Louise Otto (1819-1895) - Liebesgedichte

Louise Otto

 

Louise Otto
(1819-1895)

Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
 


Sonnenaufgang

Ein Morgen kam - ich starrte himmelan
Und sah die Sonne auf der Rosenbahn.
Ein Regenbogen schien sich aufzubauen
Gleich einer Brücke in das Himmelreich,
Gleich einem Dom ob niedren Erdenauen,
Doch Dom und Brücke ward dem Herzen gleich.
In Jenen trat's mit Beten und mit Singen
Im Gottesdienst zur Sonne sich zu schwingen,
Auf diesen schritt es siebenfach umwoben
Zur Sonne selbst, sich frei ihr zu geloben.
So war der ganze Himmel vor mir offen!
Und in mich selbst schaut ich erstaunt, betroffen.
Da war mein Herz zu einem Garten worden,
Zwei Friedenspalmen standen an den Pforten -
Und drinnen, welch ein Drängen, welch ein Treiben!
Viel tausend Blüten lieblicher Gefühle
Erwachen aus des Morgentaues Kühle,
Kein Knöspchen will in seiner Hülle bleiben.
Es ist ein Sprossen, Streben auf zum Licht:
Und jede Hoffnung ist ein Lobgedicht
Und jeder Wunsch ein glühend Minnelied! -
Inmitten diesem seligen Gebiet
Ist mir der Liebe Sonne aufgegangen.
So bringt das Herz sich ihr voll Weihe dar.
Nach keinem Himmel mag es mehr verlangen
Als den, der jetzt ihm plötzlich offenbar,
Denn schön und rein wie heller Sonnenglanz
Erfüllt der Liebe Seligkeit es ganz.
(S. 10-11)
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Erwachen

Der Frühling ist gekommen
Nach langer Winterszeit,
Das Eis ist fortgeschwommen,
Kein Weg ist mehr verschneit.

Die Lerchen singend schweben
Ob frisch ergrünter Flur,
Ringsum ein blühend Leben
Und neuen Schaffens Spur.

Ich weiß nicht was geschehen
In meiner eignen Brust?
Nie konnt ich so verstehen
Des Werdens ganze Lust.

Ein jubelndes Entzücken
Mich immer mehr erfüllt:
Was Glück ist - was Beglücken
Das wird mir jetzt enthüllt.

Die Liebe ist gekommen
Mit aller ihrer Macht!
Ihr Weckruf ward vernommen
Wie ich es nie gedacht.

 Und aller Vöglein Lieder
Sie tönen in mir auch
Und Alles klinget wieder
Wie Offenbarungshauch.
(S. 12-13)
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Die Jungfrau auf dem Lurlei

Hoch obenauf dem Lurlei da sitzt die schönste Maid
Und zählt an Bernsteinperlen schon seit gar langer Zeit.

Sie steiget je zuweilen zum höchsten Felsenrand
Und singt zum Rheine nieder ihr Lied vom grünen Strand.

Dann windet sie sich Blumen um's nasse Lockenhaupt
Und windet Herzen drunter, die sie den Schiffern raubt.

Die werden ganz bethöret und blicken nach ihr hin -
Doch sitzt sie ewig ruhig mit ewig stillem Sinn.

Die gelben Bernsteinperlen, die haben Heil und Kraft,
Die sind aus goldnen Thränen von süßer Leidenschaft.

Und wer dann eine findet, der wird davon gesund -
Hei! hätt ich eine funden, ich würf sie in den Grund.

Wer möchte heil wohl werden von süßer Zauberei?
Vom Liebeszauber sagen: "Nun ist der Wahn vorbei!"

O wer es sagen möchte, die Lurlei nie vernahm
Und nie aus seinem Herzen ein Liebesseufzer kam.
(S. 18)
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Totenklage

I. Auf den Grabstein meines Bräutigams
In meinem Herzen steht dein Bild,
Dein Name klingt durch meine Lieder
Trotz Tod und Trennung nah ich mild
Zu deinem Grab mich liebend wieder:
Denn zweier Seelen reine Harmonie
Trennt selbst des Todes schriller Mißton nie.


II. Gebet am Grabe
Du gabst ihn mir - du hast ihn mir genommen,
Du ew'ger Gott, der unser Schicksal lenkt,
Mit ihm ward mir das höchste Glück geschenkt
Und nun ist mir das tiefste Leid gekommen.

Ich frage wohl: wie soll ich noch ertragen
Das Leben, das nun öde vor mir liegt
Seit ihn des Todes dunkle Macht besiegt
Und all umsonst mein Sehnen und mein Klagen?

Und doch - ob alle Hoffnungen versanken
Erinn'rung bleibt mir an die Seligkeit,
Die nur der Liebe süße Macht verleiht -
Und dafür muß ich selbst in Thränen danken.
(S. 19-20)
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Erinnerung an die Rudelsburg

I.
Wir weilten in alten Ruinen
Ein junges glückliches Paar,
Mit liebeseligen Mienen,
Das treu verbunden war.

Wir sprachen mit Kuß und Scherzen,
Mit Wonneblick und Thrän
Von unsern seligen Herzen,
Die fester als Burgen stehn! -

Will ich nun wiedersehen
Die Stätte meines Glücks,
So muß ich einsam gehen,
Gesenkten, trüben Blick's.

Der damals mich umfangen
Sank wie dies Bergschloß ein!
Von beiden die vergangen
Spricht nur noch das Gestein!


