Richard Pohl (1826-1896) - Liebesgedichte

 

Richard Pohl
(1826-1896)


Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
 

 





Musik

Musik durchwogt die ganze Welt
Wenn Du nur hören magst,
Und gläubig lauschend der Natur
Den Weltengeist befragst.

Musik ist's, wenn im Abendschein
Die Welt zur Ruhe geht,
Durch grüne Waldes-Einsamkeit
Der Odem Gottes weht.

Musik ist's, wenn in Vollmond-Nacht
Die Welle glänzt und rauscht,
Und mit dem Schilf am Ufer spielt
Und flüsternd Märchen tauscht.

Musik ist's, wenn der Nebel wallt
Beim ersten Morgengraun,
Der Alpen Gipfel still erglühn,
Eh' sie die Sonne schaun.

Musik ist's, wenn mit einem Blick
Zwei Seelen sich verstehn,
Zwei junge Herzen, selig stumm,
Die Liebe sich gestehn.
(S. 5-6)
_____



Jugendglück

O süßer Zauber im
Jugendmuth
Du goldner Becher voll
Lebensgluth!

Kein Schmuck so köstlich, so
Zauberreich,
Kein Glück auf Erden, das
Deinem gleich!

Wo Jugend und Freude im
Herzens-Verein,
Soll glückliche Liebe die
Königin sein.

Die Blüthen lockt alle der
Lenz hervor,
Die Lerche steigt jubelnd zum
Licht empor:

O, Sonne der Liebe, im
Frühlingsschein,
Mich laß deine Blume, die
Lerche sein!
(S. 7-8)
_____



Meine Farben

Die Farben, die ich mir erwählt
Mein holdes Lieb zu ehren,
Die sie mir gab, um ihren Ruhm
Zu preisen und zu mehren:

Die Farben trug schon mancher Held
Im dichten Pulverdampfe,
Sie wehen durch die ganze Welt
Bei jedem Freiheitskampfe.

Weiß ist die Unschuld. Weißer noch
Sind meines Liebchens Hände,
Die zarten, die im Liebesrausch
Ich küsse ohne Ende.

Blau ist die Treue. Und wie blau
Sind ihrer Augen Sterne!
Sie strahlen mir bei Tag und Nacht,
Bis in die fernste Ferne.

Roth, wie die Liebe, glühend sind
Die Lippen meiner Süßen,
Von ihnen trink ich Seligkeit,
Lieg' ich zu ihren Füßen.

Weiß, Blau und Roth, der Himmel ruht
Auf eurem Farben-Bund:
In Freiheitsluft, in Liebchens Arm
Wird jedes Herz gesund!
(S. 9-10)
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Harfenklänge

Eine Harfe ist mein Herz,
Sängerharfe, voll und rein,
Die in Liebes Lust und Schmerz
Tönt für dich, für dich allein.

Leise flüsternd, mächtig rauschend,
Wie dein Athem sie durchweht,
Deinen Winken selig lauschend,
Andachtsvoll, wie zum Gebet.

Mögst der Harfe dich erbarmen,
Die das Schönste, dich, besingt,
Laß sie ruh'n in deinen Armen,
Bis die letzte Saite springt.
(S. 11)
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Fröhliches Kind

Ob ich dich liebe, fragst du mich?
O, frag doch nicht so wunderlich!
Mit bangen Zweifeln plagst du dich,
Wo nie ein Argwohn mich beschlich.

Die Liebe ist ein schüchtern Kind,
Das nicht durch Klagen man gewinnt;
Doch wer auf Scherz und Freude sinnt,
Dem ist die Lieb' ein fröhlich Kind.

Weg mit der Liebesschwüre Gluth!
Fort mit den Seufzer schwerer Fluth!
Entflieht mir erst der frohe Muth,
Schwindet dahin mein einzig Gut.

