagten sie: Mache dir nicht zu viel Selbstvorwürfe, die Sache ist leichter, [als du meinst].

53. Er soll sich aufmachen und zwischen uns unerkannt gehen, dann wird unser Geheimnis nicht bekannt werden und er den Blicken verborgen bleiben.

54. So waren denn mein Schild gegen die Männer, die ich fürchtete, zwei mit schwellendem Busen und eine die eben zur Jungfrau erblüht war.

55. Als wir dann über den Bereich des Stammes hinaus waren, fragten sie mich: Hast du denn gar keine Furcht vor den Feinden gehabt, da doch die Nacht mondhell war?

56. Und sie sagten: Ist es stets deine Gepflogenheit so unüberlegt zu handeln, - schämst du dich nicht, oder kommst du von deiner Thorheit zurück und wendest Überlegung an?

57. Wenn du wieder kommst, so spende die Blicke deiner Augen einer anderen als uns, damit man glaubt, deine Liebe gelte der Person, die du ansiehst.

58. Das Letzte aber, was ich von ihr sah, war, dass sie sich abwandte, während ihr hell erglänzten die Wangen und die Augen.

59. Nur das ich noch ein einzige Mal ihr zurief: "Meine Nu'm", während die edlen arhabitischen Renner schon angetrieben wurden.

60. Heil der Familie des amiritischen Mädchens, deren lieblicher, herzerfreuender Duft noch jetzt den Gegenstand meiner Erinnerungen bildet.

61. Dann trat ich zu einer starkgebauten (Kamelin), deren Fett meine Nachtreisen allmählich vermindert hatten, bis selbst das Fleisch geschwunden war.

62. Auch hatte ich sie ja auf die notwendigsten Bedürfnisse beschränken müssen, so glich sie endlich einem Brettergerüst, oder einem zusammengefügten Sänftegestell.

63. Wie manchem einsamen Wasserquell in der Wüste Steppen, an dem zur Sommerzeit keine menschliche Niederlassung neu erstanden war,

64. an dem die Spinnweben so dicht sind, dass es scheint, als wäre oben an der Quellenumfassung ein weisses Baumwollgewand ausgebreitet,

65. habe ich aufgesucht, ohne zu wissen, ob der Teil der Nacht, der mir bevorstand, nachdem ich zur Tränke gekommen, grösser war, oder der, welcher bereits verflossen war.

66. So trat ich denn zu einer hurtig das Land durcheilenden, welche den Eindruck einer Besessenen macht, wenn sie den Kopf zur Seite wendet und sich umsieht,

67. indem sie ihn mir zu entziehen sucht in heftigem Verlangen nach Wasser, während doch ein verschütteter Brunnen ihren Wünschen nicht genügen kann,

68. und auf jede Weise zum Wasser zu gelangen sucht; hätte ich sie nicht am Zügel und zöge sie nicht zurück, so ginge sie manchmal fast in Stücke.

69. Als ich jedoch ihren angegriffenen Zustand bemerkte und erkannte, dass ich mich in einem wüsten Landstriche befand, in welchem kein Zufluchtsort uns winkte,

70. da teilte ich ihr ab an der Seite der [alten] Wasserrinne eine ganz neue, die fast nur die Grösse einer Spanne hatte oder noch kleiner war.

71. Wenn sie sich anschickt draus zu trinken, so lassen ihre geschlossenen Lippen nicht einen Handteller weit Raum übrig.

72. Und keinen Schöpfeimer hatte ich ausser einem hölzernen Trinkgefäss und das Brunnenseil zum Wasser[schöpfen] ersetzte ein Sattelriemen und das geflochtene Leder (des Zügels).

73. Dann schnupperte sie und wies es nicht zurück und es hinderte sie beim Trinken nicht an der Stillung ihres Durstes, dass das Wasser trüb und dunkelfarbig war.
(S. 33-38)

II.

1. Mein Gefährte sagt zu mir, als der Geliebten sänftentragende Kamele Sautan verlassend fortgezogen waren: So suche doch Fassung zu gewinnen!