II.
"Hörst du die Saale drunten flüstern?
O mein Geliebter - da hinab!
Könnt Trennung uns das Leben düstern,
Dort ist für uns ein einig Grab!"

So rief ich aus voll Liebesbeben,
In meines Herzens Ahnungsgrauen,
Du aber sprachst von Glück und Leben
Mit heiterlächelndem Vertrauen.

"Nicht Trennung kann das Leben haben,
Mein Liebchen, ja für dich und mich
Nur Liederflut mag uns begraben
Und Deine Locken decken mich!"

Nun bist du, Liebster, doch begraben,
Auf kalter Brust die Locke mein -
Kann mich die Liederflut noch laben,
Die jetzt umwogt nur mich allein?

Ach, wie wir damals uns umschlungen
Hättst "Schwärmrin"! du mich nicht genannt
So wären wir hinabgesprungen
Und hätten Trennung nie gekannt.

So wär ich nicht allein geblieben
In dieser kalten, öden Welt,
Die, weil ich nicht kann wieder lieben,
Mein Herz für kalt und fühllos hält.

Doch muß ich noch im Leben ringen:
Wohlan - der Liebe Glück ist hin, -
Noch aber kann ich mutig singen:
Noch lebt mein freier, stolzer Sinn!

Noch kann ich kämpfen mit Ruinen,
Die so wie diese ringsum stehn,
Noch kann der neuen Zeit ich dienen,
Und froh das Alte weichen sehn.

Noch kann ich wie die Saale drunten
Dem Vorwärtswogen froh mich weihn -
Doch hab ich einsam stille Stunden
Träum ich von Liebe - ewig Dein! -
(S. 21-23)
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Allein

Allein, allein! - die Liebe ist begraben,
Ich selbst bin nur die bleiche Trauerweide,
In deren Zweige sich verwandelt haben
Mein Liebesjubel, meine Liebesfreude!
Und was mich sonst an andre Herzen band
Mich hieß als Epheu einen Stamm
Das hab ich all als nicht'gen Traum erkannt:
Der Epheu muß allein im Freien schwanken.

Allein, allein! doch Du bist mir geblieben,
Die mit dem Kind zu Spiel und Fest gegangen,
Die für der Jungfrau frühlingselig Lieben
Die Töne fand, die nur von Liebe klangen!
Du, die mir ihren Zauberstab verlieh
Die Nacht zu hellen, wo sie mich umdunkelt
Du bist mir treu, bist mein, o Poesie!
Sei auch der Stern, der diese Nacht mir funkelt!

Ja, sei ein Stern an meinem Abendhimmel
Sei du mir selbst ein milder Hesperus,
Doch in des Lebens, in der Zeit Gewimmel
Strahl Andern mit des Morgensternes Gruß!
Ob abendlich mein Aug' in Thränen taut
Ob in mir Nacht - was brauchts die Welt zu wissen?
Die Welt, für die ein neuer Morgen graut,
Der sie aus Traum und Schlummer aufgerissen?

Und diesem Morgen jauchz auch ich entgegen,
Wo wir der Freiheit Sonnenaufgang feiern,
Den heißen Erntetag, wo reichen Segen
Von langer Saat wir sammeln in die Scheuern.
Das Los, das einer jungen Blüte fiel -
Wer wird nach dem bei solcher Ernte fragen?
Ob sie verwelkt, geknickt an ihrem Stiel -
Nehmt sie zum Festkranz auf den Erntewagen!

Nein, nicht allein! - will mich auch niemand lieben,
Will niemand meines Herzens Qual verstehen,
Muß jedes Band zerreißen und zerstieben,
Weithin zerflatternd in die Lüfte wehen.
So nehm' ich dieses Herz, das ungezähmte
Und leg es meinem Vaterland zu Füßen -
Das sich um eines Menschen Schicksal grämte
Dies Herz soll nur dem Ganzen sich erschließen,

Und an die Armen sei's dahin gegeben,
Die obdachlos vor prächtgen Häusern stehen,
Und hungerbleich die leere Hand erheben,
Auf die verächtlich stolz die Reichen sehen;
Die kleine Münze, die ich euch kann geben
Ihr Armen lindert wenig Euren Schmerz -
Doch hör' ich Euer Rufen, Euer Flehen,
So fleh ich Euch: nehmt Ihr, nehmt Ihr mein Herz!

O könnte ich aus allen Euren Jammern
Aus allen Freveln, die an Euch geschehen
Aus aller Not in Euren öden Kammern
Vor denen Laster als Versucher stehen:
Könnt ich ein Lied aus diesem allen weben
Und könnt es laut auf allen Gassen singen,
Da sollten wohl viel starre Herzen beben,
Viel Augen übergehn, viel Ohren klingen.

Nein, nicht allein! ich will nicht fürder träumen
Vom eitlen Herzen, das nach gleichem strebte!
Will "Herz und Schmerz" nicht - "Not und Brot" nur reimen
Und will es büßen, daß ich selbst mir lebte.
Mir giebt des Himmels Gnade doch die Lieder
Wenn er mir auch verweigert Gut und Gold.
Was er mir giebt - den Armen sei es wieder
Mit treuem Sinn als Liebespfand gezollt.
(S. 30-32)
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Das Kätchen von Heilbronn

Ihr kennt wohl die alte Märe
Und kennt wohl das schöne Gedicht
Und wißt was vom Kätchen von Heilbronn,
Man immer noch kundet und spricht?

Wie einst sie gelaufen dem Ritter,
Dem Wetter von Strahl lange nach,
Bis Lieb seinen Stolz überwunden,
Er plötzlich zu Füßen ihr lag!