Der zarte Minnedienst der Frau'n
Verlangt Verschwiegenheit, Vertrau'n;
Auf Thränen kann kein Glück sich bau'n,
Drum sollst du stets mich fröhlich schau'n!
(S. 12-13)
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Warum?

Warum ich dich liebe? - Die Nachtigall frage
Warum sie so sehnende Lieder dir singt;
Verstehst du der Lerche laut jubelnde Sprache
Wenn schmetternd zum Aether sie aufwärts sich schwingt?

Es flüstert im Walde, es rauscht in den Wogen,
Der Himmel erglänzet - ich weiß nicht, warum?
So hat es mein Herz auch zu dir hingezogen,
Ich liebe und singe, und weiß nicht - warum?
(S. 14)
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Wer weiß!

Wär' ich nur so jung,
So froh wie du;
Glänzte mein Auge dir,
Wie dein's mir zu;
Und wär das Glück mir noch,
Wie sonst, so hold;
Und wär' mein Kuß, wie einst,
So liebeheiß:
Wer weiß! wer weiß!
Ob ich dich, holdes Kind, nicht fesseln sollt!

Wenn erst dein stolzer Sinn
An mich geglaubt,
Und wenn den ersten Kuß
Ich dir geraubt,
Und hauchte meine Gluth
In deine Brust:
Dann bräche wohl des jungen
Herzens Eis -
Wer weiß! Wer weiß!
Ob du mich einst nicht dennoch lieben mußt!
(S. 15-16)
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Räthsel

In deinen Augen schlummert
Ein holdes Räthselwort,
Das meine Blicke bannte
An den geweihten Ort.

Lang forscht' ich nach dem Zauber
Zu öffnen deinen Mund,
Verborgnen Schatz zu heben
Sucht' ich die rechte Stund'.

Nun schaue ich hernieder
In deines Herzens Schacht,
Dein Kuß löst mir das Räthsel,
Das mich so selig macht!
(S. 17)
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Geheimniß

Ich flüsterte leis in den einsamen Bach
- Er schien mir so still und verschwiegen -
Drei Wörtchen, so lieb, die bei Tag und bei Nacht
In seligste Träume mich wiegen.

Doch als ich dem Bach das Geheimniß verrieth,
Hat eilig er's weiter getragen;
Eine liebliche Blume am Ufer ihm blüht,
Der durft' er schon heimlich es sagen.

Die Blume dem Schmetterling schüchtern verrieth,
Was der nicht konnte verschweigen -
Die Nachtigall sang es - da tönte das Lied
Bald schmetternd von allen Zweigen.

Und als es durchflogen den rauschenden Wald,
Hat sich's zu den Bergen geschwungen,
Und höher und stärker, mit Sturmes Gewalt,
Ist's bis zu den Wolken gedrungen:

"Sie liebt mich, sie liebt mich!" - So schallte es laut! -
Mir wollte das Herz fast zerspringen,
Daß Himmel und Erde, was sie mir vertraut,
Das süße Geheimniß nun singen!
(S. 18-19)
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Frühlings Nahen

Liebes-Frühling blüht im Herzen
Wieder auf in voller Pracht,
Und der bangen Seele Schmerzen
Schwinden, wie des Winters Nacht.

Ist's des Lenzes Zauberwalten?
Ist's der Frühling in der Brust?
Zu der Jugend Traumgestalten
Treibt mich nie gekannte Lust.

Heil'ge Klänge, süße Lieder
Ziehen mir im Herzen ein,
Und vom Himmel klingt's hernieder:
"Sie ist Deine, sie ist Dein!"
(S. 20)
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Neues Leben

Nur wer getrauert hat,
Der kennt die Freude
Nur wer gelitten hat,
Der fühlt, was heute,
Wo du mir hold genaht
Als Friedensbote,
Mein Herz empfunden hat
Das stumme, todte.