2. Doch ich entgegnete ihm: Fassung und Geduld können nimmermehr mein Herz vor der Liebe zu ihr frei machen, drum lass ab [von den guten Ratschlägen]!

3. Und wie können wir auf eine Begegnung mit ihrem Stamme hoffen, nachdem sie fortgezogen ist, ausser einem Zusammentreffen am Orte der Kiesel.

4. Drum gieb mir ein Heilmittel gegen die Liebesglut, die mich erfüllt und wenn [du das] nicht [kannst], so verschone mich mit deinem Tadel und suche lieber nach Entschuldigungsgründen

5. für die verzehrende Leidenschaft eines Mannes, dessen Zustand der Arzt nicht heilen kann, und dem nicht zu Teil wird das Heilmittel froher Botschaft (von der Geliebten),

6. und für die wechselnden Stimmungen, wobei der Betroffene bald ohne Thräne ist, bald wieder gleichsam eine regenschwere Wolke im Augen sehen lässt,

7. vom Blitzstrahl der Liebe getroffen, in weiter Ferne von einer Unerreichbaren mit schmächtigem Leibe, schöner Stirn und Arm und Fuss,

8. die langsam schreitet, voll jugendlicher Unschuld im Fraungemach am liebsten weilt und unterhalb der Gürtung des Izar gar volle Formen hat,

9. die ihn gefangen hat mit ihrem reichen Haupthaar, dem gesträhnten, das in seinem üppigen Wuchs der vollen Datteltraube gleicht,

10. mit ihrer zarten Wange, die so glatt wie blankes Silber ist - wenn jemand sie anblickt, glaubt er den Neumond zu sehen und wird bezaubert -

11. und mit den Augen einer die sandige Ebene bewohnenden Gazelle mit dunklem Lide, die ein Junges hat und für dasselbe sucht, was es wünscht.

12. Beim Lächeln zeigt sie wohlgebildete Zähne, scharfgezackt, den eben aufgeblühten Chamomillen gleich.

13. Sie schreitet einher auf Schenkeln, die den Papyrusstauden gleichen, zu denen Bächlein [Öls] vom feuchten Scheitel niederströmen.

14. Sie gehört zu den Vornehmen, den ganzen Vormittag ist sie untätig, stolz ist ihr Gang, schwer ihre Hüften, wenn sie zu einer Thätigkeit sich erhebt, ermattet sie.

15. Als mir nun ihre Abreise bekannt wurde, nachdem mir schon vorher, da ich nach Vorzechen suchte, ein Unglücks-Omen aufgestossen war, so dass ich Schlimmes ahnte,

16. und schon ein hohes Gebirge sie [von mir] trennte - das Aug' erlahmt, wenn man den Blick zu ihm erhebt - da klagte ich Bekr meine Not.

17. Ich sprach: Gieb guten Rat! - Entschliesse dich doch selbst, erwiederte er. Bist du schon in Verzweiflung, während sie doch keinen grossen Vorsprung haben können? Drum gieb an, was du wünschest.

18. Da sagte ich: Fort, wir wollen ihnen folgen, noch einmal sie zu sehen ist Arzenei fürs kranke Herz.

19. Da brachen wir am Abend auf und trugen dem Diener auf: Besorg' uns, was wir brauchen, dann suche uns einzuholen und zögere nicht!

20. Schnell sollst du die Vögel bedecken, wenn ihr Flug uns ungünstig ist und wenn die Reiter mit uns zusammentreffen, so gerate nicht in Bestürzung!

21. Als nun das Frührot uns aufgeleuchtet war, da zeigten sich uns die Gipfel von en-Nahl und das Castell unterhalb des Azwar.

22. Dann sagte ich: Verlass die betretene Strasse, denn wenn wir gesehen werden, so erkennen uns die Aufpasser und wir sind entdeckt.

23. Da blieben wir den Tag über bei el-Asla, während der Ostwind uns heiss ins Gesicht blies und unsere Tiere hatten keinen Unterschlupf,

24. vom Morgen an bis ich den Einbruch der Nacht (über sie) erwartet hatte und der Tag für den, der Mittags unterwegs war, angenehm geworden war.

