Alberta von Puttkamer (1849-1923) - Liebesgedichte

Alberta von Puttkamer

 

Alberta von Puttkamer
(1849-1923)

Inhaltsverzeichnis der Gedichte:

 


 


Sehnsucht

Die Glocken rufen um Mitternacht;
Die Sehnsucht ist großäugig aufgewacht
Und redet sacht.

Sie wandert in Nächten und ruht am Tag -
Ihr Herz hat einen fiebernden Schlag,
Daß ich tief erschrak.

Sie ist wie ein irregewandertes Kind -
Um die Stirn trägt sie ein Dornengewind,
Und schluchzt und sinnt.

Nun ward so ruhelos mein Heerd,
Da sie um Mitternacht eingekehrt,
Und mich weinen gelehrt.

Sie löste vom Haupt sich ein Dornenreis,
Und drückt' es auf mein Herze leis,
- Das blutet nun heiß ... -

aus: Dichtungen von Alberta von Puttkamer
Leipzig 1885 (S. 13)
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Glückesahnen

Drunten in den todten Gassen weit
Regt ein heißer Wind die müden Schwingen -
Und er trägt herauf die neue Zeit
In der Lenznacht, wenn die Knospen springen.

Dieses fremden Glückes Flügelschlag
Weht das erste Duften der Syringen
Von den Gärten, von dem Waldeshag,
In der Lenznacht, wenn die Knospen springen.

Und mir ist's, als hört' ich rufen leis,
Als ob zage, süße Schritte gingen,
Und als träfe mich dein Athmen heiß
In der Lenznacht, wenn die Knospen springen ...

Und ein junger Wandervogel fliegt
Mir vorbei mit glückbeklomm'nem Singen,
Wie die Sehnsucht, die den Raum besiegt -
In der Sehnsucht, wenn die Knospen springen ...

aus: Dichtungen von Alberta von Puttkamer
Leipzig 1885 (S. 16)
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Geh' hin!

Du hast mir nicht Lebwohl gesagt,
Wie du Willkommen einst geboten;
Denn damals war es Hoffnungsgluth,
Von der die hellen Blicke lohten,

Und heute irrt dein Auge leer
Wie ausgetobte Kraterbrände,
Ich weiß es wohl, wie trüb 's auch ist:
Die Asche ist der Gluthen Ende ...

Wir kannten nicht das fromme Licht,
Das da erstrahlt wie Altarkerzen;
Es brannten wild, zu jähem Glück,
In Leidenschaften unsre Herzen.

Und nicht wie Heerdesflammen war's,
Gesellig holdes Feuer schürend,
Nein, wie ein kurzer Götterblitz
Die Herzen zur Begeist'rung rührend.

Geh' hin, wenn du auch ausgeglüht,
Es waren dennoch Himmelsfunken.
Die aber lassen mir den Geist
Von seligem Erinnern trunken ...

aus: Dichtungen von Alberta von Puttkamer
Leipzig 1885 (S. 19)
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Elend

Weißt du, was in wachen Winternächten
Mir wie Tod durch mein Gehirn geschlichen,
Daß, berührt von ungekannten Mächten,
Alles Blüh'n zu Schatten hingeblichen?

Weißt du, was die leidensheiße Quelle
Meiner Thränen selbst zu Eis gehärtet?
Weißt du, was mich an des Irrsinns Schwelle
Hingeführt und mich vor mir entwerthet?

Und warum mir reiche Lenzesstunden,
Dunkler Wetterdrang der Sommertage,
Gleichen Maßes, gleichen Werths geschwunden?
Ohne Jubellaut und ohne Klage?

Und warum das Schöne nicht zum Glücke
Mich mehr zwingt und Arges nicht zum Leiden?
Und warum gebrochen liegt die Brücke
Zwischen dir und mir, uns armen Beiden?

Weil ich Göttlichkeit in dir begehrte
Und doch nur ein kindisch Herz gefunden.
Weil ich dich als Schmerz- und Glückgefährte
Lebensfordernd an mein Sein gebunden;

Und du dich mit plumpen Kinderhänden
Aus dem Zauberbande losgerungen,
Hast'gen Spiel's, nicht mit der Lust zu enden,
Doch von jämmerlichem Trieb bezwungen.

Und zur Stunde hat sich Fürchterliches
Tief in mir entwirkt; in die Gedanken,
Durch das Hirn und durch die Adern schlich es
Mir wie Tod; und - Alles fühlt' ich wanken.

Um mein lodernd Herz hat sich's geschlossen
Wie ein unzertrennlich Band von Eisen;
Und was je mir Seliges entsprossen,
Liegt nun starr in diesen Todeskreisen.

Gleichwie das verrathne Herz der Sage
Sich umfesseln ließ mit erznem Ringe,
Daß von Weh und rückgezwungner Klage
Allzujähem Drang es nicht zerspringe!

aus: Dichtungen von Alberta von Puttkamer
Leipzig 1885 (S. 22-23)
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In Tönen

Sie kamen von Nord und Süden
Und hatten sich nie gekannt -
Doch bald umfing die Beiden
Ein süßes, enges Band.

Sie haben sich nicht in Worten
Ihr junges Leiden geklagt;
In Liedern nur und in Tönen
Da haben sie Alles gesagt ...

Da bebte in großen Akkorden
Wildauf so Lust wie Schmerz;
Und, ohn' es zu wissen, die Beiden
Enthüllten ihr ganzes Herz.

Dann sind sie schweigend geschieden -
Die Nacht war dunkel und heiß,
Und draußen weinten die Winde -
Die Beiden zitterten leis.

Und ob auch der Sturm in ihnen
Geklagt mit wilder Macht,
Sie boten sich ohne Thränen
Die letzte gute Nacht. - -

aus: Dichtungen von Alberta von Puttkamer
Leipzig 1885 (S. 27)
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Nachtgang

Im Mondesdufte schwimmt rings das Thal -
Die Wasser rauschen und rinnen;
Die Bergesfirnen leuchten so fahl -
Wir wandern schweigend von hinnen.

Da hinter uns liegt ein helles Haus,
Drin feiern sie Hochzeit mit Singen -
Die Fidel schreit in die Nacht hinaus -
Und die Becher dröhnen und klingen. -

Die hinter uns dürfen selig sein
Und sich lieben aus Herzensgründen;
Wir aber stehen in bittrer Pein,
Denn für uns giebt's ein Glück nur - in Sünden.

Wohl! die Sünde ist jugendschön und winkt -
Doch wir wandeln vorbei dem Verlocken,
Und ob auch die Sehnsucht den Sinn bezwingt
Und die Pulse vergehend stocken.

Ringsum ist's still - nur manchmal lacht
Die Luft in grellen Tönen
Vom Hochzeitshaus in die Mitternacht,
Als wollte sie uns verhöhnen ...

Dann wird dein Auge geisterweit,
Als könntest du Etwas nicht fassen;
- Vielleicht unsres Weh's Unermessenheit? -
Und deine Lippen erblassen -

Wir aber irren Hand in Hand,
Wie Kinder in müdem Schweigen,
So weit bis hinter uns im Land
Vertönt der taumelnde Reigen ...

Wie wird die Mondnacht plötzlich fahl!
O, deckten auch uns die Schatten.
Und thränenlos, und sonder Qual,
Entschliefen wir unter den Matten! ..

aus: Dichtungen von Alberta von Puttkamer
Leipzig 1885 (S. 28-29)
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Mit einer Blume

Die Blume, die ich dir im Garten brach,
Sie hat im wilden Sturm der Nacht gestanden,
Und ward zur Morgenzeit in Thränen wach,
Die erst im heißen Mittaglichte schwanden.

Sie zittert nur - noch ist ihr Duft nicht todt -
So leg' ich sie in deine rauhen Hände.
Berühr' sie sacht! laß ihr das Jugendroth!
Bewahre sie vor allzu frühem Ende.

Da sie in Nacht und Morgenstürmen stand,
Und ungebrochen sich zum Lichte sehnte,
Da sie noch, zitternd, Kraft zum Blühen fand
Und lustvoll ihre feinen Blätter dehnte, -

Hat da vielleicht das süße Blumenhaupt
Ein Traum von warmem Glück emporgehalten?
Daß ihr kein Sturm die Wurzelkraft geraubt,
Und ihr kein Blitz den feinen Schaft gespalten?

So mächtig, unverwelkt und voll in Duft
Wächst dir auch meine Seele noch entgegen.
Wohl stand sie oft in Sturm und Winterluft,
Doch duftet sie noch heut' im Blumensegen.

Wohl hängen zitternd viele Thränen dran,
Doch schwinden sie im Mittaglicht der Liebe.
Dann hebt sich ihre Krone himmelan
Und hüllt sich ganz in goldne Lebenstriebe.
aus: Dichtungen von Alberta von Puttkamer
Leipzig 1885 (S. 33-34)
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In Wolken

Du weißt, daß du die Sonne bist,
Die meine Seele bringt zum Blühen;
Doch birgst du hinter Lenzgewölk,
In Trotz und Spiel, dein Strahlenglühen.

Nun steht mein armes Herz weitab,
Verschmachtend in dem Wolkenschatten,
Indeß das Licht, das goldne Licht
Aufleuchtet über fremden Matten ...

Ach Gott, sie ward im Herzblatt welk,
Die arme schöne Lebensblume;
Wohl sind die Wurzeln noch voll Saft, -
Die Krone steht im Marterthume.

Doch trittst du aus den Wolken vor,
Gährt's von der Wurzel bis zur Krone ...
Dann wird die Blüte jugendroth
Und reift in Deiner Sonnenzone.
aus: Dichtungen von Alberta von Puttkamer
Leipzig 1885 (S. 38)
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Ruhe

Es giebt so stille Stunden, wo das Leid,
Gleichwie das Glück in uns zu schlafen scheinen.
Wir sind vielleicht zu müde, um zu weinen,
Zu müde auch vielleicht zu Seligkeit.

Gleichwie im Schlaf zu hoher Mittagszeit
Die Waldesfee, Pan, ruht in den Hainen,
Und nur verstohlen Sonnenlichter scheinen
In diese traumgefangne Einsamkeit:

So wiegt auch uns in heißer Zeit der Schmerz
In Schlummer, und wir wissen's selber kaum.
Das Leben ruht in uns gleichwie im Traum -

Nicht Glück, nicht Sehnsucht rührt das müde Herz -
Und wir empfinden wunschlos unser Wesen
In die Natur, ins Ewige sich lösen ...
aus: Dichtungen von Alberta von Puttkamer
Leipzig 1885 (S. 39)
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Der Schmerz

Um Mitternacht wach' ich empor -
Mir ist, ich höre ängstig rufen -
Es rüttelt wer an meinem Thor
Und hastet heimlich auf den Stufen.

Es setzt sich mir zu Häupten hin
In wunderlichen Schleppgewändern
Von geisterhaftem Graugespinn;
Die Stirn umschmiegt von hellen Bändern.

Es legt mir schwer die Hand aufs Herz -
Gleich fühl' ich's wie ein ätzend Brennen.
"Weißt du's nicht mehr? ich bin der Schmerz,
Den sie der Liebe Bruder nennen."

"Du hast mich jugendlang gekannt,
Ich liebte jede deiner Thränen;
Es wuchs um uns ein enges Band -
Doch du begannst dich aufzulehnen;

Du hobst dich aus den Fesseln fort
Und stießest mich von deinem Heerde;
Du gabest mir das Scheidewort
Im Lenz; es duftete die Erde ...

Des Lebens helles Jugendroth
Entglomm noch rings an allen Wegen,
Und ich war trüb und grau wie Tod -
Wie mocht'st du mich da länger hegen?"

Der Schmerz verstummte. "Sag mir an,"
Rief ich, "was kommst du heute wieder,
Da ich dir kämpfend, längst entrann?
Was bindest du mir Geist und Glieder?

Mir tönt ein fremder Klang ins Ohr,
Als riefen mich die Jugendstunden ...
Schickt Einer dich, den ich verlor,
Und den ich niemals mehr gefunden?"

Da nickt der Schmerz und hebt sich sacht
Und küßt mein Aug' und schleicht von hinnen;
Es geht ein Seufzen durch die Nacht
Und warme Thränen fühl' ich rinnen ...

aus: Dichtungen von Alberta von Puttkamer
Leipzig 1885 (S. 40-41)
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Gerettet

Bei Kerzenlicht, im prunkhaft weiten Saale
Stand eine blasse, knospenjunge Blume,
Mit breiten Würzelein in enger Schale.

Nur spärlich lag die frische Erdenkrume
Im köstlichen Gefäß, das sie umschloß;
Ein golden Haus! und doch im Marterthume.

Da war kein Sonnenglüh'n, das sie umfloß,
Kein kühner Nachtwind, der ihr Krönlein küßte,
Kein Falter, der in ihrem Schooß genoß.

So künstlich eingehegt, daß nicht die Lüste,
Und nicht den Kampf der Jugend sie empfand.
Noch kaum im Blühen, ging sie schon zur Rüste.

Da hat ein tief Gefühl mich übermannt -
Und zu der welken Blume trat ich leise,
Enthob die Süße leicht mit meiner Hand,

Und lös'te sie aus dumpfem Zauberkreise.
- So fand ich einst auch eine Menschenblüthe
Und trat zu ihr in liebesstiller Weise.

Wie sie in ungeweckter Kraft erglühte,
Sehnsucht nach Sonne in dem kleinen Herzen,
Wie sie sich angstvoll aus der Sphäre mühte,

Die nichts ihr gab als falsche Gluth von Kerzen
Und sie umschmeichelte mit schwülem Duft;
Und wie sie endlich matt ward von den Schmerzen,

Da trug ich sie in lenzesgoldne Luft,
Und lös'te ihres Daseins Wurzeln sacht
Aus jener gleißenden, doch engen Kluft.

Und in der allerersten Frühlingsnacht
Begann in ihr ein solches Lebensdrängen,
DAß die zurückgedämmte Jugendmacht

Den vollen Knospen thät' die Fesseln sprengen.
Und ich erkannte meine Blume kaum,
Ich sah sie ganz voll goldner Blüthen hängen ...

Ein wundervoller Trieb vom Lebensbaum,
- Dies Eine fühlt' ich überwältigt nur -
Ward so zurückbefreit aus engem Raum

Und falschem Prunk zur glücklichsten Natur!

aus: Dichtungen von Alberta von Puttkamer
Leipzig 1885 (S. 42-43)
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Begegnung im Mai

Das war wohl im Mai, da zum letzten Mal
Wir Beide begegnend uns trafen.
Der knospende Park und der Bergessee
Lag blitzend im Sternlicht entschlafen.

Feldüber verloren die Wege sich
In leuchtend verschlungene Kreise -
Du zogest mich wortlos mit dir dahin
Und athmetest glühend und leise.

Die Träume von Glück sind ja lange todt -
Was kommst du von draußen wieder,
Und hebst vom gestorbenen, dunklen Blick
So geisterhaft weit deine Lider?

Von fern hallt Musik - wie ein banger Ruf
Zurück zu den seligen Zeiten ...
Ach, daß wir uns gluthend dereinst geliebt,
Das liegt nun in dämmernden Weiten.

O küsse mich nicht! denn ich trinke Leid
Vom Munde dir nur, von dem rothen!
Laß ab! denn es ist ja so jammervoll,
Vom Schlafe zu rufen die Todten.

Du sprachest: "Und weißt du nicht, blasse Frau,
Daß Nächtens Begrabne erwachen?
Und daß dann die armen Vergessenen hell
Und selig wie ehemals lachen?"

Mir graut' es - das Sternenlicht zittert fahl
Und flimmernd ringsum an den Büschen -
Der weiße Hollunderbaum duftet schwül -
Die Nachtigall schluchzte dazwischen ...

Lautaufweinend schlug ich den Arm um dich
Und flehte dich jammernd zu gehen.
Du seufztest tief auf - und der Wind begann
Uns schaurig und laut zu umwehen.

Weit vor uns da seh' ich aus Dämmerniß
Zwei mondhelle Waldpfade blinken -
Du gehe zur Rechten und wende dich nicht -
Ich wandere weinend zur Linken ...

aus: Dichtungen von Alberta von Puttkamer
Leipzig 1885 (S. 45-46)
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Brunhild im Flammenbann

Ob Zackengeklüften und einsamem Land
Ist weithin ein purpurnes Leuchten entbrannt;
Es tanzen die Funken, es flicht sich der Glanz
Um marmorne Hallen als lohender Kranz.

Im Burghof die schlafende Brunhild sich regt,
In flammende Fesseln vom Gotte gelegt, -
Es läuft durch die Adern ihr brennende Pein:
Wer wird mich aus Feuern und Banden befrei'n?

