Johann Valentin Pietsch (1690-1733) - Liebesgedichte

 



Johann Valentin Pietsch
(1690-1733)


Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
 




Das Maaß der unermeßlichen Liebe,
bey dem Rast- und Verlauischen Heyraths-Feste

Der Wunder-volle Brand der reitzenden Natur,
der mit dem ersten Hauch durch Adams Glieder fuhr,
der seinen Kindern auch im heissen Busen spielet,
und durch der Jahre Lauff sich noch nicht abgekühlet,
die Geister-volle Gluth, die Geist und Seele brennt,
die durch den Geist entspringt, wird zwar ein Geist genennt;
dennoch entschließ ich mich ihr Wesen zu vergessen,
ich will der Liebe Maaß nach andern Cörpern messen.

Allein wer weiß wie weit sich ihre Länge streckt,
wer kennet den Bezirck, den ihre Breite deckt,
wer kan das scharffe Licht nach ihrer Höhe lencken,
wer darff das Forsch-Gewicht nach ihrer Tiefe sencken.
Gemeine Ruthen sind hiezu noch viel zu klein,
der Maßstab muß so groß als das Gemeßne seyn.
Ihr weiter Raum umfaßt den Kreyß der grossen Erden,
und eine neue Welt kan aus den Flächen werden.

Dort wo der Süder-Pol mit dürren Flammen dräut;
der Nord-Pol Reiff und Schnee auf weisse Bären sträut,
wo durch der Kugel Theil ein gleicher Durchschnitt dringet,
wo sich um seinen Kreyß ein jeder Gürtel schlinget,
das äusserste der Welt, das unbekannte Land,
wohin Columbus nicht die Segel ausgespannt,
wo kein gewagter Mast das Ufer kan durchstreichen,
dahin, und weiter kan der Liebe Länge reichen.

Wie hoch Olympus auch die rauhen Klippen trägt,
dem auch der Donner nicht auf seinen Scheitel schlägt,
so kan die Liebe doch die Höhen übersteigen,
und von der Höhe sich in tieffe Thäler beugen.
Ja wen sie leiten kan, dem ist kein Weg zu weit,
ist nichts zu hoch, zu tieff, ist nichts zu lang und breit.
Kommt Künstler messet sie; doch glaubet daß ihr fehlet,
wenn ihr das Werckzeug nicht aus Amors Rüsthauß wehlet.

Denn misset man beglückt der Liebe Gräntzen ab.
Cupidens Köcher dient dem Messenden zum Stab.
Es wird durch seinen Pfeil der längste Strich gezogen,
der weitste Circul ist sein abgespannter Bogen,
den gleichen Spitzen ist kein Umkreiß gar zu groß,
und bindet er den Strick von beyden Enden loß,
gleicht keine Ruthe sich der angestrengten Sehnen,
denn sie weiß sich allein unendlich auszudehnen.

Mein Rast, da deine Brust den Zug der Liebe spürt,
und dich die holde Braut durch ihren Blick gerührt,
davon dir Blut und Geist in allen Adern wallen,
wirff den Euclides weg! laß deinen Circul fallen!
der Circul, der dein Lob sonst hoch empor gebracht,
der dich bey uns beliebt, berühmt bey Fremden macht,
und alle deine Kunst kan dir nicht heute nützen;
Apollo steigt vom Thron, und läst den Amor sitzen.

Der öffnet dir den Grund der neuen Wissenschafft,
sein Wort dringt durch den Marck, die Lehren sind vollbracht;
er wird mich schon gewahr, drum muß ich mich entfernen,
denn nur ein Bräutigam soll dieß Geheimniß lernen.
So hat mein Ohre kaum den Anfang angehört,
als mich sein Zuruff schon in meinem Fleiß gestört,
die Hoffnung aber kan mir den Verdruß vernichten,
mein ausgelernter Freund wird mich schon unterrichten.