Und habt Ihr das Mädchen gescholten,
Das der inneren Stimme vertraut
Habt ihr sie doch gern als Prinzessin
Am Ziel ihrer Sehnsucht geschaut.

Ich mache die Mär mir zu Nutze
Erneu sie in jetziger Zeit;
Auch ich folge treu einem Ritter
Aus meiner Verborgenheit.

Er sitzet gar stattlich zu Rosse,
Hoch flattert der Helmbusch ihm nach,
Es blitzet die mächtige Klinge,
Der mancher Gewaltge erlag.

Mich treibt eine innere Ahnung,
Durchzittert ein stürmischer Drang
Ihm immer und ewig zu folgen -
Doch oftmals wie wird mir so bang!

Wenn alle die Knappen und Ritter
Ich sehe zur Seite ihm ziehn,
Geschmücket auf mutigen Rossen,
Im Glanze die Waffen erglühn: -

Und seh nun mich Arme daneben
Von Rittern wohl nimmer bemerkt,
Von Knappen gehöhnt und gescholten -
Dann hab ich umsonst mich gestärkt! -

Der Ruhm ist der herrliche Ritter,
Der Ruhm ist Graf Wetter von Strahl!
Dem werd ich zu folgen getrieben
Aus Ahnung und Drang - nicht aus Wahl!

Doch bleib ich die niedrige Käthe,
Zu klar nur erkennt das mein Sinn,
Wenn ich nicht die Tochter des Kaisers,
Des Schöpfers des Genius bin!
(S. 33-34)
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Schneeglöckchen

Schneeglöckchen läutet den Frühling ein,
Geweckt vom kosenden Sonnenstrahl,
Im Schneegewande, so schlicht und klein,
Auf zartem Kelche der Hoffnung Mal:
Das fröhliche Grün, das alte Zeichen,
Vom Frühlingskommen und Winterweichen.

Rings starres Schweigen - das Glöckchen klingt
Auf zartem Stengel beim leisesten Hauch,
Es scheint zu beten und flüstert und singt
Das Wort der Weihe nach altem Brauch:
"Der Lenz ist gekommen, er hat uns gesendet,
Des Winters Herrschaft sie ist beendet!"

Du kleines Blümchen - falscher Prophet!
So höhnt dich lächelnd die kluge Welt -
Ein eisiger Nord durch die Fluren weht,
Dichtflockig der Schnee vom Himmel fällt.
Schneeglöckchen beugt sich mit Todesgebärden,
Flüstert noch sterbend: "Lenz muß es werden!"

Lenz muß es werden - werden gar bald:
Da naht er siegend mit lauter Grün,
Vernichtet ringsum des Winters Gewalt,
 Läßt tausend prächtige Blumen blühn -
Schneeglöckchen brachte zuerst die Kunde
Jetzt aber fehlt es im blühenden Bunde.

Denn weil es so nah an der Brust der Natur,
Gefühlt die Schmerzen der ganzen Zeit,
Drang es hinaus auf die kalte Flur,
Zu künden jubelnd "Der Lenz befreit!"
So nahte es liebend um froh zu sterben - -
Schneeglöckchen - darf ich dein Schicksal erben?
(S. 42-43)
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Talismann
(Spätherbst 1849)

Daß dieses Herz, das unruhvolle,
Nicht ganz in sich verzagen darf,
Auf welche öde, kalte Scholle
Es auch ein hartes Schicksal warf!

Daß meine Augen leuchtend glänzen,
Als schauten sie gelobtes Land,
Als weilten sie auf Siegeskränzen,
Anstatt auf Kett und Sklavenband!

Das dank ich einem Talismane,
Den mir ein Bote Gottes gab,
Ein Engel mit der Friedensfahne,
Erhaben über Tod und Grab.

Und soll ich noch das Kleinod nennen?
O liebe nur - dann ist es Dein!
Dann magst Du's einer Welt bekennen:
Im Lieben nur ist Trost allein!
(S. 141)
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Aus der Gefängniszeit 1850-1856
Zwei Fenster

I.
Ein Fenster hinter blendenden Gardinen,
Das hoch und groß den Blick hinein verstattet;
Vom hellen Sonnenglanze ist's beschienen,
Der an den blanken Scheiben nicht ermattet.

Umzogen ist's von grünen Epheuranken,
Lorber und Myrte miteinander streiten,
Jasmin und Rosen wollen blühend danken
Für treue Pflege selbst in Winterszeiten.

Ein Vöglein singt aus offenem Gebauer
Und holt sich Zucker von der Jungfrau Lippen,
Die an dem Fenster näht, wie leiser Schauer
Durchrieselt sie's bei ihres Vögleins Nippen.

"Gefangen Du, wie Er", so spricht sie leise,
"Doch hast Du nie gekannt ein freies Leben
Und singst es täglich mir in froher Weise,
Daß ich Dir all, was Du begehrst, gegeben!"

Und zu den Blumen ihre Blicke irrten:
"Der Lorber wächst - ihn hat er längst erworben
Und Trieb und Blüten sprießen an den Myrten
Kein einzig Rosenknöspchen ist verdorben! -

O dürft ich diesen holden Zeichen trauen!
Dürft ich die Blumen an sein Gitter senden -
Wann wird er endlich Lenz und Blüten schauen?
Wann darf die Trennung, wann sein Kerker enden?"