Da donnert das Thor und das glüh'nde Gestein,
Es bricht wie mit Lenzesgewalten herein ...
Ein stürmendes Roß! ein beflügelter Held,
Der siegend die Schranken zu Boden gefällt!

Goldsträhnig Gelock überdrängt ihm das Haupt,
Wie üppig Geranke, das Gipfel umlaubt;
Ihm leuchtet die erzene Stirn unter'm Haar -
Und drunter gewitternd sein Augenpaar ...

Jung Siegfried entgürtet das reizende Weib,
Er lös't ihr die feurigen Bande vom Leib,
Er küßt ihr das schlafende Augenpaar wach,
Da schüttert der Bau bis in Säulen und Dach ...

Gelöst ist der Zauber! Die Burg, sie zerbirst -
Schon nagen die Feuer am goldenen First;
Er hebt die Ersiegte aufs Streitroß empor,
Und stürmt in die Freiheit durchs flammende Thor.
_

So liegt auch die göttliche Leidenschaft
Von Gluthen umlodert in einsamer Haft;
Und nur, wer den feurigen Gürtel durchbricht,
Der hebt ihr Geheimniß zu Tag und zu Licht!

Und nur, wer ein Siegfried in leuchtender Kraft,
Der verborgenen Sehnsucht Erlösung verschafft,
Wird den schmerzlichen Gluthen zum Trotz, und dem Stein,
Das Schöne erlösen vom Traume zum Sein!

aus: Dichtungen von Alberta von Puttkamer
Leipzig 1885 (S. 49-50)
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Verlorene Wege

Den Bergweg hinunter, im Sternenstrahl,
Enteilt unser Wagen dahin ins Thal -
Und mit uns die Qual.

Die reizende Qual, die Tochter der Lust,
Lag schlafend bezwungen in unserer Brust,
Und Keinem bewußt.

Nun reckt sie die bleichen Glieder empor,
Und flüstert uns Beiden ein Wort ins Ohr
Das längst ich verlor.

Sie schließt deine Finger um meine Hand
Und weiset hinaus gen den Waldesrand,
In's mondfahle Land.

Als zeigte sie uns die Wege dahin,
Wo einst ich mit dir wohl gewandert bin,
Mit träumenden Sinn _

Sind dort nicht die Thale der Seligkeit.
Da wunschlos sich und in Trunkenheit
Vollendet die Zeit?

Die Qual schaut sich reglos um im Kreis
Und schüttelt das Haupt, als ob sie's nicht weiß,
Dann redet sie leis:

"Und nähmet ihr Flügel vom Morgenroth,
Ihr Beide, ihr fändet nach Gottes Gebot,
Statt Glück nur die Noth.

Einst lag euch der Weg zur Glückseligkeit
Gluthsonnig geöffnet und dehnte sich breit -
Nun liegt er so weit ...

Ihr waret von Zweifeln blöde verwirrt,
Verloret den Pfad und habt euch verirrt,
Von Sumpflicht umschwirrt!

Nur manchmal in schauernder Frühlingsnacht
Da deutet die Qual euch die Wege sacht,
Die nicht ihr gemacht. " -

Und stumm ward die Qual nun und blickte uns an,
Der Wagen flog lautlos mit uns hindann,
Wie Geistergespann ...

Und rings lag das Land von Thränen bethaut -
Wir haben uns hoffnungsleer angeschaut
Und weinten dann laut - - ...

aus: Dichtungen von Alberta von Puttkamer
Leipzig 1885 (S. 53-54)
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Leuchtkäfer

An dem Königsschloß, in Sommernächten
Wird im Garten rings ein Flüstern wach,
Wo die Lauben sich am engsten flechten,
Duftend, zum verschollenen Gemach.

Und die junge Fürstin neigt sich nieder
Und umfängt den Edelknaben warm;
Der zu Tage scheu nur hebt die Lider,
Hält sie Nächtens kühn in seinem Arm.

"Süßer, daß wir im Verbotnen schlürfen
Von dem bitterschönen Lebenstrank,
Daß wir nicht das Glück bekennen dürfen,
Macht mich in der Seele wund und krank.

Siehst Du draußen auf den dunklen Blüthen
Leuchtend jene grauen Käfer schwirrn?
Wie wenn reiche Diamanten glühten,
Krönend eine junge Königsstirn.

Tages siehst Du kaum die grauen Kleinen;
Nur im Dunkeln wacht empor ihr Licht,
Wenn in Sehnsucht Nachts die Blumen weinen,
Dann erglüht ihr strahlendes Gesicht."

Und sie legt lebend'ge Diamanten
Ihm als Krone in das Dunkelhaar -
"Wie uns Beiden aus dem Tag Verbannten
Nachts nur funkelt unsre Liebe klar,

Wie sie Nachts die Leuchtkraft darf enthüllen,
Die der Tag verdammt zu grauem Nichts,
So entwirken sich, entrückt im Stillen,
Schöngeflügelt jetzt die Funken Lichts."

Und die beiden Edelkinder weinen,
Und im Garten fällt ein scharfer Thau ...
Als die ersten Morgenlichter scheinen,
Ward die Krone ihm zu Häupten grau ...

aus: Dichtungen von Alberta von Puttkamer
Leipzig 1885 (S. 63-64)
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Waldkönigin

Das ist des Försters Töchterlein!
Wie weh'n ihr reich die Locken!
Wie schaut ihr sonnenvoller Blick
In's Land so glückerschrocken!

Ihr Haus am hellen Fliederzaun
Steht lustigkeck im Winde.
Es legt sich auf Gebälk und Dach
Breitästig eine Linde.

Sie ist die junge Königin
In diesem Reich der Haide.
Die Locken fliegen lang herab -
Ein Kaiserkleid von Seide.

Sie hält ein blüh'ndes Lindenreis
Wie'n Scepterstab von Golde.
Die alten Stämme neigen sich,
Geht sie vorbei, die Holde.

Die scheuen Hirsche folgen ihr
Wie dienende Trabanten.
Es legt der Thau um ihre Stirn
Den Reif von Diamanten.

Und Nächtens in ihr Kämmerlein
Ziehn königliche Träume.
Dann dehnen sich die Wände sacht,
Als sei'n sie Schlossesräume -

Sie träumt von einem Königssohn,
Der naht mit Kuß und Kosen;
Doch klettert nur am Fensterlein
Ein kecker Busch von Rosen.

Sie träumt von einem Kronenreif
Im Haar, die süße Dirne;
Doch ist es nur das Mondesgold,
Das gleißt auf ihrer Stirne ...

Und der entrückte Thron der Nacht
Winkt sterngestickt dem Kinde;
Wie Königswimpel weht vom Dach
Das Goldgeäst der Linde.

aus: Dichtungen von Alberta von Puttkamer
Leipzig 1885 (S. 69-70)
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Hochzeit

Das war ein Haus am Meeresstrand,
Dran kletterten wilde Feigen -
Es lag im dunkeln Garten rings
Ein myrthenduft'ges Schweigen ...

Die Wellen liefen und der Wind
Frisch an vom Mittelmeere;
Das rann wie Lachen durch die Luft
Und neckend schwand's ins Leere.

Dort haben Zwei sich aus der Welt
Gerettet in die Stille. -
Zu schöner Einheit band sie nun
Des ew'gen Gottes Wille.

Und das verlorne Paradies
Mit seinen Seligkeiten
Beginnt sein lichtes Morgenroth
Ob ihrem Haupt zu breiten.

Rings ist es still; vom Meere nur
Kommt's wie ein fremdes Singen.
Es darf die heil'ge Einsamkeit
Kein niedrer Laut bezwingen ...

O, wundervoller Hochzeitstraum!
Die Myrthe, die südlich-echte,
Steigt rankend in die Kammer hinein,
Daß sie ihr Haupt umflechte.

Das Brautlied singt eine Möve fern;
Als Fackel flammt auf den Klippen
Der Mond - und der süße Hochzeitstrank
Sind Küsse von ihren Lippen.

Das war ein Haus am Meeresstrand,
Dran kletterten wilde Feigen -
Es lag im dunklen Garten rings
Ein myrthenduft'ges Schweigen ...

aus: Dichtungen von Alberta von Puttkamer
Leipzig 1885 (S. 76-77)
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Volkslied

Im Frühlicht gingen zwei Kinder aus,
Der Morgen war nebelgrau -
Es liefen eisige Tropfen Thau's
Wie Thränen über die Au.

Und als sie kamen zum Waldrand hin,
Der Knabe umschlang die Maid;
"Du schaust so müd, und trüb ist dein Sinn,
Doch müssen wir heute noch weit." -

Drauf sie: "Wie brennt es im Kopf mir heiß,
Und doch ist so kalt die Stirn!
Mir ist, als ob ich den Weg nicht mehr weiß,
Und Land sich und Wald verwirr'n ..."

Und er: "Mit Lüsten begann's dereinst,
Drauf kam erst das bittre Leid -
Mein Lieb, wie du heute vor Herzweh weinst,
So damals vor Seligkeit!"

Er hat sie getragen thalauf, thalein,
Ihr Haupt fiel ihm schwer auf die Brust;
Doch fühlt' er sich stolz in seiner Pein,
Die Seele schwoll ihm vor Lust.

Um Liebe sind sie hinausgeirrt,
Die Welt war so kalt und weit -
Von süßer Schuld war ihr Sinn verwirrt,
Ihr Blick von Thränen und Leid.

Ihr triebet sie streng vom Hause fort -
Da suchten sie draußen das Glück.
Sie sahen es leuchten, bald hier, bald dort,
Und griffen sie's, wich es zurück ...

Im Frühlicht gingen zwei Kinder aus,
Der Morgen war nebelgrau -
Es liefen eisige Tropfen Thau's
Wie Thränen über die Au ...

aus: Dichtungen von Alberta von Puttkamer
Leipzig 1885 (S. 86-87)
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Von Liebe
Lieder an einen fahrenden Ritter

I.
Du bist mein Prinz aus der Märchenwelt,
Der zur Dornenrose gekommen,
Doch hast du von ihrem Haupte nicht
Den Zauberbann genommen.

Wohl durchbrachest du siegend das Rosengestrüpp,
Und wecktest sie auf mit Kosen,
Doch flochtest du ihr auf die blasse Stirn
Einen Dornenkranz statt der Rosen.

Wohl fühlte sie deinen befreienden Kuß
Und dein liebeheißes Umfassen,
Doch, als du sie kaum erlöst zum Glück,
Da hast du sie jähe verlassen.
(S. 105)


II.
Er ist in's Wälschland gefahren dahin -
Dort glühen und zittern die Lüfte,
Dort steigt von den braunen Bergen in's Land
Ein wogendes Gedüfte.

Die Reben strecken den kräftigen Arm
Hinab in's Thal, voll Trauben,
Und drüber hinaus, in den Himmel weit
Flattern weißbrüstige Tauben.

Weißbrüstige Tauben, ein wilder Schwarm,
Sind am Himmel die einzige Wolke, -
Der aber leuchtet märchenhaft
Über Spanien und seinem Volke.

Dort wandeln viel wunderschöne Frau'n,
Viel braune, köstliche Dirnen;
Das schwarze Haar liegt wie Kronengeflecht
Auf königlichen Stirnen.

Wie des Gebirges Cypressen schlank
Und dunkel sind ihre Glieder;
Und sie beugen sich reizend in seinem Arm
Wie im Sturme auf und nieder.

Einst sprach er: "Ich muß aus eurem Land,
Es ist mir zu kühl und zu nüchtern -
Die Männer sind philistergelehrt,
Die Frauen blutlos und schüchtern.

Du Einzige bist kühn von Geist
Und schöner von Leib als die Andern,
Und dennoch treibt es mich fort von dir,
Und dennoch muß ich wandern.

Nicht ziemt es Rittern von meiner Art
Im Liebesarm zu erschlaffen -
Es gilt in dieser großen Zeit
Zu kämpfen mit Geisteswaffen.

Und in mir brandet die Jugendkraft
So voll in Gehirn und Herzen -
Ich sehne mich nach Thaten kühn
Und ungeheuren Schmerzen.

Ich sehne mich nach der Blume blau
In den Romantik Wäldern;
Ich sehne mich nach blut'gem Sieg,
Nach Schlachten und Kampfesfeldern;

Ich sehne mich nach dem Saïsbild,
Und nach dem Stein der Weisen;
Ich höbe gern mit Herkuleskraft
Die Erde aus ihren Kreisen;

Ich will mit Ahasverus' Schritt,
Mit Faustens gewaltigen Lüsten
Und dennoch mit Hamlet's düster'm Sinn
Durchirren des Lebens Wüsten." -

Doch nun ward der nordische Fürstensohn
Ein weicher, südlicher Schlemmer,
Und alle seine Thatenlust
Löst sich in Liebesgedämmer.

Sein Haupt ruht auf dem Lotterbett
Der braunen, südlichen Busen,
Und dort vergißt er den heil'gen Apoll
Und alle seine Musen;

Und dort vergißt er, was er gestrebt,
Und all' seine göttlichen Triebe -
Die Lust zum Kampf, die Lust zum Sieg,
Und - seine Jugendliebe.
(S. 106-108)


III.
Mein fürstlich Lieb, mein süßer Genoß,
Und denkst du noch der Zeiten?
Du sah'st mich mit blitzenden Augen an,
Voll fragender Seligkeiten ...

Du schlangest meiner Flechten Braun
Um deine bleichen Hände
Und sagtest, daß dich in alle Zeit
Die Zauberfessel nun bände. -

Wir gingen den Waldessteig hinan,
Verworren ragten die Bäume;
Es lag ein Glanz auf deiner Stirn
Wie lichte Kinderträume.

Du sagtest: "Wie webt das Mondenlicht
Blaublumen in deine Haare!
Wie lacht dein Mund so wonnesam
Und dein Auge, das dunkelklare!

Und bist du denn ein irdisch Weib,
Vielschöne seltsame Fraue?
Du schaust so heimathlos hinaus
In die helle Nacht und in's Blaue.

Und was auf deinem Haupte gleißt,
Das ist die Wunderblume;
Es suchen sie Tausende in der Welt
Zu stillem und lautem Ruhme."

Ich sagte: "Das ist das Mondenlicht,
Das flimmert auf meinen Flechten,
Und was du redest, ist süß und toll,
Wie Träume in Lenzesnächten."

Doch du: "Der Dichtung blaue Blum'
Die liegt auf dem Haupt dir als Krone,
Du bist meines Lebens Königin,
Und ich kniee vor deinem Throne."

- Und dennoch gingst du und ließest mich -
Es ist so öde geworden;
Der Wind geht still, der Wind geht wild,
Wohl durch dein Schloß im Norden.

Du suchst nun draußen in der Welt
Die Blume in allen Gassen,
Und wirst zum Sterben müd' dabei,
Und deine Wangen erblassen.

Vom Forschen werden die Augen dir trüb,
Und du wirst sie doch nicht finden;
Ihr blauer Schein blieb leuchtend zurück
In tiefen Waldesgründen.

Da, wo ich weinend und träumend bin,
An der verlass'nen Halde,
Da blüht sie Nachts auf meinem Haar,
Im Mondenlicht, im Walde.
(S. 108-110)


IV.
Einst in tiefverschneiten Tagen,
Da der Sturm mit tollem Wehen
Pfadlos Wald und Lande machte,
Wähnt' ich mich in Frühlingsnähen -

Ja, es duftete der volle
Lenz in meinem dunklen Zimmer.
Deine blumenhaften Züge
Lebten ganz von seinem Schimmer.

Deine glückbefang'nen Worte
Waren sanft wie Taubenkosen,
Und die Küsse deiner Lippen
Blühten auf wie Junirosen ...

Plötzlich ward's dem Lenz zu enge
In der stillen, sel'gen Klause.
Und er lief mit keckem Lachen
Weit hinweg von meinem Hause.

"Frühling wird es!" riefen Alle
"Auf der Erde dunklen Gassen!"
Ich allein, ich fühlte anders -
Mich doch hatte er verlassen.

Denn seit mein geliebter Knabe
Mit dem falschen, süßen Munde
Mich zum letzten Male küßte,
Ging der Lenz zur selben Stunde.
(S. 110-111)


V.
Der Waldbach rauscht so wild herein,
Die Winde klagen und toben.
Nun löschen die Sternenlichter aus,
So hat sich der Sturm erhoben.

Er jagt die Wolkenschatten wohl
Über die Sternenflammen -
Es schlägt ob mir die Einsamkeit
Die dunklen Flügel zusammen.