Dein Athem weht um mich,
Und ohne Schranken
Fassen nur dich, nur dich
Meine Gedanken!
Dein Auge weilt auf mir,
Und meine Lieder
Find' ich bei dir, bei dir
Im Herzen wieder!
(S. 21)
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Heilung

Dich hat der Himmel gnädig mir gesandt,
Dich holden Engel, seinen Friedensboten,
Als ich den Blick verzagend abgewandt
Von seiner Hand, die er mir mild geboten,
Um aus des Irrthums schwergelösten Ketten,
Vor der Verzweiflung Qualen mich zu retten.

Mein Glaube war dahin, die Hoffnung todt,
Ich hätte keinen Ausweg mehr gefunden
In meiner Leiden tiefster Seelennoth,
Wenn nicht des kranken Herzens tiefe Wunden
Mit deinen Liebes-Worten du geheilt,
Dein treues Auge still auf mir geweilt.

Die Liebe hat das Wunder schnell vollbracht,
Die reine, erste Liebe ohne Schranken,
Die sich mir gläubig, selig dargebracht,
Und mir geweiht die Treue ohne Wanken.
Der Gott der Liebe, den du mir verkündet,
Er weiß allein, was stumm mein Herz empfindet!
(S. 22-23)
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Erlösung

Wenn der Gefangene mit Dankes-Beben
Aus seines Kerkers gramerfüllter Gruft
Hervor tritt in das sonn'ge, frische Leben,
Droht zu ersticken ihn die Freiheits-Luft.

So kann mein Herz die Wonne kaum ertragen,
Daß seine stummen Leiden nun geendet,
Der Sonnenglanz von liebereichen Tagen
Hat die verweinten Augen fast geblendet.
(S. 24)
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Höchstes Glück

Mein bist du, mein! - Daß Nichts dich mir entreiße,
Ich hab's geschworen, bei der Liebe Segen,
Was ich erkämpfte mir zum höchsten Preise,
Soll treu die starke Brust als Kleinod hegen!

Dich brachten mir des Lebens wilde Wogen,
Du seltne Perle, an des Glück's Gestade,
Und nun ich liebend dich an's Herz gezogen,
Da war's, als ob der Frieden selbst mir nah'te.

Und in des Kampfes wechselvollen Tagen
Sollst du als Siegesstern den Pfad mir zeigen,
Wie ich das höchste Ziel, mit frohem Wagen,
An deiner Hand mag glaubensstark erreichen.
(S. 25)
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Herzens-Jubel

Tritt einmal, Liebe, noch mit Jugendschwingen
Hervor aus meiner Brust zum hellsten Licht,
Ein hohes Lied der Einzigen zu singen,
Zu der mein Herz in Jubeltönen spricht.

Daß Freude mir und Sänge wiederkehren,
Das dank' ich ihr, die hold zu mir geneigt,
Drum preise Lied, sie würdig zu verehren,
Die Liebliche, die doch kein Preis erreicht!
(S. 26)
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Mein Alles

Und wär' auch der ganze
Erdkreis mein eigen;
Und könnte mein Ruhm
Zu den Sternen steigen;

Und wär ich geliebt
Von allen Wesen;
Und könnte mein Geist
In der Zukunft lesen:

Was hätt' ich, wenn du,
Nur du nicht mein eigen?
Dein Herz nicht könnte
Zu mir sich neigen?

In deiner Liebe,
So herrlich, so rein,
Ist nicht nur die Erde,
Der Himmel ist mein!
(S. 27-28)
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Tönende Liebes-Grüße

Wie ich dich liebe,
Heiß, ohne Schranken,
Kann ich in Worten
Nimmer gestehn:
All' meine seligsten
Liebes-Gedanken
Mögen in Klängen
Hold dich umwehn!

Schüchterne Lieder
Können's nicht sagen,
Töne nur, Töne
Send' ich zu dir!
Wenn dich die wogenden
Himmelwärts tragen,
Ist meine Seele
Immer bei dir.