Ein Seufzer, eine Thräne - dann aufs neue
Greift sie zur Arbeit, die sie ihn bereitet -
Singt dazu leis ein Lied von Lieb' und Treue,
Von Gottes Hand, die ihn wie sie geleitet. -


II.
Ein Fenster hinter dichten Eisenstäben,
Das klein und schmal kaum einen Blick verstattet
Das nur ein wenig aufwärts zu erheben,
Geringelt Glas, darin das Licht ermattet.

Ein enger Raum wie eine Klosterzelle,
Der Wände Grau, die Farbe der Bedrängnis.
Verscheucht schon früh des kurzen Tages Helle,
Verdunkelt noch das einsame Gefängnis.

Ein bleicher Mann, versunken in Gedanken,
Lehnt an dem Fenster sucht des Himmels Bläue,
Denn auch in seines Kerkers enge Schranken
Schaut noch dies Blau! - die Farbe ewger Treue!

Und seines Mädchens, seiner Trauten Farbe!
Er denkt an sie, die ihm die einzig Eine,
Und wie er leide, wie er duld und darbe,
Er fühlt sich reich, denn sie bleibt doch die Seine!

Sie denkt wie er, sie weiß warum er leidet -
Vor einer Welt hat stolz sie's ausgesprochen:
Wer für den Glauben seiner Seele streitet
Hat nichts vor Gott, noch vor sich selbst  verbrochen.

Ein Brieflein hält er zwischen seinen Händen,
Denn nicht verbannt ist solches Liebeszeichen,
Sie dürfen sich einander Grüße senden,
Wenn strenge Fristen auch dazwischen streichen.

Was kann sie andres ihm als Liebe schreiben,
Der keinen Trost bedarf um nicht zu wanken?
Sie meldet ihm, daß Myrt, und Lorber treiben
Und frisches Grün der Hoffnung Epheuranken!

Ein Seufzer, dann ein Lächeln - und aufs neue
Küßt er den Brief, der Wonne ihn bereitet,
Singt dazu leis' ein Lied von Lieb und Treue,
Von Gottes Hand, die sie, wie ihn geleitet.

Bruchsal, im August 1851

Zwei Eisengitter scheiden Dich von mir! -
Dazwischen schreitet auf und ab der Wächter -
Die Liebe schwingt ihr heiliges Panier,
Ein Talisman für Dich und mich, ein echter!

Kein Händedruck, kein Kuß! - kein Gitter fällt
Und keine Hand kann durch die Stäbe langen,
Und selbst das Wort von Laurern rings umstellt,
Es bleibt im Bann, es ist wie Du gefangen. -

Die Ihr Euch liebt in Freiheit hoch beglückt:
Vermögt Ihr wohl ein solches Wiedersehen?
Euch auszumalen, Herz an Herz gedrückt,
Wie möchtet Ihr vor solchem Gitter stehen?

Wir standen so: Wir sahn uns Aug in Aug, -
Ein Siegeszeichen strahlt von unsren Stirnen.
So zieht im Sturm ein Sonnenaufgangshauch
Um ferner Alpen hochgetragne Firnen.

Und Sonnenaufgang war's und Lerchenruf
Und Hallelujahsang aus höhern Sphären!
Noch einmal Gott die schöne Welt erschuf -
Und es ward Licht; die Schöpfung zu verklären.

Und es ward Licht! die Augen wurden hell,
Das Seel' um Seele auf den Grund sich schauten
Und jubelnd flog das Herz zum Herzen schnell,
Daß sie sich so das Seligste vertrauten.

Zwei Eisengitter zwischen Dir und mir -
"Vorbei die Stunde!" mahnt der rauhe Wächter -
Die Liebe schwingt ihr heiliges Panier
Ein Talisman für Dich und mich, ein echter.

Zöblitz, im Mai 1853

Ein Pfingsten kam - o welche Festesfeier!
Der schöne Mai im hellen Blütenkranz
Zerreist des Himmels düstern Wolkenschleier,
Und zeigte ihn in seinem blau'sten Glanz. -

Kann solche Wonne auch im Kerker wohnen?
Ist da auch Frühling, auch der holde Mai?
Glühn auf Gefangnenstirnen Flammenkronen,
Des heil'gen Geistes wunderbare Weih?

Und ist im Kerker holde Maienwonne,
Geoffenbart in Lenz- und Liebeslust?
Dreimal gesegnet hohe Pfingstensonne,
Die solche Stätte zu erhelln gewußt!

Der Riegel sprang und schloß er auch sich wieder
Ich war bei Dir, und bot Dir meinen Gruß -
Du neigtest lächelnd Dich zu mir hernieder
Die Worte starben im Verlobungskuß.

Der erste Kuß! - bei uns der Kerkermeister
Kein Augenblick nur trauter Einsamkeit;
Doch hemmte nichts die Wonne unsrer Geister -
Der Raum war enge, doch die Herzen weit.

Von Deiner Stirne sprach des Geistes Weihe
Und Deine Rede war von Gott entflammt -
Ich bat ihn nicht, daß er Dir Trost verleihe -
Er gab Dir mehr - sein hohes Priesteramt.

Ich hätte mögen vor Dir niederknieen,
»Mein hoher Herr!« Dich nennen demutvoll -
Und ließ mich doch in deine Arme ziehen,
Daß mir das Herz in süßer Wonne schwoll.

Und vor uns eines neuen Kerkers Schauer,
Und neuer Trennung unermeßnes Leid -
Die Liebe, im Bewußtsein ew'ger Dauer
Schwang doch sich siegreich über Raum und Zeit!