Es ist ringsum so schauerlich still,
Nur der Seele Stimmen wachen;
Mir ist, als ob von ferne her
Dämonen der Tiefe lachen:

"Was wachst du allein? Es ist Alles todt -
Die Zeit fiel selbst in Schlummer;
Im Weltall bleiben lebendig nur
Und unsterblich - du und dein Kummer."
(S. 111)


VI.
Gut' Nacht! schon wieder ging ein Tag,
Da du kein Wort zu mir gesprochen.
Mir geht so matt des Herzens Schlag,
Als sei's von Leiden schon gebrochen ...

Ich habe Göttliches gehofft
Von deiner jungen Feierseele.
Nun ist's verlernt - und Nächtens oft
Schnürt's mir wie Todesangst die Kehle.

Noch ist es Tag! noch lebe ich!
Laß doch mein Rufen nicht verhallen!
So oft verging es jämmerlich,
Wie Saaten, die ins Leere fallen ...

Gut' Nacht! komm bald - sonst ist's vorbei -
Ich ruf' dich in allmächt'ger Liebe.
Die ganze Welt liegt doch im Mai -
Was tödtest du denn meine Triebe?
(S. 112)


VII.
Du gingest - und ich liebte dich so sehr; -
Du gingest - und du wußtest wohl darum;
Du gingest - und es ward so wunschlos leer -
Mein Herz schrie auf, die Lippe doch blieb stumm.

Was hätten meine Worte auch gethan?
Du schweigst, wenn dich mein Sehnen ruft -
Und dennoch gabst du lustvoll dich dem Wahn,
Als webte lockend um dich Sommerluft ...

Dann redetest du wohl ein grelles Wort
Und küßtest mir in Schwärmerei die Hand,
Sankst auf die Knie und gingst dann weinend fort
Und doch - war Alles nur ein Schattenbrand.

Du sagtest mir, ich sei wie Maiennacht,
Gleich einer dunklen Melodie in Moll,
Und wie ein Stern, der leuchtend angefacht,
Unnahbar wandelt, zarter Reize voll.

Kennst du von jenem Hungernden die Mär,
Der schrie in seiner bittren Herzenspein
Um Brot? und Einer kam dann lächelnd her,
Und gab ihm statt des Brotes einen Stein.

So hungernd läßt auch die Bewundrung mich,
Die du mir kühl aus deiner Ferne zollst,
Indeß mein Herz verlangt heißflehentlich,
Daß du ihm Lebensnahrung geben sollst ...
(S. 112-113)


VIII.
Die Nacht liegt hell auf Afrika,
Es blitzt vom Mond der Nil, -
Und schwere Wogen des heiligen Stroms
Umspielen des Schiffes Kiel.

Des Schiffes Kiel, an dessen Rand
Ein nordischer Jüngling steht -
Der Wüstenwind von drüben her
Um seine Stirne weht.

Die ward von tollen Träumen blaß
Und funkelt unheimlich im Licht.
Goldblonde Locken, gefurchte Stirn -
Ein junges Greisengesicht!

"Und wollt Ihr nicht lächeln, mein junger Fürst?
Seht köstliche Dirnen und Wein!
Und wenn Ihr von beiden berauscht erst seid,
So wiegt Euch mein Saitenspiel ein."

Der's sprach, es war ein Spielmann jung,
Des blonden Fürsten Genoß,
Dem dunkel und männlich der volle Bart
Um Kinn und Lippe floß.

Ein leichtes Blut, ein heißer Sinn,
Der nimmermehr gewußt,
Was in des Andern Seele sich
Verbarg in toller Lust.

Und lachend ging er das Deck hinab
Und brachte ein dunkles Weib -
Das Mondenlicht lief geisterhaft
Um ihren schlanken Leib.

Die schmiegte sich weich in des Fürsten Arm,
Der aber fuhr schaudernd zurück:
"Fahr' hin, Du gleißend Marmorbild,
Mit deinem todten Blick.

Ich küßte einstmals einen Mund,
Auf dessen Lippenrand
Ich glückverblendeter, junger Thor
Eine Seele berührte und fand.

Und seit ich selbst jene Seele verließ,
Seit mich der Mund nicht geküßt,
Verschwenden alle Lippen der Welt
An mir ihr glühend Gelüst.

Und brennt Dein Leib von Lust auch heiß,
Dein Herz ist eisig kalt.
Ich suche die Seele und werde darob
Bei blühendem Leibe alt."

Sie stahl sich zitternd zur Seite hin
Und sah ihn verwundert an;
Und - weil der Blonde sie nicht geküßt,
Schlich sie zum braunen Mann.

Und während sie drunten jauchzen in Lust,
Rothgolden funkelt der Wein,
Da träumt im zitternden Mondenlicht
Der junge Fürst allein.

Es tauchen wie schimmernde Hände bleich
Die Lotosblumen empor,
Und manchmal tönt's wie irrer Ruf
Drüben im Nilesrohr.

Da fährt der arme, reiche Mann
Wie traumgeweckt zurück -
Und Thränen brechen wild hervor
Und dunkeln seinen Blick.

Es geht ihm ein süßes Lied durch den Sinn
Von todtem Jugendglück ...
Er pflückt eine Lotosblume vom Nil
Und - denkt an Deutschland zurück.
(S. 113-116)


IX.
Nun wanderst du von dannen -
Nicht weiß ich Ort und Weg.
Hier gehen dumpf die Lüfte,
Die Rosen zittern am Steg ...

Da drüben hinter der Halde
Da geht dein Schatten hin -
Wie ich wohl in diese Öde
Herübergekommen bin?

Mich lockte deiner Augen
So dunkelgoldner Schein;
Es fielen die schweren Locken
Dir über die Stirn herein.

Die blonden Locken verhängten
Dein wundersames Gesicht;
Das Auge blitzte darunter
Wie wallendes Mondenlicht.

Du hast mich am Wege gelassen,
Dein Singen verhallt im Wind,
Indeß in die Rose am Hage
Still meine Thräne rinnt.

Ich starre ins Haidedunkel -
Ich weiß den Weg nicht zurück -
Und drüben entwandelt langsam
Mit dir - mein Jugendglück.
(S. 116-117)


X.
Ich weiß, du bist ein armer, heimathloser,
Europakranker Mann und du mußt wandern;
Mit dir trägst du den Fluch des ew'gen Suchens,
Und Ruhe find'st du nur im ewig Andern.

Heut dünkt's dich gut, an Frauenlippen hängen,
An zarter Brust, in Rosendüften träumen;
Und morgen, kriegerisch dein Schwert ergreifen
Und dich auf ungezähmten Rossen bäumen.

Und heute eilst du strahlend durch die Feste,
Als lös'te deine Seele sich im Tanze -
Und flichtst mit deinen fieberhaften Händen
Dir luft'ge, wilde Blumen eng zum Kranze.

Und schwärmend kannst du wohl ins Mondlicht blicken
Und zärtlich eine dunkle Blume küssen -
Und morgen dünkt es dich vielleicht wie Possen,
Und du wirst laut darüber lachen müssen.

Dann fliehst du wohl mit furchtgehetzten Mienen
In deines Schlosses allerletzte Zelle,
Und beugst dich über alte Folianten -
- Und draußen rauscht des Lebens reiche Welle ...

Bald scheint ein Spiel dir Ernst - bald Ernst ein Spielen;
Unselig Irren nach dem einzig Wahren!
Heut kriechst du wie ein Wurm im niedern Staube,
Und morgen fliegst du sonnennah den Aaren.

Doch aufrecht durch die blüh'nde Erde gehen,
Und allen Dingen tief ins Auge blicken,
Und in das vollgemessne Glück und Leiden
Die trotz'ge Seele ernst und männlich schicken,

Das hast du nie gelernt, mein armer Knabe,
Und dieses Räthsel wirst du niemals lösen.
Nur ruhevoll entriegelst du die Thore,
Die da umschließen goldner Wahrheit Wesen.
(S. 117-118)


XI.
Was stehst du verträumt am Wüstenrand
Und schaust die Gazelle an?
Du rittest ja zur Jagd hinaus,
Du fremder, nordischer Mann!

Das Thier fliegt eilig und leicht dahin
Wie die Körner vom Wüstenstaub,
Und unter dem fein gehuften Fuß
Zittert das blühende Laub.

Rührt dich die schlanke Rehgestalt?
Der scheue feuchte Blick?
Daß deine Hand den Todespfeil
Noch schaudernd hält zurück?

Du kniest dich lauschend hin ins Rohr -
Es zittert deine Hand.
Mahnt dich des Thieres dunkler Blick
An meines Auges Brand?

Frisch auf, mein Jäger, zu toller Jagd!
Graut dir, mein Lieb, vor Blut?
Du trafst doch schon mit gift'gem Pfeil
In eines Herzens Gluth!

Was zaudert heute deine Hand
In dieser Wüstennacht?
Wenn du doch einst ein bess'res Wild
Todwund und still gemacht ...
(S. 118-119)


XII.
Von ferne schreit grellauf ein Hahn
Aus Dämmerniß der Sommernacht.
Nun ist's um meinen Schlaf gethan -
- Ich bin erwacht - o Gott, erwacht!

Was hatt' ich doch so wilden Traum!
Du starbest - und du liebtest mich.
Ich aber konnt' es fassen kaum ...
Du lebst ja - und ich wein' um dich.

Ach besser, du wärst bleich und todt,
Nachdem dein Herz um meines warb.
Nun aber bist du lebensroth,
Und nur dein schönes Lieben starb.

Du liebst nicht mehr! - und lebst dabei!
Und lachst, - und gehst ins Land hinaus.
Da klingt aufs Neu' der Hahnenschrei
Wie irres Rufen durch mein Haus ...

Ich richt' mich auf - mein Haar ist wirr,
Und wirr von Leid ist auch mein Herz.
Die Haarfluth glätt' ich zitternd mir -
Doch nie entwirr' ich meinen Schmerz.

Von ferne schreit grellauf ein Hahn
Aus Dämmerniß der Sommernacht.
Nun ist's um meinen Schlaf gethan -
- Ich bin erwacht - o Gott - erwacht! -
(S. 119-120)


XIII.
Wenn du zu meiner Seite lächelnd sitzest
Und mir erzählst von deinen langen Reisen,
Wie du im fernen Afrika gewesen,
Wie du gewandelt bist im Land der Weisen;

Wie du dem Leuen frei ins Aug' gesehen,
Wie du gejagt die schlanke Antilope,
Und dir die blasse Stirne bräunlich wurde
In jenem scharfen Sonnenglanz der Trope;

Wie du am Nil geträumt - und in den Bergen
Des Libanon geliebt die dunklen Frauen:
Dann fühl' ich weh und langsam, wie's gekommen,
Daß deine Augen mich so fremd anschauen.

Und daß sie wie verträumt in's Blaue sehen,
Als sehntest du dich ewig fort von hinnen,
Als läge in den Banden fremder Welten
Gefesselt all' dein Fühlen und dein Sinnen.

Du liebst mich - und doch ziehst du sehnend weiter,
Ich weiß es, morgen wirst du wieder gehen.
Du blinder Mann, der fremde Welten suchte,
Ohne die Welt von Glück in mir zu sehen.

Ja, eine Welt liegt neben dir verschlossen,
Nur mußt du kühn die goldnen Riegel sprengen;
Ein Wort verhüllt sie dir; ich sag' es nimmer,
Und müßt' ich dich von meiner Schwelle drängen.

Doch findest du's, dann soll dich's überkommen
Wie Frühlingssturm, wie Zeit im Paradiese;
Dann wirst du jubelnd stille stehn und rufen:
"Das ist die Welt, die ich gesucht, nur diese."
(S. 120-121)


XIV.
Ich sah dich heute Nacht, mein Lieb, im Traume
Auf einem Divan ruhn in üpp'gem Saal.
Du warst so laut und fremd - und deine Züge
Erschienen dennoch schmerzenreich und fahl.

Und um dich floß, wie goldenrothe Wellen,
Ein seidner Vorhang, den der Nachtwind bläht.
Zertret'ne Rosen dufteten am Boden -
Voll Weines leuchtete das Trinkgeräth ...

Die Luft war laut um dich - und schöne Weiber
Umflogen dich, gleich wildem Vogelschwarm,
Es streifte dich wie helle Taubenschwingen
Ihr leicht Gelock, ihr federweicher Arm -

Die Lippen brannten dir, die Hände zittern,
Und du riefst immer noch nach Lust und Wein -
Sie gaben Beides dir, die Sünderinnen -
Und du schliefst satt an ihrem Herzen ein.

Am Boden rollte Gold; die ersten Lichter
Des Morgens fielen seltsam roth darauf;
Da plötzlich scholl im frühen Tagesgrauen
Von fern ein Hahnenruf - und du fuhrst auf ...

Und schaudernd fühltest du, wo du gewesen,
Und wie vergiftet rings umher der Raum.
Du wardst sehr bleich - und wandtest dich zum Gehen -
Und ich erwachte fiebernd aus dem Traum -.
(S. 121-122)


XV.
Ich weiß, du hüllst nur ein Narrenkleid
Lügend um deine Glieder,
Und du singst, um dich zu verspotten nur
So falsche und wilde Lieder.

Du hast geglaubt und hast gestrebt,
Und die Welt hat dich betrogen;
Nun hast Du vom vollen Lebenstrank,
Nur die Bitterniß in Dich gesogen.

Nun willst Du das Weh, das in Dir tobt,
Mit Lüsten wild überschreien.
So kamest Du, seltsam blasser Gesell
In der Freude taumelnde Reihen.

Es zuckt Deine fieberhafte Hand
Manchmal nach Deinem Herzen;
Es steht in Deinem Aug' ein Glanz
Von ungeweinten Schmerzen.

Ach reiß' doch endlich das Lustgewand
Von deiner Seele nieder,
Und wirf die Fratzenmaske hinweg
Und ende die wilden Lieder!

Ich weiß es doch: es lebt in dir
Eine Welt von lichten Gedanken;
Du hast sie mit eigner Hand verwirrt,
Daß sie wie Unkraut ranken ...

Laß' meine stille, liebende Hand
Die arge Verwirrung lösen!
Ich suche die goldensten Blüthen nur
Und ich vernichte die bösen.

Vielleicht, ich finde am Ende auch
Des Glückes schimmernde Blume,
Und die Begrabne entheb' ich sacht
Aus ihrem Marterthume ...

Und wirst du lächelnd und stillerlöst
Die arme Hand mir pressen,
So will ich um diesen Augenblick
Viel Jahre von Weh vergessen!
(S. 122-123)


XVI.
Wo hoch du droben am Meere wohnst,
Das sind gar reiche Säle und Hallen;
Drin leuchtet Marmor und dunkles Gold,
Die schweren, seidnen Vorhänge wallen.

Doch lebt kein Laut und kein Lachen darin -
Unheimlich dröhnen Deine Schritte,
Und manchmal ist's, wie wenn neben dir
Vorüber ein grauer Schatten glitte -

Es ist nun Lenz und im Garten dort
Blühet und duftet der blaße Flieder;
Und du sinnst in das Mondesdämmer hinaus,
Doch die alten Träume leben nicht wieder ...

Die arme kleine Nachtigall,
Dir hat sie ihr Lied vergebens gesungen:
Du stehst so einsam und heimathlos
In den süßen Frühlingsdämmerungen ...
(S. 124)


XVII.
Dein Schloß umläuft ein dunkler Wald,
Und dahinter leuchten des Meeres Wellen,
Und du hörst von fern, wenn am alten Fels
Die ruhelosen Wasser zerschellen.

Das Meer und die duftende Haide umher,
Die rauschen und singen in deine Träume,
Und die Sehnsucht und die Einsamkeit
Durchschleichen deine goldenen Räume.

Und die Möven rufen bei Tag und Nacht,
Und der Sturm pocht mahnend an die Thore;
Vieltausendstimmig ruft die Natur, -
Du aber wendest dich ab dem Chore.

Mein blondes Lieb, ich sehe dich,
Wie dein Auge hinausstarrt in die Ferne;
Du suchst in der bangen Oede nach Licht,
Und doch - verloderten längst die Sterne.

Gleichwie ein Falter entgegen dem Strahl
Voll Sehnsucht muß die Flügel breiten,
So flattert deine Seele auch
Um das Märchenlicht der Vergangenheiten ...
(S. 124-125)


XVIII.
Ich habe nie mit dir, mein Lieb, gelebt,
Nur meine Träume sind mit dir gegangen.
Sie haben dich, wie Falter, leicht umschwebt
Und du hast sie im wilden Spiel gefangen.

Doch deine feinen Hände spielen nur.
Ich weiß, wie leicht dir Kraft und Lust ermüden.
Du hältst die Träume nicht - und ohne Spur
Verfliegen sie zu mir herab nach Süden.

