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 Gustav Renner
 (1866-1945)
 
 
 Inhaltsverzeichnis der Gedichte:
 
 
      
 
 
 Vorüber
 
 Wie kurz war unser Liebesmai,
 O Bertha!
 Uns kaum bewußt, ging er vorbei,
 O Bertha!
 So wie ein süßes, kleines Lied,
 Das schnell dem Ohr vorüberzieht,
 War unsre Lieb', o Bertha!
 
 Vom Lenz geküßt, erwachte sie,
 O Bertha!
 'ne Frühlingsblume, lachte sie,
 O Bertha!
 Doch als der Lenz, der holde, wich,
 Steckt' er sie an den Busen sich
 Und nahm sie mit, o Bertha! 
      (S. 8)
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 Bitte
 
 Laß deiner Augen holde Pracht mir tagen,
 Daß in dem wüsten Garten meiner Seele
 Die Blumen, die der Sturm geknickt, der scheele,
 Das Köpfchen heben und zu blühen wagen.
 
 Daß Licht und Luft und sommerlich Behagen,
 Das mir so lang entfloh, nun nicht mehr fehle
 Und aus der neuerstandnen Saat die Kehle
 Der Lerche es zum Himmel möge tragen.
 
 Wohin du blickst, da tauet Segen nieder,
 Daß Neid und Mißgunst nebelgleich entschwand
 Und sich entwaffnet zürnende Geberde.
 
 Es sieht in dir der Mensch sein Urbild wieder,
 Denn Mild' und Reinheit reichten sich die Hand
 Und traten sichtbar in dir auf die Erde. 
      (S. 9)
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 Liebeswunsch
 
 O könnt' ich in des Liedes Schale gießen
 All meinen Schmerz und Lust, das heiße Bangen,
 Das süße Hoffen, heimliche Verlangen,
 Die holden Fehler, die der Lieb' entsprießen!
 
 Und diese Schale, voll zum Überfließen,
 O möchtest du voll Huld sie doch empfangen
 Und, daß begeistert röten sich die Wangen,
 Sie bis zum letzten Tropfen auch genießen.
 
 Vielleicht daß dann durch diesen Zaubertrank
 Dein Herz in Liebe sich dem meinen neiget,
 Das immer dir geklopft in süßem Drang;
 
 Daß, angefacht durch meinen heißen Sang,
 Der Funken lodernd bis zur Flamme steiget,
 Das Herz bezwingt, das widerstrebend rang. 
      (S. 10)
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 Erfüllung
 
 Wie selig nun die Tage fliehn,
 Wie still die Nacht, wie still die Nacht,
 Und übers Herz die Träume ziehn
 In lichter Märchenpracht.
 
 Ich weiß nichts mehr von Welt und Zeit,
 Nur daß ich dein, nur daß ich dein,
 Doch Tag und Nacht und Ewigkeit
 Schließt dieses Wörtchen ein. 
      (S. 11)
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 An deiner Seite
 
 An deiner Seite bin ich vom Traum erwacht
 Und um mich schweigt und zittert tief die Nacht,
 Der Kinder leise Atemzüge ziehn
 Im Bettchen nebenan so sacht, so sacht,
 Und sinnend lausch' ich, wie sie kommen und fliehn.
 
 Im Dunkel such' ich tastend deine Hand -
 Was träumte mir? - Daß du und mein Glück entschwand,
 Daß leer dein Bett und leer die kleine Wiege,
 Daß ich mich einsam und verlassen fand
 Und nun für immer dein Herz, ihr Mund mir schwiege.
 
 Noch bist du mein - und bange halt ich dich fest,
 Noch bist du mein - und was mir die Brust gepreßt,
 Es ging vorüber, ich bin nicht allein,
 Nie kommt die Stunde die uns scheiden läßt -
 So träum' ich, tiefen Friedens, wieder ein. 
      (S. 63)
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 Leander
 
 "Wie ferne, o wie fern
 Leuchtet die Fackel noch,
 Inbrünstig ersehnter Stern,
 Wüchsest o wüchsest du doch.
 Bei deinem zitternden Schein
 Kosten wir manche Nacht,
 Bis uns der Trennung Pein
 Der Tag, der verhaßte, gebracht.
 