Die Liebe triumphiert ob aller Schranken,
Daran ein liebeleeres Herz zerschellt:
Du mein! ich Dein! - kein Zweifel mehr, kein Wanken!
Und siegreich überwunden ist die Welt!


III.
Waldheim, 4. März 1854
Fünf Jahre sind im Kerker schon vergangen -
Zum fünften mal kehrt Dein Geburtstag wieder -
Ich kam zu Dir mit Sehnen und mit Bangen -
Und tief beschämt senk' ich mein Auge nieder

Vor Deiner Herrlichkeit in Schmach und Leiden,
Vor Deiner Kraft im Dulden und Entbehren!
Du sprichst von Liebe nur, von Seligkeiten,
Wo andre sich in Schmerz und Zorn verzehren!

Ein Gitter fiel - doch eines ist geblieben,
Uns trennend, die wir ewig doch verbunden -
Die wir ganz eins im Streben und im Lieben,
Wie That und Wort seit Jahren es bekunden!

O laß mich Dir die Hand durchs Gitter reichen!
Du neigst Dich nieder - küßt sie süß und heiß,
Dazu des Blickes holdes Liebeszeichen -
Kein andres brauchts, da ich so froh Dich weiß!

Sieh, Deiner Küsse und des Gitters Spuren
Sind meiner Hand so sichtbar eingeprägt
Wie Nägelmale, wie auf Frühlingsfluren
Ein Quell hervorbricht und drin Wunden schlägt.

Von Nägelmalen wissen wir zu sagen,
Von Quellen, die als helle Thränen flossen,
Doch auch von Blüten, die wir in uns tragen,
Die aus den liebeselgen Herzen sprossen!
(S. 145-151)
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Sonette

I.
Du weißt, wie ich in meiner Kindheit Tagen,
Die wie ein Märchen traumdurchwebt verronnen,
Ein hohes Bild den Dichtern abgewonnen,
Die mich erquickt mit ihren Heldensagen.

Ein Ritter, der die Laute bald geschlagen,
Und bald das Schwert geführt, kühn und besonnen,
Mit goldnem Haar und blauer Augen Bronnen -
Es war Dein Bild, das ich in mir getragen!

Wie ich Dich sah - da stand es vor mir wieder,
Verwirklicht waren die Heroen-Lieder,
Die ich als Spiel der Phantasie verklagt.

Fast sank die stolze Jungfrau vor Dir nieder,
Und daß Du selbst ihr Deine Lieb' gesagt,
Das hatte sie zu denken nie gewagt!


II.
Entsetzt lag ich vor Deinen Eisengittern,
Weil ich umsonst gestrebt Dich zu erretten,
Indes sie Dich auf hartem Pfühle betten.
Trank ich den Kelch der Leiden still, den bittern.

Doch hört ich auf zu bangen und zu zittern,
Wallfahrend zog ich zu den Kerkerstätten,
Und Liebes-Rosen wandt ich in die Ketten,
Und Sonnenaufgang folgte den Gewittern.

Ein neuer Himmelsruf war mir ergangen:
Den Heldenkämpfer, der so lang gefangen.
Empor ob allem irdschen Leid zu heben,

Ich durft ihn aus dem Kerker nicht befreien,
Ich durfte mehr: den Kerker selber weihen,
Dem Dichtergeiste neue Schwingen geben.


III.
Mir ist so froh, mir ist so leicht zu Sinnen,
Und doch trennt uns des strengen Kerkers Gitter,
Und zeigt mir ganz, wie das Geschick so bitter,
Das mich nach kurzem Gruße treibt von hinnen.

Das ist die Macht im selig süßem Minnen,
Wie es mit Dir mich eint, mein holder Ritter!
Da wird der Schmerz zum fliehenden Gewitter
Von dem die Fluren Segen nur gewinnen!

Der Himmel über uns er bleibt uns offen,
Die Sonne bleibt in ihrem Glanze thronen,
Und Märzenluft, die kündet Frühlingszeit!

Drum laß nicht ab vom Gottvertraun und Hoffen:
Der Liebe schönste Paradieseszonen
Erwarten uns noch so viel Qual und Leid!


IV.
O sage nicht, daß draußen Lenz und Leben
Und Glück und Freiheit ihr Panier entfalten,
Ich sah die Welt sich anders ganz gestalten
Seit diese Kerkermauern Dich umgeben!

Laß mich auf Flügeln an Dein Gitter schweben -
Die Menschheit ist was wir von ihr gehalten;
Hoch ob uns allen herrscht des Schöpfers Walten,
Der heute stürzt und morgen kann erheben!

Doch über allen Hader unermessen,
Der noch die Welt zerwühlt mit spitzen Waffen
Vom Sonnenaufgang bis zum Niedergange:

Ward doch das ew'ge Werde nicht vergessen,
Das jedem Herzen seine Welt erschaffen.
"Ich liebe Dich!" spricht es im Jubelklange.
(S. 156-158)
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Dem Befreiten. 1856

I.
Ich hatte keine Thaten, nur Gebete,
Ich war nur groß im Dulden und Ertragen,
Ich wußt' es nur: ich durfte nicht verzagen,
Gott war mit uns, zu dem ich brünstig flehte.

Da kam ein Tag, an dem sein Odem wehte,
Der Freiheit Himmelsstunde ließ er schlagen,
Daß wir einander Herz am Herzen lagen
Und Jubelseufzer waren unsre Rede.

O süße Wonne! seliges Genießen
Nach treuem Harren, Dulden und Entbehren -
Welch Triumphieren, daß wir nie uns ließen!