Und sie erzählen mir von deinem Schloß,
Und wie so laut vergehen deine Stunden;
Wie stolz du lebst, mein süßer Leidgenoß,
Und wie so heimlich bluten deine Wunden ...

Und wie du über Haid' und Moore jagst,
Als suchtest du verlorne Seligkeiten;
Und wie du Tages lachst und Nächtens klagst,
Und wie sich Stolz und Reue um dich streiten!

O Gott, ich sehe dich - die Nacht ist hell -
Es hat dich aus dem Schlaf emporgerissen -
Und du schreist auf - ein Laut so weh und grell!
Und gräbst dein Antlitz weinend in die Kissen.
(S. 125-126)


XIX.
Wie Siegfried, der den Vogelsang versteht,
Seit er gebadet hat im Drachenblut,
So ward's mit mir, seit du mein junges Herz
Versenkt in des Verrathes Gift und Gluth.

Nun ward mir plötzlich das Geheimniß kund,
Das schmerzlich durch die ganze Schöpfung klingt;
Gleichviel, ob es das Meer, ob Frühlingssturm,
Ob Vogel- oder Menschenmund es singt.
(S. 126)


XX.
Hörst du am Bergrand, über den Klüften
Die Geier und die Adler kreischen?
Ich glaube, wie jung Prometheus vor Zeiten,
So wollen sie mir das Herz zerfleischen.

Ach, fliegt hinab in Nebeltiefen,
O, fliegt hinauf in Sonnennähen!
Das ihr bei mir zu üben trachtet,
Das düstre Werk ist längst geschehen.

Nicht Adlerschnäbel, nicht Geierkrallen,
Zwei Hände, zwei geliebte, braune,
Die haben einst mein Herz vernichtet
In einer lenzestollen Laune.
(S. 127)


XXI.
An den Sturm
(Il naufragar m'é dolce
in questo mare -)
(Leopardi)

Es hastet ein Sturmwind von Nord daher
Und rüttelt die Frühlingswelt.
Nun liegen die Wunder des frühen Mai
Zu Stücken und Trümmern zerschellt.

Flieg auf und flieg weiter, du Frühlingssturm,
Und reiße die Welt in Nacht!
Sie hats nicht durch Qual und durch tausend Jahr
Zu schuldlosem Glück gebracht.

Sie ist noch so bös und so hold und wirr
Als wie einst zu Eva's Zeit -
Sie zahlt noch wie damals ein kurzes Glück
Mit Jahren von Weh und Leid ...

Wo duftend der Garten der Erde lag,
Laß rasen das Meer empor!
Doch eher du Alles in Nichts begräbst,
Flieg' hin an sein Schlossesthor!

Entriegl' es und trag' ihn an meine Brust,
Den hart mir das Leben raubt!
O gönne nur einmal im Tode mir
Das blonde, das sonnige Haupt.

Ich lös' mir das Haar und ich wind es ihm
Ganz enge um Haupt und Hand.
Die Fessel umschlingt den verlornen Mann
Gleich düsterem Todtenband ...

Dann einmal noch schlägt er die Augen auf,
Erschrocken in Seligkeit -
Sein irrendes Herz stirbt an meiner Brust -
Nun magst Du stillstehen, Zeit!
(S. 127-128)


XXII.
Ich messe nicht mehr diese öde Zeit -
Es ist gar lange, seit du mich verlassen.
Nur weiß ich, daß die Stadt im Lenze lag,
Und heute geht der Winter durch die Gassen.

Mein armer Bruder! Winter! Blasser Freund,
Was schleichst du still und abseits in die Thale?
Die Menschen weisen dich von ihrem Heerd -
Ich liebe dein Gesicht, das schmerzenfahle.

Ich lieb' es, wenn mit müdem Sonnenblick
Du Tages her in meine Kammer gleitest,
Wenn Du auf Deinem Nebelroß im Sturm
In öden Nächten durch die Lande reitest.

Und wenn im Walde drauß' und rings im Feld
Viel tausend deiner starren Thränen hängen,
Dann möchte ich mich still, mein blasser Freund,
In deine kalten, weißen Arme drängen.

Der Frühling ließ mich arm. Der Einz'ge ging,
Den ich voll Lebenskraft umfangen hätte.
Gieb mir Vergessen! Mache so mich reich!
Sieh', ich begehre nur ein einsam Bette.

Umfange mich! Sing' mir ein Sturmeslied!
Flicht mir den letzten Kranz von Schneekrystallen!
Kein Tannengrün! - Es mahnt an Weihnachtsglück
Laß eis'ge Thränen auf mein Haupt hinfallen!

Doch, wenn du bis zu meinem Herzen kommst,
Nur langsam wirst du es erstarren können;
Schling' deine kalten Arme fester dann,
- Dort unten glüht ein altes, süßes Brennen ...
(S. 129-130)


XXIII.
Kräfte fühlt' ich in mir, schicksalvolle, -
Gluth, als ob ein Feuerwüthen grolle, -
Lust, mit allem Niederen zu hadern; -
Jugendfülle schwellte meine Adern.

Wie die Kinder nach den Sternen greifen,
Fühlt' ich oft den Wunsch ins Hohe schweifen;
Nach Unmöglichem im Überschwange
Faßt' ich oft in schnellem Jugenddrange.

Paradiesesthore zu entriegeln,
Weisheitsbücher lächelnd zu entsiegeln,
Und die Sagenblume aufzufinden
In des Lebens allerletzten Gründen;

Vom Erkenntnißbaume Weh und Leiden
Stolz zu pflücken und die schweren beiden
Klagelos zu kosten, ohne Thränen,
Und zu tödten jedes kranke Sehnen,

Alles Wundervolle kühn zu nehmen,
Selbst das Wilde mir zum Dienst zu zähmen,
Schien für meiner Pulse feurig Streben
Heiter Bewegung nur und Leben.

Und nun muß ich sehn das große Sterben
Aller Lust in mir; der Kraft Verderben.
Um mein Lachen ist es nun gethan,
Und die Seele hält ein blasser Wahn.

Weil das Götterbild der Jugendliebe
Ward an meiner Kraft zum grimmen Diebe,
Und ich, arm und allen Glückes baar,
Schemen nur von dem bin, was ich war.
(S. 130-131)


XXIV.
Wie ich sterben möchte ...

Vorrei morir nella stagion dell' anno
Quando l'aria é tiepida - -
(Cognetti)

Es müßte tief im späten Sommer sein,
In seiner allerletzten Vollmondnacht -
Und in den Lüften schliefe noch ein Duft
Von blüh'nden Hecken und von reifem Korn.
Die Wälder schlössen ihrer Stämme Nacht
Zum Purpurdunkel - wie ein fürstlich Grab,
Das auf ein müdes Leben harrt; - und fern
Erklänge eines Wandervogels Ruf ......
Vom Himmel sänke goldne Tropfen leis,
Verirrte Lichter, die von Sternen fall'n -
Und sie verstiebten in die große Nacht ....
- - - - - - - - - - - - - - - - - - - -
Doch plötzlich bliche wie ein Schatten hin
Das Mondesleuchten und die Sternengluth - -
Denn von den Matten her, vom Waldessaum,
Käm' wandelnd deine stolze Lichtgestalt.
Sehnsüchtig winktest du mit müder Hand -
Es leuchtete dein Blick von Thränen so -
Und du riefst bang: "Sag', was versteckst Du Dich?
In allen Erdengründen sucht' ich Dich!"
Ich aber säh' dich furchtsam lange an,
Ob du ein Herbstgespinnst der Haide seist;
Und langsam rührt' ich Dir an Haupt und Herz -
Doch die erbebten noch von Lebensgluth.
Und ich rief laut: "Du bist es, Du, mein Lieb!
O Gott, so sind wir sehnend uns entfloh'n,
Denn ich auch suchte Dich durch alle Welt;
So hat das Schicksal arg mit uns gespielt." ...
Drauf sagtest du, wie mit entrücktem Ton
Und legtest letzte Blumen mir ins Haar:
"Bist Du vom Wandern auch so sterbensmüd?"
Ich nickte still - du bögest dich herab,
Ein voller Mondstrahl fiel' auf deine Stirn -
Und deine Lippen, die ich jugendlang
Und heiß gesucht, berührten meinen Mund .. -
- - - - - - - - - - - - - - - - - -
Dann aber rief' ich selig in die Nacht:
"Das ist die Zeit, in's Paradies zu geh'n -
Der Himmelsweg ist offen - stirb mit mir!"
- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - 
(S. 131-132)

aus: Dichtungen von Alberta von Puttkamer
Leipzig 1885
_____

 


Hymne der Schönheit

Das Schöne, selig ist es
in sich selbst. (Mörike)

Die Schönheit hat ihre Götteraugen
Funkelnd, schimmernd der Welt geöffnet -
Daß ihr heiliger Strahl die Verstehenden treffe,
Daß ihr seliges Licht die Schauenden
Zünde zu schlackengereinigter Gluth!
Wehe, die ihr den Blick der Gottheit
Nicht zu ertragen vermögt!
Wehe, wenn ihr geblendet
Vom unird'schen Lichte,
Taumelnd mit plumpen Händen
In's Leere faßt ...
Derweil die Schönheit lächelnd vorbeigeht,
Die ihr, vom Glanze verwirrt,
Ahnungslos wandeln laßt!
Wer aber die Lichtmacht des Blickes
Kraftvoll erträgt,
Den wird sie klärend
Zu ihren Höhen heben -
Und ihm auf das Haupt,
Unsichtbar, und doch himmelverwandten Glanzes,
Lichtkronen legen.
Die Andern, Verblendeten aber
Schelten die Jünger der Schönheit:
Thörichte Träumer!

Draußen am äußersten Meer
Bin ich gewesen,
Da wo die Fluthen schaumkronig
Die ewigen Tiefen
Mit glitzernder Formenanmuth
Trügend bedecken. -
Draußen glänzte der Reichthum der Tiefe;
Metallen und roth
Und juwelenfunkelnd
Liefen verirrte Lichter
Ueber die Wasser.
Feingeflügelte Vögel,
Schneebrüstig und singend,
Tauchten sich lustvoll
Tief in das Naß ...
Manchmal ging ein jauchzender Laut
Aus den Vogelkehlen zum Himmel,
Und das gewaltige Meer überklang ihn
Brausend und hoch.
Die Sonne breitet ein Goldnetz
Ueber die flimmernden Weiten;
Aber die wilden Wellen
Schlüpfen keck durch die leichten,
Sonnigen Maschen.
Und eine Woge sprang auf
Und warf glitzernd Gestein der Tiefe
Vor meinen Fuß -
Ich aber wußte:
Es ist die Schönheit
Ueber die Wasser geschritten.

Und auf Höhen bin ich gestiegen,
In Tiefen und Thale gedrungen -
Vor mir dehnte sich weit die Welt.
Sommerschauer gingen wie leise
Athemzüge der Gottheit
Ueber die Erde.
Am Busch flammten Rosen -
Und die Schärfen der Felsenlinien
Erschienen gedämpft
Von weichverhüllendem Moos.
Das Goldgeäst der Wälder
Verflocht sich eng zu duftiger Wand.
Und blaue Kelche sahen verstohlen hindurch
Wie Kinderaugen -
Im Thale lag goldener Tag -
Es klang ein glücklich Lachen
Von fern her -
Ein Duft, wie reifend Korn
Stieg von den weiten Feldern
Der Erde auf -
Die reichen Schollen
Gährten Lebenskraft
In Frucht und Blüthen -
- Und ich fühlte:
Es hat die Schönheit
In besonnter Spur
Das Land gestreift!

Ich habe die Schönheit empfunden;
Ihr Athem hat mich berührt ...
Der Lenzwind trug bergüber,
Meer- und länderweit,
Von Süden: Duft;
Das war der Schönheit Athem!
Und ihre Stimme hört' ich;
Sie rief im Sturm
Gewalt'gen Akkord;
Sie tönte Zwiegesang
Mit Echoruf an Felsen
Und mit Rauschen in Riesenfichten.
Sie sang das Hohelied
In Meereswellen
Und Quellenmurmeln,
In Vogelliedern und Menschenworten -
Die Welt nennts Harmonie,
Nennt es Musik;
Ich aber sage:
Es ist der Schönheit Stimme!

Doch ein Tag kam,
Da sah ich die ganze Schönheit!
Da kamest Du!
Lächelnd, grüßend kamst du geschritten.
Wie Jupiter
Mit dem Zickzackbündel
Der blitzeschleudernden Kraft!
Du trugst es im Blick! - - -
Die sonnenstrahlenden Locken
Fielen dir tief in die Stirn.
Dein Mund lächelte
Und dein dunkeles Auge
Schaute wie Lenzverheißung herüber.
Du warst die wandelnde,
Die lebendige Schönheit!
Dein Blick drang mir ins Leben -
Meine Seele ward schönheitberauscht -
Du schlangst deinen Arm
Jubelnd um meine Gestalt!
Da aber wußt' ich:
Ich habe die Schönheit
Lebendig und selig
Am Herzen gehalten.
Sie hat mit den Götteraugen,
Voll von Leben und Liebe
Groß und herrlich mich angeschaut!

aus: Dichtungen von Alberta von Puttkamer
Leipzig 1885 (S. 159-163)
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Der Kuß

Wie warmer Frühlingssturm
Ueber Bergland wandelt
Und Blumen
Aus weichem Boden emporküßt:
Also weckt mein Kuß
Dein Empfinden
Aus dunklem Herzensboden empor,
Und es wächst mir entgegen.
Der Kuß
Ist die Sonnennähe der Gottheit,
Und seine heilige Gluth
Schmilzt die eisigen Hüllen
Der Lebensräthsel ...

Auf meiner Kindheit
Lag sein flammendes Zeichen,
Und er weckte den Glauben
An Schönheit und Gott!
- Die lenzfrühen Tage der Jugend
Berührte der segnende Kuß der Gottheit,
Und er entwirkte die Liebe;
Die Liebe, die alle Tiefen und Höhen umfaßte,
Die schattenlos strahlte,
Und junge Seelen
In gottnahem Schwung
Den Erdenfesseln entrückte!
Die übermächtige,
Die mir den Einzigen in die Arme gelegt,
Dem meine Seele
Offen und eigen gewesen
In aller Fülle
Von Leben und Wollen und Sehnen.

Wenn die Kunst mir
Ihre letzten Wunder weist;
Wenn ich, zu ihrer Ferne zu dringen,
Kühnen Flug in's Sonnennahe gewagt,
Und mit glücklichen Schwingen,
Feuerversengt, doch nimmer ermüdend,
Das Schöne erfasse;
Wenn die Hüllen
Von jenen Bildern entgleiten,
Nach deren trunkener Schönheit
Ich jugendlang suchte,
Dann ist es, als ob geisterleise
Ein Hauch mich streifte,
Und ich glaube in glückvollem Wahn,
Es sei die Gottheit,
Die mir den weihenden Kuß
Auf das Haupt drückt - - - -

Oft, wenn ich eingeschlafen im Wald,
Das Haidekraut funkelt im Thau
Und die Hagrosen duften,
Und durch die röthlichknospenden Büsche,
Die goldenschimmernden Blättergehänge
Streifen leise die Abendlichter;

Oder wenn Morgens
Im spätherbstduftigen Garten
Die Nebel im Sonnenleuchten zerrinnen
Und herber Duft von reifen Früchten
Auf den Luftwellen herschwimmt;

Oder wenn in Sommergewittern
Rings Land und Wald bebt,
Und nach Blitzesgeleucht
Und Donnerbrausen
Die Erde dampft,
Vom Regen gesättigt;

Wenn Vogeljubel durch Lenzblüthen irrt,
Oder wenn klagende Töne
Nachts im Walde erwachen;

Wenn Vollmondglänzen,
Gleichwie ein überfluthendes Meer
Die Nachtwelt verklärt;

Oder die Sonne, letztes Sternlicht verlöschend,
Am Morgenhimmel aufwächst,
Und über den Bergwald
Und stolzzackige Klüfte
Weiterschreitet mit goldenem Fuß:
Dann ist's mir, als ob ein göttlicher Kuß
Zauberhaft rühre mein Haupt und Herz ...

Wo mir auf Erden die Gottheit begegnet',
Im Leben, in Kunst und Natur,
Fühlt' ich die ahnungsvolle Nähe
Wie einen Kuß;
Und bei dem zarten, unirdisch-feinen Berühren
Fielen die Bande des Niedern,
Zerrissen die letzten Schleier,
Welche der Sehnsucht
Das Glück verhüllten,
Und es berührten mich
Erde und Himmel
Mit gleichen
Heiligen Schauern ...

aus: Dichtungen von Alberta von Puttkamer
Leipzig 1885 (S. 169-172)
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Zigeunerglück

Es glüht die Welt so mondlichtloh,
Und meine Geige jubelt froh,
Mein Herz brennt so.