25. Doch als wir die Sandhügel am Thalgrunde von Rabig hinter uns hatten, da kam ihr Feuer zum Vorschein, hell leuchtend dem sehnlich nach ihm blickenden.

26. Da sprach ich: Nähere dich ihrer Schaar, du wirst die Karawane sorglos finden, und lege eine Tracht an, dass man dich nicht erkennt;

27. denn du wirst nicht ruhn, bis du ihr Nachricht gebracht hast und wenn du sie ohne die Gefährtinnen triffst, so bin ich bereit.

28. Sie sprach zu Gespielinnen: Geht einmal hinaus [vor's Lager], ich meine Abul-Hattab ist an dem Orte, wo wir weilen,

29. auf einem Wege in unmittelbarer Nähe von Leuten, herumgehenden und wachenden, vor deren Augen man sich in Acht nehmen muss.

30. Seinetwegen, glaub' ich, zitterte mein Auge am Abend und näherte sich eine Gazelle bedeutungsvoll, als wenn sie frohe Kunde brächte.

31. Sie erwiederten ihr jedoch: Nein, du empfandest nur einen Wunsch, dem du in liebevollem Gedenken dich ganz hingabst.

32. Da sprach sie zu ihnen: Lasst uns gehen, entweder treffen wir ihn dann, wie ich gesagt habe, oder wir machen uns wenigstens von der Ungewissheit frei und stellen uns vor Tadel sicher.

33. Und wie die Schlange im Waldbach dahingleitet, so kam ich heran auf der Hut vor den Spähern, indem ich meine Spur unkenntlich machte für den, der sie etwa verfolgen wollte.

34. Als wir uns dann getroffen hatten, da sprach sie: Sei gegrüsst! und lächelte so freudig, wie ein Glücklicher - wer sich befriedigt fühlt, der ist ja glücklich. -

35. O süsse Freude, die ich da genoss, indem ich ihren Worten lauschte und o welch schöne Augenweide!
(S. 38-41)


III.

1. O würde mir doch Glück von dir zu Teil! So oft ich dein gedenke, bringt dir der Liebesbote ein Zeichen der Erinnerung an mich.

2. Ich suche ja die Liebe zu mir nur in der gleichen Stärke zu entfachen, wie ich dich liebe, nichts Übertriebenes noch Ungehöriges zu erlangen.

3. Vielleicht willst du meine Gefühle gegen dich erst prüfen, dann eines Tages zum Bewusstsein kommen, dass du sie völlig kennst,

4. um dir ganz klar zu werden und zu entscheiden, ob ich Entgegenkommen finden soll, wenn ich dich zu besitzen strebe, oder Widerstand.

5. Doch sie sprach lachend: Du bist ein Liebesritter, dem's an Vernunft gebricht, und jeder findet leicht Entschuldigung für sein Thun, sobald er sich auf dich beruft;

6. ein Mann, der die Geliebte mit seinen Launen plagt und raschen Wechsel liebt, ein Mann mit heissen Wünschen, der oftmals Liebe heuchelt und ungestüm dann drängt.

7. Drauf sagte ich zu ihr im Tone eines Mannes, der sich zur Härte zwingt, obwohl mir schon die Thräne vom Auge [niederrann und mir] die Brust benetzte.

8. Du hast mein Herz geraubt - Gott leite dich auf rechtem Wege - drum übe Gnade, gieb es mir zurück, nachdem du siegreich es erbeutet!

9. Und durch Versprechen und Wünsche hast du's mir aus dem Leib gerissen, in seine Tiefen deinen Blick gedrängt und dann in enge Fesseln es geschmiedet.

10. Denn keine Nacht verfliesst dem Menschen, um dem Tage Platz zu machen, in der ich nicht Thränen vergösse, die mir die Brust benetzen,

11. um deinetwillen, nicht am Liebesgram [beinah] erstickte und nicht immer wieder die berauschende Gewalt der Liebe an meinem Herzen verspürte, obwohl ich doch nüchtern bin. -

12. Doch mein Herz ward zum Verderben euch zugetrieben, ich kam, aber ich fand weder Glück noch Kraft das Schlimme zu ertragen.
(S. 41-42)


IV.