Wie könnten wir den Freudenthränen wehren,
Die Aug' in Aug' beseligt niederfließen
Und so die Macht, die uns beschützt, verehren?


II.
Wir werden, Herz an Herz, Gedichte leben,
Wenn dieser Trennung herbe Qual bezwungen!
So hofften wir, da wir im Leid gerungen,
Uns nur begrüßt, getrennt von Eisenstäben.

Sonette leben! o die Reime weben,
Sich ja von selbst, so bald wir uns umschlungen,
Um in der Liebe süßen Huldigungen,
Wie Reim um Reim, uns Kuß um Kuß zu geben.

Vor Kerkerthüren hab' ich sonst gestanden,
Auf Deinen Anblick harrend voller Bangen,
Zerdrückte Thränen auf den bleichen Wangen.

Heut aber bin ich selbst in Deinen Banden,
Mit starken Armen hältst Du mich umfangen,
Und nach der Freiheit trag' ich kein Verlangen!


III.
Am Geburtstag 4. März
Die erste Lerche hört' ich draußen singen
Wohl manchmal schon an diesem Weihetage,
Und immer war's, als ob sie selbst noch frage:
Werd' ich schon jetzt den schönen Frühling bringen.

Und immer war's, als ob auf ihren Schwingen
Sie nähme meinem Herzen jede Klage,
Und weit hinweg in alle Lüfte trage,
Als Jubelhymnus nur zurück zu klingen!

Doch anders heut - als ich ihr Lied vernommen
Erklang es gleich als jauchzender Päan:
Nun ist der Lenz schon wirklich angekommen.

So zuversichtlich ist mir heut zu Sinnen,
Daß diese Lenzverkündigung kein Wahn,
Daß er schon kam und daß ich mitten drinnen.
(S. 159-161)
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Moosrose

Die rote, blätterreiche Rose,
Voll Duft und tiefverborgner Glut,
Die ohne Dorn im weichen Moose,
Auf zartem Stengel träumend ruht':
Die Rose gab ich Dir zu eigen -
O wie verstandest Du mich wohl!
Du weihtest sie zum Bundeszeichen
Zu unsrer Seligkeit Symbol!

Du willst sie unverwelklich wahren
In Deiner Hand, an Deiner Brust,
Ein Talisman, der in Gefahren
Zu schützen mich und Dich gewußt;
Ein Unterpfand von künft'ger Wonne,
Wenn hinter uns die finstre Nacht,
Wenn eine freie, stolze Sonne
Zugleich auf uns herniederlacht.

Viel Dornen sind auf unsern Wegen,
Doch diese Ros' ist dornenlos,
Du zogst mit warmen Herzensschlägen
Die stille Knospe voll und groß.
Das ist ein Sprossen, ist ein Drängen -
Ein ganzer Hain von Rosen blüht,
Und zu begeisterten Gesängen
Ein jeder Kelch sich öffnend glüht.

So laß uns selig träumend wallen
Im Rosenhain der Poesie,
Und Lied um Lied soll preisend schallen
In süßer Liebes-Melodie.
So laß uns Gott im Himmel loben
Der solche Rosen blühen hieß
Und uns, trotz wilder Wetter Toben,
Die schönste dennoch finden ließ.

So laß uns diesen Gott vertrauen,
Der an den Blumen Wunder thut,
Nicht nur im Blitz ist er zu schauen,
Er redet auch aus Rosenglut.
Wie uns des Wetters Nacht umdunkelt,
Wie Angst und Weh' das Los der Zeit:
Ein heil'ger Strahl im Kelche funkelt -
Die Rose blüht in Ewigkeit!
(S. 162-163)
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Geständnis

I.
Es ahnet niemand meines Herzens Regen,
Das dunkle Meer von meiner Seele Tiefen,
Wie seine Wogen endlos sich bewegen
Und wilde Stürme aus dem Grunde riefen!

Es ahnt es niemand - auch das Meer verhehlet,
Was es verbirgt in seinem tiefsten Grunde,
Zuweilen nur ist's, daß ein Sturm erzählet
Von seinem Innern mit beredtem Munde.

So ist wohl mir auch manch ein Lied entquollen,
Den Kampf des eignen Herzens zu begleiten,
Doch sah ich's gern vergessen und verschollen
Vor den Trommetenschmettern dieser Zeiten.

Ich stieß ja selber in die Lärmtrommete,
Die trägen Völker aus dem Schlaf zu rütteln'
Ich mahnte immerdar mit lauter Rede:
»Der Knechtschaft Ketten müßt ihr von Euch schütteln!«

Ich warf mich in das regste Weltgetriebe
Und sprach von Freiheit, Recht, vom Vaterlande!
Doch schwieg ich immer von der Glut der Liebe,
Die mir im Innern unverlöschbar brannte. -

Wohl weiß ich wie die flache Welt entscheidet -
Was man nicht laut verkündet auf den Gassen,
Was nicht in Worten ihr vorüber gleitet,
Das kann sie nicht verstehen und nicht fassen.

Drum ahnet niemand meines Innern Regen,
Drum hat kein Herz das meine ganz verstanden!
Wo laut es pocht im stürmischen Bewegen,
Verstummt der Mund, und liegt das Wort in Banden.

So muß ich unerkannt durchs Leben gehen,
Dem Strome gleich, der sich durch Felsen windet;
Die Nächsten mir seh' ich am Ufer stehen,
Wo jede Tiefe ja zur Schwachheit schwindet.