Sie ruft und bittet durch die Nacht,
Da sind zwei Schwarzaugen aufgewacht,
Ein Mündlein lacht.

Es fliegt ein süßer Duft vom Rain.
Mich ladet die Au im Sternblumenschein
Zum Lager ein ...

Und schlaf' ich hinter dem Heckenzaun,
Da huscht zu mir das Dirnlein braun
Im Nächtegrau'n.

Ich winde dem Dunkelgelock den Kranz;
Die Blättlein sind von Sternenglanz
Versilbert ganz.

Ich habe Rosen zu Ketten gereiht,
Die leg' ich reich um Nacken und Kleid
Der armen Maid.

Da sagt sie leis: "Mein Wildgesell,
Die Nacht ist warm, die Nacht ist hell,
Mein Blut geht schnell."

Und schauernd sinkt sie an mich hin -
Da fliegt mir ein altes Lied durch den Sinn:
Daß ich König bin!

Mein Tag ist arm, die Nächte reich -
Zwei Arme sind mein Himmelreich,
So heimlich weich.

Was thut's, daß ich Tages betteln muß,
Wenn solches Kosen, solcher Kuß
Der Nächte Schluß?!

Sie schaut mich mit goldnen Augen an -
Da ist's um allen bösen Wahn
Und Leid gethan.

Es wachen die Sterne am Wolkensaum,
Und leise sinkt von Hecke und Baum
Ein Blüthenflaum ...

Nun ruhe, von Knospen und Mondschein bedeckt,
Bis der Tag mit frühem Wind dich neckt
Und mein KUß dich weckt ...

aus: Offenbarungen. Dichtungen von Alberta von Puttkamer
Stuttgart 1894 (S. 32-33)
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Francesca und Paolo

Von leise welkendem Geäst verhangen
Ist nun der Pfad auf meiner wilden Heide;
Die dürren Zweige rascheln auf wie Schlangen
Und ringeln sich an meinem wall'nden Kleide.

Und drüben schlummern alle reichen Gärten,
Verdämmert liegt der Weg durch Land und Wiese,
Gleichwie: im Nebel tiefverlorne Fährten
Zum Glück, zu sommerlangem Paradiese ...

Und aus den Sternen fallen zarte Flammen
Und lodern in das Nichts hin, wie das Leben;
Denn Gluten, die aus jenen Höhen stammen,
Sie sterben, wenn sie tief zur Erde schweben.

Der Wind stöhnt auf; - wie fliehende Gestalten
Eilt es aus Wolken und aus Nebelschleier,
Wie lichte Arme, die sich strebend halten,
Und sich verketten - näher, süßer, freier ...

Wer sind dort drüben jene stillen Beiden?
Sie gleiten wie in goldnem Rauch von Lichte,
Unmeßbar klagt aus ihrem Blick das Leiden;
Süßschuldige, geht ihr zum Gottgerichte?

Da überkommt es mich wie banges Wissen
Von zweier Edelkinder Glutgeschicke:
Einst in Florenz, in Frühlingsdämmernissen
War's, als ihr tödlich wurden seine Blicke.

Als sie "nicht weiter lasen an dem Tage",
Weil sie sich eine Welt zu sagen hatten!
Ein flammend Anschau'n, eine wilde Frage,
Und - die sich fremd sein sollten, waren Gatten.

Der Malatesta hält sie fest, die Blasse, -
Sie hängt so lebensbang an seinem Herzen - - -
Sie ziehn durch Sterne ihre stille Gasse
Bis weit dahin zu jener "Stadt der Schmerzen",

Von deren Qual der wunderbare Dante
Mit strengem Griffel Kunde uns geschrieben.
Entwandeln sie nach dort? zwei Weltverbannte,
Weil heiß zur Hölle brannte all ihr Lieben? ...

Ein Stern glüht plötzlich hell aus einer Wolke -
Da schau ich, wie sie sich im Fluge wenden!
Nein, ewig nein! nicht beim "verlornen Volke"
Kann diese todessel'ge Einheit enden!

Es liegt ein Zug von Edenseligkeiten
So heimlich lieb auf ihren toten Wangen,
Als sei Unsterbliches aus Jugendzeiten
Mit ihnen in die Ewigkeit gegangen ...

- - - - - - - - - - - - - - - - - - -
Wie Sehnsucht ruft es durch die Heidegründe,
Und alles Land ist nebelblaß geworden,
Indes das Wandelbild der süßen Sünde
Im Wind entflieht, der streng aufsteht im Norden.

Dort liegt mein Schloß, ob dem die Wolken jagen,
Paolo und Francesca sind nur Schatten,
Sie starben längst vor vielen tausend Tagen -
Der Herbst von heut liegt schwer auf allen Matten,

Ich weiß es, und ich weiß, daß Nebelbilder
Nur trugen jenes toten Glückes Züge -
Und doch geht meines Blutes Welle wilder,
Und Andres schaute ich als luft'ge Lüge.

Vielleicht sind tiefbegrabene Gedanken,
Geheimes Sehnen, das ich nie bekannte,
Und heiße Wünsche, die mir früh versanken,
Gestalt geworden in dem Paar des Dante?

Denn plötzlich war's, als sei ich das gewesen
Und du, der nie an meinem Mund gehangen,
In dessen Blick ich rasche Glut gelesen,
Und dem ich doch vorbei, vorbei gegangen ...

Du, den ich hätte fraglos lieben können,
Voll Jauchzen bis zu trunkensüßen Sünden.
Was fühl' ich heute deine Augen brennen
Anklagevoll, und Sehnsucht in mir zünden?

Nach jener einz'gen Leidenschaft der Träume,
Die unberührt durch Höllenwehe schreitet,
Und wünschelos durch aller Himmel Räume,
Weil sie sich selber Paradies ist, gleitet?

aus: Offenbarungen. Dichtungen von Alberta von Puttkamer
Stuttgart 1894 (S. 34-36)
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Vorahnung

Mir ist die Seele zum Zittern voll
Von wilden Accorden in Dur und Moll
Und Melodieen -

Vom armen Garten hinter dem Haus,
Da fragt der April in die Welt hinaus
Mit Schwalbenrufen -

Ein knospender Busch rührt mir an die Stirn,
Zwei Schlehenblüten zarttaumelnd irr'n
Von droben nieder.

Den Garten durchwandelt ein Himmelsschein -
Die Schlehblüten funkeln wie Federlein
Aus Engelschwingen.

Ach läßt mich der Psyche Flügelschlag,
Oder der frühe Lenzestag
So Wunder erschauen?

Und sucht derselbe lebendige Geist,
Der mit Entzücken die Erde durchkreist,
Auch in mir Offenbarung?

Flammt die Schönheit von draußen in mich hinein?
Oder verklärt mir die Welt ein Schein
Aus eigener Seele?

Nenn's Jugend, nenn's Liebe oder Licht,
Das sich mächtig drängende Gassen bricht,
's ist Sehnsucht, zu leben!

Der junge April und mein strebendes Herz,
Sie öffnen sich beide himmelwärts,
- Und warten auf Wonne -

aus: Offenbarungen. Dichtungen von Alberta von Puttkamer
Stuttgart 1894 (S. 57-58)
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Reifes Glück

Es war in solchen sommerjungen Tagen,
Wo Seligkeit in allen Pulsen drängt,
Und was die Bäume knospend einst getragen,
Hingebend reif in allen Zweigen hängt.

Wir waren weit vom Schloß ins Land gegangen,
Auf fremden Wegen, die ich nicht mehr weiß, -
Auch unsre Sehnsucht reifte zum Verlangen,
Und unsre Wangen brannten jugendheiß ...

Der Bergwald webte amarantne Schatten,
Als schlöß er heimlich hinter uns die Welt,
Und weit aus allen thalversunknen Matten
Kam es wie Duft von reifem Korn gewellt.

Gewiß, mir war's, ich müßte tiefhin lauschen,
Als hört ich alle Lebensströme gehn,
In warmem Rinnen diese Welt durchrauschen,
Und Kraft und Lust aus ihrer Schwingung wehn.

Und unsre und der Erde Pulse beben
In Sommerschauern dieser reichen Zeit;
Ein Wille, ein allmächtiger, zum Leben
Ward in uns wach in Kräfteseligkeit.

Dein Auge lachte mir mit warmen Fragen, -
Die erzne Stirn von Locken wild umschmiegt,
So schienst du wie ein Held aus frühen Sagen,
Der fragelos und ohne Kämpfen siegt.

Tiefeinsamkeit lag rings; nur Falter hingen
Sich taumelnd mir ins Haar und ans Gewand ...
Du sprachest: "Ist es nicht, als ob wir gingen
So weltabseits in einem Märchenland?"

"Ich bin der Prinz, der dich aus Drachenfängen
Erlöst und heimwärts leitet auf sein Schloß,
Aus Nacht und Gifthauch und aus grimmen Engen
In Sonnenfreiheit als sein Glückgenoß.

Siehst du, das Abendrot legt güldne Bänder
Auf deiner Stirne braunes Haargekraus,
Dich tragen fast wie Schwingen die Gewänder,
Als flögst in einen Himmel du hinaus. -"

Und zärtlich flüstert eine wilde Taube,
Und flog ins Heidedämmern uns voran -
Beglänzte Zweige flochten eine Laube,
Und hinter uns verwuchs zur Welt die Bahn ...

aus: Offenbarungen. Dichtungen von Alberta von Puttkamer
Stuttgart 1894 (S. 59-60)
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Bekenntnis

Und wieder ist ein Tag ins Nichts gegangen;
Der Tauwind raunt und redet durch die Nacht,
Die von bewegten Wolken wild umhangen,
Mit großem Mondblick fragend ist erwacht.
Sie hat in mir ein Heimweh, ein Verlangen,
Wie eine Gottesflamme hoch entfacht
Nach etwas Ungeahntem, Wundervollen,
Nach etwas, das ich hätte leben wollen.

Und tiefer breitet sich der Nacht Vergessen -
Die unerfüllte Stunde fragt nach dir,
Und rinnt dann ins Verlorene; indessen
Der Geist von Lust und Willen lodert mir.
Und eine Kräftefülle unermessen
Die lichte Grenze dieser Seele hier
In regem Lebensdrange will vernichten,
Um, sich vermählend, in dein Ich zu flüchten.

Doch ist mir nur noch kurze Zeit gegeben,
Dem innren Reichtum wird kein Raum gegönnt,
Sich jubelnd auf der Erde auszuleben.
Mich fordert bald ein dunkles Element ...
Und unbegreifend schreitest du daneben,
Und du verstehst es nicht, wie's in mir brennt:
Der wen'gen Erdentage leere Hüllen
Nur noch mit deinem Inhalt zu erfüllen.

Und du verstehst es nicht, wenn meine Mienen
Geheime Angst durchirrt in Fieberhast.
Wie kleinlich Zweifeln ist's dir dann erschienen,
Das du in sichrem Stolz verworfen hast.
Du Lebenskräft'ger, dem die Stunden dienen,
Der sie, ein weites Herrscherreich, umfaßt,
Der lächelnd noch mit ihrem Wert verschwendet,
Indes der Andre sich zur Grenze wendet ...

Dann manchmal, wenn ich nächtens einsam sitze,
Und du vielleicht in ernster Pflichten Kreis,
Nach kampf- und arbeitvoller Stunden Hitze
Sich deine Stirne müde neigt und leis,
Dann ist's, als säh' ich deiner Augen Blitze
Auflodern, wie von einer Sehnsucht heiß, -
Und deine Blicke fragen in die Weiten,
Als suchten sie verlorne Seligkeiten ...

Ob dir dann auch, wie aus versunknen Träumen,
Auftaucht das kleine, dämmernde Gemach?
Ein zartes Demantlicht lag in den Räumen,
Das wie aus seltsamen Gestirnen brach - - -
Und kam doch nur von unsern Wimpernsäumen:
Denn unsre Seele ward im Auge wach,
Und aus den scheuen, warm erregten Blicken
Ging's auf wie Morgenröte von Entzücken!

Wie ward an meinem liebevollen Herzen
Der Marmor deiner Glieder glutbelebt!
Die Brust, gegossen wie aus edlen Erzen,
Wie sie sich, weich, in fremder Wonne hebt,
Und alles, was die Sehnsucht schuf an Schmerzen
Vergeht im Kuß ... und alle Qual verschwebt,
Da sich die beiden zitternden Gestalten,
In Einheit aufgelöst, umfangen halten.

Und weißt du's nun, mein Lieb, was mir tiefinnen
Den besten Kern der Lebenskraft verletzt?
Ich seh' die Stunden ins Verlorne rinnen,
Indes das Todesbild mein Blut durchhetzt.
Ich kenn' das Glück, - ich weiß es zu gewinnen,
Doch sind der Sehnsucht Grenzen hart gesetzt -
Und mir wird wenig Erdenfrist gegeben,
Das Glück an deinem Herzen auszuleben.

O, darum geize nicht mit diesem Glücke!
Sei groß! denn du bist unermessen reich.
Gib mir dein ganzes Ich! nicht Augenblicke
Der Seligkeit! Dich ganz als Himmelreich ...
Nach uns zerbrech' die Welt in Splitterstücke!
Lachend sehn wir dem Tod ins Antlitz bleich:
Denn, wenn wir uns mit starkem Arm umschlossen,
Ward alles Paradies voraus genossen!

aus: Offenbarungen. Dichtungen von Alberta von Puttkamer
Stuttgart 1894 (S. 65-67)
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Mai des Glücks

Draußen rüttelt an dem starken Riegel,
Rüttelt an der Pforte Früh-Lenzwind,
Als entriß er heimlich gern das Siegel
Von den Wundern, die verschlossen sind.

Spiele mit den Wolken, flieg durch Sterne,
Küsse die erwachenden Syringen,
Strebe in die sehnsuchtoffne Ferne
Jauchzend auf den lieben Maienschwingen;

Rede mit den jungen Nachtigallen, -
Hörst du sie aus Knospenhecken dort?
Juble, klage, sing mit allen, allen,
Aber geh vorbei an diesem Ort!

Denn auf deinen zartbewegten Flügeln
Trägst du den befreiten Lenz zu jenen,
Die vom Garten bis zu fernsten Hügeln
Sich nach seiner reichen Jugend sehnen;

Aber hier und heut, in diesen Räumen
Steht das Leben selbst in hohem Mai.
Machen Glut und Sehnsucht alles Träumen
Aus den knospenengen Hüllen frei.

Glüht dein Mund, mein Lieb, nicht gleich den Rosen?
Duftet nicht dein Atem wie Narzissen?
Ist dein Lieben nicht wie Lenzestosen,
Das dem Winter: Leid, sich warm entrissen?

Zeichnet Leidenschaft dir auf die Stirne
Nicht so junge, wundersame Glut,
Wie sie auf der stolzen Bergesfirne
Nur im Frühelicht des Lenzes ruht?

Und die Knospen aufgehn, wenn ein lauer
Maienregen über Nacht geflossen,
Hat mein Herz sich nicht im Thränenschauer,
Wie die Märchenblume dir erschlossen?

aus: Offenbarungen. Dichtungen von Alberta von Puttkamer
Stuttgart 1894 (S. 68-69)
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Himmelsschlüssel

Das waren immer deine Lieblingsblüten,
Die goldnen Himmelsschlüssel auf der Wiese,
Die jenen dämmerdunklen Parkweg hüten
Wie zarte Wächter vor dem Paradiese.

Und, weißt du, wo der Pfad verschwand im Fernen,
Da sahen wir noch weit die Blumen funkeln:
So zieht das Licht von längst versunknen Sternen
Mit traumverlornen Wanderern im Dunkeln.

Im Vorlenz war's; ein linder Tag im Märzen,
Die Blättlein flockten goldenzart am Aste -
Da war in unsern beiden bangen Herzen
Das Paradiesesglück traumlang zu Gaste ...

Traumlang! - es durfte ja die Märchenblicke
Im Scheuen, im Geheimen nur erheben;
Denn dort am Edenthor stand, die Geschicke
Mit Flammenschwerte richtend, Tag und Leben ...

Und über deine Stirne kam's von Leiden
Wie Totenglanz. Und meine beiden Hände
Umfingst du hastig: "Lieb, wir müssen scheiden -
Der süße Anfang ward uns jäh zum Ende." -

Und wir sind weinend in den Tag gegangen ...
Ein Himmelsschlüßlein hast du noch gebrochen;
Doch tiefe Blässe trat auf deine Wangen,
Als aus dem Kelch ein schwarz Insekt gekrochen.