1. Wenn ich über meine Liebesschmerzen klage und die in meinem Innern wütende Krankheit zum Durchbruch kommt, dann sagt Atik:

2. Beruht's auf Wahrheit, dass dir dein Herz entflieht, sobald die Wohnstatt er-Rebabs sich in die Ferne rückt, oder das Liebesband zerreissen will?

3. Komm zu Verstande! Kamen doch auch andere Liebestolle zu Verstande, wandten der Liebe den Rücken zu und blieben als Männer ihrem Vorsatz treu.

4. Zügle dein Herz und schone dein Leben, denn nur des Schicksals Walten bringt er-Rebab dir ferne oder nahe.

5. Doch wenn du er-Rebab nicht lassen kannst, so werde doch wenigstens nicht zum Gespött dem Beduinen und dem Städter.

6. Die Lieb' zu ihr lass' nur ersterben und behandle sie, mit der du früher Umgang und Verkehr gepflogen, wie eine Fremde.

7. Denk' sie sei nicht vorhanden oder wohn' in weiter Ferne oder gar sei geborgen in den Gräberreihn.

8. Doch wenn du weder jetzt noch später den Rat des Mannes, der dich zurückzuhalten sucht, befolgst und annimmst,

9. so gieb dir wenigstens vor Niemand Blössen; du hast's soweit gebracht, wie du nun siehst, und hast dem Herzen nachgegeben, da du geblendet warst. -

10. Doch ich liess nicht ab, bis schliesslich die Leute mein Kommen seltsam fanden und ich mich von den Spähern beobachtet sah.
(S. 42)


V.

1. Halt an bei der Niederlassung, von deren Bewohnern jede Spur verschwunden ist und deren Überbleibsel Wind und Regen verwischt haben.

2. [Halt an] bei dem freien Platze vor den Zelten, der in zwei Teile zerrissen ist, da ein Giessbach zwischen ihnen sich ein Bett gewühlt hat zum Sammelbecken, zu der Stelle, wo unten frisches Regenwasser steht.

3. Dort zeigen sich deinen Augen, so oft sie Umschau halten, die Stätten, wo wir sonst den Stamm getroffen, eine Stelle, wo der Kinder Schaukel war und ein Versammlungsplatz

4. und Steine, welche sonst den Kessel trugen, um ein erstorbnes Feuer, an dem die Frauen emsig einst gewaltet und dessen Zier verschwunden und durch [Aschen-]staub bedeckt ist.

5. Verödet sind die Stätten, wo der Stamm geweilt, nun er nicht mehr dort wohnt, die jungen Gazellen und Antilopen kommen jetzt, um frei sich da zu tummeln.

6. An einem andren Orte haben die Stammgenossen der Geliebten seitdem sich niedergelassen und diese Stelle hat der Zeiten Wandel verändert, ihr blosser Wechsel bringt schon die Veränderung.

7. Lange blieb ich stehn an jener Stelle sie zu fragen, jedoch die Wohnstatt weiss nichts, kann nichts künden.

8. die Stätte, wo sie wohnte, zu deren Anblick ein Verderben mich geleitet - zuweilen führt den Jüngling das Geschenk ja ins Verderben -

9. ein jugendschönes Mädchen, deren glänzende Erscheinung des Zeltes Dunkel durchstrahlt, wie der Mond die nächtliche Finsternis.

10. Ihr Wuchs ist schlank, nie sind die Schultern ihr entschleiert, wer sie umschlingen darf, dem füllt sie wohl den Arm und Wohlgeruch ist ihrem Busen nah vertraut.

11. Von üppigem Wuchs sind ihre Schenkel, die Spangen, die sie ihnen umlegt, drohn zu zerspringen; so füllt sie dem, der an ihr hangt das Herz bis zum Zerspringen.

12. Dünn ist ihr Leib, die Schenkel stark, die Seitenzähne [?] glatt, die Lenden verliert sie fast infolge ihrer Schwere.

13. Beim Lächeln öffnet sie den Mund, dessen Zähne blinkend wohlgereiht und glatt und scharfgezackt, von dem ein Kuss gar lieblich mundet,

14. wie Moschus mit lauterem Bienenhonig, dem sich vereint der Schnee in altem Gadarener Weine.