Es ist mein Los! - ich kann um Lieb' nicht bitten,
Doch lieben kann ich noch aus tiefstem Herzen.
Um laut zu künden, was ich still gelitten,
Zu heilig sind mir meiner Liebe Schmerzen!


II.
Und weil ich schwieg und weil in keuscher Scheue
Ich nimmer auf dem offnen Markt gesungen,
Von meiner Seele ew'ger Liebestreue,
Von meines Herzens süßen Huldigungen:

Meint Ihr, ich sei kein fühlend Weib geblieben,
Indes der Freiheit Fahne ich getragen?
Ich hab' verlernt zu dulden und zu lieben,
Weil meine Lieder keine Liebesklagen?

O arme Thoren, die Ihr noch könnt wähnen,
Daß stille Lieb' und lautes Wort sich einen,
Daß wir die heiligsten von unsern Thränen
Vor aller Welt vermögen auszuweinen.

Hört Ihr die Nachtigall am Tage schlagen
In lauter Menschen emsigem Gewimmel?
Sie wird zur Nacht im stillen Haine klagen,
Den Menschen nicht, sie singt ihr Lied dem Himmel.

Die Lerche aber singt im Sonnenscheine,
Sie ruft die Menschen wach zu neuen Thaten.
Wo sie der Arbeit pflegen im Vereine,
Schwebt sie am liebsten ob den grünen Saaten.

So hab' ich Euch als Lerche aufgewecket,
Das Morgenlied der Freiheit vorgesungen,
Als Nachtigall hab' ich mich tief verstecket -:
Das Lied der Liebe ist in Nacht verklungen!
(S. 164-167)
_____


An August Peters (Elfried von Taura)
Dir

Wie lag ich gern am Blütenhag
Von Veilchenduft umflossen,
Bei Lerchentriller, Finkenschlag
Und tausend jungen Sprossen.
Wie lauscht ich da in Frühlingslust
Den Düften und den Klängen,
Wie ward das all', mir kaum bewußt
Zu tönenden Gesängen.

Wie träumt ich von der Muse Kuß
Und gab mich ihr zu eigen
Und ließ der Lieder lauten Gruß,
In alle Winde steigen!
Wie schwor ich stolz, wie schwor ich kühn:
Der Muse nur zu leben,
Und meines Herzens lodernd Glühn,
Ihr ungeteilt zu geben!

Wie sang ich trotzig in die Welt
Vom heil'gen Frauenrechte,
Stand fest, auf mich allein gestellt,
Im brausenden Gefechte.
Wie arg verkannt' ich wankte nicht,
Ich blieb auf meiner Stelle.
Erbleichte auch mein Angesicht
Das Auge blieb doch helle.

Und sing ich jetzt, so sing ich Dir,
Demütig mich Dir neigend,
Die Lieb' ist meines Liedes Zier,
Zum Himmel jubelnd steigend.
Und denk ich an den stolzen Eid:
Der Muse nur zu leben -
Noch stolzer ist die Seligkeit
Mich Dir zur Muse geben.

Und stolzer jetzt Dein Weib zu sein,
Und Dich mit Lorbern schmücken
Als wollten Andre mir sie weihn,
Auf meine Locken drücken.
Und wenn ein Zweig davon mir blieb,
Den reich' ich Dir mit Kosen,
Du giebst dafür in Deiner Lieb'
Mir Myrten ja und Rosen!
(S. 195-196)
_____


Was ist die Liebe denn?

I. Frage
"Was ist die Liebe denn?" - "Was ist das Leben?"
Mag es zurück als Gegenfrage hallen -
So lang kein Liebesstrahl darauf gefallen,
Ist's eines Chaos nebelhaftes Weben.

Siehst Du die Sonne leuchtend sich erheben
Und alle Nebel schwindend niederwallen?
Hörst Du der Lerche Morgensang erschallen
Und siehst sie jubelvoll gen Himmel schweben?

Willst Du ihr folgen in das Licht der Sonnen?
Willst Dich mit ihr im blauen Aether wiegen,
Bis Deinem Blick die Erde ganz zerronnen?

Wohl ist die Lieb' solch jubelnd Aufwärtsfliegen,
Doch - daß der Himmel für das Herz gewonnen:
Das ist der Gottheit Zeichen, drinn wir siegen!


II. Antwort
Weil nun die Lieb' mir alle, alle Poren
Des Herzens füllt, weil sie mich ganz durchdrungen
Fragst Du: ob ich noch gern wie sonst gesungen,
Da ich alleinzig mich der Kunst verschworen?

Die Liebe, die mich also ganz erkoren,
Wähnst Du, hab' wie ein starker Geist bezwungen
Den guten Genius mit Feuerzungen,
Der früher einzog zu der Seele Thoren?

Ein Engel ist sie, der vom Himmel kommen,
Die sel'ge Offenbarung mir zu bringen:
Lieb' und Gesang sind ewig eins geblieben.

Und einer Täuschung hat er mich entnommen:
Sonst wußte ich von Liebe nur zu singen,
Jetzt sing' ich, weil ich innig weiß zu lieben.
(S. 232-233)
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Ich bin bereit
(Geschrieben zur Zeit einer Epidemie 1871)

I.
Ich bin bereit! willst Du hinweg mich rufen
Von dieser Erde, nimm, mein Gott, mich hin.
Der Tod ist meiner Seele nur Gewinn:
Er führt empor zu neuen Lebensstufen.

Die mächt'gen Schöpferworte, die mich schufen,
Die mich erfüllt mit selbstbewußtem Sinn -
Sie werden seit der Welten Anbeginn
In einem ew'gen Echo fortgerufen.