"Ich weiß es wohl," begannst du leis zu klagen,
"Im Leuchtgrund alles Schönen wohnt Verderben;
Der Tod steht wachend über unsern Tagen,
Und jeder Seligkeit droht frühes Sterben."

Ich hab' dich dann mein' Tag nicht mehr gesehen ...
Du lebst! und wurdest dennoch mir zum Schatten.
Und meine Seele kann es nicht verstehen,
Daß nie dein Fuß mehr heimkehrt zu den Matten.

Und daß du nie mit ersten Früh-Lenztagen
Mir aufgehst wie ein Glanz vom Paradiese -
Daß meine Augen ins Verlorne fragen,
Und - nur die Blumen leuchten auf der Wiese! ...

aus: Offenbarungen. Dichtungen von Alberta von Puttkamer
Stuttgart 1894 (S. 70-71)
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Das Unaussprechliche

Kennst du jenes düstre Sagenwort
Von Tryphonius' streng bewahrter Grotte?
Das "Unnennbare" umschloß der Ort,
Letzte Dinge, offenbart vom Gotte.

Die das Unaussprechliche einmal
Nur von Angesichte durften schauen,
Sprachlos wurden sie in sel'ger Qual,
Und es faßte sie unsagbar Grauen.

Also fühlte ich in deinem Arm
Ein berückend Rätsel mich umwehen, -
Und in deinem Blicke, nah' und warm,
Hab' ich das Unnennbare gesehen ...

Und weil Seligkeit unsagbar ist,
Ward ich stumm seit jener Mainachtstunde.
Meine Sprache ward seit jener Frist:
Atemloser Kuß auf deinem Munde.

aus: Offenbarungen. Dichtungen von Alberta von Puttkamer
Stuttgart 1894 (S. 72)
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Zu spät

Es lag ein heißer Harzduft ob der Heide -
Die Früchte reiften dunkelrot und sacht -
Ein sel'ger Julitag, ach, da wir beide
Zum letzten und zum hellsten Mal gelacht ...

Wir hatten nie von Liebe noch gesprochen,
Du wußtest auch: ich war dem Wunsch nicht frei;
Doch plötzlich war's, der Tag sei angebrochen,
Da nichts als wir, auf Erden lebend sei.

Du hattest mich als Knabe einst verlassen,
Wir hatten uns, wie Kinder, jubelnd lieb;
Da riß das Leben dich durch seine Gassen,
Bis es dich fremd an fremde Ufer trieb -

Was kommst du nun? Die Kindheit ist versunken,
Das Glück und ich sind dir verloren längst,
Und machst mich aus dem Jugendborne trunken,
Den du süßfordernd mir zur Lippe drängst?

Du sprachst: "Sing einmal noch mit mir den Reigen,
Und schwing dich einmal noch im Kindertanz -
Du mußt dich eng an meine Schulter neigen,
Von Sternenblumen flecht' ich dir den Kranz."

Da überkam es mich - ich schloß die Hände
Um deinen Nacken, - und ein sel'ger Schrei,
Wie Kinderlachen, flog durchs Waldgelände.
Da rang sich die gefangne Seele frei -

Denn Jedem reift einmal empor die Stunde,
Wo so allmächtig wird die Daseinsglut,
Daß sie sich einzig leben fühlt am Munde
Der Liebe - und die Welt vergessen ruht ...

Du sprachst: "Ich weiß es wohl, du lebst in Ketten,
Und du bist stolz, und ob dein Herz auch liebt,
Du wirst es nie an diese Brust hier betten
In freier Seligkeit, die alles gibt."

Ich sagte leis: "Stör Geister nicht, die schlafen,
Ruf nicht den scheuen Wunsch empor zur That!
Ist's nicht genug, daß sich die Seelen trafen
Auf einem unentrinnbar süßen Pfad?"

Du wurdest tiefrot - recktest auf die Arme,
Wie fordernd, fragend in die Sommerluft,
Als ob der Jugend Hochstrom, dieser warme,
Aufbraust und nach dem andern Leben ruft ...

Ich aber löste langsam meine Hände,
Die Sternenblumen fielen welk dahin;
Ich weiß, du sahst in meinem Blick das Ende, -
All meines Lebens Thränen blitzten drin ...

Das Ende! als noch kaum das Glück begonnen!
Das ist das Schicksal aller Seligkeit:
Wenn eben hoch geflammt die Welt in Sonnen,
Wandert herauf die lange Dämmerzeit -

aus: Offenbarungen. Dichtungen von Alberta von Puttkamer
Stuttgart 1894 (S. 73-74)
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Im Frühwind

"Sing mich zum schlafen, früher Wind,
Der die Welt mit Flügeln umbreitet,
Da die Nacht noch leise in Thränen verrinnt,
Und Orion am Himmel schreitet.

Es ist noch sternenblitzende Nacht,
Und Alle, und Alle schlafen,
Mich aber hat Sehnsucht ruhlos gemacht,
Und Wonnen, die heimlich mich trafen ...

Wenn du die Wälder da draußen im Tau
Trocknest mit deinem Wehen,
Die träumenden Felder, die Knospenau,
Die in quellenden Thränen stehen,

Was gehst du meiner Kammer vorbei,
Vorüber den Herzen, die weinen?
Du früher, barmherziger Wind des Mai,
Vorüber der ruhelos Einen?"

Da lacht er recht wild: "Die Nachtigall,
Sie mag zur Ruhe dich singen;
Die redet mit ganz absondrem Schall,
Wenn in Knospen stehn die Syringen -

"Ich bin die Lust, ich durchfliege die Welt,
Mein Reich ist Lachen und Scherzen,
Mein süßer Ruf, der das All durchgellt,
Kennt keinen Accord der Schmerzen."

Und er flog weitab, und weckte, was schlief,
Und lachte durch träumende Wälder;
Ich aber ins glimmende Dämmer rief,
Und wie Schauer durchrann es die Felder:

"Ich will nicht hören die Nachtigall,
Denn sie hat mir einst gesungen,
Als nächtens dir und mir ein All
Von Glück die Seele bezwungen.

Es ist noch sternenblitzende Nacht,
Und Alle, und Alle schlafen -
Mich aber hat Sehnsucht ruhlos gemacht,
Und Wonnen, die heimlich mich trafen ..."

aus: Offenbarungen. Dichtungen von Alberta von Puttkamer
Stuttgart 1894 (S. 76-77)
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Eine Einsame

Sie war eine wendsame, blasse Gestalt -
Sie schien fast zeitlos, - nicht jung, nicht alt;
Sie hatte scheue, krystallene Augen,
Die zum harten Leben nicht mochten taugen ...

Sie schwebte so zart durch Zeit und Raum,
Als ob sie besinge ein fremder Traum,
Und die fordernde Pflicht und die lärmenden Stunden,
Die mochten ihr seltsames Herz verwunden.

Sie schien mir auf Erden heimatlos -
Es suchte ihr Blick, so fragend groß
Nach süßen, fernen Unmöglichkeiten
In Menschenherzen und Himmelsweiten ...

Man nannte sie unnütz und überspannt,
Denn die arme, die blasse, die kranke Hand,
Die konnte nicht fröhlich ringen und schaffen
Und das Glück durch frische Thaten erreffen.

Dann löschte sie aus, wie ein Lichtlein im Wind,
Wie ein fallender Stern in Lüften zerrinnt -
Es war in den ersten Frühlingstagen -
Und Keiner, Keiner wird um sie klagen ...

Mich aber trifft manchmal zur Dämmerzeit
Ihr sterbender Blick voll glühendem Leid;
Und mitten im wildesten Weltgetriebe
Anklagend, hilflos, fragend um Liebe - -

aus: Offenbarungen. Dichtungen von Alberta von Puttkamer
Stuttgart 1894 (S. 78)
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Tauwind

Es war im März ein tiefer Schnee
Ueber die Felder gesunken,
Wo einst der lustige, duftende Klee
Aufblitzte wie rötliche Funken.

Doch hinter dem Wald in Eiskrystall
Kichert es schon wie Stimmen;
Ein warmer Wind fährt durch das All,
Und die Säume der Wolken glimmen ...

Das kommt wie der große Lebenszug
Von Liebe und dämmerndem Lenze;
Es schimmern die Bilder im Wolkenflug
Wie Amorettentänze.

Der Wind wird bald in tollem Spiel
Sich wolkenüber stürzen,
Und weither bringt er freudenviel
Gedüft von zarten Würzen.

Das bleiche Eis schmilzt Stück um Stück
Ob winteralten Schollen -
Es wächst ja immer das junge Glück
Aus Fernem und Ahnungsvollem ...

Auch du, mein Herz, in neuer Lust,
Rege die Schwingen, die müden!
Denn Tauwind, der den Frühling ruft,
Kommt zärtlich-gewaltig von Süden -

aus: Offenbarungen. Dichtungen von Alberta von Puttkamer
Stuttgart 1894 (S. 79)
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Warum rufst du?

Waldvöglein redet mit süßem Klang
In das flimmernde Abendlicht -
Es ist ein Ruf, so weckend und bang,
Doch ich verstehe ihn nicht -

Ich bin ja nicht drachenblutgefeit,
Daß ich Vogelstimmen versteh' -
Ich ringe nur mit dem Drachen: Leid,
Doch ich tötete nie das Weh -

Flieg ab, dein Lied klingt mir wie Hohn -
Du führst mich zu keinem Schatz;
Nicht zu der goldnen Niblungenkron',
Und nicht zu dem Waldesplatz,

Wo die Linden hell umblühen ein Schloß,
Wo er mir verloren ist,
Mein fremdgewordener Jugendgenoß,
Der nun lachend andere küßt.

Bist du ein Führer zu großem Glück?
Fliegst du dem Wunsche voran?
Dann geh zu Andern, laß mich zurück,
Denn in Schatten geht meine Bahn.

Doch zeigst du mir zum Sterben den Weg,
Dann zieh' ich dir haltlos nach,
Dann überstürm' ich den steilsten Steg,
Und die Seele wird sehnend wach!

Nun fliegst du mit einem Schrei vom Ast -
Hast du mich fürchtend erkannt?
Als den erdenfremden und müden Gast,
Der sich sehnt in sein Todesland?

Wir haben in alle Ewigkeit
Gemeinsam beide nichts:
Ich, die ich verlernte die Seligkeit,
Du, singender Bote des Lichts ...

aus: Offenbarungen. Dichtungen von Alberta von Puttkamer
Stuttgart 1894 (S. 80-81)
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Herbst- und Liebesterzinen

1.
Da draußen in der Welt sind nun die Tage
Der sonnenleeren Öde angebrochen;
Waldüber kommt des Raben Weheklage,

Wie der Vernichtung Stimme, die gesprochen.
Und Ströme, aufgewühlt von Regengüssen,
Rasen wie Adern, die im Fieber pochen ...

In Taumel des Verderbens hingerissen,
(Der Sturm ruft aus den Wolken auf zum Tanz)
Erbebt der Wald in Nebeldämmernissen.

Auf höchsten Wipfeln, ein Bacchantenkranz,
So zittern letzte Blätter goldenrot,
- Der armen Zeit verblichner Kronenglanz ...

Die Hecken grinsen starr und dornbedroht;
Kein Duft läßt ihre Stachel nun vergessen,
Kein rotes Blühen, das wie Funken loht.

Längst sind die Gärten drunten tot: indessen
Der Reif wie Silbersternenblumen fällt,
Und irrgeflogne Kräh'n den Raum durchmessen,

Der sternenlos umspannt die Schattenwelt.
(S. 82)


2.
Es schläft die Stadt - die Regentropfen rinnen
Am Dachfirst nieder in verträumtem Takt,
Die feine Melodie zu meinem Sinnen.

Die Aeste, die ins Fenster ragen nackt,
Die zeichnen sich wie große Hieroglyphen
Ins Himmelnachtgrau, rätselhaft gezackt.

Und ich bin so allein ... Aus Herzgrundtiefen
Stehn Wunsch und scheue Sehnsucht wandelnd auf,
Die ungeweckt von Leidenschaft noch schliefen.

Die Heil'ge rief sie nun ins Licht herauf,
Und gibt den beiden ihre Flügelkraft,
Und deutet ihnen Ziel und Siegeslauf ...

Und also fliegt mein Herz aus seiner Haft,
Zerbricht die Ketten, die der Zwang ihm bindet,
Und es beginnt die sel'ge Wanderschaft

Und wie die Stege der Nachtwandler findet,
Hart an den dämmerweiten Abgrundtiefen,
Wenn sein Gestirn die Sehnsuchtsfackel zündet,

So find' ich dich, als ob mich Himmel riefen ...
(S. 83)


3.
Du mußt nicht glauben, du mein süßes Leben,
Weil ich so sternenweit ins Hohe dringe,
Weil mir so seltne Liebesmacht gegeben,

Daß ich verzückt nur noch in Wolken ginge,
Und fremd geworden sei der goldnen Erde,
In Lebenslust nicht faßte alle Dinge.

Wohl geh' ich abseits von der großen Herde,
Die in der schlichten Form den Gott mißkennt,
Und das Gemeine preist mit Narr'ngebärde.

Weltseele heißt mein flammend Element;
Ihr Inhalt ist unendlich, unbeschlossen;
Sie ist's, die in der großen Sonne brennt,

In Vielgestalt sich in das All ergossen,
Die feinste Faser noch mit Säften füllt,
Im Kleinsten webt, und im unmeßbar Großen,

Als Kraft im Sturme und im Weltmeer brüllt,
Die Adern aller Schönheit sanft durchrinnt,
Sich nie in der Entsagung Fetzen hüllt,

Die in den Sternen ihren Kreis beginnt
Und liebt, und ringt und schöpft, und nie wird alt,
In heil'ger Leidenschaft die Erd' umspinnt,

Und die in uns ward Einheit und Gestalt ...
(S. 83-84)


4.
So möcht' ich alles Himmlische durchmessen,
Und alles Erdensüße dieser Liebe,
Und kein Geheimnis ihres Seins vergessen.

Daß mir verschleiert nichts mehr in dir bliebe,
Kein Glück, kein Irrtum, keiner Wunde Leid,
Kein zartester und größter deiner Triebe.

Und siehst du, Liebster, unsre Erdenzeit,
Würd' ich mit solchem Ueberreichtum füllen
Kein Himmel wär' für seine Wonnen weit!

Und ob der Inhalt wechselt in den Hüllen,
Ob Arbeit, ob Genuß, ob Kampf er heißt,
Im Ueberschwang des Glücks, in Traumesstillen

Entwirkte sich derselbe Göttergeist.
Ich wäre toll und weise, fromm und wild,
Wie mir der Stunde Gunst den Weg verheißt!

Bald streiften wir durch goldnes Lenzgefild,
Auf schlankem Roß durchbrächen wir die Hecken,
Du jagtest mir voran, ein Heldenbild.

Dem Wind nach, uns mit Knospenzweigen necken,
Vom Sattel springen, blaue Falter jagen,
Und hinter jungen Schlehen uns verstecken!

Und würden dann in ersten Sommertagen
Durch reife, mohngestickte Felder gehen,
Und uns gar lebensernste Dinge sagen.

Mit großen Augen ins Zukünft'ge spähen,
Und aus Folianten milde Weisheit schlürfen,
In Wettern jauchzend bei einander stehen;

Und wenn uns Donnerschläge niederwürfen,
Und unter uns erzitterte die Scholle,
Dann ruhig Herz an Herzen atmen dürfen,

Uns küssen mitten im Gewittergrolle,
Um alles, was uns beiden ward gegeben,
Das Allerletzte, Tiefgeheimnisvolle.

Den Gott und Menschen in uns auszuleben!
(S. 84-86)


5.
Wir wollen nichts und nichts dem Schicksal schenken!
Das Zittern und das Schauern keines Blickes,
Nicht ein glückselig-scheues Wimpersenken,

Und kein demütig Beugen des Genickes,
Das sich mit Jubel solcher Fessel neigt,
Und keinen Wink des wanderschnellen Glückes;

Und keine Stunde, die sich lachend zeigt,
Und die, in Armen der Verborgenheit
Uns bebend hält, und Wonnen gibt, - und schweigt ...

Und keines Kusses scheue Seligkeit,
Und keinen Seufzer, keines Anschau'ns Tiefe,
Keiner Umarmung letzte Trunkenheit.

Keinen Gedanken, der verschleiert schliefe,
Und keine Wonne, die das Blut durchkreist,
Und kein Gefühl, das nach Befreiung riefe ...

Nichts, was uns Eins zum Andern wirbelnd reißt,
Und nichts von jenem süßesten Versenken,
Das Liebe, Leidenschaft, Anbetung heißt,

Wir wollen nichts und nichts dem Schicksal schenken! ...
(S. 86-87)

aus: Offenbarungen. Dichtungen von Alberta von Puttkamer
Stuttgart 1894
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Heidedämmerung

Wie flammten damals Büsche doch und Wälder
In einem fremden, großen Abendlicht!
Waldhin ging's durch die ährenblonden Felder -
Wir flogen fast - wir wendeten uns nicht ...