 Tagüber leuchtet das Meer,
 Eine Brücke von goldenem Licht,
 Ich gehe wie träumend umher:
 O Sonne, was eilest du nicht,
 O Sonne, so lösche schnell
 Im Meere die Strahlenpracht,
 Auf daß sich im Dunkel hell
 Der Sterne schönster entfacht.
 
 Auf Wogen, schwarz und kalt,
 Rollt mich die tückische Flut,
 Umfaßt mich mit Schmeichelgewalt,
 Doch kühlet sie nicht mein Blut;
 Wie donnert die Brandung hohl,
 Die sich am Felsen bricht,
 Und zu Häupten von Pol zu Pol
 Der Sterne schweigendes Licht!
 
 Halt aus, halt aus, o gleich
 Der Strand, der rettende Strand!
 Ich fühle den Atem weich,
 Ich taste ihr weiches Gewand.
 O fasse, o halte mich doch!
 Wo bist du? Noch nicht! Wie schwer -
 Hero! - Ein Echo noch -
 Gleichgültig brauset das Meer. 
      (S. 104-105)
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 Spaziergang
 
 Im Winde knarren
 Die alten Föhren
 Und schütteln des Regens letzte Tropfen
 Auf unser Haupt;
 Kein Laut zu hören,
 Nur unserer Herzen leises Klopfen.
 
 Noch einmal bricht
 Aus schweren Wolken
 Die Sonne hervor mit stillem Leuchten,
 Im Abendlicht
 Aufblüht der See
 Und Stämme und Gräser, die regenfeuchten.
 
 Dein Antlitz glüht
 In Jugendröte,
 In Jugendglück wie in alten Tagen.
 Mir ists, als müßte
 Wie damals wieder
 Ich heiße, tiefe Worte dir sagen.
 
 Die Sonne sinkt,
 Und es verblassen
 Auf deinem Gesicht des Abends Flammen,
 Und ich denke der Jahre,
 Der schweren Jahre,
 Die Hand in Hand wir trugen zusammen.
 
 Wie lange noch,
 Und einer sieht
 Den andern im stillen Dunkel schwinden,
 Da wir, getrennt,
 Uns immer suchen
 Und nimmer, nimmer wiederfinden. 
      (S. 148-149)
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 Aus: Gustav Renner 
      Gedichte Gesamtausgabe
 Durchgesehen und vermehrt
 Gr. Lichterfelde-Berlin Verlag von E. Th. Förster 1904
 
 
 
      
      Biographie:
 
 Gustav Renner geb. 17. 10. 1866 in Freiburg /Schlesien, gest. 29. 05. 1945 
      ebd.
 Buchbinder, nach seiner Wanderschaft besuchte er eine zeitlang die 
      Kunstschule in Breslau, beschäftigte sich dann mit kunstgewerblichen 
      Malereien aller Art, später Bibliothekar in Berlin.
 Erzähler, Dramatiker und Lyriker.
 Schriften: Gedichte 1886 / Neue Gedichte 1898 / Gedichte Gesamtausgabe 
      1904 / Ahasver (Dichtung) 1904 / Zimmer zu vermieten (Schwank) 1907 / 
      Freund Krause (Schwank) 1908 / Eine Pfingst-Turmfahrt (turnerisches 
      Lustspiel) 1908 / Ein Turnsieg (Schwank) 1908 / Am Weihnachtstag 
      (Lebensbild) 1909 / Krieg und Frieden vor dem Gauturnfeste (Schwank) 1909 
      / Dunkle Mächte (Drama) 1911 / Merlin (Trauerspiel) 1912 / Alkeste. Ein 
      mystisches Drama 1912 / Novellen 1925 / Heimkehr (Roman) 1926 / Gedanken 
      und Gedichte. Aphorismen 1926 / Welt und Seele. Eine Auswahl Gedichte. 
      Altes und Neues 1927 / Diogenes. Balian (2 Dramen) 1935.
 
 Aus: Deutsches 
      Literatur-Lexikon. Biographisches und bibliogr. Handbuch. Begründet von 
      Wilhelm Kosch. Dritte völlig neu bearbeitete Auflage Francke Verlag Bern 
      Stuttgart 1990
 
 
 
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