Indessen öffnet sich die Thüre noch einmal,
der laute Glückwunsch schallt durch den gezierten Saal:
eur grüner Liebes-Baum soll ewig fest bekleiben,
und um den langen Stamm die breiten Zweige treiben.
Sein Gipffel strecke sich weit durch die hohe Lufft,
die Wurtzel dringe selbst bis durch die tieffe Grufft.
Die letzte Parce soll den Faden-Schnitt vergessen,
so kan man nicht eur Glück, und eure Liebe messen.

Aus: Des Herrn Johann Valentin Pietschen
weyland Königl. Preußis. Hof-Raths und Leib-Medici
wie auch Professor ord. der Academie zu Königsberg
gebunden Schriften in einer vermehrten Sammlung ans Licht gestellet
von Johann George Bock
Königsberg Verlegts Christoph Gottfried Eckart
Königl. Preußis. privil. Buchhändler 1740 (S. 138-139)

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Der über den Verlust seiner Euridice klagende Orpheus

Aria
Gieb nach o ungeheures Leiden!
gieb nach o unverrückte Quaal!
wo nicht, so mache mich Empfindungsloß:
betäubt mich nicht der Schmertzen Hefftigkeit!
mein Jammer geht zu weit,
mein wüstes Elend ist zu groß,
es kennt nicht Gräntzen, Maaß noch Zahl,
was man empfinden kan wenn Leib und Seele scheiden,
das fühl ich täglich tausendmahl.
Gieb nach o ungeheures Leiden,
gieb nach o unverrückte Quaal.


Dieß ist der mächtige Gesang,
der durch das Tracische Gefilde
aus Orpheus Mund bis in die Hölle drang:
der finstern Gottheit stets geschloßnes Hertz
mag unbeugsam und wilde
und stählern als Avernus Pforten seyn,
die Liebe und des Orpheus Schmerz
dringt doch herein.
Die Unerbittlichkeit wird selbst gerühret,
das Mitleid, so das Reich zu fliehen pflegt,
wird nun das erstemal zur Höllen eingeführet
und ihr sonst unbewegter Thron bewegt.
O Orpheus deine Hand
bezeigt sich nicht allein der Erden,
sie soll auch noch der Unterwelt bekannt
und in der Höllen siegreich werden.
Dein Leiden hat dich zwar verstellt,
doch kennt dich noch von jener Zeit die Welt,
als sie dich mehr bewundert als beklagte.


Aria
Ihr unbewegten Heerden,
kommt lagert euch wo Bär und Tieger liegt!
mein süsser Schall hat ihre Wuth besiegt,
laßt euch kein Raub-Thier Schrecken machen,
hier könnt ihr alle sicher seyn,
sie schliessen schon den wüsten Rachen
und öffnen nur das Ohr allein.
Euch darff kein Sonnen-Brand ermatten,
seht meine Hand ist wunderreich,
sucht nicht in Wäldern leichte Schatten,
der Wald sucht mich und rückt zu euch.


Kaum regst du dich,
so neiget sich
die Last der aufgethürmten Felsen-Höhen;
kein Wurtzel-tieffer Baum bleibt stehen,
die Wälder lernen wie die Thiere gehen;
selbst in den Wüsten ist nichts Wildes mehr zu spüren,
der Leue muß die eingepflantzte Wuth,
der Bär den Raub, der Drache Gifft verliehren,
der tücksche Tieger laurt nicht mehr auf Blut,
der Elephant steht bey dem Panther zahm,
so bald der Klang zu ihren Ohren kam;
so waren sie schon auf ihn zugedrungen,
es schmeichelte das Spielen ihrer Zungen
der weisen Hand, die sie bezwungen.


Aria
Des stürtzenden Wassers zerberstender Lauf,
das Rauschen der Ströme, das gräßliche Brausen
des kochenden Meeres hört auf,
fängt Orpheus nur zu tönen an:
der Nord-Wind selbst vergißt zu sausen,
der wie der Orpheus lieblich spielt,
daß man sein Hauchen fast nicht fühlt,
daß Zephir selbst so sanfft nicht schertzen kan.