Wie sich Accorde
Suchen, umschlingen,
Drängt es zu dir, zu
Dir mich allein.
Seliges Finden! - Auf
Tönenden Schwingen
Ziehen zum Himmel der
Liebe wir ein!
(S. 29-30)
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Abschied

Er
Wie schwer es auch dem Herzen fällt,
Das Heimathland zu meiden:
Nichts Schwerer's giebt es auf der Welt
Als von der Liebsten scheiden!

Schon steh' ich auf des Berges Rand,
Und kann den Blick nicht wenden -
Ein Gruß noch dem geliebten Land,
Dann will den Schmerz ich enden.

Die Sonne sinkt - der Nebel fällt -
Die Abendwinde wehen -
Leb wohl du, meine ganze Welt!
Werd' ich dich wieder sehen?
(S. 33)
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Allein

Sie
Still schau ich in die Nacht hinaus,
Wohin er nun gegangen,
Und blick' hinauf zum Vaterhaus
In meines Herzens Bangen.

Jetzt schlummert er in weiter Welt,
Von Gottes Aug' bewacht,
Des Himmels schönster Stern erhellt,
Die Liebe, unsre Nacht.

O, läs' ich in dem Sternenheer
Das Schicksal unsrer Liebe:
Ob nahe seine Wiederkehr?
Und ob er treu mir bliebe?
(S. 34)
_____



Umsonst!

Er
Wir tauschten nun Seele um Seele
Und sollen's uns nicht mehr gestehn;
Mit meiner einsamen Liebe
Muß schweigend von dannen ich gehn!

Nur Worte kann ich dir senden
Als einzigen Liebesgruß,
Und drücke auf stumme Blätter
Den heißesten Liebeskuß.

Dem süßesten Liebesgeflüster
Antwortet kein Wiederhall,
Vergeblich suchen die Blicke
Dich weit über Berg und Thal.

Und meine Sehnsucht, die hauch' ich
Den kleinen Liedern nun ein,
Und bleibe mit meinen Träumen
Von Glück und Liebe allein!
(S. 35-36)
_____



Überall

Sie
Wenn droben eine Lerche singt
Im hellen Morgenstrahl;
Und wenn das Abendläuten klingt
Aus duftig stillem Thal.

Auf Bergeshöh', in Waldesgrund,
Im Sonnenlicht, beim Sternenschein,
An jedem Ort, zu jeder Stund:
Ach, immerdar, gedenk ich dein!
(S. 37)
_____



Gedenkbuch

Er
Was die Geliebte gab, von ihrer Hand
Für mich geschaffen in den stillen Stunden,
Wo ich im holden Traume vor ihr stand;
Ihr Herz, das einsam nimmer kann gesunden,
Die höchste Wonne, die es stumm empfand,
In dem Gedanken an das Glück gefunden,
Das nur als Ahnung in der Seele lebt,
Weil uns das Leben nie so hoch erhebt;

Was die Geliebte gab, aus weiter Ferne
Mir zugesandt als treuen Liebesgruß,
Beim sanften Schimmer unsrer guten Sterne
Von ihr geweiht mit stillem, heißen Kuß
- Dem süßen Liebespfand, das ich so gerne
Mir selbst geraubt - im seligen Erguß
Der Herzen, die nur eine Wonne kennen,
In langer Trennung sehnend zu entbrennen:

Ich will es weihen mit dem stillen Segen,
Den uns des Liedes Macht von Oben bringt;
Will gläubig dein Geschenk an's Herz mir legen,
Wenn das verlaßne stumm nach Fassung ringt;
Will deinen Himmels-Trost im Busen hegen,
Der aus den Blättern mir entgegen klingt:
Daß keine Liebe treuer als die deine,
Daß du mein Alles bist, du Süße, Reine!
(S. 38-39)
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Wärst du bei mir!