Und du voran; stumm - und nur manchmal brannte
Dein Blick kurz auf; - es blendete mich fast ...
Und weißt du, was ich tief aus ihm erkannte?
Die große Sonne war bei uns zu Gast!

Die große Glut des Glückes ohne Worte,
Die weit entfliehen will aus heller Welt,
Und die beflügelt eilt an stille Orte,
Wo gnädig reicher Zweige Vorhang fällt ...

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Hier ist die Heide! uns umhegt die Stille.
Ich weiß nur noch, daß du auf Erden bist -
Es wacht die Sehnsucht, und es schläft der Wille -
Die Zeit lebt nur, die mir dein Atem mißt ...

Dein Kuß hebt mich in wundervolle Schwülen;
Wir lieben uns so sehr, so wonnejung -
Nicht denken will ich mehr - nichts, nicht als fühlen -
Sinkt auf uns nieder, - Heidedämmerung! ...
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aus: Offenbarungen. Dichtungen von Alberta von Puttkamer
Stuttgart 1894 (S. 90)
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Am Haselstrauch

Weit drüben ein winkender Haselstrauch,
Der hing sein schimmernd Geäste
In den warmen und süßen Septemberhauch -
Da saßen wir in verschollener Zeit,
Der wilde Knabe und ich, zu zweit,
Dem Baume zwei fragende Gäste.

Ein herbe duftender Rosmarin
Lag ringsher wie schwellende Kissen.
Ein Schmetterling funkelte drüber hin -
War das wohl die Psyche von jenem Ort?
Nun ist er schon längst in das Hohe fort -
Wer mag seine Wege auch wissen?

Die Sonne warf blitzende Ringe ins Gras,
Die wollten wir Kinderlein fangen.
Du jubeltest laut: "Wie ein Märchen ist das!
Es stickt dir mit Sternen den Kleidersaum,
Du sitzt wie die Königstochter im Raum,
Dem Krönlein im Lockenhaar hangen.

So tummle dich, Lieber, und sei mein Vasall!
Es blinkt durch die Zweige wie Sterne ...
's sind leckere Nüßlein, - die pflücke mir all!"
Da war er auch schon wie ein Sturm hinauf,
Und schüttete mir in hellem Hauf
Das Kleidchen voll schimmernde Kerne.

Mit seinem Wildhaar, so rötlich braun,
Mit blanken und mutigen Blicken,
War's fast wie ein Eichhörnlein anzuschau'n,
Wie durch Äste dahinglitt des Knaben Gestalt;
Und wie Regen fielen die Nüsse bald,
Ein lustiges Rascheln und Knicken.

Dann knietest du mir zu Füßen hin -
Der Himmel sah durch die Äste.
Viel Süßes lag in den Früchten drin;
Du löstest die Hülle mit zierlicher Hand,
Und was auch dein emsiger Finger fand,
Du gabest mir fraglos das Beste.
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Die reizende Scene im Haselstrauch
Trat heute mir hell in Gedanken.
Die Zeit ging seit damals in scharfem Hauch -
Wir kamen in brennende Lebensnot -
Die Einen traf Glück und die Andern Tod,
Indessen die Tage versanken ...

Seitdem hab' ich oftmals von Bäumen gepflückt -
Sie heißen: Leben und Wissen.
Es haben sich Andre an Kernen entzückt,
Die ich mit Mühen und Lust gesucht,
Sie wollten von reifer, gewonnener Frucht
Das Süßeste selbst genießen.

Ach, käme ein Einziger, Seliger nur,
Wie damals in Kinderzeiten,
Und wandelte auf des Glückes Spur,
Und bräche die Hülle der Dinge entzwei
Und löste das Innerste, Süße frei,
Und böt' mir die Seligkeiten! -
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aus: Offenbarungen. Dichtungen von Alberta von Puttkamer
Stuttgart 1894 (S. 91-93)
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Blindes junges Leid

Das aber kann ich nimmermehr begreifen,
Daß drüben freudenrote Hecken lauschen,
Daß Herzen sich an fliehndem Glück berauschen,
Daß Rosen junge Stirnen keck umreifen.

Die Schatten, die aus einem Grabe greifen,
Sie scheinen alles Sein in Grau zu tauschen;
Und dieser Lenznacht Funkeln, dieses Rauschen
Ist wie des Todes nahes Flügelschweifen ...

Sie sagen, was die Drossel drüben ruft,
Und was der Wald singt und die rege Luft,
Das seien lebenstrunk'ne Melodien;

Doch meine Seele trifft der große Klang
Wie Aufschrei einer Saite, die zersprang, -
Denn es ward Frühling, Frühling ohne ihn!
 

aus: Offenbarungen. Dichtungen von Alberta von Puttkamer
Stuttgart 1894 (S. 94)
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Amorettenfrage

Heute gaukelte ein Blütenast
Mir am Fenster, und ein Stimmlein frug:
"War das Glück schon je bei dir zu Gast? -
Oder traf dich nur sein Schwingenflug?"

Frug das wohl ein Liebesgötterkind,
Das in Apfelblüten Rast gesucht?
Jenes, das da pfeilbewehrt und blind,
Neckt und geht und ewig ist in Flucht?

Hat mein Dichterauge es erkannt?
- Nickend wehn die Apfelblüten da,
Und ein zarter Wind kommt durch das Land,
Als sei mir ein warmer Atem nah. - -

Lächelnd rief ich in die Luft: "Gewiß!
Manchmal streifte mich des Glücks Gewand,
Wenn ich in der Welt, die sie verstieß,
Nackt am Wege eine Wahrheit fand.

Oder wenn der jungen Schönheit, die
Plumpe Thoren krank und blaß gehetzt,
Ich ein Heim an meinem Herzen lieh,
Und sie pflegte, die so tief verletzt.

Manchmal auch umarmte mich das Glück,
Küßte mich erlösend auf den Mund,
Und dann traf sein himmelgroßer Blick
Mich hinab bis in den Seelengrund:

Wenn der Lenz mit Veilchenblick erwacht,
Oder Juni mit Jasmin sich kränzt,
Oder sternentlohte Herbstesnacht
Still in meiner Kammer niederglänzt;

Wenn ich einen reichen Lebensklang
Eben fesseln durfte in ein Lied,
Oder, wenn mein Geist im Ueberschwang
Hingerissen zu den Höhen flieht! ...

Doch nun höre, kleiner Gott, mich an:
Einmal war das Glück bei mir zu Gast,
Ging mit mir ein Stücklein Lebensbahn,
Gönnte seinen Schwingen sel'ge Rast - - -

Als der Herrlichste, den je ich fand,
Seine Seele mir zu eigen gab,
Führte uns das Glück an seiner Hand
Einen Pfad im Abendlicht hinab.

Weißt du, als am Fichtenwaldesrand
Froh ein Vöglein in die Sterne sang?
Weißt du, daß das Glück daneben stand,
Als sein Atem meine Seele trank?

Und als wir im Sommersternenschein
Herz an Herzen lebten eine Nacht,
Schlief das träumerische Glück nicht ein -
Am geschloßnen Riegel hielt es Wacht -

Wenn du, kleiner Gott, zurück nun fliegst,
In dem Himmel, deinen Heimatort,
Und dich wieder auf den Wolken wiegst,
Sag den Göttern droben dann mein Wort:

Daß ich nicht beneide ihre Lust,
Daß mein Wunsch nach keinem Himmel frägt,
Wenn das Glück mich wieder an die Brust
Des geliebten Mannes schauernd legt!" ...

aus: Offenbarungen. Dichtungen von Alberta von Puttkamer
Stuttgart 1894 (S. 95-97)
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Mitten in der Nacht

Schluchzend fuhr ich auf ... die erste Stunde
Schrie vom Turm wie ein Posaunenton,
Der die Schuld'gen sucht im Erdengrunde.
Rufst du zum Gerichte heute schon?

Draußen kommt der Sturm wie Flügelrauschen
Einer bangen, bangen Ewigkeit;
Einer Frage mußt' ich zitternd lauschen:
"Bist du zu der Himmelfahrt bereit?"

Wie ich sinne, hör' ich's leise pochen -
Rührend kommt mir deiner Stimme Laut,
Und du hast mit tiefem Ton gesprochen:
"Es wird jüngster Tag! Komm, meine Braut!"

Weinend sankst du hin an meinem Bette.
Wie dein süßer Mund von Liebe brennt!
Klirrend war's, als spränge jene Kette,
Die uns auf der Erde einst getrennt ...

Mit unsäglich zärtlicher Gebärde
Lehntest du dein Haupt an meines an,
Wie du drunten auf der dunklen Erde
Es so glückesheimlich oft gethan -

Und wir flogen auf, wir selig Freien,
In die große, wolkenvolle Nacht.
Aus den frohentflammten Sternenreihen
Ist es wie barmherz'ger Ton erwacht:

"Oeffnet groß die Himmel ihren Schritten,
Daß sie nun die Ewigkeit vereint,
Die um Liebe also tief gelitten,
Daß ein Engel bittend für sie weint." ...

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Schluchzend fuhr ich auf ... die erste Stunde
Schrie vom Turm wie ein Posaunenton;
Flehend sucht' ich in der leeren Runde,
Aber die Erlösung war entflohn.

Eine Wolke riß; grausame Helle
Sendete in mein Gemach ein Stern,
Und die Wahrheit stand auf meiner Schwelle,
Und sie flüsterte: "Er ist dir fern" ...

aus: Offenbarungen. Dichtungen von Alberta von Puttkamer
Stuttgart 1894 (S. 98-99)
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Liebessymphonie
(Für Musik)

Halte nur den Frühlingsdrang
Nicht zurück in deinem Herzen:
Eingeschlossen sind es Schmerzen,
Freigegeben – ein Gesang.
(Rückert)

Notturno
Kennst du das, nachts wenn die Stille singt?
Und plötzlich ein Blick deinen Schlaf bezwingt?
Es schaut dich etwas mit Augen an,
Das doch nicht reden, nicht reden kann.

Das ist ein vergessener Liebestag,
Der in Wehe und Traum gebunden lag;
Irgendein Rosenwehn in der Nacht
Hat ihn zum Wachen und Wandeln gebracht ...

Und die Mitternacht wird so sehnsuchtweit –
Das Mondlicht geht in Strömen breit
In mein Gemach, und trägt das Boot
Unsrer scheuen Liebe ins Morgenrot ...


Rondo
Wie zärtlich sich dein Nacken biegt.
Wie flimmernd dir das Wildhaar fliegt!
Dein Auge siegt!

Und wie dein Mund mich singend rief,
Als ich in meinen Tränen tief
Und gnadlos schlief:

"Tritt aus dem Traum, der dich umspannt!
Sieh hin, das weite Herbstesland
Ist bunt entbrannt ...

So bunt, so bunt von totem Laub!
Ein trotzig Lodern, eh der Staub
Es nimmt zum Raub.

Mein Blut ist jung, die Stunde lacht –
Vielleicht, vielleicht kommt über Nacht
Das Sterben sacht.

»Und sind auch alle Blüten tot,
Schau nur, wie in Korallen rot
Die Esche loht!

Die Beeren reih ich dir zum Kranz,
Du wirst von ihrem Feuerglanz
Umronnen ganz.

Und wieder lachen lernt dein Herz,
Die Ketten brech ich altem Schmerz
Mit jungem Scherz.

Denn starke Lust ist wie ein Held:
Den Grimmen, der die Sichel hält.
Jagt sie ins Feld.

Zu Gipfeln führt sie uns hindann,
Das Lachen klingt wie Glocken an –
Frei ist die Bahn!" ...

Appassionato
Ein Tausturm fährt auf grauem Roß,
Auf Fahlgewölk ins Tal herab;
Die Schatten wachsen ängstig groß,
Als rief sie wer aus einem Grab.

Ich hör der Ströme wilden Gang
Durchrasen diese Märzennacht,
Das Eis zerbricht so laut und bang
Mit einem Ton, der schluchzt und lacht –

Hei, wie der Föhn den Frühling ruft!
In Ungestüm und Liebeskampf
Durchbricht er die verschneite Kluft –
Es donnert rings wie Roßgestampf ...

Gen Morgen wird er still und weich –
Er hat den Herrlichen ersiegt,
Der, noch die Stirne blumenbleich.
Im ersten Traum am Hügel liegt. –
– – – – – – – – – – – – –
Und mich gemahnt das Liebesspiel
An eine Stunde, wild und fern,
Da ich in süßem Kampfe fiel,
Nach Sturmesnacht beim Morgenstern ...
– – – – – – – – – – – – –

Intermezzo lirico
Ihm leuchtet von der Stirne Jugendkraft,
Und aus den Blicken lohte die Leidenschaft –
Mit blitzenden Zähnen hat er dem Tag gelacht,
Und er liebte die süßen Rätsel der Mitternacht –

Wie das schaffende Leben, das in Kronen geht,
So war er in seiner jungen Majestät –
Wie die Liebe selbst, die nichts als liebt und lebt,
Und in sel'gem Verweilen nicht über die Stunde strebt ...

Und da fand er im Wandern die seltsame, zage Frau,
Sie blickte voll fragender Wünsche zur Sternenau;
Es war, als ob sie scheu am Lebensrand schritt,
Und neben ihr gingen Schatten der Wehmut mit ...

Und grade die Blasse, Süße traf seine Glut –
Von seinem Feuer warf er ihr Flammen ins Blut;
Er riß sie vom Träumepfad ins Leben hin,
Da trat die Sonne in ihren dämmernden Sinn ...

Er bot ihr sein ganzes lachendes Ich zum Tausch –
Die Stunden wurden ein feiner Lebensrausch –
Und dennoch sah sie harrend über die Zeit,
In die wunderverheißende, alte Einsamkeit –

Vielleicht weil sie selbst die Sehnsucht gewesen ist –
Die rastet bei lachender Liebe nur kurze Frist:
Eine reife Sommerzeit, eine Nacht im Mai,
Dann wandelt sie tränenlächelnd der Liebe vorbei ...

Allegro
Es sind die frohen Wiesen hier
Mit Blütenbüschen licht beflaggt –
In allen Zweigen über mir
Schlägt sacht der Frühlingswind den Takt –

Das Land ist duftend aufgetan,
Die Körner fallen golden – dicht;
Ein Sämann wandert seine Bahn,
Und hinter ihm das große Licht ...

Das wirft mir Kronen in den Schoß
Und hängt mir goldnen Reif ins Haar,
Und bietet mir so königsgroß
Demanten und Rubinen dar ...

Die Glockenblumen sind am Weg
Ein Bett von amethystnem Glanz,
Und jedes Reis am Heckensteg
Biegt sich zu einem Jugendkranz ...

Es lacht im Wind; es wandert wer –
Sein Schritt ist Tanz, – aus dem Gewand
Schlehblüten streut er auf mich her,
Ein Dörnlein fährt mir in die Hand –

Und jener springt mit Jubelschrei
Empor in rascher Jugendglut,
Und bricht die Hecke wild entzwei,
Und küßt von meiner Hand das Blut –

"Nun bist du Scheue, Stolze mein:
Der Tropfen, der im Herzensgrund
Noch eben rann für dich allein,
Den trink ich nun mit meinem Mund.

Such nicht das Paradies so fern:
Das tut uns ja der Lenzwald auf!
Und von den Wiesen, Stern an Stern,
Ein ganzer Himmel grüßt herauf ..."

Ich spring empor – und unser Schritt
Geht weit ins Sel'ge, ohne Ziel –
Das heil'ge Lachen wandert mit –
– Da stehen Zeit und Sehnsucht still ...

Maestoso
In großem Takte meistert der Sturm die Nacht;
Der tiefsten Stunde Schweigen zerbricht er stark –
Die Leidenschaften rufen bange –
Weißt du die Lieder der Luft zu deuten? –

Er fängt das Rauschen brüllender Meere auf,
Der Wälder Zürnen, krächzender Raben Ruf,
Der Frühlingsgärten Weheklagen:
Zitternde Töne, wenn Blüten sinken ...

Er nimmt das Seufzen sterbender Lippen hin,
Und unterm Eise ringender Ströme Not,
Und schwere Lüfte, die vergessen
Tief in den Felsen und Klüften liegen –

Die Klagen aller, welche in Ketten gehn,
Den Aufschrei derer, welche die Seligkeit
Für eine Stunde fassen durften,
Wahrend der Schmerz an den Toren harrte ...