15. Die ist's, die mich um den Verstand gebracht hat und nun unnahbar ist - es bleiben treulos doch die Schönen, auch wenn sie mit uns ganz vertraut sind!

16. Fern war ich ihr dereinst, doch nun bestimmte mich ihr Anblick zum Verderben, als er mich trieb zum Äussersten.

17. Ich will - [so schwöre ich] bei dem, in dessen Furcht die Pilger ihre matten Tiere zur Eile treiben, Hagg und Umra unternehmen -

18. nie wieder meine Liebe von dir wenden, indem ich einer anderen sie widmete, um mit ihr eng vertraut zu werden, [niemals] so lang die Bäume Blätter treiben.

19. Du nur bist meiner Wünsche Ziel, mit dir allein beschäftigen sich meine Gedanken, mag ich allein sein, oder in der Menge, und dich nur seh' und hör' ich.

20. O träfe doch die Leute, die mich ob meiner Liebe tadeln, nur ein Zehntel dessen, was ich durchgemacht, auch wenn sie es nicht recht in Anschlag bringen wollten,

21. damit sie kosten, was ich durchzukosten hatte, dann würden ihnen der Gedanken Unruhe und die schlaflosen Nächte jede Freude wehren.

22. Im stillen sandte sie mir Botschaft: Sei unbesorgt, doch wende Vorsicht an - Gott schütze dich - des Klugen Sache ist's ja Vorsicht anzuwenden.

23. Ich hab' erfahren, dass Männer meiner Sippe, die im Verborgenen dir feind, sich fest entschlossen haben

24. dich zu töten - er, der die Macht darüber hat, mög' vor dem Tode dich bewahren, Gott wird dein Schutz sein wider die Anschläge der Menschen.

25. Wenn ein Geheimnis zwei bewahren, so bleibt es ihnen nur bekannt, doch jegliches Geheimnis, von dem mehr als zwei erfuhren, das ist der Öffentlichkeit preisgegeben,

26. und wenn ein Mann bei seiner Liebe unvorsichtig ist mit seiner Augen flüchtigen Blicken, dann kommt er [bald] in schlimmen Ruf.
(S. 43-44)
 

Aus: Umar Ibn Abi Rebia
Ein arabischer Dichter der Umajjadenzeit
Inaugural-Dissertation der hohen philosophischen Facultät zu Leipzig
zur Erlangung der Doctorwürde
vorgelegt von Paul Schwarz [1867-1939]
Leipzig 1893



Biographie:

'Umar ibn abi Rabi'a, arab. Dichter, um 643 - um 719; Sohn e. reichen, als Statthalter im Jemen tätigen Mekkaners und e. südarab. Kriegsgefangenen. Führte in Medina und Mekka e. unabhängiges, amourös-geselliges Leben und soll gegen Ende s. Lebens wegen s. poet. Huldigungen, die er der Liebe erwies, mit e. Verbot zu dichten belegt worden sein; Reisen nach Südarabien, Syrien und Mesopotamien. - Widmete sich ganz der Liebesdichtung, die er zu hoher Vollkommenheit führte. Bezeichnend ist die Lösung von der konventionellen erot. Einleitung der Qasiden (Nasib) und deren stereotyper melanchol. Haltung zugunsten e. Darstellung eigenen Erlebens in anmutigen
Bildern und Dialogen. Bevorzugung biegsamer metr. Formen und Verwendung e. natürl., einfachen Sprache; daher trotz Hochschätzung bei den Zeitgenossen und den Späteren nur geringe Beachtung bei den Lexikographen.

WERKE: Diwan, hg. P. Schwarz II 1901-09.

LITERATUR: P. Schwarz, Diss. Lpz. 1893; ders., Diwan II 1909.

Aus: Autorenlexikon: 'Umar ibn abi Rabi'a, S. 1. Digitale Bibliothek Band 13: Wilpert: Lexikon der Weltliteratur


siehe auch:

www.deutsche-liebeslyrik.de/arabische_dichter/arabische_dichter70.htm


 

 


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