Sie
Wärst du bei mir! Was zog dich in die Ferne,
Was trieb hinweg aus meiner Nähe dich?
Seitdem versunken deiner Augen Sterne
Fühl' ich, wie öde Nacht mein Herz beschlich.
Suchst du die Heimath, suchst den Frieden dir?
Du fändest beide nur: wärst du bei mir!

Wo ist die Heimath, als in Liebes-Armen?
Wo weilt der Friede, als an treuer Brust?
Wie kann ein Menschenherz im Glück erwarmen,
So lang es seiner Einsamkeit bewußt?
Riß auch das neid'sche Leben dich von hier -
Ich weiß, du klagst wie ich: "Wärst du bei mir?"
(S. 40)
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Trockne Blumen

Er
Ich trag auf dem Herz einen Blumenstrauß,
Den mir die Liebste gegeben,
Und ziehe ihn oft verstohlen heraus,
Drück ihn an die Lippe mit Beben.

Und wenn du, Holde, meiner gedenkst,
Beleben ihn frische Düfte,
Sonst wär' er, verdorrt und entblättert, schon längst
Ein Spiel der neidischen Lüfte.

Die Rose sie lispelt, du seiest mir treu,
Du dächtest mein immer in Liebe;
Sie duftet an jedem Morgen auf's neu,
Als wenn es immer so bliebe!
(S. 41)
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Liebesthau

Sie
Wie der Thau im nächt'gen Schauer,
Wenn der Tag zur Ruhe geht
An die Blumen perlet Trauer,
Bis die Sonne neu ersteht:

Also thränend niederthauet
Banges Sehnen nach dem Freund,
Träumend ihn, nur ihn erschauend,
Bis er strahlend mir erscheint.

Dann verschwinden alle Thränen,
Und der Thau zum Aether steigt,
Und das heiße Liebessehnen
Ewig seinen Küssen weicht!
(S. 42)
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Blumengruß

Er
Ich fliehe mit meinen Träumen
Hinaus in der Berge Ruh,
Und pflücke des Waldes Kinder,
Und sende dem Liebchen sie zu.

Zu ihr sollt ihr schüchternen wandern,
Sie küßt euch - o selige Lust -
Statt meiner sollt ihr euch schmiegen
An ihre klopfende Brust.

Und kommt ihr auch trauernd und schmachtend
Zum Liebchen in's heimische Thal,
Erwacht ihr zu schönerem Lenze,
Glänzt euch ihrer Augen Strahl.

Dann sagt ihr: "So nah ist der Ferne,
Daß blühend er dir uns gesandt,
Denn nimmer verwelket die Liebe,
Die dir zum Gruße uns wand!"
(S. 43-44)
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Brautgesang der Blumen

Sie
Sie saß allein, der Liebste war weit,
Sie träumte von ihrer seligsten Zeit,
Wenn endlich erfüllt das heiße Verlangen,
An ihm mit ganzer Seele zu hangen.

Da schmettert die Lerche im Sonnenstrahl,
Das schallte so jubelnd von Berg zu Thal,
Und die Blumen flüstern ihr heimlich und mild
Am klopfenden Herzen, von Liebe erfüllt:

"Wenn wir wieder kommen und wieder blühn,
Soll die Myrthe mit uns zum Feste ziehn;
Sie soll die Krone auf's Haupt dir drücken,
Wir wollen den Busen dir bräutlich schmücken!"

"Wenn wir wieder kommen, im Frühlingsschein,
Und wieder duften im bunten Verein,
Dann küssen wir dich, du liebliche Braut,
Die uns mit Thränen der Wonne bethaut!"
(S. 45-46)
_____



Nachtwandler

Er
Mein Leib ist hier gefesselt,
Doch meine Seele bei dir,
So schreit' ich, ein Lebend-Todter,
Fort durch der Welt Gewirr.