Des Bechers Klirren, der vor der Lippe sprang,
Wenn durstge Liebe Jugend und Leidenschaft
Im Lebensweine Kühlung suchten,
Zitternde Seelen den Rausch begehrten.

In Mitternächten reißt du das Weh der Welt
Aus tausend Tönen, zarten und gräßlichen,
In deine Rhythmen allgewaltig,
Sturm, – und die horchenden Herzen schauern ...

Und plötzlich wissen alle, die schlaf erwacht:
So singt das Schicksal ewig das graue Lied,
Und webt der Freuden karge Töne
In die gewaltgen Lebensschmerzen ...

Presto
Brich aus tiefen Gärten drunten,
Wo der Flieder silbern scheint,
Von den jungen Wiesen unten,
Wo die Quelle zärtlich weint,
Brich aus diesem stolzen Lenze,
Unsern Nächten ihre Kränze.

Streue uns von jungen Schlehen,
Und von Veilchen Knospen hin!
Denn du sollst auf Blüten gehen
Und auf weißen Blättern knien,
Weil du aus den Morgenweiten
Herbringst reine Seligkeiten.

Hebe mir die Demantschalen
Mit der seltnen Leidenschaft,
Die mit heißen, lautern Strahlen
Brennt aus deiner Jugendkraft,
An die Lippen, die sich sehnen
Nach dem Trank, der sonder Tränen.
Das sind Feuer ohne Sünde,
Das sind Tropfen ohne Gift ...
Schweiftest du durch Himmelsgründe
Oder Paradiesestrift,
Daß du schöpftest volle Schalen
Sonder Reue, sonder Qualen?

Brich aus tiefen Gärten drunten,
Wo der Flieder silbern scheint,
Von den jungen Wiesen unten,
Wo die Quelle zärtlich weint,
Brich aus diesem stolzen Lenze
Unsern Nächten ihre Kränze ...

aus: Alberta von Puttkamer – Jenseit des Lärms. Dichtungen
Schuster & Loeffler, Berlin und Leipzig, 1904 (S. 41-53)
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Vorüber

Qu’as-tu fait du passé?
Qu’as-tu fait, infidèle?
(A. de Musset)

Die Junimitternacht ist schon herauf.
Ich wach empor — es hat mich wer gerufen —
Und meine Linden atmen süßer auf
Und schatten leicht auf mondesklaren Stufen ...

Die gingst du einst ... Ein starker Lebenswind,
Der jäh zum Sturm wuchs, hat dich mir entrissen;
Du wardst der Schönheit und der Liebe blind —
So tief gehst du in deinen Finsternissen.

Was tatest du mit der Vergangenheit?
Weißt dus nicht mehr? es blühten auch die Linden —
Du konntest nie genug der Seligkeit
Mit deinem durstgen Mund auf meinem finden.

Und bist nun fern! und lebst denselben Tag,
Dieselbe leere Nacht, wie ich, auf Erden;
Und, wieviel Morgenrot noch leuchten mag.
Nie mehr wird eins das Tor zum Glücke werden.

Die Junimitternacht ist schon herauf —
Ich wach empor; es hat mich wer gerufen ...
Und meine Linden atmen süßer auf
Und schatten leicht auf mondesklaren Stufen ...

aus: Alberta von Puttkamer – Jenseit des Lärms. Dichtungen
Schuster & Loeffler, Berlin und Leipzig, 1904 (S. 120-121)
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Jasminen

Zuweilen ists in hoher Sommernacht
Als hörte ich am Fensterlein ein Flehen,
Und langst gestorbne Lippen reden sacht,
Und Schritte, die mein wacher Schmerz kennt, gehen ...

Als ob aus Sternen eine Seele weint,
Und eines Glückes jugendwilde Frage,
Die uns das Leben früh und streng verneint —
Da schlich ein Frost in unsre Sonnentage ...

Es war so wonnevolle Juninacht,
Im Garten leuchtets von Jasminensternen;
Die hast du mir in einem Strauß gebracht,
— Und heute irrt ihr Duft zu mir aus Fernen.

Fand aus entrücktem Lande sich dein Fuß
Zu deinem Heim, an mein betrautes Kissen?
Und sendest du Jasminenduft als Gruß
Aus deines Grabes heligen Finsternissen?

aus: Alberta von Puttkamer – Jenseit des Lärms. Dichtungen
Schuster & Loeffler, Berlin und Leipzig, 1904 (S. 131)
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Letztes Lachen

Das war in silberner Sommernacht,
Wo Heimchen mit zitternden Stimmen singen.
Da hab ich zum letztenmal gelacht;
Und die Nachtigallen riefen darein —
Und dein Mund war noch einmal, noch einmal mein.
Eh deine Schritte ins Öde gingen ...

Du irrst nach Glück, und du rufst nach Rast —
Mein Herz hört dich durch alle Ferne.
Wirst keiner Seligkeit mehr Gast,
Seitdem du greifst in Stolz und Wahn
Nach irren Lichtern auf sumpfiger Bahn,
Als fände deine Sehnsucht Sterne ...

Da klirrte ein Etwas in mir entzwei —
Die junge Freude ging zu Scherben —
Aber ein leuchtender Stolz ward frei! ...
— Nun kann ich tief mitten aus allem Schmerz
Mit den Lippen lachen, indes mein Herz
Aufschreit in Tränen und Verderben ...

aus: Alberta von Puttkamer – Jenseit des Lärms. Dichtungen
Schuster & Loeffler, Berlin und Leipzig, 1904 (S. 141)
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Walkürenruf

Sie fahren auf wildem Roß durch die Nacht,
Daß die Sterne wie Funken stieben;
Und die Stolzeste, Rotgelockte lacht:
"O hüte dein Herz vom Lieben!

Uns wird keine Wonne und keine Qual
Vom Erdengeschlecht der Männer;
Wir fahren aus eurem Nebeltal
Wunschlos, auf göttlichem Renner.

Denn Liebe, du arme Erdenfrau,
Treibt nur als Blüte die Reue.
Das Glück stirbt schnell — die Jugend wird grau,
Und nur bei den Sternen ist Treue ...

Wir fahren Jahrtausende durch den Wind
Und tragen tote Recken,
Und bringen, die erschlagen sind,
Hinauf, daß Götter sie wecken!"

"So trage auch mich, Walküre der Kraft,
Mein Herz ist auch erschlagen —
Ich habe gekämpft in Leidenschaft,
Die Seele voll stummer Klagen —"

Da sprach die Kühne: "Sei uns Genoß!
Greif fest die goldenen Zügel,
Vor deiner Kammer harrt ein Roß,
Und das hat Wunderflügel ...

Hörst du aus allen Höhen den Ruf?
Kannst mitten ins Himmelstor reiten:
Denn deines Dichterrosses Huf,
Der meistert die Welt und die Zeiten! ..."

— Das war eine Nacht! Da auferstand
Die Kraft aus totem Sehnen!
Ein Morgen ging auf über lenzendes Land
Und über Tau und Tränen ...

aus: Alberta von Puttkamer – Jenseit des Lärms. Dichtungen
Schuster & Loeffler, Berlin und Leipzig, 1904 (S. 142-143)
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Kannst du noch schlafen?

Seit der tödlichen Nacht,
Da zuletzt wir uns trafen,
Hab ich immer gewacht —
Kannst du noch schlafen?

Ein Etwas hat laut
Aus dem Weltall geschrieen,
Wie wenn Ewigkeit graut
Und die Lachenden fliehen ...

Und doch hast du leis
Ein Wort nur gesprochen;
Doch das hat den Kreis
Unsres Lebens zerbrochen ...

Seit der tödlichen Nacht,
Da zuletzt wir uns trafen,
Hab ich immer gewacht —
Kannst du noch schlafen?

aus: Alberta von Puttkamer – Jenseit des Lärms. Dichtungen
Schuster & Loeffler, Berlin und Leipzig, 1904 (S. 146)
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Morgenfroh

Nun brennt der alte Fichtenwald
Im frühen Tag rubinenrot;
Das Korn, das hoch im Winde wallt,
Ist ganz von lichtem Mohn durchloht.

O Morgen! junge Majestät,
Du wanderst über Demantgras;
Und wie in hellen Bechern steht
In Anemonen Tauesnaß.

Auf Flügeln von dem Dämmerrot
Rauscht wolkenhoch die Freude her —
Da schleicht im Spinnwebkleid die Not
In Nächte, die von Sternen leer ...

Und wo ihr Fuß berührt den Weg,
Da werden Purpurblumen blaß.
"Was schattest du den Sonnensteg?
Und kommst so grinsend übers Gras?

Was rührst du mir mit grauer Hand
Die morgenfrohen Augen an?
Geh aus dem heilgen Sommerland —
Hier ist nicht Rast für dich, noch Bahn ..."

Da werden ihre Blicke weit —
Sie hüllt die Stirn, und flieht zum Wald —
Denn feldwärts stürmt in Heiterkeit,
Mein Lieb in Jugendallgewalt.

Er kommt mit einem Schritt wie Tanz
Durch dieses taugetaufte Land —
Im Wildgelock den Schlehenkranz,
Und frühe Rosen in der Hand ...

Lacht nicht die Zeit im Glockenschlag,
Und läutet ein das Glück, das Glück?
Du bist ja meiner Seele Tag,
Der nie mehr geht in Nacht zurück ...

aus: Alberta von Puttkamer – Jenseit des Lärms. Dichtungen
Schuster & Loeffler, Berlin und Leipzig, 1904 (S. 150-151)
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Lenzerfüllung

Sieh, das fahle Grau am Horizonte
Wird sich bald mit starken Wäldern krönen,
Und der Hügel dort, der stillbesonnte,
Ist schon hellgestirnt mit Tausendschönen.

In den Lüften spielts wie weiche Geigen,
Und die Winde wehen frohe Takte;
Eine Eiche wiegt sich stolz im Reigen,
Knospenschleier hüllt die göttlich nackte ...

Siehst du, wie die Quellen tanzend springen?
Die da lagen in kristallnen Ketten?
Wie sie sich hinaus zu Strömen ringen.
Und ins Freie, Uferlose retten?

Siehst du nicht die tausendschönen Auen?
Fühlst du nicht den großen Lebenswillen
Wie aus unsichtbaren Schalen tauen.
Und empor aus Erdengründen quillen?

Alle, alle goldnen Lebenstriebe
Müssen am Erfüllungstage reifen;
Und aus Herzensengen muß die Liebe
Wachsend in die frohe Weite schweifen.

Laß dich lächelnd von dem Frühling führen,
Gib die Seele frei an seine Sonne!
Offen findst du meines Herzens Türen,
Wo du bergen kannst die Knospenwonne ...

aus: Alberta von Puttkamer – Jenseit des Lärms. Dichtungen
Schuster & Loeffler, Berlin und Leipzig, 1904 (S. 152-153)
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Liebeslos

I.
Hinab zum Meer, wo Wälder von Oliven
Wehmütig schatteten, sind wir gegangen —
Ich weiß es noch: du hieltest mich umfangen.
Und viel Narzissen blühten in den Tiefen ...

So lieb-ergriffen warst du; manchmal liefen
Dir Schauer über die erblaßten Wangen ...
Du sprachst: "Hat nicht die Welt erst angefangen?
Mein Lieb, wie wir bis heut doch lichtlos schliefen!

Nun aber ward es überschwenglich Tag" ...
Und als dein Haupt an meiner Wange lag.
Da wars, als ob die Jugendtrunkenheit,

Die Sehnsucht und die letzten Wünsche starben —
Die Stunde leuchtete wie Ewigkeit,
Und — auf dem Meer lag ein Triumph von Farben ...


II.
Und dann!? wie schäumten unsres Jubels Schalen!
Wie hoch entbrannte jede Lenzesnacht!
Weißt du, wie wir, von Myrten überdacht,
Im Garten ruhten unter Sternenstrahlen?

Und wie du mir zu endlos süßen Malen
Dein Blut, dein Herz, dein Leben dargebracht?
Wie wir im Ungestüm der Lust gelacht.
Und sich dann Tränen in die Wonne stahlen?

Und dennoch, dennoch kam ein jähes Ende —
Ein Lebenssturm hat dich an einer Wende
Des Wegs ergriffen und weitab getrieben,

Und du fandst nie zurück zu meinem Munde ...
Und, von der — Ewigkeit — ist nichts geblieben
Als aller Liebe Los: die tiefe Wunde ...

aus: Alberta von Puttkamer – Jenseit des Lärms. Dichtungen
Schuster & Loeffler, Berlin und Leipzig, 1904 (S. 154-155)
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Brennende Liebe

Im Garten leuchten Junitriebe —
Es steht wie Flammen in den Beeten:
"Brennende Liebe."

Aus mitternächtgen Dämmerungen
Die Blumen reden wie mit ernsten
Feurigen Zungen.

Es zittert bang in meinem Herzen:
Sind wir nicht auch im Lebensdunkel
Einsame Kerzen?

Du aber bebtest jäh zusammen,
Und küßtest mich: "Nein, wir sind Götter
Mit diesen Flammen.

Und ward das Schicksal uns zum Diebe:
Uns leuchtet durch die Nacht der Qualen
Brennende Liebe!" ...

aus: Alberta von Puttkamer – Jenseit des Lärms. Dichtungen
Schuster & Loeffler, Berlin und Leipzig, 1904 (S. 158)
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Eine Bitte

Es ruft mich aus der Herbstesnacht ein Ton,
Die Sterne flammen, Gärten leuchten weit —
Mein Schlaf ging fort, — und auf den Kissen breit
Zerrissen liegt der Kranz von dunklem Mohn ...

Wer weckt so früh mich? kommt der Morgen schon?
— Da trittst du her in einem Schattenkleid.
Dein Blick ist tief von einem heilgen Leid —
Du bist so licht, — kommst du von einem Thron?

Da ists, als ob ich Tränenworte höre:
"Sei mir nicht bös, daß ich dein Schlafen störe!
Petrus entriegelt mir kein Paradies —

Gib mir mein Herz! ich friere bei den Schatten, —
Denn irren muß ich auf den Totenmatten,
Weil ich mein Herz auf Erden bei dir ließ!" ...

aus: Alberta von Puttkamer – Jenseit des Lärms. Dichtungen
Schuster & Loeffler, Berlin und Leipzig, 1904 (S. 159)
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Biographie:

Puttkamer, Frau Staatssekretär, Excellenz Alberta v., Strassburg i. Els., Kleberstaden 9, am 5. Mail 1849 in Gr.-Glogau i. Schl. als Tochter des Kammergerichtsassesors Weise geboren, verheiratete sich, 18 Jahre alt, mit dem Kreisrichter zu Fraustadt, jetzigen Staastsekretär Freiherrn Maximilian v. Puttkamer. A. v. P. verlor in ihrer frühesten Kindheit ihren Vater. "Das kleine Mädchen," schreibt Elise Polko in einer sehr ausführlichen Biographie über A. v. P., "wuchs als einsame Sensitive auf, als ein sehr empfängliches Geschöpf, das erst langsam, gleichsam auf dem Umweg der Reflexion, zum Geniessen der Schönheitsfülle des Daseins gelangen konnte und wohl schwer zu erziehen sein mochte". Von grosser Bedeutung für ihren geistige Entwickelung und ihre musikalische Ausbildung war vor ihrer Verlobung die Bekanntschaft mit dem geistvollen Philosophen, dem erblindeten Otto Gumbrecht in Berlin, dem Alberta als Schülerin und Freundin sich zuwandte. Diese rasch sich entfaltende Carriere ihres Mannes führte A. v. P. in Kreise ein, die nicht ohne Einfluss auf ihre geistige Entwickelung und auf ihr dichterisches Schaffen bleiben konnten.

- Accorde und Gesänge Dichtungen Strassburg i. E. 1889
- Dichtungen Leipzig 1885
- Kaiser Otto der Dritte. Schauspiel Glogau 1888
- Offenbarungen Dichtungen Stuttgart 1894

aus: Lexikon deutscher Frauen der Feder.
Eine Zusammenstellung der seit dem Jahre 1840 erschienene Werke weiblicher Autoren, nebst Biographieen der lebenden und einem Verzeichnis der Pseudonyme. Hrsg. von Sophie Pataky
Berlin 1898


siehe auch: http://ngiyaw-ebooks.org/ngiyaw/author/puttkamer.htm

siehe auch: http://ngiyaw-sources.org/digitalisate/puttkameressay/puttkameressay/gallery.html

Literaturhinweis:

  • Alberta von Puttkamer - Autobiographische Skizzen
    In: Das literarische Echo 8 (1905/1906) S. 846-849
     

  • Alberta von Puttkamer von Stefan Zweig
    In: Das literarische Echo 8 (1905/1906) S. 836-841



     

 


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