Sie tönen, wirken fort ohn' End', ohn' Ende,
Rings in dem Riesenpulsschlag der Natur,
Als immer neuverjüngte Lebensspende.

Und über mir, im himmlischen Azur,
Dort, wo auch meines Geistes Sonnenwende,
Kann nicht verwehen ihre heil'ge Spur.


II.
Ich bin bereit! - wohl war es schön hienieden,
Als mir bei Veilchenduft und Lerchenschlag,
An manchen sonnenhaften Frühlingstag
Ein innig Lied zu singen selbst beschieden.

Und schön auch, wenn nach Stürmen, nie gemieden,
Nach einem Wetter, das in Blitzen sprach,
Hervor ein bunter Regenbogen brach,
Verkündend einen neuen Sabbatfrieden.

Schön war's, wenn bei des Mondes mildem Leuchten,
Und bei der Nachtigallen süßem Sang,
In tiefer Sehnsucht sich die Augen feuchten.

Und schöner, wenn in der Begeistrung Drang
Sich Herz und Seel' dem Ew'gen nahe deuchten -
Doch - wenn dies sterbend nun erst ganz gelang?


III.
O schönes Leben, das der Liebe Bande
Um mich mit allen ihren Zaubern wob!
Ein trauter Arm mich in den Himmel hob
Und Herz an Herz im süßen Feuer brannte.

Ja! Liebe wird zum Himmels Unterpfande!
Ob Sturm und Blitz die Myrthe auch umtob,
Ob auch die schönste Rose noch zerstob -:
Die Liebe ist des Ew'gen Abgesandte.

Wenn Seel' und Seele sich verwandt erkennen?
Ob wir es Freundschaft, ob wir's Liebe nennen,
Es ist ein Zeichen unsrer Göttlichkeit.

Und wenn die Geister sich vom Ird'schen trennen -
Wo ist für rechte Liebe denn das Leid?
Dort ist der Liebe Reich - ich bin bereit!


IV.
Ein Ziel, ein hohes, hatt' ich mir erkoren,
Ihm weiht ich mich mit allem was ich bin:
Die Freiheit nahm mich auf als Priesterin,
In ihrem Dienst hielt ich, was ich geschworen.

Und war's ein Spott, den Klugen wie den Thoren,
Ehrt' in der Frau ich auch die Bürgerin:
Klar blieb und fest und unbeirrt mein Sinn,
Nie hab' ich mich von meinem Weg verloren.

Das Ewige, sich hier schon offenbarend
In Lenz und Liebe und im Freiheitsdrang,
Bis in den Tod in meiner Brust bewahrend.

Und wie ich oft schon ahnend auf mich schwang,
Nicht Müh' und Not noch jähen Sturz befahrend,
Bin ich bereit zu meinem letzten Gang!
(S. 270-272)
_____


Seligkeit

Zufrieden nicht mit Gut und Glück,
Gebannt in enge Lebenssphären,
Erhebst Du weiter Wunsch und Blick,
Und willst noch Seligkeit begehren.

Und weißt Du auch was Seligkeit?
Und weißt Du auch wie sie errungen? -
Ein Lichtblick nur auf Raum und Zeit,
Der ihre Schranken übersprungen!

Wenn Du im brünstigen Gebet
Zum Throne Gottes Dich erhoben
Und die Gewißheit vor Dir steht:
Dein Geist ist selbst ein Strahl von oben.

Ein Strahl, ein Teil von Gottes Licht,
Betraut mit einer hohen Sendung -
Und eine innre Stimme spricht:
Du bist erkoren zur Vollendung -

Wenn dann Dich das Gefühl beseelt
In dieses Daseins Wechselleben:
Die ganze Menschheit ist erwählt,
Um nach Vervollkommung zu streben -

Und wenn im Tempel der Natur
Im Abendrot, beim Sternenreigen,
Im Sonnenglanz der Blumenflur
Sich Bilder des Vollkommen zeigen;

Dann sinkt von Dir ein jedes Leid
Und jeder Zweifel ist zerronnen,
Und ein Moment der Seligkeit
Hast Du hienieden schon gewonnen.

Und wenn in schöner Harmonie
Dein Herz ein andres Herz begegnet,
Und zweier Seelen Sympathie,
Lieb und Begeistrung zwiefach segnet.

Dann bist Du selig erdentrückt,
Fühlst Dich von Himmelslust umfangen,
Und ahnst beglückend und beglückt,
Daß zur Vollendung zu gelangen.

Und wenn ein Werk der Hand, dem Geist
Gelungen ist durch Fleiß und Mühen,
Dem Aug' ein dunkler Vorhang reißt
Und neue Lande vor Dir blühen!

Und mitten drinn in Kampf und Not
Doch für den Gott im Busen streiten,
Und hinzunehmen Schmach und Tod,
Den Sieg der Menschheit zu bereiten:

Das ist auf Erden Seligkeit -
Ein Augenblick und wir erschrecken,
Daß wir erhoben uns so weit
Ob all den Wolken, die uns decken.

Doch will ein solcher Augenblick
Des Jenseit Seligkeit uns nennen:
Sinkt Raum und Zeit von uns zurück,
Wirst Du Vollkommnes rings erkennen!
(S. 311-313)
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Gedichte aus: Louise Otto Mein Lebensgang: Gedichte aus fünf Jahrzehnten. Leipzig: Schäfer 1893


Biographie:

http://de.wikipedia.org/wiki/Louise_Otto-Peters

 

 


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