Doch kan er nicht das harte Schicksal rühren,
er zwingt den Zorn der See, den Grimm in wilden Thieren,
es bändiget der lauten Winde Macht,
kan das Verhängniß nicht besänfftigt werden?
der Schmertzen wird verlacht,
der Eyfer reisset seiner Augen Lust,
Euridicen, von seinem Schooß zur Erden,
und tausendfache Quaal zerreißt des Orpheus Brust,
erhebet ihn die Krafft beruffner Lieder,
erhöht ihn der entzückten Musen Gunst;
die schwere Hand des Schicksals drückt ihn nieder.
Er sieht (o Jammer-Blick!) Euridicen erblassen,
er sieht sich auf einmal von seiner Kunst
von Muth und Ehgemahl verlassen.
Offt griff er bey der Wunden Brand
sein Saiten-Spiel mit abgezehrter Hand,
und wollte die erstarreten Gebeine
auch diesesmahl wie ehmals unbelebte Steine
durch Klang und Worte regen;
allein das rächende Verhängniß rufft entgegen:
es werde dir mein Willen kund,
die Todten und mein Schluß sind niemals zu bewegen;
demnach war seine Hand bemüht,
und sein bethränter Mund
sang in die Saiten dieß gebrochne Lied:


Aria
Fahrt, Zauber-reiche Wunder-Töne,
fahrt durch die Seufzer-volle Lufft,
fahrt durch die stille Todten-Grufft,
rührt, ziehet die geraubte Schöne.


Hier war es, wo der Ansatz scharffer Quaal
durch schluckendes Geheul ihn unvernehmlich machte,
und endlich auch zum Schweigen brachte.
Doch fieng er wieder an so wie das erstemal,
in Hoffnung sein Geliebtes zu beleben,
also (doch matt) die Stimme zu erheben:


Aria
Fahrt, Zauber-reiche Wunder-Töne,
fahrt durch die Seufzer-volle Lufft,
fahrt durch die stille Todten-Grufft,
rührt, ziehet die geraubte Schöne,
so die Verzweifflung ängstlich sucht,
steigt, steigt den Himmel zu bezwingen,
fallt in den Abgrund einzudringen,
ihr steigt, ihr fallt doch ohne Frucht.


So sagt er, als die rege Pein
dieß Lied mit Weinen unterbrach,
Gebürg und Wälder klungen nach,
der Wiederschall der angestimmten Lieder
kam zwar zurück, doch nicht ihr Leben wieder;
denn Orpheus sollte schon der Marter Vorwurff seyn,
die zu beschreiben Wort und Ausdruck fehlt,
Euridice blieb todt und er gequält,
und dieser Schmertz, der niemals ruhen kan,
reitzt ihn, und Orpheus rufft das Reich der Todten an.


Accompagnement
Beherrscher der Geister und dufftigen Schatten,
nur eure Macht weiß mir
der Liebsten Anblick zu verstatten.
Beherrscher der Geister und dufftigen Schatten,
ach bringt, ach bringt sie doch herfür,
wo nicht, so laßt mich zu den bleichen Schaaren,
eröffnet mir den Eingang düstrer Hölen,
durch welche die entleibte Seelen
zu ihrer stillen Wohnung fahren.


Aria
Erbarmet euch bey meiner Quaal,
erbarmet euch nur dieses mal,
ach könnt ihr nicht der Marter Fortgang hindern,
so hemmt sie doch nur einen Augenblick,
so sucht (es ist ja nur ein kurtzes Glück)
die ungetilgte Pein zu lindern,
erbarmet euch bey meiner Quaal,
erbarmet euch nur dieses mal.


Ach schätzt ihr mich nicht eures Mitleids werth,
ich bin von Graam verzehrt,
von Aengsten bleich,
kein Leben ist in mir;
mein Blut-entleertes Angesicht
ist den erblaßten Leichen gleich.
O grauses Todten-Reich!
ich fahre schon zu dir,
ach! warum lässest du mich nicht
durch deine schwartze Pforten ein?
auch mein Geschrey kommt nicht einmal hinein.