Nachtwandler bin ich geworden,
Der suchend die Augen schließt:
Zum Leben kehr' ich erst wieder,
Wenn du mich wach geküßt.
(S. 47)
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Erwartung

Sie
Nun tönet das Glöckchen im Thale so hell
Aus des Klosters einsamen Garten -
Der Abend ist da. - Wie schlägt mir so schnell
Das Herz in süßem Erwarten!
Die Laube, von zitterndem Golde umwallt,
Sie flüstert mir leise: "Er kommt nun bald!"

Die Glocke, sie mahnet an stilles Gebet
Die Frommen zur nächtlichen Stunde,
Und ruft zur Kirche sie früh und spät -
Mir bringt sie geheime Kunde;
Denn wie ihre Stimme verheißend erschallt,
Tönt mir's im Busen: "Er kommt nun bald!"

Sie kündet wie nahe mein Lieb schon sei,
Wie bald ich nun heiß ihn umfange -
Die Nonnen, sie singen die Litanei
Zu des Glöckleins heiligem Klange.
Das Echo im dunkeln Gebirge verhallt,
Mir tönt es noch immer: "Er kommt nun bald!"
(S. 48-49)
_____



Heimkehr

Er
Jetzt lenkt mich, ihr Füße
Zur Heimath, zur Heimath!
Was wankt ihr so sehr?
Auf, eilet ihr Grüße
Von Echo, zu Echo
Im Flug vor mir her!

Ihr lachenden Auen
Ich grüß euch, ich grüß euch!
Kennt ihr mich nicht mehr?
Ihr Augen sollt schauen
Die Liebste, die Liebste!
Was trübt euch so sehr?
(S. 50)
_____



Wiedersehn

Ich habe dich wieder,
Ich halte dich fest,
Hab' Lippe an Lippe
So glühend gepreßt.

Halt' eng dich umschlungen
Mit bebendem Arm,
Wie reich bin ich wieder,
Noch gestern so arm!

Ich lese, was trunken
Im Auge dir steht;
Ich fühle, wie glühend
Dein Hauch mich durchweht!

Und wenn sich gekühlet
Die tobende Gluth,
Am klopfenden Busen
Mein Haupt nun ruht:

Dann wieget sein Wogen
So selig mich ein,
Dann träum' ich, Geliebte,
Daß du wieder mein!
(S. 51-52)
_____



Letztes Lebwohl

Was hab' ich dir gethan,
Daß du mich so verließest?
Weß' klagest du mich an,
Daß du mich von dir stießest?

Dich habe ich geliebt
Mehr als mein Heil, mein Leben,
Was nur die Liebe giebt,
Das hab' ich dir gegeben;

Hab' Alles dir vertraut
Was Tiefstes ich empfunden
Hab' fest auf dich gebaut
In meinen trübsten Stunden!

Du hattest sie geschworen
Die Treue bis zum Tode,
Und nun du mir verloren,
Ward'st du der Todesbote:

Von Allem, was so lieb,
So selig mir erschienen,
Von Allem, was mir blieb
Dem Heiligsten zu dienen.

Was du mir nun geraubt,
Hast du es je ermessen?
Daß ich an Treu geglaubt,
Will reuvoll ich vergessen;

Daß ich der Liebe fluche,
Ist nun mein Segensspruch;
Daß ich kein Glück mehr suche -
Ist das dir Leid genug?
(S. 64-65)
_____



Zu spät!

Du mich geliebt! - Der Scheidegruß ertönte,
Als ich in düsterm Traum versunken saß,
Dich fern, wie immer, meinem Herzen wähnte,
Und dich betrauert', die so schnell vergaß.

Du mich geliebt? - Warum durft' ich nicht hören
Das süße Wort von deinem eignen Munde?
Erst späte Thränen sollten mich es lehren,
Die du verbargst in banger Abschiedsstunde.

