Maulana Dschelaleddin

Rumi

(1207-1273)

(in der Übersetzung von Friedrich Rückert 1819)



Ihr Augen, geht, den Lenz zu schauen,
Der lächelnd liegt auf unsern Auen,
Ein Himmelskind in Blumenwiegen,
Gesäugt von Milch der Wolkenfrauen.

Die Ostluft ist die Amm' und schaukelt
Die Wiege mit dem Hauch, dem lauen.
Das Kindlein thut, als schlaf' es, blinzet
Mit seinen Äugelein, den schlauen.

Und wie's die Augen aufgeschlagen,
Träuft Tau von seinen Augenbrauen.
Und Bienen kommen, saugen emsig
Den Tau, aus dem sie Honig brauen.

O kommt und laßt euch doch vom Lächeln
Des Himmelkindleins auch durchtauen.
O kommt und euern dumpfen Zellen,
Die euch des Himmels Licht verbauen.

Laßt uns die Zell' aus Wachs und Honig
Sechseckig, wie die Bienen, bauen.
Erwarmt am bunten Blumenfeuer,
Und laßt die Aschen ruhn, die grauen.

Die Buß' ist tot, die Liebe lebet,
Ihr Atem weht in unsern Gauen.
Geht in des Frühlings Liebeschenke,
Trinkt seines Weines ohne Grauen;

Auf daß ihr liebestrunken werdet,
Eu'r Herz sich öffne mit Vertrauen.
Die Lieb' ist wach an Erd' und Himmel,
Im Grünen Rose, Sonn' im Blauen.

O Nachtigall, sieh deine Rose;
Du Adler sollst zur Sonne schauen.

 

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