Arioso
Wie mich Euridice verlassen,
verläst mich auch der Ruhm der Hand;
sie gleicht den starrenden Gebeinen
die man zu meiner Quaal begräbt,
mein gantzer Leib den todten Felsen-Steinen
die meiner Saiten Krafft vorhin belebt.

Aus: Des Herrn Johann Valentin Pietschen
weyland Königl. Preußis. Hof-Raths und Leib-Medici
wie auch Professor ord. der Academie zu Königsberg
gebunden Schriften in einer vermehrten Sammlung ans Licht gestellet
von Johann George Bock
Königsberg Verlegts Christoph Gottfried Eckart
Königl. Preußis. privil. Buchhändler 1740 (S. 312-316)

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An Phyllis

Wer raubt mir Freyheit und das Hertz?
Ich bin mit Pfeil und Brand verletzet,
Ach wie empfindlich ist mein Schmertz!
Nun wird dem Räuber nachgesetzet.
Doch der verfolgte Amor lacht,
Er kan im finstern leicht verschwinden,
Wer kan, bey dunckel-brauner Nacht,
Den schnellen Missethäter finden?

Weil er geheime Zuflucht weiß,
Bleibt der Verräther uns verstecket;
Denn Phyllis schwartzer Augen-Kreiß
Hat ihn mit Schatten überdecket.
Nun hat sich seine Furcht gelegt,
Sie selbst will den Verbrecher schützen,
Und der Verfolger weiß, es pflegt
Aus schwartzen Wolcken scharff zu blitzen.

Man weicht, man flieht, man fürchtet sich,
Wer will mit dieser Schönen brechen?
Auf! Amor, auf! und rüste mich,
Du kanst mich leicht an Phyllis rächen.
Laß der entbrannten Fackel Krafft,
Ihr Funcken durch die Adern streuen:
So wird bey ihrer Leidenschafft
Mich meine Marter selbst erfreuen.
Du wirst einmahl der lauten Pein,
Ein unverschloßnes Ohre reichen,
Die Liebe muß empfindlich seyn,
Wenn unsre Thränen sie erweichen;
Es scheint, es rühret dich mein Schmertz,
Du selbst beklagst mein Ungelücke,
Behalte mein geraubtes Hertz,
Und gib mir Phyllis Hertz zurücke.

Aus: Herrn D. Johann Valentin Pietschen
Königl. Preußischen Hof-Raths und Leib-Medici
wie auch Ober-Land-Physici und der Poesie Prof. Ord. in Königsberg
Gesamlete Poetische Schriften
Bestehend aus Staats-Trauer- und Hochzeits-Gedichten,
Mit einer Vorrede, Herrn le Clerc übersetzten Gedancken von der Poesie
und Zugabe einiger Gedichte von Johann Christoph Gottsched A. M.
Leipzig 1725 (S. 217-218)

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Der Honig-Dieb
Aus dem Theocrito Id. 19. übersetzt

Den Dieb, den Amor hat die schlimste Bien gestochen,
Als er den Honigseim aus einem Stock gebrochen.
Der Finger Spitzen ward von scharffem Schmertz entbrannt,
Er bließ zur Linderung in die verletzte Hand,
Er sprang, er schlug vor Pein die Finger auf die Erden,
Die er der Mutter zeigt, mit kläglichen Geberden.
Er schmähete und rieff: wie klein die Bienen seyn,
So drückt des Stachels Stich doch solche Wunden ein!
Du bist den Bienen gleich: sagt Venus ihm mit lachen:
Und kanst, so klein du bist, doch grosse Wunden machen.


Aus: Herrn D. Johann Valentin Pietschen
Königl. Preußischen Hof-Raths und Leib-Medici
wie auch Ober-Land-Physici und der Poesie Prof. Ord. in Königsberg
Gesamlete Poetische Schriften
Bestehend aus Staats-Trauer- und Hochzeits-Gedichten,
Mit einer Vorrede, Herrn le Clerc übersetzten Gedancken von der Poesie
und Zugabe einiger Gedichte von Johann Christoph Gottsched A. M.
Leipzig 1725 (S. 218)

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Biographie:

https://www.deutsche-biographie.de/sfz95889.html


 

 

 


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