Du mich geliebt! - Dies Wort, durch dessen Segen
Du mich so hoch beglückt in schönern Zeiten,
Nun klingt's wie Hohn: Du bringst es mir entgegen
Als unsre Pfade sich auf ewig scheiden!
(S. 79)
_____



Wenn ich dich seh

Wenn ich dich seh -
Durchzieht's wie Morgenwehen meine Brust,
So frisch, so leicht, mit neuer Lebenslust.

Blickst du mich an -
Wird Alles licht; mir liegt so sonnenhell
Die Zukunft da, ein ew'ger Freudenquell.

Sprichst du zu mir -
Mein' ich, es müßte Alles mir gelingen,
Als könnt' das höchste Glück ich noch erringen.

Doch nun du gehst -
Ist Lust und Licht, und Kraft und Glück dahin,
Ich träume - daß ich wieder bei dir bin!
(S. 82)
_____



Liebes-Hauch

Wie eine Aeolsharfe fühl' ich's beben
In meiner bangen, stillbewegten Brust,
Hör' deiner Stimme Klang ich mich umschweben,
Streift deiner Augen Gruß mich unbewußt.

Dann singe Lieder ich zu deinem Preise,
Sie steigen himmelan - du hörst sie nicht -
Von meiner Liebe sing' ich, klagend, leise,
Und jeder Hauch von dir wird zum Gedicht!
(S. 83)
_____



Stiller Wunsch

Ich ging beglückt an deiner Seite,
Und träumte still - es war von dir;
Du blicktest sinnend in die Weite,
Zum Himmel dann - nur nicht zu mir!

Da blitzt es durch die Aether-Räume
Das Dunkel weicht, es fällt ein Stern;
Kennt er wohl deine Glückes-Träume?
Bringt Liebesgrüße dir von fern?

Du zucktest auf, du flüsterst bebend
Den heißen Wunsch, den du gehegt
Dem Sterne zu, der still verschwebend
Dein Sehnen in das Weltall trägt.

Nicht hört ich's, was aus deinem Munde
Allein vernahm die stille Nacht:
Ich aber - hab' seit jener Stunde
An dich, und nur an dich gedacht!
(S. 84-85)
_____



Dein Bild

In meinen schönsten Stunden,
Wo von der Welt befreit,
Ich Glück allein gefunden
In tiefster Einsamkeit;

Tritt mir dein Bild entgegen
Mit ungeschwächter Macht;
Da fühl' ich noch den Segen,
Den du mir einst gebracht.

Ich weiß dich mir entrissen,
Ich trag's - ich weiß nicht, wie?
Kann dennoch dich nicht missen -
Vergessen - kann ich nie!
(S. 88)
_____



Nachtgesang

Die Nacht ist wieder gekommen
Und lockt mich in ihren Schooß,
Dahin, wo im Nebel verschwommen
Der Mond seinen Zauber ergoß.

Die Sehnsucht beginnt sich zu regen,
Mein schlummerndes Herz erwacht
Und lauscht, mit zitternden Schlägen,
Dem süßen Märchen der Nacht.

Da faßt mich ein heißes Verlangen,
Da regt sich begrabene Lust:
Das fliehende Glück zu umfangen,
Zu fesseln an einsamer Brust!

Was lockst du den Träumenden wieder
Mit deinem Liebesgesang?
Mir tönen die alten Lieder
Mit ihrem heiligen Klang!

Der Mond küßt die zitternde Welle,
Die scheu seinen Blicken entfließt,
Sie glänzt in zaubrischer Helle,
Wie weiter und weiter sie zieht:

So zog mir die Liebe vorüber,
So rauschte vorbei das Glück!
Es glänzt aus der Ferne herüber
Und kehrt doch nie mir zurück!
(S.89-90)
_____


Aus: Gedichte von Richard Pohl
Weimar Landes-Industrie-Comptoir 1859

 


Biographie:

https://de.wikipedia.org/wiki/Richard_Pohl

 

 


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